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Jean-Marie Conz: «YB ist und bleibt mein Klub»

«Zuerst einmal: Es freut mich als ehemaliger Spieler, Captain, Sportchef und Trainer ausserordentlich, dass YB seit 2018 viermal Meister und einmal Cupsieger geworden ist. Das ist eine grandiose Leistung, die nicht hoch genug einzuschätzen ist. Denn ich weiss aus vielen Jahren YB-Erfahrung, wie es in Bern vor gar nicht so langer Zeit um den gelb-schwarzen Fussball bestellt war. Von wie weit her 'wir' kommen.

Der Fussball hat mich nach meinen Berner Zeiten nie losgelassen. Dank ihm bin ich ab dem Jahr 2000 zum Weltenbummler geworden. Gute Kontakte damals boten mir die Möglichkeit, in Saudi-Arabien ein Mandat als verantwortlicher Nachwuchschef zu übernehmen. Ich betrat gewissermassen eine andere Bühne. Meine Arbeit wurde geschätzt – ich blieb nicht ein paar Monate, sondern acht Jahre, war als U17- und U19-Nationaltrainer ständig unterwegs und zwischendurch natürlich auch wieder daheim in Pruntrut. Ab 2010 rief die FIFA, die von meiner Arbeit in Riad und meinen Verbindungen zum arabischen und asiatischen Fussball wusste: Als 'Senior Manager Technical Developement' der FIFA hatte ich mein Büro in Zürich, hier arbeitete ich Entwicklungsprogramme für alle Nachwuchskategorien der jeweiligen Landesverbände aus – und war als Instruktor unterwegs in den USA, in Asien, ja auf der ganzen Welt… Oft wurde ich in all den Ländern von jungen Spielern gefragt, bei welchem Club ich selber Spieler gewesen sei. Ich war erstaunt, dass man den Namen BSC Young Boys sowohl in Asien als auch in Afrika durchaus kannte!

Meine FIFA-Zeit dauerte bis 2018, bis zum Präsidentenund Konzeptwechsel mit Gianni Infantino. Heute verfolge ich die Taten der Young Boys entweder in Senigaglia (in der italienischen Heimat meiner Frau) oder in Pruntrut – oder wenn es passt, sehr gerne auch im Wankdorf, wie jüngst beim 4:0-Heimsieg gegen Sion.

Rückblende, YB im Frühling 1973: Ich spielte bei Porrentruy in der ersten Liga, war schon zwei Jahre Captain im Schweizer U18- und U19-Nationalteam. Ich wusste damals, dass Xamax, Lausanne und Basel Interesse an mir hatten – und dann geschah Unglaubliches: Auf unserem kleinen Flugplatz im damaligen Berner Jura landete ein Kleinflugzeug mit einer YB-Delegation. Ihr gehörten die Vorstandsmitglieder Wälti (als Pilot) und Marbach sowie Trainer Kurt Linder an, der eben mit Olympique Marseille grosse Erfolge gefeiert hatte und neu bei YB war. Diesen spektakulären Aufmarsch empfand ich als Wertschätzung meiner Person gegenüber – und weil mir Linder gewissermassen eine Einsatzgarantie gab, sagte ich schwer beeindruckt sofort zu. Das Lehrerseminar in Pruntrut konnte ich zwar nicht weiter besuchen, dafür ermöglichte man mir in Bern eine kaufmännische Ausbildung sowie – gleichzeitig – die Erlangung des Sportlehrer-Diploms in Magglingen ETS. Bei YB spielte ich oft im Mittelfeld, wir gewannen den Cup 1977 mit Karli Odermatt und wurden auch Vizemeister.

Den ganz grossen Erfolg erlangten wir aber erst 1986 mit dem Meistertitel und ein Jahr später mit dem

Cupsieg – beide mit Trainer Alexander Mandziara. Damals schieden wir im Europacup nach Siegen über Dunajska Streda und Den Haag erst gegen Ajax Amsterdam aus – ein Jahr vorher hatten wir im Wankdorf auch Real Madrid bezwungen. Inzwischen brauchte man mich längst nicht mehr im Mittelfeld, sondern als Libero. Das ist eine Position, die es heute nicht mehr gibt: Man war als freier Verteidiger der Organisator der Abwehr.

