7 minute read

Entspannung

Konzentration ist wichtig, um Leistung bringen zu können. Ein Pferd muss sich nicht nur konzentrieren, es benötigt auch eine gewisse Anspannung. Das ist beim Menschen genauso, doch der Bogen kann nicht immer gespannt sein. Wie sieht das richtige Gleichgewicht zwischen Anspannung und Entspannung aus? Gibt es einen Unterschied zwischen körperlicher und mentaler Anspannung? Und wie findet man die richtige Abstimmung zwischen An- und Entspannung bei einem Pferd? Dr. Filip Vandenberghe, Experte für Sportcoaching, beantwortet all diese Fragen.

ENTSPANNUNG

DR. FILIP VANDENBERGHE

SCHLOSS 2001 SEIN STUDIUM AN DER VETERINÄRMEDIZINISCHEN FAKULTÄT DER UNIVERSITÄT GENT AB. IM JAHR 2004 TRAT ER IN DAS TEAM DER DIERENKLINIEK DE BOSDREEF EIN. HIER WAR ER MASSGEBLICH AN DER KLINISCHEN ENTWICKLUNG DES MRT BEIM STEHENDEN PFERD BETEILIGT. IM JAHR 2011 WURDE FILIP ALS EINER VON 25 TIERÄRZTEN WELTWEIT MITGLIED DES EUROPEAN COLLEGE OF VETERINARY DIAGNOSTIC IMAGING. ER IST EIN EXPERTE AUF DEM GEBIET DES SPORTCOACHINGS. Jedes Pferd hat mit Anspannung zu kämpfen, das ist auch gut so, denn es ist eine körperliche Reaktion, die das Pferd in einer (angespannten) Situation in Alarmbereitschaft versetzt. Diese Reaktion hat das Überleben der Pferde über Jahrzehnte hinweg gesichert. In der domestizierten Umgebung hingegen muss das Pferd nicht mehr überleben, und diese Anspannung sorgt unter anderem dafür, dass das Pferd Leistung erbringen kann- sie sorgt für die richtige Konzentration. Solange die Dauer von Anspannung oder Stress kurz ist, gibt es keine Probleme. Dann ist das Pferd lediglich aufmerksamer und hat eine langfristige Energieversorgung für Spitzenleistungen. Ein Pferd kann, wie der Mensch auch, nicht nur körperlich, sondern auch mental angespannt sein. Für den Reiter besteht die Kunst darin, die körperliche und mentale Anspannung des Pferdes in die richtige Bahn zu lenken.

Körperliche Anspannung

Um besser verstehen zu können, was genau die Anspannung im Pferdekörper bewirkt, muss man den physiologischen Prozess betrachten. In einer angespannten Situation erhält der Hypothalamus einen Reiz. Dieser Teil des Gehirns sorgt für ein Gleichgewicht im Körper und regelt, unter anderem, auch Bedürfnisse wie Hunger und Durst. Über das Rückenmark und das Nervensystem erhalten die Nebennieren das Signal, Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol zu produzieren. Das Hormon Adrenalin hilft dabei, direkt auf eine Situation zu reagieren. Cortisol sorgt für anhaltende Aufmerksamkeit. Beide Hormone erhöhen die Herzfrequenz, sodass mehr Sauerstoff durch den Körper geleitet wird. Darüber hinaus erhöht Cortisol den Blutzuckerspiegel, der Glukose für die Energieversorgung der Muskeln bereitstellt. In akuten Stresssituationen sorgen diese Hormone dafür, dass lebenswichtige Reaktionsketten in Gang gesetzt werden. Die lebenswichtige Reaktionskette ist die körperliche Anspannung, bzw. die Anspannung der Muskulatur. Der Blutdruck und die Atmung steigen, die Durchblutung wird beschleunigt und die Herzfrequenz erhöht sich. Der Körper bereitet sich darauf vor, die Muskulatur mit ausreichend Sauerstoff zu versorgen, da das Blut schneller und besser durch den Körper gepumpt wird. Das Pferd geht in den KampfFlucht-Modus über, das heißt, es ist bereit, Leistung zu bringen. Obwohl Pferde und Menschen viele Gemeinsamkeiten haben, gibt es im Fall der Anspannung jedoch einen deutlichen Unterschied. Die Herzfrequenz ist ein guter Indikator für Anspannung und hier ist die Bandbreite beim Pferd viel größer. Ein Pferd kann in absoluter Ruhe eine Herzfrequenz von 38 bis 44 haben. Beim Menschen ist eine solch niedrige Herzfrequenz nur bei gut trainierten Sportlern zu finden. Dabei können Pferde ihre Herzfrequenz auf 220/250 Schläge pro Minute bei maximaler Belastung erhöhen. Bei den meisten Menschen liegt der Grenzwert hier zwischen 180 und 200 Schlägen pro Minute bei Anspannung.

