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Wärter, Brüder, neue Männer. Männliche Pflegekräfte in Deutschland ca. 1900-1980

"Wärter, Brüder, neue Männer. Männliche Pflegekräfte in Deutschland ca. 1900-1980" von Christoph Schwamm

Eine Buchrezension von Prof. em. Dr. Harry Friebel

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Pflege als Beruf erschien lange Zeit – und erscheint heute noch häufig – als exklusive Frauenprofession. Aber: es gab immer schon in verschiedenen Einrichtungen und Anstalten der Pflege- und Sorgearbeit einen zwar kleinen, aber stetig konstanten, Anteil von männlichen Pflegekräften. Das Buch von Christoph Schwamm skizziert die Geschichte zur Reform der Pflegearbeit im 20. Jahrhundert: Von der anfänglich unterstellten „natürlichen Überlegenheit“ der Frau in der Pflege bis zur gemeinsamen Berufsausbildung und Erwerbstätigkeit von Frauen und Männern in der außerhäuslichen Sorgearbeit. Der Autor Christoph Schwamm (wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichte der Medizin. Robert Bosch Stiftung) erörtert den Wandel in der Geschichte des Pflegeberufs in drei Themenblöcken:

- Wie war die Geschichte männlicher Pflegekräfte vor der Pflegereform in Deutschland?

- Was wurde durch die Pflegereform um 1970 bezüglich der Pflegetätigkeit verändert?

- Wie reagierten Pflegende und Pflegeeinrichtungen auf die Pflegereform?

Zusätzlich beschreibt der Autor die gesellschaftliche und geschlechterpolitische Relevanz des Themas in seiner Einleitung. Und in seinem Resümee hebt er noch einmal bedeutsame Relevanzen der Reform hervor.

Männer waren und blieben bis in die 60er Jahre gewissermaßen unsichtbar in der Pflege – obwohl sie zu Tausenden in Pflegeeinrichtungen arbeiteten

Das Verhältnis von Männlichkeit und Pflege war, so Schwamm, in der Öffentlichkeit Anfang bis Mitte des 20. Jahrhunderts von der weitverbreiteten Annahme geprägt, dass traditionelle Männlichkeit und Sorgearbeit überhaupt nicht vereinbar sein – obwohl seit jeher (bis heute) eine gewisse Präsenz von Männern einen selbstverständlichen Platz in der Pflegarbeit hatte und weiter hat: „Dies wurde jedoch als Ausnahme gedeutet, die die Regel von der Zuweisung jeglicher Sorgearbeit an Frauen bestätigte“ (S. 139). Es herrschte das Bewusstsein einer traditionell bürgerlichen Geschlechterideologie vor, dass die herrschende Männlichkeit gleichsam eine Barriere für Sorgearbeit war, dass allein die Frau in ihrer „natürlichen“ Überlegenheit für die Pflege- und Sorgearbeit prädestiniert war.

In Folge dieses Klischees verfestigte sich für dieses Berufsbild ein, wie Schwamm formuliert, „generisches Femininum“ (S. 30). Männer waren und blieben bis in die 60er Jahre gewissermaßen unsichtbar in der Pflege – obwohl sie zu Tausenden in Pflegeeinrichtungen arbeiteten –insbesondere in kirchlichen Einrichtungen, im Militär und in psychiatrischen, urologischen und dermatologischen Krankenstationen. Schwamm berichtet vor dem Hintergrund einschlägiger Quellen, dass der Anteil von Pflegern in Pflegeeinrichtungen kontinuierlich bei 10-15 % lag: „ 1952 waren von 102.690 Krankenpflegepersonen in westdeutschen Krankenhäusern 11.069 Männer, 1986 waren es 51.053 von 315.090“(S.52).

Die Konflikte um die Stellung von Männern in der Pflege gehen bis heute weiter

Die Pflegereform – etwa Ende der 60er bis Anfang der 70er Jahre in der BRD –war dann eine gesundheitspolitische Reaktion auf den Pflegenotstand im Wirtschaftswunderland. Gegen den dramatischen Mangel an Pflegepersonal wurde das Subsystem Pflege rigoros innoviert: Die Einkommen wurden erhöht, die Aus- und Weiterbildung professionalisiert und die Geschlechtertrennung wurde aufgehoben. Es war ein dramatischer Abschied vom vorherrschenden Monopolbild gegenüber Männern in den hermetisch abgesperrten Mutterhäusern und Schwesternschaften. Diese machtvollen „Closed-shops“ -im Zeichen eines „generischen Femininums“ - wurden im Rahmen der Reform Schritt für Schritt aufgelöst.

Was folgte war einerseits eine Normalität von Frauen und Männern gleichermaßen zugängliche Ausbildung, Weiterbildung und Erwerbsarbeit in der Pflegearbeit; andererseits ein beständiges Ringen um alte und neue Dominanzen. Die (Ober-) Schwesternelite aus der Vormoderne wollte und will Reste der weiblichen Vorherrschaft bewahren, die männlichen Krankenpfleger sind zunehmend in Aufstiegs- und Karrierepfaden involviert. Schwamm schreibt bilanzierend: „ Die Konflikte um die Stellung von Männern in der Pflege gehen bis heute weiter“(S. 137). In der DDR wurde diese Reform – insbesondere die Aufhebung der rigiden Geschlechtertrennung in der Pflege – wesentlich früher und politisch forcierter vorangetrieben.

Resümee

Schwamm beschreibt, analysiert und kommentiert hier diesen Prozess der Reform in der außerhäuslichen Pflege im unmittelbaren Kontext des Wandels der gesellschaftlichen Geschlechterverhältnisse. Ausgesprochen spannend sind dabei auch seine Überlegungen zur Frage, wie sich im zeitlichen Rahmen der Pflegereform das herrschende Männlichkeitsbild verändert hat. Zeitgleich mit der Pflegereform fand ja ein enormer quantitativer Ausbau des zivilen Ersatzdienstes für Kriegsdienstverweigerer in der BRD statt: „ Über die gesamte Zeit des Bestehens des Ersatzdienstes arbeitete rund die Hälfte der Zivildienstleistenden in Pflege- und Betreuungsverhältnissen“(S.110).Das waren z. B. 1970 4.000 junge Männer(!) in der Pflege- und Sorgearbeit. Schwamms Kommentar zu dieser Duplizität der Ereignisse: „ Die „Neuen Männer“ bzw. heute die „Sorgenden Männer“ sehen sich als Avantgarde bzw. Resultat des sozialen und kulturellen Wandels seit den 70er Jahren. Erstmals „um 1968“ hatten sich Männer bewusst gegen die rigiden Männlichkeitsbilder der Vätergeneration gewehrt“ (S.41).

Das Buch "Wärter, Brüder, neue Männer. Männliche Pflegekräfte in Deutschland ca. 1900-1980" von Christoph Schwamm ist im Franz Steiner Verlag erschienen (Stuttgart 2020, 160 Seiten) und kostet 38,00€.

Prof. em. Dr. Harry Friebel ist emeritierter Universitätsprofessor der Fakultät Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Universität Hamburg.

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