394220

1

Ihre Zukunft ist heller, als Sie denken Lassen Sie nicht zu, dass das Gestern das Heute aufzehrt.

WILL ROGERS

N

achdem ich mir jahrelang angehört habe, wie Menschen mir klagend erzählten, was sie alles in ihrem Leben hätten tun sollen, wollen oder können, hatte ich das Gefühl, ich sollte unbedingt dieses Buch schreiben. Nicht, dass ich mich nicht genauso mit meinen eigenen Gewissensbissen herumschlug! Wie viele Gespräche würde ich gerne noch einmal führen, wie viele unwiederbringliche Augenblicke noch einmal erleben. Wie viele Möglichkeiten habe ich ungenutzt verstreichen lassen und bereue es zutiefst! Wenn ich bestimmte Entscheidungen – finanzielle und meine Freunde betreffende – rückgängig machen könnte, würde ich es sofort tun. Wer würde das nicht?

Diese Tatsache – dass jeder Mensch, wenn er einigermaßen ehrlich mit sich ist, Reue kennt – hat mich veranlasst, ja geradezu genötigt, mich näher mit diesem Thema zu befassen. Ich habe gesehen, wie manche Menschen sich ihr Leben mit Reue und Schuldgefühlen

Ihre Zukunft ist heller, als Sie denken

13

gleichsam vergiften, während dieselben Gefühle für andere zum Ausgangspunkt für ein neues, besseres Leben wurden. Die einen verbringen ihren Alltag damit, sich selbst für etwas zu bestrafen, das sie unterlassen haben oder ihrer Ansicht nach anders hätten machen sollen. »Wenn ich meine Ausbildung doch nur ernster genommen hätte«, sagen sie. »Wenn ich doch nur noch ein Mal mit meinem Vater gesprochen hätte, bevor er starb.« – »Wenn ich damals doch nur diesen Job in Phönix angenommen hätte.« – »Wenn ich doch nur …« Ob es um den Weg geht, den man nicht eingeschlagen oder nicht rechtReue ist eine entsetzlizeitig verlassen hat, die ›Hätteche Energieverschwenich-dochs‹ können einen Mendung; Sie können nicht schen buchstäblich zu Tode darauf bauen. Sie ist hetzen.

Damit sind wir bei einer nur dafür da, um darin höchst wichtigen Frage: Werzu schwelgen. den Sie am Ende Ihres Lebens KATHERINE MANSFIELD zurückblicken und mit Ihrem Leben zufrieden sein oder wird Sie die Reue packen? Ich kann es auch anders formulieren: Sind Sie getrost und dankbar, wenn Sie die Tage, Monate und Jahre Ihres Lebens vor Ihrem inneren Auge Revue passieren lassen, oder empfinden Sie nagende Reue über verpasste Gelegenheiten?

Die Auseinandersetzung mit dieser Frage kann richtungsweisend für Ihr Leben sein. Denn wie Sie sie schließlich beantworten werden, hängt davon ab, ob Sie – hier und jetzt – aus Ihrer Vergangenheit lernen, sich für die Zukunft frei zu machen. Wenn Sie wirklich ernsthaft über die obige Frage nachdenken, wird die Aussage, die sie enthält, Ihnen förmlich ins Gesicht springen: Entweder wird Ihre Vergangenheit zum Sprungbrett für eine bessere Zukunft oder sie ist der sprichwörtliche Albatros, der Sie daran hindert, sich vom Boden des Gewesenen zu erheben.

