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Salziger Zauber

Salzseen in Okzitanien

Salziger Zauber

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Gleich hinter den großen Stränden Okzitaniens liegen die Salzseen, die Étangs. Hier brüten Vögel, hier wird Salz gewonnen und hier liegen eigenwillige Dörfer, die sich keinen Deut um die schicken Beach Clubs am Meer scheren.

TEXT HANS AVONTUUR FOTOGRAFIE HANS AVONTUUR & SHUTTERSTOCK

OKZITANIEN

Am Nordufer des Étang de Thau habe ich Glück. Ich habe mich mit Quentin und Emmeline verabredet. Das junge Paar betreibt eine Austernfarm und ausgerechnet heute fahren sie hinaus, um Austern zu ernten. Ob ich mitkommen möchte? Was für eine Frage! Kurz darauf gleiten wir auf dem dunkelblauen Wasser dahin. Die Sonne brennt und ein strammer Wind weht. „Das ist es, was unser Leben so schön macht“, sagt Emmeline, „gemeinsam in der Wildnis“. Ihr Mann Quentin lacht: „Ich hatte sie gewarnt, im Winter muss man auch raus. Dann kann es unangenehm kalt, nass und stürmisch sein.“ Quentin weiß, wovon er spricht, denn er ist mit diesem Beruf aufgewachsen. Seine Eltern hatten eine Austernzucht. Von ihnen lernte er alle Kniffe, die ein Züchter braucht. Mit seinem eigenen Unternehmen hat er einen etwas anderen Weg eingeschlagen: „Hochwertige Austern. So wollen wir uns profilieren. Wir haben auch eine besondere Sorte, die schon Preise gewonnen hat“. Wir passieren die Anlegestellen der Kollegen und das Dorf Mèze, das im goldenen Sonnenlicht badet. Zu unserer Rechten sehen wir die Metallgerüste der Austernzüchter. Der Étang de Thau ist berühmt für seine Austern. Sie hängen an langen Schnüren im Wasser. Wir hieven sie aus dem Wasser, um die Schalentiere von den Schnüren zu lösen. Quentin und Emmeline sind perfekt aufeinander eingespielt. Sie legen an, installieren die Erntemaschine, befestigen die Schnüre nacheinander und sammeln die gelösten Austern in großen Kübeln. An Land werden sie nachher für den Verkauf an Restaurants, Zwischenhändler und Direktabnehmer gereinigt. Morgen vor Sonnenaufgang wird das junge Paar anderthalb Stunden zum Wochenmarkt in Uzès fahren. Mit vollen Eimern steuern wir zurück zum Kai. Es war herrlich auf dem Wasser. Schön, erholsam, arbeitsintensiv und unprätentiös – eben typisch für das Leben an den Salzseen. Die touristischen Strände liegen nur eine halbe Stunde entfernt, scheinen aber Lichtjahre weit weg zu sein.

Alte Salzpfannen

Am Nordufer des Salzsees fahre ich ein paar Kilometer ins Landesinnere nach Frontignan und finde eine schöne Bleibe für die Nacht in einem alten Landhaus, das von Caroline und Marie in ein Chambre d'hôtes umgewandelt wurde: die Domaine

