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La Venexiana
Musikalische Liebeskämpfe
Madrigale von Barbara Strozzi und Claudio Monteverdi
Michael Horst
Eine musikalische Hommage an die Heimatstadt: Venedig steht ganz im Mittelpunkt des heutigen Konzerts von La Venexiana. Dabei steht für die Lagunenstadt in der Zeit nach 1600 natürlich vor allem Claudio Monteverdi, der über mehr als vier Jahrzehnte, bis zu seinem Tod 1647, dem musikalischen Leben Venedigs seinen Stempel aufgedrückt hat. Den Schwerpunkt des Programms legt La Venexiana allerdings auf Werke Barbara Strozzis, jener bemerkenswerten Frau, der es gelang, sich mit Können, Geschick und Hartnäckigkeit Zugang zu den von Männern dominierten Bereichen des Musiklebens zu verschaffen. Ihr 400. Geburtstag, den wir dieses Jahr feiern, ist eine willkommene Gelegenheit, den Blick auf das Leben und Schaffen dieser außergewöhnlichen Komponistin zu richten.
Auftakt und Abschluss des sinnreich komponierten Programms bilden jeweils zwei Madrigale des älteren Monteverdi. Viele Jahre waren seit seinem ersten Madrigalbuch von 1587 vergangen – Jahre, in denen eine musikalische Zeitenwende ihren Lauf nahm. Hatte Monteverdi zu Beginn seiner Laufbahn noch ganz der kontrapunktischen, in horizontalen Linien gestalteten Madrigalpolyphonie gehuldigt, wurde er nach 1600 zum Mitgestalter jener „seconda pratica“, jenes neuen Stils, der stärker auf vertikale, harmonisch klare Strukturen setzte und dabei auf dem Fundament des Basso continuo aufbaute, der zum Markenzeichen der Barockmusik werden sollte.
Hinter dem poetischen Titel Madrigali guerrieri et amorosi (Madrigale von Krieg und Liebe) verbirgt sich das Achte Madrigalbuch, das der schon 71-jährige Komponist 1638 veröffentlichte. Von Altersmüdigkeit jedoch keine Spur, ganz im Gegenteil: Zwei Jahre später sollte noch die Oper Il ritorno d’Ulisse in patria, 1642 dann L’incoronazione di Poppea folgen, Werke die gemeinsam mit dem 1607 entstandenen L’Orfeo – nur diese drei Bühnenwerke sind erhalten – Monteverdis Ruf als Mitschöpfer des Musikdramas begründen. Und auch das Achte Madrigalbuch, das die dramatische Szene Combattimento di Tancredi e Clorinda und als großes Finale den Ballo delle Ingrate einschließt, schöpft noch einmal aus dem Vollen.
Das alte Thema des Liebeskampfes variiert das Madrigal Altri canti di Marte: Mögen andere von Mars und seinen schrecklichen Triumphen singen, erzählt der Dichter lieber „eine unglückliche und doch wahre Geschichte“, und zwar die von seiner aus Liebe „traurigen Seele“ und den „bitteren Tränen“, die statt Blut geflossen sind. Monteverdi breitet ein ganzes musikalisches Panorama aus, das dem kriegerischen Charakter des Beginns ebenso Tribut zollt, wie er andererseits die Worte „io canto“ (ich singe) ausführlich zelebriert. Verschiedene Themen überlagern sich, Imitationen der Stimmen beleben den Satz ebenso wie ein dem Bass zugedachtes Solo. Immer wieder überrascht der Komponist mit neuen Wendungen, mit denen er das alte Material aus der polyphonen Zeit in die moderne Form umgießt.
Lieblichen Charme versprüht dagegen Chiome d’oro (Goldenes Haar) aus dem Siebten Madrigalbuch von 1619, dessen allgemeiner Titel „Concerto“ auf die Vielfalt von Besetzungen und Formen abzielt, in denen Monteverdi sich hier erstmals ausprobiert hat. Das Stück spielt mit zwei Singstimmen und zwei Violinen, die in ihren Ritornellen den fröhlichen Lobgesang auf Haar, Augen und Lippen der schönen Geliebten umrahmen.
