14. Ausgabe

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14. Ausgabe, November 2014

Bremens freies Unimagazin Sherlock Holmes Warum er nicht totzukriegen ist

Der ScheinWerfer-Test Schaffst du dein Studium in der Regelstudienzeit?

Vielfalt Die Diversity-Strategie an der Uni Bremen

Krieg und Frieden

RĂźstungsindustrie in Bremen


Inhalt

Kurzmeldungen

Hochschulpolitik

SR & AS Der neue AStA Die Diversity-Strategie an der Uni Kommentar Akademischer Senat Kommentar Wissenschaftsplan

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Das Label Diversity

Campusleben

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Die Jungen Europäischen Förderalisten Kommentar Semesterticket TEST - Regelstudium Bachelor of Life: Untewegs

Bremen

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Rüstungsindustrie & Friedensbewegung 20 Für wenig Geld durch Bremen 24 Das Bremer KZ Mißler 26

Feuilleton

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Waffen des Friedens oder des Krieges?

Ice Bucket Challenge 28 Life of Pi 30 Sinn und Unsinn von Freiwilligendiensten 32 Sherlock Holmes 34

Impressum

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Die Anziehungskraft des Sherlock Holmes


Editorial

Liebe KommilitonInnen, liebe LeserInnen! Deutschland liefert Waffen und wir alle wissen nicht so genau, ob wir das nun richtig oder falsch finden sollen. Gerade die Stadt Bremen ist kein unbeschriebenes Blatt, wenn es um die Rüstungsindustrie geht. Mehrere große Konzerne produzieren hier, der Rüstungsriese OHB befindet sich sogar fast in Sichtweite unserer Uni. Außerdem hat OHB seit drei Jahren eine Stiftungsprofessur an der Uni Bremen und das trotz 25 Jahren Zivilklausel, die sich gegen jegliche Form militärischer Forschung ausspricht. Die Frage, ob wir am Ende durch Waffen mehr erreichen oder mehr zerstören, ist nicht einfach zu beantworten. Wir berichten über Rüstungsproduktion in unserer Stadt auf der einen und Friedensbewegung auf der anderen Seite und haben uns auf dem Campus umgehört, was die Studierenden über Waffenlieferungen denken.

Der Winter ist nah. Die Tage werden kürzer und in den langen dunklen Stunden bleibt viel Zeit, um sich einen warmen Kakao zu kochen, sich gemütlich aufs Sofa zu kuscheln und Sherlock Holmes zu gucken. Die Serie ist ein Riesenerfolg und das zu Recht, wie unsere Autorin feststellte.

Die Waffenlieferungen bewegen Deutschland; der neue Asta bewegt die Uni! Nach der Wahl zum Studierendenrat (SR) und Akademischen Senat (AS) im Juni hat sich im SR eine neue AStA-Koalition gebildet, die die Studierendenschaft vertreten soll. Er kommt nicht allein; mit dabei sind neue Referate. Wir stellen Euch den neuen AStA vor und sind gespannt, ob ein frischer Wind durch die Uni weht.

Viel Spaß mit der Ausgabe! Lina & Yannik

Viel Zeit bleibt auch zum Nachdenken. Über das Leben. Über das Studium. Über die Beziehung zur Regelstudienzeit. Genau, Regelstudienzeit. Ist sie Freund? Oder Feind? Kann man sie lieben oder muss man sie hassen? Und wenn ja wie sehr? Endlich Schluss mit der Ungewissheit: Der große interdisziplinäre Schweinwerfer-Psychotest verrät Euch, welcher Typ Ihr seid und ob Ihr es schaffen könnt, in Regelstudienzeit zu studieren, oder ob ihr lieber was anderes macht.

Lina Schwatz

Yannik Roscher

Ihr erreicht uns bei Fragen, Anregungen oder Kritik entweder persönlich auf dem Campus, unter scheinwerfer@uni-bremen.de oder auf der Facebook-Seite: https://www.facebook.com/scheinwerfer.bremen 3