de Selhac. Es ist eine Geschichte, die aus viel mehr als Jahreszahlen besteht. Carolines Großvater arbeitete dort als kleiner Junge für eine wohlhabende Familie, die ein Weingut führte. Caroline serviert ein köstliches Abendessen mit Tielle, einer Art Kuchen mit gepfeffertem Tintenfisch, Tomatenmark, schwarzen Oliven, Knoblauch und Zwiebeln. Das auffallende Gericht geht auf das späte 19. Jh. zurück, als italienische Einwanderer das Rezept mitbrachten. Lange Zeit galt es als Essen für arme Leute. Bis Adrienne Pages in den 1930er Jahren es an ihrem Stand in Sète zu verkaufen begann. Die Resonanz war enorm. Tielle hat einen intensiven Geschmack, an den man sich erst gewöhnen muss. Nach ein paar Bissen dringen die Nuancen des Gerichts durch. Von einem Snack hat es sich zu einem vollwertigen Hauptgericht entwickelt. Dazu gibt es frischen Salat. Nach dem Essen sitze ich noch eine Weile draußen. Der salzige Wind rauscht durch die Bäume und lässt erahnen, dass das Meer nicht weit entfernt ist. Ich trinke ein Glas Rosé aus der Region, lasse meine Gedanken zurückschweifen zum Besuch bei Quentin und Emmeline und freue mich auf den folgenden Tag, der mit einem Spaziergang durch die alten Salinen von Frontignan beginnen wird, die in ein Naturschutzgebiet umgewandelt wurden. Am Treffpunkt am Rande des Dorfes wartet Laurent Woock, um mich durch die außergewöhnliche Landschaft zu führen. Er erzählt von der Methode der Salzgewinnung, den verschiedenen Becken, dem Spiel mit dem Wasserstand und dem harten Leben der Arbeiter: „Stellen Sie sich vor, diese Männer und Frauen stehen hier im Hochsommer bei 35 Grad Celsius (und mehr!) im Salz. Im Meerwasser sticht das auf der Haut, in den Pfannen ist die Konzentration so hoch, dass es brennt. Und vergessen Sie nicht die Mücken. Seit dem Aufkommen des Tourismus in den 1960er- und 1970er-Jahren werden diese bekämpft, aber damals war das noch nicht der Fall.“ Das seichte Wasser ist heute ein Paradies für Vögel, unter denen die Flamingos am meisten auffallen. Die Altvögel sind schön rosa vom Fressen des spezifischen Planktons, die Jungvögel dagegen noch weiß und grau. Viele ziehen im Winter in wärmere Gefilde, aber ›

Es war herrlich auf dem Wasser. Schön, erholsam, arbeitsintensiv und unprätentiös – eben typisch für das Leben an den Salzseen

Aufschlagseite: Boot mit Mimosen in Sète. Hier von links nach rechts: Die Place St. Louis in Aigues-Mortes; Sonnenuntergang am Étang de Thau; Quentin und Emmeline bei der Austernernte.

einige überwintern hier. Laurent: „Früher gab es an mehreren Orten hinter der Küste Salinen, heute sind nur noch die in Aigues-Mortes in Betrieb.“ Die Region besitzt eine ganz eigene Schönheit. Es ist eine Art Niemandsland zwischen dem Meer und den Bergen. Wer von der Landseite über die Salinen und Seen blickt, sieht auf der anderen Seite einen schmalen Landstreifen, hinter dem sich das Mittelmeer versteckt. In den 1960er Jahren wurde beschlossen, dort den Tourismus zu entwickeln. Über diesen schmalen Streifen fahre ich wenig später zu einem etwas versteckten Ort: la Cathédrale de Maguelone. Die Kultstätte liegt auf einer Halbinsel zwischen den Salzseen von Arnel und Des Moures. „Als ich als Kind zum ersten Mal hierher kam, war ich enttäuscht“, sagt Maguelonne Arghyris von der Stiftung, die die Halbinsel verwaltet. „Bei einer Kathedrale dachte ich an die Sacre Coeur, aber hier regiert die Einfachheit. Gerade das Fehlen von Ornamenten macht den Ort zu etwas ganz Besonderem: die geraden Steine, die einsame Marienstatue, das dekorative Tor, die Festungsanlagen und vor allem die wahnsinnig schöne Lage zwischen Land und Wasser. An der Seite findet sich ein auffälliges Detail, eine eigens für den Papst gebaute Treppe, über die er mit seinem Esel auf den Balkon reiten konnte, ohne abzusteigen. Im 16. und 17. Jh. wurde die Kathedrale aufgegeben und verfiel“, sagt Maguelonne. „Das heutige Gebäude ist dem Historiker Frédéric Fabrège zu verdanken, der die Ruinen restaurieren und die Halbinsel neu bepflanzen ließ. Seine Tochter schenkte es 1949 der Diözese Montpellier unter der Bedingung, dass es eine soziale Funktion erhalte“. Auf der Halbinsel und in dem dazugehörigen Restaurant arbeiten auch Menschen, die auf dem freien Arbeitsmarkt nicht zurecht kämen. Einige von ihnen leben auch dort. Wer einen Beitrag dazu leisten möchte, das Projekt zu unterstützen, kann im Laden unter anderem den hier produzierten Wein erstehen.

Bastion der Kreuzritter

Ich stromere weiter zwischen den Salzseen. Unterwegs besuche ich mehrere Naturschutzgebiete wie das von Scamandre und Méjean. In den Besucherzentren erfahre ich viel über die Pflanzen und Tiere, die dort leben. Von den weißen ›

„Früher gab es an mehreren Orten hinter der Küste Salinen, heute sind nur noch die in Aigues-Mortes in Betrieb.“

Links: Fischer am Étang de Thau. Rechts: die Salzseen mit den Stadtmauern von Aigues-Mortes im Hintergrund.

