Wirschaftswoche, Germany, 2010

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Nutzen größten Korallenriff der Welt Cayos Cochinos vor der Küste Honduras erfassen und katalogisieren tauchbegeisterte Urlauber nach einer dreitägigen Unterweisung Fischbestände und Fauna. Andere Freiwillige markieren Delfine im Atlantik, zählen den Bestand an Geparden in den Nationalparks Namibias, oder erforschen Schneeleoparden im Altai-Gebirge im Grenzgebiet von Kasachstan. Sie zahlen für die 14-tägigen Expeditionen Teilnehmergebühren zwischen 1500 und 2000 Euro pro Person. Die Reisekosten kommen obendrauf. Veranstalter wie die gemeinnützige Naturschutzorganisation Biosphere Expeditions, die Reisen mit Sozial- und Umweltprojekten koppeln, verzeichnen wachsende Buchungszahlen – so hat sich der Anteil der Ökoreisenden in den letzten zehn Jahren vervierfacht. Besonders in den USA und Großbritannien boomt diese Reise-

Unterwasserferien Vor der Küste von Honduras katalogisieren tauchende Urlauber Fischbestände

Klimakiller Fernreise Treibhausgasemissionen pro Person und Reise in CO2-Äquivalenten (Kilogramm) Strandurlaub Mallorca (14 Tage, 3 Personen) An- und Abreise (Flug)

REISEN | Flugzeugabgase, Wasserverschwendung, Urlaubermüll –

Tourismus schädigt die Natur wie kaum eine andere Branche. Immer mehr Menschen wollen deshalb umweltverträglich reisen.

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angsam rumpelt der Bus mit Susanne Detmer über die hellbraunen Sandstraßen Thailands. Vor und hinter ihr unterhalten sich Einheimische in einer ihr unverständlichen Sprache. Zwei Bankreihen weiter hält ein Mann einen Krebs auf seinem Schoß, der wütend mit den Scheren klappert. An der Decke des Busses hängt eine Diskokugel und ganz vorne, neben dem Fahrersitz, plärrt ein Fernseher. Susanne Detmer wollte raus aus dem Alltag, mal etwas völlig anderes sehen. Doch die 23-jährige Medizinstudentin hatte keine Lust auf all-Inclusive, graue Bettenburgen und Pool. Sie wollte etwas

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erleben, ohne der Umwelt zu schaden. Deshalb entschied sie sich für Bambushütten statt Hotel-Resorts, öffentliche Verkehrsmittel statt Mietwagen, und eine lange Wandertour durch den Dschungel. Es ist eine Abstimmung mit Füßen: Abertausende reisen mittlerweile wie Studentin Detmer. In einer repräsentativen Umfrage der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen gaben acht Prozent der Deutschen an, dass sie bewusst umweltschonende Reisen buchen. Mehr als 20 Prozent der Befragten wollen zudem künftig beim Buchen ihrer Reise auf solche Ökostandards achten.

Unterkunft

148

Verpflegung

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Aktivität vor Ort

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gesamt

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All-inclusive-Urlaub Mexiko (14 Tage, 3 Personen)

ABLASSHANDEL FÜR SÜNDER Der größte europäische Reisekonzern TUI zum Beispiel stellte deswegen einen Teil seines Geschäfts um und zertifiziert Hotels mit einem eigens entwickelten Ökosiegel. Um ein TUI-Ökosiegel zu bekommen, muss das Hotel unter anderem sein Umweltmanagement professionalisieren, indem es Mitarbeiter speziell dafür einsetzt. Und es muss sich für lokale Sozial- und Naturschutzprojekte engagieren. Und das ist nur ein erster Schritt. Das größte Umweltproblem nämlich sind Treibhausgasemissionen: Die Vereinten Nationen prognostizieren, dass bis 2020 jedes Jahr vier Prozent mehr Menschen verreisen werden. Bis 2035 könnten die Kohlendioxidemissionen dadurch um 161 Prozent steigen. Rund 75 Prozent dieser Emissionen entstehen während der An- und Abreise. Wer etwa von Deutschland nach Mallorca fliegt, verursacht mehr als 460 Kilogramm klimaschädliche Gase (siehe Grafik). Organisationen wie Atmosfair und MyClimate bieten gegen Geld eine Kompensation dieser Emissionen. Bei einem Flug von Frankfurt nach New York, werden pro Urlauber etwa 4210 Kilogramm klimaschädliche Gase ausgestoßen. Um sich von seiner Schuld zu befreien, zahlt der Klimasünder einen bestimmten Betrag – bei der Organisation Atmosfair

An- und Abreise (Flug) 487

Verpflegung

205

Aktivität vor Ort

165

Familienurlaub auf Rügen (14 Tage, 4 Personen)

Green Economy WirtschaftsWoche

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An- und Abreise (Pkw)

