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Hilfe statt Straße

HILFE STATT STRASSE

Manche fallen durchs Raster: junge Menschen, die auf dem Weg in ein selbstständiges Leben vom Kurs abkommen. Ohne Wohnung, ohne Arbeit, ohne Plan dastehen. So beginnen Straßenkarrieren. Eine neue Initiative will das verhindern.

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Im Frühjahr dieses Jahres stand Steffen vor dem Nichts. Er war 22 Jahre alt, hatte keine Wohnung, nicht einmal mehr einen Schlafplatz, keine Ausbildung und keine Arbeit, er bezog weder ALG II noch Grundsicherung, hatte keine Krankenversicherung und keinen Plan, was er mit seinem Leben anfangen sollte. In dieser Situation stieß Steffen auf das neue Angebot von »AufKurs!«.

Die neue Einrichtung residiert in einer ehemaligen Sparkassenfiliale in Hannovers Calenberger Neustadt. Das wirkt von außen nicht sonderlich einladend und vielleicht steht deshalb auch der Krökeltisch gleich am Eingang, als bewusster Kontrapunkt. Immerhin, Steffen ließ sich nicht abschrecken und er bekam dafür nicht nur einen Teller warme Suppe, sondern auch ein offenes Ohr für seine Probleme. Dann ging alles sehr schnell: »Ich habe dem Christian geschildert, wie es bei mir aussieht und er ist sofort mit mir los zum Wohnungsamt und wir haben mich wohnungslos gemeldet. Danach haben wir gleich einen Termin beim Jobcenter gemacht.« Der Christian, das ist Christian Ahring, Sozialarbeiter bei Aufkurs, der neuen Anlaufstelle für Menschen unter 25 Jahren in prekären Verhältnissen.

»Wir sind ein sehr niedrigschwelliges Angebot, zu uns kann erstmal jeder kommen, egal, welche Karriere er oder sie im Hilfesystem bereits hatte«, betont Ahring. Selbst diejenigen, die von möglichen Hilfen bislang nichts geahnt haben.

Wohnungsamt, Jobcenter, das waren für Steffen anfangs fremde Welten. Wovon er gelebt hat? »Ich brauchte ja nicht viel. Gewohnt habe ich umsonst und dann hat mir mein Vater immer wieder Geld zugesteckt.« Ein Leben unter dem Radar des Hilfesystems. Da Steffen keinerlei Ansprüche anmeldete, war er für die Ämter als Hilfesuchender nicht existent. Seine Familie war auch bis zuletzt nicht als sozialer Problemfall bekannt. Die Mutter starb, als Steffen fünf Jahre alt war. Mit seinem Vater und seinen Geschwistern lebte er weiter in der großen Wohnung. Doch in der 11. Klasse kamen die Depressionen und hatten Steffen schließlich so im Griff, dass er das Abitur abbrechen musste. »Ich habe nichts

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Statt in die Ausbildung, ging es erst einmal in die Therapie, die auch erfolgreich verlief. Vielleicht hätte jetzt alles ganz anders kommen können, wenn er nicht auch noch sein Zuhause verloren hätte. Sein Vater war inzwischen Frührentner und konnte am Ende die Miete für die gemeinsame Wohnung nicht mehr bezahlen. In die Obdachlosenunterkunft mochte Steffen ihm nicht folgen. Zunächst kam er bei Freunden unter, später bei einer guten Freundin, die ihn längere Zeit bei sich wohnen ließ. So ging das ein paar Jahre, bis die Freundin mit ihrem Liebsten zusammenziehen wollte. Da war dann kein Platz mehr für Steffen, dort nicht und nirgendwo sonst. Das war die Situation, als er sich entschloss, bei Aufkurs vorzusprechen.

Vermeidung von Straßenkarrieren

Steffens Geschichte ist in ihren Details individuell und besonders, ihr Ergebnis kommt jedoch als keineswegs seltenes Phänomen daher. Gerade für junge Menschen wie ihn wurde das Projekt Aufkurs gestartet, junge Menschen, die vom Sozialsystem noch gar nicht oder schon nicht mehr erreicht werden. »Ein Schlafplatz, finanzielle Absicherung und eine Krankenversicherung sind doch Voraussetzungen, um überhaupt mit dem Nachzudenken anzufangen, wie gestalte ich mein Leben denn jetzt künftig, welche Berufsausbildung oder Weiterbildung kommt für mich überhaupt in Frage?«, sagt Ahring. Beides – Grundlagen und Orientierung – wolle Aufkurs leisten und biete dafür neben der sozialpädagogischen Begleitung auch psychotherapeutische Beratung an.

