2 minute read

Elternalltag

WO IS MEIN BURLI?

TEXT Ursel Nendzig

Advertisement

Autorin Ursel Nendzig, Mutter zweier Söhne, berichtet live aus der Achterbahn. Whatsapp-Gruppen sind erdacht worden, um mir ein Geschenk zu machen. Nämlich: die Essenz des Elternwahnsinns.

Bei uns ist es so: Der Mann hat auf seinem Handy die App Whatsapp gelöscht, damals, als der mangelhafte Datenschutz unsere größte Sorge war. Ihr erinnert euch vielleicht. Jedenfalls hat er damit große Kaltschnäuzigkeit bewiesen, denn ich bin in – gerade gezählt – neun Gruppen, die Söhne betreffend. Dies sind nur die permanenten Gruppen, also von Elterngruppen der jeweiligen Schulklassen (darunter beide Volksschulklassengruppen, die nach wie vor aktiv sind) und Handballvereinsgruppen (»Info«, »Eltern«, »U10«, »U11«, »Nachwuchs Feier«). Dazu kommen vorübergehende Gruppen zu jedem Kindergeburtstag, anlassbezogene Orga-Gruppen (Trainingslager, Klassentreffen usw.), Chats mit Gitarrenlehrern und einzelnen Eltern von Schulfreunden und pro Kind drei Kanäle auf SchoolFox – einer App, die der Mann erst gar nicht installiert hat.

Was in diesen Gruppen zutage kommt, sind pure Elternalltag-Goldnuggets. Besonders unterhaltsam war es, während die Klasse des kleinen Sohnes auf »Kennenlernwoche« war, also Montag bis Freitag in einer Jugendherberge, far far away in der Steiermark. Tatsächlich konnte durchgesetzt werden, dass alle Kinder ihr Handy zuhause lassen. Für manche Eltern war das eine echte Herausforderung. Montag um 9:00 wurden die Kinder beim Treffpunkt abgeliefert und dem Bus nachgewunken, um 11:45 kam schon die erste besorgte Whatsapp-Nachricht: »Hat jemand schon etwas gehört (sorgenvolles Smiley)?« Es rattern circa fünf »Leider nein (trauriges Smiley)« herein. Dann, endlich, um 12:00, die erlösende Nachricht: »Habe gerade von der Begleitlehrerin einen Anruf bekommen: Sie sind gut angekommen. Jetzt haben sie feste Schuhe angezogen und machen einen kleinen Spaziergang. Es hat

leicht geregnet, aber jetzt scheint dann die Sonne herauszukommen (lachendes Smiley, Sonnen-Emoji, Herz-Emoji, Wanderschuh-Emoji, Regenbogen-Emoji, Smiley mit Herzaugen).« Sehr viele Herzen als Antworten. 24 Stunden später kamen dann »endlich« die ersten Fotos, circa zwölf, von fröhlichen Kindern, die aus Ästen Flöße basteln. Von den 25 Kindern der Klasse waren insgesamt etwa 16 auf den Bildern zu sehen. Sehr viele Emojis und dann: »Wo is mein Burli (weinendes Smiley)?« Ich muss sagen, dass der Mann Whatsapp gelöscht hat, ist einerseits ein echt fieser Move. Andererseits: Ich hätte es ihm ja gleichtun können. Dann würden wir viel-

»Wo sonst bekommt man diese konzentrierte Essenz des Wahnsinns namens Elternsein derartig auf dem Silbertablett serviert? «

leicht den einen oder anderen Termin verpassen oder nicht wissen, wer nicht weiß, was Hausübung ist. Aber klar, wäre machbar. Ich könnte es aber selbstverständlich nicht aushalten, nicht in diesen Gruppen zu sein. Wo sonst könnte ich so tief in die Psyche der anderen Eltern hineinkriechen? Wo sonst bekommt man diese konzentrierte Essenz des Wahnsinns namens Elternsein derartig auf dem Silbertablett serviert? Schriftlich sogar, zum Immer-wieder-Nachlesen (Herz-Emoji, fies lachendes Smiley, Smiley mit Heiligenschein)? Außerdem bekomme ich die Gewissheit mit dazu, dass ich scheinbar ein überdurchschnittlich normales Elternteil bin (Einhorn-Emoji).