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Humanistic at the Core

Edward Said believed that the essence of a good education is humanistic, and that excellence is only achieved through discipline, perseverance, and focus.

Around 30 years ago, the director of the National Conservatory in Ramallah was having trouble recruiting music teachers from abroad. Edward mentioned this to his friend Daniel Barenboim who, quickly and efficiently, devised a system of sending teachers from Europe to Ramallah to teach at the Conservatory. This was the first collaboration between these two exceptional friends in Palestine/Israel.

The West-Eastern Divan Orchestra, which they co-founded, was the result of a workshop that took place in Weimar in 1999. Three years later, the Andalusian government in Spain offered the orchestra and its related programs a home in Sevilla. The initial workshop held there included two groups of talented young musicians, one from Ramallah and the other from Nazareth. (I highly recommend watching the film Knowledge Is the Beginning, which tells the story of the Divan’s early years and in which you can see the smiling faces of these young musicians with Maestro Barenboim conducting.)

The Fundación Barenboim-Said, established and registered in Spain, was our visionary early supporter overseeing the management of the two programs in Ramallah and Nazareth.

The Ramallah program in particular was growing very fast, and in 2012, Barenboim-Said for Music (BSFM) was registered as an independent entity in the occupied territories. Around the same time, the Barenboim-Said Akademie in Berlin was in the process of being born. In order to create and nurture a wider pool of candidates for the Akademie and the West-Eastern Divan Orchestra, we needed a music school of a high standard that would provide first-class musical education to students from the West Bank.

In 2015, Liina Leijala was appointed as the first female executive and artistic director for the organization and the Barenboim-Said Center for Music (as the school itself is known). In 2019, we received a generous grant from the German Federal Foreign Office to support the Filasteen Young Musicians Orchestra. Another significant milestone was reached the following year with a four-year grant to the Berlin-based Daniel Barenboim Stiftung to support BSFM and its programs.

The teaching curriculum at the Barenboim-Said Center for Music aims for musical excellence. The students receive eight years of demanding and rigorous training, followed by a music diploma. The curriculum also includes two workshops per year, after which the Filasteen Young Musicians Orchestra goes on tour in the West Bank.

—Mariam C. Said

Musik als Tor zur Welt

Ein Gespräch mit Nabil Shehata

Im November 2020 hätte das Filasteen Young Musicians Orchestra erstmals im Pierre Boulez Saal spielen sollen – nach pandemiebedingter Absage kann dieses besondere Debüt heute endlich stattfinden. Die musikalische Leitung des Konzerts übernimmt Nabil Shehata, der dem Saal und der Barenboim-Said Akademie eng verbunden ist. Er sprach Ende Mai mit Michael Kube.

Herr Shehata, wie kam der Kontakt zum Filasteen Young Musicians Orchestra zustande?

Die Verbindung ergab sich über das West-Eastern Divan Orchestra, in dem ich bis 2011/12 gespielt habe. In dieser Zeit war ich immer wieder in Jerusalem bei dem von Elena Bashkirova geleiteten Festival dabei. Damals bin ich oft nach Ramallah gefahren und habe mir dort auch das Barenboim-Said Center for Music angeschaut, das seit 2003 existiert. So konnte ich mitverfolgen, was dort entstanden ist und wie die jungen Musiker:innen sich entwickelt haben. Dass man inzwischen ein Kammerorchester aus eigenen Kräften formen kann, aus jungen Palästinenser:innen, die dort ausgebildet werden, finde ich sehr bemerkenswert. Die Besten haben es hier an die Barenboim-Said-Akademie in Berlin geschafft. Durch diese Vorgeschichte ergab es sich, dass ich das Orchester bei seinem ersten Auftritt im Pierre Boulez Saal dirigieren darf. Ich bin sehr glücklich darüber und es ehrt mich sehr, dass Daniel Barenboim mir das anvertraut hat. Ich glaube aber auch, dass sich meine jungen Kolleg:innen genauso freuen, weil sie wissen, dass ich selbst ägyptische Wurzeln habe und lange Mitglied im West-Eastern Divan Orchestra war. Sie kennen mich als Coach, sie wissen, dass ich nicht als jemand sozusagen von außen zu ihnen komme und dass ich mit der ganzen Geschichte vertraut bin. Umgekehrt weiß ich aber auch, wie die jungen Leute in Ramallah und Umgebung leben, wie der Unterricht abläuft, ich kenne die Umstände vor Ort und bin vielen von ihnen schon begegnet, als sie noch kleiner waren.

Welche Rolle spielt die westliche klassische Musik in Ramallah ganz allgemein?

Es gibt natürlich Konzerte, aber nicht mit der Infrastruktur, wie wir sie in Europa kennen. Die Herausforderungen sind sehr vielfältiger und auch persönlicher Natur. Das beginnt mit dem Pass: Manche Menschen in Palästina haben einen israelischen Pass, andere nicht. Wer einen solchen Pass hat, darf über die Grenze reisen. Der größte Teil der jungen Musiker:innen, die in Ramallah leben, haben diese Möglichkeit aber nicht und können z.B. nicht nach Jerusalem oder Tel Aviv fahren, um dort Unterricht zu nehmen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir vor Ort etwas aufbauen.

