HEUREKA 5/21

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Down and out an der Uni D

u loggst dich auf Moodle ein und gehst in deine Vorlesung ĂŒber Zoom, dann sind da 600 andere Leute, von denen du nichts mitbekommst, und das war’s“, sagt Helena Guschlbauer ĂŒber die AnfĂ€nge ­ihres Studiums. Die mittlerweile 21-JĂ€hrige hat im Wintersemester 2019/20 ihr Bachelorstudium Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der UniversitĂ€t Wien begonnen. Das Studierendenleben hat sie sich aber anders vorgestellt. „Was man sich typischerweise vom Studium erwartet, alle kennenlernen und sich austauschen, hat man plötzlich nur mehr ĂŒber WhatsApp-Gruppen. Aber das ist nicht das Wahre.“ Nach einem Monat hieß es dann im Herbst 2020: Alles auf Distance Learning. Wie unzĂ€hlige andere Studierende hat auch Helena sich ĂŒber Gruppenchats organisiert und sich mit anderen vernetzt. Bei bis zu 600 Erstsemestrigen, die dann im virtuellen Raum aufeinandertreffen, hĂ€lt sich die Begeisterung in Grenzen. „Das Gemeinschaftsge ĂŒhl war nicht wirklich berauschend. In großen Gruppen hat man gemerkt, dass es vielen einfach keinen Spaß gemacht hat.“ Zu viel Technik, aber zu wenig PĂ€dagogik? Damit junge Menschen einer doch sehr komplexen Welt nicht nur ausgeliefert sind, sondern sie mitgestalten können, braucht es viel. Zum einen natĂŒrlich Wissen, um Strukturen und ZusammenhĂ€nge zu verstehen. Zum anderen aber auch Mut, um die eigene Zukunft mitzubestimmen. Daher stellt sich die Frage: Bereiten Schulen und Hochschulen die nĂ€chste Generation ausreichend auf eine Zukunft vor, die nicht allzu rosig aussieht? Denn spĂ€testens seit der Fridays-for-Future-Bewegung ist klar, dass junge Menschen ahnen, was sie erwartet und dass sie das nicht einfach hinnehmen möchten. Corona hat rasches Handeln verlangt. „Weder die Schulen noch die Hochschulen waren auf Fernunterricht vorbereitet“, sagt Christiane Spiel, Professorin fĂŒr Bildungspsychologie und Evaluation an der UniversitĂ€t Wien. „Zum einen in Hinsicht auf die digitale Ausstattung, und zum anderen die didaktisch-pĂ€dagogischen Kompetenzen der Lehrpersonen. Die derzeit getroffenen Maßnahmen insbesondere in Schulen fokussieren auf die technische Ausstattung und zu wenig auf den didaktisch-pĂ€dagogisch sinnvollen Einsatz.“ LaborĂŒbungen, Musikunterricht an KunstuniversitĂ€ten, GesprĂ€chsfĂŒhrung sowie PrĂ€sentations- und Moderationstechniken haben wĂ€hrend des vergangenen Winter- und Sommersemesters nur vereinzelt in PrĂ€senz und hauptsĂ€chlich online stattgefunden. Obwohl genau diese Seminare digital wenig Sinn machen. „Es ist nicht fĂŒr alle easy. In Gruppenarbeiten hat man gemerkt, dass alle einfach keine Lust mehr

TEXT: MONA SAIDI

„Studierende mĂŒssen miteinander sprechen und sich als Gruppe erleben“ JULIA HOLZER, UNIVERSITÄT WIEN