Möglich macht diese Arbeit eine Gesetzesänderung: Auf der Grundlage des neuen Paragraphen 16h SGB II sollen nunmehr bislang schwer zu erreichende junge Menschen bis 25 Jahren besonders gefördert werden. Dabei soll auf die individuelle Situation der Jugendlichen abgestellt werden. Mit dem Ziel, sie möglichst in den Arbeitsmarkt oder wenigstens ins Leistungssystem einzugliedern. Eine Hilfe, die schon greifen muss, bevor die Jugendlichen selbst einen Antrag gestellt haben und möglichst, bevor sie auf der Straße gelandet sind.

Das Problem ist größer, als es der Augenschein vermuten lässt. Experten gehen von zehntausenden Straßenjugendlichen in Deutschland aus. Die aktuellste Studie des Deutschen Jugendinstituts (DJI) von 2016 schätzt die Zahl auf 37.000, der größte Teil (30.000) davon im Alter von 18-26 Jahren. Auf der 6. Bundeskonferenz der Straßenkinder am 19. Mai in Berlin, appellierten die Teilnehmer an die Politik, gerade jetzt in Zeiten der Corona-Pandemie ein Augenmerk auf die Straßenkinder zu haben. Das Leben auf der Straße schwäche das Immunsystem und erhöhe das Risiko für diese jungen Menschen, die vielfach

»Ein Schlafplatz und finanzielle Absicherung sind Voraussetzungen, um Zukunftspläne zu schmieden.« Christian Ahring, Sozialarbeiter bei Aufkurs.

Foto: U. Matthias Foto: U. Matthias

Sozialarbeiter Patrik Adamski betreut bei Bed by night minderjährige Straßenjugendliche.

nicht einmal eine Krankenversicherung hätten. Als ein zentrales Problem wurde das Fehlen spezieller Notunterkünfte für Jugendliche benannt. Die Unterbringung in Mehrbettzimmer mit Erwachsenen sei keine Alternative, da »viele junge Menschen traumatische Erfahrungen (Gewalt im Elternhaus, sexualisierte Gewalt, Vernachlässigung) durchleben mussten«, heißt es in der Abschlusserklärung. Daher forderten die Unterzeichner die Einrichtung von Jugendnothäusern.

Bett für die Nacht

Die Einrichtung Bed by night in Hannover am Welfenplatzbunker ist so eine Unterkunft in der Not für minderjährige Straßenjugendliche. Die bunten Container fallen auf und wecken Neugier, Zutritt ist jedoch nur Mitarbeitern und hilfesuchenden Jugendlichen gestattet. Minderjährige sind auf der Straße besonders gefährdet. Nicht nur weil sie weniger Erfahrung haben und von Sozialleistungen in der Regel ausgeschlossen sind, manche fürchten auch, zu den Eltern zurückgebracht zu werden, wenn sie um Hilfe bitten. In dieser Situation sind sie Gewalt und Missbrauch oftmals schutzlos ausgeliefert. Bei Bed by night können sie erst einmal zur Ruhe kommen.

Was sind das für junge Menschen, die hier Hilfe suchen? »Heute kommen Jugendliche aus jeder sozialen Schicht zu uns«, sagt Sozialarbeiter Patrik Adamski. Die Szene habe sich gewandelt, früher entstammten Straßenjugendliche nicht selten der Punkerszene, doch das spiele heute kaum noch eine Rolle. Dafür hat sich die Verweildauer in der Einrichtung erhöht. Blieben die Heranwachsenden vor zehn Jahren noch drei Tage bis vier Wochen bei Bed by night, sind es zur Zeit mehrere Monate, bis zu einem halben Jahr. Das ist nicht selten ein Hinweis auf größere Schwierigkeiten. Bed by night bleibt dann der letzte Halt vor der Straße.