Variation und Improvisation
Als instrumentale Intermezzi hat La Venexiana Werke eines Nicht-Venezianers, Tarquinio Merula, ausgewählt. Allerdings wurden seine Canzoni, overo sonate concertate per Chiesa e Camera op. 12 ein Jahr vor Monteverdis Achtem Madrigalbuch ebenfalls in Venedig publiziert. Geboren in Busseto – im 19. Jahrhundert durch Giuseppe Verdi berühmt geworden – pendelte Merula als Komponist und Organist im Laufe seines Lebens zwischen Bergamo, Cremona und Warschau. Seinen frühen Vokalwerken ließ er später vor allem Instrumentalstücke folgen, die, wie auch sein Opus 12, für den höfischen wie kirchlichen Gebrauch gedacht waren. Die insgesamt 24 Canzoni fallen nicht nur durch ungewöhnliche Titel wie La gallina (Die Henne), La strada (Die Straße), La Biancha (Die Weiße) und sogar La Merula auf; sie zeigen auch, im Rahmen ihrer Zweioder Dreistimmigkeit, eine auffällige Freude an geschliffenem musikalischem Glanz. In Ruggiero führt Merula dasselbe Prinzip vor, das er in der Ciaccona ausdrücklich beim Namen nennt: Die mehrfache melodische Variation über einen gleichbleibenden Bass – eine Form, im Deutschen als Chaconne bezeichnet, die ursprünglich aus der Tanzmusik stammt, in der Kunstmusik des Barock allerdings zu höchster Virtuosität gesteigert wurde. Jede neue Variation bringt in Ruggiero eine verstärkte Diminution der Notenwerte mit sich; die beiden Violinen steigern sich in schwindelerregende Tempi, hinter denen der konzertante Violone in „seiner“ Variation nicht zurücksteht. In der Mitte der Komposition wird der Zweier- zu einem Dreiertakt – und das Spiel kann erneut beginnen. Auf die Spitze treibt Merula dieses strenge Variationsprinzip in der Ciaccona, in der das nur zweitaktige Bassthema nicht weniger als 32 Mal aneinandergereiht wird, wozu die beiden Violinen und der Violone immer wieder anders rhythmisierte Melodiestimmen beisteuern. Deutlich entspannter geht es im Ballo detto Eccardo zu; hier wird das aus drei separaten Abschnitten bestehende, langgezogene Bassthema insgesamt nur zweimal vorgeführt, wobei – durch die Wiederholungen jedes einzelnen Abschnitts – reichlich Platz für zusätzliche Improvisationen in den Oberstimmen bleibt.
Eine „neue Sappho“
Vieles ist bemerkenswert an Leben und Wirken von Barbara Strozzi. Das beginnt schon bei ihrer unehelichen Herkunft, die ihr jedoch zugleich zum Segen geriet. Denn ihr vermutlicher leiblicher Vater, Giulio Strozzi, adoptierte das Mädchen nicht nur, sondern ließ ihm auch die bestmögliche Ausbildung als Sängerin und Komponistin zukommen. Als Dichter und Übersetzer, vor allem aber als Librettist von Opern Monteverdis, Cavallis und Sacratis in Venedig zu Ansehen gekommen, gründete Vater Strozzi sogar eigens einen privaten musikalischen Salon, die „Accademia degli unisoni“, um Barbara eine Plattform für ihre sängerischen Darbietungen zu schaffen. Diese Erfahrungen dürften nicht wenig dazu beigetragen haben, dass Strozzis Madrigale, Arien und Kantaten gerade in vokaler Hinsicht von großem Einfallsreichtum sind.