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Unterkunft

52

Verpflegung

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Aktivität vor Ort

70

gesamt

vom Forum anders reisen, einem Zusammenschluss von nachhaltigen Touristikunternehmen, zwingen ihre Kunden zum Verzicht. Sie bieten nur Flugreisen zu Zielen, die mehr als 700 Kilometer entfernt liegen. Alle anderen müssen Bahn fahren. Doch die Treibhausgasemissionen sind nur das am häufigsten diskutierte Problem der Reisebranche. Menschen verbrauchen in Hotels zugleich wesentlich mehr Ressourcen als zu Hause – Wasser zum Beispiel. Gäste eines Drei-Sterne Hotels zapfen durchschnittlich 424 Liter Wasser pro Tag aus den Leitungen. Zu Hause verbrauchen Deutsche nur ein Drittel dessen. Grund: Menschen verschwenden mehr Wasser, wenn sie die Rechnung nicht selbst bezahlen müssen. Zudem verschlingt die tägliche Reinigung der Zimmer enorme Mengen Wasser. In Hotels produzieren die Kunden mit zwei Kilogramm pro Tag fast doppelt so viel Müll wie daheim. Nachhaltige Hotels versuchen dem entgegenzuwirken – auch um Geld zu sparen. Die Hotelgruppe NH Hotels, die 399 Unterkünfte in Europa, Südamerika und Afrika betreibt, versucht, mit biologisch abbaubaren Shampoo-Packungen Abfall zu vermeiden. Durch die Installation neuer Wasserhähne und Duschköpfe spart das Unternehmen in drei Jahren eine Wassermenge, die in 270 olympische Schwimmbäder passt. Die Wasserrechnung reduzierte sich um mehr als 1,1 Millionen Euro. Die Hilton Hotels haben mit Energiespartechnik ihren Stromverbrauch um fünf Prozent gesenkt, den Wasserverbrauch um zehn Prozent. Doch keiner geht in Deutschland so weit wie die Derag Gruppe, die in Deutschland 6361

Unterkunft

FOTO: BIOSPHERE EXPEDITIONS

Korallen zählen, Delfine markieren

Und das ist erst der Anfang. Bei einer Befragung von Reiseexperten äußerten vier von fünf die Erwartung, dass künftig noch mehr „nachhaltige Tourismusprodukte“ nachgefragt würden. Die Reiseveranstalter reagieren auf den Trend. Sie ermöglichen ihren Kunden , den durch Flugreisen verursachten Treibhausgasausstoß zu kompensieren, bauen sparsamere Ferienanlagen und entwickeln Hotels, die mehr Energie erzeugen, als sie verbrauchen. Wachsender Beliebtheit bei Urlaubern erfreuen sich Angebote, die das Reisen mit dem Helfen verbinden. In den Achtzigerjahren kam das schon einmal als Polit-Tourismus auf: Friedensbewegte Menschen verbrachten ihre Ferien in Nicaragua, halfen den Bauern bei der Kaffeeernte und hofften, auf diese Weise die linksgerichtete Regierung der Sandinisten zu stützen. Heute sind eher pragmatische, unideologische Angebote gefragt, mit denen Menschen ihrem Urlaub einen tieferen Sinn geben wollen: So betreuen manche Reisende in der peruanischen Andenstadt Arequipa täglich ein paar Stunden Kinder aus dem Armenviertel, andere pflegen in Nordafrika Beduinen in einem Altenheim. Am zweit-

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form. Von so viel Engagement, Abenteuer und Exotik ist das größte Segment im Reisemarkt, der Pauschalurlaub, weit entfernt. Doch auch hier achten Kunden vermehrt darauf, dass ihre Unterkunft Umweltstandards erfüllt.

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Quelle: WWF

WirtschaftsWoche Green Economy

kostet das gute Gewissen den Reisenden beispielsweise 96 Euro. Die Organisation investiert das Geld dann unter anderem in Biogasanlagen in Indien oder in Wasserkraftwerke in Honduras. Die Hoffnung: Die Landbevölkerung dort nutzt die alternative Energiequelle und verbrennt weniger klimaschädlich Kerosin oder Holz. Dadurch sinkt die Belastung der Atmosphäre mit Treibhausgas. Das Geschäft mit solchen Ablassbriefen blüht. Allein die Einnahmen von Atmosfair kletterten von einer Million Euro im Jahr 2007 auf 2,3 Millionen Euro im vergangenen Jahr. Manchen geht diese Kompensation nicht weit genug. Die 120 Reiseveranstalter

zwölf Hotels betreibt. In München baut Derag derzeit das erste Null-Energie-Hotel Deutschlands. Das heißt: Durch eine Solaranlage auf dem Dach und energieeffiziente Technik im Hotel soll das Haus schon nächstes Jahr so viel Strom herstellen, wie es selbst verbraucht. Noch ist das Gebäude eine Baustelle. Michael Vogt, Leiter der Hoteltechnik, läuft über nackte Betonböden, geht schließlich in eines der Zimmer und deutet auf ein schmales Gerüst aus kantigen Stahlstäben. In jedem der 43 Zimmer wird einmal ein solches Gerüst stehen. Sein Inneres – ein Gewirr aus Rohren und Behältern – wird gewissermaßen die Energiezentrale des »

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