Fazit 127

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Essay von Vera Lengsfeld

Gibt es noch Meinungsfreiheit? Erratum Leider ist uns in der Printausgabe bei diesem Essay ein Fehler unterlaufen. Der erste gedruckte Absatz stammt aus dem Text des Essays von Christoph Giesa aus Fazit 126 und ist irrtümlicherweise nochmals abgedruckt worden. Wir bedauern diesen Fehler und entschuldigen uns bei beiden Autoren. Im Netz sowie in vorliegender Onlineversion ist der Fehler ausgebessert.

I

n unserem Land ist die Kommunikation zwischen Politik und Gesellschaft gestört, hieß es einst im berühmten Manifest des Neuen Forums während der Friedlichen Revolution in der DDR. Heute gibt es eine erschreckend ähnliche Störung der Kommunikation zwischen Politik und Medien einerseits und der Gesellschaft andererseits. Immer weniger Menschen halten Politik und Medien noch für glaubwürdig. Belege dafür sind eine enorme Wahlenthaltung und ein Absturz der Verkaufs- und Einschaltquoten bei den politischen Medien. Diese gestörte Kommunikation ist umso dramatischer, als sich unsere Gesellschaft in einer krisenhaften Situation befindet, die das Potential hat, zu einem heißen Konflikt zu werden. Immer mehr Menschen haben das Gefühl, dass sich Politik und Medien in einer Parallelwelt bewegen, die mehr mit politischem Wunschdenken als mit der Realität zu tun hat.

Heute gibt es eine erschreckend ähnliche Störung der Kommunikation zwischen Politik und Medien einerseits und der Gesellschaft andererseits. Immer weniger Menschen halten Politik und Medien noch für glaubwürdig.

Wie konnte es dazu kommen? Seit Deutschland von einer Großen Koalition regiert wird – daran hat auch die schwarz-gelbe Interimsregierung nichts geändert – kommt der Deutsche Bundestag seiner Aufgabe, die Regierung zu kontrollieren, nicht mehr nach. Er hat sich fast vollständig darauf beschränkt, die Regierungsvorlagen abzunicken. Darin wird er der Volkskammer der DDR immer ähnlicher. Seit der letzten Legislaturperiode kommt erschwerend hinzu, dass es keine parlamentarische Opposition mehr gibt, die diesen Namen verdient. Das liegt nur zum geringsten Teil an ihrer zahlenmäßigen Schwäche, sondern an ihrer völligen Konzeptionslosigkeit. Im Wesentlichen will die Opposition das, was die Regierung will, nur etwas mehr davon. Immer mehr tiefgreifende politische Entscheidungen werden überfallartig getroffen, ob es sich um die Eurorettung, die Energiewende oder die Einwanderungsfrage betrifft. Immer häufigrer werden bei solchen Entscheidungen Verträge gebrochen, ob es sich um die No-Bail-Out-Vereinbarung, die Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke oder das Dublin-Abkommen handelt. In allen drei Fällen werden dem Land von der Politik unübersehbare Kosten aufgebürdet. Nur dank der anhaltenden wirtschaftlichen Konjunktur konnten alle Kosten bisher gestemmt werden. Es gibt keinerlei Garantie, dass die gute wirtschaftliche Lage für immer anhält. Sobald eine Rezession eintreten sollte, werden die Kosten erdrückend. Wir reden von einer Staatskrise In den letzten Monaten hat die krisenhafte Situation eine Qualität erreicht, dass man von einer verdeckten Staatskrise sprechen kann. Verdeckt deshalb, weil die Medien ihrem Auftrag nicht nachkommen und diese Staatskrise thematisieren, sondern sie verschleiern. Das begann spätestens vor einem Jahr, als die einsame Entscheidung unserer Kanzlerin, unterschiedslos allen Syrern ein dauerhaftes Bleiberecht zu gewähren und der Aussage, unser Asylrecht kenne keine Obergrenze, eine unkontrollierte Massenein-

Foto: vera-lengsfeld.de

Der Bundestag kommt seiner Aufgabe nicht mehr nach

Vera Lengsfeld, geboren 1952 in Sondershausen (Thüringen), ist Publizistin und Politikerin. Sie studierte ab 1972 Philosophie an der Berliner Humboldt-Universität. 1983 wurde sie aus der SED ausgeschlossen und mit einem Berufsverbot belegt. Von 1990 bis 2005 war sie Mitglied des Deutschen Bundestages – zuerst für die Grünen, ab 1996 für die CDU. vera-lengsfeld.de Fazit November 2016 /// 43


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