Das bedeutet auch, dass die Reise nach Berlin mit logistischen Herausforderungen verbunden war.

Es ist kompliziert. Ich selbst wurde z.B. gefragt, ob ich über Tel Aviv einreisen darf oder den Landweg über Amman nehmen muss – was viel länger dauert und beschwerlicher ist. Ich habe einen deutschen Pass, das macht es für mich erheblich einfacher. Aber ich erinnere mich sehr gut an das Konzert 2005 mit dem Divan in Ramallah. Damals war es extrem schwierig und wir mussten uns für die Anreise in verschiedene Gruppen aufteilen.

In gewisser Weise stellt die Musik für diese jungen Leute das Tor zur Welt dar. Sie haben die Hoffnung, irgendwann so gut zu spielen, dass sie ein Stipendium bekommen und z.B. an der Barenboim-Said Akademie studieren können, um nach ihren Abschluss vielleicht eine Stelle in einer Orchesterakademie oder einem Orchester anzutreten. Andererseits war es schon seit den frühen Jahren des West-Eastern Divan Orchestra immer Teil der Idee, dass einige Absolvent:innen wieder zurück in ihre Heimat gehen und dort das, was sie in Europa an den Hochschulen gelernt haben, als Lehrer:innen an die nächste Generation weitergeben und damit das musikalische Selbstverständnis in ihren

Ländern stärken. Das sind sehr persönliche Entscheidungen: Will ich das Wagnis eingehen, etwas aufzubauen, oder könnte ich in Deutschland eine Stelle im Orchester haben? Manche haben sehr erfolgreiche Wege eingeschlagen, wie etwa der Pianist Karim Said, der das Amman Chamber Orchestra gegründet und das Amman Institute for Performing Arts initiiert hat, wo er als musikalischer Leiter wirkt und unterrichtet.

Ihre Arbeit im West­Eastern Divan Orchestra haben Sie bereits erwähnt. Heute sind Sie Professor für Kontrabass an der Barenboim­Said Akademie, außerdem Chefdirigent der Philharmonie Südwestfalen. Und es gibt eine enge Verbindung zu Daniel Barenboim. Wie haben Sie sich kennen gelernt?

In diesem Sommer ist es 20 Jahre her, fast auf den Tag genau mit dem heutigen Konzert, dass ich Daniel Barenboim das erste Mal begegnet bin. Es war Anfang Juli 2003, ich war gerade 20 Jahre alt und hatte als Kontrabassist ein Vorspiel bei der Staatskapelle Berlin. Es ging damals nur um eine Akademistenstelle –stattdessen hat man mir sofort einen Solovertrag für ein Jahr angeboten! Ich sollte auch gleich mitfahren auf Tournee nach Spanien. Also dachte ich: Gut, dort kann ich dann Daniel Barenboim vorspielen. Um es kurz zu machen: Ich fand mich tagsüber in Madrid auf der Bühne wieder, und im Auditorium saß nicht nur Herr Barenboim, sondern auch das ganze Orchester. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass es ein richtiges Probespiel wird und wusste damals noch nicht, dass der Chefdirigent bei jeder Einstellung ein Veto geltend machen kann. Doch es lief sehr gut, und hinterher fragte mich Daniel Barenboim, woher ich käme. Als er hörte, dass ich ägyptische Wurzeln habe, sagte er sofort: „Sie müssen mitkommen zum West-Eastern Divan Orchestra.“ Ich war gerade ein Dreivierteljahr in Berlin und hatte keine Ahnung, was für ein Orchester das ist. „Es wird Ihnen gefallen“, sagte er. „Es geht sofort los, nach dieser Reise gehen wir für sechs Wochen mit dem Divan auf Tournee.“ – „Aber Anfang September ist der ARD-Wettbewerb, dort wollte ich mitmachen.“

– „Sie wollen doch nicht den ganzen Sommer in Berlin sitzen und üben?“ (lacht) Tatsächlich hatte ich das vorgehabt. Aber Daniel Barenboim hat mich gelockt – auch damit, dass er mich am Klavier begleiten wollte. Da sagte ich mir: Vergiss den Wettbewerb. Kein Bassist hat je mit Herrn Barenboim gespielt. So hat unsere Zusammenarbeit begonnen, und da ich mich auch mit seinen Söhnen gut verstand, hat sich über die Jahre eine enge Beziehung entwickelt. Den ARD-Wettbewerb habe ich damals trotzdem gewonnen.

