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Strategische Chance Weltraumbahnhof

Bisher müssen Satelliten für den Start ins All zu Weltraumbahnhöfen nach Amerika, Russland oder Indien transportiert werden. Dies ist teuer und bürokratisch aufwändig. Satelliten sind „Dual-Use“ Güter, das heißt ein Start im außereuropäischen Ausland wird als Export gewertet und muss vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) in jedem Einzelfall genehmigt werden. Die Exportgenehmigung kann mitunter bis zu sechs Monate dauern. Ein deutscher Weltraumbahnhof würde attraktive „Justin-Time“ Verbringungen ermöglichen und Transportkosten signifikant reduzieren. Langwierige Exportgenehmigungen würden komplett entfallen.

Dr. Joachim Lang Hauptgeschäftsführer & Mitglied des Präsidiums Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI)

» Ein deutscher Weltraumbahnhof für kleine Trägerraketen würde das europäische Raketen-Portfolio komplettieren und erstmals kurzfristige Starts von Europa aus ermöglichen.«

STANDORT NORDSEE Offen bleibt die Frage, warum ein kleiner Weltraumbahnhof gerade in Deutschland und nicht an einem anderen Ort in Europa entstehen sollte. Eine erste Machbarkeitsstudie kommt zu dem Ergebnis, dass eine Offshore-Plattform in der Nordsee für den Start von kleinen Trägerraketen in polare Umlaufbahnen und sonnensynchrone Orbits gut geeignet wäre und hierfür, beispielsweise im Gegensatz zu Schweden, keine Landflächen oder Ansiedlungen überflogen werden müssten. Beide Orbits gewinnen für militärische und kommerzielle Anwendungen stetig an Bedeutung. Gleichzeitig ist Deutschland einer der führenden Hersteller von Satelliten weltweit und hat entsprechenden kommerziellen und militärischen Bedarf. Darüber hinaus verfügt Deutschland mit ISAR Aerospace, Rocket Factory Augsburg und HyImpulse bereits über drei Microlauncher-Firmen und unterstützt mit dem innovativen Mikrolauncher Wettbewerb des Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) aktiv den Markteintritt junger Firmen in diesem Bereich. Sie zu unterstützen, ohne eine Startmöglichkeit anzubieten, greift letztlich zu kurz. Schwimmende Offshore-Startmöglichkeiten gewinnen aus Gründen der Flexibilität und Sicherheit an Bedeutung. China hat 2019 eine mobile Startplattform in Dienst gestellt und SpaceX hat im Juni 2020 angekündigt, zukünftig auch von Plattformen zu starten. Dank dem Ausbau der OffshoreWindenergie besitzt die Bundesrepublik auch die notwendige maritime Expertise und Infrastruktur. Als mittlerweile größter Beitragszahler der European Space Agency (ESA) und größte Industrienation in Europa sollte es schließlich unser Anspruch und Ansporn sein, eine entsprechende Startmöglichkeit in Deutschland zu realisieren.

EINE POLITISCHE FRAGE Regierungen und staatliche Institutionen werden trotz zunehmender Kommerzialisierung auch in Zukunft eine wichtige Rolle in der Raumfahrt spielen. Sie schaffen den rechtlichen Rahmen, stellen die notwendige Startinfrastruktur zur Verfügung und fungieren als Ankerkunde. Im Gegenzug profitieren staatliche Institutionen davon, schneller konkret nutzbare Produkte und Dienstleistungen zu erhalten und vermeiden eigene Entwicklungsrisiken. Die Kooperation von SpaceX mit der NASA ist das beste Beispiel dafür, wie sich dieser Systemwechsel erfolgreich vollzieht. Die amerikanische Raumfahrtbehörde hat die Rakete, die die Astronauten zur ISS brachte, nicht mehr selbst entwickelt. Stattdessen hat sie einen Wettbewerb initiiert und private Unternehmen mit der Realisierung beauftragt. Ausschreibungen, die Bereitstellung der Startrampen auf dem Weltraumbahnhof in Cape Canaveral und Abnahmegarantien durch die USRegierung haben den Aufstieg von SpaceX und Co. sowie viele Innovationen erst ermöglicht. In einer vom BDI durchgeführten Umfrage sprechen sich 93 Prozent der befragten deutschen Raumfahrt-Unternehmen für einen Systemwechsel nach US-Vorbild aus. Die Corona-Pandemie zeigt, wie wichtig strategische Souveränität in kritischen Bereichen ist. Raumfahrt gehört zweifelsfrei dazu. Bei kleinen Trägerraketen ist Deutschland in Europa führend. Dieses Momentum sollten wir jetzt nutzen, statt wie in vielen anderen Bereichen zu beklagen, den technologischen Anschluss verloren zu haben. Die Realisierung eines kleinen deutschen Offshore-Weltraumbahnhofs ist keine technische, sondern eine politische Frage. Die Bundesregierung sollte deshalb jetzt die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen und den Aufbau der kritischen Startinfrastruktur aktiv unterstützten, damit private Anbieter mit ihren kleinen Raketen von Deutschland aus starten können. 

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