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Champagne: Ein Fest für alle Sinne

Die Region verwöhnt ihre Besucher, in hunderten von Weingütern und Verkostungslokalen kitzelt das flüssige Gold den Gaumen. Vor allem aber lädt das sanfte Auf und Ab der Weinberge, wo die Trauben mit Sorgfalt geerntet werden, zum Wandern ein.

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TEXT MICK PALARCZYK & PAUL SMIT FOTOGRAFIE MICK PALARCZYK

CHAMPAGNE

In den Weinbergen oberhalb des Dorfes Ville-Dommange ist Violet der Liebling der Traubenleser. Sie schleppt die schwersten Kisten, schimpft nicht mit dem Chef, beklagt sich nicht über Rückenschmerzen oder stechende Fliegen und ist nie übler Laune. Sie ist der ruhige, geerdete Mittelpunkt des Teams, und jeder streichelt im Vorbeikommen liebevoll ihre schöne dunkelbraune Mähne. Wir spazieren auf dem Weinberg von Jeeper Champagne, einem kleinen Weingut, das Wert auf ökologisches Arbeiten legt. Eigentümerin Myriam Dubois erklärt: „Pestizide kommen bei uns nicht in Frage, und ich ziehe es auch vor, die frisch geernteten Trauben nicht mit Raupenfahrzeugen aus dem Weinberg zu fahren, da die Raupen den Boden verdichten. Violets Hufe lockern den Boden sogar auf.“ Fuhrmann Fabrice begleitet das Pferd, das einen Schlitten voller Traubenkisten mit Präzision zwischen den Rebstöcken hinaufzieht. „Das Risiko, die Reben zu beschädigen, ist viel geringer als bei einer Maschine“, meint Fabrice. „Die ersten Jahre von Jeeper Champagne waren weniger ökologisch“, erzählt Myriam. „Schauen Sie, wie steil die Hänge hier sind. Darum bekam Armand Goutorbe, der Gründer des Weinguts, am Ende des Zweiten Weltkriegs von der US-Armee einen Jeep geschenkt, mit dem er auf die Hügel seiner Domäne fahren konnte. Als Ehrbekundung an sein

unverwüstliches Gefährt hat er seinen Champagner danach benannt.“

Flüssiges Fest

Bei einer Verkostung in den mittelalterlichen Weinkellern von Châlons-en-Champagne erklärt Sommelière Anthonie, dass kleine, handwerklich arbeitende Winzer oft bessere Champagner produzierten als die berühmten großen Weingüter. „Es ist wichtig, dass die geernteten Trauben innerhalb von fü nf Stunden gepresst werden. Je mehr Zeit verstreicht, desto größer ist die Gefahr der Oxidation des Traubensaftes, die zu Geschmacksverlusten und Verfärbungen des Weins fü hrt. Landwirte, die ihre Trauben selbst keltern, schaffen dies oft innerhalb von drei Stunden. Die großen Weinkellereien haben häufi g keine eigenen Weinberge und müssen den Großteil ihrer Trauben von anderen kaufen. Sie haben daher weniger Einblick wie viel Zeit seit der Ernte verstrichen ist.“ Anthonie hält ein Glas gegen das Licht. „Nehmen Sie diesen Grand Cru von Voirin-Jumel, einem kleinen Winzer in der Nähe von Cramant: hell, spritzig und delikat. Ein Fest fü r den Gaumen!“ Bei Einbruch der Dunkelheit verwöhnt mich die Stadt Châlons mit einem weiteren „fl üssigen“ Fest: den Métamorph'eau'ses, einer Lichtshow, bei der Brücken, Stadttore und Kirchen am Wasser mit bewegten Projektionen beleuchtet werden. Eine Brücke über den Fluss Mau etwa scheint im › Aufschlagseiten: Violette zieht einen Schlitten mit frisch geernteten Trauben. Linke Seite: Radfahren an der Abtei von Hautvillers. Oben: Alice Voirin vom Champagnerhaus Voirin-Jumel.

„Champagner trinkt man zusammen mit Freunden und das macht einen glücklicher!“

magischen türkisfarbenen Flusswasser versunken zu sein, und vor den Steinbögen schwimmen Fische. Dann zieht sich das Wasser zurück wie eine Welle am Strand und hinterlässt ein Mosaik aus goldenen Muscheln auf den Mauern der Brücke.

