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Une belle histoire

Was wäre Frankreich ohne die Liebe? Das Frankreich Magazin portraitiert die berühmtesten Liebespaare der Geschichte. In dieser Ausgabe: Yves Saint Laurent und Pierre Bergé

50 JAHRE LIEBESTURBULENZEN Yves Saint Laurent & Pierre Bergé Wie aus der stürmischen Liebe zwischen Modedesigner Yves Saint Laurent und dem Geschäftsmann Pierre Bergé ein Modehaus der Liebe entstand.

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TEXT CHANTAL VAN WEES FOTOS ANP, IMAGESELECT

Ausgerechnet auf einer Beerdigung trifft Yves Saint Laurent die Liebe seines Lebens, den Geschäftsmann Pierre Bergé. Nur vier Tage vor dem unerwarteten Tod des Modekönigs Christian Dior hatte dieser der Mutter von Yves mitgeteilt, dass er sein weltberühmtes Modehaus seinem Schüler Yves übergeben wird. Yves ist damals erst 21 Jahre alt. Er wuchs auf in einer französischen Mittelklassefamilie in Oran, einem Dorf in Algerien an der Küste des Mittelmeers. In seiner Kindheit ist er von Frauen umgeben: Großmutter, Mutter, Schwestern und Tanten. Es waren die glücklichsten Jahre seines Lebens, wie er später sagte. Im Alter von drei Jahren schimmert sein Talent fü r Eleganz zum ersten Mal durch, als er eine Tante bittet, ein anderes Kleid anzuziehen, bevor sie das Haus verlässt. Sie nimmt seinen Rat an, er hat Recht. Während seine Altersgenossen mit Zinnsoldaten spielen, ist Yves als Modedesigner eines selbst erfundenen Modehauses am Pariser Place Vendôme ganz in seine Welt der Papierpuppen vertieft. Als er behauptet, einst weltberühmt zu werden, erntet er Hohn. Doch als Yves mit 17 Jahren einen prestigeträchtigen Modedesign-Wettbewerb in Paris gewinnt - Karl Lagerfeld wird Zweiter – breitet sich sein Ruhm schnell aus. Ein wichtiger Modejournalist, den er um Karrieretipps bittet, bringt Yves' Skizzen direkt zu Christian Dior, der sofort das Talent erkennt und den schüchternen, ernst dreinblickenden Jungen als Assistenten einstellt. In den folgenden Jahren werden mehr und mehr Entwürfe von Saint Laurent von Dior fü r dessen Haute-Couture-Kollektion ausgewählt. Dann stirbt Dior - und der talentierte Junge aus Algerien steht plötzlich an der Spitze des wichtigsten französischen Modehauses. Auf Diors Beerdigung sprechen sie sich nicht, aber im Nachhinein betrachten Yves und Pierre es als eine Fügung des Schicksals, dass sie sich an diesem fü r die Modewelt so besonderen Tag zum ersten Mal nahe waren. Ein echtes Treffen folgt wenig später auf Saint Laurents erster Modenschau fü r Dior nach seinem Tod. Bergé kommt zu spät, ein Fauxpas. › Vor dem London Rive Gauche Store in der New Bond Street, eröffnet am 10. September 1969.

Der kleine Yves ist als Designer eines Fantasie-Modehauses in Paris ganz vertieft in seine Papierpuppen

Yves ist der Künstler, Pierre der Geschäftsmann, der das Unternehmen am Laufen hält

Rechts: Pierre Bergé wird Yves Saint Laurent nie wirklich verlassen. Damals betrachtet der Geschäftsmann Mode als „eine unnötige Sache, als Unterhaltung für die Reichen“. Er ist allerdings ein Freund von Kunst, Musik, Kultur, Literatur und Architektur. Mit 18 Jahren verläßt Pierre Bergé La Rochelle, wo er wie Saint Laurent in einer Mittelstandsfamilie aufwuchs, um sich in Paris als Schriftsteller einen Namen zu machen. Doch er entpuppt sich als ein viel besserer Geschäftsmann, und als er mit dem Maler Bernard Buffet eine Beziehung beginnt, wird er acht Jahre lang sehr erfolgreich dessen Manager.

