3 minute read

Christian HAUBNER

Plädoyer wider die Lehrerbewertungs-App

Gute Lehrer brauchen auch die Freiheit, sich gelegentlich bei Schülern unbeliebt zu machen. Zum Lehrberuf gehört auch, Grenzen zu setzen – ohne einen digitalen Pranger zu fürchten.

Advertisement

Von Christian Haubner

Die Macher und Vertreiber der Lehrerbewertungs-App „Lernsieg“ sind in Feierlaune. Denn die OnlinePlattform, mit der man Schulen, aber auch Lehrerinnen und Lehrer durch die Vergabe von Sternen bewerten kann, hat sich innerhalb von elf Tagen an die Spitze der Download-Listen gesetzt. Mehr als 200.000 Benutzer sollen bereits Bewertungen abgegeben haben.

Die Mehrheit der Lehrerinnen und Lehrer laufen freilich Sturm gegen dieses öffentliche Bewertungsportal.

Und tatsächlich gibt es allen Grund, dieser Plattform ablehnend gegenüberzustehen.

Beliebtheitswettbewerb

So darf die Lehrertätigkeit niemals zu einem Beliebtheitswettbewerb verkommen. Denn dann würde sie ihre Ziele klar verfehlen, und das übrigens zum Schaden der Schülerinnen und Schüler. Gute Lehrkräfte müssen natürlich verständnisvoll sein, ihnen müssen die anvertrauten Kinder und Jugendlichen wichtig sein. Genau deshalb müssen sie aber auch Grenzen aufzeigen und deren Nicht-Einhaltung sanktionieren. Sie müssen zu Leistung anspornen. Letztlich heißt das auch, sie müssen den Mut – und auch die Freiheit haben –, sich bei ihren Schülerinnen und Schülern immer wieder auch unbeliebt zu machen.

Eltern müssen erziehen

Das ist nicht unähnlich der Aufgabe, die Eltern erfüllen sollten. Das hat auch der renommierte deutsche Kinderpsychiater Michael Winterhoff einmal in einem VOLKSBLATT-Interview bestätigt. Eltern müssen erziehen, und das bedeutet auch, Vorgaben durchzusetzen. Jenen Eltern, die immer und überall Freunde ihrer Kinder sein wollen, richtete Winterhoff aus: „Sie machen ihre Kinder dadurch zu Waisen. Freunde haben sie ohnehin, sie brauchen Eltern.“ Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass die App durchaus für das Ausleben niederer Instinkte genutzt werden kann.

Denn während die Lehrpersonen mit vollem Namen zur Bewertung freigegeben sind, können die Bewerter selbst anonym und damit im Dunkeln bleiben.

Digitaler Pranger

Der Autor dieser Zeilen wurde kürzlich selbst Zeuge eines Gesprächs zweier Mütter in einem Wiener Restaurant. Eine der beiden hat geradezu feixend davon gesprochen, dass sie jene Lehrkräfte, die ihrem Sohnemann schlechte Noten geben, in Grund und Boden bewerten werde. Was ein weiteres Problem aufzeigt: Es kann jeder Wertungen abgeben, egal ob Schüler oder nicht. Damit könnte die App durchaus zu einem digitalen „Pranger“ für Lehrerinnen und Lehrer werden, die in den Augen ihrer Schüler streng, in Wahrheit aber mitunter ausgezeichnete Lehrkräfte sind.

Angestellte namentlich beurteilen

Es wäre interessant, wie die Befürworter der App reagieren würden, wenn man sie in ihren jeweiligen Berufen öffentlich einsehbar bewerten würde. Es stimmt zwar, dass auch etwa Hotels, Restaurants oder Kaufhäuser online bewertet werden können. Der Unterschied zu „Lernsieg“ ist aber, dass dabei nicht nur Schulen in ihrer Gesamtheit, sondern eben auch einzelne Angestellte beurteilt werden. Das wäre so, als würde man eine einzelne Kassenmitarbeiterin oder einen einzelnen Kassenmitarbeiter namentlich beurteilen. Es ist anzunehmen, dass da ganz rasch Betriebsräte und Gewerkschaften mobilisiert würden.

App ist nicht notwendig

Auch manche Eltern sind bekanntermaßen sehr auf die Privatsphäre ihrer Sprösslinge bedacht. So gibt es Schulen, in denen man aus Angst vor negativen Reaktionen nicht einmal die Schularbeitsnoten der einzelnen Kinder und Jugendlichen vor der Klasse kundtut. Was

Foto: JLO_FOTO / AdobeStock

wäre da wohl los, wenn – als Gedankenexperiment – Lehrer ihre Meinungen über Schüler online verbreiten dürften?

Letztlich spricht gegen die App, dass sie nicht notwendig ist. Es gibt im System Schule genügend Möglichkeiten, Probleme anzusprechen. Das beginnt bei Sprechstunden und findet seine Fortsetzung bei Gesprächen mit der Direktion bis hin zum Schulgemeinschaftsausschuss und übergeordneten Schulbehörden.

Persönlichkeitsrechte müssen für alle gelten

Es ist sicher so, dass nicht alle Lehrerinnen und Lehrer ihre Jobs gut machen. Es sind auch nicht alle Schülerinnen und Schüler perfekt, wohlerzogen und voller Empathie. Dasselbe gilt für Eltern. Öffentliche Pranger einzelner Personen sind deswegen aber noch lange nicht gerechtfertigt. Persönlichkeitsrechte müssen für alle gelten. Und bei Schule geht es um so viel mehr als um eine Lehrer-Castingshow. ■

Anmerkung: Diese Analyse von Christian HAUBNER erschien am 5. März 2020 im oö. Volksblatt. Wir bedanken uns beim Autor sehr herzlich für die Abdruckgenehmigung und die messerscharfe Analyse.