6. Ausgabe

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6.Ausgabe, Juli 2012

Bremens freies Unimagazin

INVASION BUBBLE TEA

Exzellente Uni

Bunker Valentin

Primark

Rektor Müller setzt sich die Krone auf

Historie des größten Rüstungsprojekts der Nazis

Konsumkult aus Irland


Inhalt

Editorial

Kurzmeldungen

Hochschulpolitik

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Exzellenzinitiative - Die Entscheidung 5 Die Gremienwahlen 2012

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Wahlkampfreportage 11 Hochschullisten und ihre Bundesparteien

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Upgrade und Downgrade von Unis

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Campusleben

Study Buddy 16

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International Day

Interview mit chinesischer Austauschstudentin

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International Day

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Studiengang KMW

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Wohnungsnot in Bremen

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Gedicht „Wissen schafft“

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Bremen

Bunker Valentin 27 Bremens grüne Lunge

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Breminale 32 Sinti und Roma

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Bremer Grüne Lunge

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Feuilleton

Wikipedia 38 Bubble Tea

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Primark

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documenta 44

Liebe KommilitonInnen, liebe LeserInnen! Die Würfel sind gefallen: Wir studieren an einer Exzellenzuni. Yeah! Vorsichtshalber werden wir durch das knallrote unübersehbare Banner am MZH auch gleich täglich daran erinnert. Für uns Studenten werden die Auswirkungen wohl überschaubar sein, da das meiste Exzellenzgeld in die Forschung fließen wird. Zumindest hat sich der ehemalige Linksaktivist Müller nun als Exzellenzkönig selbst gekrönt. Ob der Status bis auf das Image, das er mitbringt, auch tatsächliche Verbesserungen für jeden einzelnen Studenten bringt, wird stark bezweifelt. Doch den letzten Funken Hoffnung sollten wir vielleicht noch nicht aufgeben. Nicht ganz so auffällig wie diese exzellenten Banner, aber doch nicht zu übersehen, sind die aus dem Boden schießenden Bubble-Tea-Shops. Wird dieser Trend aus Taiwan bald so flächendeckend präsent und etabliert sein wie McDonalds, Subway oder Starbucks? Was bringt Menschen dazu, diese bunte Flüssigkeit mit den Gummiperlen zu sich zu nehmen? Um das rauszufinden, haben unsere Autoren tief in die Blasen des Tees geschaut und nicht nur Hintergründe offengelegt, sondern auch den Selbstversuch gewagt. Die Erkenntnisse sind so schockierend, dass man sich fragen muss, wozu das massenweise Schlürfen dieses bunten Gute-Laune-Tees führen wird. Kann Bubble Tea tödlich sein?

Ein anderer Kult, der immer wieder entweder für fragende Blicke oder unverhohlene Begeisterung sorgt, ist der Klamottenladen Primark. Vor über drei Jahren hat die erste Filiale Deutschlands in Bremen eröffnet, seitdem sind sechs weitere dazugekommen. Aus scheinbar allen Ecken Norddeutschlands strömen seitdem die Massen, auf der Suche nach den besten Schnäppchen, in die Waterfront. Sie tragen voller Stolz riesige Tüten nach Hause, auf denen groß das allzu bekannte blaue Logo prangt. Doch was genau macht den Reiz dieses Geschäftes eigentlich aus? Vermutlich niemand würde auf die Idee kommen, zum Einkaufen bei KiK oder C&A kilometerweit zu fahren – obwohl die Preisklasse ähnlich ist. Also wie hat Primark es geschafft, dass die Klamotten als „cool“ gelten, obwohl (oder gerade weil) sie so billig sind? Werden künftig alle Studenten mit Primarkklamotten und Bubble Tea den täglichen Weg in die Exzellenzuni antreten? Eine neue Spezies macht sich in Bremen breit...

Anne Glodschei

Lukas Niggel

spotify 46 Lautsprecher 47

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Menschliche Werbeflächen

Buchrezension: „Don‘t sleep, there are snakes“

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Menschliche Werbeflächen

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Fernweh: Israel

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Impressum

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Ihr erreicht uns bei Fragen, Anregungen oder Kritik entweder persönlich auf dem Campus oder unter scheinwerfer@uni-bremen.de.

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Kurzmeldungen

Kurzmeldungen

Kurzmeldungen Weitere Rüstungsforschung an Uni aufgedeckt

Tag der Lehre

Festival gegen Rassismus

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m Mai war bekannt geworden, dass die Universität Bremen trotz bestehender – und im April durch den Akademischen Senat (AS) erneut bestätigter – Zivilklausel indirekt über den OHB-Konzern einen an diesen erteilten Rüstungsforschungsauftrag der Bundeswehr übernommen hatte. Hierbei ging es um die Beschleunigung der Datenübertragung für Tornado-Kampfjets. Nun gibt es neue Vorwürfe. Eine interne Überprüfung ergab, dass darüber hinaus mindestens in zwölf Fällen allein im Zeitraum von 2003 bis 2011 gegen die seit 1986 bestehende

Zivilklausel verstoßen wurde. Trotz Bestätigung dieser Verletzungen durch Rektor Müller sind der Öffentlichkeit keine genaueren Ergebnisse der Umstände zugänglich. Informationen über die jeweiligen Projekte, deren finanziellen Rahmen und die Drittmittelgeber bleiben unter Verschluss. Neben der gesetzlichen Verankerung der Zivilklausel im Bremischen Hochschulgesetz verweigert das Rektorat auch das Einsetzen einer universitätsinternen Kontrollgruppe.

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„Kleine Schwester“ der Tagesschau im Netz

Aktiv im Studium – Der Semestergipfel im Mai

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ie tagesWEBschau ging am 04. Juni an den Start, pünktlich zum Beginn der Fußball-EM und dem heiß diskutierten, scherzhaften Streich, den der Bundestrainer Joachim Löw einem Balljungen spielte. Dass dieser sympathische Ausschnitt vor Spielbeginn aufgezeichnet und von der FIFA, die die kompletten Bildrechte besitzt, als Liveübertragung ausgegeben wurde, sorgte für Furore. Das Echo, das zu solchen und weiteren tagesaktuellen Themen im Internet entsteht, ist der Inhalt des neuen Formats der ARD, das sich vornehmlich an ein junges, internetaffines Publikum richtet. Mit Filmsequenzen und Grafiken werden Themen, die die Netzgemeinde interessieren, aufbereitet und reflektiert wiedergegeben. Produziert wird die „kleine Tochter“ der Tagesschau in Bremen, in der „Digitalen Garage“ bei Radio Bremen. Unter anderem sind einige Masterstudenten der Uni Bremen an diesem Projekt beteiligt. Diese erstellen zum Beispiel zu jedem Beitrag ein Content, also eine Auswahl an verwandten Seiten oder Artikeln im Netz, die weiterführende Informationen bereit halten. Im Herbst wird die Evaluation dieses Nachrichtenportals Gegenstand einer Masterarbeit sein. Die tagesWEBschau ist täglich ab 17 Uhr online unter www. tagesschau.de/tageswebschau/, auf den Websites aller jungen Radiosender der ARD (Bremen Vier) und über die SmartphoneApp der Tagesschau zu sehen.

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m 23. Mai fand zum wiederholten Male der so genannte Semestergipfel statt. Diesmal stand er unter dem Motto „MAKE!“ – „Miteinander! Aktiv! Kreativ! Eigenverantwortlich!“ Obwohl die Beteiligung von Studierenden erneut zu wünschen übrig ließ, kam es zu einigen interessanten Auseinandersetzungen. Die Konzentration lag dabei insbesondere auf der Partizipation von Studierenden. Viele würden sich noch immer zu wenig einbringen, obwohl diejenigen, die es täten, auch im späteren Leben vielfach davon profitierten. So zumindest die relativ einhellige Meinung. Es wurde der Vorschlag gemacht, Partizipation innerhalb des Studiums und auch im Zusammenhang mit Lehrangeboten stärker zu fördern. An gleicher Stelle diskutierten die Teilnehmer des Gipfels darüber, ob Studierende vielleicht aus Sorge um Repressionen mit ihrer Kritik an Inhalt und Didaktik von Lehrveranstaltungen hinterm Berg hielten. „Dies scheint ein Thema zu sein, um das man sich weiter kümmern muss“, resümiert Heidi Schelhowe, Konrektorin für Lehre und Studium auf eine Anfrage des Scheinwerfers. Wie zuletzt bei allen Gipfeln, herrschte jedenfalls auch diesmal Bedauern über das geringe studentische Interesse.

m 06. Juni fand an der Uni Bremen der Tag der Lehre statt. In diesem Rahmen sollen Studierende und Lehrende gemeinsam ins Gespräch kommen, betont Prof. Dr. Heidelinde Schelhowe, Konrektorin für Studium und Lehre der Uni Bremen, gegenüber der UniPresse. Dafür wurde der Vormittag für Veranstaltungen innerhalb der einzelnen Fachbereiche offen gehalten und für den Nachmittag ein uniweit offenes Programm angeboten. Zum einen gab es eine Einführung durch Schelhowe zum Thema „Auf Augenhöhe – Gedanken zu guter Lehre und gutem Studieren“ und zum anderen unterschiedliche Workshops zu Themen wie Bologna, Forschendem Lernen oder der Universitätsbibliothek. Abgeschlossen wurde der Tag der Lehre mit der feierlichen Verleihung des Berninghausenpreises. Bilanz des Tages: Das Konzept sei auf dem Weg sich zu etablieren, jedoch wünscht sich Schelhowe für die Zukunft mehr Beteiligung, um die Lehre gemeinsam gestalten zu können.

uch in diesem Jahr wurde das „Festival contre le racisme“ durch das Anitdiskriminierungsreferat des AStAs der Uni Bremen in der Zeit vom 11. bis 15. Juni organisiert. Und auch in diesem Jahr konnte sich das Programm sehen lassen. Gemeinsam mit zahlreichen engagierten Kooperationspartnern wurde ein buntes Programm auf die Beine gestellt. Theater, Vorträge, Tanz und gute Diskussionen setzten eine Woche lang den Rahmen, sich gegen Rassismus in unserer Gesellschaft auszusprechen. Einen musikalischen Höhepunkt präsentierten die Organisatoren mit einem Konzert auf der „Treue“. Salsa, Rock und SKA setzten ein lautstarkes Zeichen gegen Rassismus in unserer Gesellschaft. Aber auch Vorträge wie der von Adam Donen, dessen Vater Kämpfer gegen die Apartheit in Südafrika gewesen ist, und szenische Inszenierungen durch Studentinnen der Fachhochschule Ottersberg boten eine gute Gelegenheit, sich mit dem Thema auseinander zu setzen. „Eine Woche stand das Thema besonders im Fokus, doch müssen wir uns weiter täglich für ein antirassistisches Zusammenleben und gegen Diskriminierung einsetzen“, so die Organisatoren abschließend.

Nicht nur Exzellenz-, sondern auch Diversity-Hochschule

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m 02. Juli wurde der Universität Bremen vom Stifterverband für Deutsche Wissenschaft das Zertifikat zum Audit „Vielfalt gestalten“ verliehen. Damit gehört sie zu den ersten acht Diversity-Hochschulen Deutschlands. Auf der Homepage der Universität heißt es, Managing Diversity beinhalte den „bewussten Umgang mit Diversität als Aufgabe für alle Beteiligten“. Daher sei es eng mit Ansätzen zu Antidiskriminierung und Chancengleichheit sowie zu Internationalisierung und Interkulturalität verknüpft. Der Weg nach Berlin, wo die Preisverleihung stattfand, begann schon vor zwei Jahren, als der Stifterverband das Projekt „Ungleich besser – Verschiedenheit als Chance“ ausschrieb. Aus 58 Bewerbern wurden acht Hochschulen ausgewählt, die im Rahmen eines Benchmarking-Club

ein Auditierungsverfahren entwickelten. Nach diesem Verfahren wurden nun eben diese acht Hochschulen zertifiziert und dürfen sich die nächsten drei Jahre Diversity-Hochschule nennen. Als Pionierhochschule bleibt die Bremer Uni Mitglied in dem gegründeten Benchmarking-Club und steht Hochschulen, die die Zertifizierung anstreben, mit Ratschlägen zur Seite. „Das ist noch wichtiger als Geld habe ich festgestellt“, weiß Christina Focke, Dezernentin für studentische Angelegenheiten, diesen vielfältigen Austausch mit anderen Hochschulen zu schätzen. Ungefähr alle zwei Monate finden Treffen des Clubs statt, bei denen durch Expertenvorträge und Diskussionen das Thema Diversity vertieft und weiterentwickelt wird.

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Hochschulpolitik

Hochschulpolitik

Kommentar: Eine exzellente Inszenierung

Exzellente Forschung – Exzellente Uni?

Direktorin der BIGSSS Prof. Dr. Susanne K. Schmidt

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Rektor Prof. Dr. Wilfried Müller

m 15. Juni war es soweit, der Bewilligungsausschuss der Exzellenzinitiative hatte für diesen Freitag die Verkündung der Gewinner in der letzten Runde der Exzellenzinitiative angekündigt. Neben den bereits in den vorangegangenen Runden ausgezeichneten Unis in Aachen, Berlin (FU) ,Freiburg, Göttingen, Heidelberg, Konstanz, Karlsruhe und München (TU und LMU) hatten sich für diesen finalen Termin auch die Unis Berlin (HU), Dresden, Mainz, Köln, Tübingen und nicht zuletzt Bremen mit einem Zukunftskonzept auf den Titel ExzellenzUniversität beworben. Auf dem Spiel stand für alle Bewerber viel. Insgesamt ging es um die Verteilung von 2,7 Milliarden Euro bis zum geplanten Ende der Exzellenzinitiative im Jahr 2017. Es war demnach auch die letzte Chance für deutsche Hochschulen von der im Jahr 2005 erstmals durchgeführten Initiative zu profitieren. Nachdem eine Jury aus internationalen Wissenschaftlern die antragsstellenden Institute bereits ähnlich einer Ampel in grüne – zu fördernde Universitäten – , gelbe – Wackelkandidaten – und rote Universitäten – nicht förderungswürdig – eingeteilt hatte, ging es an diesem Tag ganz besonders um die Gruppe der als Wackelkandidaten eingestuften Unis. Vorab hatten die Landesbildungsminister, die neben den internationalen Wissenschaftlern ebenfalls Stimmen im Bewilligungsausschuss haben, bereits verkündet, sich dem Votum der Wissenschaft beugen zu wollen. Nichtsdestotrotz darf überdies nicht der Länderproporz außer Acht gelassen werden. Bereits bei den vorangegangenen Runden war BadenWürttemberg überproportional zu den anderen Ländern mit Exzellenz-Unis ausgezeichnet worden. 2006 hatte bereits Schleswig-Holstein wegen einer zu schwachen Repräsentation der norddeutschen Unis das Konzept Exzellenzinitiative beinahe scheitern lassen. Von einem Politikum war damals die Rede und das sollte um jeden Preis für die letzte Runde vermieden werden. Auch AStA-Referent Jan Cloppenburg hoffte, „dass man sich bei der Entscheidung klar an den wissenschaftlichen Kriterien der Gutachter orientiert und diese Entscheidung nicht zum Politikum macht“. Grundvoraussetzung, um über das sogenannte „Zukunftskonzept“ als Exzellenzuniversität ausgezeichnet zu werden, sind zwei weitere Cluster. Dies sind zum einen eine vom 6

Konrektorin für Lehre Prof. Dr. Heidi Schelhowe

AStA-Referent Jan Cloppenburg

Bewilligungsausschuss ausgezeichnete Graduiertenschule – also eine Doktorandenschule – und zum anderen das Exzellenzcluster, bei dem es um die Einrichtung einer interdisziplinär forschenden Wissenschaftsgruppe geht. In Bremen ist dies zum einen das MARUM (Zentrum für Marine Umweltwissenschaften) als Exzellentcluster und zum anderen die Bremen International Graduate School for Social Sciences (BIGSSS), die gemeinsam von Uni und Jacobs University Bremen als sozialwissenschaftliche Graduiertenschule betrieben wird. Professor Susanne K. Schmidt, Direktorin der BIGSSS, sagte kurz vor Verkündung des Ergebnisses gegenüber dem Scheinwerfer: „Ich glaube wir sind hier an einer sehr guten Uni. Wie das heute wirklich ausgeht, kann ich natürlich noch nicht sagen - ich habe die Nachricht noch nicht. Aber vor allem für die BIGSSS, die eine Grundvoraussetzung für die UniExzellenz ist, bin ich sehr zuversichtlich.“ Dennoch, auch Schmidt musste zu bedenken geben, dass „wir natürlich auch stark davon betroffen wären, wenn es in Zukunft keine Förderung der BIGSSS mehr gäbe – das hätte nicht nur Auswirkungen auf die Bewerbung für das Zukunftskonzept“. Doch diese Bedenken sollten sich kurze Zeit später als überflüssig erweisen. Noch vor der öffentlichen Verkündung durch Bundesbildungsministerin Professor Anette Schavan in Bonn machte die frohe Kunde über den Erfolg der Uni Bremen bei der Exzellenzinitiative die Runde. „Ich habe gerade die Nachricht per Telefon erhalten, sie ist also eigentlich noch nicht offiziell da, aber wir haben Großes geleistet“, verkündete Rektor Wilfried Müller im Gespräch mit dem Scheinwerfer. Auch die Konrektorin für Studium und Lehre, Professor Heidelinde Schelhowe, die erst Minuten, nachdem die inoffizielle Bestätigung vorlag, im MARUM eintraf, zeigte sich im kurzen Gespräch erfreut und machte gleichzeitig einen Schritt auf die, der Exzellenzinitiative kritisch gegenüberstehenden, Studierenden zu. „Ja, ich kenne das Ergebnis schon und wir werden alles tun, dass die Lehre hiervon genauso profitiert wie die Forschung!“, versprach Schelhowe. Text: Katrin Pleus Fotos: Katrin Pleus, privat (rechts)

Gefakter Jubel - Klappe die Dritte

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aum hatte Rektor Müller am 15. Juni die frohe Kunde über die Auszeichnung der Uni Bremen als Exzellenzuni verkündet, begann auch schon das große mediale Tamtam. Hatte man sich vorher noch offiziell um Zurückhaltung bemüht und nichts vom Label einer zu kürenden Elite-Uni wissen wollen, begann nun der ganz große Auftritt des Mannes, der sich ganz unmissverständlich selbst am liebsten mit dem Titel „Exzellenz-Macher“ oder noch besser „Elite-Macher“ schmücken würde. Es sei das wohl großartigste Ereignis in der 40-jährigen Geschichte der Universität Bremen, verkündete er da von seinem hohen Ross. Er? Natürlich er, Rektor Müller, oder auch Professor Dr. Wilfried Müller. Norddeutsches Understatement, Zurückhaltung und Bescheidenheit gehören nun bei weitem nicht zu seinen herausstechenden Eigenschaften. Man könnte nach fünf extra für die Presse inszenierten La-Ola-Wellen, der demonstrativen Gerhard-Schröder-Gedächtnispose mit weit in Richtung Himmel ausgestreckten Zeigefingern und dem medienwirksamen Entrollen zweier (noch ohne das Wissen um

den Ausgang der letzten Runde der Exzellenzinitiative) vorsorglich vorbereiteter überdimensionierter Banner auch meinen, ihm fehle das rechte Maß. Ja, das mag so sein. Aber jetzt sind wir Exzellenzuni und dazu gehört zweifellos auch eine exzellente Außendarstellung. Von der haben die Studierenden zwar noch weniger als von den Forschungsgeldern der Exzellenzinitiative, aber dafür haben wir jetzt dekorative Banner am MZH. Von der leider nicht explizit ausgezeichneten exzellenten Rüstungsforschung, die Rektor Müller – ob wissentlich oder unwissentlich – durchgewunken hat ganz zu schweigen. Macht euch das nicht auch glücklich?

Text: Benjamin Reetz Foto: Katrin Pleus 7


Hochschulpolitik

Hochschulpolitik

Alte Bekannte und neue Listen – Die Gremienwahlen 2012

Eine spannende Wahl mit verhältnismäßig hoher Wahlbeteiligung ist vorüber. Es gab viele Listen und Kandidaten, die um die Stimmen der Studierenden warben. Welche Listen tatsächlich in die Parlamente der Universität einziehen konnten, fasst der Scheinwerfer zusammen.

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er in diesem Jahr an den Gremienwahlen teilnahm, hatte nicht nur die üblichen Alternativen auf dem Papier. Zur Wahl des Studierendenrats (SR) traten insgesamt zehn Listen an, 132 Kandidatinnen und Kandidaten versuchten, das Vertrauen der Wählerschaft auf ihre Seite zu ziehen. Neben AfA (AStA für Alle), AntiRa (Antirassistische Liste), BaLi (Basisdemokratische Linke), CG (Campusgrün), LiSA (Liste der Studiengangsaktiven) und dem RCDS (Ring ChristlichDemokratischer Studenten), die allesamt schon Erfahrung im Wahlkampf haben und einige Legislaturperioden in Regierung oder Opposition vertreten waren, sind mit Uni-Aktiv für den Studierendenrat und LiMINT (Liste der MINT-Studierenden) für den Akademischen Senat (AS) zwei neue Listen auf den Plan getreten. Ergänzt wurde die illustre Runde dazu von gleich drei kleinen und noch unbekannten Listen. Denn „So geht das nicht!“, Leeramt und die PARTEI warben nicht weniger hartnäckig um die Stimmen, traten jedoch alle nur für den SR an.

Stimmen in %

mitunter locker mit Linkspartei, PIRATEN und FDP messen. Weit abgeschlagen und nicht im SR vertreten sind „So geht das nicht!“ und die Liste Leeramt. Im Vergleich zum vergangen Jahr büßte AfA zwar zwei Sitze ein, kann sich aber gemeinsam mit CG, die alle ihre Sitze wiedererlangten, als Wahlsieger betrachten. LiSA, AntiRA und BaLi hielten sich ebenfalls überwiegend stabil. Gleiches gilt für den RCDS. Der SDS und LaD.i.y Liberty traten nicht erneut zu den SR-Wahlen an. Während LaD.i.y Liberty in der Versenkung verschwunden zu sein scheint, wurde beim SDS beschlossen, sich künftig nur noch als Hochschulgruppe zu engagieren und sich aus der SR-Politik herauszuhalten. Auch bei den Wahlen zum AS hat es Veränderungen gegeben. Während AfA auch hier die Mehrheit errang und sich mit 25,7 Prozent einen der vier studentischen Sitze sicherte, gelang dies auch, wie in der vergangenen Legislaturperiode, CG mit knapp 20 Prozent und LiSA mit 17,4 Prozent der Stimmen. Für einiges Zähneknirschen dürfte die Wahl zum AS aber bei den Christdemokraten gesorgt haben. Waren diese in der vergangenen Legislatur noch mit einem Sitz im AS vertreten, schnappte sich dieses Mal LiMINT mit 25,4 Prozent der Stimmen und gerade einmal fünf Stimmen hinter AfA erstmals einen Sitz im höchsten beschlussfassenden Uni-Gremium.

23,41

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Wählerauftrag, aber keine Mehrheit Insgesamt sind bei dieser Wahl nicht nur viele neue Listen angetreten, von denen es drei auch direkt in den SR beziehungsweise AS schafften, sondern auch deutlich mehr Studierende zur Wahl gegangen. Die traditionell niedrige Wahlbeteiligung an der Universität Bremen, die im vergangen Jahr noch bei 10,7 (AS) und 8,7 Prozent SR-Wahl: Beteiligung der wahlberechtigten Studierenden (insgesamt 17.967) (SR) gelegen hatte, erhöhte sich in diesem Die Frischlinge im Parlament Jahr auf 12,7 (AS) und 12,3 Prozent (SR). In der kommenden Legislaturperiode Während AfA und CG in der letzten haben es die Studierenden mit Uni-Aktiv, 12,31% (2.211) Legislaturperiode noch allein im SR regieren der PARTEI und der Liste MINT mit konnten und freiwillig in eine Koalition mit gleich drei Neuzugängen in der Bremer Abgegebene Stimmen dem SDS (Sozialistisch-Demokratischer Hochschulpolitik zu tun. Dass es trotz der Nichtwähler 87,69% (15.756) Studierendenverband) traten, waren die Wahl der PARTEI nicht allein um einen beiden stärksten Listen diesmal auf einen Scherz der Wählerschaft gehen kann, zeigt dritten Partner angewiesen. der Einzug von Uni-Aktiv. Doch woher AfA gelang es, mit 23,4 Prozent und sechs kommen die neuen Listen so plötzlich? Sitzen die Mehrheit der Stimmen zu ergattern. Direkt darauf folgte Nach eigener Aussage gibt es die PARTEI an der Universität erst seit Daten: SR-Wahlkommission Grafik: dieses Katrin Pleus Jahres. Kurz vor dem Ende der Frist meldete sich die CG mit 19,9 Prozent, was fünf Sitzen entspricht. LiSA positionierte Mitte Mai sich mit 15,6 Prozent und vier Sitzen als stärkste Liste innerhalb der Satireliste zu den Wahlen des Studierendenrates an und ist damit in übrigen linken Listen, liegt aber noch knapp abgeschlagen hinter mehrfacher Hinsicht für nicht wenige eine Überraschung gewesen. dem RCDS, der mit 16 Prozent aber ebenfalls vier Sitzen in den So gab es einige Wochen zuvor ernsthafte Gerüchte darüber, ein Studierendenrat einzieht. BaLi und AntiRa kommen auf 4,6 und PIRAT würde dieses Jahr ebenfalls teilnehmen. Über die PARTEI 5,4 Prozent der Stimmen und damit auf jeweils einen Sitz. Für die hörte man bis zur heißen Phase des Wahlkampfes indes wenig. Wahlüberraschung sorgten Uni-Aktiv und die PARTEI. Die beiden Auch Uni-Aktiv hat bereits eine längere Geschichte hinter sich und Frischlinge auf dem SR-Wahlzettel zogen mit 5,4 und genau einer ist ein Beleg für die schnelllebige hochschulpolitische Landschaft Stimme mehr als AntiRA beziehungsweise 7,9 Prozent ebenfalls der Universität Bremen. Die Liste trat schon einmal 2006 zu den in den Rat ein und erhielten auf Anhieb jeweils zwei Sitze. Zum Wahlen an und errang in einer Zeit, in der beispielsweise der RCDS Vergleich: Ginge es um den Bundestag, könnten die Listen sich noch bei einem und CG bei lediglich zwei Sitzen gelegen hatten, 8

SR-Wahl: Stimmen der Listen in %

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7,90 4,58

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SR-Wahlkommission vier Sitze des studentischen Parlaments. Aus „Lust Daten: und Interesse“ Grafik: Katrin Pleus daran, „aktiv an der Hochschulpolitik mitzuwirken“ und mit dem Anspruch, eine „unparteiische Position“ einzunehmen, hat sich Uni-Aktiv in diesem Jahr dann wieder gegründet. Die Liste der MINT-Studierenden, die sich ihrem Namen nach aus Studierenden der Bereiche Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik zusammensetzt, hat im AS das erreicht, was der PARTEI und Uni-Aktiv im SR gelang. Mit ihrem ersten Antritt etabliert sich die Liste erfolgreich als wählbare Alternative neben alten Hasen wie AfA und CG. Der Ursprung der Liste ist unter anderem in der Diskussion um die Stiftungsprofessur und die Zivilklausel im vergangenen Jahr zu suchen. Weil die Listengründer der Meinung waren, dass Argumente in der Debatte weniger zählten als verhärtete Positionen und sich Ende des vergangenen Wintersemesters auch von anderen hochschulpolitischen Akteuren darin bestätigt sahen, entschlossen sie sich zur Listengründung. Heute engagieren sich insbesondere Studierende aus den technisch-naturwissenschaftlichen Fachbereichen für die Liste. Während anfangs nur fünf Aktive dabei waren, gelang es, die Mitgliederanzahl zu Beginn des laufenden Sommersemesters zu verdreifachen. Einen Monat danach fand dann die Wahl statt, die LiMINT ins Parlament brachte.