Kurzmeldungen

Kurzmeldungen Die Zukunft der AStA-Druckerei Zu den Serviceangeboten der studentischen Selbstverwaltung gehört neben der BAföG- und Sozialberatung unter anderem auch die AStA-Druckerei. Über dieses Angebot ist es möglich, beispielsweise Flyer oder Plakate drucken zu lassen. Nach Ansicht einiger hochschulpolitischer Listen sind die dortigen Möglichkeiten jedoch nicht ausreichend. Unterschiedliche Positionen gibt es auch darüber, inwieweit die Druckerei sich wirtschaftlich lohnen müsse. Seit langem wird deshalb darüber diskutiert, die Druckerei zugunsten anderer Konzepte zu schließen und die Gelder anderweitig zu verwenden sowie die Angestellten an anderer Stelle einzusetzen. In der Sitzung des Studierendenrates am 15. Oktober wurde dem aktuellen AStA nun der Auftrag erteilt, bis zum Abschluss des Haushaltsjahres im Februar 2015 ein neues Nutzungskonzept vorzulegen. Gelingt dies nicht oder fällt es vor den gewählten Listen durch, droht die Schließung der Druckerei. Kontakt: www.asta.uni-bremen.de/service/druckerei asta-druuni-bremen.de

Post it on Facebook! Ihr kennt eine sehenswerte Ausstellung, wisst wo die beste Party steigt oder ein schönes Konzert stattfindet, und möchtet es gerne mit anderen teilen? Dann schreibt es uns doch und wir posten es dann für euch auf Facebook. Entweder ihr meldet euch direkt über unsere Facebookseite, oder ihr schickt euren Tipp an: werberessort.scheinwerfer@gmail.com

Ein Nobelpreis geht nach Bremen Aus dem Film „Rambo III“ ist ein Gespräch überliefert. Ein Junge fragt den Protagonisten dort, was ein konkretes blaues Licht denn mache. Dessen wortgewandte Antwort: „Es leuchtet blau.“ Shuji Nakamura hätte womöglich eine bessere Antwort gehabt. Der Halbleiterphysiker und Elektroingenieur erhielt zusammen mit zwei Forscherkollegen den diesjährigen Nobelpreis für Physik. Grund dafür ist die Entwicklung effizienter blauer Leuchtdioden. Während es bereits rote und grüne LEDs gegeben hatte, fehlten lange Zeit die blauen. Erst durch deren Entwicklung und die Vereinigung aller drei Farben ist es heute möglich, weißes Licht zu erzeugen. Ein konkretes Einsatzgebiet ist die Anfertigung neuer umweltfreundlicher Lichtquellen. Der gebürtige Japaner ist seit 2004 als Honorarprofessor in Bremen tätig und hält auch Lehrveranstaltungen ab.

Anwesenheitspflicht bleibt abgeschafft Viele Lehrende versuchen nach wie vor, eine Anwesenheitspflicht in ihren Veranstaltungen durchzusetzen. Tatsächlich ist diese noch vom ehemaligen Uni-Rektor abgeschafft worden. Die Bestimmung hat es dabei sogar in die Qualitätsrichtlinien des Rektorats geschafft. Laut AStA berichten aktuell insbesondere Studierende aus dem Lehramtsbereich von derartigen Versuchen. Die Erfahrung zeige aber, dass auch andere Studiengänge und Fachbereiche betroffen seien. In diesem Zusammenhang rufen Aktive des Referats für Hochschulpolitik zur Gegenwehr auf. Wer mit diesem Problem konfrontiert sei, finde Unterstützung beim jeweiligen StugA oder könne sich direkt auf der AStA-Etage melden. Kontakt: hopo@asta.uni-bremen.de

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Kurzmeldungen

Kurzmeldungen Antimilitaristischer Arbeitskreis Zum Thema Rüstungsforschung und Zivilklausel gibt es beim AStA seit Kurzem einen „Arbeitskreis Militär & Universität“ (AKMU). Interessierte können sich einbringen. Wann: Jeden 2. & 4. Mittwoch im Monat um 18 Uhr Wo: AStA-Etage (Raum A2120) Kontakt: pol.Bildung@asta.-uni-bremen.de

In eigener Sache: Der Scheinwerfer sucht Euch! Ihr seid offen, interessiert und arbeitet Euch gern in die verschiedensten Themen ein? Ihr habt Euch schon immer gefragt, ob Journalismus etwas für Euch wäre, und vermittelt Euren Mitmenschen gern ein Bild von Dingen, die sie bisher noch gar nicht kannten? Habt Ihr Spaß daran, auf andere Leute zuzugehen, bringt spannende Fragen mit und habt Lust, die Öffentlichkeit an tollen Interviews teilhaben zu lassen? Oder ist die Kamera Eure stete Begleiterin? Seid Ihr gar Cracks im Layouten? Wenn Ihr auch nur eine der Fragen mit Ja beantwortet, dann schaut bei uns vorbei! Wir treffen uns regelmäßig und wollen eine Plattform sein, auf der Ihr Euch ausprobieren könnt. Ganz gleich, ob es Euch in die uni-politische Berichterstattung oder das Leben von Studierenden zieht, oder ob Ihr Euch für das Stadtleben in Bremen oder für Kunst, Kultur und Buntes interessiert: Bei uns habt Ihr die Möglichkeit, direkt einzusteigen und von Anfang an mitzumachen. Wir freuen uns auf neue Interessierte! Kontakt: https://de-de.facebook.com/scheinwerfer.bremen scheinwerfer@uni-bremen.de