Bis 2008 waren Sie dann erster Solokontrabassist bei den Berliner Philharmonikern, haben diese Position aber aufgegeben, um zu dirigieren … Auch dazu hat mich Daniel Barenboim ermutigt, als ich ihm erzählte, dass ich das schon als Jugendlicher machen wollte. Früher war es so, dass man für ein Dirigierstudium immer im Hauptfach Klavier vorspielen musste. Das hätte ich wahrscheinlich noch hinbekommen, aber dann wäre das Korrepetieren dazugekommen und ich hätte meine Tage am Klavier verbracht statt am Bass. Als ich mit Herrn Barenboim darüber sprach, der selbst ja nicht durch die deutsche Kapellmeisterschule gegangen ist, schaute er mich erstaunt an und sagte: „Was hat denn Klavierspielen mit Dirigieren zu tun? Ich bin kein ganz schlechter Pianist, aber ich habe noch nie ein Orchesterwerk auf dem Klavier gespielt. Um eine Partitur zu lernen, kommt es darauf an, dass man sie lesen kann.“ Mir wurde klar, dass er Recht hat und mich das nicht hindern musste, nur weil es in Deutschland so ist. Ich habe dann einige Meisterkurse als Dirigent absolviert, und bevor ich im Herbst 2019 meine Stelle bei der Philharmonie Südwestfalen antrat, noch eine Assistenz bei Herrn Barenboim an der Staatsoper hier in Berlin gemacht, weil ich lernen wollte, wie so ein Haus funktioniert. Ich bin ihm zu großem Dank verpflichtet, dass er mir den Weg und den Kopf frei gemacht hat. Mit diesem Konzert im Pierre Boulez Saal schließt sich insofern wirklich ein Kreis.

Auf dem Programm stehen drei Werke von Mozart – eine Herausforderung?

Mozart ist immer eine Herausforderung. Er ist am schwersten zu spielen, weil man eine sehr gute Bogentechnik braucht. Haydn ist vielleicht noch schwieriger, bei ihm ist alles extrem offen und durchsichtig. Aber Mozart ist im Vergleich mit anderer Musik für junge Musiker:innen zugänglicher. Deshalb haben wir die „große“ g-moll-Symphonie aufs Programm gesetzt. Es war ein Wunsch des Orchesters, dem ich gerne nachgekommen bin.

Einige der Musiker:innen haben das Stück schon vor zwei Jahren im Wiener Musikverein gespielt. Sie fühlen sich wohl damit, weil sie wissen, wie das Werk funktioniert. Außerdem haben wir zwei sehr gute Klarinettisten, die wir hier einsetzen können.

Wie sind die Proben organisiert?

Das Orchester probt zuerst in Ramallah und studiert die Werke ein. Ich selbst arbeite in Berlin mit knapp einem Dutzend Musiker:innen der Barenboim-Said Akademie, die gewissermaßen das der Editionsleitung der Neuen Schubert­Ausgabe, Herausgeber zahlreicher Urtext-Ausgaben und Mitarbeiter des auf klassische Musik spezialisierten Berliner Streaming-Dienstes Idagio. Seit 2015 konzipiert er die Familienkonzerte der Dresdner Philharmoniker. Er ist Juror beim Preis der Deutschen Schallplattenkritik

Rückgrat das Orchesters bilden. Dann fliegen wir gemeinsam nach Ramallah, wo die Tutti-Proben stattfinden. Auch unser Violinsolist Milan Al-Ashhab wird kommen. Schließlich gibt es ein erstes Konzert in Ramallah, und eine Woche später treffen wir uns alle in Berlin wieder.

Ihre Aufgabe ist nicht nur eine künstlerische, sondern auch eine pädagogische. Wie bereiten Sie sich darauf vor?

Zunächst sehe ich das Ganze als Workshop. Natürlich müssen wir eine gute Leistung abliefern, aber mir ist vor allem wichtig, dass die jungen Musiker:innen etwas lernen, auch über das Projekt hinaus, das sie für sich selbst nutzen können. An die Probenarbeit werde ich eher kammermusikalisch herangehen: Es kommt darauf an, aufeinander zu schauen und zu hören, darauf zu achten, dass man den gleichen Bogenstrich hat und nicht einfach nur nach vorne zu gucken und meinen Schlag zu übernehmen. Auch die Dramaturgie der Musik spielt eine Rolle, ganz besonders bei Mozart. Man muss verstehen, was passiert, wo die Höhepunkte sind, wo es sich entspannt. Wenn ich selbst ins Konzert gehe, denke ich nicht: Oh, da spielt ein Orchester perfekt zusammen, das ist toll. Wenn ich aber eine schöne Klangfarbe wahrnehme, einen gewissen Schmelz, wenn die Musik mich berührt – dann bin ich glücklich. Das alles ist natürlich viel Arbeit. Aber ich bin kein Verfechter davon, alles 30 Mal zu wiederholen, bis es wirklich einrastet. Ich sage eher: Lernt miteinander zu atmen, miteinander zu schwingen. Dann finden wir einen gemeinsamen Groove, und dann wissen wir, dass wir zusammenspielen. Das ist viel wichtiger.

Dr.