Nach der Wahl: Erste Reaktionen In ersten Reaktionen äußerten sich bereits einige der Listen zu den Ergebnissen der Wahl. Der RCDS-Vorsitzende René Marcel Mittelstädt erklärte in einer Pressemitteilung beispielsweise, man sei stolz, gerade bei der höheren Wahlbeteiligung ein stabiles Ergebnis im SR erreicht zu haben. Auch zeigte man sich erfreut darüber, dass das von ihnen in der Art subsumierte linke Lager, insgesamt Sitze eingebüßt habe. Dass der Sitz im AS verloren wurde, sei ein Wehrmutstropfen. Die Wahl von LiMINT sieht der RCDS aber als Signal dafür, dass die bisherige AStA-Politik besonders beim Thema Zivilklausel von der Studierendenschaft äußerst kritisch betrachtet werde. LiMINT selbst äußert sich in dieser Hinsicht jedoch etwas anders. Ihre Wahl sei kein Zeichen gegen die Zivilklausel, hinter welcher die Liste nach wie vor stehe. Vielmehr habe sich gezeigt, dass die Studierenden die Haltung der Liste teilten, die Zivilklausel nicht zur Dämonisierung von Grundlagenforschung zu missbrauchen. Insgesamt herrscht nach

dem Ergebnis der Wahl allgemeine Zufriedenheit bei der frisch gewählten Liste. „Dass wir aus dem Stand rund ein Viertel aller Stimmen geholt haben, empfinden wir als starken Rückenwind und Bekräftigung unserer Arbeit. Die Wahlbeteiligung war aber dennoch viel zu niedrig“, so die Mitglieder der Liste auf Anfrage des Scheinwerfers. Auf die Frage, wieso nicht versucht wurde, diesen Erfolg auch im SR umzusetzen, antworteten diese: „Wir wollen unsere Kapazitäten erst einmal nur auf das Gremium fokussieren, in dem sich unsere Ziele am besten erreichen lassen.“ Uni-Aktiv war ebenfalls zu einer ersten Stellungnahme bereit. Auch hier heißt es, man freue sich über die hohe Wahlbeteiligung. Zu ihrem doch sehr sprunghaften Erfolg befragt, meinen die Listenmitglieder: „Auf einen Sitz hatten wir gehofft, der zweite Sitz war eine sehr positive Überraschung.“ Insgesamt herrscht hier also eher Bescheidenheit. So wird offen vermutet, die Liste sei überwiegend von Freunden und Mitstudierenden gewählt worden. Unabhängig davon wolle Uni-Aktiv versuchen, die allgemeinen Interessen der Studierendenschaft zu vertreten. Von der PARTEI heißt es in einem ersten Kommentar zum Wahlerfolg: „Wir haben damit gerechnet, die absolute Mehrheit zu erlangen und sind dementsprechend entsetzt über das Versagen unserer Wähler, ihr Kreuzchen an der richtigen Stelle zu machen.“ Wie erwartet bleibt sich die Liste zumindest ihren Worten nach auch nach der Wahl treu: Satire über alles. Auch bei AfA betrachtet man die gestiegene Wahlbeteiligung positiv und ergänzt: „Wir werden dafür arbeiten, dass sich diese tolle Entwicklung im nächsten Jahr fortsetzt.“ Die Reaktion auf den Einzug neuer Listen fällt dabei etwas verhaltener aus: „Dass sich mehr Leute für die studentische Vertretung engagieren möchten, begrüßen wir sehr, auch wenn wir so unser besonders gutes Ergebnis aus dem letzten Jahr nicht ganz wiederholen konnten.“ Bei CG zeigt man sich wie die meisten Listen überwiegend zufrieden mit dem Wahlergebnis. Die höhere Wahlbeteiligung ist aber auch den Grünen nicht genug: „Dass die Wahlbeteiligung dieses Mal bei etwa 12 Prozent liegt, ist unserer Meinung nach zwar eine deutliche Verbesserung zum letzten Jahr, aber noch lange kein Wert, mit dem wir zufrieden sind.“ Der Einzug von Uni-Aktiv und der PARTEI wird mit Verweis auf die gestiegene Pluralität des Gremiums positiv bewertet. Außerdem wird ergänzt: „Wir freuen uns auf eine Zusammenarbeit mit diesen beiden Listen und auf deren neue Ideen.“ Der neue AStA Nach den Koalitionsverhandlungen sprach der Scheinwerfer erneut mit den einzelnen Listen. Bereits nach der Wahl zeichnete sich ab, dass AfA zwar als stärkste Liste in den SR einziehen würde, jedoch selbst mit CG keine eigene Mehrheit erreicht. Um eine stabile Regierung zu bilden, einigten sich AfA und CG mit der erstmals eingezogenen PARTEI auf eine Koalition. Dazu befragt, was der Grund dafür sei, dass sich AfA und CG auf die PARTEI geeinigt hatten, heißt es von AfA: „CG hat den Wunsch geäußert, mit der Partei koalieren zu wollen. Wir haben dem zugestimmt, nachdem die PARTEI uns versichert hat, ernsthaftes Engagement leisten zu wollen und dafür auch klare Inhalte vorgestellt hat.“ Mit LiSA sei indes keine vernünftige Zusammenarbeit möglich und dem RCDS werden elitäre Inhalte vorgeworfen, die 9


Hochschulpolitik

Hochschulpolitik

Wahlkampfarena Uni

Eine Papierflut bricht über die Glashalle ein und in der Mensa liegen das einzige Mal im Jahr deutlich mehr politische Flyer. Eine Reportage über den Wahlkampf vor den Gremienwahlen. unter anderem ihren Vorstellungen von Bildungsgerechtigkeit klar entgegenstünden. Zu einer Kooperation mit Uni-Aktiv heißt es: „Wir stehen auch einer Zusammenarbeit mit Uni-Aktiv offen gegenüber.“ Wieso es trotzdem nicht zu einer Koalition kam, wird aber nicht erläutert. Bei Uni-Aktiv heißt es dazu: „CG und AfA haben gemeinsam entschieden, dass die PARTEI besser mit ihren Überzeugungen und Zielen übereinstimmt.“ Gleiches ist bei CG zu hören: „Wir haben uns gegen Uni-Aktiv entschieden, da wir bei zentralen inhaltlichen Fragen große Differenzen gesehen haben.“ Ansonsten habe man mit Ausnahme des RCDS aber mit allen Listen gesprochen. Einer Zusammenarbeit mit den linken Listen wurde eine Absage erteilt, weil es Vorbehalte gegen die vermutete Arbeitsweise im AStA gegeben habe. Bei der PARTEI aber schien alles gepasst zu haben: „Bei der PARTEI haben wir sofort viele inhaltliche Gemeinsamkeiten feststellen können.“ Darüber hinaus habe man sich schnell auf eine Arbeitsweise einigen können, wozu beigetragen haben könnte, dass die PARTEI künftig das Referat für Transparenz und Öffentlichkeitsarbeit übernimmt. Hierbei werden auch neue Denkanstöße erwartet. Welche genau das sein könnten, hätte die PARTEI bei der konstituierenden Sitzung des AStA darstellen können. Im Laufe der circa fünfstündigen Sitzung wurde aber nicht allen Beteiligten klar, mit welchem konkreten Konzept die PARTEI das neu geschaffene Referat führen will. Die PARTEI selbst sieht darin kein Problem: „Es ist vollkommen in Ordnung, sich in wichtige Positionen wählen zu lassen, ohne überhaupt zu wissen, was man da so macht.“ Gleichzeitig wird aber betont, wie interessiert man daran sei, „den AStA und seine Serviceangebote bekannter zu machen.“ Die übrigen Listen sind derweil nicht sparsam mit ihrer Kritik am neuen AStA-Bündnnis. Der RCDS wirft der Koalition sogar vor, es sei beim neuen Referat um die Schaffung eines neuen Postens für den dritten im Bunde gegangen. Ein weiterer Vorwurf an den neuen AStA lautet, es gehe ihm allein um den Machterhalt. Die Gemeinsamkeiten, von denen bei AfA und CG in Bezug auf die PARTEI die Rede ist, will man dort nicht sehen und spricht von „keinerlei inhaltlicher Übereinstimmung zwischen dem alten AStA und der PARTEI“, wie Mittelstädt betont. Bei Uni-Aktiv heißt es: „Wir stehen dieser Koalition kritisch gegenüber.“ Dies sei insbesondere auf die vorgelegten Pläne des Bündnisses bezogen. „Bei der Präsentation wurde deutlich, dass manche Konzepte schlecht ausgearbeitet und durchdacht sind.“ Dazu nennt die Liste das Referat für Transparenz und Öffentlichkeitsarbeit, aber auch jenes für Kritische Wissenschaften. Insgesamt geht Uni-Aktiv aber gnädiger mit den Koalitionären um als der RCDS: „Wir sind zuversichtlich, dass zu der nächsten Sitzung ein sinnvolles Konstrukt hinter allen Referaten steht, sodass der AStA auch gezielt im Amt arbeiten kann“, heißt es dort versöhnlich. Kritik an der PARTEI gibt es aber auch hier: „Wir sehen in der PARTEI eine momentane Modeerscheinung und stellen uns die Frage, inwiefern sich mit parodistisch-satirischem Charakter seriöse Hochschulpolitik gestalten lässt.“ Interessant an allen Äußerungen ist, dass der PARTEI die Fähigkeit zum verantwortlichen politischen Handeln 10

auf der einen Seite zugesprochen wird, während sie andere nur als Spaßpartei betrachten. Es wird sich im Laufe der Legislaturperiode vielleicht zeigen, was genau die Intention ihrer Wähler gewesen ist und ob deren Wünsche erfüllt werden können Text: Björn Knutzen Grafik: Katrin Pleus

Kommentar: Wieso eigentlich nicht Opposition? „AfA geht aus der Wahl wieder als stärkste Kraft hervor“, titelte die linke Bündnisliste kurz nach der SR-Wahl auf ihrer Homepage. Dazu an dieser Stelle erst einmal: Herzlichen Glückwunsch. 23,4 Prozent, also fast ein Viertel der Stimmen, ist bei zehn angetretenen Listen sicherlich ein gutes Wahlergebnis. Ebenfalls verlauten ließ man auf der Homepage, dass man daher gerne weiter im AStA arbeiten möchte. „Möchten“ ist aber nicht „müssen“. Denn eigentlich war die Situation für AfA denkbar ungünstig. Eine Koalition mit Campusgrün würde zu einer in Deutschland ja bekanntlich eher schlecht angesehenen Minderheitsregierung führen. Bei der Suche nach einem dritten Bündnispartner müsste man allerdings große Hürden überwinden. Auf der rechten Seite steht da der RCDS, zwar professionell aufgestellt, vor allem für die weiter linksgerichteten Aktiven bei AfA aber ein „schwarzes Tuch“. Auf der linken Seite dann LiSA und die gesammelte Mannschaft der Linken Listen. Doch auch hier ist der Graben spätestens nach den Querelen der vergangenen Jahre sehr tief. Bleibt noch Die PARTEI, eine Spaßpartei mit Anlehnung an Martin Sonneborns Satireprojekt einer bundesweit aktiven Partei, die der Politik ihre Wirkung auf den Bürger vorhalten will, aber an handfester Politik wohl eher nicht interessiert ist, und UNI-AKTIV, eine neue und noch schwer einzuschätzende Liste. Wie soll man da eine stabile Koalition bilden? Am besten einfach gar nicht. Die stärkste Kraft zu sein, bedeutet noch lange nicht, dass man die Regierung anführen muss. Vor allem an der Universität, bei einer kurzen Legislaturperiode von nur einem Jahr, ist ein Verzicht auf die Koalitionstätigkeit kein irreparabler Beinbruch. Doch an diese kühne Möglichkeit, die Verantwortung zur Regierungsbildung an die anderen Listen zu übergeben, hat man bei AfA wohl in keinem Moment gedacht. Schließlich präsentierte sich der neue AStA-Vorsitzende bereits auf dem Vorstraßenfest, nur einen Tag nach der Wahl, als eben solcher. Dies lässt Professionalität, Ernsthaftigkeit und Fingerspitzengefühl auf dem Weg zur Macht vermissen. Und so entstehen Bündnisse, bei denen man dem Wähler ein Kopfschütteln nicht verübeln kann.

Text: Fabian Nitschmann

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itsch und ratsch – wer vor einiger Zeit aufmerksam und zu sehr früher oder später Stunde durch die Uni lief, konnte es hören: Das Geräusch des Wahlkampfes. Während frühmorgens das Klebeband von der Rolle gelöst wurde, um die Wahlplakate der Listen an wirklich allen erdenklichen und undenkbaren Orten zu platzieren, ertönte es spät abends erneut, wenn jeweils gegnerische Listen die Plakate der anderen von den Wänden rissen. Dass jede Liste Angst davor hat, nicht genügend Beachtung zu finden und sich deshalb alle in die Werbespirale begeben, in der sie sich hochschaukeln, bis alle Tische rosa, grün oder blau sind, ist bekannt. Dabei haben weder ökologische noch finanzielle Argumente in den letzten Jahren Veränderungen bewirkt. Um herauszufinden, was die Wähler dazu denken, ist der Scheinwerfer in der Wahlkampfzeit durch die Uni gelaufen, hat ein offenes Ohr für die Studierenden gehabt, hier und dort gelauscht und ein paar Studierende zu ihrer Sicht befragt. Das Ergebnis war durchwachsen. Die Werbung fällt zumindest auf. Es ist noch nicht einmal nötig, die Leute direkt anzusprechen. Ein guter Platz in der Mensa oder unter den Treppen des GW2 offenbart so manchen Kommentar, der die Listen selten erreichen dürfte. Als ich für den Scheinwerfer in der Wahlwoche durch die Uni ging, um mich umzuhören, setzten sich beispielsweise direkt unter den GW2-Treppen zwei Studenten neben mich. In der Mitte des Tisches klebte ein Aufkleber der PARTEI und auch zwei, drei Flyer lagen dort. Es dauerte nicht lange und die beiden Studenten unterhielten sich belustigt über die Wahlvorschläge der Liste. Eine Flugabwehrkanone auf das MZH zu stellen – so schlecht kam die Idee der PARTEI scheinbar nicht an, die nach den Wahlen mit immerhin zwei Sitzen in den Studierendenrat (SR) eingezogen ist. Trotzdem gab es dann etwas Kritik. Er würde sie ja glatt wählen, sagte der eine. Er habe aber Angst, dass die nur so lustig täten und da tatsächlich jemand Böses dahinter stecken würde. Was genau er damit meinte, oder was eine Liste im Studierendenrat seiner Meinung nach Böses anstellen könnte, erklärte er seinem stirnrunzelnden Mitstudenten aber nicht. Nachdem die beiden irgendwann wieder verschwanden, fand sich eine kleine Gruppe Studierender ein. Während diese sich eigentlich eher mit dem Statistikprogramm SPSS hätten rumärgern müssen, hat sich eine Studentin augenscheinlich sehr gelangweilt. Sie faltete einen vor ihr liegenden zusammengefalteten Flyer der PARTEI wieder auseinander, nur um ihn nach wenigen Sekunden des Lesens wieder zu zerknüllen und mit einem herzhaften „Was für ein Scheiß!“ wegzuwerfen – die armen Reinigungskräfte. In den nächsten Tagen versuchte ich vermehrt, ein paar Studierende direkt anzusprechen und sie nach ihrer Meinung zu den Werbekampagnen zu befragen. In der Mensa traf ich dabei auf die Linguistikstudentin Sonja. Ob sie wisse, dass gerade Wahlen sind, fragte ich sie. Sie bejahte, schien aber sichtlich genervt. Auf die Frage, wie sie die Plakate und Flyer denn fände, rollte sie nur mit den Augen. „Das ist total nervig! Überall kleben Zettel – besonders auf den Tischen liegt noch mehr Papier als sonst!“ Die Wahlwerbung sei aber keine Hilfe bei der Entscheidung. Student Jasper, den ich am gleichen Tag im GW2 traf, sah das ähnlich.

Trotzdem hatte er ein paar lobende Worte parat. Als ich ihn frage, was er von der Art der Wahlwerbung halte, hebt er sofort den RCDS hervor. „Der ist dieses Jahr wirklich weniger penetrant als im letzten Jahr“, tönt er lachend und deutet auf die gläserne Umrandung, wo noch ein Jahr zuvor tatsächlich ungefähr doppelt so viele Plakate des RCDS hingen. In Sachen Penetranz werden aber nicht alle derart gelobt. LiSA sei besonders aufdringlich. „Die würde ich schon allein deshalb nicht wählen, weil deren Plakate überall hängen!“, erklärt er sichtlich genervt, schiebt aber relativ zügig nach: „Nicht, dass der RCDS für mich wählbar wäre.“ Hochglanzplakate oder Massenplakatierung: Für Jasper war beides nicht wirklich ansprechend. Anders sei dies im Übrigen bei den Partyflyern des StugA-Politik. „Die fallen auf – sogar irgendwie positiv“, erklärt er und lässt mich dann sichtlich staunend zurück. Kurz darauf wollte auch ich nach Hause gehen, begegnete in der Glashalle aber noch Psychologiestudentin Stefanie. Als ich sie fragte, wen sie denn wählen wolle und ob die Werbung das beeinflusse, grinste sie nur schief. Wählen werde sie wohl nicht. Aber falls doch, dann definitiv nicht LiSA oder andere Listen, die sich derart präsent platzieren. „Irgendwie nervt das nur“, stellte sie fest und änderte ihre Meinung auch nicht, als ich Advocatus Diaboli spiele und frage, wie die Listen denn sonst auf sich aufmerksam machen sollen. Diese Frage wird mir dann im Übrigen von einigen anderen Studierenden beantwortet, die dem Wahlkampf der PARTEI lauschen durften. Statt nämlich mit Flyern und Plakaten um sich zu werfen, stellten sich deren Mitglieder direkt auf den Boulevard – samt Megafon. Trotz allen Gesprächen, die ich führte: Eine letzte Antwort gibt es natürlich nicht. Viele nerven die Flyer und Plakate und doch wissen erschreckend viele nicht, dass überhaupt Wahlen stattfinden– oder wollen es gar nicht wissen. Vielleicht gibt es ja im nächsten Jahr einen Kompromiss: Die Listen versprechen, ein paar Bäume weniger für ihre Werbung abzuholzen und die Studierenden gehen nächstes Mal in großer Mehrheit wählen. Vermutlich sind dann alle zufrieden. Zumindest bis zu den Koalitionsverhandlungen.

Text: Björn Knutzen Grafik: Katrin Pleus

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Hochschulpolitik

Unabhängigkeit um jeden Preis

Hinter vier der zehn bei der SR-Wahl angetretenen Listen steht eine Partei, die auf Bundesebene aktiv ist. Dies bringt Vor-, aber auch Nachteile. Der Scheinwerfer hat untersucht, wo die Unterschiede zwischen Listen mit und ohne Partei im Rücken liegen und ob eine parteiübergreifende Liste in Bremen benötigt wird.

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ereits seit mehreren Jahrzehnten ist an der Universität Bedeutung der sozialen Marktwirtschaft zählt. Nach eigenen Bamberg die Unabhängige Studierenden Initiative, kurz Angaben engagieren sich beim RCDS Parteimitglieder der CDU, USI, als parteiübergreifende Liste aktiv. 65 Mitglieder aus Mitglieder anderer CDU-Vereinigungen wie etwa der Jungen den teilweise verschiedensten Parteien haben sich hier zusammen Union oder auch Nicht-Mitglieder. „Die einzige Einschränkung ist gefunden, um Hochschulpolitik zu machen. „Wir haben für uns aufgrund der immensen inhaltlichen Diskrepanz zwischen Parteibücher der CDU, der SPD und der Grünen unter einem christlich demokratischer Politik und linker Politik, Mitglieder der Dach vereint. Dazu kommen Mitglieder mit Grundansichten der Partei Die Linke aufzunehmen, wobei wohl mit diesem Parteibuch FDP und der Linken“, erklärt Christian Herse, für USI Mitglied auch niemand Interesse an der Mitarbeit im RCDS hätte“, erläutert des Konvents der Uni Bamberg (gleichzusetzen mit dem SR der Uni die Landesvorsitzende gegenüber dem Scheinwerfer. Bremen). „Und die Meinungsfindung in den Fraktionssitzungen Speziell durch Häsler besteht für den RCDS eine einflussreiche gelingt dennoch sehr gut.“ Aktuell Verbindung zur CDU. Denn Häsler ist besteht die Fraktion im Konvent aus neben ihrer Tätigkeit als Landesvorsitzende vier Sitzen, insgesamt schaut man auf des RCDS auch Abgeordnete in der Bremer Von ideologischen Graben- Bürgerschaft, natürlich für die CDU. eine jahrelange und kontinuierliche Mitarbeit im Studentengremium der Uni „Durch unsere direkte Verbindung in die kämpfen ist im Norden an Bamberg zurück. Inhaltlich setzt sich die Bürgerschaftsfraktion haben wir sogar die der Universität Bremen Studierendeninitiative gegen überfüllte Möglichkeit, unsere hochschulpolitischen Hörsäle und Wohnungsnot, bessere Interessen in die Bremer Landespolitik derweil häufiger die Rede. Verkehrsanbindungen, die Absenkung der einfließen zu lassen“, erklärt die junge Studiengebühren an der Uni Bamberg Politikerin und fügt mit dem Antrag zur bis hin zur vollständigen Abschaffung Einführung eines Bremen-Stipendiums der Gebühren im Freistaat Bayern sowie und der Öffnung der Hochschulen zwei für freiwillige Prüfungswiederholungen auch bei bestandenen Beispiele an, die einstimmig angenommen wurden. Enger, aber auch Prüfungen ein. „Es geht immer um die Studenten und nicht ein wenig komplizierter ist das Verhältnis zwischen SPD/ Jusos und um irgendwelche ideologische Grabenkämpfe außerhalb der AfA geregelt. Eigentlich ist die SPD mit Juso-Hochschulgruppen Hochschulpolitik“, macht Herse deutlich. an den Universitäten und Fachhochschulen vertreten. An der Uni Von ideologischen Grabenkämpfen ist im Norden an der Universität Bremen gründete sich allerdings vor 24 Jahren mit AfA eine linke Bremen derweil häufiger die Rede. Hier prägen vor allem die Bündnisliste, die im Kern aber eine Juso-Hochschulgruppe darstellt. parteinahen und parteitreuen Listen das hochschulpolitische Die meisten Mitglieder sind Jusos und mit Elena Reichwald (AfABild. Bei zehn angetretenen Gruppierungen zur vergangenen Sprecherin) ist man auch im Landesvorstand der Jusos in der SPD Studierendenratswahl waren mit dem RCDS, AfA, Campusgrün vertreten. „Wir versuchen aber schon, als AfA unabhängig von den und Die PARTEI vier Listen zumindest dem Namen nach an eine Jusos zu agieren. So sind bei uns auch Mitglieder der Grünen oder Partei gebunden. Insgesamt erreichten diese 17 der 25 SR-Sitze. der Piraten aktiv“, versucht Julien Hauth, Sprecher von AfA, die Auch wenn die Organisationsstrukturen Unterschiede aufweisen, Verhältnisse zu relativieren. Dass die Jusos bei AfA den Großteil geht es im Prinzip immer um das Gleiche: Jede politische Richtung ausmachen, bestätigt er aber ebenso. möchte auch bei den Studierenden mitmischen. Als Beispiele dafür, dass AfA nicht allein die SPD-Meinung Die CDU garantiert sich ihren langen Arm in die vertritt, nennt Hauth im Gespräch mit dem Scheinwerfer das Hochschulpolitik über den RCDS, der aber ausdrücklich elternunabhängige Bafög und die Zivilklausel, für die AfA kein Teil der christdemokratischen Partei ist. „Wir sind als auch weiterhin mit voller Kraft auch gegen die allgemeine RCDS ein eingetragener Verein. Somit sind wir faktisch keine sozialdemokratische Position – eintreten will. „Man kann bei uns Vereinigung oder ähnliches der CDU. Innerhalb der Partei schon einen klareren Drang nach links verzeichnen“, so Hauth. Da gelten wir als Sonderorganisation“, erklärt Luisa Katharina wundert es auch nicht, dass man bei Asta für Alle nicht gleich jedes Häsler, Landesvorsitzende des RCDS Bremen. Dennoch teile Parteibuch akzeptieren würde. „Ganz unabhängig davon, dass man man mit den Christdemokraten die gleichen Grundansichten, zu vermutlich nicht mit jedem Parteibuch oder dementsprechenden denen Häsler die Orientierung am christlichen Menschenbild, Gedanken bei uns glücklich wird“, schmunzelt der AfA-Sprecher die parlamentarische Demokratie als beste Staatsform und die an dieser Stelle und trifft damit ähnliche Töne wie Häsler für 12

den RCDS. Völlig losgelöst von der scheinbar nur namentlich nahestehenden Partei sieht sich derweil die Liste Campusgrün. „Wir sehen uns generell gar nicht zur Partei Bündnis 90/Die Grünen zugehörig oder mit ihr verbunden“, erklärten die Campusgrünen in einer gemeinsamen Erklärung gegenüber dem Scheinwerfer. Sogar die Mitgliedschaft im Bundesverband von Campusgrün wurde in dieser Erklärung geleugnet (eben jener Bundesverband äußerte sich auf Nachfrage des Scheinwerfers übrigens nicht zur Thematik). Dementsprechend werden bei CG auch Parteimitglieder anderer Parteien, vor allem links der Mitte, akzeptiert. Trotz aller Abgrenzung von den Bündnisgrünen und auch deren Jugend berichtet die Liste allerdings von einer finanziellen Unterstützung: „Wir haben uns für den Wahlkampf jetzt erstmalig mit 50 Euro von der Grünen Jugend sponsern lassen und dieses Geld in den Druck der Plakate investiert. Dabei haben wir allerdings klar gemacht, dass dies eine Unterstützung unserer Gruppe ist, die wir nicht durch Übernahme bestimmter inhaltlicher Positionen honorieren“, so die Liste in ihrer Erklärung. Auf dem Weg zu einer Liste, die sich parteipolitisch unabhängig und gleichzeitig nicht überdeutlich rechts oder links verorten lässt (dass Beispiel USI in Bamberg zeigt, dass dies möglich ist), liegen die Hoffnungen vor allem auf den beiden neuen Hochschullisten Die PARTEI und UNI-AKTIV. Wie ernst man erstere nehmen kann, bleibt allerdings durchaus fraglich. Ob hier Satire oder wirklicher politischer Auftrag in Form von konstruktiver Arbeit im Studierendenrat die Oberhand gewinnt, bleibt noch abzuwarten. Vielleicht größere Hoffnungen erfüllen könnte die pünktlich zur SR-Wahl gegründete Liste UNI-AKTIV. Die bislang neun Mitglieder starke Gruppe setzt sich aus Studierenden der Fächer Betriebswirtschaftslehre, Physik, Biologie und Kulturwissenschaft/ Kommunikations- und Medienwissenschaften zusammen und präsentiert sich bisher als unparteiisch. „Wir empfinden keine Parteiverbundenheit und unsere Mitglieder haben unterschiedliche

Einstellungen“, erklärt Marei Neitsch, seit der vergangenen Wahl Mitglied im SR. „In den Diskussionen machen wir uns dann gemeinsam ein Bild und legen die Inhalte fest“, so Neitsch weiter. Eine Nähe zum Bamberger Erfolg USI lässt sich in der Konzeption nicht von der Hand weisen. Zu den im Wahlkampf beworbenen Inhalte gehören für UNI-AKTIV unter anderem die Erweiterung des E-Book-Angebots in der Bibliothek, kostenlose prüfungsrelevante Fremdsprachenkurse, die Ausdehnung von Studentenrabatten in Bremen sowie die Vergabe von Credit Points für soziales und politisches Engagement. Eine Tatsache eint übrigens alle befragten Listen: Die Finanzierung. Keine der Listen erhält in großen Mengen Geld von einer Partei im Hintergrund. Während man sich beim RCDS über Spenden der eigenen Mitglieder freut und nur durch Zuschüsse des Bundesverbandes des RCDS grundlegend finanziert wird (der RCDS in Bremen erhebt keine Mitgliedsbeiträge), erhält AfA von Seiten der Jusos ausschließlich direkte Unterstützung in Form von Flyern und Werbematerial. „Unsere Referenten geben einen Anteil an die Liste ab“, erklärt Sprecher Hauth die weitere finanzielle Ausstattung. Bei den Listen ohne direkte Parteizugehörigkeit stellt sich die Frage nach der Finanzierung durch eine Partei nicht und auch der 50-Euro-Zuschuss der Grünen Jugend für Wahlkampfmaterial der Campusgrünen kann wohl nicht als kontinuierliche, großflächige Finanzhilfe angesehen werden. Zumindest ein Punkt, der die Listen in ihrer Glaubwürdigkeit hinsichtlich der meist deutlich bekundeten Unabhängigkeit zu Parteien bestärkt. Doch genau dieser Aspekt macht die Untersuchung auffällig: Nämlich die Tatsache, dass keine Liste mit Freude die Nähe zu einer Partei bekundet.