Das Verhältnis zu den Eltern bleibt für die meisten minderjährigen Straßenjugendlichen zentral. Im Guten wie im Schlechten. Dennoch: »Das Tollste wäre es in jedem Fall, wir könnten die Jugendlichen wieder nach Hause gehen lassen«, betont Adamski. Das Elternhaus sei für die Heranwachsenden nicht zu ersetzen. Zuvor müsse jedoch geklärt werden, wovor die Jugendlichen geflüchtet sind. In vielen Fällen kommen typische pubertäre Probleme zum Vorschein, manchmal aber eben auch Fälle wie Missbrauch oder Misshandlung. Können die Ju- »Romantische gendlichen nicht zu den Eltern Vorstellungen zurück, werden sie im System weitergereicht. »Meistens in eine Wohngruppe, in schwierigeren vom unabhängi gen Leben verFällen, in denen eine Gruppenfä- blassen schnell higkeit nicht gegeben ist, auch in auf der Straße.« eine Wohnung mit Betreuung.« Patrik Adamski

Bed by night ist ebenfalls eine niedrigschwellige Einrichtung. »Wir betreiben primär Krisenintervention«, sagt Adamski, »den erhobenen Zeigefinger können wir uns nicht leisten, dann würden wir die Jugendlichen verlieren«. Deshalb arbeiten sie bei Bed by night auch nicht regel- sondern bindungsorientiert. Um überhaupt erst den Kontakt zu den Betroffenen aufzubauen. Ein Prozess, der mitunter beiden Seiten

einiges abverlangt. Ein wichtiger Ansatz ist dabei die Motivation der Jugendlichen. »Die Not ist es, die die meisten hierher treibt«, weiß Adamski. Romantische Vorstellungen vom unabhängigen Leben verblassen schnell auf der Straße. Aber in der Not entsteht eben oft auch erst der Wunsch, etwas an der eigenen Situation ändern zu wollen. Und genau hier können sie ansetzen, bei Bed by night.

Den Prozess der Entzauberung beschreibt auch Carolin Hoch, wissenschaftliche Referentin beim DJI in Halle und Mitautorin der Studie über Straßenjugendliche: »Manche Jugendliche fühlen sich anfangs auf der Straße geradezu befreit, weil sie zum ersten Mal Anerkennung bekommen, in eine Gemeinschaft aufgenommen werden.« Doch dieses anfängliche Gefühl lasse schnell nach und verblasse bald gegenüber den Schwierigkeiten, die sich bei einem Leben auf der Straße einstellen.

Lücke im System

Doch ist der Weg zur Straßenkarriere in den meisten Fällen ein schleichender. »Die meisten landen nicht direkt auf der Straße, sondern kommen erst bei Freunden unter. So lange ist meistens noch alles besser als Zuhause«, sagt Hoch. Bis der nächste Couchwechsel ansteht, sich aber keine neue Tür mehr öffnet.

Das DJI spricht hier von einer Lücke im System. »Bis zum 18. Lebensjahr bemüht sich das Jugendamt um eine angemessene Versorgung der Jugendlichen, aber mit der Volljährigkeit stehen viele junge

Foto: Deutsches Jugendinstitut Carolin Hoch ist wissenschaftliche Referentin beim Deutschen Jugendinstitut in Halle und Mitautorin einer Studie zu Straßenjugendlichen. Menschen ohne Hilfe da«, sagt Hoch. Nicht jeder 18-Jährige sei aber schon in der Lage, sich allein durchs Leben zu schlagen. Besonders prekär wird die Situation, wenn die Familie weder Sicherheit noch Orientierung zu geben vermag.

Tatsächlich könnten die Jugendämter manchen jungen Erwachsenen noch ein paar Jahre länger unter ihre Fittiche nehmen, wenn so etwas wie eine Reifeverzögerung bei ihnen festgestellt würde. Aber dafür müssen die überhaupt erst in den Akten des Amtes auftauchen. Hoch schätzt, dass es eine hohe Dunkelziffer unerkannter Fälle gibt, Jugendliche, die weder in den Ämtern bekannt sind, noch von den Streetworkern gesehen werden. Junge Menschen wie Steffen.

