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Children of the Light
Die Mission weiterführen
Children of the Light: Eine Hommage an Wayne Shorter
Kevin Le Gendre
Der Begriff „All Stars“ ist in der Jazzwelt weitgehend aus der Mode gekommen. Doch noch immer gibt es sogenannte Supergroups – Bands, in denen musikalische Größen, die jeder und jede für sich als Bandleader oder Begleiter (oder beides) erfolgreich sind, gemeinsam auftreten. Children of the Light ist ein gutes Beispiel dafür: Das Trio besteht aus dem Pianisten Danilo Pérez, dem Bassisten John Patitucci und – für das heutige Konzert – der Schlagzeugerin Terri Lyne Carrington, die die Position von Brian Blade einnimmt. Sie alle haben seit mehr als 30 Jahren in verschiedensten Formationen immer wieder für Aufsehen gesorgt.
Doch das Zusammentreffen herausragender Musikerinnen und Musiker allein ist noch kein Garant für künstlerischen Erfolg. Zwar treten Pérez, Patitucci und Carrington derzeit zum ersten Mal in dieser Besetzung gemeinsam auf, doch kennen sie einander gut und haben bereits in der Vergangenheit bewiesen, dass die Chemie zwischen ihnen stimmt. Carrington hat zusammen mit Pérez und Patitucci im Wayne Shorter Quartet gespielt, zweifellos eine der bedeutendsten Bands im zeitgenössischen Jazz, und dadurch eine enge Beziehung zu den übrigen „Children“. „Sie war auch an meinem Album Panamonk von 1996 beteiligt und hat oft mit John gespielt“, ergänzt Pérez. „Wir haben eine sehr gute familiäre und musikalische Verbindung, die mindestens 24 Jahre zurückreicht. Außerdem arbeiten wir alle drei am Berklee Global Jazz Institute zusammen.“
Jede Band mit einer solchen gemeinsamen Geschichte bringt zwangsläufig etwas Außergewöhnliches auf die Bühne. Doch Children of the Light ist eine Formation, in der der spezifische Charakter und Geist jedes der drei Mitglieder immer im Dienst eines musikalischen Gedankenaustauschs zum Einsatz kommt. Es geht weniger darum, was diese drei Virtuosen spielen, sondern wie sie es gemeinsam tun – vor allem da die Band ohne festen Leader auskommt. Carrington, Patitucci und Pérez streben nach dem Ideal eines beweglichen, anpassungsfähigen Ensembles, in dem Atmosphäre und Stimmung genauso wichtig sind wie Melodie und Rhythmus.
Für dieses Ideal eines auf gleichberechtigter Zusammenarbeit aufgebauten Ensembles aus Klavier, Bass und Schlagzeug – im Unterschied zum klassischen klaviergeführten Trio mit seiner klaren Hierarchie zwischen den Instrumenten – gibt es bekannte Beispiele, wie etwa ACS, die Gruppe, in der Carrington gemeinsam mit Esperanza Spalding und der jüngst verstorbenen Geri Allen auftrat. Das 2015 unter dem Namen der Band erschienene Debütalbum von Children of the Light war ein klingender Beweis für das Bemühen der Gruppe, sich als Partnerschaft von Gleichgestellten zu präsentieren, in der eine federnde Basslinie ebenso viel Gewicht hat wie eine vorwärtsstürmende Tomtom-Figur oder ein aufblitzender Klaviertriller – der klassische Fall von einem Ganzen, das größer ist als die Summe seiner Teile.
Kraftvoll mit großer orchestraler Geste zupackend, aber auch mit graziöser Intimität weiß sich die Gruppe jeglichen Vokabulars zu bedienen, das kluger zeitgenössischer Improvisation zur Verfügung steht, von Swing und Blues bis hin zu Klassik und Folk. Doch das Entscheidende ist, dass dieses Material nie auf vorhersehbare oder schematische Art und Weise eingesetzt wird. Im Zusammenspiel von Children of the Light bewahren sich Form und Inhalt immer eine große Offenheit. Manche Stücke fließen in gleichmäßigem Tempo mit dezenten Untertönen von Afro- oder Latin-Beats dahin, andere wechseln die Gangart mit herausfordernder Flexibilität und fügen sich damit ein in die Tradition solcher Pioniere wie Bill Evans, Herbie Hancock oder Chick Corea, mit dem Patitucci in jungen Jahren zusammenspielte.
Für Pérez entspringt der Wunsch, impulsiv auf den Moment zu reagieren und im musikalischen Erzählverlauf Risiken nicht zu scheuen, aus der Persönlichkeit der Bandmitglieder und aus der Inspiration, die sie aus ihrer Verbindung zu Wayne Shorter gewonnen haben. „Wir versuchen, Klang- farben und Instrumentenkombinationen zu entdecken, die sich über die traditionellen Rollen im Klaviertrio hinwegsetzen“, erklärt er. „Dieses Trio bringt zum Ausdruck, was wir von Shorter gelernt haben. Er hat uns ermutigt, Musik so zu schreiben und zu spielen, wie wir uns die Welt idealerweise vorstellen. Was uns antreibt, ist der Wunsch, mit unseren Kompositionen Licht und Hoffnung in die Welt zu bringen – und den Gedanken, ‚über die Musik hinaus‘ zu gehen. Das ist es, was er uns gelehrt hat: über Musik nicht nur in musikalischen Kategorien nachzudenken, sondern sie als Mittel zur menschlichen Entwicklung zu verstehen. Für uns geht es darum, Musik zu schaffen, die Menschen zusammenführt, die interaktiv ist, unvorhersehbar, spontan, heilend – die uns aus unserer Bequemlichkeit herausreißt. Wir haben einen eigenständigen Weg gefunden, miteinander umzugehen, deshalb können wir improvisieren, ohne dabei den Groove zu verlieren. Wir nennen dieses spontane Komponieren und Improvisieren gern ‚Komprovisieren‘.“
Jeder, der einen der zahllosen Auftritte des Wayne Shorter Quartet seit seinem Debüt im Jahr 2000 erlebt hat, weiß, dass diese Gedanken ganz sicher nicht belanglos sind. Die Musiker, die heute abend auf der Bühne stehen, haben sie sich vor fast 20 Jahren zu eigen gemacht und sind in dieser Zeit den hochfliegenden Zielen eines Visionärs gefolgt, der selbst vom Genie eines Miles Davis und Art Blakey beeinflusst wurde und auch außerhalb des Jazz sehr fruchtbar mit Künstlern wie Joni Mitchell und Milton Nascimento zusammengearbeitet hat.