Vor einigen Jahren wurde der Süden Kentuckys von einem

14

Ihre Zukunft ist heller, als Sie denken

schlimmen Unwetter heimgesucht, das bei der alten Farm der Claypools schweren Schaden anrichtete. Dabei wurde auch ein sechs Generationen alter Birnbaum entwurzelt. Mr. Claypool trauerte sehr um den Baum. Als Junge war er hinaufgeklettert und sein Leben lang hatte er seine leckeren Früchte gegessen. »Es tut mir so Leid, dass Ihr Birnbaum umgestürzt ist«, versuchte ein Nachbar ihn zu trösten. »Mir tut es auch Leid«, antwortete Mr. Claypool. »Er war ein Teil meiner Vergangenheit.« Der Nachbar fragte: »Was werden Sie jetzt machen?« Mr. Claypool schwieg eine Weile und antwortete dann: »Ich werde die Früchte pflücken und den Rest verbrennen.« Diese Antwort mag ganz wörtlich gemeint gewesen sein, aber ich war immer der Ansicht, dass der alte Farmer seine Aussage auch ein wenig bildlich gemeint hat. Wir alle sollten die Früchte unserer Vergangenheit pflücken und den Rest verbrennen. Wir müssen lernen, was die Vergangenheit uns lehren wollte, um daraufhin mit weiseren Herzen und optimistischeren Gedanken weiterzuziehen. Wenn wir das nicht tun, sind wir wie ein anderer Farmer, dem es genauso erging wie Mr. Claypool und der den entwurzelten Baum in seine Scheune schleppen ließ in dem vergeblichen Versuch, die schöne Zeit mit seinem geliebten Baum festzuhalten. Im Laufe der Zeit verdarben die Früchte des Baumes, das Holz wurde von Termiten aufgefressen und der Baum wurde zu einem großen Hindernis bei allen Arbeiten, die auf der Farm anfielen. Dennoch weigerte der Mann sich standhaft, seine absurde Entscheidung rückgängig zu machen, und klammerte sich mit aller Kraft an die ›gute alte Zeit‹.

Es ist kein Zufall, dass ich ein Buch über Reue mit einem Kapitel mit der Überschrift ›Ihre Zukunft ist heller, als Sie denken‹ beginne. Ganz gleich, wie sehr Sie von Sätzen wie ›Hätte ich doch nur …‹ und ›Was wäre, wenn …‹ geplagt werden, Sie können den gleichen Entschluss fassen wie Mr. Claypool. Sie können die guten Dinge aus Ihrer Vergangenheit ernten und beschließen

Ihre Zukunft ist heller, als Sie denken

15

weiterzugehen. Sie können sich die Zukunft erobern, und zwar noch heute. Dabei will Ihnen dieses Buch Hilfestellung geben.

Im vorliegenden Kapitel wollen wir zunächst einen ehrlichen Blick auf die Dinge werfen, die Sie bereuen. Ich möchte Ihnen helfen, sie ›einzufangen und auszuräuchern‹. Ich möchte Ihnen helfen, Ihre Vergangenheit zu durchforsten und sämtliche Gewissensbisse, die Sie davon abhalten, ganz in der Das Einzige, das ich Gegenwart zu leben, ans Licht zu im Leben bedaure, zerren. Daran anschließen möchte ist, dass ich nicht ich ein paar Überlegungen, warum es jemand anders bin. so schwer ist, Reuegefühle loszulassen. Je besser wir das ›Warum‹ verWOODY ALLEN stehen, desto rascher können wir uns dem ›Wie‹ zuwenden. Am Schluss des Kapitels möchte ich Ihnen auseinander setzen, inwiefern der nach vorn gerichtete Entwicklungsprozess, der in diesem Buch beschrieben und angeregt wird, Ihnen ganz persönlich helfen kann – und ich bin überzeugt, dass er es kann, und zwar besser, als Sie sich jetzt noch vorstellen können. Denn das Hinter-sich-Lassen der Vergangenheit wird Sie genau dahin bringen, wo Sie heute eigentlich stehen sollten.

Um allen Missverständnissen vorzubeugen, gestatten Sie mir, unser Thema – Reue – zunächst einmal zu definieren. Reue ist ein Gefühl der Enttäuschung, des Unbehagens oder des Kummers über einen unerfüllten Wunsch oder eine vollzogene bzw. nicht vollzogene Handlung. Reue hat viele Ausdrucksformen, von der Frustration darüber, dass man etwas nicht tun kann, bis hin zum schmerzlichen Gefühl des Verlusts oder der Sehnsucht. Sie bezieht sich auf Dinge, die wir getan und ungetan gelassen haben, auf Taten, die wir selbst begangen, und auf Ereignisse, die uns zugestoßen sind. Aus ebendiesem Grund kennen alle Menschen die Reue.

