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Mentoring für Expats

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IVS-Mitglieder

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Der frühere Cilag-Manager David Bancroft ist seit 2017 als Mentor für Benevol Schaffhausen tätig.

Freiwilliger Begleiter für arbeitslose Expats

Die Vereinigung Benevol Schaffhausen vermittelt Freiwillige für verschiedenste Einsätze. Zurzeit sucht sie berufserfahrene Begleiterinnen und Begleiter für ausländische Hochqualifizierte, die auf Stellensuche sind.

Expats sind Fach- und Führungskräfte, die im Auftrag eines Konzerns oder einer multinationalen Organisation in ein anderes Land geschickt werden. Solche Expats gibt es auch in Schaffhausen. Einige sind schon seit vielen Jahren hier, sind verheiratet, haben Kinder und leben im eigenen Haus oder in der eigenen Wohnung. Wie andere Arbeitnehmende sind auch sie zuweilen von Strukturveränderungen betroffen und müssen sich nach einer neuen Stelle umsehen. Und wie andere Arbeitnehmende haben sie Anrecht auf Arbeitslosengeld und dürfen an Programmen zur Wiedereingliederung teilnehmen. Ein solches ist das Jobjäger-Programm des Arbeitsamts Schaffhausen. Bestandteil dieses Programms ist Tandem, ein persönliches Mentoring für hochqualifizierte Stellensuchende. Es erlaubt ihnen im Zwiegespräch mit einer ehrenamtlichen Begleitperson, individuelle Themen zu bearbeiten, die sie im Rahmen ihrer Stellensuche beschäftigen.

Für Tandem verantwortlich ist Benevol Schaffhausen, die regionale Fachstelle für Freiwilligenarbeit. Die Nachfrage nach dem Mentoring werde in nächster Zeit zunehmen, sagt Benevol-Geschäftsführer Thomas Hauser. Infolge der Corona-Pandemie liege die Zahl der Neuanmeldungen in diesem Jahr höher als in den Vorjahren. «Wir suchen deshalb mehr Mentorinnen und Mentoren, insbesondere für englischsprachige Expats», sagt er.

FÜR DIE FIRMA IN DIE SCHWEIZ GEREIST

Ein solcher Mentor ist der aus Philadelphia stammende US-Amerikaner David Bancroft. Auch er kam als Expat in die Schweiz. Direkt nach seinem Universitätsstudium stiess er zum Pharma- und Konsumgüterkonzern Johnson & Johnson und übersiedelte 1989 in dessen Auftrag nach Schaffhausen. Seither war er in verschiedensten Funktionen für den Konzern tätig, unter anderem als Finanzchef, Managing Director und Verwaltungsratspräsident der Cilag AG.

Nach seiner Pensionierung im Jahr 2015 war für Bancroft klar, dass er sich ehrenamtlich engagieren wollte. «Eigentlich schwebte mir die Betreuung von Tieren vor», sagt er. Im Gespräch mit Benevol erfuhr er, dass es keine solchen Einsätze gab, aber dass seine Fähigkeiten bei Tandem sehr gut zum Ausdruck kämen. Dies ergab umso mehr Sinn, als er bereits während seiner Berufszeit bei einem ähnlichen Programm mitgemacht hatte. «Vor 15 Jahren führten wir bei Johnson & Johnson ein internes Mentoring für eine bessere Karriereplanung ein.» So startete der pensionierte Manager im Jahr 2017 bei Tandem und begleitete seither pro Jahr ein bis zwei hochqualifizierte Personen, insgesamt sieben –je zwei aus der Schweiz und aus Deutschland sowie

«Ich will den Mentees etwas Hilfreiches mit auf den Weg geben.»

David Bancroft

Ehrenamtlicher Mentor je eine aus England, Frankreich und Österreich. Das Durchschnittsalter lag bei 45 Jahren, vier waren über 50.

REGELMÄSSIGER AUSTAUSCH

Bancroft spricht grundsätzlich englisch mit den betreuten Stellensuchenden, den sogenannten Mentees. Auch mit den deutschsprachigen. Die sind es gewohnt, sich auf englisch auszudrücken, und nutzen gerne die Gelegenheit, es zu praktizieren. Ein Coaching dauert jeweils vier Monate. Nach einem Erstgespräch des Mentees mit Kirsten Koffre, der Tandem-Projektleiterin von Benevol, kommt es zu einem sogenannten Matching, bei dem der Mentor dabei ist. Wenn die gegenseitige Chemie stimmt, wird in diesem Gespräch eine Vereinbarung unterzeichnet, bei der sich der Mentor zu Stillschweigen verpflichtet. Die Vereinbarung sorgt auch für eine gewisse Verbindlichkeit und regelt die Möglichkeit eines vorzeitigen Abbruchs, und zwar für beide Seiten. Anschliessend treffen sich Mentor und Mentee – je nach Bedarf – alle ein bis zwei Wochen. «Man versucht, sich regelmässig zu sehen», sagt Bancroft. Die Initiative überlasse er aber jeweils dem Mentee.

Die Motivation, sich kritisch zu hinterfragen und offen zu sein für ein Feedback von aussen, sieht

er als eine wichtige Voraussetzung für die gemeinsame Arbeit. Bis vor einem Jahr fanden die Treffen in einem Sitzungsraum der Benevol-Geschäftsstelle statt oder im Rheinschulhaus. Manchmal kam man auch in einem Café oder in Form eines «walking meeting» am Lindli zusammen. Seit Corona trifft sich der Amerikaner mit den Mentees nur noch virtuell, entweder per Telefon oder Skype.

