
5 minute read
Johann Joachim Kaendler, seine Vorgänger und seine Mitarbeiter
Gottlieb Kirchner
Der erste an der Manufaktur fest angestellte Modelleur war Gottlieb Kirchner, Bruder des Dresdner Bildhauers Johann Christian Kirchner (1669–1732), bei welchem er vermutlich seine Ausbildung genoss.242 Am 24. März 1727 bewarb er sich als Modellierer in der Manufaktur und trat am 29. April in deren Dienst, zu einem Lohn von 200 Talern jährlich, ein. Anders als die zuvor für Meissen tätigen Bildhauer, konnte Kirchner nicht nur einfach die Modelle für die zu fertigenden Plastiken liefern, er musste zudem Sorge für deren Umsetzung und Gelingen in Porzellanmasse tragen.243 Obgleich der Manufaktur-Inspektor Johann David Reinhardt im Laufe des Jahres 1727 über Kirchner zu berichten weiß, dass dieser „kein ungeschickter Mensch ist“244, er sich redlich um die Ausbildung der Lehrlinge bemühe und darüber hinaus 1728 eine Maschine zum Drehen der Porzellane erfunden hatte (die in der Folgezeit Anwendung unter den Drehern fand), war man mit dessen Gesamtleistung doch deutlich unzufrieden. In Folge eines Klagebriefes245 Reinhardts vom 14. März 1728 wird Kirchner dimittiert und verlässt die Manufaktur im Folgemonat in Richtung Weimar, wo er als Hofbildhauer die nächsten zwei Jahre verbringen sollte. Im Januar 1730 bewarb er sich aber erneut in Meißen und wurde zum 1. Juni 1730 als Modellmeister für 20 Taler Monatslohn wieder angestellt. Zu seinen Pflichten gehörte die Unterweisung der Former in der Verfertigung der Porzellangeschirre, die Unterrichtung der Lehrlinge im Zeichnen und Bossieren, die Erfindung neuer Modelle für Geschirre und Figuren und sodann deren Anfertigung. Über die von ihm angefertigten Modelle sollte er ab 1. Juni 1731 Buch führen, und ihr Verzeichnis vierteljährlich vorlegen. Einmal mehr ist man anfangs mit der Leistung des Hofbildhauers zufrieden, gewährt ihm Ostern 1732 gar eine Lohnerhöhung (nachdem er wiederholt seinen Weggang angedroht hatte). Doch auch jene Euphorie wurde von der Realität eingeholt und Kirchner erwies sich letztendlich als ein wenig zuverlässiger und unmotivierter Angestellter, der schließlich im März 1733 seine Anstellung in Meissen endgültig aufgab.246
Auch hiervon zeugt ein Kommissionsbericht vom 28. April 1733: „Dem Modellmeister Kirchnern hat die Commission mit dem Ausgang des Monats Februar nur verwichenhin die Dimission und zwar mit höhern Vorwissen um deswillen, weil er einer vorgeschützten anhaltenden Leibesunpässlichkeit halber, selbst darum angesuchet, es auch nach jetziger Verfassung des Werkes, indem der Modellirer Kändler seine Stelle, die jener ohnedies eine Zeitlang gar nachlässig verwaltet, füglich vertreten kann und jetzo wirklich vertritt, nicht versaget“ 247 Kirchner hat nicht über die von ihm geschaffenen Modelle Buch geführt, nur selten legte er eine Liste vor.248 Menzhausen behandelt in In Porzellan verzaubert die von Kirchner geschaffenen autonomen Plastiken.249 Jene Modelle, die er seit 1731 nachweislich mit Hilfe Johann Joachim Kaendlers schuf, sind im Katalog dieser Arbeit als Kooperationen ausgewiesen. Im Gedächtnis bleibt Kirchner vor allem durch seine großformatigen Tierplastiken, die er auf Wunsch Augusts des Starken für die Ausstattung des Japanischen Palais zu Dresden nach der Natur oder nach grafischen Vorlagen schuf.
Johann Christoph Ludwig Lücke
Zwischen April 1728 und Januar 1729 – als Ersatz für den erstmals dimittierten Kirchner – arbeitete Johann Christoph Ludwig Lücke, der zuvor als abb. 38 august ii. in deutscher rüstung lem Gitterwerk gestaltet, wurden in Meissen modelliert (Kat. Nrn. 396, 415, 532 und 533). Für Letztere muss gelten, dass – ob ihrer unspezifischen Beschreibung und der wenigen erhaltenen Ausformungen –keine Zuordnung im Katalog vorgenommen werden konnte. Bekannt sind drei Exemplare: ein großmaschiger Vogelkäfig mit zwei seitlichen Erkern auf mehrfach profiliertem Fuß, der sich ehemals im Besitz Heinrich Graf von Brühls befand372, ein bronzemontierter Vogelkäfig gestaltet mit enger Masche und Vergissmeinnicht-Besatz373 und ein eindrucksvoller Vogelbauer mit Laubwerksmaschen, der sich heute im Besitz der Klassik Stiftung in Weimar befindet374
Modell von Johann Christoph Ludwig Lücke (1703–80), zugeschrieben, um 1728, H. 24 cm, Basel, Historisches Museum, Stiftung Pauls-Eisenbeiss, Inv. Nr. 1975.1006.

