7 minute read

Borkenkäfer

Schiers und der Nationalpark Bayerischer Wald: Erfahrungsfeld Borkenkäfer

Um das durch den Klimawandel überall bedeutender werdende Thema Borkenkäfer über den Tellerrand hinaus zu beleuchten, wurde dieses Interview mit zwei in unterschiedlichen Regionen tätigen Fachleuten geführt. Thomas Löffel ist seit drei Jahren Förster der Gemeinde Schiers im Prättigau, einer auch in den letzten Jahren stärker betroffenen Gemeinde. Dr. Dr. Gabriela Lobinger ist Biologin und Sachbearbeiterin für Waldschutz bei der Bayrischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF) Freising, BY. Sie hat lange Jahre das Borkenkäfermonitoring im Nationalpark Bayerischer Wald aufgebaut und begleitet.

Advertisement

Silke Schweizer

Frau Lobinger, seit wann gibt es in Ihrem Arbeitsumfeld Borkenkäfer?

Gabriela Lobinger: Seit 1990 nach den Orkanschäden durch Vivian und Wiebke. Untersuchungen im massiv betroffenen Münchner Osten, im Ebersberger Forst, umfassten die Befallsentwicklung durch Buchdrucker und Kupferstecher, die Steuerfaktoren von Schwärm- und Befallsverhalten der Fichtenborkenkäfer, Vermehrungspotenzial, Überwinterung in Boden/ Rinde etc. Dazu kamen Versuche mit Pheromonfallen, um Aussagen über Populationsdichte und -dichteänderung, Abschöpfeffekt und Nutzungsmöglichkeit für Monitoring zu erhalten.

Welche Borkenkäferarten sind Ihnen bekannt?

Gabriela Lobinger: In Deutschland allein kennt man über 100 Arten mehr oder weniger genau. Ich selbst beschäftige mich mit jeweils mit waldschutzrelevanten Arten, mit anderen nur zwecks Befallsdiagnose, Beratung etc. Die punkto Schäden wichtigsten Arten sind rindenbrütende Borkenkäfer. Holzbrütende Arten sind nur in zweiter Linie als Holzentwerter durch Pilzzucht und Verfärbungen relevant. An der Fichte kennen wir Buchdrucker und Kupferstecher als potenzielle Primärschädlinge, als sekundäre Arten sind da der doppeläugige Fi-Bastkäfer, der furchenflüglige Fi-BK, der nordische Fi-BK, an der Kiefer der Waldgärtner (v. a. kl.), der sechszähnige, der zwölfzähnige Ki-BK. An der Tanne sind der kleine Tannenborkenkäfer und der krummzähnige Tannen-BK besonders wichtig, an der Lärche der Grosse Lärchenborkenkäfer und der Kupferstecher, an der Douglasie der Kupferstecher. Am Laubholz sind es vorwiegend Splintkäfer und der Eschenbastkäfer.

Herr Löffel, wie können Sie die Befallsdichten nachvollziehen?

Thomas Löffel: Die WSL führt im Raum Schiers seit zwei Jahren ein Forschungsprojekt mittels Fallen durch, welche ich betreibe, aber bis anhin zum Glück leer vorfand. Aktuell stellen wir selbst als Gemeinde – wie schon mein Vorgänger – keine Fallen.

Welche Arten haben wirtschaftliches Schadenspotenzial?

Thomas Löffel: Ganz klar der Buchdrucker an der Fichte. Gabriela Lobinger: In erster Linie die Fichtenborkenkäfer Buchdrucker und Kupferstecher. Dort sehe ich folgendes: Zum einen das Potenzial, bei günstigen Bedingungen, sprich ausreichend Brutraum als Anschub und warm-trockene Witterung, schnell grossflächige Massenvermehrungen aufzubauen und dann auch gesunde Bäume zu befallen, also den Wechsel zu primärem Schadinsekt. Zum andern Polyvoltinismus, bis drei Generationen pro Jahr und Geschwisterbruten, und damit Vermehrungspotenzial pro Jahr von 1:100 000 bzw. 1 Baum à 400 Befallsbäume in zwei Generationen.

Abb.1: Käferbefall bei Schiers. (Bilder: Thomas Löffel)

Wie haben Sie dies ermittelt?

Gabriela Lobinger: In mehreren praxisbezogenen Forschungsprojekten, so etwa nach markanten Schadereignissen wie den Sturmwürfen Vivian und Wiebke und nach Extremwitterung 2003 und 2006 in Verbindung mit weiteren Windwürfen. Im Nationalpark Bayerischer Wald vs. angrenzende Wirtschaftswälder wurde untersucht, was passiert, wenn Borkenkäfermanagement in neu ausgewiesenen Naturzonen plötzlich ausgesetzt wird.