Flickenteppich

In der Nähe des Dorfes Cramant besuche ich auf Empfehlung der Sommelière Anthonie einen der Weinberge des Weinguts Voirin-Jumel, das von Alice Voirin und ihrer Familie geführt wird. Ich treffe sie am Rande des Feldes wo sie den Pflückern gerade ein warmes Mittagessen serviert. Alice: „Es ist wichtig, rechtzeitig nahrhaftes und schmackhaftes Essen anzubieten, sonst verliere ich meine Pflücker. Es sind alles Franzosen und die nehmen kein Vorlieb mit schlechtem Essen. Sie kümmert sich wirklich gut um ihr Team, denn nach dem Essen versorgt sie mütterlich Kratzer und kleine Wunden mit Pflastern und Salbe. „Das ist für mich der schönste Moment des Tages“, erzählt sie mir, während die Pflücker wieder an die Arbeit gehen. „Aufgrund der Art meines Produkts habe ich viel mit wohlhabenden, aber schwierigen Kunden zu tun, und dann bleibe ich nicht immer ganz bei mir selbst. Nach einer anspruchsvollen Verhandlung über einen großen Verkauf kann ich draußen auf dem Feld unter den Pflückern aufatmen.“ Alices Urgroßvater, Gründer der Weinkellerei, arbeitete während des Ersten Weltkriegs in einer Brennerei und erhielt aus Geldmangel seinen Lohn in Form von lauter kleiner Weinbergsparzellen, die damals sehr günstig waren. Alice bewirtschaftet bis heute diese Stücke, die zu klein sind, um dort maschinell zu ernten. „Das kostet Zeit, aber es hat auch einen Vorteil, von Hand zu pflücken. Dann werden die Trauben weniger gequetscht, was dazu führen würde, dass der Traubensaft oxidiert und der Champagner weniger frisch würde.“ Alice ist eine warmherzige Persönlichkeit mit eigenen Vorstellungen von der Herstellung und dem Genuss von Champagner. „Kürzlich habe ich Statistiken über den Prozac-Verbrauch in Frankreich nach Departements gesehen. Unsere Region stand ganz unten auf der Liste.“ Ob sie glaube, dass Champagner Depressionen lindere, frage ich. Alice erhebt ihr Glas und lächelt. „Nein, das nicht. Aber Champagner trinkt man zusammen mit Freunden und das macht einen glücklicher!"

„Ich schmecke die Sterne!"

Das Dorf Hautvillers und seine schon 658 gegründete Abtei gelten als Geburtsort des Champagners. Tausend Jahre nach der Gründung leitete der Benediktinermönch Dom Pérignon hier ab 1668 fast ein halbes Jahrhundert lang die Weinkellerei. Ihm wird die Erfindung des Champagners zugeschrieben. „Komm schnell, ich schmecke die Sterne“, soll er ausgerufen haben, nachdem er seine erste Flasche Champagner geöffnet hatte. Diese Anekdote ist mit ziemlicher Sicherheit das Ergebnis späterer Legenden um seine Person. In Wirklichkeit scheint Pérignon als Weinverwalter der Abtei viel Energie darauf verwendet zu haben, eine zweite Gärung in der Flasche zu verhindern, da die Flaschen seiner Zeit nicht stark genug waren, um dem Druck der entstehenden Blasen standzuhalten. Explodierende Flaschen im Weinkeller waren lebensbedrohlich. Erst im 19. Jh. wurden die Flaschen stabil genug, um dieses Problem wirklich zu lösen. Aber der Mönch trug wesentlich zur Entwicklung des typischen Champagnergeschmacks bei, indem er beispielsweise Trauben aus verschiedenen Parzellen mischte, um ein reicheres Bouquet zu erhalten, und einen strengen Rebschnitt vornahm. Er war es auch, der erkannte, wie wichtig ›es ist, die gepflückten Trauben vor dem Pressen so Linke Seite: Alice Voirin serviert ihren Traubenlesern das Mittagessen. Unten: Während der Lichtshow Métamorph'eau'ses werden die Wahrzeichen von Châlons-en-Champagne mit Projektionen in Traumobjekte verwandelt, wie hier die Pont des Mariniers über der Mau.