„Haus der Liebe“

Pierres Meinung über Mode ändert sich während dieser ersten Yves-Show für Dior. „Ich sah eine Veränderung. Es war frisch, neu, jung“, sagt Bergé später in einem Interview. Die Kollektion ist ein voller Erfolg. Yves hat das Modehaus vor dem Untergang bewahrt. Das Lob aus der Modewelt macht Pierre klar, dass Yves etwas Besonderes zu Stande bringt. Ein paar Tage später erhält Pierre einen Anruf von einem gemeinsamen Bekannten, der ihm mitteilt, dass Yves eine Wohnung suche und ihn fragt, ob er vorübergehend bei Bergé und Buffet in der Provence wohnen könne. Er darf. Von diesem Zeitpunkt an ist die Liebe zwischen Pierre und Yves nicht mehr aufzuhalten. 1958 verlässt Pierre Bernard Buffet und tauscht die Provence gegen ein Leben mit Yves in Paris ein. Als die sechste Saison für Dior weniger erfolgreich verläuft, ergreift das Modehaus die Gelegenheit, sich von Yves zu trennen. Er muss zum Wehrdienst und das Modehaus Dior bemüht sich nicht, dies zu verhindern. Drei Wochen nach seiner Einberufung erleidet Yves, der schon immer ein sehr sensibler Typ war, einen Nervenzusammenbruch. Pierre besucht seinen Geliebten in der psychiatrischen Abteilung des Krankenhauses und muss ihm mitteilen, dass er offiziell von Dior entlassen worden ist. „Dann haben wir keine andere Wahl, du und ich“, sagt Yves angespannt. „Lass uns unser eigenes Modehaus gründen.“ „Natürlich“, lautet Pierres einfache Antwort. Er verkauft ihre Pariser Wohnung sowie ihr gesamtes Hab und Gut und sie ziehen in eine Zweizimmerwohnung in der Rue de la Boétie. Dies wird ihr Hauptquartier, wo sie ihr Modehaus mit vier Mitarbeitern gründen. Yves wählt Stoffe aus und stellt Mannequins ein, obwohl sie keinen roten Heller haben. Aber in den Jahren, in denen er für Dior entwarf, hat Yves viele Bewunderer gewonnen, und alle arbeiten so gut wie umsonst. Die erste Schau ist ein Riesenerfolg. Es ist der Beginn eines Imperiums, das Yves sein „Haus der Liebe“ nennt. In den Anfangs verteilen Yves und Pierre ganz bewusst die Rollen, die sie in den nächsten 40 Jahren spielen werden. Yves ist der Künstler, Pierre der Geschäftsmann, der den Weg ebnet und das Unternehmen am Laufen hält. „Saint Laurent konnte mit dem alltäglichen Kram nicht umgehen“, sagt Pierre Niney. Der Schauspieler stellt Yves Saint Laurent dar in dem Film über sein Leben (2014). „Er war wirklich nicht dazu in der Lage, es war fast wie eine Störung. Er brauchte also Bergé, den Geschäftsmann, der mit Geld umgehen konnte. Und Bergé wollte gebraucht werden.“ Jalil Lespert, Regisseur des Films, bestätigt: „Bergé war ein Kontrollfreak, aber auch sehr großzügig. Er hatte das Gefühl, dass er demjenigen, den er liebte, helfen

musste. Er würde alles für ihn tun.“ Geschäftlich ist dies eine erfolgreiche Rollenverteilung. Während sich der emotional zerbrechliche Yves auf den kreativen Prozess konzentriert, organisiert Pierre alles drumherum. Yves braucht sich nicht um geschäftliche Entscheidungen zu kümmern, sein Talent und sein handwerkliches Geschick können sich so optimal entfalten. In den folgenden drei Jahrzehnten entwickelt sich das Modehaus Yves Saint Laurent zu einem multinationalen Unternehmen mit einem beeindruckenden Jahresumsatz. Yves hat ein unübertroffenes Gespür für den Zeitgeist und kann dies in seinen Kollektionen zum Ausdruck bringen, die stets perfekt entworfen und gefertigt sind und jene französische Eleganz ausstrahlen, die Yves zum unbestrittenen Modekönig machen. Er ist der erste Designer, der Frauen in Männerkleider steckt und auf diese Weise ungewollt mancher eleganter Dame den Zutritt zu Restaurants versagt. Er ist der erste, der schwarze Modelle einsetzt, und mit le dinner jacket - einem Smoking, der den Linien des weiblichen Körpers folgt - bietet er Frauen Zugang zu etwas, das bisher ausschließlich Männern vorbehalten war.