Gibt es Unterschiede der Vorkommen nach Höhenlagen?

Thomas Löffel: Bei uns ist es unabhängig von der Höhenlage, wo Fichten vorkommen. An den Südseiten ist die Fichte an Trockenheit gewohnt – dort passierte bis anhin wenig. Vor allem schlimm betrifft es die Fichte in schattigen, feuchten Wäldern, wo der Trockenheitsschock die Fichten unvermittelt trifft. Gabriela Lobinger: Bei Arten mit mehreren Generationen pro Jahr und Geschwisterbruten entscheiden Temperaturbedingungen über das Vermehrungspotenzial.

Gibt es Unterschiede in der Verbreitung nach Windrichtung?

Gabriela Lobinger: Intensive Untersuchungen im Rahmen des Projektes Nationalpark Bayerischer Wald haben gezeigt, dass der Buchdrucker bei Windgeschwindigkeiten von über 5 m/sec. seine Flugtätigkeit einstellt. Es findet also keine passive Windverdriftung ganzer Käferschwärme statt.

Spielen sonstige Witterungseinflüsse grössere Rollen?

Gabriela Lobinger: Wir haben beobachtet, dass speziell der Buchdrucker mit erhöhter Aktivität bei Sonnenschein reagiert, konkret sind es vier Mal höhere Anflüge an Pheromonfallen in Sonnenscheinphasen als bei Bewölkung. Dies passt auch zum Befallsverhalten: es werden zuerst Randstrukturen und dort besonnte Stammbereiche der Fichten unterhalb des Kronenansatzes angeflogen. Der Kupferstecher dagegen reagiert nicht auf Sonneneinstrahlung und befällt Fichten je nach Möglichkeit auch einzeln im Bestandesinneren.

Die vielgenannten 500 Meter Abstand: Reichen diese?

Thomas Löffel: Das wird genannt als Entfernung, die ein Käfer aktiv fliegen kann. Aber wenn der Wind stimmt, kommt er mit dessen Unterstützung auch weiter. Pro Jahr und mit

mehreren Generationen bei geeigneter Witterung besiedelt der Buchdrucker auch weiter entfernte Bestände. Gabriela Lobinger: Strategie und Erfolgsmodell des Buchdruckers ist es, nach Ausschwärmen nächststehende Bäume zu befallen. Gibt es im Umfeld keine befallsgeeigneten Fichten, dispergieren die Käfer, fliegen unterschiedlich weit und hoch und sind auch unterschiedlich empfänglich für Pheromonsignale. Das Potenzial für weite Flüge ist vorhanden, ein Teil der Population dispergiert auch, um den Genpool aufzufrischen. Distanzzonenanalysen haben gezeigt, dass Neubefall zu grossen Anteilen innerhalb von bis zu 300 Meter zur Quellpopulation entstehen, in der Regel sogar näher als 100 Meter. Im Abstand von 500 Meter und mehr lassen sich nur noch vereinzelt Befallsvorkommen zuordnen. Ein Abtransport befallener Fichten 500 Meter weg vom nächsten Fichtenbestand gibt also eine sehr gute Sicherheit. Unsere Empfehlung ist allerdings immer, möglichst weiter entfernte Lagerplätze zu bevorzugen, 500 Meter also als Mindestabstand.

Kennt man bereits konkrete lokale Ausgangsszenarien für eine Massenvermehrung?

Thomas Löffel: Seit Jahrhunderten sind die begünstigenden Faktoren für eine Massenvermehrung einerseits geschwächte «Beute» wie etwa nach den Trockensommern 2008/2009 und gute warme, trockene und damit pilzarme Gegebenheiten für die Käfervermehrung und andererseits viel naher Brutraum. Wenn Schadholz zu lange ungeschält im Wald verbleibt, wie etwa nach Burglind. Gabriela Lobinger: Begünstigende Ereignisse sind Hitze, Trockenstress für Wirtsbäume, Brutholzanfall durch Sturmwürfe, Schneebruch etc. – alles was Käfern bei noch niedriger lokaler Dichte den Befall von Wirtsbäumen erleichtert, da diese keine Abwehrmöglichkeit haben.

Spielen Baumartenmischung und Bestockungsgrad eine Rolle?