Gleichermaßen interessant ist das Schicksal der erwachsenen Barbara Strozzi: Zeitlebens unverheiratet, hatte sie dennoch vier Kinder – von denen drei aus einer langjährigen Liaison mit einem Mann aus der vermögenden venezianischen Familie Vidman stammen dürften. Jüngeren Forschungen zufolge könnte die für ihre Schönheit besonders gerühmte Barbara womöglich auch als Kurtisane ihren Lebensunterhalt verdient haben. Anderseits gelang es ihr, ihre nicht weniger als neun Publikationen eigener Werke mit Widmungen an hochrangige Adelige zu schmücken – von der Großherzogin der Toskana für das Opus 1 (hier dürften Giulios alte Verbindungen nach Florenz eine entscheidende Rolle gespielt haben) bis zu den Arien op. 8, die der Herzogin Sophia von Braunschweig-Lüneburg, einer Musikenthusiastin und Mäzenatin auf Grand Tour durch Italien, zugedacht sind.
Strozzi ist jedoch durchaus nicht die erste Frau, die sich mit eigenen Madrigalen öffentlich präsentierte. Dies Verdienst gebührt Maddalena Casulana aus Florenz, die 1568 in Venedig ihr Primo libro di madrigali publizierte. 1593 folgte eine gewisse Vittoria Aleotti aus Ferrara, vier Jahre später Cesarina Ricci aus Ancona – bei beiden sollten es jedoch einmalige Versuche bleiben. Für Barbara Strozzis Opus 1, gedruckt etwa 50 Jahre später, legte der ehrgeizige Vater Giulio höhere Maßstäbe an: Er dichtete nicht nur eigenhändig alle Texte und betitelte das vorletzte Werk La Vittoria („Der Sieg“, zugleich eine Reverenz an die Widmungsträgerin Vittoria della Rovere), sondern bezeichnete Barbara in dem als programmatische Vorrede gedachten ersten Madrigal prophetisch bereits als „Saffo novella“, als „neue Sappho“.
Eifersucht und keusche Liebe
Später sollte Barbara auch selbst dichten, vorerst beschränkte sie sich noch aufs Komponieren – allerdings auf äußerst fantasievolle Weise, die sie als hellhörige Erbin Monteverdis ausweist. So scheint
Strozzi das originelle Sujet von Al battitor di bronzo (An den bronzenen Türklopfer) besonders herausgefordert zu haben: In einem kunstvollen Duett geben Tenor und Bass all den verzweifelten und wütenden Angriffen auf den stummen Zeugen der unerhörten Liebe Ausdruck. Strozzi liebt es, mit einzelnen Worten zu spielen: die Wiederholungen bei „quante volte“ (wieviele Male), das vokale Umherirren bei „errar“, die Forte-Akzente bei „colpi gelosi“ (eifersüchtige Schläge), die Triller bei „altrui riso“ (der anderen Gelächter). Erst mit der letzten Terzine des Sonetts („ma tu perdona“) ändert sich der Charakter, und das Madrigal klingt in melancholischer Resignation aus. In L’amante modesto (Der bescheidene Liebhaber) fliegen zu Anfang die Noten förmlich davon, Ruhe kehrt erst mit dem Verweis auf die „ossequiosi amori“ (unterwürfige Liebe) ein. Diese „keusche Liebe“ wird von einem zarten Kanon zwischen Sopran und Tenor gespiegelt, die sinnliche Liebe des erfolgreichen Konkurrenten dagegen fünfstimmig ausgemalt. Breiten Raum, chromatisch verdüstert, nimmt die Schlusssequenz „diverso è il nostro stato“ ein: Im Gegensatz zwischen „unkeuscher“ und „keuscher“ Liebe muss letztere in süßester Harmonie verhallen.
