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Die Privilegierung der Intelligenz
Schon am 27. Juli 1945 wurden auf Befehl Nr. 17 der SMAD beratende Zentralverwaltungen geschaffen.1 Organisatorisch bestand die SBZ bis 1952 aus der Zentralbehörde in Berlin-Karlshorst sowie aus fünf SMAD-Behörden auf Länderebene (Mecklenburg, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen). Außerdem ordnete die SMAD den Aufbau sogenannter Deutscher Zentralverwaltungen (DZV) an, die die Schaffung eines sozialistischen Staats auf deutschem Boden vorbereiten sollten. Es entstanden elf Zentralverwaltungen: für Justiz, Verkehrswesen, Nachrichtenwesen, Brennstoffindustrie, Handel und Versorgung, Industrie, Landwirtschaft, Finanzen, Arbeit und Sozialfürsorge, Gesundheitswesen und Volksbildung. 1947 kamen fünf weitere Zentralverwaltungen hinzu: für deutsche Umsiedler, Statistisches Zentralamt, Zentrale deutsche Kommission für Sequestrierung und Beschlagnahme, Deutsche Zentralverwaltung des Innern, Deutsche Verwaltung für Interzonen- und Außenhandel. Mit Ausnahme der Zentralbehörden Inneres, Volksbildung und Justiz, die bis zur Gründung der DDR als selbständige Behörden unter Aufsicht der SMAD bestanden, gingen die oben genannten Behörden als Hauptverwaltungen am 11. Juni 1947 in der Deutschen Wirtschaftskommission (DWK) auf.
Die DWK diente zur Koordination der im Prinzip eigenständigen Zentralverwaltungen, als Kontakt zur SMAD und hatte die Sicherstellung der Reparationslieferungen zu verantworten. Ab dem 12. Februar 1948 (SMAD-Befehl Nr. 32) wurde sie gegenüber den deutschen Organen in der SBZ zum Erlass von Verordnungen und Anordnungen ermächtigt. Die DWK hatte Einfluss auf das gesamte Wirtschaftsleben der SBZ und besaß vor der Gründung der DDR regierungsähnliche Funktionen. Am 7. Oktober 1949 ging die DWK und der ihr angeschlossene 10.000-köpfige Apparat mit der Staatsgründung in der »Provisorischen Regierung« der DDR auf.
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Die DWK spielte hinsichtlich der sozialen Stellung der Intelligenz eine wichtige Rolle. Sie war es, die am 21. April 1949 eine Verordnung erließ, die den Titel »Verordnung über die Erhaltung und die Entwicklung der deutschen Wissenschaft und Kultur, die weitere Verbesserung der Lage der Intelligenz und die Steigerung ihrer Rolle in der Produktion und im öffentlichen Leben« trägt.2 Diese Verordnung wurde auf Grund eines SMADBefehlserlasses, der im Original bisher nicht gefunden werden konnte, sich aber in der Vorlage zur Sitzung der Deutschen Wirtschaftskommission niedergeschlagen hat, umgesetzt:
»… die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) [hat] die Deutsche Wirtschaftskommission und die Deutsche Verwaltung für Volksbildung in der sowjetischen Besatzungszone beauftragt, Maßnahmen zur Erhaltung und Entwicklung der deutschen Wissenschaft, Literatur und Kunst für eine weitere Verbesserung der Lage der Intelligenz zu beraten und zu beschließen. In Durchführung dieses Auftrages hat die Deutsche Wirtschaftskommission im Einvernehmen mit der Deutschen Verwaltung für Volksbildung in der sowjetischen Besatzungszone in ihrer Vollsitzung vom 31. März 1949 [die Kulturverordnung] beschlossen …«3 (Siehe Auszug aus dem Zentralverordnungsblatt im Anhang.)