Christiane Spiel, UniversitÀt Wien

Helena Guschlbauer studiert Publizistik an der UniversitÀt Wien

auf Corona haben. Das zieht die Stimmung runter“, sagt Helena. Sie ist mittlerweile im dritten Semester und hat seit genau einem Jahr keine Vorlesung in einem Hörsaal der UniversitĂ€t Wien erlebt. Die Jungen brauchen mehr psychologische UnterstĂŒtzung Befragungen an UniversitĂ€ten zeigen, dass sich SchĂŒler*innen und Studierende seit Corona vermehrt psychologische UnterstĂŒtzung wĂŒnschen. Sie nennen depressive Symptome wie Niedergeschlagenheit, Schlafstörungen oder den Verlust von Interessen und Freude als Folge der ­Isolation und Fernlehre. Nicht nur die Studierenden hatten Schwierigkeiten mit der bestehenden Dis­ tance-Learning-Situation, auch Lehrende waren ĂŒberfordert. Neben passiven Vortragenden, die teilweise nur Skripten zum Selbststudium hochgeladen haben, fanden andere wiederum kreative Wege, um ihre Studierenden auch online zu begeistern. „Die Studierenden mĂŒssen miteinander sprechen und sich als Gruppe erleben. Statt nur eine Interaktion mit mir als Lehrende zu haben, geben sie einander Feedback und lernen miteinander. Es ist wichtig, dass sie miteinander einen fachlichen Diskurs fĂŒhren“ sagt Julia Holzer, Lehrende an der FakultĂ€t fĂŒr Psychologie. In ihren Vorlesungen teilt sie die Studierenden in kleinere Gruppen ein, die wĂ€hrend der Dauer des Semesters zusammenarbeiten. Mit der PrĂ€senzlehre gehen auch die Diskurse verloren. Diese versucht Holzer im virtuellen Raum zu fördern und mit Kompetenzentwicklung zu verknĂŒpfen: „Die Studierenden sollen ihre Gedanken zu den Inhalten Ă€ußern dĂŒrfen und nicht das GefĂŒhl haben, dass sie dabei in einer PrĂŒfungssituation stecken. Denn neues Wissen wird verarbeitet und neue Ideen entstehen, wenn man frei miteinander sprechen kann.“ Gemeinsam mit Professor*innen und anderen Projektmitarbeiter*innen des Arbeitsbereichs Bildungspsychologie forscht sie zu „Lernen unter Covid-19-Bedingungen“. Befragungen haben gezeigt, wie wichtig die ErfĂŒllung der psychologischen GrundbedĂŒrfnisse nach Kompetenzerleben, Autonomie und sozialer Eingebundenheit fĂŒr SchĂŒler*innen, Lehrende und Studierende ist. An starren Frontalunterricht ĂŒber Zoom glaubt die Bildungsforscherin nicht. Sie gibt gestaffelte Feedbackschleifen und nimmt ihre Inputeinheiten als Videostreams auf. Angst, dass die Studierenden spĂ€ter gar nicht mehr zum PrĂ€senzunterricht kommen, hat sie keine. „Den meisten fehlt die UniversitĂ€t als sozialer Ort. Aber es ist auch wichtig, dass wir digitale Alternativen weiterhin ermöglichen. Es wird auch nach Corona Menschen geben, die auf hybride Lehre angewiesen sind, sei es aus örtlichen, zeitlichen oder beruflichen GrĂŒnden“, sagt ­Holzer aus eigener Erfahrung.

Wer will mich? Was bringt ein Studium nun? Erstsemestrige ziehen fĂŒrs Studium manchmal aus einem anderen Bundesland oder dem Ausland in eine neue Stadt. „Viele sind im Lockdown auch einfach wieder nach Hause gezogen. Es war fĂŒr sie nicht möglich, Anschluss zu finden, wenn sie keine Mitbewohner oder Partner in Wien haben. Einige sind gar nicht erst hergezogen, weil alles, selbst die PrĂŒfungen, online stattgefunden hat“, beschreibt Helena die Situa­ tion von Studienkolleg*innen. Ganz selbstverstĂ€ndlich sind neben dem Studium erste Praktika und Jobs. Auf vielen Fachhochschulen ist Praxiserfahrung ein Hauptbestandteil der Lehre und fĂŒr den Abschluss erforderlich. Obwohl Helena in ihrem Studium kein Pflichtpraktiku absolvieren muss, weiß sie, „dass man nur mit dem Bachelortitel schwer einen Job bekommt. Meine Studienkollegen haben Probleme gehabt, Praktika zu finden, die auch passen. Seitens der UniversitĂ€t gab es wenig UnterstĂŒtzung, da es ja nicht verpflic tend ist. Aber in der Arbeitswelt braucht man Praxiserfahrung. Und Corona hat die Situation verschlechtert.“ „Unsere Studien vor Covid haben schon gezeigt, dass Studierende zwar mehr Lernstrategien kennen als SchĂŒler*innen, aber nur wenige sie auch anwenden. Das bedeutet, dass nur wenige in der Lage sind, ein Faktenwissen in ein Handlungswissen umzusetzen“, sagt Bildungsforscherin Spiel. Im Elementarbereich stand wĂ€hrend der Pandemie primĂ€r die Betreuung der Kinder im Mittelpunkt und nicht ihre Bildung. Welche Schwierigkeiten diese Kinder haben werden, sich Lerninhalte selbststĂ€ndig anzueignen, werden die kommenden Jahre zeigen. Bereits im Nationalen Bildungsbericht 2018 steht, dass es VerĂ€nderungen im Bereich neue (digitale) Technologien geben muss. Ganz besonders sind die Auswirkungen auf Bildungseinrichtungen und ihre Möglichkeiten zur Gestaltung oder Auslagerung von Lehr-Lern-Arrangements zu Ă€ndern. „In den Schulen liegt der Fokus nun jetzt vor allem darauf, dass jedes Kind ein Tablet besitzt. Das ist natĂŒrlich wichtig, um am digitalen Unterricht teilzunehmen, doch werden die Kinder auch dabei unterstĂŒtzt, mit den Technologien selbststĂ€ndig und verantwortungsvoll umzugehen?“, fragt Spiel. Junge Menschen, die in die Welt hinauswollen, sollten nicht nur einen Titel haben, sondern auch die notwendigen Skills, um etwas umzusetzen. Das klappt, wenn auf die Person eingegangen wird. „Es kommt selten vor, dass auch wir etwas fordern dĂŒrfen“, sagt Helena zum Corona-Diskurs der letzten Monate, der Studierende beinahe ausgeblendet hat. Dabei muss genau diese Generation nicht nur die Schulden, die durch die Pandemie entstanden sind, begleichen, sondern auch die Gesellschaft und ihre Gewohnheiten verĂ€ndern.

FOTOS: STEFAN KNITTEL, GERHARD SCHMOLKE, PAMELA RUSSMANN

Viele Studierende haben ihre UniversitÀt oder FH noch nie von innen gesehen


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