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EIN HALBES JAHRHUNDERT LIVE DABEI

Foto: BRPHIL In der erzwungenen Corona-Pause suchte unser Orchester den Kontakt zum Stammpublikum, zum Beispiel mit kleinen „Telefonständchen“. Einer der Anrufe landete bei Christine Dorrer. Wie sich dabei herausstellte, ist sie seit über einem halben Jahrhundert Abonnentin unserer Philharmonischen Konzerte.

Christine Dorrer wurde 1951 in Karlstein geboren, das heute zu Bad Reichenhall gehört. Ihr erstes Abonnement der Bad Reichenhaller Philharmoniker schloss sie mit 16 ab. Es war kein Geschenk, sondern eine Investition. Ihr Vater war Schreiner, bei fünf Kindern blieb nicht viel für solchen Luxus. „Das haben wir uns schon selbst verdienen müssen“, sagt sie heute. Sie hatte gerade die Realschule abgeschlossen und Arbeit in einem Architekturbüro gefunden. 300 DM Gehalt waren auch damals nicht viel. Zu einem Abo entschloss sie sich zusammen mit Freundinnen und der älteren Schwester. Für die Sammelbestellung bekamen sie eine Ermäßigung.

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Nur ein Jahr Pause

Ihr ganzes Leben verbrachte Christine Dorrer in der Kurstadt. Nur ein Jahr war sie fort, als Au-pair-Mädchen in England. Das war auch ihre einzige längere Pause von den Philharmonischen Konzerten. Seit 53 Jahren besucht die Büroangestellte die Konzerte. Mal kam sie mit Freudinnen, von denen einige „abgesprungen“ sind, wie sie sagt, weil sie wegzogen, mal mit der Schwester oder der Mutter. Oder auch allein: „Es war immer eine Erholung für mich, wie Urlaub, ein schöner Abend, an dem ich abschalten kann.“ Sie nahm auch ihren Sohn ab und zu mit, damit er sich ein Bild von der klassischen Musik macht. Früher habe er nur Heavy Metal gehört, inzwischen geht er selbst in Konzerte, wie zuletzt in eines mit Musik von Beethoven und Mozart – auf Neuseeland, wo er zurzeit lebt. Über diese Entwicklung sei sie „ganz stolz“, gesteht sie.

Wie heutzutage gab es stets sechs Philharmonische Konzerte im Jahr. Anfangs, so erinnert sich die heute 69-Jährige, waren es Konzerte mit schöner, unterhaltsamer, leichtgängiger Musik, „mehr für die älteren Damen“. Gerade bei ihnen sei der damalige Chefdirigent Dr. Wilhelm Barth sehr beliebt gewesen. Sie brachten ihm Rosen auf die Bühne im prächtigen Königlichen Kurhaus, wo die Konzerte bis Ende der Achtziger stattfanden.

„Das Orchester ist sehr gut geworden“

Christine Dorrer erlebte seitdem alle Künstlerischen Leiter des Orchesters, Klaus-Dieter Demmler, den „dynamischen“ Thomas Mandl, Christoph Adt und schon ab Mitte der Achtziger Christian Simonis, der in seiner ersten Amtszeit Wilhelm Barth nachfolgte. Später seien auch öfter zeitgenössische Stücke gespielt worden, die so anders waren als die Musik ihrer geliebten Beethoven, Mendelssohn oder Bruch. „Im Radio hätte ich die Stücke weggeschaltet, aber sie live zu hören und zu sehen, wie das Orchester dabei arbeitet, die rhythmischen Instrumente, das war sehr interessant.“

Gerade Christian Simonis habe das Orchester in den letzten Jahren sehr gut in der Hand gehabt. „Das Orchester ist sehr gut geworden, besser als unter Barth“, meint Christine Dorrer und schränkt gleich ein, dass sie eigentlich keine Fachfrau sei, um das zu beurteilen. Manche Musiker sind über die Jahrzehnte vor ihren Augen gealtert, „mitgealtert“, wie sie sagt. „Das fällt einem dann gar nicht so auf.“ Auch das Publikum sei mittlerweile ein anderes als zu Beginn, als „silberblau ondulierte Damen“ in der Überzahl waren. Heute kommen mehr Menschen mittleren Alters, hat sie beobachtet, und auch mehr von außerhalb, etwa aus Traunstein, auch aus München seien Bekannte von ihr zu Konzerten nach Reichenhall gekommen.

Vom neuen Chefdirigenten Daniel Spaw wünscht sie sich, dass das Orchester so gut bleibt, wie es jetzt ist. Und dass es wieder mehr spielen kann, trotz Corona. „Die Situation war einmalig. Die Abokonzerte hat es immer gegeben“, so Christine Dorrer. Beim ersten Konzert nach der Corona-Pause Ende August hatte sie das Gefühl, dass die Musiker darauf brannten, wieder vor Publikum zu spielen. Und dem Publikum habe man nach der Vorstellung angesehen, dass es glücklich war, wieder Musik vor Ort gehört zu haben, und nicht nur im Radio oder im Fernsehen.

Bojan Krstulovic