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Ein Leben mit Polio

| BUCHPROJEKT |

»Meine Biografie ist keine Krankengeschichte«

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MATTHIAS BETHKE IM JAHR 2019 auf Kuraufenthalt im Thermalbad Wiesenbad im Erzgebirge

DER IN JENA GEBORENE MATTHIAS BETHKE hat sich im frühesten Kindesalter mit Polio infiziert. Trotz aller daraus resultierenden körperlichen Einschränkungen schaut er heute auf eine ereignisreiche und erzählenswerte Zeit zurück. Deshalb hat er seine Biografie geschrieben — über sein Leben, das von der Krankheit begleitet, aber nie von ihr bestimmt wurde.

Bereits im Alter von drei Monaten infizierte sich der 1956 geborene Matthias Bethke mit der hochansteckenden Krankheit Poliomyelitis, kurz Polio genannt. Vielen wird sie auch unter der Bezeichnung Kinderlähmung bekannt sein. Bis heute gilt sie als unheilbar, aber eine Ansteckung, die hauptsächlich Kinder unter fünf Jahren befällt, wird durch eine Impfung zuverlässig vermieden. In der ehemaligen DDR, in welcher Matthias Bethke geboren wurde und aufgewachsen ist, wurde die Polio-Schluckimpfung ab 1961 zur Pflicht, zwei Jahre später galt die Republik bereits als Poliofrei.

Auf die schwierige Frage, ob seine Ansteckung damals hätte verhindert werden können, antwortet Matthias Bethke nachdenklich: »Solche Was-wäre-wenn-Fragen sind kaum zu beantworten. Als ich geboren wurde, gab es die Polio-Impfung zwar schon, sie war aber erst ein Jahr auf dem Markt. Ich war ein Kleinkind und meine Mutter wollte natürlich nur mein Bestes. Ich habe sie nie darauf angesprochen, warum sie mich nicht hat impfen lassen, da meine Mutter sich sicher schon mehr als genug Vorwürfe gemacht hat. In diese Wunde wollte ich nie hineinbohren.«

Zumal Matthias Bethke immer einen Weg gefunden hat, mit der Krankheit umzugehen. »Polio hat zwar mein ganzes Leben begleitet, aber ich habe mich nie davon bestimmen lassen. Ich kenne mich nicht gesund, habe mich aber auch nie krank gefühlt. Polio ist einfach ein Teil von mir. Ich habe immer gut mit den Einschränkungen leben und umgehen können und zum Beispiel auch eine ganz normale Schule besucht. Mittlerweile spüre ich allerdings die 65 Jahre mit der Belastung mehr und mehr, das kann ich nicht verheimlichen. Zumal es gerade in den letzten Jahren schlimmer geworden ist.«

Der Grund dafür nennt sich Post-Polio. Die meisten Menschen mit einer Polioerkrankung bekommen zwanzig bis dreißig Jahre nach der Ansteckung noch einmal eine Art zweiten Poliomyelitis-Schub, welcher in der Regel ziemlich heftig ausfällt. »Auch mich hat das 1998 erwischt. Bei mir legte sich Post-Polio auf die Atmung und hat meine Atemmuskeln getroffen. Ab diesem Zeitpunkt wurde es doch etwas schwieriger.«

ANREGUNG DURCH FREUNDE

Aber wie kam Matthias Bethke — von seinen Freunden einfach nur »Matti« genannt — denn eigentlich auf die Idee, überhaupt ein Buch zu schreiben? »Dafür gibt es einige Gründe, die zusammen zur Entscheidung führten. Meine Frau ist im Jahr 2017 verstorben, 2020 kam Corona. Das waren alles keine leichten Zeiten. Corona war und ist für mich als Mensch mit einem großen Freundeskreis eine riesengroße Katastrophe.« Denn auf Grund seiner Atemprobleme durch PostPolio konnte Matthias Bethke von heute auf morgen nicht mehr am sozialen Leben teilnehmen, Besuche wurden zunächst unmöglich. »Die Messenger-Apps sind prima, um in Kontakt zu bleiben, aber sie können die Zeit unter Freunden niemals ersetzen. Und diese sagten mir öfter: Mensch Matti, Du erzählst immer so viele schöne Geschichten von den Dingen, die Du so erlebt hast — schreibe das doch einfach mal auf! Und das habe ich dann in der Zeit der Isolation getan. Es kam einfach der Tag X, an dem ich mich hingesetzt habe und anfing zu schreiben. Das Ganze hat eine Eigendynamik entwickelt und ging immer weiter — für mich vornehmlich nachts, da hatte ich immer die besten Ideen!«

Dabei fiel es ihm nicht schwer, sich an viele Dinge zu erinnern. Matthias Bethke schmunzelt: »Ja, ich habe glücklicherweise ein super Rückwärtsgedächtnis. Ich habe zum Beispiel immer noch bestimmte Gerüche in der Nase, die mich in meiner Kindheit begleitet haben. Einzig bei den Urlaubserinnerungen habe ich etwas geschummelt und in meinen privaten Reisetagebüchern hier und da mal nachgeschaut.«

DIE GROSSEN HOBBIES

Um einen roten Faden in das Buch zu bekommen, hat der gebürtige Jenenser den Inhalt thematisch in Kindheit, Schule, Jugend und Erwachsenenleben gegliedert. Zudem gibt es äußerst interessante Einblicke in die drei großen Leidenschaften des vielseitig interessierten Rentners: die drei großen Hobbies Musik (handgemachter Rock a la Jethro Tull, Deep Purple und Neil Young), Reisen (von Deutschland über Frankreich bis nach Norwegen und von Kuraufenthalt bis Städtetrip) und das Sammeln von kleinen Feuer-

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