16

Ihre Zukunft ist heller, als Sie denken

2 Lassen Sie Ihre Vergangenheit hinter sich Der einzige Nutzen der Kenntnis der Vergangenheit besteht darin, dass sie uns für die Gegenwart rüstet.

Die Gegenwart enthält alles in sich. Sie ist heiliger Boden; denn sie ist zugleich Vergangenheit und Zukunft.

ALFRED NORTH WHITEHEAD

E

ine alte Legende erzählt von drei Männern – vielleicht gleicht einer davon ja Ihnen. Jeder trägt zwei Säcke; einer ist auf der Brust festgebunden und einer auf dem Rücken. Als der erste Mann gefragt wurde, was sich in seinen Säcken befände, antwortete er: »In dem Sack auf meinem Rücken ist all das Gute, das meine Familie und meine Freunde für mich getan haben. Auf diese Weise ist es meinen Augen leider verborgen. In dem Sack vor mir steckt dagegen alles Schlechte, das mir zugestoßen ist, und alle Fehler, die ich je begangen habe. Hin und wieder bleibe ich stehen, öffne den Sack, den ich vor mir hertrage, nehme die Dinge heraus, betrachte sie und denke über sie nach.« Weil der Mann so oft stehen blieb und sich auf alles Negative konzentrierte, war sein Schritt langsam und er kam nicht voran im Leben.

Als der zweite Mann nach dem Inhalt seiner Säcke befragt

Lassen Sie Ihre Vergangenheit hinter sich

31

wurde, antwortete er: »In dem Sack auf meiner Brust ist alles Gute, das mir widerfahren ist. Ich schaue es mir gerne an, deshalb hole ich es oft heraus, um es anderen zu zeigen und mich daran zu erinnern. Der Sack auf meinem Rücken? Dort bewahre ich meine Fehler auf, alles, was ich bereue. Auf diese Weise schleppe ich sie die ganze Zeit mit mir herum. Natürlich wiegen diese negativen Dinge schwer und sind eine große Last für mich. Sie machen mich langsam, aber aus irgendeinem Grund kann ich sie nicht einfach absetzen und liegen lassen.« Als der dritte Mann nach seinen Säcken befragt wurde, antwortete er: »In dem Sack vor mir bewahre ich allen Segen auf, den ich empfangen habe, alles Gute und Schöne, das andere Menschen für mich getan haben. Ich spüre sein Gewicht gar nicht, im Gegenteil, irgendwie zieht er mich vorwärts. Der Sack auf meinem Rücken? Der ist leer. Es ist nichts drin. Ich habe ein Loch in den Boden geschnitten. Wenn ich jetzt alles, was ich bereue und meine Fehler aus der Vergangenheit hineinlege, fällt alles unten gleich wieder heraus. Auf diese Wir können aus Weise trage ich nicht ständig ein der Vergangenheit zusätzliches Gewicht mit mir Lehren ziehen, aber herum.« wir können nicht Mit welchem der drei Männer identifizieren Sie sich? Ich würde in ihr leben. sagen, dass es wohl kaum der dritte LYNDON B. JOHNSON ist. Wie ich darauf komme? Weil ich in meinem Leben genügend Menschen kennen gelernt habe, um zu wissen, dass nur sehr wenige von uns die Reife haben, ein Loch in den Sack zu schneiden, in dem unsere Reue und Trauer stecken. Im Gegenteil, wir sammeln und horten sie und tragen sie bei uns – ganz gleich, wie schwer sie werden. Und je schwerer die Last wird, desto stärker hängt unsere Vergangenheit uns an und bestimmt unseren Weg. In diesem Kapitel möchte ich Ihnen helfen, Ihre Vergangenheit

32

Lassen Sie Ihre Vergangenheit hinter sich