In unserer freien Gesellschaft darf es keine Toleranz für Intoleranz geben. Bundeskanzler Sebastian Kurz nach dem Terroranschlag in Wien
Fotos: Neos, Dominik Butzmann
Beate Meinl-Reisinger gelang es, die Neos als urbane gesellschaftsliberale Partei der Mitte zu positionieren. Die Partei hat das Image des ÖVP-Spin-offs endgültig überwunden. Wien – aus Grün wird Pink Bei der Wienwahl hat den Grünen selbst ein Rekordwahlergebnis nichts genutzt. SPÖ Bürgermeister Michael Ludwig hat sie als Koalitionspartner abserviert und durch die aus seiner Sicht womöglich einfacher handhabbaren Neos ersetzt. Ausschlaggebend für diesen grünen SuperGau dürfte das schlechte SPÖ-Ergebnis in den Bezirken innerhalb des Wiener Gürtels gewesen sein. In ganz Wien war es der grünen Vizebürgermeisterin Birgit Hebein mit Hilfe ihres Pop-up-Populismus gelungen, die Spaßbevölkerung auf ihre Seite zu ziehen. Doch innerhalb des Gürtels hat die SPÖ deutlich verloren. In der Analyse will man draufgekommen sein, dass sich das klassische SPÖ-Publikum überall dort, wo die Grünen besonders stark in den Bezirksvertretungen sind, dermaßen über diese Politik geärgert hat, dass es erst gar nicht 14 /// FAZIT DEZEMBER 2020
zur Wahl gegangen ist. Ludwig verdankt seinen Wahlsieg daher vor allem dem guten Abschneiden in den Wiener Flächenbezirken; dort, wo es noch echte Arbeiter im Gemeindebau gibt und wo der Wähleraustausch eher zwischen SPÖ und FPÖ als zwischen der SPÖ und den Grünen stattfindet. In den innerstädtischen Bezirken sind die Grünen hingegen längst zur Volkspartei – mit Ergebnissen zwischen 20 und 30 Prozent – aufgestiegen. Dort ist auch eine mächtige grüne Funktionärskaste herangewachsen. Die hat aus ihrer Sicht im Wahlkampf alles richtig gemacht und wird nun trotzdem mit dem Rauswurf aus der Regierung belohnt. Die grünen Parteifunktionäre reagierten, wie Parteifunktionäre immer reagieren, wenn sie ihre Pfründe verlieren: Sie suchten einen Sündenbock und fanden ihn in der ehemaligen Vizebürgermeisterin Birgit Hebein. Die grüne Spitzenkandidatin wurde unmittelbar nach Präsentation der rotpinken Stadtregierung von den grünen Gremien abmontiert. Sie wird im künftigen Gemeinderatsklub keine Funktion mehr innehaben und auch ihre Tage als Wiener Grünen-Chefin sind trotz Durchhalteparolen gezählt. Türkis-Grün: Wie lange geht das noch gut? Welche Intrigen gerade bei den Wiener Grünen gesponnen werden, sollte auf den ersten Blick keine besonderen Auswirkungen auf die türkis-grüne Bundeskoalition haben. Doch wie bei der SPÖ bildet die Wiener Parteiorganisation auch bei den Grünen die mit Abstand mächtigste Landesgruppe. Und schon seit längerem lassen die grünen Vordenker kein gutes Haar an der Performance der türkis-grünen Bundesregierung. Vor allem die restriktive Regierungshaltung bei allen Migrationsthemen – von der Durchsetzung von Abschiebungen bist zur Weigerung, Flüchtlingskinder aus Moria aufzunehmen – ist für viele Grüne unerträglich. Vielleicht handelt es sich beim aktuellen Umfragetief der Grünen ja nur um einen der Corona-Pandemie geschuldeten Umlauf. Auf alle Fälle sind sie in der bundes-
weiten Sonntagsfrage im Laufe des heurigen Jahres von 17 Prozent im Jänner auf 11 Prozent im November eingebrochen. Das ist ein Minus von 30 Prozentpunkten. Das geht natürlich weder an der Parteispitze noch an der Basis spurlos vorüber. Die türkise ÖVP konnte hingegen ihre Zustimmung im Laufe des Jahres von 38 auf 41 Prozent sogar noch ausbauen und liegt nun noch deutlicher über den 37,5 Prozent bei der Nationalratswahl im Vorjahr. In diesem Umfeld könnte sich die Wiener Regierungsbildung mit den Neos als SPÖ-Juniorpartner zum Spaltpilz für die Bundeskoalition entwickeln. Die Grünen brauchen dringend Erfolgserlebnisse und Bundeskanzler Sebastian Kurz will und wird sie ihnen nicht zugestehen. Dazu kommt, dass die Neos unter Beate Meinl-Reisinger nichts unversucht lassen, um sich bei den grünen Herzensanliegen vom Flüchtlingsthema über den Bildungsbereich bis zum Klimaschutz endgültig von der ÖVP zu emanzipieren; sozialliberal, ökoliberal und nicht mehr in erster Linie wirtschaftsliberal. Sie haben zahlreiche Inhalte von den Grünen übernommen. Und während die Neos unter ihrem Parteigründer Matthias Strolz tatsächlich nicht viel mehr als ein ÖVPSpin-off waren – fast alle Funktionäre und hauptamtlichen Mitarbeiter konnten auf erfolgreiche ÖVP-Karrieren zurückblicken –, positionierte Meinl-Reisinger die Partei geschickt mitten im großstädtischen Bobo-Milieu. Die Neos hatten es zuvor geschafft, viele christlichsoziale Kernwähler der ÖVP anzuziehen. Aber während die wegen des Parteiputsches von Sebastian Kurz unzufriedenen ÖVPler schon 2017 zu den Neos gewechselt haben, akzeptiert die Masse des christlichsozialen ÖVP-Publikums die migrationskritischen Positionen ihrer Partei gerne als Preis für die unumstrittenen Nummer-eins-Position ihrer Partei. Die urbane Neos-Frontfrau Meinl-Reisinger weiß genau, dass die Strahlkraft ihrer Bewegung bei traditionellen ländlichen ÖVP-Wählern nicht vorhanden ist. Die Partei kann daher nur auf Kosten jener Partei