Neue Zentrale Frauenbeauftragte Auf der Oktobersitzung des Akademischen Senats (höchstes beschlussfassendes Gremium der Universität) wurde eine neue Zentrale Frauenbeauftragte bestellt. Die Diplom-Soziologin Sylvia Hils löst künftig ihre Vorgängerin Brigitte Nagler ab. Die Zentrale Frauenbeauftragte steht als Sprecherin der Zentralen Kommission für Frauenfragen (ZKFF) vor. Dabei handelt es sich um eine ständige Kommission des Akademischen Senats. Das Aufgabenfeld der ZKFF beinhaltet die Überwindung der Benachteiligungen von Frauen in Studium, Lehre und Forschung. Weitere Informationen: www.uni-bremen.de/zentrale-frauenbeauftragte/zkff

Fotoausstellung in der Glashalle Seit dem 29. Oktober findet an den Fronten der universitären Glashalle die Fotoausstellung zu Frauen im akademischen Mittelbau statt. Die Doktorandinnen, Lektorinnen und Nachwuchsgruppenleiterinnen werden dabei von der Berliner Fotografin Julia Baier in Szene gesetzt. Das Ziel der Ausstellung mit dem Titel >right here< ist das Sichtbarmachen von Frauen in einem Bereich, in dem diese mit einem Anteil von 37 Prozent noch immer unterpräsentiert sind. Dies auch der Tatsache zum Trotz, dass die Universität Bremen damit über dem Bundesdurchschnitt liegt. In der Ausstellung geht es um die konkreten Personen, ihre Ansichten in Form ausgewählter Zitate, die Gründe für ihre wissenschaftliche Begeisterung sowie ihre Arbeitsverhältnisse und Karrierebedingungen. Darüber hinaus geht es aber auch um die Situation von Frauen in der Wissenschaft an sich. Die Ausstellung läuft noch bis zum 28. Februar 2015. Weitere Informationen: www.uni-bremen.de/chancengleichheit

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Hochschulpolitik

Die Gremien der studentischen Selbstverwaltung

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In seiner Verpflichtung, den Studierenden das hochschulpolitische Geschehen der Universität Bremen näher zu bringen, stellt der Scheinwerfer Euch hier die höchsten Gremien der studentischen Selbstverwaltung vor.

Studierendenrat (SR)

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er Studierendenrat (SR) wird alljährlich gewählt und ist das höchste ständige beschlussfähige Organ der Studierendenschaft. Wahlberechtigt sind alle Studierenden der Universität Bremen. Im Fokus des SR stehen die Wahl und Kontrolle des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA), und der Beschluss von Richtlinien und Vorgaben für den AStA. Im SR sind derzeit zwölf Listen vertreten. Die 25 zu besetzenden SR-Plätze sind wie folgt verteilt: - AStA für Alle 5 - Basisdemokratische Linke 1 - Campusgrün 3 - Die PARTEI 4 - Liste der StudiengangsAktiven 2 - Hochschulpiraten 2 - Queer-Feministische Liste 1 - Ring Christlich Demokratischer Studenten 3 - Sozialistisch-Demokratischer Studierendenverband 1 - Studierendenzusammenschluss der Rechtswissenschaften 1 - Vielfalt im Studierendenausschuss 1 - Wok & Pfanne 1 Die öffentlichen Sitzungen finden in der Regel einmal monatlich mittwochs um 18 Uhr statt. Internet: sr.uni-bremen.de

Abends im SR... (Die regelmäßige Kurzkolumne)

Nach der Werbeschlacht zu den Wahlen und zähen Koalitionsverhandlungen findet Mitte Oktober die erste reguläre Sitzung des Studierendenrates statt. Wie immer zu Beginn der Legislatur sind alle Stühle besetzt und die Listen vollzählig im Raum – das ist Motivation! Dann die stets wiederkehrende Frage: Wer führt Protokoll? Und niemand will. Da wird dann diskutiert, geknobelt und ausgelost. Am Ende wird ein Name gezogen und wir haben ein neues Dilemma: Den Namen gibt es gleich mehrfach. Bevor jedoch die Graphologen und Forensiker herbeigerufen werden müssen, gibt sich der Urheber des gezogenen Zettels zu erkennen. Es ist ein dreckiger Job. Aber irgendjemand muss ihn ja machen.