Wenn sie nur sprechen könnten

Anspannung ist für den Menschen nicht immer leicht zu erkennen. Das liegt daran, dass ein Pferd auch innerlich angespannt sein

DAS SCHLAFENDE PFERD

Ein vollkommen entspanntes Pferd gibt es nicht. Selbst im Schlaf verfügt das Pferd über eine gewisse Wachsamkeit. Das kommt daher, dass das Pferd von Natur aus ein Beutetier ist und es sich nicht leisten kann, stundenlang tief und fest zu schlafen. Trotzdem hat ein Pferd durchaus eine REM-Schlafphase (Rapid Eye Movement). In dieser Schlafphase sind die Muskeln im Körper völlig entspannt. Ein Pferd kann den REM-Schlaf nur erreichen, wenn es liegt. Nicht alle Pferde können oder wollen sich aber zum Schlafen hinlegen. Dies kann auf eine körperliche Einschränkung oder einen nicht allzu hohen Liegekomfort im Stall oder auf der Koppel zurückzuführen sein. Das liegende Schlafen ist für Pferde, die geritten werden, ob nun freizeitmäßig oder auf Top-Niveau, von entscheidender Bedeutung und beugt Erschöpfung vor. Durch das Schlafen im Liegen erholt sich das Pferd optimal von seiner Anspannung. Kürzlich wurden Untersuchungen an Pferden durchgeführt, bei denen ursprünglich Narkolepsie diagnostiziert worden war. Narkolepsie ist eine Gehirnerkrankung, bei der die Pferde plötzlich umfallen. In einigen Fällen litten diese Pferde nicht an Narkolepsie, sondern „nur“ an einem Defizit der REM-Schlafphase. Damit Pferde nachts besser schlafen können, sind Ruhe im Stall, schwache Beleuchtung in der Nacht und geräumige Boxen die idealen Voraussetzungen für eine gute Nachtruhe.

kann, das ist bei jedem Pferd anders. Während das eine Pferd bei einem Transport überhaupt keinen Stress empfindet, kann für das andere eine Fahrt sehr hohe Anspannung bedeuten. Natürlich nimmt der Reiter eines Pferdes mit individueller Anspannung diese Veränderung wahr, es ist jedoch schwierig zu definieren, was genau mit dem Pferd passiert und wie groß diese Anspannung ist. Menschen können diese Form der Anspannung in Worte fassen. Durch das Aussprechen kann verhindert werden, dass gesunde Anspannung in Stress umschlägt und sich negativ auf die Leistung auswirkt. Die richtige individuelle Anspannung ist nur von kurzer Dauer und trägt positiv zu einer Anstrengung bei.