Text: Fabian Nitschmann Grafik: Wienke Menges

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Hochschulpolitik

Campusleben

Fahrstuhl fahren im Hochschulsystem

Kollision oder Kommunikation

Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz plant, schlechte Unis zu Fachhochschulen „herabzustufen“.

Von Schubläden, Schnöseln und Spätzündern

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in Artikel der financial times Deutschland hätte für viel Wirbel in der Unilandschaft sorgen können. Er hätte Professoren über ihre Forschung und Studenten über die Qualität der Lehre nachdenken lassen können. Trotzdem blieb es erstaunlich still. Am 4. Mai berichtete das Wirtschaftsmagazin auf Seite eins über die Pläne von Horst Hippler. Dieser plant, ein Rankingsystem für Unis und Fachhochschulen (FHs) einzuführen. Am Ende eines Bewertungsverfahrens soll die Abstufung einiger Unis zu FHs und die Hochstufung der FHs zu Unis stehen. Wenn Horst Hippler einen solchen Vorschlag macht, hat das durchaus Gewicht. Er ist nicht nur Präsident der Universität Karlsruhe, sondern gleichzeitig Präsident der deutschen Hochschulrektorenkonferenz (HRK). 267 Mitgliedshochschulen (Universitäten und Fachhochschulen) zählt das Gremium. Somit repräsentieren die Mitglieder auch 94 Prozent der immatrikulierten Studenten. Der Präsident besitzt die Richtlinienkompetenz. Er kann also verbindliche Vorgaben für die Arbeit der HRK geben – zum Beispiel auch ein Bewertungssystem für die Hochschulen einführen. Aber was soll nun bewertet werden? Eine klare Antwort auf diese Frage gibt es nicht: Die Forschung der Unis soll untersucht werden. Ein Rankingsystem wird angewendet, ähnlich wie bei der Exzellenzinitiative. Hier werden Kriterien in den drei Bereichen Graduiertenschulen, Exzellenzcluster und Zukunftskonzepte bewertet. Die Schwerpunkte liegen auf einer breiten Forschung, verstärkter Eigeninitative der Doktoranden und gesellschaftlicher Relevanz. Die Universitäten, die am Ende des Rankings stehen, sollen ihren Status verlieren und zu Fachhochschulen werden. Das hätte beispielsweise zur Folge, dass einer betroffenen Universität das Promotionsrecht entzogen wird. Umgekehrt wird den führenden FHs der Universitätsstatus verliehen. Dahinter steht der Gedanke, dass Unis forschen und Fachhochschulen praktisch arbeiten sollen. Während an der Uni Bremen keine Reaktionen 14

laut wurden, zeigte sich die Hochschule Bremen überrascht. „Das Hochschulsystem ist nicht die deutsche Fußball Liga“, betont Prof. Dr. Karin Luckey, Rektorin der Hochschule Bremen. Sie bezeichnet die Abstufungspläne als mangelndes Verständnis vom deutschen Hochschulsystem. Tatsächlich deutet Hipplers Verständnis darauf hin, dass Fachhochschulen Universitäten zweiter Klasse sind. Das sollen sie aber nicht sein. Den Unterschied zur Uni macht nicht die Qualität, sondern die praktische Ausrichtung einer FH. „Uniprofessoren haben angesichts ihrer ausschließlichen Sozialisierung im Wissenschaftssystem in der Regel nicht das Zeug für Fachhochschulen, schon gar nicht die schlechten“, meint der Sprecher eines Zusammenschluss von Hochschulen für angewandte Wissenschaft deshalb. Sind Hipplers Pläne am Ende gar nicht umsetzbar? Vieles deutet darauf hin. Im Zuge der Bachelorumstellung wurden auch die Universitäten dazu verpflichtet, praxisorientiert zu arbeiten. Die Studenten sollten besser auf ein Berufsleben vorbereitet werden. Umgesetzt wurden die Vorgaben mit Praxissemestern und verpflichtenden Praktika. Somit haben sich Fachhochschulen und Universitäten vielleicht angenähert, befinden sich aber lange nicht auf einem Niveau. Das zeigen schon die Zugangsberechtigungen. Bekanntermaßen benötigen Unistudenten Abitur, während auch ein Fachabitur für den FH-Besuch reichen kann. Bedeutet eine Hochstufung der Fachhochschulen dann auch, dass nicht alle der dort immatrikulierten Studenten weiter studieren können? Hipplers Ausführungen geben darauf keine Antwort. Wie und ob seine Pläne umgesetzt werden, bleibt abzuwarten. Bis dahin sollte man die Vielfalt der deutschen Hochschullandschaft genießen. Text: Marie Bornickel Grafik: Wienke Menges

inguistinnen sind die Nettesten (jedenfalls nach eigenen Angaben), vor allem, wenn man sich gemeinsam mit ihnen in Richtung Mensa bewegt. KuWi‘s sind allein schon fachbezogen offen. PoWi‘s sind neugierig, wort- und zugewandt, können allerdings auch ganz anders. ReligionswissenschaftlerInnen und PsychologInnen, Letztere übrigens mit ungewöhnlich hohem Linkshänder-Anteil, sind fachlich nicht selten am rumeiern, pardon, haben jede Menge Standpunkte. Und die Musikerinnen gefallen zumeist mit stiller Harmonie. Zugegebenermaßen ist diese Kategorisierung eigentlich nicht erlaubt und rein subjektiv, zumal nur auf wenige Spezies der jeweiligen Gattung bezogen. Aber Schubladen machen bekanntlich das Leben leichter und überschaubarer. So’n stylischer Apothekerschrank mit 96 Stück davon hat doch was, oder! Und wie sieht es mit den Alten aus, die sich in zunehmendem Maße auf dem Campus – und bisweilen pulkartig in gewissen Vorlesungen – tummeln? Zumindest der größte Teil der Männer ist grau- und dünnhaarig; bei den Frauen ist es dank fortgeschrittener Chemie nicht immer eindeutig. Manche lassen gerne mal ihre humanistische Bildung raushängen, Graecum oder Ganz Großes Latinum, wow! Andere hängen ihren Gedanken so lange nach – Denken braucht schließlich Zeit! –, dass die folgende drängende Frage bestimmt eine halbe Stunde zu spät im Vorlesungsablauf gestellt wird. Manche pinseln mit, als gelte es das Leben. Aber die meisten sind total brav. Einige wenige zwischen 80 und 85 (Alter! –nicht Jahrgang!!) streben ihren Bachelor oder die Promotion an, um sich endlich ins Berufsleben zu stürzen. Erinnert an Spätzündung in schlecht eingestelltem Motor – der unter Umständen nach kurzem Getöse – buff! – seinen letzten Schnaufer macht. Finito. Aber wer will das schon im Voraus behaupten wollen? Gut haben sie’s ja, die Alten, können einfach drauflos studieren, rein nach Lust und Laune. Ohne Prüfungskommissionsstress, ohne zwingenden Nebenjob, ohne nervige Eltern, die ihre Sprösslinge gerne baldigst auf der Seite der Einkommensbezieher wissen würden. Und was fehlt ihnen, besser: ist bei manchem ziemlich verlorengegangen? Leider bisweilen auch einiges. Etwa die Illusion und

der nötige Elan, die Welt zu verbessern. Oder die jugendliche Unbedarftheit, mit der Neuheiten begegnet wird. Sich Wissensinhalte in die Rübe zu knallen, auch das funktioniert nicht mehr in gewohnter Schnelligkeit. Oh Mann, was sind die Jungen zu beneiden! Nicht nur wegen ihrer ungebändigten Power, ihres zumeist glatten Teints (jedenfalls bei Nichtrauchern) oder ihrer Fähigkeit, auch nach mehrfach hintereinander durchgemachten Nächten noch halbwegs zivil auf der Matte zu stehen. Andererseits: ohne PC, Handy und Navi aufgewachsen zu sein, Mondlandung, Kennedymord und Mauerbau („Wende“ ohnehin) sowie die Beatles, Elvis und Abba als Zeitgenosse erlebt zu haben, da darf man schon ein paar Falten aufweisen! Na und wenn ich erst an meine Zeit als Matrose auf Noahs Arche denke… Schön, wenn sich beide Gruppen auf Augenhöhe begegnen. Geht übrigens auch bei differierender Körpergröße, jedenfalls mehr oder weniger. Und sogar, wenn es mit Du oder Sie anfänglich noch hakelt. Missverständnisse sind möglich, sogar wahrscheinlich – aber reizvoll. Hej, der Alte, der dich von der Seite anquatscht, denkt nicht an Anmache. Der weiß nur nicht, wie er den Raum für die nächste Veranstaltung findet. Und hej, der junge Schnösel, der dir älterer Person nicht mit nötiger Ehrfurcht zuhört, hat wahrscheinlich nachher eine wichtige Klausur. Oder musste mal wieder bei seinem 400-Euro-Bedien-Job bis morgens um 4 Uhr auf den Beinen sein. Vielleicht ist er/sie einfach schüchtern oder hat‘s nicht so gut mit Älteren. Aber echt spannend kann es trotzdem werden, wenn man sich gegenseitig austauscht; wenn sich Wissensdurst und Lebenserfahrung ergänzen. So habe ich es jedenfalls bisher des Öfteren erlebt, und immer positiv. Na gut: meistens jedenfalls. Und deswegen vertraue jetzt auch darauf, dass ich beim nächsten Gang über den Campus nicht von vermeintlich falsch Eingeschubladeten gelyncht werde…

Text: Gerd Klingeberg Foto: Katrin Pleus

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Campusleben

…ein Konzept, tausend Möglichkeiten… S tudienentwirrer B undesligaerklärer T ouristenführer U niansprechpartner U nterkunftspender D olmetscher D eutschlehrer D okumentenbesorger Y ogabegleiter PartY organisator

A

ufbrechen in die Ferne, in eine neue Kultur eintauchen, eine neue Sprache lernen oder eine Schulsprache auffrischen. Einfach mal weg von zu Hause, neu anfangen, dem Alltag entfliehen oder nur einmal ein Semester durchatmen. Urlaub machen, feiern und neue Leute aus anderen Ländern kennenlernen. Die Liste der Gründe für ein Auslandssemester ist lang. Aber egal, ob man nun freiwillig und voller großer Erwartungen ins Ausland geht, ob das Auslandssemester ein Pflichtbestandteil des Studiums ist oder sich einfach nur gut im Lebenslauf machen soll, der Anfang ist meistens ähnlich: Man steht verschwitzt nach einer langen Reise mit seinem viel zu schweren Koffer vor einem Haus, das für die nächsten Monate sein neues zu Hause sein soll. Und vielleicht das erste Mal in seinem Leben wartet niemand, aber wirklich niemand, auf einen. Wenn man noch nie ganz alleine in eine neue Stadt gezogen ist, in der man niemanden kannte, ist das eine wirklich neue Erfahrung In Bremen sollen Austauschstudenten deshalb mit dem Programm Study Buddy über den Unialltag hinaus einen Ansprechpartner bekommen. Bereits vor ihrer Abfahrt werden sie durch die Uni Bremen gefragt, ob sie an dem Programm teilnehmen möchten und können sich dafür schon von zu Hause aus anmelden. Es gibt aber auch noch die Möglichkeit, erst einzusteigen, wenn sie schon in Bremen angekommen sind. Bremer Studenten können freiwillig an dem Programm teilnehmen und die ausländischen Studenten betreuen. Dabei sind es hauptsächlich aus dem Ausland zurückgekehrte Studenten, die Interesse an dem Programm zeigen und sich dafür engagieren. Verena Timm, die im Rahmen ihres freiwilligen, kulturellen Jahres das Study Buddy Projekt seit letztem August für ein Jahr betreut, teilt den angemeldeten Bremern einen Study Buddy aus dem Ausland zu. Bei der Auswahl der Partner achtet sie vor allem auf Gemeinsamkeiten im Bezug auf Studiengänge, Interessen und Hobbies der Teilnehmer. Auf Sprachwünsche wird hingegen nicht speziell eingegangen, da sonst die Gefahr bestünde, dass das Study 16

Buddy Programm von den Teilnehmern schnell zu einem reinen Sprachtandem gemacht würde, was laut Verena Timm nicht dem Sinn des Projekts entspräche. Ziel des Programms ist es, den interkulturellen Austausch zwischen ausländischen und Bremer Studenten zu fördern. Dafür werden auch Veranstaltungen organisiert, an welchen die Study Buddies teilnehmen können. Das Programm variiert dabei von Freizeitaktivitäten, wie gemeinsamem Schlittschuhlaufen oder Kanufahren, bis hin zum interkulturellen Training. Im Moment wird eine Kooperation mit dem Café Kultur diskutiert, in dessen Rahmen beispielsweise Buffets mit Livemusik für die Study Buddies stattfinden könnten. Abgesehen von diesen Angeboten bleibt es den Bremer Studenten und ihren Schützlingen überlassen, wie die Betreuung aussehen soll und was sich daraus entwickelt. So holen manche Bremer laut Verena Timm ihren Study Buddy bereits am Bahnhof oder Flughafen ab, während andere sich zum ersten Mal zum Anfang des Semesters im Gewühl der Mensa treffen. Ob es bei einem Treffen bleibt oder sogar eine Freundschaft entsteht, die über das Auslandssemester hinaus hält, liegt dann allein in der Hand der Teilnehmer. Aber in jedem Fall sind die meisten Rückmeldungen, die Verena Timm erhält, positiv. Natürlich können aber auch nicht immer alle Erwartungen ganz erfüllt werden. Andreas Koppay von der Universität Bremen nahm vom Wintersemester 2010 bis einschließlich Sommersemester 2011 an dem Programm teil und betreute gleich zwei Study Buddies. Vor allem durch den Vergleich mit Slowenien, wo er selber als Erasmusstudent an dem Study Buddy Programm teilnehmen konnte, hat er noch Verbesserungsvorschläge für das Bremer Projekt. So sieht er zwar auch die positiven Seiten der Gestaltungsfreiheit, würde sich aber allgemein noch mehr Angebote von den Koordinatoren wünschen. Im Vergleich zu Slowenien, wo die Teilnehmer des Programms mit einer Empfangsrede des Rektors und einem kostenlosen Abendessen in der Mensa willkommen geheißen wurden, seien die Angebote in seiner Zeit

Ausflug nach Hamburg mit den Study Buddies am 21. Juni 2012

als Bremer Study Buddy zu selten und leider dann oft nicht ausreichend geplant gewesen. Auch die Zulosung seiner Study Buddies sei erst sehr spät erfolgt, so dass seine ersten Tipps an die ausländischen Studenten teilweise ebenfalls zu spät kamen. Er erhofft sich für das Bremer Programm mehr Werbung und vor allem mehr Angebote. Trotz dieser Kritik ist er froh, an dem Programm teilgenommen zu haben und würde die Teilnahme auf jeden Fall weiterempfehlen. Denn dadurch wurde nicht nur sein Erasmussemester um gefühlte zwei Semester verlängert, wie er sagt, sondern es fand darüber hinaus wirklich ein interkultureller Austausch zwischen ihm und seinen Study Buddies statt. Was die Teilnahme an dem Programm sonst noch interessant macht, ist die Möglichkeit, ein interkulturelles Zertifikat zu erwerben, welches vom International Office vergeben wird (Ansprechpartner: Sonja Spoede). Zudem ist die Anmeldung per E-Mail schnell gemacht und Bremer Studenten werden immer gesucht. Letztes Wintersemester gab es so beispielsweise etwa 150 internationale Studenten, die sich einen Bremer Study Buddy gewünscht hatten, aber nur 130 Bremer, die teilnehmen wollten. Für 20 der internationalen Studenten bedeutete das also, alleine in Bremen anzukommen und sich dann auch alleine durch den unbekannten Uni-Dschungel zu schlagen und die ersten Kontakte zu knüpfen. Wie alle aus dem Ausland zurückgekehrten Studenten sich vielleicht erinnern können, ist es oftmals nicht ganz einfach, als Erasmusstudent „Einheimische“ kennenzulernen. Dabei ist es doch auch für uns immer spannend, mit Studenten aus anderen Ländern und Kulturen in Kontakt zu kommen. Mal wieder Englisch, Französisch oder Spanisch zu sprechen oder aber zu einem typisch türkischen oder polnischen Essen eingeladen zu werden. Über gemeinsame Interessen zu sprechen und kulturelle Unterschiede zu entdecken. Das Study Buddy Programm unterstützt den ersten Schritt in so ein internationales Abenteuer und bietet für wenig Aufwand viel eigene Gestaltungsfreiheit. So kann man seinem Study Buddy nicht nur helfen, sich im GW2 zurechtzufinden (vorausgesetzt

man hat es in den Jahren seines Studiums überhaupt selbst geschafft, das System dieses Gebäudes zu durchschauen) oder ihm die deutsche Mülltrennung erklären, sondern man findet in ihm vielleicht einen neuen Yogabegleiter oder Partykumpanen. Denn mal mit internationalen Studenten feiern zu gehen, kann die Bremer Nacht in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen. Außerdem hat man als Touristenführer die Möglichkeit, seine eigene Stadt noch einmal ganz neu kennenzulernen oder sich vielleicht sogar zu einem neuen Hobby überreden zu lassen. Doch selbst, wenn es bei der ersten Begegnung bleiben sollte: Jemandem, der ganz allein in ein neues Land und eine fremde Stadt kommt, eine schöne Ankunft zu bescheren und ihm das Gefühl zu geben willkommen zu sein, ist vielleicht schon Grund genug, über die Teilnahme im nächsten Semester einmal nachzudenken.

Für alle, die Interesse haben, egal ob sie nun schon einmal selbst im Ausland waren oder nicht: http://www.uni-bremen.de/international/internationaler-campus/ kompass-forum-international/study-buddy.html http://www.io.uni-bremen.de/studiumbremen/Studybudtext.pdf

Für alle, die sich gleich fürs Winteremester anmelden wollen: Per E-Mail unter Studybud@uni-bremen.de oder aber direkt im International Office der Uni Bremen bei Verena Timm im VWG 0560.

Text: Carolin Kaiser Foto: Ben Blondeau

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Campusleben

Von Shanghai nach Bremen Wenn wir an China denken, kommen uns Bilder einer Metropole in den Kopf. Shanghai ist eine von ihnen, zwanzig Millionen Einwohner hat die Hafenstadt am Ostchinesischen Meer. Das Leben ist bunt, schnell und aufregend. Yiyang Wang kennt das, sie kommt aus dieser Megacity. Um in ihrem Auslandssemester etwas anderes zu erleben entschied sie sich, als Gaststudentin nach Bremen zu kommen.

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ein Bad, eine Küche gibt es gar nicht. „In der Mensa gibt es igentlich seien die Stadtmusikanten der Grund gewesen, Frühstück, Mittag und Abendessen, alle Studenten essen dort.“ weshalb sie nach Bremen gekommen ist. Yiyang lacht Damit sich alle versorgen können, gibt es vier Mensen, jede einund beschreibt die Atmosphäre, die in Shanghai herrscht, zelne größer als die am Boulevard, und alle sind brechend voll, unter so vielen Mitmenschen sei kaum Ruhe zu finden. Deshalb zu jeder Uhrzeit. Hier in Bremen genießt sie deshalb besonders gefalle ihr Bremen, das eben keine Millionenstadt ist, aber trotzdie Freiheit eines eigenen Zimmers, sagt sie, denn das Leben auf dem sei etwas los. Ein für sie prägendes Erlebnis fand vor kurzem engem Raum ohne Rückzugsmöglichkeistatt, das EM-Spiel Deutschland gegen ten sei anstrengend. Gerade, wenn man die Niederlande. Die 21-Jährige hat von früh bis spät lernt. Yiyang studiert das Spiel auf der Leinwand am Theater Germanistik, in Bremen kann sie ihre vor dem Goetheplatz mit vielen andeKenntnisse nun erproben. In Shanghai ren Fans verfolgt und war begeistert: pauken sie und ihre 36 Kommilitonen Die ausgelassene Stimmung, die Freutäglich Vokabeln und Grammatik der de beim Sieg der Mannschaft und das deutschen Sprache, zwanzig Stunden pro gemeinsame Feiern. So etwas gäbe es Woche, dazu kommen noch Pflichtkurse in China nicht. Zumal die favorisierin Englisch, Politik und Computertechten Sportarten Badminton und Tischnik, die jeder chinesische Student beletennis schwerlich auf gleiche Weise gen muss. verfolgt und gefeiert werden könnten. An der Tongji-Universität, die vor 105 Zu schnell sei der Spielablauf, man Jahren von einem deutschen Arzt in käme aus dem Jubeln ja nicht mehr Shanghai gegründet wurde, ist Yiyang raus, scherzt sie. Und sie räumt mit einoch eine von wenigen Germanistik-Stunem Klischee auf, das im Ausland oft denten, aber eine Fremdsprache zu erlervorherrscht: Die Deutschen seien imnen sei angesagt und es biete ihr gute mer sehr ernst, ruhig und fleißig. „Am Yiyang Wang genießt das Bremer Unileben Chancen, vielleicht später in die WirtAbend“, sagt sie, „sieht es ganz anders schaft zu gehen. Nach vier Jahren hat sie aus, wenn alle mit einem Bier in der ihren Bachelor, wenn sie, wie bislang geplant, später als ÜberHand unterwegs sind und feiern.“ Nach dem gewonnenen Spiel setzerin arbeiten möchte, muss sie noch einen Master machen. wurde der Bahnhofsvorplatz spontan in eine Tanzfläche verIn China ist es mit der freien Nutzung des Internets und dem wandelt, ein Feuerwerk begleitete Yiyang in den Bahnhof zum Zugang zu Informationen nicht so einfach. Angesprochen auf Zug nach Oslebshausen, nach Hause in ihre WG. Der Stadtteil diese Beschränkungen erklärt mir Yiyang, dass gerade Seiten wie scheint relativ weit von der Uni entfernt, die WG dort wurde Facebook stark eingeschränkt sind für die Nutzer, es seien nicht ihr und ein paar anderen organisiert, bevor sie nach Bremen so viele Optionen möglich wie auf den Social-Network-Seiten kamen. Aber im Vergleich zu den Distanzen in Shanghai sei es anderer Länder. Jedoch gebe es auch Wege, die Einschränkunein kurzer Weg zur Uni. Obgleich die Universität und Yiyangs gen zu umgehen, wenn man dies wolle. Sie selbst fühlt sich Elternhaus beide in Shanghai liegen, dauert der Weg länger als bislang nicht stark begrenzt, aber als Studentin habe sie auch zwei Stunden. Deshalb lebt sie wie alle Studenten in China unnoch nicht viele Erfahrungen in dem Bereich gesammelt. Und ter der Woche im Studentenwohnheim auf dem Campus. Nur entgegen einiger Vorurteile herrsche zumindest in der Uni die am Wochenende fährt sie nach Hause, dann sei es langweilig Freiheit, sich kritisch gegenüber der Politik zu äußern – auch, im Wohnheim. Und auch eng auf Dauer: Yiyang lebt mit vier wenn diese Freiheit in den Zeitungsredaktionen schon wieder anderen Mädchen zusammen in einem Zimmer, sie teilen sich

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Yiyang Wang mit ihren Freunden an den Bremer Stadtmusikanten.

endet. „Überhaupt“, sagt sie, „es gibt nur die eine Partei, das ist das Problem“. Dafür kennt sie sich schon mit den deutschen Parteien aus, nennt die SPD und die Grünen, die gerade die Regierung Bremens stellen. Yiyang ist Einzelkind, wie eigentlich alle Chinesen, aber sie ist die letzte Generation, die unter dieses Gesetz fällt. Wie in Deutschland schreitet in China der demografische Wandel voran, sodass Yiyang später auch mehr als ein Kind bekommen darf. Vorausgesetzt, sie und ihr Freund sind beide Einzelkinder. Der Wunsch nach einer Familie ist in ihrer Gesellschaft fest verankert. Yiyang erzählt, wie groß die Freude über ein Neugeborenes ist. Mit dem Namen, den die Eltern ihrem Kind geben, geben sie ihm ihre Hoffnungen und Wünsche mit auf den Weg. Das „Yi“ in Yiyang steht für Sorglosigkeit, das „yang“ bedeutet Ozean und verbindet sie mit ihrem Nachnamen, Wang, das

bedeutet Wasser. Ihr Name gefalle ihr und sei ihr wichtig, als Verbundenheit mit Famile und Heimat, mit Shanghai, der Hafenmetropole. Yiyang ist die erste aus ihrer Familie, die nach Europa gekommen ist. „Meine Eltern hoffen, dass ich ihnen irgendwann, wenn auch sie einmal herkommen, alles zeigen kann“. Dafür hat sie schon viel getan, hat gemeinsam mit anderen Gaststudenten Berlin, Hamburg, Hannover, Weimar und Erfurt besucht. Seit März ist sie schon hier, bis Mitte August wird sie noch bleiben. Was sie vermissen werde an Bremen seien ihre neu gewonnene Unabhängigkeit und das Beck’s Bier, das gebe es in China leider noch nicht. Text: Jessica Heidhoff Foto: Ye Lingxiao

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Campusleben

Campusleben

Die indische Tanzgruppe verzauberte das Publikum am International Day mit ihrer Darbietung

Afrikankanische Sänger stimmen durch exotische Musik ein (oben)

Ein bunter Haufen Glashalle Am 7. Juni war der International Day, auf dem sich viele Kulturgruppen der Bremer Uni präsentierten. Mit Essen, Tanz, Preisverleihungen und jeder Menge Kultur wurden die Besucher angelockt.