In einem nachdrücklichen »Appell an alle Oberbürgermeister, Landräte, Bürgermeister und sämtliche örtliche Verwaltungsstellen in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands sowie an alle Kreis- und Ortsorganisationen der Parteien und der demokratischen Massenorganisationen« vom 14. September 1949 fordert das Sekretariat der Deutschen Wirtschaftskommission »die Lage der Intelligenz in unserer Zone grundlegend zu verbessern. (…) so kann die Kulturverordnung der Deutschen Wirtschaftskommission nur dann zum wirklich lebendigen Ausdruck einer neuen Kulturpolitik werden, wenn jeder einzelne Angehörige der Intelligenz spürt, dass er bei Verwaltungen und Organisationen Verständnis für seine Probleme findet, und seine Förderung diesen Stellen wirklich am Herzen liegt«4 .
Um der ökonomischen Mangelsituation der Intelligenzschichten zu begegnen, auch in der Erwartung ihres gesteigerten Engagements für den anstehenden Zweijahresplan (1949/50), verhandelte die SMAD Ende 1948 mit den Gewerkschaften. Später wurden Vertreter der antifaschistischen Verbände, der Intelligenz und Arbeiter in die Gespräche eingebunden. »Die [obenstehende] DKW-Verordnung beinhaltete 24 Maßnahmen, die der Erhaltung und Entwicklung der Wissenschaft, Literatur und Kunst und der Verbesserung der Lage der Intelligenz dienten.«5 Dazu zählte die Gründung der Arbeiter- und BauernFakultäten an den Universitäten, des Pädagogischen Zentralinstituts und der Akademie der Künste, die Einführung von Nationalpreisen in drei Klassen für Kunst und Literatur, für Wissenschaft und Technik. Diese Preise waren mit hohen Geldzuwendungen von 100.000, 50.000 oder 25.000 Mark dotiert und konnten auch mehrmals an die gleiche Person verliehen werden. Hinzu kamen Auszeichnungen als Verdienter Arzt und Verdienter Lehrer des Volkes. Mit der Ehrung verbunden waren 1950 die Lebensmittelkarte I (analog zu der Karte von Schwerstarbeitern und Funktionären) und Zusatzverpflegung der ersten Kategorie, eine jährliche Zusatzrente von 3.000 Mark, die Zahlung von Stipendien für die Kinder der Geehrten an Hoch- und Fachschulen.6 Bis 1952 wurden weitere Auszeichnungen geschaffen, wie Hervorragender Wissenschaftler des Volkes, Verdienter Erfinder, Verdienter Techniker des Volkes, Verdienter Züchter und der Heinrich-Greif-Preis I., II. und III. Klasse für herausragende Leistungen in der Filmkunst. Alle Ehrentitel waren mit unterschiedlichen Geldprämien versehen, die nicht versteuert werden mussten.
Darüber hinaus wurde in einer Durchführungsverordnung zur Kulturverordnung beschlossen, dass mit dem Sekretariat der Wirtschaftskommission Personalpensionen »für hervorragende Wissenschaftler, Techniker, Schriftsteller und Kunstschaffende sowie für hervorragende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens« vereinbart werden können. Das Vorschlagsrecht hatten verschiedene Institutionen und Organisationen der SBZ/DDR und die »zentralen Vorstände der demokratischen Parteien und Massenorganisationen«7. Unter Punkt 6 der Verordnung wird die Höhe der Pensionszahlungen festgelegt. Sie betrug bis zu 80 % des monatlichen Gehaltes. Bei Freischaffenden oder nicht mehr Berufstätigen wurde das Gehalt für vergleichbare Tätigkeiten zugrunde gelegt. Witwen erhielten 60 %, Halbwaise 10 % und Vollwaisen 25 %. (Pkt. 7 der Verordnung).8 Dabei handelte es sich um eine zusätzliche Altersversorgung. »Für Spitzenkräfte der Intelligenz, etwa Nationalpreisträger, richtete die Regierung repräsentative Personal- bzw. Ehrenpensionen ein.