Liebe zur Frau

Nach seiner 30. Saison, die ein Überblick über sein Gesamtwerk ist, fasst der Modeschöpfer seine Motivation sehr schön zusammen. In einer sehr kurzen, fast geflüsterten Rede, flankiert von Pierre auf der einen sowie Freundin und Muse Catherine Deneuve auf der anderen Seite, murmelt er: „Ich kann nicht so gut sprechen wie Pierre, aber ich kann Ihnen sagen, was ich fühle und Ihnen danken. Es ist ein Leben voller Liebe. Hergestellt in einem mit Liebe gebauten Haus. Und ich glaube, dass ich in meinen Kollektionen die wertvollste Liebe zum Ausdruck bringen konnte: die Liebe zu den Frauen.“ Sein Werk mag Ausdruck seiner Liebe zu Frauen sein, aber die romantische Liebe, die findet er bei Pierre. Obwohl ihre Beziehung alles andere als ausgeglichen ist. Der zerbrechliche Designer stützt sich schwer auf seinen Geliebten. Ein Freund beschreibt ihre Beziehung wie folgt: „Mal stehen sie sich sehr nahe, in der folgenden Woche reden sie nicht miteinander. Pierre knallt die Türen zu, Yves hängt dramatisch auf dem Sofa und schaut gequält drein.“ Yves ist zerbrechlich, reizbar und hat ›

Sein Werk mag Ausdruck seiner Liebe zu Frauen sein, aber die romantische Liebe, die findet Yves bei Pierre

Yves mit Topmodel Claudia Schiffer.

Nervenzusammenbrüche. „Er war manisch-depressiv“, wird Bergé nach dem Tod von Saint Laurent sagen. Seine Depressionen treiben ihn zu Alkohol und anderen Drogen, die seinen Zustand alles andere als verbessern. Es gibt Zeiten, in denen er viel ausgeht, aber er wird auch regelmäßig in die Psychiatrie eingewiesen. Je größer ihr Imperium wird, desto mehr Druck erfährt Yves und desto labiler wird er. Pierre versucht, seinen Geliebten so gut wie möglich zu schützen und Yves' Image als exzentrischem, begabtem Kreativen aufrechtzuerhalten. Aber Yves ist ihm eine ständige Sorge. Pierre braucht es zwar, aber er merkt zunehmend, dass ihn das alles eine Menge Energie kostet.

Rechts oben: der junge Designer 1974; unten: Pierre versucht seinen exzentrischen Geliebten so weit wie möglich zu schützen.

Ausgebrannt

Eines Tages ist es genug. Nach einer durchzechten Nacht stolpert Yves in ihre Wohnung in der Rue de Babylone. Dann verschwindet er wieder nach einem Anruf von demjenigen, mit der er unterwegs gewesen war. Pierre hat plötzlich die Nase voll. Er packt seine Koffer und geht in ein Hotel. Schließlich zieht er in seine eigene Wohnung in der Rue Bonaparte. Yves reagiert verzweifelt auf die Trennung. Er hat Angst vor einem Leben ohne Pierres ständige Anwesenheit. Auch in praktischer Hinsicht ist Yves ohne ihn ziemlich hilflos. Er kann keine Schecks ausstellen, er weiß nicht, wie man in Hotels eincheckt, er kann nicht einmal einen Tisch in einem Restaurant reservieren. Aber Pierre Bergé wäre nicht er selbst, wenn er nicht weiterhin eine wichtige Rolle im Leben von Yves spielte. Nachdem er sich so viele Jahre um Yves gekümmert hat, kann er nicht einfach einen Schalter umlegen. Er verlässt Yves nie wirklich. Sie teilen weiterhin ihre Ferienhäuser in Marrakesch und Deauville und auch nachdem sich Yves 2002 aus der Modewelt verabschiedet, bleibt Pierre in seiner Nähe. Yves zieht sich mehr und mehr nach Marrakesch zurück. 2008 stirbt er mit 71 Jahren, ausgebrannt von Alkohol, Drogen, harter Arbeit, Depressionen und manischen Phasen. Kurz vor seinem Tod unterzeichnet das Paar einen Lebenspartnerschaftsvertrag, der die beiden Männer zu den gesetzlichen Erben des jeweils anderen macht. 2004 gründet Bergé die Fondation Pierre Bergé - Yves Saint Laurent mit dem Ziel, das Werk von Yves Saint Laurent zu erhalten, Ausstellungen zu organisieren und kulturelle und pädagogische Aktivitäten zu unterstützen. Bis zu seinem Tod 2017 wird Pierre das Erbe des Hauses der Liebe verwalten, das aus der Liebe zwischen ihm und seinem brillanten, gequälten Lebenspartner Yves entstanden ist.

Pierre kann den Schalter nicht einfach so umlegen. Er verlässt Yves nie wirklich