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Allgemeiner Studieren

er AStA vertritt die Studierendenschaft. Er führt ihre Geschäfte im Rahmen des Haushaltsplans in eigener Verantwortung. Er verwaltet die Mittel der Studierendenschaft und stellt die Funktionsfähigkeit ihrer Organe sicher. Referate Antidiskriminierung (QFL) Montags, 12.00 - 13.00 Uhr (StH A2045) Kontakt: antidiskriminierung@asta.uni-bremen.de Gewerkschaft und Universität (SDS) Mittwochs, 12.00 - 14.00 Uhr (StH A2120) Kontakt: gewerkschaft@asta.uni-bremen.de Hochschulpolitik (LiSA) Montags, 12.00 - 16.00 Uhr (StH A2110) Kontakt: hopo@asta.uni-bremen.de

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Hochschulpolitik

Ein Überblick in drei Akten Dazu gehören: Der Akademische Senat, der Studierendenrat und der Allgemeine Studierendenausschuss.

Akademischer Senat (AS)

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m AS werden zentrale Entscheidungen getroffen, die die gesamte Universität betreffen. Hierzu zählen vor allem die Entscheidungen bezüglich der Mittelzuweisungen und -beschaffung, des Hochschulentwicklungsplans und die Wahl des Rektors beziehungsweise der Rektorin. Aktuell ist dies Professor Doktor-Ingenieur Bernd Scholz-Reiter, der während der Sitzungen auch den Vorsitz inne hat. Des Weiteren wird hierin beispielsweise auch darüber entschieden, ob bestimmte Studiengänge aufgelöst oder finanziell beschnitten werden. Nicht zuletzt beschließt der AS auch über die Grundordnung und nimmt den jährlichen Rechenschaftsbericht des Rektorats entgegen. Somit sind viele der getroffenen AS-Entscheidungen für uns Studierende unmittelbar bemerkbar. Darum sind in diesem Gremium auch Vertreter der Studierendenschaft repräsentiert, jedoch lediglich mit vier von 22 Plätzen. Insgesamt setzt sich der AS nun wie folgt zusammen: - 7 Professoren & Professorinnen - 5 Dekane & Dekaninnen - 4 Akademische Mitarbeiter & Mitarbeiterinnen - 4 Studierende (AfA, CG, LiSA, PARTEI) - 2 Sonstige Mitarbeiter & Mitarbeiterinnen

Die öffentlichen Sitzungen finden in der Regel einmal monatlich mittwochs von 8:30-13:00 Uhr statt. Internet: www.uni-bremen.de/as

denausschuss (AStA) Kritische Wissenschaft (BaLi) Kontakt: kriwi@asta.uni-bremen.de Politische Bildung & Soziales (CG) Montags, 12.00 - 16.00 Uhr (StH A2120) pol.bildung@asta.uni-bremen.de / soziales@asta.uni-bremen.de Kultur und Sport (LiSA) Kontakt: kultur@asta.uni-bremen.de Befreiungsfragen & Soziale Bewegungen (listenlos) Montags, 12.00 - 16.00 Uhr (StH A2120) befreiung@asta.uni-bremen.de Die Referate „Studium & Lehre“ (QFL) und „Recht, Gesellschaft & Universität“ (StuZuJura) sind vorrübergehend über asta@uni-bremen.de zu erreichen.

Morgens im AS... (Die regelmäßige Kurzkolumne)

Da wird im Zuge zweier Konferenzen eine Broschüre zur gendergerechten Sprache herausgegeben und im AS sorgt das für böses Blut. Die Frauenbeauftragte bittet den AS, verstärkend darauf hinzuwirken, dass die sensible Sprache in den universitären Alltag Eingang findet. Manche Senatsmitglieder wittern Gesinnungsprüfungen und Erziehung. Andere fordern bloß Klarheit. Eine Diskutantin erklärt unverblümt: „Ich will bloß frei darüber entscheiden können, ob ich diese Broschüre zu meinem Duden ins Bücherregal stelle, oder aber in den Papierkorb befördere.“ Das saß. Ein Dekan erklärt, er hätte vieles daraus noch nicht gewusst. Vielleicht ist das sensible Sprache für: „Bisher bin ich auch ohne das Heftchen ausgekommen.“ Texte und Zusammenstellung: Yannik Roscher, Björn Knutzen, Quelle: Gremienordnungen Grafik: Katrin Pleus, Quelle: AStA Uni Bremen

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Hochschulpolitik

Vielfalt ist Programm

Vom 23. bis zum 27. Juni fanden die diesjährigen Uniwahlen statt. Zwölf Listen sind in den Studierendenrat eingezogen. Die AStA-Koalition ist so umfangreich wie schon lange nicht mehr.