«9 Außerhalb der besonderen Altersversorgungen der Intelligenz wurde eine Zusatzrente in technischen, wissenschaftlichen, künstlerischen und medizinischen Einrichtungen (ab 1951) geschaffen, die »den Berechtigten eine Zusatzrente von 60 bis 80 % des letzten durchschnittlichen Bruttogehaltes bis zu einer Grenze von 800 Mark« sicherte.10 Obgleich nicht alle aus der Schicht der Intelligenz davon profitierten, z.B. die freien Künstler, hatten im Jahr 1953 ca. 80.000, im Jahr 1955 100.000 Angehörige der Intelligenz ein Anrecht auf diese zusätzliche Altersversorgung, was nicht jeder Werktätige nachvollziehen wollte, da die Renten/Pensionen der Intelligenz den Arbeitslohn von fast allen Werkstätigen überschritten.11
Zusätzlich wurden von den ca. 250.000 grundsätzlich anspruchsberechtigten Vertretern der Intelligenz 40.000 mit sogenannten ›Pajok‹ in Analogie zu den amerikanischen Care-Paketen versorgt. Diese wurden monatlich ausgegeben und enthielten 5, 8 oder 10 kg Lebensmittel (Fleisch, Fett, Butter, Öl und Hülsenfrüchte).12 Auch bekamen von den 250.000 der anspruchsberechtigten Intellektuellen 60.000 sogenannte IN-Scheine (Zusatzkarten zur Lebensmittelgrundkarte im einem HO-Warenwert von 60 Mark im Monat. (Stand März 1951).13 Und es wurde begonnen, Eigenheime für die schaffende Intelligenz und deren Familien zu planen, zu organisieren und zu bauen. Auf alle Angehörigen der Intelligenzschichten bezogen, bekam prozentual gesehen jedoch nur der kleinere Teil von ihnen materielle Bevorzugungen.
Für die Durchführung der Maßnahmen zur Verbesserung der materiellen Lebensbedingungen hervorragender Wissenschaftler, Techniker, Schriftsteller und Künstler wurde ein »Förderungsausschuss bei der Deutschen Wirtschaftskommission« geschaffen, der dem Ministerpräsidenten bzw. dem Vorsitzenden des Ministerrats (VMR) unterstellt war, damals Otto Grotewohl (von 1949 bis 1964). Nach der Gründung der DDR erhielt er am 16.3.1950 den offiziellen Namen »Förderungsausschuss für die deutsche Intelligenz beim Ministerpräsidenten der DDR«. Ab 1951 wurden die Aufgaben des Förderungsausschusses neu und umfassend geregelt. »Die Aufgabengebiete waren nun:
1. Leitung der Sanatorien und Erholungsheime für die Intelligenz durch den Förderungsausschuss und ihre Bewirtschaftung durch geeignete Einrichtungen, 2. bevorzugte Versorgung der im Aufbau bewährten Mitglieder der Intelligenz durch zusätzliche Verpflegung, Versorgung mit Heizmaterial, sonstige Versorgung, die zur
Sicherheit der Lebensgestaltung und der wissenschaftlichen und künstlerischen Tätigkeit der Intelligenz erforderlich ist, 3. Unterstützung der hervorragenden Mitglieder der Intelligenz durch Gewährung von Krediten beim Bau von Eigenheimen, durch Gewährung von Krediten für Wohnungsinstandsetzungen, durch Bereitstellung der Mittel für den Bau von modernen Mehrfamilienwohnhäusern und durch Beschaffung von Wohnungen, durch Hilfe bei der Beschaffung der erforderlichen
Materialien, 14 4. Hilfe bei der Regelung von Finanz- und Steuerfragen aller Art und Bewilligung aller
Kredite und Beihilfen für die Intelligenz aus Mitteln des Kulturfonds, 5. rechtzeitige Beschlussfassung der Vorschläge für die personelle Zusammensetzung der Ausschüsse zur Verleihung der Nationalpreise. Weitergabe an den Ministerrat zur
Bestätigung. Verabschiedung aller Vorschläge für die Bewilligung von Personalpensionen – Einreichung der erforderlichen Unterlagen hierzu zur Beschlussfassung beim