Aufmerksamkeit auf das mentale Wohlbefinden

Pferde zeigen oft auf Umwegen, wenn eine Anspannung zu groß wird, indem sie beispielsweise nicht auf das Bein reagieren oder überreagieren. Jedes Pferd drückt übermäßige Anspannung anders aus. Obwohl es sich um eine Reaktion auf eine mentale Anspannung handelt, hat diese oft einen körperlichen Ursprung. Es ist keine natürliche Reaktion eines Pferdes, der Aufforderung des Reiters nicht nachzukommen, oft gibt es hier eine körperliche Einschränkung. „Ich will nicht“ kommt dem Pferd schlicht nicht in den Sinn. Die Ursache kann ganz unterschiedlicher Art sein, von Magenschmerzen bis hin zu Muskelschmerzen. Wenn das Pferd negativ reagiert, liegt immer ein unangenehmes Gefühl zugrunde. Auch der Charakter spielt eine wichtige Rolle: Ein Pferd mit viel Blut zeigt sein Unwohlsein eher, als ein Pferd, das von Natur aus cool und entspannt ist.

Umschlagpunkt

Wir betonen zwar immer wieder, dass Anspannung nicht per se schlecht für ein Pferd ist, es gibt aber natürlich eine Art Umschlagpunkt (abrupte Veränderung). Eine gesunde Anspannung sorgt dafür, dass Ihr Pferd auch unter Druck Leistung bringen kann. Nach Erbringung dieser Leistung normalisieren sich Adrenalin- und Cortisolspiegel wieder. Es gibt aber auch Pferde, die unter dauerhafter Anspannung oder Dauerstress stehen. Dabei ist wichtig zu wissen, dass nicht nur Sportpferde, sondern auch Freizeitpferde eine solche Anspannung erleben können. Wenn der Stress zu lange anhält, wirkt sich dies mit Sicherheit auf die Gesundheit des Pferdes aus. Ein hoher Cortisolwert verursacht aggressives Verhalten, Magengeschwüre, eine gestörte Darmflora und ein unterdrücktes Immunsystem. Ein zu hoher Blutzuckerspiegel führt zu Stoffwechselstörungen, Hufrehe, Muskelproblemen und kann sogar Fruchtbarkeitsstörungen verursachen. Alle diese negativen Auswirkungen können vermieden werden, indem man dafür sorgt, dass das Pferd nur ein bestimmtes Maß an Anspannung erfährt. So halten Sie Ihr Pferd gesund und glücklich.

Gewohnheitstiere

Um mit Anspannung optimal umgehen zu können, ist es wichtig, sich einige Dinge bewusst zu machen. Pferde sind Gewohnheitstiere und haben ein hohes Verlangen nach einem geregelten Rhythmus. Sie fressen nicht nur gerne immer dasselbe, sie tun auch gerne immer nur dasselbe. Natürlich mit einer gewissen Abwechslung hinsichtlich der Intensität. Wenn ein Pferd z. B. in einer Prüfung sehr angespannt ist, kann dies nur durch viel Übung abgebaut werden. Ein Pferd, das speziell für Turniere trainiert wird, weiß, was von ihm erwartet wird, und ist weniger nervös. So bringen Sie also aktiv Ruhe ins Pferd. Außerdem hilft die Bewegung, Spannungen abzubauen-ein Pferd in freier Wildbahn löst seine Spannungen auch durch flüchten oder laufen.

Der Bogen ist nicht immer gespannt Stress ist nicht immer messbar oder sichtbar. Ein Pferd kann nicht sprechen, daher ist es sehr wichtig, dass wir auf die Signale achten, die es uns gibt. Die Signale des Pferdes wie Ohrenspiel, Kopfhaltung und der Ausdruck der Augen zeigen den Grad an Wohlbefinden an. Wichtig ist auch die Ausgewogenheit im Training: Der Bogen kann nicht immer auf Spannung stehen, auch Ruhe ist immer Teil eines Trainings. Der Körper verarbeitet alle Anspannungen nur in Ruhe und das ist in jeder Sportart und auf jedem Niveau wichtig. Die physiologische Regeneration dauert mindestens drei Tage. Um zum Beispiel an einem Turnier optimal abschneiden zu können, ist es wichtig, dies in den drei Tagen vor dem Turnier zu berücksichtigen. Ihr Pferd ist ein Athlet und um es ein Leben lang fit und gesund zu halten, ist eine Ausgewogenheit zwischen Anspannung und Entspannung von entscheidender Bedeutung.

This article is from: