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Abenteuer Wildnis
Warum zieht es immer mehr Menschen – zumindest tageweise – aus der Komfortzone der Zivilisation in die raue Natur? Marco Plass, seit über 20 Jahren Outdoor- und Wildnistrainer, berichtet im Interview von seinen Erfahrungen.
MARCO PLASS
Der Organisationspychologe (FH), geprüfte Wildnisführer und Hochseilgartentrainer arbeitet als Geschäftsführer und Outdoortrainer bei Wildnistraining Westerwald. www.wildnistrainingwesterwald.de
Woher kommt die Faszination vieler Menschen für das Thema Natur und Wildnis?
Wir stellen seit Corona eine vermehrte Nachfrage nach Angeboten in der Natur fest. Daher haben wir neben unserer Wildnisschule auch noch ein Wildcamping-Angebot geschaffen. Das trifft den Zahn der Zeit. Viele unserer Kunden zieht es nach draußen, um zu entschleunigen, einmal etwas Handfestes zu erleben und greifbare Ergebnisse wie eine Notunterkunft oder ein Feuer aus eigener Kraft zu erschaffen. Das ist der Gegenpart zur Schreibtischarbeit, damit die Leute zumindest einigermaßen im Gleichgewicht bleiben. Ich kann mir vorstellen, dass durch die ganze Technik und Bequemlichkeit den Menschen etwas Wahrhaftiges, Urtümliches wichtiger wird. Ich erlebe das immer wieder auf meinen Touren: Da geht es um wirklich Essenzielles: essen, schlafen, orientieren, sich warmhalten und überleben. Das erdet ungemein und baut unheimliche Ressourcen für den Alltag auf.
Wie wirkt sich der Aufenthalt in der Natur auf diese Menschen aus?
Wie bereits beschrieben, erdet der Aufenthalt und macht bewusst, was Leben in seiner reinsten Form wirklich ausmacht. Er zeigt, wie wenig man wirklich benötigt, um draußen zurechtzukommen – weg von Luxusgütern, Statussymbolen und sonstigem unnützen Kram. Die Natur hat ihre eigenen Regeln und Gesetze und zeigt immer wieder, dass man doch eine gewisse Demut mitbringen sollte. Denn die Regeln geben nicht wir vor, sondern die Natur. Wenn Du bei -20 Grad einmal im Schneesturm unterwegs warst, weißt du, welche Macht die Natur hat und wie klein wir Menschen doch nur sind. Das sollte man sich immer einmal wieder vor Augen führen. Unsere Teilnehmer müssen allerdings nicht diese Extreme erleben: In unseren Survivaltrainings reicht davon schon eine Prise aus, um sie feststellen zu lassen, wie einfach Leben sein kann und wie viel Wissen es doch bedarf, um „überleben“ zu können.
Wie wichtig ist der Faktor „Abenteuer“ bzw. Selbstbehauptung dabei?
Das kommt immer darauf an. Unsere Teilnehmer, die das Wildnis Extrem oder das Abenteuertrekking Nord-Norwegen buchen, wollen in der Regel mehr Grenzerfahrung und Abenteuer erleben. Die meisten Teilnehmer unserer Grundlagenkurse wollen eher eine Naturerfahrung und Wissen tanken. Je extremer die Erfahrung, desto weniger Kunden zieht das an. Das sind natürlich auch wirtschaftliche Überlegungen enthalten. Die Grundlagen finden fast jedes Wochenende statt, die extremeren Kurse nur an wenigen Terminen im Jahr.
Welche Zielgruppen lassen sich vor allem für ein Outdoortraining begeistern?
Ich unterteile zwischen Privatpersonen und Firmenkunden. Im Privaten sind es in der Regel Menschen, die selbst einen Hang zur Natur haben und gerne draußen sind. Sportlich Ambitionierte sind tendenziell eher für ein Outdoortraining zu begeistern als Couch-Potatoes. Auch einen Game-Freak bekommt man selten freiwillig dazu. Du musst dich draußen eben bewegen und bekommst nichts fertig vorgesetzt. Du bist für das Ergebnis am Ende des Tages selbst verantwortlich: Tust du nichts, hast du nichts. Das muss den Interessenten bewusst sein und darauf müssen sie sich einlassen wollen. Im Firmenbereich bietet sich ein Outdoortraining optimal an, um Teams in Problemlösungsdenken, Kreativität und die Zusammenarbeit zu fördern bzw. Führungsqualitäten weiterzuentwickeln.
Wie finde ich den passenden Ort für ein Wildnistraining?

Grundsätzlich darf man nicht einfach so raus in den Wald gehen und dort ein Wildnistraining veranstalten. Wir haben dazu beispielsweise unser eigenes Waldgelände. Das Gelände muss möglichst sicher sein, d. h., es sollten nur gesunde Bäume da sein, keine losen Äste in den Baumkronen hängen, eine Toilette sollte vor Ort sein und eine Feuerstelle, bei der keine Gefahr droht, einen Waldbrand auszulösen. Das Gelände sollte ein paar Herausforderungen bieten, z. B. Gewässer und Abseilstellen, um möglichst viele Aspekte zu nutzen. Wichtig ist, dass der Trainer sein Gelände genau kennt, um das Training entsprechend aufzubauen.
Wie lassen sich, z. B. mit Firmengruppen, gruppendynamische Aspekte in der Natur fördern?
Nun, es muss draußen angepackt werden. Da kommt man schnell von der Theorie an seine Grenzen. Im gemeinsamen Tun zeigt sich dann recht schnell, wie gut das Team miteinander agiert, wo es hakt und wo optimiert werden muss. Aber es zeigt auch immer wieder, welche Ressourcen ein Team bereits hat und wo es richtig gut läuft. Der Unterschied bei Firmentrainings besteht darin, dass wir den Fokus stärker weg vom reinen Wildniswissen mehr hin zu der Gruppendynamik und Zusammenarbeit lenken. Auch darf es nicht ganz so extrem und „rustikal“ sein wie bei Privatpersonen, die das ja gerade deswegen buchen und freiwillig gebucht haben. Firmenkunden werden da meist vom Teamleiter hinbeordert. Um da niemanden motivational zu verlieren, müssen wir dabei etwas sanfter vorgehen, die einzelnen Übungen anpassen und die Rahmenbedingungen mit Essen und Übernachtung auf die Zielgruppe abstimmen. Wir wollen die Leute zwar aus der Komfortzone bringen, aber nicht in die Panikzone katapultieren.
Welche Form von Wildnisangeboten eignen sich für weniger naturerfahrene Menschen als Einstieg, und wie kann man outdoor-erfahrenen Teilnehmern noch Herausforderungen bieten?
Der sanfteste Einstieg ist ein Survival-Tag ohne Übernachtung. Für Erfahrene reizen wir Grenzen aus, indem wir an den Rand der Saison gehen (z. B. schlechteres Wetter, weniger Tageslicht, niedrigere Temperaturen, weniger Nahrungsmöglichkeiten aus der Natur) und die Übernachtungen von eins auf zwei erhöhen. Die Techniken, z. B. zum Feuermachen oder bei der Orientierung, werden spezieller und erfordern ein gewisses bereits vorhandenes Grundlagenwissen.
Welche Kenntnisse/Fertigkeiten/Qualifikationen brauche ich als Trainer, um qualifizierte Wildnisevents anzubieten? Ich muss in erster Linie wissen, was ich tue, und das nicht nur theoretisch. Das betrifft sowohl die Outdoorskills als auch die didaktischen Fähigkeiten. Ich muss eine gereifte Persönlichkeit sein, um auch in unbequemeren Situationen der Gruppe Sicherheit und Orientierung zu geben. Spaß am Umgang mit Menschen und ein Händchen dafür sollten auch nicht fehlen.
Was muss ich als Anbieter in puncto Sicherheit beachten?
Ich muss wissen, was ich tue, und potenzielle Gefahrenquellen kennen bzw. so weit wie möglich ausschließen. Ich sollte präventiv arbeiten, mein Gelände kennen und wissen, wo ich Handyempfang für einen Notruf habe. Ich benötige professionelle Ausrüstung und muss den Teilnehmern eine Orientierung geben, was sie selbst an Ausrüstung benötigen, um die Nacht draußen bei Wind und Wetter zu überstehen. Und zuletzt benötige ich immer einen Notfallplan für den Worst Case. W