Ministerrat. Ausnahmslose Einreihung der durch die Regierung Ausgezeichneten in die Vergünstigungen, die für die Intelligenz vorgesehen sind, 6. Kontrolle der Durchführung aller Maßnahmen, die in der Kulturverordnung der
Regierung vorgesehen sind bzw. Durchsetzung der zur Durchführung erforderlichen
Maßnahmen.«15 Im Findbuch des Bundesarchivs über den Förderungsausschuss für die deutsche Intelligenz werden die Veränderungen seiner Aufgaben differenziert dargestellt.16 Diese umfassenden Aufgaben wurden durch eine Verordnung der Regierung der DDR (19.3.1953) zum Teil an andere Organisationen verlagert. Der Zentralvorstand der Sozialversicherung, der Deutsche Schriftstellerverband und die Akademien übernahmen die Verwaltung der Sanatorien und Erholungsheime jeweils für ihren Bereich. Von nun an waren nur noch Nationalpreisträger, hervorragende Wissenschaftler des Volkes, Helden der Arbeit, Heinrich-Greif-Preisträger, verdiente Ärzte des Volkes, verdiente Techniker des Volkes, verdiente Lehrer des Volkes und Wissenschaftler, Ingenieure, Techniker, die nach einer Verordnung vom 28. Juni 1952 ein erhöhtes Gehalt bezogen, zur Kur in den Sanatorien des Förderungsausschusses (Bad Elster, Bad Liebenstein) zugelassen.17 Die bessere Versorgung der Intelligenz mit Lebensmittel durch sogenannte IN-Scheine wurde dem Ministerium für Handel und Versorgung übertragen. Die Scheine wurden alsbald abgeschafft und der Intelligenz wurde stattdessen durch erhöhte Vergütungen der Kauf von Lebensmittel in besonderen Geschäften ermöglicht. Allgemein war der Förderungsausschuss weiterhin beauftragt mit der Kontrolle der Durchführung aller für die Intelligenz
erlassenen Gesetze, Verordnungen und sonstigen Bestimmungen, insbesondere für die hier interessierende Aufgabe »in besonderen Fällen Darlehen, Beihilfen und Kredite für den Bau von Einfamilienhäusern aus Mitteln des Kulturfonds zu gewährleisten« (Arbeitsrichtlinien vom 17.4.1953, Ziffer 1 und 4).18
Vorsitzende des Förderungsausschusses (im Rang eines Staatssekretärs) waren:19 – Von April bis Dezember 1949 Anton Ackermann. Er war 1949–1953 Staatssekretär im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten und 1953 kurzzeitig amtierender
Minister. 1953 wegen seiner Verbindung zur »parteifeindlichen Fraktion« (Rudolf
Herrnstadt, Wilhelm Zaisser), die Walter Ulbricht absetzen wollte, aller Ämter enthoben; 1954 aus dem Zentralkomitee der SED ausgeschlossen und 1956 rehabilitiert. 1954–1958 Leiter der Hauptverwaltung Film im Ministerium für Kultur. 1958–1961 stellvertretender Vorsitzender der staatlichen Planungskommission für Bildung und
Kultur; 1973 Freitod wegen seiner unheilbaren Krebserkrankung. – Von Januar 1951 bis September 1956 Prof. Dr. Hermann Kastner; Jurist und Volkswirt. 1945 Mitglied der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands (LDPD), 1949–1950 deren Vorsitzender (1950 Ausschluss aus der Partei mit falschen Verdächtigungen). 1946–1948 Justizminister in Sachsen. 1949 Vorsitzender der Deutschen Wirtschaftskommission (DWK); 1949–1950 Stellvertretender Ministerpräsident der DDR und