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ie diesjährigen Uniwahlen haben die Karten wieder einmal neu gemischt. Wo zuvor sieben Listen den Studierendenrat (SR) bevölkerten, sind es aktuell zwölf an der Zahl (der ScheinWerfer berichtete). Nach den Verhandlungen setzte sich eine neue Koalition durch. Mit dabei ist Campusgrün (CG), aus deren Reihen die künftige erste AStA-Vorsitzende Anja Stanowsky stammt. Zum zweiten Vorsitzenden wurde Marvin-Lee Ellermeyer vom Studierendenzusammenschluss der Rechtswissenschaften (StuZuJura) gewählt. Das Finanzreferat besetzt in der kommenden Legislaturperiode Jan Leifheit (CG). Über CG und StuZu Jura hinaus beteiligen sich auch die Basisdemokratische Linke (BaLi), die Queer-Feministische Liste (QFL) und der Sozialistisch-Demokratische Studierendenverband (SDS) sowie die Liste der StudiengangsAktiven (LiSA) am nächsten AStA. Die Koalition wird aus dem Plenum des SR bestimmt. Sämtliche dort vertretenen Listen sind vom 23. bis zum 27. Juni durch 11,1 Prozent der Studierenden gewählt worden. Die Wahlbeteiligung blieb damit gewohnt niedrig. Zur Überraschung vieler Beobachterinnen und Beobachter und der bisherigen AStA-Koalitionärinnen AStA für Alle (AfA) und Hochschulpiraten (Hopis) wird die Minderheiten-Koalition dabei von der PARTEI unterstützt. Diese Zusammenarbeit ist erforderlich, da das Listenbündnis des künftigen AStAs nicht allein über die notwendigen 13 Sitze für eine eigene Mehrheit verfügt. Zwölf Listen – Vielfalt ist Programm Der neue AStA setzt sich exklusive der PARTEI aus sechs einzelnen Listen zusammen. Die Beteiligung einer dezidiert queer-feministischen Liste erscheint als Signal, dass das Thema Feminismus eine spürbare Rolle spielen könnte. Eine feministische Liste ist zuletzt vor vier Jahren zu den Wahlen des Studierendenrates angetreten. Mit dem SDS wiederum erhält das Thema Gewerkschaft einen prominenten Platz innerhalb des neuen AStAs. Das geht so weit, dass dazu ein eigenes Referat aus der Taufe gehoben wurde: das Referat für Gewerkschaft und Universität. Mit dem StuZuJura ist ein Vertreter der Jura-Studierenden an der aktuellen Koalition beteiligt. Der Listenvertreter im SR wurde kürzlich als Verantwortlicher des neuen Referats Recht, Gesellschaft und Universität gewählt. Im Vorfeld bemühte er sich herauszustellen, dass er sich nicht allein um die Belange seines eigenen Studiengangs kümmern wolle. Er wies darauf hin, dass der AStA auch in Form juristischer Beratung von der Liste profitieren könne. Damit könnte jedenfalls eine durchaus vorhandene Lücke geschlossen werden. Eine Initiative zur Liveübertragung der SR-Sitzungen der damals am AStA beteiligten Hopis wurde zum Beispiel von der Unileitung kassiert – aufgrund juristischer Bedenken. Vielleicht hätte interne juristische Expertise hier geholfen. Dem Listenbündnis des neu konstituierten AStAs stehen in der Opposition AStA für Alle (AfA), die Hochschulpiraten (Hopis) sowie der Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) 8

gegenüber. Dazu kommen die Listen Vielfalt im Studierendenausschuss (ViStA) sowie Wok & Pfanne (W&P), aus deren Reihen der aktuelle SR-Präsident stammt. Über ein eigenes Referat im AStA verfügen sie nicht. Gleichwohl unterstützen beide Listen die Koalition im SR.

