Fazit 177

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In der Gefahr und in der Not, ist der Mittelweg der Tod.

Hermann Schützenhöfer, Landeshauptmann

Frage mehr, ob, sondern wann sich die Landeshauptleute mit oder ohne die VPBündechefs zusammenfinden, um zu tun, was getan werden muss.

Fotos: Bwag/CC-BY-SA-4.0., P. Lechner/BMKÖS

Der Gewinner der ÖVP-Krise ist eindeutig Herbert Kickl. Er hat bereits damit begonnen, die wegen Ibiza zur ÖVP abgewanderten FPÖ-Wähler zurückzuholen. Eine Frage von Tagen? Natürlich gibt es aus der österreichischen Innenperspektive derzeit kein wichtigeres Thema als die Frage, wann Sebastian Kurz endgültig die politische Bühne verlässt. Denn obwohl es eigentlich ein juristischer Wahnsinn ist, wie die Justiz privateste Chatnachrichten aus geheimen Vorermittlungen durchsticht, ist allen außerhalb des engsten Kreises um den Exbundeskanzler längst klar, dass es nicht beim »Beiseitetreten« bleiben kann. Trotzdem wäre es falsch, der ÖVP Vorwürfe für den schleichenden Rückzug ihres Superstars zu machen, selbst wenn er von der Idee getragen ist, dass Kurz als Schattenkanzler und VP-Obmann weiterhin die Hauptrolle in der Koalition spielen wird. Der Organismus Volkspartei ist nämlich noch lange nicht so weit, den politischen Super-GAU, den die Chatinhalte ausgelöst haben, in ihrer Tragweite zu bewältigen. Was in der ÖVP gerade passiert, erinnert stark an die Phasen der Akzeptanz von lebensbedrohenden Krankheiten, wie sie aus der Psychologie bekannt sind. Die erste Phase ist das »Nicht-wahr-haben-Wollen des Prob14 /// FAZIT NOVEMBER 2021

lems«. Damit hat sogar der engste Zirkel um den Exkanzler bereits abgeschlossen. Dieser innerste Kreis befindet sich gerade in der zweiten Phase – »dem Zorn und dem Ärger«. Hoffnungslos überfordert mit den Dingen, die über Kurz und die ÖVP hereinbrechen, ärgern sich die Weggefährten des Exkanzlers, dass es ausgerechnet die ÖVP und nicht eine andere Partei getroffen hat. Schließlich sind sie überzeugt, dass die auch nichts anderes tun als das, wobei man selbst ertappt wurde. Die VP-Landesorganisationen und die Bünde sind jedoch bereits in der dritten Phase, »dem Verhandeln«. Sie haben das Problem akzeptiert und wissen, dass die Zeit, die für eine Schadensbegrenzung bleibt, verrinnt. Innerhalb von wenigen Wochen muss die ÖVP ihr Regierungsteam völlig neu aufstellen und einen neuen Parteichef finden. Denn sonst folgt unweigerlich die vierte Phase – »die Depression«. Und die geht der fünften Phase, »der Akzeptanz« des eigenen Untergangs, voraus. Noch wagt sich kaum ein namhafter ÖVPFunktionär aus der Deckung. Es ist keine

Kickl und Kogler als Krisengewinner? Die Krise der Volkspartei hat den anderen Parteien – mit Ausnahme der NEOS – völlig neue strategische Ausgangslagen eingebracht. Mit Ausnahme der NEOS deshalb, weil sie auch weiterhin bei keiner einzigen Konstellation etwas zur Mehrheitsbeschaffung beitragen können. Ihre Unterstützung reicht nicht für einen Regierungswechsel zu Rot-Grün und für eine etwaige Zusammenarbeit einer NachKurz-ÖVP mit der FPÖ werden sie erst recht nicht gewollt oder gebraucht. Der SPÖ wiederum ist das wohl einzigartige Kunststück gelungen, so gut wie gar nicht von der ÖVP-Krise zu profitieren. Im Gegenteil. Die Annäherung von Pamela Rendi-Wagner zur Kickl-FPÖ, nur weil auf einmal eine kleine Chance auf den Bundeskanzlersessel bestand, macht die SPÖ zum zweiten moralischen Verlierer nach der ÖVP. Die Beinahe-Kanzlerin hat sich nämlich über sämtliche SPÖ-Parteitagsbeschlüsse hinweggesetzt, die eine Abgrenzung zur FPÖ festgelegt hatten. Damit hat die SPÖ ihre zentrale interne Identität als Bollwerk gegen die für sie rechtsextreme FPÖ aufgegeben. Erster Gewinner der Krise der ÖVP sind eindeutig die Freiheitlichen unter Herbert Kickl. Der kann im Kampf um die zur türkisen ÖVP abgewanderten ehemaligen FPÖWähler ganz klar die Doppelzüngigkeit der Volkspartei ins Treffen führen. Die hat Türkis-Blau bekanntlich aus moralischen Gründen platzen lassen. Außerdem wurde er jetzt durch die tollpatschige Pamela Rendi-Wagner reingewaschen. Und wegen Rendi-Wagners geplanten Verrats an der Anti-FPÖ-Linie könnten am Ende sogar die Grünen von der Krise ihres Regierungspartners profitieren. Nachdem sich Werner Kogler von der SPÖ ständig sein mangelndes Durchsetzungsvermögen gegenüber der ÖVP in der Regierung vorwerfen lassen musste, steht er auf einmal


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