Abgeordneter in der Provisorischen Volkskammer. Wahrscheinlich Doppelspion für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) und den Geheimdienst »Organisation Gehlen«. 1956 »Republikflucht« in die BRD; gestorben 1957 in München. – Von September 1956 bis 1962 Max Günther; Maschinenbauingenieur. 1946 Mitbegründer der Kammer der Technik (KdT) und 1955–1962 deren Stellvertretender Vorsitzender; gestorben 1963. Die Vorsitzenden wurden vom Sekretariat der Deutschen Wirtschaftskommission im Einvernehmen mit dem Präsidenten der Deutschen Verwaltung für Volksbildung, nach der Gründung der DDR durch das Ministerium für Volksbildung, ernannt, ebenso die Mitglieder des Förderungsausschusses. Unter den Mitgliedern waren zu Beginn bekannte Persönlichkeiten wie Wolfgang Langhoff (Schauspieler und Regisseur); Hans Ertel (Geophysiker und Meteorologe); Fritz Selbmann (Minister für Industrie, später für Schwerindustrie und Schriftsteller); Hans Marchwitza (Arbeiterdichter und Schriftsteller); Hilde Benjamin (Vizepräsidentin des Obersten Gerichts der DDR, danach Justizministerin); Walter Friedrich, Biophysiker und Rektor der Humboldt-Universität (1949–1952), Präsident der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin (1951–1956), (ab 1972 Akademie der Wissenschaften der DDR); Klaus Gysi, verschiedene Funktionen im Kulturbund, letztlich Mitglied in dessen Präsidium; Mitarbeit in herausragenden Positionen in literarischen Verlagen und in einem Schulbuchverlag, Abgeordneter der Volkskammer (1949–1954 und 1967–1990); Minister für Kultur 1966–1973, danach Botschafter in Italien und Staatsse-
kretär für Kirchenfragen; Jürgen Kuczynski (Wirtschaftswissenschaftler und -historiker, Hochschullehrer an der Universität Berlin, Leiter des Instituts für Wirtschaftsgeschichte, Abgeordneter der Volkskammer) und viele andere. 1949 zählten 27 Mitglieder zum Förderungsausschuss, die alle ehrenamtlich tätig waren. Auf Grund des Beschlusses des Sekretariats der SED (19.11.1957) wurde die damalige Zahl der Mitglieder von 32 auf 20 reduziert.20
Hauptamtlich tätig waren im Büro des Förderungsausschusses in Berlin etwa 30 Mitarbeiter, deren Zahl auf 12 Personen verkleinert wurde. Leiter des Büros des Förderungsausschusses waren:21 – Von Mai 1949 bis Oktober 1950 Dr. Anselm Glücksmann, Jurist, Spezialist in Presse-,
Urheber- und Verlagsrecht. Auf diesem Gebiet nach 1950 in verschiedenen Bereichen leitend und beratend tätig; gestorben 1999. – Oktober 1950 bis März 1953 Walter Freund, später Verwaltungsdirektor der Deutschen
Akademie der Wissenschaften, 1958 im Zusammenhang mit der »Babelsberger Konferenz« (2./3. April 1958) seiner Funktion enthoben. Bei dieser Konferenz wurden die grundlegenden Rechtsprinzipien und die Rechtspraxis der DDR strittig diskutiert mit dem Ergebnis, dass die bürgerliche Interpretation grundlegender Rechtsprinzipien verworfen wurde. Freund ist (wahrscheinlich) 1981 gestorben. Er war der maßgebliche
Leiter des Büros während des Baus der Intelligenzhäuser. – April 1953 bis Juni 1961 Max Günter, Maschinenbauingenieur, Vizepräsident der Kammer der Technik (KdT); 1961 altersbedingt zurückgetreten. – Juni 1961 bis Oktober 1962 Dr. Wolfgang Weiß, Jurist. Vormals (ab 1945) stellvertretender Bürgermeister in Berlin-Mitte, Leiter der Abteilung Strafrecht im Ministerium der Justiz. Chefredakteur der Zeitschrift »Neue Justiz« und des »Gesetzesblattes der
DDR«. Obgleich er 1951 aus der SED ausgeschlossen und 1958 im Zusammenhang mit der »Babelsberger Konferenz« seiner damaligen Funktion als Chefredakteur des Deutschen Zentralverlags (später Staatsverlag) enthoben wurde, erhielt er die Leitungsfunktion des Büros des Förderungsausschusses bis zu dessen Auflösung. 1963–1975 war er Direktor des DEFA-Studios für Synchronisation; 1990 ist er gestorben.