Gereizte Stimmung und Misstrauen Die konstituierende Sitzung offenbarte indes zunächst nur eines: Zwischen dem künftigen AStA und den AStA-Mitgliedern der vergangenen Legislatur gibt es teilweise beträchtliches Konfliktpotenzial. Gereizte Stimmung und Misstrauen beherrschten Die neue Ref die Atmosphäre zwischen den jeweiligen Listenmitgliedern in dieser und der ersten regulären Referat SR-Sitzung. Der ehemalige AStAAnti-Diskriminierung Vorsitzende Jean-Jacques Dengler (AfA) löcherte sowohl das neue Befreiungsfragen und Soziale Bewegungen SR-Präsidium als auch die MitGewerkschaft und Universität glieder des künftigen AStAs mit seinen Fragen. Zwar hat es offenbar auch Gespräche gegeben, dass Hochschulpolitik AfA sich am künftigen AStA beKritische Wissenschaft teiligen könnte. Die Liste äußerte jedoch den Eindruck, dass mit ihr Kultur und Sport nicht auf Augenhöhe verhandelt worden sei. Das Ziel sei deshalb, Politische Bildung und Soziales „kritisch-konstruktive Opposition“ zu sein und „punktuell evenRecht, Gesellschaft und Universität tuell an AStA-Initiativen mitzuarbeiten“. Überhaupt erscheint eine Studium und Lehre Zusammenarbeit sehr kompliziert. So wirft AfA im Caféten-Kurier (AfA-Listenpublikation) den Listen der aktuellen Koalition einen unsauberen Wahlkampf und die Zerstörung von Werbematerialen anderer Listen vor. „Eine antidemokratische Kampagne in diesem Ausmaß hat es schon lange nicht mehr gegeben“, heißt es dort sichtlich erzürnt. Gemeinsam mit den Hopis erhob AfA zusätzlich den Vorwurf, die am AStA beteiligte Liste LiSA wolle eine listeneigene Klausurtagung von der Studierendenschaft finanzieren lassen. Der Sachverhalt: Im AStA-Protokoll vom 2. September ist von einer „LiSA-Fahrt“ ins Naturfreundehaus Brundorf die Rede. LiSA bittet an dieser Stelle um die Übernahme der Kosten für eine Tagung, die dazu diente „ihre politische Arbeit und die der Referate Hochschulpolitik und Befreiungsfragen und soziale Bewegungen zu planen“. Die Brisanz dieser Formulierung ergebe sich daraus, dass es eben nicht allein um die Referatsarbeit gegangen sei. Die Hopis wiederum erhofften sich, einen Platz im SR-Präsidium zu erhalten. Gewählt wurde stattdessen jedoch Alexander G. Keckel von der Liste Wok & Pfanne (W&P). Der Ton der Opposition ist rau und die Vorwürfe sind zahlreich. So heißt es vonseiten der Hopis, dass es sich bei W&P bloß um eine Scheinliste und einen Ableger von LiSA handle. Der implizite Vorwurf, der


Hochschulpolitik

innerhalb ihrer jeweils eigenen Publikationen auch vom RCDS und von AfA geäußert wird: Über den Umweg der Satire hätte W&P Stimmenfang betrieben, ohne dezidiert auf die eigene politische Ausrichtung hinzuweisen. Der RCDS kritisierte, dass der künftige Präsident den Parlamentarismus „nicht für das Beste“ halte, sondern für etwas, womit man „jetzt umgehen müsse“. Bezüglich der neuen Referate äußerten die Konservativen Bedenken darüber, dass sich deren Themensetzung „samt und sonders überschneide“. Im Hinblick auf das Referat Kritische Wissenschaften und jenes für Befreiungsfragen und Soziale Bewegungen wird vermutet, dass hier feratsstruktur „bisher listenfinanzierte Projekte bezahlt und die Beiträge der Studierenden für eigene politische ReferentIn Interessen verwendet“ würden. Kerstin Vennemeyer (Queer-Feministische Liste)