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en International Day am 7. Juni auf dem Campus nicht mitzubekommen war schier unmöglich, da man von den Menschenmassen, Farben und Gerüchen in und um die Glashalle fast erschlagen wurde. Zu Bestaunen gab es außer den verschiedenen bunt geschmückten Ständen auch Aktionen von den an der Universität aktiven Communities und Kulturgruppen. Ein besonderes Spektakel lieferten die verschiedenen Tanzaufführungen aus den unterschiedlichsten Kulturen – wie beispielsweise die chinesische Tanzgruppe SPEECHLESS. Einige Stände boten sogar leckere Häppchen an, die einem einen Vorgeschmack der kulinarischen Vielfalt boten und den ein oder anderen studentischen, auf Tiefkühlpizza konditionierten, Gaumen erwachen ließ. Organisiert wurde der International Day vom Konrektorat für Interkulturalität und Internationalität und vom International Office. Das kompass-forum international, das sich im vergangenen Jahr gegründet hat, hatte die Idee, durch diesen Tag die Kontakte unter den internationalen Studenten zu fördern. Seit es das kompass-forum international gibt haben sich an der Bremer Uni 13 studentische Communities gegründet, was als großer Erfolg verstanden wird. Auf dem International Day, der unter dem Motto „CampusLeben International“ stand, gab es viel zu sehen und viele neue Menschen kennen zu lernen. Einige kamen in ihrer landestypischen Kleidung und die meisten vertretenen Gruppen und Organisationen hatten sich kleinere oder größere Attraktionen ausgedacht. So gab es zum Beispiel eine Karaokemaschine, mit der jeder Besucher sich in verschiedene Volkslieder versuchen konnte, sofern er die Sprache kannte. Die ägyptische Gruppe 20

präsentiere sich sogar in Pharaonenkostümen und verloste einige kleine Geschenktüten. Auch das anwesende Goethe Institut verloste Deutschkurse, was zur Folge hatte, dass ihr Stand regelrecht geplündert wurde. Große Aufmerksamkeit und viele Fans hatte die Reggaeband Coffee Full Flavoured, die auch auf der Breminale aufgetreten sind. Die Preisverleihung des Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) wurde inmitten dieses Trubels abgehalten. Die Rede der Preisträgerin Carmen Villacanas de Castro, die den mit 1.000 Euro dotierten Preis für ihr hohes wissenschaftliches und soziales Engagement entgegen nehmen konnte, war bei der Geräuschkulisse leider schwer zu verstehen. Auch wenn einige nicht vorgewarnte Studenten etwas irritiert von diesem kleinen Festival in der sonst recht leeren Glashalle waren, so kann man abschließend sagen, dass der erste International Day an der Bremer Uni enormen Zuspruch von den Besuchern bekam und sich die 13 internationalen Communities von ihrer besten Seite präsentiert haben. Da störte es auch nicht, das man etwas länger gebraucht hat, um durch die Glashalle zu seiner Vorlesung zu kommen, denn die gute Laune der Anwesenden hat sich direkt auf die Vorbeieilenden übertragen.

Pakistanische Hochschulgruppe singt ihre Nationalhymne (mitte)

Text: Natalie Vogt Foto: Martin Gajsek

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Campusleben

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„Wir machen was mit Medien!“ Seit dem Wintersemester 2011 gibt es den Bachelor Kommunikations- und Medienwissenschaft an der Uni Bremen. Was daran neu ist, warum sich alle darum reißen und wie die Lage nach zwei Semestern aussieht.

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it einem solchen Ansturm hatten sie dann doch nicht gerechnet: 60 Studienplätze hatte das Bremer Institut für historische Publizistik, Kommunikations- und Medienwissenschaft (IPKM) ausgeschrieben – am Ende lagen über 2.000 Bewerbungen auf dem Tisch. Doch der Zufall kam den Bewerbern zu Hilfe: Aufgrund des doppelten Abiturjahrgangs und der Aussetzung der Wehrpflicht wurden 2011 aus dem Hochschulpakt von Bund und Ländern zusätzliche Mittel für Studiengänge bewilligt, die mehr Bewerber aufnahmen. So konnte die Universität Bremen zum Wintersemester rund 120 Studierende im nagelneuen Bachelor Kommunikations- und Medienwissenschaft willkommen heißen. Die Frage ist: Was macht diesen Studiengang auf Anhieb so beliebt? Eigentlich sind rund 100 offizielle Studienplätze ja schon eine enorme Zahl, vergleicht man sie mit den spärlichen 38 Plätzen im verwandten Studiengang der Universität Hamburg. Diese werden allerdings auch jedes Jahr von über 3.000 Bewerbern umkämpft, daher konnte man sich denken, dass der Bremer Bachelor ähnliches Interesse wecken würde. Nach inoffiziellen Angaben lag der Numerus Clausus (NC) hier gleich im ersten Anlauf bei 1,7. Alternativ konnte man sein Glück mit acht Wartesemestern versuchen. Und das war erst der Anfang. Professor Andreas Hepp, der geschäftsführende Direktor des IPKM, ist sozusagen der „Vater“ des neuen Bachelorstudiengangs Kommunikations- und Medienwissenschaft, den alle wegen seines ellenlangen Namens nur als KMW abkürzen. Hepp beobachtete in den letzten Jahren an der Universität Bremen eine große Nachfrage nach dem Master Medienkultur. Außerdem hätten viele der Studierenden aus dem Bachelor Kulturwissenschaft (der auch Anteile an KMW enthält) den Wunsch geäußert, sich voll und ganz auf den Medien-Bereich konzentrieren zu können. „In einer solchen Situation liegt nahe: So etwas müssen wir einrichten!“, so Hepp. Mit dieser Einschätzung scheint er richtig gelegen zu haben. Ist der neue Studiengang jedoch das immense Interesse wert? Klar ist, dass er das Rad nicht neu erfinden wird. Er hat aber durchaus den Anspruch, anders zu sein, etwas Neues. Der Studiengang KMW soll laut offizieller Werbung in eigener Sache seinen Studierenden „eine breite kommunikations- und medienwissenschaftliche Grundlage- sowie Methodenausbildung einerseits und eine gestufte medienpraktische Ausbildung in Kooperation mit regionalen Medienunternehmen andererseits“ vermitteln. Diese doppelte Schwerpunktsetzung in Medienanalyse und Medienpraxis ermöglicht es den Studierenden, nach dem vierten Semester zu wählen, welchem der beiden Wege sie folgen wollen. Sie können dann entweder ihr theoretisches Wissen im Studium vertiefen oder ein komplettes Praxissemester in einer Medienorganisation einlegen. Das ist laut Professor Hepp et22

was ganz Besonderes. Ein weiterer Aspekt, mit dem etwas Neues geschaffen werden sollte, sind Anteile an Medieninformatik und wahlweise Soziologie, Betriebswirtschaftlehre oder Politik im Studium. Noch mehr Praxisbezug verspricht darüber hinaus ein achtwöchiges Pflichtpraktikum und ein MedienpraxisModul im dritten und vierten Semester. Darin werden unter der Betreuung von Lehrpersonen aus regionalen Medienunternehmen Veranstaltungen vom Fernsehen über Public Relations und Projektmanagement bis hin zum Radio angeboten. Das ist mit Sicherheit ganz im Sinne der KMWler, die in einer stichprobenartigen Umfrage des Scheinwerfers angaben, den Studiengang vor allem wegen seines Praxisbezugs gewählt zu haben. Von den 40 Befragten gaben 28 an, dass ihnen die fächerübergreifenden und medienpraktischen Inhalte bis jetzt am besten gefielen. Allerdings wurde bemängelt, dass der Lernstoff der Veranstaltungen bisher zu wenig aufeinander abgestimmt sei. Und tatsächlich wirken die ersten zwei Semester – vielleicht auch aufgrund des Versuchs, disziplinübergreifend eine breite theoretische Grundlage zu bieten – etwas zerstückelt. Ein bisschen aus dem Studiengang Digitale Medien hier, ein wenig aus der Politikwissenschaft da. Ob diese Strategie am Ende aufgehen wird und der Bachelor den Erwartungen der Studierenden gerecht werden kann, wird sich in den nächsten Jahren herausstellen. Denn natürlich liegen auf dem Weg jedes neueingeführten Studienganges auch ein paar Steine. Bis jetzt läuft zwar laut Professor Hepp „alles bestens“, doch die individuellen Meinungen gehen wie immer auseinander. So klagten einige der befragten Studierenden über zu wenige Lehrveranstaltungen, niedriges Anspruchsniveau und die dann doch überwiegende Theorielastigkeit der ersten zwei Semester. Nun, einige Geburtsfehler gibt es sicherlich immer – und über alles lässt sich meckern. Aber warum wollten sie nun alle diesen Studiengang studieren? Dass sie sich für Medien interessieren, dass ihnen der Praxisbezug gefällt und dass sie später in der Medienbranche arbeiten wollen, sind die drei offensichtlichen Gründe. Aber die Ursache für den allgemeinen Run auf Medienstudiengänge muss woanders gesucht werden. Es muss etwas sein, das man hinter diesem fast schon mystifizierten Begriff der „Medien“ vermutet, etwas sehr Verlockendes scheinbar. Aber: „Viele Vorstellungen, die man im Alltag so von ‚den Medien’ hat, entsprechen nicht ganz dem, was ‚die Medien’ sind“, stellt Hepp klar. Was sind also die Medien? Sie sind überall, sie sind „in“. Casting-Shows, Facebook, I-Pads, Werbung, Computerspiele – all das hat irgendwie damit zu tun, ist aber lange nicht so zentral wie man dachte. Und wie hängt alles mit Kommunikation zusammen? Und vor allem: Was fängt man damit an? Will hier wirklich jeder Journalist werden? „Viele, die das Studium beginnen, wollen ‚irgendwas mit Medien’ machen und

haben dabei zum Teil keine klaren Vorstellungen, was das bedeutet“, erklärt Hepp. „Auch ich wollte einmal Zeitungsjournalist werden, nach dem ersten Praktikum war mir aber klar, dass das Produzieren von Zeilen auf die Minute hin nicht mein Ding ist und ich mache jetzt gewissermaßen ‚irgendetwas anderes mit Medien’.“ Er sieht daher das Vorurteil, dass alle Medienstudierenden später einmal zwangsläufig Journalisten werden, im Allgemeinen nicht bestätigt: „Viele arbeiten später in anderen spannenden Bereichen. Sie sind in der Öffentlichkeitsarbeit tätig, arbeiten im Bereich der sogenannten ‚ContentProduktion’ für Digitale Medien und vieles mehr.“ Es stimmt: Mit dem KMW-Studium sind die Studierenden keinesfalls festgelegt. Theoretisch können sie so gut wie alles machen. Das ist etwas Positives – hat aber auch seine Schattenseiten. Hier scheint die sprichwörtliche Qual der Wahl eine große Rolle zu spielen. Nur sechs der 40 Befragten hatten bereits eine klare Vorstellung, welchen Beruf sie nach dem Studium ergreifen wollen. Die große Mehrheit konnte sich nicht entscheiden und wollte am liebsten alles machen – Fernsehen, Print, Werbung, PR. Das ist vielleicht ein Problem, das viele junge Menschen haben. In der Medienbranche kommt jedoch eine noch größere Ungewissheit dazu. Es geht hier nicht nur um die Frage: Wo ist mein Platz? Man fragt sich vielmehr: Finde ich diesen Platz überhaupt? Was ist dran an Gerüchten über schlechte Bezahlung, den Niedergang der traditionellen Medien wie der Zeitung und ein Dasein als Dauerpraktikant? Ist man als KMWler nicht doch zu wenig spezialisiert, gerade in einer Branche, in der einen (wie oft behauptet wird) nur Spezialwissen aus der Masse abheben kann? Vielleicht sollte man nicht erwarten, dass ein Studium all diese Fragen gleich am Anfang klärt. Schließlich geht es, wie Professor Hepp betont, bei einer Bachelor-Ausbildung um die Grundlagen, eine Basis für weitere Spezialisierung. Es ist der Charakter der Medien, dass sie sich ständig verändern, immer neu, innovativ und mit einem Hauch von Glamour behaftet sind. Wahrscheinlich ist es das, was sie so anziehend, so

spannend macht, dass sich jährlich tausende von Bewerbern auf die begehrten Plätze an Journalistik-Schulen und in Medienstudiengängen stürzen. Es bedeutet aber auch, dass man sich erst mal gar nicht festlegen muss, weil es den goldenen Weg sowieso nicht gibt. Professor Hepp möchte seinen Studierenden daher auch nur einen einzigen Tipp geben: „Informieren Sie sich breit, was es im Bereich von Medien und Kommunikation an spannenden Berufen gibt. Wenn man von der Schule kommt, kann man viele Berufe gar nicht kennen, sondern denkt immer nur an die Journalisten, von denen man Sachen im Internet liest, die man im Radio hört oder im Fernsehen sieht. Die Berufswelt von Medien und Kommunikation ist aber vielfältiger und nachhaltig im Wandel, selbst im Bereich des Journalismus. Hier würde ich mich an Ihrer Stelle erst einmal offen umschauen, bevor ich mich festlege, was ich werden will.“ Was bleibt also nach zwei Semestern Bachelor Kommunikations- und Medienwissenschaften für eine Zwischenbilanz? Bisher sind offenbar alle zufrieden – von den Befragten gaben 60 Prozent an, dass „alles ok“ sei, kein einziger bezeichnete sich als „unzufrieden“. Niemand hat das Studium nach dem ersten Semester abgebrochen, die Durchschnittsnote der Klausur im Einführungsmodul lag bei ungefähr 2,5 und nur 20 von 104 Teilnehmern mussten zum zweiten Versuch antreten. Alles gut soweit. Bis der Prototyp des Studiengangs Kommunikationsund Medienwissenschaften seinen ersten Durchlauf geschafft hat, stehen noch vier Semester bevor. So lange haben die Studierenden genug Zeit, sich in der großen weiten Medienwelt zu orientieren. Und danach müsste man sie erneut fragen: Glaubst du, dass der Studiengang hilfreich für deine Zukunft war? Text: Alice Echtermann Grafik: Katrin Pleus

Auszüge aus der Umfrage: „Der Lernstoff ist interessant“: 28 von 40 (70 %) „Ich glaube, dass der Lernstoff hilfreich für meine Zukunft ist“: 18 von 40 (45 %) „Ich glaube, dass der Studiengang mich meinem Wunschberuf näher bringt“: 30 von 40 (75 %) „Ich habe den Studiengang gewählt, weil mir der Praxisbezug gefällt“: 20 von 40 (50 %) Eine klare Vorstellung von ihrem späteren Beruf haben nur 6 von 40 (15 %). 23


Campusleben

Campusleben

Investitionsobjekt Wohnheim

Heutzutage wird in absolut alles investiert: Lebensmittel, Wohnheime und Aktien sozialer Netzwerke. Zumindest zwei davon bieten ordentlichen Profit für Investoren und Spekulanten.

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ährend es mit zehn öffentlichen Wohnheimen in Bremen und zwei in Bremerhaven noch immer nicht genügend Plätze für alle Studierenden gibt, wird ein privates Wohnheim nach dem anderen aus dem Boden gestampft. Hier das Problem, dort die Lösung. So scheint es. Der öffentliche Wohnheimbau durch die Studentenwerke ist jedoch selbst auferlegte Pflicht des deutschen Sozialstaats. Der private Investor hat in erster Linie privates Interesse: Profit. Neues Problem? Vielleicht. Im Jahre 1975 wurden die ersten öffentlich finanzierten Wohnheime in Bremen errichtet. Das Angebot ist dabei verhältnismäßig umfangreich. Möblierte Wohnungen für Einzelne sind genauso zu finden wie Wohnraum für Familien. Trotzdem ist die Nachfrage längst nicht gestillt. Der mit der Verkürzung der Schulzeit in vielen Bundesländern sowie dem Ende der Wehrpflicht einhergehende Anstieg von Studienanfängern, die händeringend nach einer Wohnung suchen, leistet dabei das Übrige. Im Bremer Senat

herrscht diesbezüglich relative Entspannung. Obwohl Bremen im bundesweiten Durchschnitt der Länder auf dem letzten Platz liegt und nur rund 6,3 Prozent seiner Studierenden einen Wohnheimplatz bietet (zum Vergleich: In Sachsen liegt diese Quote bei rund 14,5 Prozent), reagiert der rot-grüne Senat gelassen auf eine diesbezügliche Anfrage der Linksfraktion und verweist obligatorisch auf die schwierige Haushaltslage des Landes. Dass anstelle der öffentlichen Förderung nun private Investoren auf den Campus drängen, scheint ein Segen für einige Studierende zu sein. Wohnheimplätze sind schwer zu kriegen und schnell vergeben. Wer nach Alternativen sucht und die höheren Mieten der privaten Wohnheime bezahlen kann, hat Grund zur Freude. Dass die Galileo-Residenz regelmäßig ausgebucht ist, zeigt zumindest, 24

dass es Bedarf gibt – auch an im Vergleich teurem Wohnraum. Dieser schaffe auch das entsprechende urbane Flair, das sich beispielsweise der Baudezernent der Uni Bremen, Hans-Joachim Orlok, wünscht. Im Gespräch mit dem Weser Kurier im November vergangenen Jahres erklärte er, dass die Galileo-Residenz sowie der Campus-Park bereits ein guter Anfang gewesen seien und verweist dabei gleich auf einen weiteren Wohnheimbau auf dem Uni-Gelände, der bis zum Wintersemester 2012 fertig gestellt sein soll. „Es verbessert die Wohnsituation der Studenten und die Aufenthaltsqualität auf dem Campus, weil zum Beispiel das Bistro die Gegend belebt“, konstatiert er an gleicher Stelle. Bei anderen herrscht dagegen weniger Optimismus. Aus dem Studentenwerk gibt es Klagen, dass die Mieten für viele Studierende unbezahlbar seien. Die Zahlung von 350 Euro Kaltmiete für 17 und 19 Quadratmeter oder 525 Euro für 37 und 38 Quadratmeter sei unzumutbar, wie Hauke Kieschnick, stellvertretender Geschäftsführer des Studentenwerks Bremen, dem Weser Kurier wiederum mitteilte. Ähnliches ist aus der Hochschulpolitik zu hören. Für Stefan Weger, AStAVorsitzender der vergangenen Legislaturperiode, der der Zeitung im November vergangenen Jahres für ein Gespräch zur Verfügung stand, sind solche Preise „einfach unmöglich“. Er äußert sich dabei kritisch dazu, inwiefern solche Mieten noch mit der Lebensrealität vieler Studierender zu vereinbaren seien. Dass es um die Lebensrealität vieler oder gar aller Studierenden nicht geht, zeigt die Tatsache, dass hinter den privaten Wohnheimen wahre Großinvestoren stehen – Campusviva, Kapitalpartner Campus oder Großkontor Invest GmbH sind so schillernde Namen. Während bei letzterem die Rede von „Studentenappartements“ ist, ein Begriff der Lifestyle, Chick und Luxus verspricht, wird an anderer Stelle deutlich, wer die wirkliche Zielgruppe ist. Auf der Internetpräsenz der Kapitalpartner Campus werden zahlreiche Fragen für den geneigten Privatinvestor beantwortet. Da geht es um die Höhe der Studierendenzahlen ebenso wie um das Risiko von Mietausfällen. Kein Problem im Übrigen, die Eltern haften. Auch das ist sicher nichts, was nur bei privaten Wohnheimen so gehandhabt wird. An gleicher Stelle erläutert die Kapitalpartner Campus, wie viel Spielraum Investoren in Bremen gewährt wird. Natürlich könnten die Wohnungen im gerade neu entstehenden Wohnheim zu relativ frei wählbaren Preisen vermietet werden. Und auch, wenn die Hauptzielgruppe, wie es dort heißt, Studierende

seien, so sei man auch diesbezüglich nicht gebunden. Mieten darf, wer zahlen kann. Ein gutes Geschäft, doch fraglich bleibt, ob das die Wohnungsprobleme beheben kann. Beim Studentenwerk klingen diesbezüglich sowieso ganz andere Töne an. Die Auswahl der Studierenden erfolge „nach einer Bewerberliste“, wie Jürgen Steins, Sachgebietsleiter Wohnraumverwaltung des Studentenwerks Bremen, erklärt. Es gebe Kriterien wie die Tatsache, dass das Einkommen der Mieter nicht höher als das Anderthalbfache des BAföG-Satzes sein darf, und für Menschen mit Behinderung gelte eine gewisse Priorität, aber generell gehe es um die Bedürftigkeit. Eine freie Auswahl, gar nach Kapitalstärke, ist hier nicht vorgesehen. Die Mieten liegen, abhängig von Wohnanlage und Zimmergröße, zwischen 182 und 280 Euro. Dabei handelt es sich um Pauschalmieten inklusive Energie, SATFernsehen und Internetanschluss. Nachforderungen wegen höherer Nebenkosten gibt es damit nicht. Auch im Fall von Mietausfällen werde immer versucht, gemeinsam mit den Studierenden eine für beide Seiten zufriedenstellende Lösung zu finden. Auf die Frage, wie sicher die Miethöhe ist, erklärt Steins: „Natürlich versuchen wir im Interesse der Studierenden, die Mieten stabil zu halten, auch wenn wir nicht dafür garantieren können. Wenn es beispielsweise zu einer deutlichen Steigerung der Energiekosten kommt, können auch wir nicht ausschließen, dass wir die Mieten doch anheben müssen.“ Dabei verweist er wiederum auf die dennoch niedrigeren Mietkosten der Wohnheime, „obwohl auch bei uns vollmöblierter Wohnraum mit weitgehend allen Annehmlichkeiten zu finden ist.“ Außerdem pocht er darauf, dass bei allem Service, den die Privaten bieten, das Studentenwerk doch andere Ziele verfolge. „Was uns abhebt, ist, dass wir uns um unsere Mieter kümmern!“, stellt er fest und erläutert, dass es um einen menschlichen Umgang mit den Mietern gehe. „Wir sind für euch da, ihr seid in guten Händen“, sei das Gefühl, dass er den Studierenden vermitteln wolle. Uni-Rektor Prof. Dr. Wilfried Müller kennt die Kritik der Studierendenvertretung ebenso wie die Klagen des Studentenwerks und spielt den Ball auch prompt weiter. Auch er stellt zwar fest, dass es einen generellen Wohnungsmangel gebe. „Vor diesem Hintergrund“, heißt es dann aber weiter, „freue ich mich über das Engagement privater Investoren.“ Grundsätzlich beklagt jedoch auch er: „In Bremen gibt es zu wenige staatlich finanzierte Wohnheime.“ Eine Position, die auch aus dem Studentenwerk immer wieder zu vernehmen ist. Zwar sei man sich dort der schwierigen Haushaltslage bewusst, dass man aber derzeit nur mit Überschüssen und Rücklagen vergangener Jahre rechnen könne, sei ein großes Problem. Natürlich werde versucht, beim Bremer Senat um weitere Mittel zu werben. Kieschnick erklärt dazu: „Wir wollen weiterhin neuen Wohnraum für Studierende schaffen. Um eine für Studierende bezahlbare Miete anbieten zu können, sind wir auch auf Unterstützung angewiesen. Wir müssen aber erkennen, dass wir dabei nicht immer erfolgreich sind. Gleichwohl ist es dem Studentenwerk gelungen, im Mai 2012 eine neue Wohnanlage in der Neustadt mit 63 Plätzen zu eröffnen.“ Im Übrigen würde er

zwar von einer schwierigen Lage sprechen, eine Wohnungsnot, wie in anderen, auch kleineren Städten mit großen Universitäten, gebe es in Bremen seiner Ansicht nach aber nicht. Während also hier und da mal private, mal öffentliche Wohnheime errichtet werden und über die Ausmaße der Wohnungskrise diskutiert wird, bleibt damit am Ende eine ziemlich nüchterne Erkenntnis: Alles eine (haushalts)politische Frage. Text: Björn Knutzen Foto: Katrin Pleus

Ko m m e n t a r Studierende zwischen iPhone und Obdachlosigkeit

Da stampft der Großkapitalist ein neues Wohnheim aus dem Boden, den Rektor freut’s – zumindest irgendwie – und die uniweite Linke geht auf die Barrikaden. Was wie der übliche Kampf um Gerechtigkeit klingt, ist angesichts der heutigen Lebensrealität der Studierendenschaft allerhöchstens noch Klischee. Dass überteuerte Mieten für viele unerschwinglich sind, wird niemand bezweifeln. Auch hat niemand, bis auf den Bremer Senat vielleicht, behauptet, dass alles in Ordnung sei. Die Kritik ist richtig, wo sie sich auf diesen Kern bezieht. Zum wahren Unsinn wird es aber, wenn Studierendenvertreter über die vermeintliche Lebenswirklichkeit von Studierenden fabulieren und die Existenz privater Wohnheime per se bekämpfen. Es braucht kein marktradikales Gedankengut, um festzustellen, dass dieses Angebot nur dort zieht, wo auch die Nachfrage besteht. Natürlich leben in den Wohnheimen, allen Wünschen zum Trotz, nicht nur Studierende. Dass dort jedoch genau solche auch leben, sich durchaus wohlfühlen und in der Lage sehen, die Mieten zu bezahlen, kann nicht ignoriert werden. Ein schleswig-holsteinischer Kommunalpolitiker sagte in einer ähnlichen Diskussion kürzlich: „Man muss doch mal aufhören, Studierende andauernd als Hartz IV-Empfänger zu betrachten.“ So ungehobelt und politisch inkorrekt das auch klingen mag, so sehr trifft es den Nagel auf den Kopf. An einer Universität, an der sich manche Studierende auch teuerste Markenkleidung und iPhones leisten, gibt es auch Studierende, die die Galileo-Residenz bezahlen können und gern dort leben. Anstatt darüber froh zu sein, dass diese Studierenden so zumindest keinen bezahlbaren Wohnraum in Stadtnähe besetzen, übt man sich in Radikalkritik und fordert schlimmstenfalls noch „selbstorganisierte Wohnheime“, die dann vielleicht nicht mehr ökonomisch, aber politisch und nach moralischer Einstellung selektieren. Das Problem ist nicht die Kritik an privaten Investoren und der tatsächlich unsäglichen Freiheit, die diese genießen. Das Problem ist, wie so oft, die geringe Fähigkeit, zu differenzieren.

Text: Björn Knutzen

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Bremen

Wissen schafft Ich betreibe Wissenschaft Erkenne das, Erkläre was. Gib mir den Geist, der Wissen schafft.

Gigantisches Bremer Bauwerk auf dem Weg zur Gedenkstätte

Vielleicht die Geisteswissenschaft. Ich strukturiere Themen, Theorien Mache Erhebungen und befrage Menschen Alles ist komplex, sehr undurchsichtig...

Der Bunker Valentin in Bremen Farge ist eine Bauruine aus dem Zweiten Weltkrieg und galt als größtes Rüstungsprojekt der Nationalsozialisten. Während des Baus sind zahlreiche Zwangsarbeiter ums Leben gekommen. Heute ist das Bauwerk ein Ort der Erinnerung des Krieges.

Ich forsche weiter So objektiv wie‘s eben geht, ach ja und reflektiert

B

sehr konkret, individualisiert und subjektiviert Forsche forsche Für die Erkenntnis. Denn so wirklich vernünftig hat das doch noch keiner gesagt Mit den Analysekonzepten -gegenständen und -perspektiven, oder mit den sozialen Systemen/Strukturen/Interaktionen. Vielleicht finde ich ja die subjektiven Sinnstrukturen oder den normativen Bedeutungsrahmen mit einer genuin handlungstheoretisch ausgerichteten Wissensanalyse. Wo bin ich eigentlich? Ist das transdisziplinär? Dann beschreiben, definieren wir das erstmal und ordnen es ein, Wissen aber, dass es nicht geht. Wahrheit gibt es sowieso nicht. Wir sind relativ! Relativ planlos.