Für den Bau der Eigenheime in der ganzen SBZ/DDR wurde ein Fond von 10 Millionen Mark und zusätzlich von 1 Million bei der Deutschen Investitionsbank gebildet. Der Förderungsausschuss und die Akademie der Wissenschaften entschieden über die Verwendung der Fonds. In der entsprechenden Kulturverordnung vom 23. März 1950 heißt es im Paragrafen 7, Abs. 6: »Aus den zum Bau für Eigenheime für die Intelligenz bereitgestellten Kreditfonds in Höhe von 10.000.000 DM für den Förderausschuß und 1.000.000 DM für die Deutsche Akademie der Wissenschaften sind bis Ende 1950 mindestens 250 Bauten so zu finanzieren, daß die Häuser bis zu diesem Termin bezugsfertig sind.«22
Diese Zeitvorgabe zum Bau so vieler Häuser in der DDR war nicht realisierbar. Das Gros der Bauten für die Intelligenz konnte erst 1951 oder etwas später fertiggestellt werden. Von den 100 Eigenheimen, die in Ost-Berlin projektiert waren, wurden letztlich 93 in den drei Intelligenzsiedlungen realisiert. Für die 100 projektierten Häuser standen 4 Millionen Mark zur Verfügung. »Der Förderungsausschuss legte zur Errichtung der Häuser den Pauschalpreis von 40.000 DM mit dem Lichtenberger VEB Wohnungsbau vertraglich fest. Die Summe ließ aber nur noch ›600 cbm umbauten Raum‹ zu.«23
Die Realisierung der Bauten sollte auch dann erfolgen, wenn noch keine geeigneten Bewerber vorhanden waren.24 »Mitte des Jahres 1950 gab es erst 63 Bewerber« für die OstBerliner Intelligenzhäuser.25
In unmittelbarer Nähe zu Berlin waren in Potsdam und Klein-Glienicke zusammen 10, in Kleinmachnow 10, in Hennigsdorf 4, in Teltow-Seehof 3 und in Paulinenaue 3 Intelligenzbauten geplant.26 Neben der Errichtung von Eigenheimen sollten beschädigte Häuser wieder instandgesetzt werden; insgesamt 3.000 Häuser sollten 1950 in der DDR für die Intelligenz zu Verfügung stehen.27
Der Förderungsausschuss bestimmte über die zukünftigen Bewohner der Eigenheime aufgrund einer Vorentscheidung des Büros.28 Dass es später nicht mehr um den Kauf, sondern um die Vermietung der Häuser für Angehörige der Intelligenz ging, wird im Kapitel »Die Mietverträge und der Kauf der Eigenheime« ausführlich erläutert. Die Bewerber wurden vom Vorsitzenden des Förderungsausschusses über die Entscheidung unterrichtet. Die Eigentümer schlossen Verträge mit der Investitionsbank wegen Bereitstellung von Krediten und mit dem VEB-Wohnungsbau zur Durchführung der Bauten. Jedoch ist nichts Genaueres über die Auswahlkriterien der zukünftigen Bewohner in den Dokumenten zu finden, außer dass es »hervorragende« bzw. »geeignete« Persönlichkeiten der Intelligenz sein sollten. Jedoch waren gute Kontakte zu hohen politischen Funktionären offensichtlich hilfreich29 sowie persönliche Verdienste beim Aufbau der DDR, die durch Auszeichnungen dokumentiert waren. So bekam z. B. der Komponist André Asriel 1951 das Haus in der Kuckhoffstraße 39a nach seiner Auszeichnung mit dem Nationalpreis Klasse