Ein Paradebeispiel für Barbara Strozzis musikalische Wortausdeutung ist auch Consiglio amoroso („Liebesratschlag“). Ob „soffrire“ (leidvoll ertragen), „fuggire“ (fliehen) oder „tacer sempre“ (immer schweigen), ob „pianti“ (Tränen), „lamenti“ (Klagen) oder „dimostranze acerbe“ (bittere Vorwürfe): Die Noten „sprechen“ für sich. Erst zur Mitte des Stücks hin erfolgt der Stimmungsumschwung ins Heitere, und in der Freude über die Bestrafung der Wankelmütigen endet das Madrigal mit tänzerischem Schwung. In Priego ad Amore (Gebet an Amor) teilt Strozzi die Verse auf: zuerst die fünfstimmige Anrede des „pietosissimo Amor“ (mitleidvollster Amor), dann die einzeln aufgezählten Eigenschaftes des Gottes, schließlich die Klage der Männerstimmen über „morir“ (sterben) und „languir“ (schmachten) – und zuletzt, als Spiel mit dem eigenen Namen, der mehrfach wiederholte Hymnus auf „Barbara“, die Grausame. Einen eher buffonesken Ton schlägt Gli amanti falliti („Die gescheiterten Liebhaber“) an, in dem die Leiden des ausrangierten Verehrers bezeichnenderweise vor allem den Männerstimmen anvertraut sind. Ins Ohr stechen die harmonischen Kühnheiten bei „miseri e dolenti“ (elendiglich und schmerzvoll), bevor ein Feuerwerk an Koloraturen die Bitten an Amor umrahmt, endlich sein nutzloses Tun einzustellen.
20 Jahre später, 1664, kommt Barbara Strozzis achte Sammlung unter dem schlichten Titel Arie a voce sola (Arien für Solostimme) heraus. Die kompositorische Erfahrung und Weiterentwicklung, welche die Komponistin durchlebt hat, ist nicht zu überhören – schon gar nicht in der umfänglichen „Serenata con violini“ Hor che Apollo è a Theti in seno (Jetzt wo Apoll am Busen der Thetis ruht). Abgesehen von den Ritornellen der beiden Violinen, die das Werk einrahmen, sind vor allem die rezitativischen Abschnitte der Sopranistin – sozusagen in einer Hosenrolle – weitaus kunstvoller als früher ausgestaltet. Ihrer bzw. seiner Hoffnung, doch noch Gehör bei der Geliebten zu finden (Mira al piè tante catene), gibt sie in einer wortreichen Arie Ausdruck. Unvermutet der Wechsel zu den Worten „isfogatevi, spriggionatevi“ (macht euch Luft, befreit euch), weil die Geliebte selbst im Schlaf – die monotone Stimmführung spiegelt es wider – keinerlei Mitleid zeigt. Der Rest dieser großen Szene ist ein herzergreifender Abschied, ein tief empfundenes Lamento, das Barbara Strozzi zu einer der großen Komponistinnen ihrer Zeit macht.
Schmerzlicher Wohlklang
Zum Ende des Programms kehren wir noch einmal zu Monteverdi zurück: Ohimè, dov’è il mio ben aus dem Siebten Madrigalbuch gestaltet der Komponist als echtes Duett für zwei Frauenstimmen, die sich immer wieder gegenseitig ins Wort fallen oder unter unablässigen Seufzern zu schmerzlichem Wohlklang vereinen, um sich ihrer Not über den allzu weit entfernten Geliebten hinzugeben. Als krönenden Abschluss hat sich La Venexiana für Hor che’l ciel e la terra aus dem Achten Madrigalbuch entschieden: so kunstvoll das Sonett von Francesco Petrarca, so farbig Monteverdis Vertonung. Sie beginnt zwar in völliger Monotonie bei der Schilderung der nächtlichen Leblosigkeit von Mensch und Natur, erwacht dann aber zu einem lebhaften Hin und Her der Stimmen, um zu beschreiben, wie der schlaflos grübelnde Verliebte „wacht, sinnt, glüht und weint“ – um schließlich in einer riesigen Schlusskoloratur das letzte Wort „lunge“ (entfernt), ausgebreitet über dreieinhalb Oktaven vom tiefen Bass bis zum hohen Sopran, machtvoll ausklingen zu lassen.