Caroline Morfeld

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oah, geil! Wir gehen jetzt gleich in einen U-Boot-Bunker“, ist das Erste, was wir von einem jungen Besucher am Treffpunkt aufschnappen. Andere Stimmen der älteren Besucher ranken eher von: „Muss ich da wirklich rein?“ über stilles Staunen bis hin zu „Wow, ist der groß!“. Die Rede ist von dem U-Boot-Bunker Valentin in Farge, direkt an der Weser, im Ortsteil Rekum. Er gilt als der größte frei stehende Bunker in Deutschland und der zweitgrößte in Europa. Im 1941 besetzten Frankreich, genauer gesagt in Brest, steht noch ein deutscher Bunker, der diesen in seiner Größe übertrifft. Der Anfang der 1940er-Jahre erbaute Bunker in Brest gehört zum damals geplanten Atlantikwall, der eine knapp 3.000 Kilometer lange Küstenlinie im Westen Europas umfasste und als Schutz vor einer „alliierten Invasion“ dienen sollte. Der erste Blick auf das große und mächtige Bremer Gebäude ist zunächst sehr einschüchternd. Die graue 20 Meter hohe Mauer, die teilweise von Efeu umrankt ist und der zwei Meter hohe Zaun davor, der an manchen Stellen mit Stacheldraht verziert ist, verstärkt dieses Gefühl. Um den Bunker herum befindet sich ein Campingplatz, der das Bild weiterhin sehr grotesk wirken lässt. Die Planung Der Grund für die Planung dieses Projekt war es, dass die Alliierten – anders als die Nationalsozialisten – in der Lage waren, bereits wenige Stunden, nachdem deren Schiff zerbombt und „erfolgreich“ versenkt wurde, ein neues Boot auszusenden. Die Nationalsozialisten wollten diese Befähigung übertrumpfen. Mitte des Zweiten Weltkrieges stellte sich Nazi-Deutschland zeitweise die Frage, ob man den damals laufende Seekrieg abbrechen sollte – man entschied sich jedoch dagegen und eröffnete stattdessen den „totalen U-Boot-Krieg“. Daraufhin wurde das bis dato modernste U-Boot vom Typ XXI entwickelt, welches in einer verbunkerten Werft wie am Fließband produziert werden sollte. Die Idee hinter dem Bau war es, den Bunker so zu gestal-

ten, dass durch die fast sieben Meter dicken Decken und 4,5 Meter dicken Wände keine Bomben dringen konnten und man daher, auch im Falle eines Angriffes, weiter an den U-Booten bauen konnte. Am 19. Juni 1943 wurden die Planungsarbeiten für den Typ XXI durch die Konstruktionsabteilung der Deschimag AG Weser in Bremen fertiggestellt. Der Beginn der Auslieferung der U-Boote wurde für den März 1945 festgesetzt und als Standort Bremen Farge gewählt. Anlass für diese Wahl war, dass die Aktien-Gesellschaft Weser und die Bremer Vulkan AG bereits in der Nähe angesiedelt waren und damit die benötigten Sachkenntnisse und Produktionshallen längst vor Ort waren. Die Deschimag AG Weser und die Bremer Vulkan AG gehörten damals zu den bedeutendsten Werften und Arbeitgebern in Bremen. Zweckgerecht wurde der U-Boot-Bunker Valentin in zwei Teile unterteilt. Zum einen in die an der Weserseite gelegene 350 Meter lange Montagehalle und zum anderen in einen circa 70 Meter langen Abschnitt, in welchem sich die Verwaltung, die Lagerräume und die Werkstätten befinden sollten. Letztere wurde in drei Etagen mit einem Zwischengeschoss unterteilt. Der unterkellerte Teil des Erdgeschosses war als Luftschutzbunker für die deutschen Ingenieure und Bauarbeiter während der Bauzeit geplant. Vor dem Bunker wurde unter anderem auch eine künstliche Bucht angelegt, damit die Boote direkt aus der verbunkerten Werft in die Weser gelangen konnten, um von da aus ins Meer zu fahren. Laut Planung sollte auch ein Tauchbecken an einer Seite gebaut werden, um die Kampfmaschinen direkt vor Ort auf kleine mögliche Fehler hin zu prüfen. Der Überdruck hätte selbstverständlich nicht mit dem im offenen Ozean übereingestimmt, was den Planern damals vielleicht noch nicht bewusst war. Im Hinterland befanden sich sechs Bauabschnitte, wo einzelne Maschinenteile vorgefertigt wurden. Der Plan war es, die Einzelteile per Schiff oder Reichsbahn zum Bunker zu transportieren und dort an 13 Taktplätzen und vier parallelen Taktstraßen zusammenzubauen. Folgende Schritte sollten nur 27 37


Bilder aus der Zeit der Erbauung des Bunkers Valentin.

in Farge durchgeführt werden: Endfertigung, Ausrüstung, Stapellauf und Probefahrt. Die Planer hatten die Absicht, die verschiedenen Segmente, die für den Bau der U-Boote hätten vorhanden sein müssen, auf dem Wasserweg anzuliefern. Ein Gleisanschluss existierte zugleich an der östlichen Bunkerstirnwand. Hier war die Anlieferung der Kohle für das bunkereigene Elektrizitätswerk geplant. Das Ziel war, alle 56 Stunden ein neues U-Boot auszuliefern, was insgesamt, mit den extern vorbereiteten Einzelteilen, eine Herstellungszeit von nur dreißig Tagen pro U-Boot bedeutet hätte. 4.500 Zwangsarbeiter sollten dafür sieben Tage am Stück in zwei Schichten à zehn Stunden arbeiten. Aufgrund der frühzeitigen Bombardierung des Bunkers ist es jedoch nie zu einer Anlieferung, geschweige denn einer U-Boot-Fertigung gekommen. Der Bau Für die Ausfertigung der Planungsarbeiten wurden Zwangsarbeiter zur Baustelle deportiert, hauptsächlich Kriegsgefangene und Häftlinge. Diese kamen aus zahlreichen Lagern im Umkreis von drei bis acht Kilometern rund um Bremen, unter anderem aus dem Kriegsgefangenenlager in Schwanewede, welches Arbeitserziehungslager und Außenlager des Konzentrationslagers Hamburg-Neuengamme war. Tagtäglich sind zwischen 10.000 und 12.000 Arbeiter in Märschen zur Baustelle gelaufen. Sie liefen teilweise auf nackten Sohlen oder nur in behelfsmäßigen Schuhen und das über mehrere Kilometer. Die Arbeiter hoben zunächst eine riesige Baugrube aus, bis sie auf den tragfähigen „Lauenburger Ton“ stießen. Obwohl bereits modernste Technologien zur Verfügung standen, mussten die Arbeiter, die wie Sklaven behandelt wurden, die harten und zermürbenden Arbeiten übernehmen. Mit teilweise nur noch 40 Kilogramm Eigengewicht schleppten sie bis zu 50 Kilogramm schwere BetonSäcke, deren Staub sich in den Lungen festsetzte. Generell war das Leben der Arbeiter von großer Dürftigkeit geprägt. Einmal am Tag bekamen sie Nahrung, meistens Kohlsuppe, da vor allem Kohl aufgrund der angrenzenden Felder zahlreich vorhanden war. Selbst bei Krankheit mussten die Gefangenen ihre Arbeit weiter ausüben und wagten es aus Angst, die Mahlzeit verwehrt zu bekommen, nicht, um Hilfe zu bitten. Denn wer gestand, krank zu sein, wurde umgehend in die Konzentrationslager zurückgeschickt, was für die meisten den sicheren Tod bedeutete. In den Konzentrationslagern wurde den kranken Arbeitern das 28

Essen vollkommen entzogen, weil sie im Sinne der nationalsozialistischen Ideologien kein Anrecht mehr auf ein Leben hatten. Als traurige Konsequenz starben die Kranken oft schon in den darauffolgenden drei Tagen. Die Leichen der Arbeiter wurden verbrannt und die Asche in der Lagergärtnerei verteilt. Die gesamte Todeszahl ist nicht genau beschrieben, es wird allerdings geschätzt, dass zwischen 1.100 bis 4.000 Arbeiter beim Bau vor Erschöpfung, bei Arbeitsunfällen oder durch die willkürlichen Tötungen der Aufsichtspersonen starben. Die Aufsicht der Zwangsarbeiter übernahmen die sogenannten Kapos, deren Namensursprung umstritten ist. Vermutet wird die Ableitung von „Kameradschaftspolizei“, dem italienischen „il capo“ (Haupt oder Anführer) oder vom französischen Wort „Caporal“ (Korporal). Die Kapos, welche von der SS befördert wurden, waren Funktionshäftlinge, die zur Leitung des jeweiligen Arbeitslagers gehörten und minimale Zugeständnisse, wie zum Beispiel Alkohol, erhalten haben. Für diesen „Luxus“ mussten sie – bewaffnet mit Knüppeln – für die Folgsamkeit der Häftlinge sorgen. Zu dieser Gruppe gehörten unter anderem Kriminelle oder politisch Inhaftierte. Außerdem übernahmen die Kapos Hilfsdienste für Soldaten, worunter besonders die Franzosen litten und deshalb zahlreiche Verluste zu beklagen hatten. Dadurch, dass die Kapos nicht wie die restlichen Häftlinge schwere Arbeiten übernehmen mussten, hatten sie meist eine höhere Lebenserwartung. Die Baumaterialien stammten aus dem gesamten Reichsgebiet. Eine besondere Art Kies wurde zum Beispiel extra aus Dänemark angeliefert. Alles in allem wurden für den Bau eine Million Tonnen Kies und Sand, 132.000 Tonnen Zement, 27.000 Tonnen Stahl und 60.000 Kubikmeter Beton pro Monat von Juli bis November 1944 verbraucht. Für das komplette Projekt „U-Boot Bunker Valentin“ beliefen sich die Gesamtkosten auf 120 Millionen Reichsmark. Joseph Goebbels besuchte die Baustelle um den Bunker Valentin 1944 und war begeistert. Die Bombardierung In den Karten wurde der Standort Valentins als Wiese eingezeichnet, obgleich das riesige Bauwerk auch aus weiter Entfernung leicht zu entdecken war. Trotzdem warteten die Alliierten bis kurz vor Kriegsende mit dessen Bombardierung. Am 27. März 1945 bombardierte die britische Luftwaffe den Bunker Valentin mit dreizehn Zehn-Tonnen-Bomben. Zwei fielen durch die Decke, die damals noch nicht ausreichend verstärkt worden war, und richteten großen Schaden an. Am 30. März 1945

warf dann die amerikanische Luftwaffe abermals zweiundsechzig Zwei-Tonnen-Bomben ab, die zwar das Gebäude an sich nicht weiter zerstörten, dafür aber die umliegende Baustelle. Die Arbeiter wurden noch von den Nationalsozialisten evakuiert und auf sogenannte „Todesmärsche“ zurück in die Konzentrationslager geschickt. Neben der Beschlagnahmung des Bunkers und zahlreicher Industriebetriebe Bremens – darunter die Deschimag AG Weser und die Bremer Vulkan AG – am 07. Mai 1945, führte auch die Zerstörung zum Abbruch des Projektes U-BootBunker Valentin. Nachdem am 20. Mai 1945 der Bunker wieder freigegeben wurde, entfernten die Deschimag AG Weser und die Bremer Vulkan AG ihre Maschinen von der Baustelle. Die Nachkriegszeit Ab 1946 nutzten die Briten und die Amerikaner den Bunker im Zuge des „Project Ruby“, um neu entwickelte Bomben zu testen. Diese schadeten dem Bunker jedoch in keinster Weise. Wohl aber den Anwohnern, die sich durch die Bombardierung bedroht fühlten. 1948 sollte Valentin mit Bauschutt aus dem Bremer Westen zugeschüttet werden um dort nutzbare Hügel und ein Ausflugslokal zu errichten. Aufgrund der hohen Kosten wurde dieses Vorhaben jedoch schnell wieder verworfen. Eine weitere Idee war, den Bunker zu sprengen. Doch auch dieses Streben wurde aufgrund zahlreicher Proteste der Anwohner sowie von Professor Bock, Inhaber der Arbeitsgemeinschaft „Agatz & Bock“, die während des Bunker-Projektes das Amt der Bauleitung innehatten, und von Dr. Erich Lackner, dem bauleitenden Ingenieur, abgewendet. Beide sahen den Bunker als ihr Lebenswerk an. Immer wieder kam die Frage auf, was mit dem unvollständigen Bauwerk geschehen sollte. Die Alliierten schlugen vor, den Bunker als Lagerfläche oder für die damals aufstrebende Atomindustrie zu verwenden. Nichts von diesen Anregungen trat in Kraft, sodass der Bunker in den fünfziger Jahren zunächst in Vergessenheit geriet und innerorts als nicht ganz ungefährlicher Spielplatz für die Kinder und Jugendliche diente. In den sechziger Jahren wurden schließlich Teile des Bunkers von der Bundesmarine übernommen, was bis zum Einzug 5 Millionen Deutsche Mark verbrauchte. Im Oktober 1966 wurde das „Marinematerialdepots 2 Teildepot Bremen-Farge“ eröffnet. Jedoch wurden im Dezember 2010 die Unterhaltskosten im Bunker zu hoch und der Standort, der ohnehin nur ein Unterdepot war, wurde schlicht nicht mehr benötigt.

Das 21. Jahrhundert Bereits in den Neunzigern gab es die ersten Delegationsbesuche von Überlebenden oder Angehörigen. Von 1999 bis 2005 war der Bunker Valentin eine Spielstätte des Bremer Theaters. Die Künstler spielten auf mehreren Bühnen in einem bestimmten Bunker-Bereich, der inzwischen nicht mehr betretbar ist. Aufgrund des Risikos von herabstürzenden Trümmern beendete man schließlich die Gastauftritte. Die letzten Reste des Theaters sind jedoch noch heute zu sehen. Seit 2010 befindet sich der Bunker in der Vorbereitung zum Denkort und seit Mai 2011 ist er offiziell eine Gedenkstätte. Bis das Projekt komplett abgeschlossen ist, müssen noch einige kleinere Arbeiten, wie zum Beispiel ein ausgebautes Wegesystem, durchgeführt werden. Dieser Ort leistet politische Bildungsarbeit für alle Gesellschaftsschichten und Altersklassen, schulisch und auch außerschulisch. Das Projekt, aus dem Bunker einen Denkort zu machen, ist über fünf Jahre ausgelegt. 3,8 Millionen Euro stehen dafür zur Verfügung, wovon eine Hälfte der Staat, insbesondere Kulturstaatsminister Bernd Neumann, und die andere Hälfte das Land Bremen trägt. Die Besucher müssen während ihres Besuches im baufälligen Bunker aus Sicherheitsgründen Bauhelme tragen. Heute ist der Bunker circa 412 Meter lang und damit das längste Gebäude Bremens. Im Eingangsbereich steht ein großes Mahnmal, das all den Opfern und dem Schrecken des Nationalsozialismus gedenken soll. Inzwischen ist der Bau dieses Bunkers fast 70 Jahre her und die Baustelle ist so überwuchert, dass diese sowie die Lager nur noch mit guten Ortskenntnissen zu finden sind. Unübersehbar ist und bleibt Valentin, weshalb er als Ort für die Gedenkstätte gewählt wurde. Wie jedes verlassene Bauwerk hat auch dieses seine Mythen und Geheimnisse. Unterirdische Gänge werden vermutet und an manchen Stellen sind nackte Fußabdrücke im Zement zu erkennen sowie Unterschriften der vielen Arbeiter, die Teil des Baus dieses Giganten waren. Mittlerweile ist nicht mehr das gesamte Bunkerareal betretbar. Vermutlich ist aus genau diesem Grund ein kleiner Bereich zu einem der größten Winterquartiere für viele verschiedene Fledermaus-Arten geworden. 2009 zählte man dort 4.500 Tiere. Den geplanten U-Boot-Typ XXI kann man mittlerweile in Bremerhaven besichtigen – die „Wilhelm Bauer“ ist weltweit das einzig Erhaltene seiner Art. Text: Neele Meyer, Katharina Delling Foto: Neele Meyer (S. 27), Landeszentrale für politische Bildung/ Staatsarchiv Bremen (S. 28/29).

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Bremens grüne Lunge Grünflächen und Parks prägen das Bremer Stadtbild. Der Scheinwerfer geht den Ursprüngen dieses grünen Stadtcharakters auf den Grund und hat sich in Bürgerpark und Stadtwald mal etwas genauer umgesehen.

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s ist Sommer, in den Straßenbahnen ist es warm und stickig und die Busse sind überfüllt. So manch Studierender fährt da doch lieber mit dem Fahrrad zur Uni oder geht gleich zu Fuß. Dabei führt der Weg die Meisten durch den Stadtwald und den Bürgerpark nahe der Uni. Dort erstreckt sich, mitten im Herzen Bremens, eine gewaltige Grünfläche, die gerade im Sommer einen ruhigen Gegenpol zum urbanen Trubel bietet. Grüne Wiesen laden zum Entspannen ein, befestigte Waldwege zum Spazieren oder Joggen. Und auch das Freizeitangebot der Grünanlagen ist breit gefächert: Von Bootsverleih über Minigolf bis hin zur Open-Air-Bühne gibt es für jeden Geschmack etwas. Da sich Bürgerpark und Stadtwald zusammen über mehr als 200 Hektar erstrecken, bleibt dabei auch genügend Platz für alle Parkbesucher. Wie das einstmalige Weideland, aus dem der Bürgerpark entstand, zum Eigentum der Bremer Bürger wurde, wird seither in einer Legende überliefert. Dernach soll im Jahre 1032 die Gräfin Emma von Lesum den notleidenden Bremern so viel Weideland versprochen haben, wie ein Mann im Laufe eines Tages umschreiten kann. Der missgünstige Schwager der Gräfin fürchtete aber um seinen Erbteil an Ländereien und habe daraufhin einen Krüppel erwählt, das Land abzuschreiten. Dieser schaffte es jedoch, wie von Zauberhand, den Bremern die erhoffte Weidefläche zu sichern. Die Gräfin stand zu ihrem Wort und bis heute finden sich in Bürgerpark und Stadtwald zahlreiche Figuren und Gedenktafeln, die an ihre Mildtätigkeit und Großzügigkeit erinnern. Neben dem vielseitigen Freizeitangebot ist der Bürgerpark aber auch seit jeher ein Beispiel erfolgreicher Bürgerinitiative. Die Entstehung des Parks reicht bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück. In dieser Zeit wurden die Grünanlagen und Liegewiesen von der Initiative „Comité für die Bewaldung der Bürgerweide“ unter der Leitung Justin Friedrich Wilhelm Lönings organisiert und gestaltet. Das Besondere an der Geschichte des Parks ist die Verwaltung der Anlage durch Bürgerhand. Wurden anderenorts Parks oft nur für den Adel geschaffen und lediglich später für alle Bürgerinnen und Bürger geöffnet, so entstanden Bürgerpark und Stadtwald auf den Wunsch der Bremer nach Erholungsplätzen. Während in anderen Städten in der Regel mehrere Privatinvestoren oder die Stadtverwaltung als Träger der Parks auftreten, werden die Bremer Parkanlagen bis heute über Parkverein und Bürgerinitia-

tiven verwaltet, organisiert, gestaltet und über Spenden finanziert. Damit ist der Bürgerpark einzigartig in Deutschland und vereint Bremerinnen und Bremer aller Altersklassen und Gesellschaftsschichten. Die jährlich zum Erhalt des Parks benötigten Gelder belaufen sich auf über zwei Millionen Euro. Da diese Summe durch Spenden nur schwer zu erzielen ist, veranstaltet der Parkverein jährlich über mehrere Monate eine Tombola und verkauft an zahlreichen Buden überall in der Stadt Lose. Die Verkaufsbuden nehmen in der Innenstadt allerdings viel Raum ein und sind daher nicht bei allen Bremern gern gesehen, für den Erhalt des Stadtparks sind sie jedoch ein wichtiges Standbein. Jenseits dieser sozialen Aspekte ist der Park jedoch auch von großer ökologischer Bedeutung für die Stadt Bremen. Stadtwald und Bürgerpark bieten mit ihren Seen, Wildwiesen und Waldgebieten ein wichtiges Refugium für zahlreiche Pflanzen- und Tierarten. Rehe, Füchse und Wildschweine leben in den Parks und Wäldern und finden hier einen wichtigen Rückzugsort. Ohne die weitläufigen Grünanlagen wären diese Tiere schon längst aus Bremen verschwunden. Des Weiteren sorgen die vielen Pflanzen in der Stadt für frische Luft, regulieren das Stadtklima und filtern Lärm und Smog. Bürgerpark und Stadtwald sind Bremens größte zusammenhängende Grünanlagen und für die Stadt von großer Bedeutung. Ihr Fortbestehen kann allerdings nur von den Bürgerinnen und Bürgern gesichert werden. Wenn ihr das nächste Mal durch den Park kommt, denkt doch einmal darüber nach, was Bremen ohne ihn wäre. Wir nehmen diese wunderbaren Grünanlagen einfach als gegeben hin und erfreuen uns an ihnen, dabei ist der Bremer Bürgerpark als Bürgerprojekt entstanden und kann auch nur als solches weiterbestehen. Wenn euch der Park am Herzen liegt, dann gibt es genügend Möglichkeiten, sein Fortbestehen mit zu unterstützen und so wird der nächste Weg durch den Park auch von dem guten Gewissen begleitet, selbst ein Stück zur Erfolgsgeschichte dieser wundervollen Grünanlagen beigetragen zu haben.

Text: Jan-Hagen Rath Foto: Jan-Hagen Rath

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Bremen

25 Jahre Musik und Kultur auf den Osterdeichwiesen Breminale, das bedeutet Live-Musik in Zirkuszelten, „umsonst und draußen“, fünf Tage musikalische Vielfalt, Jongleure, Feuerspucker, Theater, Öko-Dorf, Fair Trade, Finanzlücken und einen hartnäckiger „schlecht-Wetter-Mythos“, der das Wasser auch schon mal von allen Seiten heraufbeschwört. So wie vor einigen Jahren, als sich die Weser zum Mitfeiern direkt auf das Festivalgelände begab. Das Ende der Weserlust 1983 war gleichzeitig auch der Anfang eines neuen Festivals. Konzerte in Zirkuszelten direkt am Osterdeich, das ganze kostenlos und schwellenfrei, machten die Breminale in den letzen Jahren auch außerhalb Bremens bekannt. Seit 25 Jahren bietet das fünftägige Open-Air Kulturfestival an den Osterdeichwiesen großen und kleinen Bands eine besondere Plattform. Hinter den Kulissen des immer größer werdenden Festivals steht, im Vergleich zu den Besucherzahlen, ein wesentlich kleineres Team, das sich jedes Jahr aufs neue der Herausforderung annimmt, Sponsoren für die eintrittsfreie Breminale zu gewinnen sowie regionale, nationale und internationale Bands an die Weser zu locken. Ihren 25. Geburtstag feierte die Breminale vom 11. bis 15. Juli mit 100 Bands und etwa 200.000 Besuchern. Als die Weserlust, ein mehrtägiges Kulturfest mit Kunstaktionen, und Ausstellungen, eingestellt wurde, bildete sich eine Initiative im Viertel, um ein stadteigenes Festival auf die Beine zu stellen. Aus der Initiative „Kulturkooperative Bremen e.V.“ wurde die AG Breminale. Horst Franke, der damalige Senator für Bildung, Wissenschaft und Kunst, unterstützte die Breminale mit 100.000 Deutschen Mark. Für das damals geplante Festival reichte dieser Betrag aber noch nicht aus, deswegen wurde die Breminale erst 1987 eröffnet. Die Finanzierung des eintrittsfreien Kulturfestivals ist auch heute noch ein Problem. „Wir zittern jedes Jahr aufs Neue, um die Breminale“, sagt Max Maurer, der Projektleiter der Breminale. 2001 stand die Breminale vor dem Aus, die Kalkulation ergab ein Minus von 25.000 Euro. Als bekannt wurde, dass die 15. Breminale nicht stattfinden würde, erklärte sich der Energieversorger swb bereit, die fehlende Summe zu zahlen und unterstützt die Breminale seitdem als Sponsor. Nur vier Jahre später zog sich die Stadt aus der Finanzierung zurück. Die dadurch entstandene Finanzierungslücke war zu groß, sodass es kein Festival auf dem Osterdeich gab. Auf den Ausfall der Breminale folgten eine ganze Menge Hilfs- und Kooperationsangebote. Seit zwei Jahren wird das Festivalgelände von einem symbolischen Spendenzaun geteilt, an dem man das Festival mit einem eigens gewählten Betrag unterstützen kann. Der „Zaun“ ist etwa in der Mitte des Festivalgeländes. Er besteht aus einer quadratischen Stahlkonstruktion mit Stoffbahnen, die sich quer über die Breminale erstreckt. „Damit wollen wir spielerisch daran erinnern, dass die Breminale kostenlos ist“, so Maurer. Durch diese Aktion sind im ersten Jahr 16.000 Euro Spenden zusammen gekommen. Das große Rubbellos stellt eine weitere Spendenquelle dar, die Gewinne werden von den Sponsoren und Partnern gestellt. Gewinnen konnte man unter anderem Fahrräder 32

und wetterfeste Umhängetaschen. Für zwei Euro kann man ein Los kaufen und dann eine kleine Fläche auf dem 39 Meter langem und 1,60 Meter hohen Los freirubbeln. Eine weitere Spendenmöglichkeit auf dem Festivalgelände sind die Fotos der Besucher mit dem Untertitel „Breminale Supporter“. Die Besucher konnten dort als „Zirkusdirektor“ mit den Tieren posieren, die auf dem diesjährigen Plakat zu sehen waren. Dieses Jahr traten 100 Bands bei der Breminale auf. Die verschiedenen regionalen, nationalen und internationalen Künstler unter einen Hut, beziehungsweise unter ein Zirkuszelt, zu bekommen, ist mit einem großen organisatorischen Kraftakt gleichzusetzen. Allein der Veranstaltungsort, die Osterdeichwiesen, fordert das Planungstalent der Organisatoren heraus. „Es ist ein schwieriges Gelände, es gibt keinen Strom und keine Wasseranschlüsse, aber vom Flair her, ist es grandios“, weiß Maurer. Das Kulturfestival direkt an der Weser hat sich sogar, mehr oder weniger unfreiwillig, bei Google Maps verewigt. Wer bei dem Portal den Osterdeich in Bremen eingibt, sieht auf dem Bild die Zelte der Breminale. Die Anfänge des Kulturfestivals wurden von einem tragischen Ereignis überschattet: Gleich bei der ersten Breminale gab es einen Todesfall. Bei einem Feuerwerk wurde eine Rakete vom anderen Ufer der Weser angezündet, diese traf am Osterdeich einen Besucher der Breminale. Seit dem tragischen Start wurden Feuerwerke weitgehend aus dem Programm der Breminale verbannt, die Weser wird aber weiterhin mit in das Festival einbezogen. Auf der MS Treue kamen Bands und Besucher der Weser ein Stück näher. Ein Katamaran, beladen mit einem blauen Kamel, fuhr das Festival auf dem Wasserweg ab. Die kleinen Breminalegänger konnten auf einer Kogge Piratenfahrten machen. Wem es im Zelt zu voll wurde, der tobte sich dieses Jahr auf dem Tanzboden aus, der zwischen Weltbühne und Hofnarr zu finden war und von Tanzschulen betreut wurde. Das „Ökodorf“ wurde auf dem Festivalgelände erweitert, genauso wie das Deichbankett, der einzige Programmpunkt der Breminale, für den man tatsächlich eine Karte braucht. Ein extra abgestimmtes Programm zum 25. Geburtstag der Breminale suchte man dagegen vergeblich: „Wir freuen uns jedes Jahr über die Breminale, da gibt es keinen Grund, die 25 noch extra mit Torte zu feiern“, meint Maurer. Bei 100 Bands wäre eine Torte wahrscheinlich auch überflüssig gewesen oder im Trubel untergegangen. Ein Großteil der Bands kommt aus dem Bremer Umland, viele bewerben sich direkt bei der Breminale. Mit den Direktbewer-