Die neuen Referate Aktuell wurden vonseiten des Paul Naujoks AStAs neun Referate begründet. (Sozialistisch-Demokratischer Dabei handelt es sich um relativ Studierendenverband) eigenständig agierende, meist von Julia Wieden (Liste der StudiengangsAktiven) einer Person koordinierte hochTobias Brück schulpolitische Einrichtungen. (Basisdemokratische Linke) Die Themensetzung innerhalb Lisa Gieseke dieser Referate hängt maßgeblich (Liste der StudiengangsAktiven) vom politischen Anspruch und Jannik Sohn der inhaltlichen Linie des amtie(Campusgrün) renden AStAs ab. Dominik Koos (Studierendenzusammenschluss der Das Referat für Transparenz und Rechtswissenschaften) Öffentlichkeit ist mit dem neuen Stephanie Lamping AStA unter die Räder geraten. Es (Queer-Feministische Liste) wird zu untersuchen sein, ob der Wegfall dieses Referats eventuell konkrete Auswirkungen hat. Zu den wirklich großen Themen geben die ASten unterschiedlicher Couleur bereits seit Längerem auch Pressemitteilungen heraus. Aktuell kritisiert die frisch in Amt und Würden sitzende Studierendenvertretung die Wohnsituation von Bremer Studierenden. Direkt nach einer Wahl oder bezüglich interner hochschulpolitischer Vorgänge ist es jedoch stets recht still um die einzelnen Listen gewesen. Einzelne nun auch am AStA beteiligte Listen reagierten in der Vergangenheit tatsächlich gar nicht mehr auf Presseanfragen. Mit dem proklamierten Anspruch, Teil der studentischen Basis zu sein, wie es in der Mitteilung zum Amtsantritt heißt, wäre diese Zurückhaltung jedenfalls nicht vereinbar. Andererseits werden politische Transparenzregelungen aus vorherigen Legislaturperioden beibehalten. Weiterhin können Studierende bei den AStA-Sitzungen teilnehmen, deren Protokolle auch veröffentlicht werden. Dem Uni-Magazin TantePaul (Ausgabe 11 herbst 2014) ist indes zu entnehmen, dass die jetzige AStA-Koalition überwiegend schon vor den Wahlen festgestanden hatte. Bis auf wenige Ausnahmen fehlen solche Koalitionsaussagen auf den Listenplakaten jedoch, und auch auf andere Weise wurde dies nicht unbedingt offen kommuniziert. Max Konek (listenlos)

An der Konzeption der neuen Referate wird jedenfalls auch deutlich, dass die jeweils amtierenden ASten sich auch politisch voneinander abzugrenzen versuchen. Politische Ziele Die neu gewählte AStA-Vorsitzende Anja Stanowsky erklärte gleich zu Beginn, sie wolle allem voran künftig viel mit den beim AStA Beschäftigen zusammenarbeiten. Ein Vorwurf an den ehemaligen AStA lautete nämlich, unangemessen mit jenen umgegangen zu sein. Darüber hinaus beansprucht der AStA, eine entschieden politische Studierendenvertretung zu sein. In der Antrittsankündigung der Koalition heißt es: „Wir verstehen uns als Teil der Basis der Studierendenschaft und den AStA als Institution zur Unterstützung studentischen Protests und emanzipatorischer Initiativen“. Es liege den versammelten Listen des künftigen AStAs „nichts daran, in Hinterzimmern zu versuchen, auf Entscheidungen der Politik einzuwirken.“ Mit Blick auf ihre Vorgänger erklären sie für die ersten Wochen: „Es hat uns bisher stark beschäftigt, uns im Scherbenhaufen zurechtzufinden, den die geschiedene AStA-Koalition uns hinterlassen hat.“ Dieser Vorwurf wird wiederholt erhoben. Für jeden AStA aber gilt: Er muss sich an seinen Taten messen lassen. Die ersten Aktivitäten lassen sich bereits beobachten. Neben der Pressemitteilung aus dem Sozialreferat, das sich kritisch mit der Wohnungspolitik der rot-grünen Landesregierung auseinandersetzt, befassen sich einige der Referate mit ersten Projekten. Die Referate für Hochschulpolitik und für Politische Bildung und Soziales befassen sich aktuell mit der Arbeit an einer Broschüre zur Zivilklausel (universitäre Selbstverpflichtung zur nicht-militärischen Forschung). Das Referat für Hochschulpolitik nahm die Gestaltung einer Ersti-Tasche für die neuen Erstsemester in die Hand. Dies wurde dann wiederum von AfA kritisiert, da die im AStA versammelten Listen die Tasche auch mit listeneigener Werbung befüllten. Ein Vorwurf: Finanzierung und Bevorzugung einzelner Listen und Gruppen durch AStA-Gelder. Ein anderer: Für die übrigen Listen und Gruppen sei es schwer gewesen, ebenfalls im Erstsemestergeschenk, das die Taschen darstellen, zu werben. Die AStA-Mitglieder aber widersprechen dem und erklärten, es hätte jeder an der Befüllung der Taschen teilnehmen können. Ein Ausblick Man darf jedenfalls gespannt sein, wie der sechslistige AStA und der zwölf Listen umfassende SR die kommende Legislaturperiode und das folgende Jahr gestalten. Und es wird sich zeigen müssen, ob es diesmal gelingt, mehr Studierende zu den Sitzungen zu locken, als dies bisher der Fall gewesen ist. Text: Björn Knutzen Grafik: Ulrike Bausch

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Hochschulpolitik

Gestatten, mein Name ist Vielfalt

Weltoffenheit hat sich zu einem willkommenen Image vieler Unternehmen und Institutionen entwickelt. Vielfalt ist sowohl en vogue als auch geschäftsfähig geworden und stellt somit ein Kriterium der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen dar. Nicht nur Firmen, sondern auch Institutionen schmücken sich gerne mit dem Label Diversity.

