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STEVE VON BERGEN: «ICH BIN ENORM DANKBAR»
Steve von Bergen hat ein grosses Stück YB-Geschichte mitgeschrieben – zuerst als Spieler, dann als Sportchef. Der 42-Jährige gönnt sich nun eine Auszeit und blickt zurück auf zwölf Jahre in Bern.
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Steve, in diesem Sommer brauchst Du Dir keine Gedanken über Transfers und Resultate zu machen, sondern kannst entspannt die Ferien geniessen. Was geht gerade in Dir vor?
Ich freue mich darauf, durchzuatmen, auf die Freizeit nach diesen drei sehr intensiven Jahren als Sportchef und auf Ferien mit meiner Familie, die mich so oft wieder ins Gleichgewicht gebracht hat. Es ist auch einmal schön, am Wochenende tun und lassen zu dürfen, worauf wir gerade Lust haben. Meine Frau kenne ich seit mehr als zwanzig Jahren, und sie hat sehr vieles mitgemacht und mitgetragen. Sie hat mich in meiner Karriere überallhin begleitet. Das war für sie nicht immer einfach.

Hat Dein Telefon nach der Rücktrittsankündigung Anfang März weniger oft geklingelt?
Ja! In den vergangenen Wochen fand die Übergabe an Mathieu Beda statt. Er übernahm in vielen Gesprächen bereits den Lead, und er ist für YB eine Toplösung. Auf mich kommt nun eine ruhigere Phase zu, wobei ich mich nicht beklagen will, dass es als Sportchef zu viel gewesen wäre. Als ich antrat, war mir bewusst: Jetzt musst du quasi rund um die Uhr erreichbar und im Einsatz für YB sein. Der Job erfordert es, dass du ständig verfügbar bist. Das gehört einfach dazu und war kein Problem. Aber ich kam an einen Punkt, an dem ich einen Schritt zurückmachen wollte.
Aus Rücksicht auf die Familie.
Ja. Ich habe zwei Kinder im Alter von 7 und 13 Jahren. Ich möchte nicht, dass ich mir irgendwann vorwerfen muss: Wieso habe ich nicht mehr Zeit mit ihnen verbracht? Warum habe ich dies und jenes mit ihnen verpasst? Ich bin mit mir im Reinen, weil ich überzeugt bin, die richtige Entscheidung für mich und meine Familie getroffen zu haben.
Du hast also nie gezweifelt in den letzten Wochen?
Nein. Ein solcher Entscheid reift nicht innert zwei Tagen. Er ist das Ergebnis eines längeren Prozesses. Ich führte einige Gespräche mit Christoph Spycher. Es herrschte immer grosse Transparenz zwischen uns. Klar war immer: Wenn ich nicht mehr mit hundertprozentiger Hingabe bei der Sache sein kann, ist es besser, einen Schlussstrich zu ziehen.
Wie muss man sich das vorstellen: Steve von Bergen ohne Fussball?
(lacht) Das weiss ich auch noch nicht so recht. Ich war über zwei Jahrzehnte in verschiedenen Funktionen mit dem Profigeschäft verbunden. Jetzt mache ich zuerst einmal eine Pause, gehe weg und versuche, nicht zu viel an Fussball zu denken. Wobei: Wenn YB in die Saison startet, interessiert mich das als grosser Fan dann schon sehr…
Du hast also keine Angst, dass es Dir langweilig werden könnte?
Nein. Die Situation ist neu für mich, aber ich freue mich auf die Herausforderungen, die auf mich zukommen. Irgendwann werde ich wieder etwas anpacken, was immer das sein mag. Ich habe noch einige Jahre Berufsleben vor mir. Ich sehe in den nächsten Wochen höchstens ein kleines Problem.
Nämlich?
Dass ich im Juni aus lauter Gewohnheit plötzlich unterwegs bin und mich auf der Autobahn frage: Was machst du überhaupt? Das Auto fuhr in den letzten Jahren praktisch von allein nach Bern. (schmunzelt).
Was wirst Du vermissen?
Ah, sehr vieles. Es ist ja nicht so, dass ich den Fussball oder meine Arbeit nicht mehr gernhabe. Ich werde die Leute bei YB vermissen, den Spieltag, den Wettbewerb, die Emotionen, versuchen, Titel zu gewinnen. Dass ich nun aufgehört habe, ohne mit YB in dieser Saison einen Pokal geholt zu haben, tut weh. Und was vielleicht auch fehlen wird, sind die täglichen Gespräche über Fussball.
Du kannst bei Redebedarf zwischendurch bestimmt Christoph Spycher, Stéphane Chapuisat oder Gérard Castella anrufen.
Ja, das schon, aber sie werden in den nächsten Monaten sicher viel zu erledigen haben. Da will ich sie nicht stören.
Und was wirst Du bestimmt nicht vermissen?
Anrufe von einigen Leuten um 23:00 Uhr oder noch später…
…wer meldet sich um diese Tageszeit?
Es gab Berater, die wissen wollten, warum ihr Spieler nicht so oft zum Zug kommt. Oder sie wollen dir schmackhaft machen, einen ihrer Spieler zu verpflichten.
Was hat Kritik mit Dir gemacht?
Ach, als Spieler bin ich schon heftig kritisiert worden. Damit musste und konnte ich auch als Sportchef gut leben. Ich liess mich deswegen nicht verrückt machen, weil ich einordnen konnte, woher die Kritik kam und in welchem Ton. Schwieriger war es für meine Familie. Mich schmerzte es besonders, wenn sie leiden musste.
Fühltest Du Dich manchmal allein?
Nein, nie. Bei YB bekam ich immer Rückendeckung von der Besitzerfamilie Rihs, dem VR, der GL und den Mitarbeitenden. Ich war Teil eines Teams, in dem wir uns in schwierigen Momenten gegenseitig unterstützten.