Am Hafen frage ich in einem Restaurant nach l'arrivage, dem Fang des Tages. Frischer geht's nicht

Camargue-Pferden bis hin zu einer langen Liste von Wasservögeln. Auf dem Weg dorthin werfe ich auch einen Blick auf die Domaine Royal de Jarras, einen der Erzeuger der so genannten Vins Sable, der Sandweine. Sie werden so genannt, weil die Reben in trockenem, lockerem Sandboden stehen und dort doch gut gedeihen. „Der Boden aus Sand und Muscheln bringt einen trockenen und zugleich fruchtigen Wein hervor“, sagt Roland, der Chef des Weinbergs. Die Mönche pflanzten in diesem Gebiet bereits im 13. Jh. Weinreben an. Vom Weinberg aus kann ich schon meinen nächsten Halt sehen: die Salinen von Aigues-Mortes. Besucher können dort wandern, Rad fahren oder eine Tour mit dem Touristenzug machen. Auf Schusters Rappen macht es am meisten Spaß. Dann sind die unterschiedlichen Farben der Becken besser erkennen, ist die Wärme zu spüren und bietet sich ein wunderbarer Blick auf das mittelalterliche und noch vollständig ummauerte Städtchen AiguesMortes, einst eine Bastion der Kreuzritter. Am Wendepunkt des Wanderweges türmt sich ein riesiger, mehrere Dutzend Meter hoher Berg aus Salz auf. Irgendwann wird es als grobes Meersalz im Streuer landen. Jetzt kann ich hinaufklettern, um einen besseren Blick auf die Weite der Salinen zu bekommen. Die Männer mit Schaufeln und Schubkarren von den alten Fotos von Frontignan sind verschwunden. Heutzutage dröhnen hier Bulldozer und Traktoren mit Anhängern. Kurz vor Sonnenuntergang erreiche ich meine letzte Station: Sète. Am Hafen frage ich in einem Restaurant nach l'arrivage, dem Fang des Tages. Frischer geht's nicht.

Schöne Erinnerungen

Das Städtchen Sète liegt buchstäblich auf der Grenze zwischen dem Mittelmeer und dem Étang de Thau. Der Canal Royal verbindet die beiden Gewässer und bildet das letzte Stück des berühmten Canal du Midi. Als dieser Kanal im 17. Jh. gegraben wurde, verwandelte sich Sète von einem

Links: Das Fischerviertel La Pointe Courte in Sète. Oben: Spazieren auf der Stadtmauer von Aigues-Mortes; unten Caroline von der Domaine de Selhac. Folgende Seite: „Tournoi de joutes“ während des sechstägigen Festivals von St. Louis in Sète.

bescheidenen Fischerdorf in eine blühende Stadt des Handels und der Fischerei. Auch die Marine spielte eine Rolle. In den schönen Gebäuden und großen Kirchen spiegelt sich bis heute ihre Anziehungskraft. Ich schlendere an den Villen am Canal Royal entlang, spaziere durch die hübschen Straßen dahinter und steige in den oberen Teil, wo früher italienische und spanische Einwanderer lebten. La Pointe Courte hatte lange Zeit nicht gerade den besten Ruf. Das Fischerviertel liegt am Étang de Thau und besteht aus kleinen Häusern und den charakteristischen Cabanes, Schuppen aus Wrackteilen, Brettern, Seilen und allerlei anderen Fundstücken. In einer der Hütten sitzt Michel Izoard an einer Werkbank. Der ehemalige Fischer stellt aus Spaß Miniaturen aus Holz her; viele kleine Boote. „Einst haben hier 80 Familien vom Fischfang gelebt“, sagt er. Heute ist es noch eine Handvoll. Der Étang ist auch salziger geworden, und das ist für einige Fischarten nicht gut. Unter dem Vordach hängen Bilder aus vergangenen Zeiten. Junge Männer in der Blüte ihres Lebens, die am Tournois de Joutes teilnehmen, einer Art Ritterturnier, bei dem Männer auf Booten

