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Fachbeitrag Nudge – Verhaltensökonomie

Nudges – leichte Anschubser – sollen Menschen mit sanften Massnahmen zu Ver- haltens änderungen bewegen, für die Umwelt, zur eigenen Sicherheit oder im Interesse der Allgemeinheit. Das ist auch für Unternehmen ein spannender Ansatz.

Nudges – erziehen ohne Mahnfinger

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2009 erschien das Buch «Nudge: Wie man kluge Entscheidungen anstösst». Die Autoren Richard H. Thaler und Cass R. Sunstein präsentieren darin eine Methode, mit der sich Menschen zu einer angestrebten Veränderung ihres Verhaltens einladen lassen. Die wegweisende Technik hat die Verhaltensökonomie verändert und Richard H. Thaler den Nobelpreis für Wirtschaft eingebracht. Als Berater hat sie ihn zu Barack Obama ins Oval Office und an die 10 Downing Street zu David Cameron geführt.

Gastautor: Maurice Codourey, Manager Mindset & Behavior, Global Safety, Schindler Management Foto: Ruben Wyttenbah Vom Pissoir bis zum Arzttermin Wie soll das funktionieren? – Zwei Beispiele zeigen, was gemeint ist: Für Aufmerksamkeit sorgte vor Jahren eine Aktion im Flughafen Schiphol Amsterdam. Aus hygienischen Gründen wollten die Verantwortlichen die Treffsicherheit beim Urinieren ins Pissoir verbessern. Sie bemalten das Porzellan mit einer Stubenfliege und erhöhten so die Trefferquote um 80 %. Einen sehr erfolgreichen Nudge setzt die australische Regierung von New South Wales im Spitalwesen ein: Sie erinnert Patienten via SMS in Verbindung mit nützlichen Apps wie Google Maps an ihre Konsultationstermine. Die erhöhte Termineinhaltung aufgrund dieser 160-Zeichen-Massnahme spart jährlich bis zu 100'000 Dollar an Kosten ein. Der Nudge umgeht also den unbeliebten Befehl durch einen neutralen, zuweilen witzigen Vorschlag. Er lädt die Bevölkerung dazu ein, klügere Entscheidungen zu treffen. Dies geschieht immer im Interesse des Gemeinwohls und ist freiwillig. Der sanfte Schubser lässt dem Menschen die volle Entscheidungsfreiheit.

Berliner setzen auf Humor Das Paradebeispiel für gelungene Nudges findet sich in Berlin. Seit über 20 Jahren vermittelt dort das öffentliche Unternehmen Berliner Stadtreinigung (BSR) mit Erfolg: Abfall sammeln, entsorgen und trennen macht Spass – die langjährige Kampagne mit pfiffigen Sprüchen auf den Abfalleimern hat bei der Bevölkerung und den Medien ein grosses Echo ausgelöst. Die BSR definiert die Ziele einer langjährigen Kommunikationsstrategie wie folgt: • Begeisterung für ein wenig interessantes Produkt (Abfallentsorgung) schaffen.

• Menschen augenzwinkernd für ein attraktives Stadtbild gewinnen, sowohl in der Sauberhaltung als auch bei der Abfalltrennung.

Auf wissenschaftlicher Grundlage setzte die BSR auf einen Dreiklang aus operativen, ordnungsrechtlichen und kommunikativen Massnahmen. Und das haben die Berliner unternommen beziehungsweise erreicht:

• Die mehr als 23’000 Abfallkübel wurden durch Farbe und Aufschrift zu Helden. Die BSR verbreitet die Einladung zur Verhaltensänderung auch mit eigenen Social-Media-Artikeln auf Twitter, YouTube und Instagram. Wettbewerbe runden den Einbezug der Bevölkerung ab. Die BSR-Mitarbeitenden wurden ebenfalls zu Heldinnen und Helden und die Mitmachmotivation wurde gesteigert. 2014 wird die BSR mit aktuell 5600 Mitarbeitenden zum beliebtesten Unternehmen in der Stadt Berlin gewählt. Bei Kindern geniesst sie ebenfalls eine hohe Akzeptanz. BSR-Fahrzeuge mit der Aufschrift «Räumschiff» oder «Kehrrari» sorgen für Heiterkeit. Kreidezeichnungen mit Hinweis zum Abfallkübel setzen das Corpus Delicti in Szene (siehe Bild). Die Kampagne punktet mit englischsprachigen Sprüchen auch bei Touristen: «You are leaving the dirty sector» oder «Museum of modern trash». Langzeitstudie von 2005 bis 2017 bestätigt Effektivität Die Humboldt-Universität Berlin hat die Wirksamkeit der Massnahmen untersucht. Für die Studie «Wahrnehmung von Sauberkeit und Ursachen von Littering» wurden rund 5000 Personen in deutschen Städten befragt. Birgit Nimke-Sliwinski vom BSR-Marketing fasst die Ergebnisse zusammen: • Die Sauberkeit und das Image der Reinigungsunternehmen der Stadt werden 2017 signifikant besser eingeschätzt als 2005.

Im Vergleich zu 2005 ist eine markante Veränderung bei den wichtigsten Litteringobjekten festzustellen (z.B.

Take-away-Verpackungen).

Anzahl und Sichtbarkeit der Abfallkübel in Berlin wurde erhöht, respektive verbessert.

In Feldstudien konnte die Wirksamkeit der Anti-Littering-Massnahmen belegt werden. Kinder und Jugendliche bewerteten die verwendeten Nudges positiver als Erwachsene, was den Sinn einer zielgruppenspezifischen Ansprache deutlich macht.

Was lernen wir daraus? Für wirkungsvolle Nudges gibt es kein allgemein gültiges Rezept. Das macht die Arbeit spannend und verlangt öfters das Zusammenspiel einer interdisziplinären Gruppe. Nudges bieten auch Unternehmen in der Kommunikation mit internen und externen Kunden grosses Potenzial – viel Erfolg beim Anschubsen!

«D e r s a n f te S c h u b s e r l ä s s t d e m M e n s c h e n d i e vo l l e E n t s c h e i d u n g s f re i h e i t . »

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