III zugesprochen, Herbert Sandberg hatte seine Verdienste als Maler, Grafiker und Herausgeber der Zeitschrift »Ulenspiegel« und war gut bekannt mit dem sowjetischen Kulturoffizier Alexander L. Dymschitz.30 Möglicherweise wollte man auch mit der Vergabe eines Hauses an Sandberg seine KZ-Vergangenheit würdigen. Vor allem sollte nach Auffassung des Büros des Förderungsausschusses die Vergabe der Eigenheime »eine Ehrung für besonders herausragende Angehörige der Intelligenz« sein.31
Zum Zwecke der Bewerbung informierte der Förderungsausschuss die Interessierten in einem achtseitigen Faltblatt über die Modalitäten des Erwerbs von Eigenheimen und die zur Verfügung stehenden Haustypen (Faltblatt siehe im Anhang), nicht ohne den sozialistischen Fortschritt zu loben:
»Wir haben den Beweis geliefert, daß Wissenschaft und Technik, daß Kunst und Literatur in den Organen unserer neuen Ordnung ihre besten Freunde haben. Das bisher Erreichte ist für uns erst ein Anfang. Aber dieser Anfang ist eine feste Grundlage für eine stürmische Entwicklung im Aufbau einer neuen, fortschrittlichen deutschen Kultur. Möglich waren die bisherigen Erfolge aber nur, weil wir die wirtschaftlichen und politischen Grundlagen der Macht der imperialistischen Kriegstreiber zerschlugen. Das deutsche Kulturleben wird in einem Ausmaße aufblühen, wie es Deutschland bisher noch niemals erfahren durfte.« (Otto Grotewohl).
Es mag eine kleine ironische Spannung erzeugen, dass bei der Darstellung des Grundrisses des Haustyps 2 in dem Faltblatt (siehe S. 210) im Wohnzimmer ein Klavierflügel, ein großbürgerliches Ausstattungselement, eingezeichnet war. In einigen Biografien der Erstbewohner gibt es Hinweise, dass sie von der Erstellung der Intelligenzsiedlungen in den Klubs des Kulturbunds oder beim Schriftstellerverband erfahren haben und die Grundrisse der Musterhäuser dort einsehen und sich bewerben konnten.32 Auch in der Presse wurde auf die Intelligenzhäuser hingewiesen. Neues Deutschland schrieb am 16. Mai 1950 textgleich mit einer Veröffentlichung im Vorwärts vom 15. Mai 1950: »Die Modelle der vier Typenhäuser für die nach der Kulturverordnung zu schaffenden Eigenheime der Intelligenz, sind vor einigen Tagen im Vorraum der Deutschen Akademie der Wissenschaften in der Jägerstr. 22/23 in Berlin aufgestellt worden. Sie werden dort bis Ende Mai zur Besichtigung bleiben und dann, in das Auditorium maximum der Berliner Humboldt-Universität gebracht werden.«33 (Ein bemerkenswert kleiner, fast versteckter Hinweis auf den Häuserbau für die Intelligenz, wahrscheinlich um die Bevorzugung der Intelligenz beim Häuserbau in dieser Zeit nicht in den Vordergrund treten zu lassen.) Es entspricht allerdings der Alltagserfahrung, dass die Möglichkeit, sich beim Förderungsausschuss für ein Eigenheim zu bewerben, auch durch Gespräche unter den Künstlern, Wissenschaftlern, Medizinern, Pädagogen und Techniker verbreitet wurde.