Unten: Weinberge um Chamery, südwestlich von Reims. Rechte Seite: In Hautvillers machen die Winzer mit ihren fröhlichen Schildern auf sich aufmerksam. wenig wie möglich zu beschädigen. In der Abteikirche besuche ich das Grab von Pérignon - eine schwarze Marmorplatte vor dem Altar - und mache dann einen Spaziergang durch die umliegenden Weinberge, wo ich mit einem weiten Blick auf das Marnetal und Épernay belohnt werde.

Unterirdisches Netzwerk

In Épernay, dem Zentrum der Champagnerherstellung, fahre ich mit dem Ballon d'Épernay. Allerdings fliege ich nicht wirklich, denn es handelt sich um einen so genannten Seilballon, der über ein Ankerkabel mit dem Boden verbunden bleibt. Der große, mit Helium gefüllte Ballon funktioniert eher wie ein Aufzug und bringt uns in wenigen Minuten auf 150 Meter über die Stadt. Schaue ich aus der ringförmigen Gondel hinunter, sehe ich die gerade Linie der berühmten Avenue de Champagne, wo die großen Champagnerhäuser wie Moët & Chandon und Mercier im 19. Jh. ihre palastartigen Hauptsitze errichteten. Zwischen der Avenue und der Marne liegt der große Komplex von De Castellane Champagne mit seinem Zierturm, den man nicht verpassen sollte. Der Turm kann bestiegen werden und im angrenzenden Museum können Sie alte Werbeplakate von De Castellane bewundern. Vor allem die aus den 1930er und 1950er Jahren sind wahre Kunstwerke. Und natürlich können Sie auch die Weinkeller dieser Champagnermarke besichtigen. Das Netz von Stollen und Kellern unter Épernay, die in den weichen Kreideboden gegraben sind, ist mehr als 100 km lang, während das oberirdische Straßennetz nicht mehr als 60 Kilometer beträgt! So bleibt ein wichtiger Teil der Stadt dem Blick verborgen, wenn man mit dem Ballon über ihr schwebt. Am Hang nördlich der Marne erkenne ich die Abtei von Hautvillers und darüber erhebt sich die bewaldete Montagne de Reims. Aus den Bäumen dort werden traditionell Champagnerfässer hergestellt. Auf dem Weg nach Süden fällt mein Blick schließlich auf eine hügelige Landschaft mit Weinbergen und kleinen Dörfern. Dort, irgendwo an einem Tisch in einer großen Küche, öffnet Alice eine Flasche Voirin-Jumel Grand Cru und macht ihre Traubenleser glücklich.

Das Netz von Stollen und Kellern unter Épernay, die in den weichen Kreideboden gegraben sind, ist mehr als 100 Kilometer lang

Tipps & Adressen

LAGE

Épernay liegt südlich von Reims, etwa 135 km von Paris entfernt.

BESTE REISEZEIT

Besonders lebendig ist die Region zur Erntezeit, also normalerweise Anfang September, aber in warmen Jahren kann es etwas früher sein. Informieren Sie sich vorab. In der zweiten Oktoberhälfte färbt der Herbst die Weinberge wunderschön.

SCHLAFEN

La Villa Eugène (Épernay) Eine Nacht auf der prestigeträchtigen Avenue de Champagne verbringen? Das geht in der Villa Eugène. Reizvolle Zimmer im Stil der Belle Époque, Schwimmbad und Blick vom Restaurant aus auf den großen Garten. 84, Avenue de Champagne. villa-eugene.com Château d’Étoges (Étoges) Sie fahren in die Champagne, um verwöhnt zu werden, warum also nicht in einem echten Château Hotel übernachten? Buchen Sie rechtzeitig in diesem Denkmal aus dem 17. Jh. über die eigene Website, dann wird der Preis auch nicht zu happig sein. Die Orangerie beherbergt ein GourmetRestaurant; die angrenzende Brasserie L'Atelier bietet eine kleinere Speisekarte in Bistro-Atmosphäre. 4, Rue de Richebourg. chateau-etoges.com

