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Eso und nid anderscht isch es passiert

Liestal Schnitzelbänke in den Beizen EDI

Zehn Bänke waren in ebensovielen Liestaler Beizen am Montagabend unterwegs Es war ein guter Jahrgang, soviel sei vorweggenommen Ein bunter Strauss an Themen die im vergangenen Jahr Geschichte schrieben oder auch nicht Grosse Zeitfragen und kleine Bobo’s haben uns beschäftigt und die Bänkler zum Dichten veranlasst Das Publikum im «Guggenheim» war fachkundig und grosszügig

Hätten die Bänke mehr Verse gehabt, es hätte noch Zugaben gebraucht Vereinzelt gabs vermutlich von der Sorte «Last-Minute-Verse», die jemandem auf der Tour eingefallen sind, Geistesblitze, selbstverständlich undeklariert Parkieren Liestal, die Waldenburgerbahn sowie das ESAF waren

Topthemen

Sozusagen zum Inventar der Bänklerfamile gehören die CHalte Kaffi, die kommentierten das Zeitgeschehen präzise:

Dr Bahnhof Liestal chostet Millione, D’Stroosse düen s’Budget au nid schone S ESAF duet me subventioniere, und für d’Pfleg deu mr nomol applaudiere und die Rehe im Friedhof Hörnli waren ihnen ebenfalls einen Vers wert:

D’Jurassier hei de Hörnli Reh, äne am Röstigrabe es Deheime geh Hörnli und Rösti – mir chönne das nid verstoh, Mir hätte die lieber mit Chnöpfli gno

Die Stedtli Rattä waren auf Reisen:

Z’hinterscht im Waldeburgertal

Agschlage am Latärnepfahl

«Wenn sie wei uf Lieschtel goh Laufe sie dene Gleis dört no»

Auch der Schnitzel Fritz hatte einen Vers zur neuen Bahn im Angebot:

S Waldeburgerli isch neu s Tram nüün zäh

Werum het me däm die Nummere gäh?

Noch e paar Wuche Betrieb, ischs klar so wiit

Will nüün vo zäh mol fahrts gar nit

Pressant hatten es Die Verbissene:

Oh, hätte Sie eus bitte no zwei Franke?

Mir säge jetz scho danke!

Nochhär müen mir dringend goh und das in d Parkuhr ineloh!

Mit lokalen Promis beschäftigte sich dr Whots und dr Äpp

Ych glaub dr Odermatt dä lydet wenn är so schnäll über d Wälle spyydet und dr ander Odermatt – isch käi schnälle dä lyydet zwar au nach jedere Wälle

Der Muser Schang fühlt sich nicht mehr sicher:

I wird überwacht vom Staat, das isch mir ufgfalle Vor der grosse Wanderwägtaflen uf der Wasserfalle

Zwischendurch

EinlauwarmerAbend mitten im Februar und die seltsame Ruhe im siebten Stock des Kantonsspitals Jedoch gibt diese Ruhe kein Gefühl, ruhig zu bleiben Nicht innerlich Ich werfe meinen Blick durchs Fenster hinaus: Die Sicht bereitet mir ein schönes Bild über die Stadt Liestal Da draussen ist die Welt, die andere voll vom Leben und Lebensfreude Der Mensch neigt dazu, das Wort «Leben» eher als positiv anzunehmen, obwohl es ihm nicht nur das Gute und Schöne verspricht Seit seiner Geburt bedeutet das Leben den Überlebenskampf: um seine Existenz, um sein Bestehen und Werden Wie viel Platz wohl die Lebensfreude darin haben kann?

Dört druf isch näb me rote Punkt «Ihr Standort» gschriibe gsi Gseesch, hani gsäit, die Cheibe wüssen immer, won i bi und schliesslich noch dieser:

D Schuggerei isch knapp bi Kasse und lydet schynbar Not

Dass bald an jedem zweiten Eggen e Blitzerchaschte stoht Drum do für Pole und Rumäne diskret e chleine Stupfer

Es het im Fall in jedem Blitzer hundert Kilo Chupfer

Wann verabschiedet sich der Mensch von seiner Lebensfreude und von dieser Welt? Erst mit seinem Ableben oder bereits gedanklich noch vor diesem unvermeidlichen Akt? Hat der Mensch seinem Leben zu verdanken oder es zu verfluchen? Dass man mit Leib und Seele letztendlich sich auf die Niemehr-Zurückkommen-Reise begibt Egal wie lang man lebt, auch wenn man neunundneunzig ist, hat man eigene Ziele So wie auch die Greise die ich an diesen Tagen besuche «Jo, wenn ich scho nünenünzig bi, will ich au hundert wärde» – hat sie bis heute immer wieder gepflegt zu sagen Manche Menschen haben so satt von ihrem Leben, doch auch sie tragen in sich nur einen Wunsch, am Leben zu bleiben Der versteckte Begleiter die Angst, wird sichtbar Man kennt die Angst zu springen, z B aus dem siebten Stock, obwohl man es nicht will Es ist nicht die Frage, ob man dieses hohe Alter auch erreichen kann Nein Man fragt sich, wie man sein Leben geführt und mit welchen Inhalten gefüllt hat Warum der Rucksack manchmal so schwer zu tragen war? Jeder Mensch verdient es, auf würdige Weise diesen Rucksack abzulegen So kommt zuletzt die Medizin als einziger Befreier von allem seelischen und physischen Lasten eines Menschen Die Schmerzmittel sind stark genug, die Realität angesichts des Todes auszulöschen und dem Menschen doch noch einen würdigen Abschied vom Leben zu ermöglichen KO SYN SCHNEIDER