versuchen, sich gegenseitig mit langen Lanzen von einer Plattform zu stoßen. „Jahrelang war ich dafür zuständig, die Lanzen und Schilde zu bergen, die im Wasser gelandet waren“, erzählt Michel. Er berichtet von einer wunderbaren Zeit voller toller Erinnerungen. Am Ende des Nachmittags besteige ich den Mont Saint-Clair. Der Aussichtspunkt gibt den Blick frei auf das Mittelmeer, die Umrisse der Pyrenäen, Sandbänke und Salzseen. Am Étang de Thau schimmern die Austernbänke, wo ich zuvor mit Emmeline und Quentin war. Ein Boot zeichnet in der Ferne lautlos ein weißes V in das dunkelblaue Wasser. Ich beobachte in aller Muße wie die Sonne hinter dem Horizont verschwindet und den Himmel in ein bezauberndes Violett einfärbt.

Tipps & Adressen

ANREISE

Aigues-Mortes liegt etwa 900 Kilometer von Frankfurt a.M. entfernt. Es gibt gute Flugverbindungen nach Marseille, Montpellier oder Toulouse. Anschließend ist ein Mietwagen sehr praktisch, wenn Sie verschiedene Orte erkunden möchten. Der TGV hält in Montpellier und Perpignan.

ÜBERNACHTEN

Le Splendid Camargue, Le Grau-du-Roi Das Hotel ist seit mehreren Generationen im Besitz derselben Familie. Geräumige, komfortable Zimmer mit Balkon, direkt am Meer und Strand. Top: Frühstück im obersten Stockwerk mit traumhaftem Ausblick. DZ ca. 120 € inklusive Frühstück splendid-camargue.com

Domaine de Selhac, Frontignan Gemütliche Chambres d'hôtes in einem stilvoll renovierten Landhaus, umgeben von den berühmten Muskateller-Weinbergen von Frontignan. Caroline auf der Halbinsel Maguelone. Das Personal setzt sich zum Teil aus Personen zusammen, die sonst auf dem Arbeitsmarkt kaum Chancen haben. Das sorgt für eine besondere und entspannte Atmosphäre. Toller Blick von der Terrasse auf die Weinberge und das Meer. compagnons-de-maguelone.org

Le Poisson Rouge, Frontignan-Plage In diesem ehemaligen Wohnhaus von Austernfischern kann man buchstäblich die Füße in den Sand stecken. Die Küche ist hell und logischerweise hauptsächlich auf das Meer ausgerichtet. Eine der Spezialitäten ist Seiche à la Plancha, gegrillter Tintenfisch. le-poisson-rouge.fr

Oh Gobie, Sète Mit den Fischerbooten vor der Haustür ist es klar, dass sie im Oh Gobie mit frischem Fisch und Meeresfrüchten glänzen. Bei Besuchern und Einheimischen gleichermaßen beliebt. Unkompliziert und lecker. 9 Quai Maximin Licciardi, Tel.: +33 4 99 02 61 14

und Marie servieren regionale Spezialitäten und heißen Gäste herzlich willkommen. DZ mit Frühstück ab €100 domainedeselhac.fr

L’Orque Bleue, Sète Boutique-Hotel in einem klassischen Herrenhaus, direkt am Canal Royal. Es verbindet alte Elemente mit Design und moderner Kunst. DZ mit Frühstück ab €114 orquebleue.fr

ESSEN UND TRINKEN

Café Miramar, Grau du Roi Eine moderne Kombination aus Bistro und Weinbar. Die überraschenden Gerichte - viele auf Fischbasis - werden in der offenen Küche zubereitet. Wenn das Wetter es zulässt, kann man dort auf der Promenadenterrasse sitzen. cafe-miramar.fr

Le Comptoir des Compagnons, Maguelone Eine etwas versteckte Adresse

UNTERNEHMEN

Naturschutzgebiete Rund um die Salzseen (eigentlich sind es Lagunen) liegen mehrere Naturschutzgebiete, die zu besichtigen sind. Besonders zu erwähnen sind die ehemaligen Salinen von Frontignan, die Grünanlagen rund um das Maison de la Nature in Lattes und die Petit Camargues von Scamandre.

Salzpfannen Die Salinen von Aigues-Mortes sind die einzigen nennenswerten Salinen, die noch Betrieb sind. Besucher können sie auf eigene Faust besichtigen oder an einer Führung teilnehmen. visitesalinsdecamargue.com

INFORMATION

• tourismegard.com • herault-tourisme.com • toerisme-occitanie.nl • montpellier-toerisme.nl • sete-archipel-de-thau.com • france.fr