Die Bands Avery Mile (links) und De fofftig Pennis waren Teil des 25. Geburtstags der Breminale. bern setzt sich Susanne von Essen, von der künstlerischen Leitung auseinander. Der Kontakt zu nationalen und internationalen Bands kommt über die Kooperationspartner Bremen Vier, Schwankhalle und Lagerhaus zustande. Max Maurer sieht in der Breminale eine gute Plattform für Bands, ganz unabhängig vom Bekanntheitsgrad: „Wie oft geht man schon auf ein Konzert von einer eher unbekannten Band? Bei der Breminale schaut man einfach, wer so spielt und auch für bekanntere Bands ist es eine gute Werbung.“ Mirja Klatte, die Assistentin der Projektleitung, ergänzt noch einen anderen Aspekt: „Es macht eine bekannte Band auch symphatisch, wenn sie auf einem Event wie der Breminale auftreten.“. Zu den „großen“ Bands auf der Breminale gehörten Flo Mega, Joy Denalane, Pohlmann, Jupiter Jones, Miss Platnum, Curse und Anfang der 90er Jahre sogar Green Day, damals waren sie aber noch nicht so populäre wie heute. „Einige größere Künstler stehen dem Festival etwas kritisch gegenüber, aber wenn sie erst mal hier waren, schätzen sie die Breminale sehr“, so Maurer. Er erinnert sich noch an ein Interview von Selig, die nach dem Konzert begeistert waren von dem Flair und sich bei der guten Stimmung mit der Anzahl der Besucher glatt um eine Null nach oben verschätzt hatten. Durch die Zusammenarbeit mit dem Bremer Bandwettbewerb „Live in Bremen“ treten an den Osterdeichwiesen auch Bands aus Schweden, der Türkei, Norwegen, Großbritannien, Spanien, Indien und den USA auf. In die Sparte regionale Bands gehören Avery Mile und De fofftig Penns. Die fünfköpfige Band Avery Mile kommt aus dem Bremer Umland, ihre Songs sind in der melodischen Pop- und Rockmusik zu Hause. 2010 waren sie im Finale des New Music Award und sind bei der Popkom im Hangar des alten Flughafens Tempelhof aufgetreten. Avery Mile waren schon 2009 bei der Breminale und haben dort Pohlmann getroffen: „Wir haben mit ihm Wein getrunken und ihm anschließend das Viertel gezeigt.“ Ein Stadtrundgang der besonderen Art sozusagen. Für Avery Mile ist es als Bremer Band ein Muss, bei der Breminale dabei zu sein. Egal, ob nur zum zuschauen oder als einer der auftretenden Acts: „Der Reiz liegt häufig darin, einfach ungeplant über das Gelände zu gehen und da stehenzubleiben, wo einen die Musik kickt, so lernt man wirklich gute Bands kennen. Nämlich die, die live überzeugen.“

Die drei Bandmitglieder von De fofftig Penns sind dieses Jahr zum ersten Mal auf der Breminale aufgetreten. Ihre Musikrichtung nennen sie Dialektro – eine Verbindung aus Elektro-Hip-Hop und Plattdeutsch, was auch den Bandnamen erklärt. Der Name De fofftig Penns hat nichts mit einer plattdeutschen Übersetzung von 50 Cent zu tun. Die Gruppe erklärt das Ganze so: „Es hängt mit alten Küstenredensarten wie ‚50 Penns sünd Bremer Recht‘ oder ‚Wer andern eine Grube gräbt, kriegt 50 Penns‘ zusammen.“ De fofftig Penns sind große Fans der Bands von Grillmaster Flash und Dogs Run Free, die 2009 bei der Breminale aufgetreten sind. Max Maurer ist als Bremer praktisch mit der Breminale groß geworden. Das Festival war für ihn der ausschlaggebende Grund, der ihn letztendlich dazu bewegt hat, Kulturwissenschaft zu studieren. Seit 2008 ist er Veranstalter und „Macher“ des Kulturfestivals, vorher hat er bei der Schwankhalle gearbeitet. Mirja Klatte legte eine Pause in ihrem Kulturwissenschaftsstudium ein, um die Breminale mit zu organisieren. Seit Februar arbeiteten sie intensiv an dem Kulturfestival. Und wenn sie nicht selbst während der Breminale genug zu tun hätten, wären sie auf jeden Fall zu den Konzerten von Me and my Drummer und Oliver Schories & Mila gegangen. Das Plakat von 2008 verband die Breminale zum ersten Mal mit den Bremer Stadtmusikanten. Ein Kulturfestival mit dem Schwerpunkt Musik, da liegen die Bremer Stadtmusikanten als Symbolfiguren eigentlich nahe. Auf die Idee kamen aber keine Bremer sondern die Hamburger Designfirma Giraffentoast, die seit vier Jahren für die Plakate der Breminale immer wieder eine neue tierische Hommage an die altbekannten Musikanten von Bremen kreiert. Das Plakat von 2008 beispielsweise spielte mit dem scheinbar festhaftenden Regenwetter-Mythos der Breminale: Der Esel trägt, wie ein gut vorbereiteter Festivalgänger, gelbe Turnschuhe und auf dem Kopf des Hahns tanzt eine Person mit Regenschirm.

Text: Elisabeth Schmidt Foto: Dieter Röseler (links), Lars Kaempf

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Bremen

Bremen

Die Sinti,

ein Volk von Überlebenskünstlern

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inti, Roma, „Zigeuner“, „fahrendes Volk“… was sind sie nun eigentlich, unsere Mitbürger? Seit wann leben sie in Bremen und was haben sie seitdem erlebt? Was unterscheidet sie von den Nicht-Sinti? Das haben Romano Hanstein, der erste Vorsitzende des Sinti-und-Roma-Vereins in Bremen, und Dardo Balke, der für den Landesverband der Sinti und Roma in Bremen und die Beratungsstellen in Bremen und Bremerhaven tätig ist, dem Scheinwerfer erzählt. D e r B e g r i f f S i nt i

Dardo Balke: Also die Sprache und dann die Roma-Musik, die immer weiter getragen worden ist und die auch beliebt ist. Dann haben wir die Sinti-Musik, die gibt es erst seit 1930. Aber die richtige traditionelle Roma-Musik ist überall auf der ganzen Welt zu finden. Große Künstler wie Tchaikovsky haben sich dort Inspiration geholt. Wenn wir jetzt von Sinti-Swing hören, das Musikgenre Hot Swing, das ist die Musik der deutschen Sinti. Romano Hanstein: In den 30er Jahren gab es ja diesen berühmten Gitarristen Django Reinhardt, der die Musik der Sinti sehr beeinflusst hat. Deswegen spricht man heute vom „Zigeunerjazz“. Aber die Ursprungsmusik von uns kommt eigentlich von den Roma: Die spanische Musik und Flamenco. Auch die Spanier sagen, dass das unsere Musik ist. Diese Tänze sind unsere Tänze.

Romano Hanstein: Sinti und Roma kommen ursprünglich aus Indien. Von dort sind sie vor circa 600 Jahren ausgewandert und haben sich praktisch auf der ganzen Welt verteilt. Der Unter„ Z I G E U N ER “ schied zwischen Sinti und Roma fängt schon mal da an, dass Romano Hanstein: Weißt du, Sinti meistens aus den deutschwarum wir nicht möchten, dass sprachigen Gebieten kommen. wir Zigeuner genannt werden? Roma sind die größere Gruppe, Wenn du vor einigen Jahren die im Balkan überall verteilt den Duden aufgemacht hast, sind. Wir sprechen beide die glei- Romano (links) und Dardo im Sinti-Verein Bremen stand da „Zigeuner = ziehender che Sprache: das Romanes. Aber Gauner“. Und wir sind einfach es gibt natürlich Unterschiede im Dialekt. Wenn man seit 600 keine ziehenden Gauner. Wir sind Sinti oder Roma. Aber es ist Jahren in Deutschland lebt, gibt es in der Sprache eines deutso, dass viele leider mit dem Begriff Sinti und Roma nichts anschen Sinto natürlich auch deutsche Wörter. Aber im Ursprung fangen können. Privat werde ich zum Beispiel oft gefragt: „Was können sich alle verständigen. Es ist natürlich so, dass die Sinti bist du denn für eine Nationalität?“. Ich mach mir da meistens und Roma sich den jeweiligen Ländern, in denen sie leben, aneinen Scherz draus und sage „Rate mal!“ Die Leute raten und ich gepasst haben. Zum Beispiel beim Thema Religion. Ich werde habe schon alles Mögliche gehört, aber die kommen niemals daoft gefragt: Was habt ihr denn für eine Religion? rauf, was ich eigentlich bin. So und dann sag ich, ich bin Sinto. Dardo Balke: Im Norddeutschen Raum sind die meisten Sinti Wenn sie mich daraufhin ratlos angucken, sag ich „Sinti“. Wisdeshalb evangelisch und im süddeutschen Raum katholisch. Es sen sie dann immer noch nicht: „Sinti und Roma“. Und dann gibt mittlerweile auch Gemeinden. Die Sinti-Kultur wird dort muss ich notgedrungen sagen „Ja, ich bin Zigeuner.“ in die Gemeinte eingebracht: Die Musik ist zum Beispiel viel Dardo Balke: Und dann kommt die Antwort „Ist doch nicht fröhlicher, es wird viel in die Hände geklatscht, ähnlich wie in schlimm. Das sind auch Menschen“ oder „Hätt ich nie von dir einer Gospelgemeinde. In Bremen kann man sich so etwas zum gedacht!“. Beispiel sonntags immer um 16 Uhr in der Woltmershauser Romano Hanstein: Genau. Manchmal sag ich deshalb auch Straße 286 ansehen. „Ich bin Deutscher.“ Stimmt ja auch. Ich bin Deutscher. Da lachen die, „du bist doch kein Deutscher“. Aber wieso bin ich K U LT U R U N D S P R A C H E kein Deutscher? Nur weil ich ein bisschen dunkler bin, schwarze Haare und braune Augen habe? Dardo Balke: Die Kultur der Sinti ist die Sprache, die sie bis heute behalten haben. Die Sprache wird nur mündlich weiterVeranstaltung Wenn ihr noch mehr gegeben. Romano Hanstein: Sinti und Roma wurden immer verfolgt und erfahren wollt, hier ein Das Gypsy-Festival. es war praktisch eine Art Schutz, dass die Sprache nicht schrift7. und 8. September im paar Empfehlungen: lich niedergelegt ist, damit kein Nicht-Sinti sie lernen und man Schlachthof sich trotzdem immer untereinander verständigen kann. 34

D IE G E S C H I C H T E Romano Hanstein: Im Mittelalter waren die Zigeuner in Deutschland vogelfrei. Dardo Balke: Das heißt, ein Jäger durfte sie abschießen. Sie haben in den Wäldern gelebt, sie mussten in Lagern wohnen. Und dann haben sie angefangen: Puppenspieler, Zirkus, Kasperletheater, Kupferschmied, Korbmacher, Schleifer. Das kam doch alles aus diesen Zeiten – und hat sich bis heute fortgesetzt. Der Sinto ist einer, der überlebt. Der es geschafft hat. Bis heute. Ein Überlebenskünstler. Und dass es ihn noch gibt, das ist ja schon ein Wunder. Er ist einzigartig auf der ganzen Welt. Der sogenannte „Zigeuner“ hat bis heute noch nicht einen Krieg geführt. Trotzdem hat er gelernt, zu kämpfen. Er hat sich angepasst. Romano Hanstein: Und die Bremer Geschichte: Wie das nun genau vor 600 Jahren war, kann ich natürlich nicht sagen. Vor dem Zweiten Weltkrieg sind die Leute noch viel gereist. Da gab es viele Leute, die keinen festen Wohnsitz hatten und durch ganz Deutschland und Europa gereist sind. Das hat sich dann in den 50er, 60er Jahren geändert. Da wurden die Sinti richtig sesshaft und haben ihre Wohnungen gehabt. Sie sind dann auch noch gereist, weil das Reisen zur Tradition gehört. Aber in Deutschland gibt es ja eine Schulpflicht, von daher wurde nur noch in den Schulferien gereist. Nach dem Krieg in den 50er Jahren gab es in Woltmershausen bei Riespot ein Gelände, das den Sinti zugewiesen wurde. Dort standen teilweise Wohnwagen und Hütten, in denen sie sich angesiedelt haben. Bis irgendwann herauskam – und das war natürlich auch ein Ding der Unmöglichkeit – dass dieser Platz ein Nebenlager von einem ehemaligen Konzentrationslager war. Daraufhin haben sich dann Leute organisiert, Sinti und Nicht-Sinti, und dafür gesorgt, dass sie von dem Platz wegkommen und sich in Bremen verteilen können. N AT I O N A L S O Z I A L I S M U S Romano Hanstein: Die Zigeuner wurden damals von der Arbeit weggeholt. Die haben dann geschrieben „KZ, verhaftet worden. Grund: arbeitsscheu“. Das war natürlich Blödsinn. Die Leute wurden aus dem Grund verhaftet, dass sie einfach nicht arisch, sondern Zigeuner waren. Es ging los zwischen 1933 und 1935. In Bremen wurden sie zum Beispiel alle am Schlachthof gesammelt, wo heute eine Gedenktafel ist. Einige, die die finanziellen Möglichkeiten hatten, sind geflüchtet. Aber die meisten hatten keine Chance und sind dann in die Lager gekommen. Die Sinti

Denkmal für alle verschleppten und ermordeten Sinti und Roma vor dem Schlachthof in Bremen

sind nach den Juden die zweitgrößte Gruppe der Verfolgten im dritten Reich. Es wurden 500.000 Sinti und Roma umgebracht. Das ist auch ein Teil unserer Arbeit, nicht nur Erinnerungsarbeit sondern auch Aufklärung. Bei Berichten wird meistens nur über Juden berichtet. 6 Millionen Juden wurden umgebracht. Was natürlich schlimm genug ist. Aber was man nicht vergessen darf, ist, dass es auch noch andere Gruppen gab, wie zum Beispiel uns, die Sinti und Roma, aber auch behinderte Menschen, Homosexuelle, politisch Verfolgte und so weiter. Von diesen Menschen hört man selten irgendetwas. Es gibt keine Zahlen, aber es sind nicht mehr viele Sinti zurückgekommen nach Bremen. Sie haben teilweise dann von ihrer Familie gar nichts mehr vorgefunden, weil die ja alle umgebracht wurden. Mein Vater zum Beispiel hatte acht Geschwister und war der einzig Überlebende von seiner ganzen Familie.

Literatur

Musik

Ewald Hanstein: „Meine hundert Leben“ Der Autor ist der Vater von Romano Hanstein und ehemaliger Vorstand des Sinti-Vereins

Wawau Adler The Swing Kids

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Dardo Balke: In den 60er Jahren ging das mit der Wiedergutmachung los. Den Juden wurde Wiedergutmachung gezahlt und den Sinti wurde gar nichts gezahlt. Deshalb haben sie sich aufgemacht und Verbände gegründet. Und dann haben sie angefangen, Gelder zu beantragen, was eine sehr schwere Arbeit

Es wurde ganz lange – und das ist ganz wichtig zu wissen – der Völkermord an den Sinti und Roma nicht anerkannt. Dardo Balke

war. Denn es wurde lange gesagt, dass Zigeuner in die Lager geschickt wurden, weil es Kriminelle waren. Es wurde ganz lange – und das ist ganz wichtig zu wissen – der Völkermord an den Sinti und Roma nicht anerkannt. Romano Hanstein: Mein Vater hat über 25 Jahre für eine Rente von 500 Deutschen Mark gekämpft, als Wiedergutmachung. Es ging ihm eigentlich nur ums Prinzip. Denn mit 500 DM im Monat wirst du nie wieder gutmachen können, dass sie dir deine ganze Familie genommen haben. Es ging einfach nur um das Recht, dass das anerkannt wird. Bis vor zehn Jahren waren immer noch Leute dabei, die nichts bekommen haben. Leute, die immer noch darum kämpfen mussten, dass der Völkermord an den Sinti und Roma überhaupt anerkannt wird. Viele Leute waren sogar schon verstorben, bevor sie etwas bekommen haben. Und das sehen wir praktisch nochmal als zweite Verfolgung an unserem Volk. Dass man da noch hinterherlaufen muss und sagen muss „Hallo, bei uns ist auch eine halbe Million umgekommen.“ Das war wirklich eine schwierige Zeit. Dardo Balke: Das ist heute noch eine schwierige Zeit. Romano Hanstein: Jetzt sind die Gräber der Überlebenden des Nationalsozialismus, die als Denkmäler anerkannt werden sollen, ein aktuelles Thema. Das ist immer noch nicht durch und dafür kämpfen wir jetzt schon ein paar Jahre. Normalerweise muss es selbstverständlich sein, dass das geehrt wird und als eine Art Erinnerung bleibt, damit so etwas nie wieder passiert.

Bremen

D I S K RI M I N IER U N G Romano Hanstein: Früher gab es Schilder an den Campingplätzen in Deutschland, auf denen stand: „Landfahrer und Zigeuner nicht erwünscht“. Dann hat man sich damals dafür eingesetzt, dass diese Schilder wegkommen. Aber die Schilder hängen immer noch – in den Köpfen der Leute nämlich. Das ist das Problem. Das heißt, du kannst vielleicht dafür sorgen, dass solche Schilder wegkommen oder dass irgendwas im Gesetzbuch steht. Aber es ist leider noch oft so, dass solche Blockaden, solche Vorurteile, bei den Leuten bestehen. Deswegen ist es für uns als Verband sehr wichtig, dass wir in die Schulen gehen, schon in der Grundschule angefangen, und dort versuchen, die Kinder aufzuklären. Dardo Balke: Wenn man die Leute gefragt hat, was sie über Zigeuner wissen, haben die gesagt „Ja weiß nicht, die fahren mit dem Wohnwagen ‘rum, ist ein schönes Leben. Würde ich auch gerne machen.“ Lustiges Zigeunerleben. Das ist den meisten immer eingefallen, weil man sich das immer herausgepickt hat. Das Lagerfeuer, die Musik, die roten Röcke mit den weißen Punkten und die Wahrsager. Das ist alles geblieben bis heute. Romano Hanstein: Also was er damit sagen will ist: Es ist immer noch nicht vorbei. Selbst nach so vielen Jahren gibt es immer noch viel zu tun. WÜNSCHE Dardo Balke: Ich würde mir mehr Interesse wünschen. Dass die Vorurteile gegen diesen Oberbegriff Zigeuner aufhören und dass man sich informiert, wenn man von Sinti und Roma hört.

Aufgezeichnet von: Carolin Kaiser Foto: Carolin Kaiser (S. 32, S. 34), Katrin Pleus (S. 33), Donat Verlag und Wawau Adler (S. 33)

Bei Fragen:

Poster einer ehemaligen Ausstellung über Sinti in Bremen.

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Bremer Sinti-Verein e.V. Herdentorsteinweg 41 28195 Bremen

Bremerhavener Sinti-Verein e.V. Auf den Sülten 18 27576 Bremerhaven

Tel.: 0421-541014 Fax : 0421-541015 e-Mail: sintiverein@aol.com

Tel.: 0471-503208 Fax : 0471-503208

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Feuilleton

Feuilleton

Gefährliches Halbwissen? „Die Erde ist ein Irrenhaus. Dabei könnte das bis heute erreichte Wissen der Menschheit aus ihr ein Paradies machen“ (Joseph Weizenbaum, gefunden auf Wikiquote)

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örsengang, Mitgliederrekorde, Datenschutz: Facebook ist in aller Munde und bestimmt die mediale Berichterstattung über die digitalen Phänomene unserer Zeit. Auch an der Universität Bremen nimmt Facebook einen nicht zu unterschätzenden Teil im Alltag vieler Studierender ein. Aber es ist nicht das einzige internationale Internetprojekt, das Anstalten macht, die Welt zu verändern. Auch Wikipedia, die freie Enzyklopädie, kann auf eine Erfolgsgeschichte zurückblicken, mit der sie zu einem wichtigen Bestandteil der digitalen Revolution geworden ist. So selbstverständlich sie von vielen genutzt wird, so ist der Blick auf ihre Inhalte oft zu kritisch und manchmal auch zu unkritisch. Aber was genau steckt eigentlich in und hinter dem Phänomen? Die Wikipedia wurde von Jimmy Wales und Larry Sanger im Januar 2001 gegründet. Ursprünglich war sie als begleitendes Forum für Anregungen und Ideensammlungen für die Nupedia vorgesehen, eine rein auf wissenschaftlicher Arbeit basierende Online-Enzyklopädie. Diese kam aber nicht in Schwung, so wurden in den drei Jahren des Bestehens nur 24 Artikel fertiggestellt. Stattdessen war es die Wikipedia, die dank ihrer Offenheit besser angenommen wurde und rasant wuchs. Besondere Sympathie erlangte sie dadurch, dass sie sich ausschließlich über Spenden und nicht durch Werbung oder Datenweitergabe finanziert – ein Konzept, das übrigens keine andere der zehn meistbesuchten Internetseiten der Welt verfolgt. In den vergangenen elf Jahren ist daraus eine Bewegung für freies Wissen entstanden, die sich auf die Fahne geschrieben hat, das Wissen der Menschheit zu sammeln und die Inhalte frei zugänglich zu machen und zu verbreiten. Was nützen einem aber die Fakten, wenn man sich nicht auf sie verlassen kann? Dieses Bild prägt den universitären Umgang mit Wikipedia. Die Artikel enthalten zu viele Fehler, man weiß nicht, wer was geschrieben hat und die Seiten sind anfällig für

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Vandalismus. Dass die Wikipedia Fehler enthält, steht außer Frage. Genauso enthalten wissenschaftliche Arbeiten, Schulbücher und Zeitungen auch Fehler, denn wo Menschen arbeiten, passieren diese nun mal. Da alleine die deutschsprachige Ausgabe aber von mehreren Millionen Menschen pro Monat benutzt wird und viele Tausend von diesen helfen, sie zu erweitern und qualitativ zu verbessern, kann man vor allem frequentiert gelesene Artikel ohne große Sorge für wertvoll erachten. Logisch, dass sich vor allem in weniger beachteten Artikeln mehr Fehler einschleichen, aber auch Wikipedia legt Wert auf Quellenangaben und hat mit der Zeit ein effektives Qualitätssicherungssystem entwickelt, das sich stetig verbessert. Man kann Artikel und Nutzer melden, Admins und fleißige Autoren überwachen Änderungen und wenn ein Artikel keine ausreichenden Quellenangaben hat oder einige Aspekte fehlen, weist ein farblich unterlegter kurzer Text am Anfang darauf hin. Dass das Maximum an Qualität noch nicht erreicht ist, wohl auch nie erreicht werden kann, heißt nicht, dass man die Enzyklopädie deshalb verteufeln solle. Korrigieren, nicht kritisieren sollte der erste Gedanke sein, wenn einem ein Fehler auffällt oder ein Thema fehlt. Gleiches hat sich Artur, Masterstudent der Meeresbiologie, gedacht, als er vor einigen Jahren den Artikel über Tintenfische gelesen hat: „Der Artikel war nicht sonderlich lang und ich hätte ihn aus dem Kopf verbessern können. Also habe ich mir ein Biologiebuch aus meinem Schrank geschnappt und ein paar Abschnitte hinzugefügt.“ Auch im Artikel über Ameisen finden sich einige Zeilen von ihm. Eine andere Dimension der ehrenamtlichen Mitwirkung hat Roland Kutzki erreicht, einer der Architekten der Staats- und- Univer-

sitätsbibliothek Bremen. Im April feierte er seinen 1000. selbst angelegten Artikel, mitgearbeitet hat er an ungefähr 10.000. Persönliche Aushängeschilder: „Die Artikel über die Sowjetunion und die KPdSU stammen zu 70 bis 80 Prozent von mir. Und im Artikel ,Leben’ habe ich die Einleitung geschrieben.“ Des Weiteren sind viele Artikel über Bremer Stadtteile und Bauwerke von ihm angelegt worden. Dies sind zwei Beispiele, wie man zu der Bewegung des freien Wissens beitragen kann. Denn diese Bewegung existiert und wird neben den vielen freiwilligen Autoren hierzulande von Wikimedia Deutschland e.V. getragen und koordiniert, ein gemeinnütziger Verein, der sich genauso wie Wikipedia und ihre Schwesterprojekte ausschließlich über Spenden finanziert. Nichtsdestotrotz steht die Bewegung weiterhin vor vielen Hürden: Der digital divide macht sich auch in der Wikipedia bemerkbar, so übersteigen die verfügbaren Informationen über den „globalen Norden“ die des „globalen Südens“ um ein Vielfaches. Und auch unter den Autoren wäre mehr Vielfalt begrüßenswert, da beispielsweise über 80 Prozent der aktiven Schreiber männlich sind. Wie kann man das nun ändern? Hilfreich wäre zum Beispiel, Aufklärung und Werbung für das Projekt zu machen, sich als Autor zu beteiligen (auch in den Schwesterprojekten wie Wikiquote oder Wikinews) oder es finanziell zu unterstützen. Die Überwindung dieser Probleme wird nur schwierig, wenn manche Professoren und Dozenten weiterhin ein nicht der Realität entsprechendes Bild der Wikipedia vermitteln. Die Wissenschaft sollte sich besinnen, dass Wikipedia kein Feind der

Bildung, sondern Befürworter derselben ist. Man bedenke, dass viele Geisteswissenschaftler sich generell schwer damit tun, ihre Erkenntnisse und Diskussionsinhalte an die Gesamtgesellschaft zu bringen. Anstatt sich der neuen Möglichkeiten zu versagen sollte man gemeinsam anstatt gegeneinander agieren, was einen Mehrwert für die Wissenschaft, die Gesellschaft und die Welt zur Folge hätte. Merke: Diese Zusammenarbeit wird von Wikimedia angestrebt, es sind manche regressive Teile der Wissenschaft, die diese Entwicklung zurückhalten. Unter den Talaren… Eine objektivere Betrachtung auf der Höhe der Zeit vermittelt ein deutlich positiveres Bild: Es gibt inzwischen über 280 verschiedene Sprachversionen der Wikipedia. Die Nutzung ist lediglich an die Fähigkeit zu Lesen und einen Internetzugang gebunden. Im Gegensatz zu vielen wissenschaftlichen Texten verzichtet sie auf einen Aufmarsch von Fremdwörtern und Fußnoten und kann das Instrument werden, uns Menschen das zu bringen, was wir in Zeiten von komplizierten Krisen, technologisch-kulturellem Wandel und Globalisierung so dringend benötigen: Eine Erklärung unserer Zeit. Eine neue Phase der Aufklärung. Wissen über Zusammenhänge und Gegebenheiten in der Welt. Einen Wegweiser durch Geschichte und Ideologien, der im Gegensatz zu vielen Medien einen neutralen Standpunkt einnimmt. Einen Schritt in eine bessere Welt. Die Wikipedia, die freie Online-Enzyklopädie, ist eine der größten kulturelle Leistungen, die unser noch junges Jahrhundert hervorgebracht hat. Immense Chancen werden vergeben, betrachtet man das als nicht unterstützenswert.

Text: Marius Fischer Foto: Wikimedia

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Feuilleton

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Das Geheimnis der süßen Perlen Es scheint, als wäre das Teetrinken zu einem neuen Lebensgefühl avanciert. Der Trend heißt Bubble Tea. Wir stellten uns mutig dem Selbstversuch mit den bunten Blasen.