Die außermusikalische Motivation von Shorters Quartett, so erklärt Pérez, ist ebenso wichtig wie die musikalische. Zyniker mögen spotten über Künstler, die sich bemühen, mit ihrer Arbeit die Gesellschaft konstruktiv zu verändern. Doch genau das ist das Prinzip, von dem sich der Saxophonist – und überzeugte Buddhist – seit vielen Jahren leiten lässt, und genauso ist es für die Mitglieder von Children of the Light integraler Bestandteil ihres künstlerischen Selbstverständnisses. Patitucci, der zehn Jahre lang als Professor für Jazz am City College in New York lehrte, war eine treibende Kraft hinter der Online Jazz Bass School, die einer möglichst großen Zahl von Interessierten Zugang zu erfahrenen Musikern wie ihm selbst verschaffen soll. Carrington hat sich ihrerseits durch ihr prominent besetztes Mosaic Project nachhaltig für die Position von Frauen im Jazz eingesetzt. Pérez wiederum hat sich nicht nur als unermüdlicher Fürsprecher für soziale Integration in seiner Heimat Panama einen Namen gemacht, sondern dort auch das erste Jazzfestival des Landes ins Leben gerufen und Möglichkeiten für einheimische Musiker geschaffen, sich mit internationalen Stars auszutauschen, um sich musikalisch weiterzubilden. Und er hat immer wieder dazu aufgerufen, Musik als Mittel begreifen, um die Lebensbedingungen und Chancen von Menschen zu verbessern, die in extremer Armut leben. All diese Initiativen wurden 2012 von der UNESCO mit seiner Ernennung zum „Artist for Peace“ honoriert. Pérez, der als Mitglied von Dizzy Gillespies United Nations Orchestra in den späten 80er Jahren aus erster Hand das Gemeinschaftsgefühl über Grenzen hinweg kennenlernte, das Musik auslösen kann, sagte in seiner Dankesrede: „Ich glaube, wenn wir Jazz ins Zentrum musikalischer Ausbildung stellen, können wir damit dazu beitragen, Werte und Einstellungen zu schaffen, die Einfluss auf unsere Beziehung zu anderen Menschen und zur Umwelt haben.“
Sich nach außen hin anderen zuzuwenden, anstatt sich in sich selbst zu verkriechen, ist von entscheidender Bedeutung in einer Zeit, in der sich Intoleranz in der Gesellschaft immer weiter ausbreitet. Dem Bandnamen Children of the Light – eine Anspielung auf Shorters Children of the Night – kommt insofern symbolische Bedeutung zu, als er ein doppeltes Gefühl von Unschuld und Aufwärtsstreben zum Ausdruck bringt, oder vielmehr den Gedanken, dass jüngere Menschen, für die vieles auf der Welt neu ist, trotzdem den älteren, denen es nicht so geht, noch einiges beibringen können.
Künstler, die sich dem Ideal verschreiben, dass Musik politischen Fortschritt bewirken und Solidarität erzeugen kann, laufen manchmal Gefahr zu vergessen, woher sie eigentlich kommen. Die klar artikulierte Überzeugung von Children of the Light ist es, die Erfolge anderer anzuerkennen und denen Respekt zu zollen, die der Band den Weg geebnet haben. Pérez steht an vorderster Front, wenn es darum geht, seine Dankbarkeit für die bis heute bestehende Präsenz des Mannes in seinem Leben und seiner Arbeit zum Ausdruck bringt, den er in vielerlei Hinsicht als Vaterfigur betrachtet – Wayne Shorter. „Seine Gegenwart wird immer in der Musik zu spüren sein. Seine Klänge sind in uns lebendig, während wir uns unserer Musik und unserem Leben widmen, und diese Musik wird sich auch in Zukunft weiterentwickeln. Er hat uns alle unglaublich stark geprägt. Ihm haben wir es zu verdanken, das Leben aus der Perspektive der Musik zu betrachten, und er hat in uns die Fähigkeit geweckt, den Schaffensprozess auf jedem Aspekt unseres Lebens zu übertragen. Mit jeder Note, die Wayne spielt, bringt er den Wert des Lebens zum Ausdruck und unterstützt uns dabei, die Angst vor dem Unbekannten zu überwinden – mit Musik, die sozusagen die Schallmauer durchbricht. Ich weiß, dass John und Terri das genauso sehen. Unser Ziel ist es, diese Mission fortzusetzen.“