B&B Au Pré du Moulin (Clamanges) In Clamanges, im Süden der Champagne, überrascht dieses B&B in einem umgebauten Bauernhaus mit freundlichen Zimmern, einem großen Garten und einem attraktiven Preis. Wenn Sie vorher anfragen, kann ein üppiges Abendessen zubereitet werden. 4, Rue du Moulin. aupredumoulin.com B&B Champagne Petitjean-Pienne (Cramant) Übernachten Sie bei den Winzern Dominique und Denis und genießen Sie dort auf Wunsch ein fantastisches Abendessen mit einer großen Auswahl an Champagnern. 4, Allée des Bouleaux. champagnepetitjean-pienne.fr B&B Magna Quies (Épernay) Das stattliche Haus an der Avenue de Champagne, dem stilvollen Herzen von Épernay, beherbergt drei Gästezimmer. 49, Avenue de Champagne. magnaquies-epernay.jimdofree.com

ESSEN & TRINKEN

Dégustation Champagne Pierre Mignon (Épernay) Dies ist kein Restaurant, sondern eine Verkostungsadresse im Herzen von Épernay. Die stilvollen Räumlichkeiten sowie der Humor und das Wissen des Sommeliers Denis Garret machen eine Verkostung (oder einen „Meisterkurs“) und die dazugehörigen Vorspeisen zu einem unvergesslichen Erlebnis. 9, Rue Jean Moet. boutiquepierremignon.com/ degustation La Table Kobus (Épernay) Innovative Küche in stilvollem Rahmen, der perfekt zu Épernay passt. Zum Mittagessen gibt es die Formula Ardoise (die Tafel) und am Abend vier umfangreichere Menüs, und das alles zu einem günstigen Preis. 3, Rue du docteur Rousseau. la-table-kobus.fr Brasserie La Banque (Épernay) Einst eine Bank, in der finanzielle Angelegenheiten rund um den Champagner abgewickelt wurden. Heute bilden die Säulen und Gewölbe die Kulisse für angenehme Mahlzeiten. Pluspunkt: Man braucht keine Bank auszurauben, um es sich leisten zu können. Der Nachteil: Wenn es voll ist, kann der Service manchmal eine Weile brauchen. 40, Rue du Général-Leclerc. brasserie-labanque.fr Le Comptoir à Bulles (Sacy) Bemerkenswert sympathischer Service an der Bubble-Bar, wo der Champagner übrigens eine untergeordnete Rolle spielt, denn hier zählt nur, was man auf den Teller bekommt. Dabei können Sie jedoch zu jedem Gang einen passenden (Schaum-)Wein bestellen, und zwar glasweise und nicht unbedingt flaschenweise. 6, Place Saint Avertin. facebook.com/lecomptoirabulles

Verkostung Au 36 (Hautvillers) Überraschende kleine Adresse in dem hübschen Dorf Hautvillers. Eine Terrasse, ein Garten und im Obergeschoss ein gemütliches Wohnzimmer. Hier verkosten Sie 2, 3, 4 oder 6 Flûtes verschiedener Champagner mit gut durchdachten kleinen Häppchen dazu. 36, Rue Dom Pérignon. au36.net

SEHEN & PROBIEREN

Die Weinkeller des Winzers Voirin-Jumel sind zu besichtigen. Auch Chambres d'hôtes mit Blick auf das Dorf Cramant. champagne-voirin-jumel.com

Verkosten in den mittelalterlichen Weinkellern von Châlons-en-Champagne. en.chalons-tourisme.com/enjoy/ champagne-experiences/tastingin-the-medieval-cellars

Turm Le Phare in Verzenay. phare-verzenay.com

Museum und Keller des großen Weinhauses Castellane in Épernay. castellane.com/en/visites Métamorph’eau’ses, die Lichtshow mit Flussfahrt in Châlons-en-Champagne. en.chalons-tourisme.com/ discover/10-must-sees-in-chalons/ metamorpheauses-boat-trip

MEHR INFO

• de.france.fr/de/champagne • tourisme-en-champagne.com • epernay-tourisme.com • de.chalons-tourisme.com