Nun hat YB die Meisterschaft auf Rang drei abgeschlossen. Kann man von einer guten Saison sprechen?
Nein. Ohne Pokalgewinn kann man bei YB nicht von einer guten Saison reden. Wir haben ein Jahr mit Höhen und Tiefen hinter uns. Zu den Highlights zählte zweifellos die Qualifikation für die Champions League dank einem super Match in Istanbul gegen Galatasaray. Auf der anderen Seite gab es unerklärliche Partien wie in Biel, als wir den Einzug in den Cupfinal verpassten. Wir starteten sehr schlecht in die Super League. Und wenn wir nahe dran waren, den Anschluss zu schaffen, gab es wieder einen Rückschlag.
Zuletzt sorgte die Mannschaft für Aufsehen mit einem 6:2-Sieg gegen den neuen Meister FC Basel.
Das zeigt, was in diesem Team steckt. Würde nicht hohe Qualität in diesem Team stecken, wäre das nicht möglich gewesen. Und an solchen Tagen denkst du: Wieso war das gegen Biel nicht möglich?
Wie oft hast Du Dir Gedanken darüber gemacht, weshalb der Auftakt in die Saison so missriet?
Tausend Mal. Ich bin überzeugt, dass Patrick Rahmen ein guter Trainer ist. Aber es hat hier nicht richtig geklappt. Manchmal kann man fragen, wie man will: Man findet einfach keine schlüssige Erklärung. Wir schafften es lange nicht, Konstanz hinzubekommen, sahen viele Rote Karten, begingen nicht nachvollziehbare individuelle Fehler…
…und am Ende wird der Sportchef für vieles verantwortlich gemacht…
…das gehört dazu. Wenn ein verpflichteter Spieler nicht die Leistung abruft, die man sich von ihm wünscht, fällt das nicht zuletzt auf den Sportchef zurück. Wir haben nicht für alles eine passende Lösung gefunden.
Und doch darfst Du auf schöne Erfolge zurückblicken: YB wurde in den vergangenen drei Jahren zweimal Meister und einmal Cupsieger. Ausserdem gelang zweimal die Qualifikation für die UEFA Champions League.
Ja. All das bleibt zweifellos in bester Erinnerung. Aber ich war nicht nur drei, sondern zwölf Jahre hier. Und es gab so viele Momente, die es verdient hätten, erwähnt zu werden. Wenn ich anfange, kann ich kaum mehr aufhören.
Welcher war für Dich der eindrücklichste Moment in Deiner Berner Zeit?
Der 28. April 2018, der erste Titelgewinn von YB nach 32 Jahren. Als ich nach Bern kam und einen Fünfjahresvertrag unterschrieb, dachten doch viele, ich würde mich schön auf die Rente vorbereiten und meine Karriere ausklingen lassen. Das Gegenteil war der Fall. Der Lohn für den Aufwand waren diese unfassbaren Emotionen. Sie sind unbezahlbar.
Wer war Dein bester Mitspieler bei YB?
Es gab sehr viele überragende Fussballer. Aber wenn ich mich auf einen festlegen muss, sage ich: Miralem Sulejmani. Er war ein Künstler. Sein linker Fuss – fantastisch! Eine andere Liga! Wenn man ihm den Ball gab, wusste man: Jetzt macht er etwas Zählbares damit.
Mit welchen Gefühlen trittst Du nun ab?
Mit dem Eindruck, dass ich in den letzten Jahren viel gelernt habe. Ich kam als Spieler noch einmal weiter, ich durfte das Metier des Sportchefs kennenlernen, und ich entwickelte mich auch als Mensch. Dafür bin ich enorm dankbar. Ich bekam jederzeit Unterstützung eines leidenschaftlich arbeitenden Teams mit Christoph Spycher an der Spitze, der einen riesigen Anteil daran hat, dass YB in den letzten Jahren zu einem Topverein geworden ist. Das darf man nie vergessen.
Wo wird YB in einem Jahr stehen?
Ich hoffe, dass YB wieder ganz oben in der Tabelle stehen wird.
Und wo verfolgst Du den Saisonstart?
Vermutlich auf der YB-App – irgendwo unterwegs. Und als grosser Fan von YB.



STEVE VON BERGEN
Der 42-jährige Neuenburger war im Sommer 2013 von Palermo zu YB gestossen und erfüllte danach sofort die Rolle als Teamleader und Captain. Im Frühling 2018 gelang der grosse Coup, als YB zum ersten Mal seit 32 Jahren den Schweizer Meistertitel holte. Ein Jahr später trat Steve von Bergen zurück – erneut als Meister und zudem als Torschütze, nachdem ihm im letzten Spiel gegen Luzern sein erster Treffer im gelbschwarzen Trikot gelungen war. Danach war er als CoTrainer und Defensivtrainer im Nachwuchs sowie als interimistischer Assistenzcoach der 1. Mannschaft tätig, ehe er 2022 Sportchef wurde. In dieser Funktion wurde der 50-fache Schweizer Nationalspieler zweimal Meister und einmal Cupsieger, zudem erreichte die Mannschaft zweimal die UEFA Champions League.