David Bancroft sieht seine Aufgabe darin, den Mentees Mut zu machen. «Wenn man keinen Job hat, kann einen das aus der Bahn werfen», sagt er. «Einige haben seit 10 bis 15 Jahren nie mehr einen Job gesucht.» Im Gespräch versucht er, den Stellensuchenden zu helfen, sich nicht nur im angestammten Bereich umzusehen, sondern ihr Blickfeld zu weiten. Sind sie offen für ein anderes Fachgebiet? Sind sie bereit, an einen anderen Ort zu ziehen, allenfalls auch in einen anderen Sprachraum? Obwohl die Stellensuchenden im Rahmen des Jobjäger-Programms ihre Bewerbungsunterlagen auf den neuesten Stand setzen, schaut sich David Bancroft ihren schriftlichen Lebenslauf an. Wichtig sei, nicht nur den Jobbeschrieb aufzulisten, sagt er. «Die Leistung, die man an den jeweiligen Stellen erbracht hat, muss ebenfalls erkennbar sein.» Und zwar möglichst auf den ersten Blick. Denn bei der Auswahl der Dossiers hätten die Personalverantwortlichen nicht viel Zeit. Aus eigener Erfahrung wisse er, wovon er rede. «Über die Jahre habe ich etliche Leute eingestellt.»

EHRLICHKEIT IST SEHR WICHTIG

Der frühere Cilag-Manager konnte einigen der betreuten Personen sein berufliches Netzwerk zugutekommen lassen. «Ein paar Male konnte ich ein Jobinterview vermitteln. Aber am Schluss hat es nur bei einer Person Früchte getragen.» Kommt es zur Zusage für eine neue Stelle, dann sei es auch für den Mentor oder die Mentorin ein Erfolgserlebnis und die Belohnung für den geleisteten Einsatz.

Mentoren wie David Bancroft hat Benevol Schaffhausen zurzeit 45. Unter ihnen sind Alain Ritter, früherer GF-Personalchef, Jürg Rebsamen, früherer IT-Entwickler mit Führungserfahrung im Banking und Urs Wohlgemuth, Geschäftsführer des Druckwerks Schaffhausen. Je nachdem, welche Bedürfnisse der Stellensuchende hat und in welcher Branche er tätig ist, wird der eine oder andere Mentor angefragt. «Eine Anforderung an die Mentorinnen und Mentoren ist Offenheit und Ehrlichkeit gegenüber den Mentees – und umgekehrt», sagt Thomas Hauser, der vor seiner Ernennung zum BenevolGeschäftsführer selbst Verantwortlicher für das Tandem-Programm war und deshalb bestens weiss, wovon er spricht. Weiter müssten die Mentoren entweder im Berufsleben stehen oder erst seit Kurzem pensioniert sein. «Es ist wichtig, dass seitens des Mentors ein starker Bezug zur Arbeitswelt besteht.» Das sei aber gleichzeitig eine Herausforderung, da die Berufstätigen ausreichend mit Arbeit eingedeckt seien und nicht unbedingt noch mehr Verpflichtungen suchten.

Das Mentoring biete aus seiner Sicht ideale Rahmenbedingungen, sich freiwillig zu engagieren – auch für beruflich oder privat sehr eingebundene Personen. Der Einsatz sei zeitlich begrenzt und das Matching von Mentee und Mentor erfolgt gänzlich nach den Bedürfnissen und Wünschen beider Seiten.

FACHSTELLE FÜR FREIWILLIGENARBEIT – Die Vereinigung Benevol Schaffhausen ist Ansprechpartnerin für Freiwillige, Institutionen, Kirchen, Vereine, Behörden, Politik und die Öffentlichkeit. Personen, die sich als Mentoren für das Tandem-Programm zur Verfügung stellen möchten, können mit der Projektverantwortlichen Kontakt aufnehmen: Kirsten Koffre, Benevol Schaffhausen, Fachstelle für Freiwilligenarbeit, Krummgasse 13, Schaffhausen, info@benevol-sh.ch

TandemProgramm: «Wir haben eine gute Erfolgsquote.»

Thomas Hauser

Geschäftsführer Benevol Schaffhausen

MENTOREN UNTEREINANDER VERNETZT

Vom Tandem-Programm, das 2012 ins Leben gerufen wurde und seither etwa 400 Stellensuchende begleitet hat, ist Hauser sehr überzeugt: «Wir haben durchweg gute Rückmeldungen. Und wir haben eine gute Erfolgsquote.» 2019 sei sie bei über 70 Prozent gelegen. Letztes Jahr jedoch sank sie auf unter 50 Prozent. Grund war Corona. «Viele Unternehmen waren zurückhaltend mit der Besetzung neuer Stellen.» Ziel der viermonatigen Begleitung ist entweder eine neue Stelle, eine Verselbständigung oder der Entscheid, eine Ausbildung zwecks Neuorientierung zu starten.

Laut Hauser profitieren die ehrenamtlich tätigen Mentoren ebenfalls von Tandem. Dreimal im Jahr wird ein Treffen der Mentoren organisiert, bei dem sie die Möglichkeit haben, Erfahrungen auszutauschen und sich zu vernetzen. Bei einem weiteren Treffen wird ihnen mit einem Essen für ihr Engagement gedankt. Viele Mentoren haben laut Hauser ein grosses Interesse an anderen Lebensgeschichten. Sie seien in ihrem eigenen Berufsleben oft auf der Sonnenseite gestanden und seien froh, anderen ein bisschen von diesem Glück abzugeben. Ähnlich tönt es bei David Bancroft: «Ich will etwas zurückgeben. Den Mentees etwas Positives, Hilfreiches mit auf den Weg geben.» Er selbst lerne auch dabei. Da er sich immer noch für das Thema Recruiting, die Personalgewinnung, interessiere, bleibe er auf dem Stand des neuesten Wissens. 

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