Die Studie zeigt auch: Einen Teil dieser Klientel haben die Ämter selbst produziert. Familiäre Schwierigkeiten sind demnach die maßgeblichen Ursachen, die zu einer Straßenkarriere führen können. An zweiter Stelle liegen plötzliche, große Veränderungen im persönlichen Umfeld der Jugendlichen und gleich danach kommen Probleme mit den Behörden. So manche Jugendlichen werden mit einem Jobcenter konfrontiert, das plötzlich Disziplin, Eigeninitiative und ein strukturiertes Vorgehen von ihnen fordert. Von jungen Menschen, deren Problem oft gerade darin liegt, eben genau das nicht gelernt zu haben. Dahinter steht ein Menschenbild aus der neoliberalen Mottenkiste. Demzufolge müssten die Jugendlichen, die nicht im System funktionieren, einfach so lange sanktioniert werden, bis sie sich vor lauter Geldnot selbst integrieren. Aber ein junger Mensch, der schon mit den Anschreiben des Jobcenters überfordert ist (was nicht nur an ihm liegt) und weder weiß, was ihm zusteht, noch was ihm helfen würde, fliegt auf diese Weise einfach aus dem System hinaus. So lange, bis sie dann irgendwann als Erwachsene wieder auftauchen, ohne Ausbildung, ohne Arbeit, ohne Wohnung. Und womöglich mit Problemen, die eine Wiedereingliederung erheblich erschweren.

Versperrte Fluchtwege

Wie schwer es wird, eine Wende zum Besseren einzuleiten, wenn die Hilfe zu spät kommt, zeigt das Beispiel von Gennaro. Er ist noch zwei Jahre jünger als Steffen, sein Weg aus dem Schlamassel dürfte jedoch ungleich schwieriger zu bewältigen sein.

Gennaro (der unter seinem richtigen Namen nicht genannt werden möchte) ist in Dortmund aufgewachsen. Die Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe war für ihn der Anlass, nach Hannover zu fahren, um den »alten Kreisen« zu entkommen, wie er sagt. »Ich habe viel Mist gemacht, früher. Da ist es schwer, wieder eine Chance zu bekommen.« Gennaro wurde wegen schwerem Raub verurteilt und es war nicht nur eine Verurteilung: »dreimal schwerer Raub, Fahren ohne Führerschein,

dafür gab es dann zwei Jahre Jugendstrafe, drei auf Bewährung«. Außerdem »waren da noch andere Straftaten, auch Drogen. Aber ich habe eine Therapie gemacht, seitdem habe ich mir nichts mehr zuschulden kommen lassen, auch keine Drogen mehr genommen«. Damit das auch so bleibt, musste er zunächst dem alten Umfeld Lebewohl sagen. Gennaros Clique in Dortmund bestand aus zehn jungen Menschen, »acht von ihnen »Vielleicht sitzen gerade im Knast, die anderen passiert ja zwei sind auf Bewährung draußen«, jetzt etwas.« sagt er. »Man kennt sich, wir sind zuSteffen sammen aufgewachsen. Ich habe schon als Zwölfjähriger mit Kiffen angefangen, hatte Probleme in der Schule und auch mit den Eltern. Zuhause bin ich auch schon früh raus, mit 13 Jahren bin ich zu einem Cousin gezogen. In dem Alter denkt man ja gar nicht so darüber nach, was das für einen bedeutet, was man da so macht.« Welche Folgen seine Taten nach sich ziehen, hat er erst spät gemerkt. Deshalb also der Versuch, einen Schnitt zu machen, in einer anderen Stadt neu anzufangen. Doch in Hannover hatte Gennaro »keinen Plan«, wusste nicht, wo er schlafen sollte. »Für meine Altersgruppe gibt es nichts, deshalb bin ich in die Bollnäser [Unterkunft für wohnungslose Männer], wo die ganzen Drogis sind. Dort bekomme ich nur Taschengeld ausbezahlt, nicht mal Hartz IV.« Die Wohnungssuche sei schwierig, weil viele Vermieter niemanden vom Jobcenter wollten. Aber ohne Wohnung sei es auch mit einem Job schwierig, »dazu noch die Vorstrafe und ein schlechtes Abschlusszeugnis habe ich auch«. In der Schule hätten sie nie über die Zeit danach geredet. Als er nach der 9. Klasse von der Hauptschule abging, fühlte er sich alles andere als auf das Leben vorbereitet. »Keine Ahnung, was ich machen sollte, keine Ahnung, was so ein Beruf mit sich bringt, ich wusste nicht einmal, wie das mit Steuern zahlen geht.« Die Schuld sieht er bei der Schule, bei den Lehrern: »Ich wünschte mir, in der Schule hätten sie mehr über die Zukunft geredet, nicht nur den Stoff durchgenommen. Man hätte ja auch mal Smalltalk machen können, uns fragen: Was wollt ihr danach machen?« Das sei jedoch nie passiert. Inzwischen sei alles total verfahren, »das ganze Paket«, so nennt er das. Den Führerschein habe er »wegen Drogen verloren, mit den Eltern ist alles kaputt, die Freunde sind alle im Knast oder gerade raus oder müssen wieder rein, so geht das ständig: rein – raus, die kriegen alle nur was auf die Reihe, Schulabschluss und so, wenn sie im Knast sitzen«.