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eit neustem kann man in fast kein Einkaufszentrum mehr rührt, weitere 25 Minuten gekocht und dann in Zuckerwasser abgehen und keine Straße der Innenstadt betreten, ohne auf geschreckt wird, ist die These der gesunden Tapiokaperlen kaum einen Bubble-Tea-Laden zu treffen. Die Shops schießen noch haltbar. Zum Vergleich: In 100 Gramm Maniokwurzel finwie Pilze aus dem Boden und sind poppig bunt gestaltet. Eine den sich 35 mg Kalzium, 0,7 mg Eisen, 36 mg Vitamin C und große deutsche Zeitung schrieb, Bubble Tea sei wie Starbucks 1,2 g Proteine. 100 Gramm frischer Mais hat 20 mg Kalzium, für Menschen, die (noch) keinen Kaffee tränken. Bei dem far2 mg Eisen und 12 mg Vitamin C. Trotzdem ist Maisstärke nicht benfrohen Getränk ist es kein Wunder, dass sich eher Teenager wirklich gesund, genau wie Tapiokastärke. davon angezogen fühlen. Und tatsächlich: Während unserer ReAuch die Zusatzstoffe, die nicht gekennzeichnet sind, und die cherchearbeit waren es nur Minderjährige, die sich von ihrem hohe Kalorienanzahl sorgen mehr und mehr für Furore um dieTaschengeld einen Plastikbecher voll süßen Tees bestellten. Von ses Getränk. „Der gesunde Drink mit dem Snack- Effekt“, der allen anderen wurden wir verständnislos angesehen, während zu „100% BIO“ ist, wie eine Franchise-Kette auf ihrer Interwir, unsere Bubbles durch überdimensionale Strohhalme schlürnetseite behauptet, verliert seine Glaubwürdigkeit. Doch Tan fend, durch die Stadt schlenderten. Doch was ist eigentlich geHuynh, der im Marketing der Franchise- Kette BoboQ arbeitet, nau drin in einem Bubble Tea? verteidigt: „Wir haben nie verbreitet, dass es ein Diätmittel ist.“ Diese Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten, wenn man Doch ein Getränk zu verkaufen, das drei- bis sechsmal so viele sich die verschiedenen Möglichkeiten zur Fertigstellung seines Kalorien hat wie Cola und diesem auch noch den Namen Tee eigenen Bubble Teas anguckt. Auf den teilweise nur auf Engzu geben, grenzt schon an Verbrauchertäuschung. Grade Kinlisch und Chinesisch gehaltenen Angebotstader und Jugendliche sind fasziniert von dem feln haben wir die Wahl zwischen ungesüßleckeren Tee mit den bunten Farben und den tem Tee, Milchtee, Tee mit Aroma, Eistee, vielen geschmacklichen AuswahlmöglichkeiDie Fans des Bubble Teas Joghurtdrinks, Milchshakes und Säften. In ten. Von giftgrün bis rosa scheint jede Farbe schreiben der Maniokjeder dieser Kategorien gibt es gefühlte 50 vertreten zu sein. Und von langweiligem ErdGeschmacksrichtungen, welche leider nicht beer- bis hin zu gewagtem Erdnusstee sowie wurzel und der Tapiokaimmer ganz zu übersetzen sind. Und dann für die Experimentierfreudigen Rote Bohne stärke viele Vitamine und kommt noch die schwierige Frage nach den als Geschmacksrichtung sind der Fantasie keiBubbles. Fruchtige Popping Bobas, die an ne Grenzen gesetzt. wichtige Mineralien zu. Molekularküche erinnern, traditionelle TopiaAls wir uns dem Selbstversuch stellten, waren kaperlen oder doch Frucht Jellys, die eine Wawir von den knalligen Farben der Bubbles und ckelpuddingkonsistenz haben? Wer die Wahl Popping Bobas überzeugt, doch geschmackhat, hat die Qual. Und wer keine Ahnung hat, was das vor ihm lich waren die Perlen einfach nur süß. Das Mango-Boba hätte auf der Theke sein soll, ist überfordert. Zum Glück klären uns auch Ananas sein können und das Aloe Vera Jelly genauso gut die freundlichen Mitarbeiten im zweiten Shop unseres (SelbstLycheegeschmack. Wenigstens der Tee war lecker, auch wenn der test-) Vertrauens auf. Milchtee aus einem weißen Pulver bestand, das mit Wasser aufEigentlich sollte der Bubble Tea, der Mitte der 1980er Jahre in geschüttelt wurde. Wo sollten bloß all die Kalorien her kommen? Taiwan erfunden wurde, durch den enthaltenen Fruchtsirup Der Tee war, bis auf die Popping Bobas, die wir uns aussuchten, Kinder zum Teetrinken animieren. Die Idee mit den Tapiokanicht sehr süß. Vielleicht hatten wir ja die kalorienarme Variante Perlen kam erst später dazu. Die Tapiokastärke, die aus der Maerwischt. Doch als wir den nächsten Bubble Tea bestellt und ihn niokwurzel hergestellt wird, ist schon lange ein wichtiger Teil halb ausgetrunken hatten, wurde klar: Es war weder die kaloriin den Küchen Asiens und Afrikas. Da die Wurzel sehr viele enarme noch die ungesüßte Variante. Uns wurde schlecht und Kohlehydrate enthält (35 Gramm auf 100 Gramm der Knolle), ein bisschen schwindelig. Und das nach ungefähr 400 Milliliter kann man sie vom Gebrauch in der Küche sehr gut mit unserer Flüssigkeit innerhalb einer Stunde. Kartoffel vergleichen. Doch das Mehl wird eher für Süßspeisen Auch wenn mittlerweile die Krankenkassen vor dem Verzehr des verwendet, da der Geschmack neutraler ist, ähnlich dem der Tees warnen und sich 200 Milliliter mit 200 bis 500 Kalorien Speisestärke. Das merkt man auch den Tapioka Perlen an. Sie auf den Hüften der Republik absetzten, verbreitet sich der Trend haben eine glibberige Konsistenz, die man schlecht mit etwas weiter: Demnächst im McCafé erhältlich, in Imbissen und bald vergleichen kann, wenn man nicht schon einmal Rote Grütze womöglich auch an der Uni?! selbst gemacht hat und nicht schnell genug mit dem Einrühren Um hinter das Geheimnis des Bubble-Tea-Phänomens zu komder Speisestärke hinterher gekommen ist. men, hätten wir uns eventuell mit kleineren Geschwistern in die Die Fans des Bubble Teas schreiben der Maniokwurzel und der Shops begeneb sollen. Doch für uns bleibt das Rätsel um die Tapiokastärke viele Vitamine und wichtige Mineralien zu. BePerlen bestehen. trachtet man jedoch die geringe Menge der Perlen im Bubble Tea, schleichen sich Zweifel ein. Im Schnitt 30 Perlen kommen auf 300 Milliliter Tee. Entgegen den Argumenten der Befürworter und Bubble-Tea-Ketten, enthält die Maniokwurzel an sich Text: Jessica Heidhoff, Natalie Vogt schon wenig Vitamin C, Kalzium und Eisen. Wird diese dann Foto: Natalie Vogt noch eingekocht, pulverisiert, zu einem klebrigen Brei ange41


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Die Hölle der Waterfront Wie der Mode-Discounter Primark den deutschen Markt erobert.

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amstagnachmittag in der Straßenbahnlinie 3 Richtung und Blogger stolz ihre Primark-Ausbeute. Der Mode-Discounter Gröpelingen: Eine erwartungsschwangere Stimmung liegt greift, ähnlich wie H&M, die neuesten Mode-Trends von den in der Luft. Bei der Mehrzahl der Fahrgäste handelt es sich Laufstegen auf und aktualisiert seine Kollektion ständig. Wähum Teenies – Leggings-tragende Mädchen mit großen Handtarend mit KiK also einfach nur das Attribut „billig“ assoziiert schen und Jungs mit bunten Hoodies und Röhrenjeans. Endwird, stehen bei Primark die Assoziationen „modisch“ und auch lich, Haltestelle Use Akschen: Die Menschenmassen drängen „ein wenig ausgeflippt” im Vordergrund. Ein weiterer Faktor auf den Bahnsteig und stürmen über die rote Ampel direkt zur zur Erklärung der Beliebtheit der Bekleidungskette könnte sein, Waterfront. Trotz der 91 Geschäfte scheinen die meisten nur dass bisher erst in wenigen Städten in Deutschland Filialen erein Ziel zu haben: Primark – der Newcomer auf dem deutschen öffnet haben – ein Ausflug zu Primark ist immer noch etwas Bekleidungsmarkt. Besonderes. Immerhin treffen wir bei unserer Recherche viele Am 22. Mai 2009 eröffnete die erste Filiale Deutschlands in der Leute von außerhalb, die nur wegen Primark nach Bremen geWaterfront Bremen mit einer Verkaufsfläche von 5.380 Quadkommen sind. Das Firmen-Credo des Primark-Konzerns lauratmetern. Beim Reinkommen empfängt einen ein Schwall von tet also: Modische Kleidungsstücke zu sehr günstigen Preisen. Plastik, Schweiß und abgestandener Luft. Zu Kinga, Mitte 30, extra für Primark aus Hamdieser Tageszeit liegen die Kleidungstücke burg angereist, bringt es auf den Punkt: „Man Beim Reinkommen empschon wild auf dem Boden verstreut und in hat ne pralle Tüte für 80 Euro.“ In ihrer prallen den Gängen wühlen die Kunden nach den Tüte sind Schuhe, Jacken, T-Shirts, Röcke, und fängt einen ein Schwall besten Schnäppchen. Wohnaccessoires. von Plastik, Schweiß und Doch wie kann Primark dieses Ziel umsetzen? Torsten, Anfang 40, der mit seiner Frau eineinhalb Stunden an der Kasse stand, bezeichAuf der Homepage des Unternehmens werden abgestandener Luft. net Primark als die „Hölle der Waterfront“. die Strategien zur Kostenersparnis erläutert. Kathrin, Mitte 30 aus Hamburg, findet den Demnach werde wenig Geld für die Werbung Laden „für einen ramschigen Laden sehr, sehr ausgegeben und vermehrt auf den Effekt der schön“. Alina, 15, hält ihn einfach nur für „proppenvoll“. Mund-zu-Mund-Propaganda der Kunden vertraut. Darüber Der Bekleidungs-Discounter Primark ist eine Tochtergesellhinaus werden die Kleidungsstücke in sehr hohen Stückzahlen schaft des irischen Unternehmens Associated British Foods ge- und verkauft und die Betriebskosten dank eines hochentwi(ABF) und wurde 1969 unter dem Namen Penneys gegründet. ckelten Logistiksystems niedrig gehalten. Tatsächlich verwendet Um eine mögliche Verwechslung mit der US-amerikanischen Primark, abgesehen von vereinzelten Radio-Spots und LokalanKette JCPennys auszuschließen, wurde für den internationalen zeigen, die das Unternehmen aus Anlass von GeschäftseröffnunMarkt der Name Primark entwickelt. Ab der ersten Filialgrüngen schaltet, keine Werbung im herkömmlichen Sinne. dung in der Dubliner May Street expandierte Primark stetig Des Weiteren mietet der Konzern üblicherweise die Immobiund verfügt heute über 226 Geschäfte mit 36 000 Mitarbeitern lien nicht nur, sondern kauft mindestens jede zweite Filiale. und rund drei Milliarden Pfund Jahresumsatz. Auf die Filiale in Daraufhin werden die Räumlichkeiten komplett entkernt und Bremen folgten Niederlassungen in Frankfurt, Gelsenkirchen, so effizient wie möglich ausgestattet. Das heißt: Eine Vielzahl Dortmund, Hannover, Saarbrücken und Essen. Die hannovevon Umkleidekabinen und Kassen, welche über eine zentrale rische Zweigstelle ist bis heute mit rund 8.700 QuadratmeWarteschlange organisiert werden. Auch die Fischernetz-artigen tern Verkaufsfläche auf vier Etagen die flächenmäßig größte in Einkaufskörbe sind ein wichtiger Faktor des Gesamtsystems zur Deutschland. Dieses Jahr werden Filialen in Karlsruhe und BerUmsatzsteigerung, da diese Platz für eine große Anzahl an Kleilin eröffnet. dungsstücken, Schuhen, Accessoires und Einrichtungsartikel Worin besteht das Erfolgsrezept von Primark? Obwohl die Kleiliefern. dungsstücke preislich auf derselben Stufe wie zum Beispiel die Um den Kundenfluss nicht unnötig zu stören und das hohe des Textil-Discounters KiK stehen, ist das Image ein komplett Verkaufstempo aufrechtzuerhalten, werden die Aufräum-, anderes. Einen Klamotten-Einkauf bei KiK würde man wohl Säuberungs- und Nachfüllarbeiten von einer Nachtschicht ereher nicht an die große Glocke hängen, wohingegen Primark ledigt. Laut Primark handelt es sich dabei, trotz des Nacharals cool gilt: Auf zahlreichen Modeblogs zeigen Bloggerinnen beitszuschlags und des entstehenden Chaos, um die rentablere 42

Vorgehensweise. Ein hohes Tempo wird bei Primark auch in Sachen Angebotswechsel und Rabattierung an den Tag gelegt. Somit werden Kleidungsstücke, die sich langsam verkaufen, sofort rabattiert und aussortiert, und die, die gut laufen, umgehend nachbestellt. Um die Lagerbestände zu begrenzen, offeriert man ausschließlich die gängigsten Größen. Trotz dieser Marketingstrategie stellt man sich die Frage, ob Primark nicht auch an den Herstellungsbedingungen spart. Die Organisation „Aktiv gegen Kinderarbeit“ kommt zu folgenden Fazit: Die Primark-Verantwortlichen positionieren sich im Code of Conduct, welcher auf der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (UNDHR) und den Standards der internationalen Arbeitsorganisation (ILO) basiert, gegen Kinderarbeit und diese lässt sich auch nicht nachweisen. Primark behauptet, dass es unmöglich für jeden Käufer sei, einen Überblick über die Produktionskette zu haben und dass jede Ausbeutung der Arbeiter durch die Beurteilungsinstanzen (Lieferantenaudits) behoben werden würde. „Aktiv gegen Kinderarbeit“ bezweifelt dies und bezieht sich dabei auf Interviews mit Arbeitern, die erhebliche Probleme in der Herstellung deutlich machen. Sie kritisieren, dass das Unternehmen nicht alle relevanten Produktionsschritte kontrolliert und somit Kinderarbeit nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann. In einer BBC-Reportage aus dem Jahr 2008 wurde berichtet, dass bei mehreren Zulieferfirmen Primarks in Indien Kinder arbeiten. Diese Vorwürfe stellten sich aber im Nachhinein als falsch heraus. Um potentiellen Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen, veröffentlichte Primark die Website „Ethical Primark“. Primark verweist dort auf die Ethikrichtlinien wie den Code of Conduct und auf die Teilnahme bei der „Ethical trading Initiative (ETI)“. Die Mitglieder verpflichten sich, bestimmte ethische Richtlinien einzuhalten. Zum Beispiel Engagement für fairen Handel, jährlicher Nachweis einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Unterstützung der Lieferanten bei dieser sowie die Offenlegung der Aktivitäten. Diese Kriterien sind allerdings relativ allgemein gehalten. Wenn Primark jedoch wirklich nichts vorzuwerfen ist, stellt sich die Frage, warum sich in den Kleidungsstücken kein Nachweis über die Produktionsstätte finden lässt. Auf die Frage, warum der Mode-Discounter so günstige Artikel anbieten kann, äußerte die Mehrzahl der Befragten die Vermutung, dass Primark wahrscheinlich keine fairen Bedingungen gewährleistet. Vielleicht liegt das wirkliche Problem auch nicht nur in der Verantwortung eines einzelnen Unternehmens, sondern in dem Konsumverhalten, welches bei einem Großteil der heutigen

Gesellschaft allgegenwärtig ist. Anja, Anfang 40, spricht von einer „Wegwerfgesellschaft“, in der ein Trend immer schneller vom nächsten abgelöst wird und somit ein Kleidungsstück nicht unbedingt lange halten muss. Länger als ein Jahr überlebt bei Anjas Kindern sowieso nichts im Kleiderschrank. Alle Befragten verweisen auf die mangelnde Qualität und fehlende Haltbarkeit. Trotzdem würde keiner auf Primark verzichten wollen. Der günstige Preis ist wichtiger als eine gute Qualität. Andererseits scheint unter vielen Menschen schon ein Umdenken zu beginnen. Das Internet macht es heute so einfach wie nie zuvor, sich selbst über Produkte und Unternehmen zu informieren. Die Internetplattform utopia.de zum Beispiel wirbt mit dem Slogan: „Stellen Sie Ihr Leben um auf Nachhaltigkeit, wir zeigen Ihnen, wie’s geht“. Hier findet man Produkttests, Ratschläge für alle Bereiche des Alltags und eine Community, in der man sich mit anderen zu Themen von „Wo finde ich die beste fair gehandelte Jeans?“ bis zu Energie- (und Geld-) sparendem Heizen austauschen kann. Gütesiegel wie „Fairtrade“, „Naturtextil Best“ und das Siegel der Importorganisation EZA garantieren die Einhaltung strenger Qualitätsstandards und machen es den Konsumenten leicht, ethische Aspekte in die Kaufentscheidung miteinzubeziehen. So kann jeder selbst entscheiden, welche Unternehmen er in Zukunft durch sein Geld unterstützen möchte. Denn Kathrin sagt: „Die einzige Macht, die man als Konsument hat, ist ja, nicht zu konsumieren. Die einzige Macht, die man hat, ist: ich kauf es oder ich kauf es nicht.“

Informationen liefert: www.aktiv-gegen-kinderarbeit.de www.utopia.de. Seiten wie www.kleiderkreisel.de bieten die Möglichkeit, unkompliziert Kleidung zu tauschen oder zu kaufen bzw. verkaufen.

Text: Anna Tappe, Christina Freihorst Foto: Karam Miri

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Doing Nothing Garden von dem chinesischen Künstler Song Dong

Feuilleton

Floß von Christian Philipp Müller

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ie documenta wird als weltweit wichtigste Ausstellung Wir hoffen – hoffen, daß wir leben von zeitgenössischer Kunst überleben und Kunst uns Glück neben der Biennale in Venedig anbedeutet!“, schreibt Bode, der nicht gesehen. Alle fünf Jahre versammelt nur Erfinder, sondern auch Kurator sich hier für 100 Tage, was Rang und der ersten drei Ausstellungen der Namen hat, um Kunst zu sehen und Jahre 1955, 1959 und 1964 war. zu erleben, zum Debattieren und Für die diesjährige amerikanische Diskutieren, um zu hinterfragen und Kuratorin Carolyn Christov-BaAnstöße zu bekommen. Die diesjähkargiev, die von ihren Mitarbeitern rige dOCUMENTA (13) soll wieder liebevoll nur CCB genannt wird, einmal die Kunst in den Fokus der hängt alles mit allem zusammen. „Lebens-Wirklichkeit“ rücken, so Es gehe um Formen des Wissens, das Ziel des Erfinders Arnold Bode, die im Bereich der Kunst zusamder die erste Ausstellung bereits menkommen, aber nicht unbedingt 1955 ins Leben rief. Damals plante nur von schaffenden Künstlern er diese noch im Rahmen eines Benach traditionellen Vorstellungen gleitprogramms der Bundesgartenstammen, sondern auch „Nichtschau. Heute ist die documenta ein Kunst-Künstler“ zu einer grenzenRiesen-Event, welches Kassel mit 50 los offenen Kunst beitragen lassen. Ausstellungsorten und Werken von In ihrem Manifest belegt sie: „Was über 150 Künstlern aus 55 Ländern manche dieser Teilnehmer tun, und vom 9. Juni bis zum 16. September was sie in der dOCUMENTA (13) zur Weltkunststadt werden lässt. „ausstellen“, mag Kunst sein oder Paul Klee, Piet Mondrian, Pablo PicasDoch was macht die Ausstellung so auch nicht.“ Eine Kunstausstellung besonders? Ist es die Kunst? Sind es also mit Nicht-Künstlern? Nicht so, Joseph Beuys, Marcel Duchamp, die Skandale der Künstler, die Werke ohne Grund wird Christov-BakarChristoph Schlingensief, Gerhard Richfür Kunst erklären, die in der Bevölgiev nachgesagt, ihr Lieblingswort ter – All diese Künstler der documenta kerung Verständnislosigkeit und Ärsei „maybe“ – vielleicht. Alles ist prägen bis heute eine über 50 Jahre ger hervorrufen? Ein Beispiel hierfür offen, nichts ist unwichtig, alles realte Ausstellungsreihe. ist eine Aktion von Schlingensief bei levant und nichts egal. der documenta X, der ein Schild an Ihr Kunstbegriff ist genau dies alles. der Orangerie befestigte, das für die Für Künstler ist es oft nicht wichzur Mittagszeit geplante Aktion „Tötig, ob ihre „Projekte“ als Kunst tet Helmut Kohl“ aufrief. Oder sind angesehen werden oder nicht und es doch die Momente, an denen der genau so sieht „CCB“ dies auch im Alltag weit weg ist und man sich faszinieren lässt von einer andeBezug auf die Ausstellung. Sie definiert nicht, ob ein „Projekt“ ren Welt, in der Kreativität, Ästhetik, Phantasie, Wahrnehmung, Kunst ist oder nicht, weil sich die Zeit verändert und Kunst Grenzen, Individualität und eine andere Wirklichkeit eine große kaum noch definierbar ist. Es gehe nicht um die 150 besten Rolle spielen? Ein Moment, in dem die Seele, wie Picasso sagt, Künstler, sondern um eine Ausstellung über Kunst, jedoch nicht vom Staub des Alltags gewaschen werden kann? ausschließlich mit Kunst. Sie verunsichert und lässt Fragen des „Hoffen wir, daß die Kunst: Malerei, Plastik, Dichtung, TheBesuchers offen. „Die dOCUMENTA (13) in Kassel ist absichtater, Musik – die zweite Wirklichkeit – zur „Lebens-Wirklichlich unbequem, unfertig, kantig. Bei jedem Schritt muss der keit“ wird, denn ohne sind wir „arm“, ganz arm. Unser Traum: Besucher wissen, dass ihm grundsätzliches Wissen fehlt, irgend-

Es schmeckt nach Kunst

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Das Fridericarium ist bereits seit der ersten documenta Mittelpunkt jeder Ausstellung was, das unsichtbar und nicht greifbar ist. Eine Erinnerung, eine unbeantwortete Frage, Zweifel“, sagt Christov-Bakargiev auf einer Presseveranstaltung. Eine Konzeptlosigkeit, bei der die Kunst für sich sprechen soll, ein Kunstbegriff, der neu geprägt wird und doch eine Note, die ganz eindeutig hervordringt: Der Rückzug in das Organische, in die Natur. Die Kuratorin lässt rund 60 Kunstwerke im Staatspark Kassel, der Karlsaue, sowie zum ersten Mal an verschiedenen Orten der Welt ausstellen und schafft damit eine documenta, die weltweit Präsenz zeigt. Es ist eine räumliche Wende, eine andere Sicht auf den „Ort“, der nicht mehr greifbar ist und gleichzeitig geht es um die Frage: Wie können wir als Mensch unseren Standpunkt verlassen, wie können wir allein durch die Sinne erfahren? Betritt man das Fridericianum, die Kunsthalle Kassels und damit das „Gehirn“ der dOCUMENTA (13), sieht man erst einmal nichts. Ein leerer Raum, kahle Wände, verwirrte Blicke der Besucher, die sich fragen: „Wo ist die Kunst?“ Bleibt man für einen Augenblick stehen und schließt eventuell sogar die Augen, denn zu sehen gibt es hier definitiv nichts, so spürt man Wind. Eine kühle Brise, die den Besucher mit der Installation von Ryan Gander zu der dOCUMENTA (13) empfängt. Viel Wind um nichts? Viele der Besucher sind enttäuscht. Kunstkritiker und Kunstwissenschaftler äußern sich jedoch positiv und erklären den Wind als eine eindeutige Aussage gegen den Sehsinn, der gewöhnlich mit Kunst in Verbindung gebracht wird, und für die anderen Sinne wie Fühlen, Schmecken, Riechen und Hören. „Ich glaube es geht im Grunde um die Überzeugung, dass es mehr gibt als das, was man so sehen kann“, berichtet die SWRKunstkritikerin Kathrin Hondl im SWR2 Radio.

Und das ist immer wieder deutlich spürbar. Ein anderes Beispiel stellt das Werk von Christian Philipp Müller in der Karlsaue dar. Der Künstler nahm bereits an der documenta X teil und präsentiert sich dieses Jahr mit einem bepflanzten Floß. Dabei arbeitete er zur Anfertigung mit dem Institut für ökologische Agrarwissenschaften der Universität Kassel zusammen und stellte ein Floß aus drei Kästen her, die mit verschiedenen Pflanzen bestückt wurden. Das Werk lädt ein, betreten zu werden und von den Kräutern, zum Beispiel Mangold, eine Kostprobe zu nehmen. Wie bereits bei Gander steht hier der Sehsinn nicht im Vordergrund. Das Kunstwerk ist temporär, verändert sich und wird verändert. Es wird greifbar und bewegt sich mit dem Betrachter als eine Einheit. Müller selbst sieht seine Kunst als Untersuchung von künstlerischer Produktion im Verhältnis zu wirtschaftlichem, historischem, kulturellem, politischem und gesellschaftlichem Umfeld. Betritt man die dOCUMENTA (13) dieses Jahr also vorurteilfrei, offen und ohne eine Vorstellung von Kunst und lässt sich einen Moment lang einfach auf das Vorhandene ein, mit Respekt vor dem schaffenden „Künstler“, so gelingt vielleicht ein Besuch, bei dem man eine Idee von Alltag mit Kunst bekommt. Eine Idee, die wir in den Alltag integrieren können, damit unsere Seelen täglich neu die Chance haben, von der Kunst „abgestaubt“ zu werden. Text: Hanna Düspohl Foto: Hanna Düspohl

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Marco Haas

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Streamen statt saugen!