Der Mops und andere Schoßhunde Des Menschen bester Freund tritt in Meissener Porzellan in zwei Ausprägungen hervor, die gegensätzlicher kaum sein könnten: als Schoßhund oder als Jagdhund.
Den ersten Platz nimmt der Mops375 ein: Anfangs noch besonders für sein exotisches Erscheinungsbild bewundert, eroberte er bald durch seinen treuen und angenehmen Charakter einen Platz in den Herzen der höfischen Gesellschaft. Unzählige Gemälde zeigen namhafte Persönlichkeiten des galanten Zeitalters in Begleitung ihres treuen Freundes, der durch sein unglückliches Äußeres ein ums andere Mal die Schönheit seiner Besitzerin noch mehr zum Strahlen brachte.
Als Grundlage der nun folgenden Betrachtung muss festgehalten werden, dass es scheint, als hätte eben diese Hunderasse im 18. Jahrhundert – anders als heute – eine große Vielseitigkeit in Bezug auf das Erscheinungsbild zu bieten gehabt. Die Rasse Mops ist in seiner heutigen Ausprägung ein Resultat der Reinzüchtung in England im 19. Jahrhundert. Und so sind auch die Möpse aus Meissener Porzellan von einer außergewöhnlichen Vielgestalt. Besonders die kupierten Ohren mögen eigenartig anmuten, die ebenfalls erst seit dem 19. Jahrhundert unüblich sind.
Erstmals findet eine Gruppe von neun Mopsminiaturen in Porzellan im Mai 1734 in den Arbeitsberichten Johann Joachim Kaendlers Erwähnung. Die Hunde werden als liegend und nach hinten blickend (Kat. Nr. 56), als sich mit der Hinterpfote die Flöhe vom Rücken kratzend (Kat. Nr. 57) oder selbige totbeißend (Kat. Nr. 58), beieinander liegend (Kat. Nr. 59), gegen einander stehend (Kat. Nr. 61) oder miteinander auf und in einer Hundehütte zankend (Kat. Nr. 60) beschrieben. Besonders das Modell der
Hundehütte schien ausgesprochen beliebt, denn bereits im Februar 1737 überarbeitete Kaendler das bestehende Modell und fügte Hunde für verschiedene Varianten hinzu, deren Modell Johann Friedrich Eberlein im Dezember desselben Jahres nochmals überarbeitete. Diese Gruppe kleiner Mopsplastiken war wohl als Dessertdekoration gedacht.
Die Mehrzahl aller Meissener Mopsplastiken entstand jedoch als höfisches Hundeporträt. Niemand Geringeres als Königin Maria Josepha gilt als erste Auftraggeberin eines Porzellan gewordenen Abbilds





1688–1740), Bonaventura de Bar (1700–1729) und Jean Honoré Fragonard (1732–1806).449
Auch Jean-François de Troy (1679–1752) verfolgte zwischen 1723 und 1737 die Ideen der fête galante, transformierte sie jedoch erstmals in eine neue Form des zeitgenössischen erotischen Genres. Diese tableaux de mode waren Modegemälde mit einem galant-erotischen Sujet, eingebettet in zeitgenössisches Dekor und unter Einbeziehung zeitgenössischer Luxusobjekte. Darstellungen, wie sie das französische Publikum in dieser Form bis dato nicht kannte.450 Motive und Komposition von De Troys Werken nahmen keinen Einfluss auf die figuralen Erzeugnisse der Manufaktur Meissen, der Geist der tableaux de mode jedoch spricht überdeutlich durch die Porzellane zu uns.

Das große Feld der galanten Gruppen wurde erstmals im Dezember 1736 eröffnet, als Johann Joachim Kaendler das Modell eines sich innig umschlingenden Liebespaares (wahlweise mit Vogelkäfig, Kaffeetisch oder Mops, Kat. Nr. 131) nach einer Zeichnung Nicolas Lancrets (Abb. 102)451 bzw. eine Dame mit Fächer und einen Kavalier im Schlafrock (Kat. Nrn. 132 und 133) nach einem Stich von Pierre Filloeul (1696–nach 1755) nach Jean-Baptiste Pater (Abb. 106)452 schuf. Nur wenige Monate später, im April 1737, modellierte Kaendler eine der prächtigsten und sicherlich auch beliebtesten galanten Figurengruppen, die in den 30er Jahren des 18. Jahrhunderts geschaffen wurden: die sogenannte Handkussgruppe (Kat. Nr. 141). Sie umfasst drei Figuren und mutet wie eine zeitgenössische Momentaufnahme aus dem höfischen Umfeld von äußerst intimem Charakter an. Auf einem hohen Lehnstuhl sitzt eine junge Frau, als Schauplatz muss ihr privates Gemach angenommen werden. Dafür spricht das zur Robe de Chambre gehörige mantelartige Obergewand, die sog. Adrienne, welches sie über ihrem Gewand mit dem um 1730 in Mode gekommenen, vorne und hinten abgeflachten Reifrock (Panier à coudes) trägt.453 In ihrer rechten Hand hält sie ein mit Tee, Kaffee oder Schokolade gefülltes Schälchen mit Unterschale und blickt zu einem livrierten jungen Pagen mit Turban und Pluderhosen hinüber, der zu ihrer Rechten Stellung bezogen hat. Dieser wiederum hält in seiner rechten Hand eine Kredenz, die, je nach Ausformung, mit verschiedenen Objekten versehen ist. Zur linken Seite der schönen Dame kniet ein Kavalier in einem Gehrock, seinen Dreispitz unter den Arm geklemmt. abb. 108 handkussgruppe, Kat. Nr. 141, s. auch S. 108–109 abb. 109 Pierre Alexander Aveline (1702–60) l’enseigne, Kupferstich nach dem gleichnamigen Gemälde von Jean-Antoine Watteau (1684–1721), 1732, 519 × 837 mm (Blattmaß), Amsterdam, Rijksmuseum, Inv. Nr. RP-P-OB-70.429