Damals gab es bei YB finanzielle Probleme. Der Club war noch keine AG, sondern ein Verein und wurde von den Verantwortlichen gewissermassen ehrenamtlich geführt. Die Lage verschlimmerte sich zusehends, als sich der sportliche Erfolg im inzwischen baufälligen Wankdorfstadion verflüchtigte. Es gab nur noch wenige Zuschauende, kaum Einnahmen, jährlich einen Kampf zur Erlangung der Spiellizenz und ein Kader mit Spielern, die zwar ihr Bestes gaben, monatelang aber auf ihren Lohn warten mussten. In dieser hoffnungslos scheinenden Lage übernahm ich schliesslich auch das Traineramt (weil Kollege Bernard Challandes zu Servette wechseln konnte) – aber die Haupttätigkeit damals bestand darin, zusammen mit den Verantwortlichen des Vereins Fussballstadion Wankdorf die Spieler bei Laune und bei der Stange zu halten. Während dem Training war ich nicht selten am Telefon, um ihnen einen aktuellen finanziellen Lagebericht vermitteln zu können – aber oft waren das nur vage Vertröstungen. Als Privatperson habe ich übrigens einige der Spieler unterstützt, damit sie überhaupt zu essen hatten… Das war das YB der späten Neunzigerjahre.

Heute präsentiert sich der BSC Young Boys ganz anders. Da ist vor allem dank dem neuen Stadion und den entsprechenden Vermarktungsmöglichkeiten ein echtes Fussballwunder geschehen, von dem wir einst nur träumen konnten. Diese positive Entwicklung erfüllt auch mich mit Freude, denn YB ist und bleibt mein Klub.

Verändert hat sich in Bern aber nicht nur das Wankdorfstadion und die neu entfachte Begeisterung für YB, verändert hat sich auch der Fussball. Im Vergleich zu meinen Aktivzeiten kann ich feststellen: Die Sportart hat sich rasant entwickelt. Wie etwa auch die Leichtathletik und die meisten anderen Sparten. Der Fussball ist viel schneller, technischer und athletischer geworden – dazu gesellen sich die taktischen Fortschritte, vermittelt von besser ausgebildeten Trainern. Heutzutage werden die neu verpflichteten Spieler in ihren Mannschaften weiter gefordert und geformt. Die Teams werden immer besser. Auch in der Schweiz, wo die Spiele unter den besten Mannschaften übrigens nicht so viel schlechter sind als in den europäischen Topligen. Es ist aber klar: Ein Match vor fast leeren Schweizer Rängen fühlt sich nicht so packend an wie ein Spiel der zweiten Bundesliga oder in einer englischen Regionalliga, wo oft vor vollen Rängen gespielt wird. Das ist natürlich ein Unterschied.

Trotz dem ansprechenden Schweizer Leistungsniveau zieht es unsere besten Spieler nach erfolgreichen Zeiten in der heimischen Liga ins Ausland – "um einen weiteren Schritt zu tun", wie man sagt. Ich kann das gut verstehen, anderseits aber verstehe ich auch den Wunsch der Fans, dass die eigene Mannschaft immer besser werden soll. Das ist eine echte Herausforderung auch für YB. In den letzten Jahren ist es der sportlichen Führung sehr gut gelungen, Abgänge zu kompensieren.

Aus meiner Sicht ist es sehr wichtig, dass die sportlichen Ambitionen in Bern hoch bleiben. Es wäre toll, wenn YB wie in jüngster Vergangenheit nicht nur in der Meisterschaft, sondern auch auf der europäischen Bühne weitere Akzente setzen könnte. YB müsste regelmässig im Europacup Erfolg haben. Die Voraussetzungen dazu sind – so ist meine Einschätzung von aussen – zurzeit dank der hervorragenden Arbeit ausgezeichnet.

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