Me And My Drummer: Me And My Drummer, das sind Charlotte Brandi und – wie der Bandname schon verrät – ihr Drummer Matze Pröllochs. Das Duo aus Berlin macht laut eigenen Angaben DreamPop und diese Bezeichnung beschreibt den Stil ihrer Musik schon ziemlich gut. Songs wie „You‘re a Runner“ oder „Heavy Weight“ klingen sphärisch und werden zu großen Teilen von Brandis einzigartiger Stimme getragen. Dazu Synthesizer, ein wenig Klavier und ein Hauch des namensgebenden Schlagzeugs. Musikalisch erinnert das an Künstler wie The xx oder James Blake, die diese Art des Minimalismus in den vergangenen Jahren geprägt haben. Me And My Drummer geben dem Genre aber noch einmal einen ganz eigenen Klang, denn sie schaffen das Kunststück, ihre Lieder reduziert zu halten und den Hörer dennoch nichts vermissen zu lassen. Im Mai haben die Berliner ihr Debütalbum „The Hawk, The Beak, The Prey“ veröffentlicht, womit sie momentan quer durch Europa touren. Weiter Infos: http://www.meandmydrummer.com

Der Streamingdienst Spotify schickt sich an, das Musikhören im Internet zu revolutionieren. Aber profitieren auch die Künstler oder wird die Musikindustrie von solchen Angeboten nur noch mehr belastet? „Dieses Video ist in Deutschland leider nicht verfügbar. Das Doch nicht nur die GEMA möchte Geld von Spotify sehen, auch tut uns leid.“ Wer hierzulande legal und kostenlos Musik hören die Künstler selbst erwarten selbstverständlich eine Entlohnung möchte, stößt bei der Suche auf YouTube schnell auf diese Ansafür das Streamen ihrer Stücke. Der Online-Service erweist sich ge. Abhilfe sollen nun Streaming-Services bieten, zu denen sich für die meisten Musiker aber als alles andere als eine Goldgrube. im März als neuestes Mitglied Spotify gesellt hat. Seit dem Start Recherchen des Hessischen Rundfunks ergaben, dass ein Künstdes Programms 2008 in Schweden haben mittlerweile Menschen ler im besten Fall nur 0,164 Cent pro Stream erhält. Verglichen in 13 Ländern Zugriff auf die rund 16 Millionen Lieder, die auf mit den durchschnittlich drei Cent für einen legalen Download Spotify verfügbar sind. und den drei Euro pro verkaufter CD ist dieser Betrag minimal. Das Prinzip ist ganz einfach: Nach der Anmeldung wählt der Um mit einem Stream genauso viel Geld einzunehmen, wie mit Nutzer zwischen einer Gratisversion, bei der nach einigen Lieeiner CD, muss ein Album mit zwölf Liedern bei Spotify über dern Werbespots eingeblendet werden oder zwei kostenpflich145 Mal gestreamt werden. Zahlen, die für bekannte Musiker tigen Versionen, die dementsprechend werbefrei sind und je kein größeres Problem darstellen, für die zahlreichen unbenach Höhe des Betrags noch weitere Extras bieten. Die Musik kannteren Interpreten aber durchaus ein Hindernis sind. Einige muss nicht gekauft werden, Bands, wie die Beatles oder sondern wird über das Internet Metallica, verweigern Spotify gestreamt. Der Nutzer kann die vermutlich aufgrund solcher Lieder seiner Wahl also nicht geringen Beträge das Abspiehören, wenn er offline ist und len ihrer Stücke. Gruppen in unterwegs auch nur über ein dieser Größenordnung haSmartphone und gegen Bezahben die Vermarktung ihrer lung. Dieser Service unterscheiMusik auf diesem Weg aber det sich von den zahlreichen auch einfach nicht mehr nöillegalen Download-Seiten im tig, obwohl sie es sich finanInternet dadurch, dass alle Muziell gesehen ohne weiteres sik in Absprache mit den Platerlauben könnten. tenfirmen zur Verfügung geFür die meisten Künstler stellt wird. Spotify hat Verträge führt wohl dennoch fast kein mit allen großen Labels, wie Weg an Spotify vorbei. Denn Universal oder Sony, und auch trotz aller Missstände bleibt mit den meisten Independent- Spotify-Gründer Martin Lorentzon und Daniel Ek Spotify eine gute MöglichLabels abgeschlossen, weshalb keit, um neue Musik zu entdedie Nutzung rechtlich unbedenklich ist. Trotz der Legalität von cken und kostenfrei auszutesten, ob ein bestimmtes Album dem Spotify wurde schon kurz nach der Einführung in Deutschland eigenen Geschmack entspricht oder nicht. Vor allem vor dem erste Kritik laut. Datenschützer bemängeln, dass eine AnmelHintergrund, dass in Deutschland mehr als drei Millionen Mendung nur über einen Facebook-Account möglich ist. Denn das schen illegal Musik herunterladen (Angaben des Bundesverbansogenannte Telemediengesetz in Deutschland schreibt vor, dass des Musikindustrie) und die Künstler dadurch um ihr kreatives eine anonyme Nutzung derartiger Online-Dienste grundsätzlich Werk bestohlen werden, bleiben Streaming-Services die bessere möglich sein muss. Durch Facebook wird nun aber jedes Lied, und fairere Alternative. das man hört, direkt mit dem eigenen Namen verbunden. DaWenn einem eine Band besonders am Herzen liegt, sollte man ten, die für alle Beteiligten von großem Interesse sind. Besontrotzdem hin und wieder den Weg in den Plattenladen oder ders, wenn man an personalisierte Werbung denkt. aber zumindest den Klick auf eine legale Downloadseite wagen. Hinzu kommt, dass Spotify in Deutschland an den Start geDenn nur so kann man selbst dazu beitragen, dass der ein oder gangen ist, bevor ein endgültiger Vertrag mit der GEMA abgeandere Lieblingskünstler auch noch in ein paar Jahren auf der schlossen wurde. Die Gesellschaft für musikalische AufführungsBühne steht – und nicht aus Geldmangel Gitarre und Mikro und mechanische Vervielfältigungsrechte erhält von ähnlichen gegen einen Bürojob tauschen muss. Streaming-Anbietern pro Abo-Kunde einen Euro im Monat und für jedes gratis angehörte Lied sechs Cent. Eine Einigung mit Spotify ist derzeit noch offen. Falls die Verhandlungen erfolglos bleiben, drohen den Nutzern über kurz oder lang vermutlich Text: Kira Kettner ähnliche Verhältnisse wie auf YouTube. Foto: Spotify GmbH 46

T.Raumschmiere

Lautsprecher Fuck Art, Let‘s Dance!: Das Hamburger Label Audiolith ist gemeinhin dafür bekannt, Bands wie Frittenbude, Egotronic oder Supershirt ein Zuhause zu bieten. Allesamt Vertreter des deutschsprachigen Electropunk, die sich mit Liedern wie „Mindestens in 1000 Jahren“ oder „8000 Mark“ einen Stammplatz auf den großen Bühnen des Landes erspielt haben. Neuster Zugang der AudiolithFamilie ist die Hamburger Band Fuck Art, Let‘s Dance. Gegründet im Jahr 2009 unterscheiden sich die drei Hanseaten von ihren Labelkollegen vor allem durch ihre englischen Texte und Songs, die zwar von elektronischen Beats getrieben werden, gleichzeitig aber auch mit Gitarren unterlegt sind. Dieser Mix hat ihnen schon Auftritte als Vorband von Who Made Who und We Have Band eingebracht und sie auf die Bühnen des Reeperbahn Festivals und des Dockville Festivals geführt. Im vergangenen Jahr veröffentlichten Fuck Art, Let‘s Dance ihre erste EP „The Conqueror“ mit dem eingängigen Titelstück und dem nicht minder tanzbaren „We‘ll Disappear“. Als Reminiszenz an den Electro-Hintergrund von Audiolith gibt es zusätzlich ganze neun Remixe der beiden Songs. Spätestens hier dürfte auch der letzte auf der Tanzfläche die Hände hochreißen und die Kunst in den Wind schießen. In diesem Sinne: Lasst uns tanzen! Weitere Infos: http://faldmusic.com/

Marco Haas steht nicht auf der Bühne. Wenn er ein Konzert gibt, ist er in einer anderen Welt. Schweißgebadet, oben ohne, Augen geschlossen, schwingt der hagere Elektropunker sein Equipment durch den Raum. Seine Ekstase kann schon mal dazu führen, dass er seine eigenen Instrumente umwirft. Kurz berappelt, alles wieder eingestöpselt, findet Marco Haas wieder in seine krächzenden, drückenden Beats zurück und rockt weiter. Der gebürtige Heidelberger spielte zunächst, in den frühen Neunzigern, in einer Punkband. Aus dieser Szene kommt seine Einstellung, die er bis heute nicht abgelegt hat – auch wenn er sich nun weitgehend der elektronischen Musik zugewandt hat. Als Elektropunker T.Raumschmiere ist er seit gut zehn Jahren unterwegs und verpasst seiner elektronischen Musik eine feine Note Anarchie. Sein Wesen und seine Musik wird nie in den Charts landen und kommerziellen Erfolg haben, dennoch ist er aus der alternativen elektronischen Musikszene nicht wegzudenken und gibt seit vielen Jahren international Konzerte. Sein Erfolg bezieht sich allerdings nicht nur auf seine eigene produzierte Musik sondern auch auf sein eigenes Plattenlabel „Shitkatapult“, das bislang mehr als 100 Alben von Künstlern abseits des Mainstreams auf den Markt gebracht hat. T.Raumschmiere ist kein besonders tiefgründiger, intellektueller Musiker, allerdings lässt er seinen Gefühlen ungefiltert freien Lauf und verwandelt diese mitsamt einer gehörigen Portion musikalischer Genialität in eine eigene, innovative Form. Marco Haas Musik ist ein rücksichtslos durch die Großstadt preschender Monstertruck. Er selbst äußerte sich vor einem Konzert in Heidelberg dazu folgendermaßen: „Ich spiele dreckige elektronische Musik, die auch tanzbar ist, aber schon an der Kante zum guten Geschmack.“ Weitere Infos: http://t.raumschmiere.com Text: Kira Kettner, Lukas Niggel Foto: Andres Marroquin

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Feuilleton

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Trau dich, verkauf dich!

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Leben in der Gegenwart

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er amerikanische Sprachwissenschaftler Daniel Everett hat mehrere Jahre bei den Pirahã-Indianern am Amazonas verbracht – er wurde mit seiner Familie als Missionar in den Dschungel entsandt, um den Pirahã das Evangelium nahe zu bringen. „Don’t sleep, there are snakes“ ist ein Erfahrungsbericht vom Leben in einer größtenteils von anderen unbeeinflussten Kultur, die sich von unserer westlichen Kultur völlig unterscheidet. Die größte Herausforderung besteht zunächst darin, die Sprache der Pirahã zu lernen. Wie stellt man das an, eine Sprache zu lernen, für die es weder Wörterbücher noch Grammatiken noch Dolmetscher gibt? Es braucht vor allem viel Zeit, Geduld und eine gute Beobachtungsgabe. Daniel Everett redet also mit den Pirahã, lässt sich die Namen für Gegenstände sagen und bittet einzelne Pirahã, ihm als Sprachlehrer zu helfen. Im Laufe der Zeit wird ihm klar, dass, wer die Pirahã-Sprache verstehen will, diese nicht losgelöst von ihrer Sie kennen keine Kultur betrachten kann.

Daniel Everett: „Don’t sleep, there are snakes – Life and Language in the Amazonian Jungle”. PROFILE BOOKS LTD, London 2009. Paperback bei Amazon für 11,20 Euro. Die deutsche Version: „Das glücklichste Volk – Sieben Jahre bei den Pirahã-Indianern am Amazonas“, 2010, Pantheon Verlag, broschiert, für 16,99 Euro. bestimmte grammatische Prinzipien allen Menschen angeboren sind Er tritt für eine Linguistik ein, die dem Einfluss der Kultur auf die Sprache ein wesentlich größeres Gewicht einräumt.

Nun ist es leicht vorstellbar, dass man als Missionar, der von Gott Schöpfungsmythen, und Jesus überzeugen will, kein leichtes Spiel hat – „Hast du Jesus das heißt sie haben keine Theorie über Ein wichtiges Prinzip in der Pidenn gesehen?“ ist eine Frage, bei die Entstehung der Welt, rahã-Kultur ist das der „Unmitder Daniel Everett passen muss. telbarkeit der Erfahrung“ – sie Ihr Fokus auf die Gegenwart, sondern leben eben ganz glauben und interessieren sich ohne Sorgen um Vergangenheit in der Gegenwart. nur für Dinge, die sie selbst geseoder Zukunft, scheint die Pirahã hen haben oder die zumindest die zu einem sehr glücklichen Volk Person, die von ihnen berichtet, zu machen, dessen Seelen keiner mit eigenen Augen gesehen hat. Rettung durch Gott bedürfen. Daraus folgen Besonderheiten, Langsam beginnt auch Everett die die Pirahã sowohl aus linguistischer als auch aus anthropoloan der Plausibilität seines Glaubens zu zweifeln. gischer Sicht zu einem bemerkenswerten Volk machen. Sie kenSo ist das Buch einerseits ein sehr eindrucksvoller persönlicher nen keine Schöpfungsmythen, das heißt sie haben keine Theorie Bericht von Everetts Erlebnissen im Dschungel, die durchaus über die Entstehung der Welt, sondern leben eben ganz in der nicht nur angenehmer Natur sind (man denke an Schlangen, Gegenwart – wichtig ist das, was man hier und jetzt wahrnehunzählige Insekten und Malaria), und andererseits eine präzise men kann. Aus linguistischer Sicht sind sie unter anderem unKulturanalyse, die die Lebensweise und die Sprache der Pirahã gewöhnlich, weil es in ihrer Sprache keine Rekursion in Form ohne zu Bewerten und voller Respekt beschreibt. von Relativsätzen gibt, was bislang als grundlegendes Prinzip Text: Christina Freihorst galt. Mit diesen Feststellungen wendet sich Everett gegen Noam Foto: http://www.randomhouse.biz/media/digital Chomskys Theorie der Universalgrammatik, die annimmt, dass 48

ourtney hat es getan. Alexander auch. Arne finanziert sich damit sein Studium und Ed und Ross sind mittlerweile gefragte Models. Was sie gemeinsam haben? Sie sind alle Studenten und verdienen mit ihrem Körper Geld. Mit Rotlichtvierteln und Filmen, die erst nach 22 Uhr gezeigt werden dürfen, hat das jedoch nichts zu tun. Diese jungen Menschen bewegen sich allesamt im Rampenlicht der medialen Legalität. Courtney ist eine amerikanische Studentin der Wirtschaft. Für Geld lässt sie sich Werbesprüche auf Arme, Beine, Rücken und Bauch pinseln und trägt sie als lebende Werbetafel zur Schau. Ed und Ross kommen aus Cambridge und sind fertig mit ihrer Ausbildung. Um ihre College-Schulden zurückzuzahlen, vermieten sie ihre Gesichter und bemalen sie mit dem Logo oder Werbespruch des jeweils tagesaktuellen Sponsors, auch Glückwünsche oder Heiratsanträge sind erlaubt, solange der Kunde bezahlt. Gebucht werden können sie über ihre Internetseite Wie so oft wurde ein amerikanischer Trend nach Europa exportiert. Aus den „Sandwich-Männern“ in den USA, Ende des 19. Jahrhunderts, wurden die „ButterbrotMänner“ unter Kaiser Wilhelm. „Butterbrot-Männer“ trugen zu Beginn des 20. Jahrhunderts Reklametafeln auf Bauch und Rücken und priesen eine bestimmte Ware auf der Straße an. Firmen wie Henkel und Stollwerck bedienten sich dieser lebenden Reklametafeln. Sie ließen Männer mit weißen Regenschirmen und dem Schriftzug „Persil“ um 1907 auf den Straßen Berlins laufen oder zeigten Werbetafeln mit dem Bild von kongolesischen Kolonialarbeitern, die mit Schokoladenkisten im Urwald posieren. Die Zeiten haben sich seitdem geändert, das Prinzip nicht. Auch heute wird auf visuelle Effekte und eine Werbung „nah am Mann“ gesetzt. Wer etwas auf sich hält, macht mit Social-Media-Kampagnen und sogenannten „Testern“ auf sich aufmerksam. Ganze Internetplattformen beschäftigen sich inzwischen mit der Vermittlung von geeigneten Produkttestern an Firmen. Sandro Günther, Geschäftsführer von werbeboten.de, beschreibt die Vorteile einer solchen Zusammenarbeit: „Das jeweilige Unternehmen bekommt dadurch nicht nur den Touch ‚cool‘ zu sein, da es in Social-Media aktiv ist, sondern bekommt auch ein Gesicht und wird greifbar. Durch die persönliche Note erhalten die Werbebotschaften Empfehlungscharakter und Empfehlungen sind wesentlich glaubwürdiger.“ Warum aber darauf warten, dass man zufällig den Anforderungen einer Werbekampagne entspricht, wenn man den ganzen Prozess auch beschleunigen kann? Der Amerikaner Jason Sadler machte es Courtney, Alexander und Co. vor. Mit seiner Geschäftsidee, 24 Stunden ein gesponsortes Shirt zu tragen und seinen Bauch als Werbefläche zu vermieten, verdient er heute

seinen Lebensunterhalt. Auf seiner Internetseite iwearyourshirt. com können Firmen einen oder mehrere Tage lang seinen Bauch (oder den einer seiner drei Mitarbeiter) mieten. Nachahmer hat seine Idee auch in Deutschland und Österreich schon gefunden: Arne Müseler verdiente sich in Salzburg neben dem Politikstudium ebenfalls als Shirtträger etwas dazu. Im Gegensatz zu seinem bekannten Vorbild zielte sein Vorhaben jedoch nicht auf die berufliche Eigenständigkeit, sondern die Finanzierung seiner beiden Abschlusssemester ab. Immerhin machte sich sein Aufwand bezahlt, sein Studium hat er inzwischen beendet und einen Auftritt im österreichischen Fernsehen ließ er sich nicht entgehen. Student Alexander Kroll aus Goslar geht einen Schritt weiter. Um innerhalb eines Jahres 200.000 Euro zu verdienen, bietet er dauerhafte Werbeflächen auf seinem Körper an. Mit dem Tätowierer seines Vertrauens hat er schon Kontakt aufgenommen und eine Preisliste für jedes Körperteil erstellt. Er betont ausdrücklich, dass es sich um jedes Körperteil handeln könne, alles eine Frage der Verhandlung. Die Antwort auf die Frage, ob Alexander diese Entscheidung irgendwann bereuen wird, liegt in der Zukunft, denn noch hat kein Kunde diese Dienstleistung in Anspruch genommen. Zu bedenken ist für den geneigten Nachahmer, dass man im Gegensatz zu einem Tattoo sein Fußgängerzonen-Brokkoli-Kostüm nach der Arbeit einfach wieder ausziehen kann. Interessant wäre auch, wie sich der Werbeträger verhält, wenn er erfährt, dass das Unternehmen auf seinem Nacken Kinderarbeit gegenüber eher liberal eingestellt ist? Dem aufmerksamen Leser stellt sich nun die Frage, was als nächstes kommen soll. Die Erfahrung zeigt, das es immer etwas gibt, das noch absurder ist. Tatsächlich wird es auch in Zukunft nicht langweilig. „SKIN; Tattoo“ ist eine interessante Entwicklung und steckt noch in den Kinderschuhen der Marke Phillips. Es handelt sich hierbei um eine elektronische Farbe, die wie ein Tattoo unter die Haut gebracht wird, dann jedoch nach Belieben das Motiv wechseln kann. Für Alexander und Co. eröffnen sich so ganz neue Möglichkeiten, denn auch wenn diese Technologie im Moment noch Zukunftsmusik ist, können vielleicht ihre Kinder irgendwann davon profitieren – spätestens, wenn sie sich über die Frage nach der Finanzierung ihres Studiums Gedanken machen müssen.

Text: Nathalie Wittfoth Foto: Kai Ole Laun

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Feuilleton

in Israel angekommen UN-Soldaten sind gerade

Fernweh Israel – eine neue Welt hinter jeder Ecke Wer nach Israel reist, hat viele Bilder im Kopf. Die meisten stammen aus dem Nahost-Konflikt. Eine Studienreise ins heilige Land zeigt: Hier gibt es mehr zu bieten als Konflikt und engstirnige Politik. Auch wenn es auf den ersten Blick nicht danach aussieht.

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reißig Kilometer entfernt schlagen KurzstreckenrakeAlltag erzählt. Dazu gehört auch und vor allem das Militär. Über ten ein. Die Regierung berät über einen Luftangriff die aktuellen Auseinandersetzungen im Gazastreifen möchte auf Gaza Stadt. Die Tagesschau spricht von der bluer allerdings nicht sprechen. Er vertraue dem Raketenabwehrtigsten Auseinandersetzung seit 2008. Draußen vor dem Gebäusystem und seinen Kollegen. Auch das ist Teil der israelischen de plätschert der Springbrunnen. Es ist warm. Der Wind aus Mentalität. Während Be´er Sheva unter Beschuss steht, geht der Wüste Negev bringt sommerliche Temperaturen mit sich. die Tel Aviver Bevölkerung feiern. Das Nachtleben gilt als eines Im Konferenzraum summt die Klimaanlage und untermalt Shai der aufregendsten im Nahen Osten. Man lebt hier den Moment, Ben Amis Worte mit einer monotonen Melodie, während er vor weil niemand weiß, was morgen ist. Es wird gefeiert, solange den Teilnehmern der Studienreise spricht. Gerade berichtet er man noch kann. Wer kann sagen, ob nicht am nächsten Tag von seiner Zeit bei der Armee. Diese drei ein Selbstmordattentäter eine Bombe Jahre Armeedienst seien obligatorisch – Israel ist wie ein großes Puzzle. in einem Bus oder Café zünden wird? für Frauen und Männer. In Israel gibt es An jeder Ecke wartet eine andere Einstellung zum Militär als in Israel ist wie ein großes Puzzle. An jeDeutschland. Die Wenigsten verweigern der Ecke wartet einen neue Erfahrung, einen neue Erfahrung, den Kriegsdienst, die Armee ist Berufsvereine andere Welt. Bewaffnete Soldaten eine andere Welt. mittler und Chancengeber. Häufig werden prägen das Stadtbild von Tel Aviv und Geschäftsideen in der Militärzeit entwiJerusalem. Eine Gruppe Jugendlicher ckelt. Außerdem ist Israel ein Einwandeam Strand kann wenige Minuten später rungsland, sodass die Migranten durch als Soldatentrupp in kompletter Uniden Wehrdienst in die Gesellschaft integriert werden und einen form zum Aufbruch drängen. Die Strandbar verkauft westliche Crashkurs der hebräischen Lebensweise erhalten. Dazu gehört Getränke – es gibt europäisches Bier und Cola mit hebräischem auch, in ständiger Angst zu leben, dass ein Nachbarland einen Schriftzug. Dahinter steht eine ausgebrannte Diskothek. Sie war Militärschlag verüben wird und den Staat am Mittelmeer von Ziel eines Selbstmordanschlags zu der Zeit, als Joschka Fischer der Landkarte tilgt. So ist es nicht verwunderlich, dass Shai Ben deutscher Außenminister war. Fischer residierte in einem HoAmi die Armee als Lebensversicherung bezeichnet. Ami zählt tel direkt gegenüber der Disko, als die Bombe zündete. Hinter zu den engagierten jungen Erwachsenen in Israel. Er studiert jenem Hotel ragen Minarette der muslimischen Moscheen in Soziologie, arbeitet im biblischen Zoo und tritt für die Rechden Himmel. Fetzen der Gebetsrufe trägt der Wind bis an den te von Schwulen und Lesben ein. Früher war er Jugendberater Strand. Die Hafenmauer ist mit arabischen Kalligraphien gedes Bürgermeisters von Jerusalem. Der 28-Jährige wurde eingeschmückt. Ein Straßenhändler steht dort und vermittelt seinen laden, damit er von seiner jüdischen Identität im israelischen Kunden eine Vorahnung des großen Bazars im arabischen Vier50

Marktplatz in Ramallah

Felsendom in Jeru salem tel in Jerusalem. Was das Stadtbild möglich macht, ist der israelischen Gesellschaft nicht gelungen. Nicht jede Gesellschaftsgruppe ist so gut integriert wie die jüdischen Einwanderer. Das erzählt Sofy Shanir, eine Muslima, deren Eltern aus Persien stammen. Schon der Besuch des hebräischen Gymnasiums war nicht immer leicht. Einmal ließ die Lehrerin Sofy aufstehen und behauptete, Sofys Vorfahren seien Schuld daran, dass Jesus gestorben sei. Daraufhin lief sie weinend nach Hause. Heute studiert sie Fotografie in Jerusalem, wohingegen ihre hebräischen Klassenkameraden momentan der Armee dienen. Als Mitglied der arabischen Minderheit musste Sofy keinen Wehrdienst leisten. Das bedeutet aber auch, dass ihr gewisse Privilegien, zum Beispiel bei der Wohnungsvergabe, verwehrt bleiben. Einer von vielen Punkten, die auf eine Zweiklassengesellschaft hindeuten. Und dann gibt es noch die Mauer. Die Schnellstraße von Tel Aviv zu den Golanhöhen führt entlang eines Grenzzauns. Ohne die Schilder wirkt er fast harmlos, wie die Umzäunung eines Unternehmens. Er teilt das Westjordanland und Israel. Gebaut wurde die Sperranlage 2003, als Reaktion auf die knapp 70 Selbstmordanschläge palästinensischer Radikaler. Auf der anderen Seite des Zauns beginnt ein Gebiet, das in verschiedene Zonen geteilt ist. Sie legen fest, wer hier die zivile und polizeiliche Gewalt stellt. So unterstehen die A-Zonen komplett der palästinischen Autonomie, C-Zonen werden von Israel verwaltet. Wollen die Palästinenser die Grenze passieren, um beispielsweise zu ihrer Arbeitsstätte zu kommen, werden sie streng kontrolliert – ein oftmals stundenlanges Prozedere. Umgekehrt ist es den Israelis verwehrt, die A-Zonen zu betreten. Für einen Besuch im palästinensischen Ramallah bedeutet das einen Busfahrer- und Guidewechsel. Hier dürfen nur Angehörige der muslimischen Minderheit einreisen. Ramallah ist eine der größten Städte im Westjordanland und wird als dessen Hauptstadt gehandelt. Über einen Checkpoint nahe Jerusalem gelangt man an den Ort, an dem sich neben einem Teil der Re-

gierungsinstitutionen auch das Grab von Jassir Arafat befindet. Die Sperranlage hat sich mittlerweile zu einer Waschbetonmauer gewandelt. Ähnlich wie die Berliner Mauer ist sie bunt bemalt, die Bilder repräsentieren ein Stück der palästinensischen Kultur: Musikbands, Sprüche und Karikaturen bekannter Politiker sind zu sehen. Die selbsternannte Hauptstadt lässt erkennen, wie groß die Unterschiede zwischen Israel und Palästina sind. Zwar gibt es auch hier Hochhäuser, Geschäfte und ein Kino, nach modernen westlichen Gebäuden mit schlichten Linien und Glasfront sucht man aber vergeblich. Seit die Regierung Israels die Ein- und Ausfuhr von Gütern kontrolliert und Baugenehmigungen erteilt, driftet die Entwicklung beider Gebiete auseinander. Manchmal wird sogar das Toilettenpapier in den palästinensischen Geschäften knapp. In der einzigen Universität im Westjordanland studieren die Zöglinge der Oberschicht. Ahmad Batyeh arbeitet hier an seinem Abschluss in Architektur. In ein paar Stunden muss er sein Abschlussprojekt präsentieren. Er hat einen Flughafen entworfen, die stromlinienförmige Gestaltung der Gebäudelinien soll den Aufbruch signalisieren. Er wird diesen Flughafen nie bauen können, zumindest nicht im Westjordanland. „Die israelische Regierung würde dem Bau eines Flughafens niemals zustimmen. Aber vielleicht wird es eines Tages doch möglich sein.“ Ahmads Blick schweift in die Ferne, er wirkt plötzlich nachdenklich. Es zieht ihn nach Europa, verrät er, dorthin wo alle frei sind und alles möglich ist. Trotzdem wird er erst einmal in Ramallah bleiben und im Unternehmen seines Vaters arbeiten: „Es ist wichtig, dass die jungen Menschen hier sind und für ihr Land arbeiten.“ Von einer Reise nach Israel bleiben viele Bilder. Die unzähligen Eindrücke lassen sich nicht einfach so verbinden. Zu unterschiedlich sind die Menschen und Ereignisse in diesem zerrüttelten Land. Dennoch bleibt ein Gefühl der Hoffnung. Hoffnung darauf, dass die Tagesschau eines Tages von der Vielfalt des Landes berichtet statt einschlagende Raketen zu zeigen.

Text: Marie Bornickel Fotos: Alexandra Tost (links), Marie Bornickel

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Scheinwerfer - Bremens freies Unimagazin c/o Allgemeiner Studierendenausschuss der Universität Bremen Bibliothekstraße 3/StH D-28359 Bremen scheinwerfer@uni-bremen.de

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Mitwirkende Redakteure:

Björn Knutzen, Kira Kettner, Christina Freihorst, Jan-Hagen Rath, Anna Tappe, Carolin Kaiser, Fabian Nitschmann, Elisabeth Schmidt, Alice Echtermann, Gerd Klingeberg, Caroline Morfeld, Hanna Düspohl, Neele Meyer, Katharina Delling, Marius Fischer, Nathalie Wittfoth

Druck: Druckerei Peter von Kölln, Scipiostraße 5a, 28279 Bremen Auflage: 3000 Für den Inhalt der einzelnen Artikel sind die Autoren verantwortlich. Die in Artikeln oder Kommentaren zum Ausdruck kommende Meinung spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider. Alle Angaben ohne Gewähr. Herausgeber dieser Zeitung ist die Studierendenschaft der Universität Bremen. Der Scheinwerfer finanziert sich durch die allgemeinen Studierendenbeiträge.

Quelle: Pressestelle Uni Bremen


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