Thomas Löffel: Je natürlicher und artenreicher in jeglicher Hinsicht unser Wald ist, umso höher ist die Resilienz und die eigene Dynamik. Jedoch steht die Fichte oft da, wo sie nicht natürlich standortgerecht ist, etwa in alten Aufforstungen. Diese Bestände sind durch ihre Artenarmut alles andere als widerstandsfähig. Dort stellt die Natur einfach wieder ein Gleichgewicht her. Gabriela Lobinger: Mischbestände sind auf jeden Fall weniger gefährdet. Je nach Fichtenanteil reicht das bruttaugliche Material nicht aus, um eine Massenvermehrung aufzubauen, bzw. es fehlen attraktive Angriffsflächen wie zum Beispiel besonnte Ränder mit vorwiegend Fichte. Ist ein Mischbestand allerdings umgeben von fichtendominierten, befallsgeeigneten Wäldern und baut sich dort eine Massenvermehrung auf, so geht der Buchdrucker auch durch diese Mischwälder und benutzt die Fichten als Trittsteine.

Gibt es umweltverträgliche Bekämpfungsmöglichkeiten?

Thomas Löffel: Erstens ein frühzeitiger Transport aus dem Wald mittels Helikopter und schneller Verkauf oder im Wald entrindet liegen lassen. Zweitens muss man die gefährdeten Standorte kennen, konsequente Kontrollgänge durchführen und das Bohrmehl erkennen. Wenn sich die Nadeln verfärben, ist es zu spät. Gabriela Lobinger: Ideal sind vorbeugende Massnahmen, wie ein Waldumbau in möglichst stabile Mischwälder mit standortgerechten Baumarten, vor allem Laubbäumen, angepasster Herkünfte, Nützlingsschutz durch Förderung von artenreichen Waldrändern und Strukturierung, Durchforstung und Verkürzung der Umtriebszeiten in den aktuell noch ungünstigen

Abb.2: Moderholz fördert die Biodiversität.

Beständen und damit Vermeidung von Befall und Sturmwurfrisiko, aber auch Brutraumentzug durch Abfuhr, Mulchen, Entrinden, Hacken, Verbrennen … Dazu kommen verschiedene Massnahmen zur Befallsverminderung durch Verringerung der lokalen Käferdichte, integrierter Pflanzenschutz, Sanitärhieb, Holzabfuhr, Zwischenlagerung, Entrinden, Hacken usw.

Was halten Sie von der Strategie «Bayerischer Wald» – Natur regelt das selbst? Wie genau und wo geht das?

Thomas Löffel: Das Klima verändert sich, es gibt mehr trockene Sommer. Das Beispiel Entlebuch zeigt, dass durch viele abgestorbene Bäume das Kleinklima vor Ort so stabilisiert werden konnte, dass dort viel Naturverjüngung aufkommen konnte. Es kam zu weniger Austrocknung durch Wind und Sonneneinstrahlung, eventuell auch zu weniger Verbiss durch schlechte Erreichbarkeit. Die querliegenden Stämme konnten sogar den Untergrund stabilisieren und wirkten so fast wie eine natürliche «Verbauung». Der Zerfall bietet vielen Insektenarten wieder Nahrung und Brutraum. Moderholz fördert die Biodiversität. Wichtig zu wissen: Jeder Wald hat einen Eigentümer mit Ansprüchen, welche die Förster zu erfüllen versuchen. Im Sinne einer langfristigen Entwicklung bezweckt die waldbauliche Strategie in Stichworten folgendes: artenreiche Struktur, totholzreich; nicht auf ganzer Fläche, aber als Trittsteinkonzept im Wirtschaftswald; und damit Erhöhung der Resilienz mittels Vielfalt. Gabriela Lobinger: Die Philosophie heisst «Natur Natur sein lassen», das bedeutet, es wird im Grunde nichts geregelt, und das wird in diesem Fall auch nicht erwartet. Es geht um den Nationalpark-Status, und damit ist die einzige zulässige Massnahme, die Bewirtschaftung bzw. das Borkenkäfermanagement sukzessive einzustellen. Die Natur regelt das insofern selbst, als dass sich hier das Waldbild nach und nach verändert oder stellenweise auch kein Wald mehr, sondern andere Vegetationsstrukturen nachfolgen. Das ist als Verfahrensweise natürlich nicht auf Wirtschaftswälder übertragbar. Diese sind unbedingt notwendig. Wir bewerben Holz als wertvollen Rohstoff und CO²-Speicher. Da ist es natürlich geboten, dass wir Holz auch für diesen Bedarf produzieren und nicht anderswo in der Welt plündern. Meines Erachtens gibt es keinen Konflikt zwischen Waldbewirtschaftung, Holzproduktion und dem Wert von Wäldern mit allen Funktionen für Ökologie, Gemeinwohl etc. Ich denke, die neuen Erkenntnisse aus Waldbau und Waldökologie helfen dabei.

Situation Schweiz: http://www.borkenkaefer.ch/ index_DE Situation Bayern: https://www.fovgis.bayern.de/ borki/

Silke Schweizer ist Diplom-Forstwirtin, Betriebsleiterin in Bayern und Geschäftsführerin der SELVA, Verband der Waldeigentümer Graubünden.