Feuerwagen rollten durchs Törli

Dr Whots und dr Äpp

Vaters Kiste – Lukas Bärfuss in der Kantonsbibliothek

URSULA HANDSCHIN

In Afrika erreichte ihn die Nachricht, dass sein Vater gestorben sei, der grosse

Abwesende seiner Kindheit und Jugend

Die Idee, die Geschichte seines Vater und seiner Vorfahren aufzuarbeiten wurde beim 1971 in Thun geborenen Lukas Bärfuss durch den Inhalt einer geheimnisvollen Kiste ausgelöst Sein einziges

Erbe, denn das Übrige schlug er damals aus, denn sein Vater hatte vorwiegend Schulden hinterlassen Cedric Lutz begrüsste den bekannten Autor, Dramatiker, Romancier, Essayist und Dramaturg im Namen der Kantonsbibliothek Liestal und stellte ihn dem zahlreichen Publikum vor, indem er dessen zahlreich erhaltenen Preise und Ehrungen aufzählte

Wenn man seine bisher erschienenen Werke auf dem Büchertisch der Buchhandlung Rapunzel betrachtete, die alle grosse Beachtung gefunden haben und hochgelobt und gerne gelesen werden, erstaunt es, dass der gleiche Mann so lange orientierungslos nach seiner Bestimmung gesucht hatte

An diesem Abend erfuhr man mehr darüber Über seine schwierige Kindheit und Jugend, die er auf der Strasse verbrachte, währenddem sein Vater mehrfach im Gefängnis einsass und zuletzt als Obdachloser starb – fern von der Familie Schon dessen Vater war ein Heimatloser und Vagabund gewesen der aber der Geschichten wegen, die er erzählte, ein gern gesehener Gast war zu einer Zeit, in der die Menschen die Neuigkeiten noch durch diese Herumziehenden erfuhren Bei dieser Gelegenheit wurde der Vater von Bärfuss gezeugt Von dessen Erzählkunst hat er wahrscheinlich das Talent dazu geerbt abgesehen von der mysteriösen Kiste Die wagte er allerdings erst nach 25 Jahren zu öffnen, aus Angst Unrühmliches darin zu finden Die Dokumente und Schuldbriefe, die er entdeckte, eröffneten ihm einen bisher unbekannten Teil seiner Vergangenheit Er fühlte sich seinem Vater verbunden durch das Schick- sal, das ihm eine Zeit lang auch fast geblüht hätte, als er ziellos und abgebrannt ein paar Jobs ausprobierte Durch die Anstellung in einer Buchhandlung fand er zum Schreiben, was ihn rettete und ihn letztlich bekannt und berühmt machte Seine Lebenserfahrung lässt ihn schreibend kritisch und hart ins Gericht gehend mit den Menschen im Westen, wie sie miteinander, der Dritten Welt und mit der Umwelt umgehen Die Aussagen seiner Bücher gehen unter die Haut und lassen niemanden unbeeindruckt

In der Fragestunde äusserte er sich über das ihm am Herzen liegende Thema, das Erben von Vermögen Dessen Ungerechtigkeit, die so viel Streit erzeugt, ob in Familien oder in der Welt und deshalb ein Sicherheitsproblem darstellt Ebenso der unbeschreiblich viele Müll, den unsere Generation den Nachgeborenen hinterlässt

Eine weitere Sorge ist ihm unsere Abhängigkeit vom Öl Er wünscht sich eine Bildungsreform für systemisches und kritisches Denken Auch dass man, wie in der Pflege, den Menschen ganzheitlich sieht und ihm so am besten helfen kann Ein sehr beeindruckender Abend, der zum Mitdenken anregte; was Bärfuss ein sicht- und hörbares Anliegen ist

Nach dem letztjährigen reduzierten Chienbäse konnte der Liestaler Traditionsanlass dieses Jahr wieder in der vollen Grösse stattfinden Das Stedtli war am Sonntag gepackt mit Zuschauenden von Nah und Fern und diesmal durften auch wieder die Feuerwagen mitfahren Die rund 300 Teilnehmenden zogen kurz nach 19 Uhr von der Burg durchs Törli in die Altstadt bis zum Gestadeckplatz