Ein zusätzliches Problem sind seine umfangreichen Bewährungsauflagen. Gennaro muss u.a. einen geregelten Tagesablauf vorweisen und dafür Arbeit und eine Unterkunft finden. Außerdem hat er noch 200 Sozialstunden abzuleisten. »Total unrealistisch«, sagt ein Straßensozialarbeiter, der mit dem Fall vertraut ist. »Alles, was er an Arbeit bekommen könnte, verstößt gegen die Auflagen.« Und keine Arbeit zu finden ebenso. Gennaro macht sich keine Illusionen: »Die Bewährung ist meine letzte Chance. Ich kann mir keine Fehltritte mehr erlauben.«

Derzeit besteht wenig Anlass zur Hoffnung für ihn. Inzwischen ist eine weitere Straftat aus seiner Vergangenheit aufgetaucht, die ihn die Bewährung kosten könnte. Gennaro weiß, worauf es hinauslaufen könnte. »Wenn ich zwei bis drei Jahre Knast bekomme, kann ich wenigstens eine Ausbildung machen, Maler oder so. Aber muss ich wirklich erst in den Knast gehen, um eine Ausbildung machen zu können?«

Letzte Ausfahrt

Solche und ähnliche Karrieren sollen künftig möglichst vermieden werden. Das hat auch das Jobcenter Hannover erkannt und beteiligt sich neben der Region und der Stadt Hannover an der Finanzierung von Aufkurs. »Mit dem relativ neuen Paragraphen 16h hat das Jobcenter ein neues Instrument an die Hand bekommen, um Jugendliche in schwierigen Lebenssituationen zu unterstützen. Damit können wir Jugendliche erreichen, die noch nicht in unseren sozialen Hilfesystemen angekommen sind. Das vorrangige Ziel des Jobcenters ist ein gesicherter Lebensunterhalt und eine sichere Wohnung. Das ist aus unserer Sicht die Grundlage, um gemeinsam mit den Jugendlichen berufliche Perspektiven entwickelt zu können«, sagt Stefan Bode, Mitglied der Geschäftsführung des Jobcenters.

Dabei ist Aufkurs zunächst nur ein weiterer Flicken im Patchwork des Hilfesystems. Aber ein notwendiger, wie Ahring findet: »Mit unserer niedrigschwelligen Herangehensweise erreichen wir junge Menschen, die andere Angebote nicht annehmen würden. Wir begleiten sie bei ihren ersten Schritten in die Selbständigkeit und helfen ihnen, ihr Leben zu sortieren.« Das ist nicht wenig und es scheint zu wirken.

Steffen jedenfalls ist optimistisch. Durch die Hilfe von Aufkurs hat er jetzt eine Wohnung gefunden und ist beim Jobcenter arbeitssuchend gemeldet. Er hofft, eine Ausbildung im Handwerk zu bekommen, eventuell Anlagenmechaniker. »Vielleicht passiert ja jetzt etwas«, sagt Steffen. Ulrich Matthias

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