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och was verbirgt sich hinter dem aktuell so gerne gebrauchten Begriff überhaupt? Der Scheinwerfer hat sich das dahinter stehende Konzept genauer angeschaut: Diversity (oder auch Diversität) umfasst Unterschiedlichkeit, Pluralität sowie Heterogenität und löst nach und nach den deutschen Begriff Vielfalt ab. Diversity steht für die Anerkennung von unterschiedlichen Merkmalen einer Gruppe und ihrer Individuen. Dabei geht es nicht nur um die Existenz der Vielfalt, sondern insbesondere um ihre aktive Befürwortung und Förderung. Vielfalt wird auf den Ebenen der kulturellen und ethnischen Herkunft, des Alters, Geschlechts, der sexuellen Orientierung, körperlicher Beeinträchtigung und Religion/ Weltanschauung betrachtet. Auch die Universität Bremen hat sich Diversität als eins ihrer Leitziele auf die Fahne geschrieben. 2009 wurde die „Charta der Vielfalt“ unterzeichnet. Damit hat sich die Uni offiziell dazu verpflichtet, die Förderung von Vielfalt aktiv zu unterstützen und über den Stand der Förderung einen jährlichen Bericht abzuliefern. Die Charta der „Vielfalt als Chance erkennen, Vielfalt ist eine fördern und gestalten“ Un t e r n e h mensinitiative (Diversity-Strategie zur Förderung einer Uni Bremen) vielfältigen Gesellschaft und steht unter der Schirmherrschaft von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die Initiative wurde 2006 von den Unternehmen Daimler, BP Europe SE, Deutsche Bank und Deutsche Telekom gegründet. Aktuell gibt es 1.850 Unterzeichner der Charta, zu denen unter anderem auch große Unternehmen wie McDonalds, Bayer und Nestlé gehören. Im Mai 2012 hat das höchste beschlussfassende Gremium der Universität, der akademische Senat, die Diversity-Strategie der Uni Bremen abgesegnet. Sie trägt das Motto „Vielfalt als Chance erkennen, fördern und gestalten“ und dient als Grundlage für den hochschulpolitischen Umgang mit Diversität. Das umfasst die Ebenen Lehre, Studium, Forschung, Administration und Kooperation mit außeruniversitären Partnern. Dabei orientiert sich die Strategie an dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Dieses ist 2006 in Kraft getreten. „Ziel des AGG ist es, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion, der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen“ (§ 1 AGG). Die Diversity -Strategie ergänzt das AGG um die Kategorie der sozialen Klasse und geht in ihrer Zielsetzung einen

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bedeutenden Schritt weiter: Es wird nicht allein die Beseitigung von Diskriminierungen angestrebt, sondern das Ausschöpfen der positiven Potenziale, die in vermeintlichen Benachteiligungen liegen können. Durch heterogene Gruppen wird nicht nur der Horizont des Einzelnen erweitert, sondern auch Arbeitsergebnisse können aufgrund der unterschiedlichen Herangehensweisen und Blickwinkel innovativer und produktiver ausfallen. Im Diversity-Ansatz der Uni Bremen wird dies als „Wahrnehmung und Förderung von damit verbundenen Ressourcen sowohl zum individuellen Nutzen wie auch zum Nutzen der Institution“ benannt. Damit ist beispielsweise gemeint, dass in dem Austausch zwischen Studierenden unterschiedlichster Nationalitäten, Alter oder Geschlechter das Potenzial liegt, über seinen eigenen Erfahrungsschatz hinaus zu denken. Auch eine körperliche oder seelische Beeinträchtigung kann viele Anstöße bringen, seinen Blickwinkel zu überdenken und die Perspektiven zu wechseln. Eine vielfältige Universität formt sich dem- nach nicht nur durch die Präsenz von Studierenden, Lehrenden und MitarbeiterInnen, die unterschiedlichste Hintergründe haben; sie zeichnet sich auch durch ihr aktives Miteinander und Voneinanderlernen aus. Inklusion ist hier das Stichwort und meint das Miteinbezogensein und gleichberechtigte Teilnehmen aller Mitglieder einer Gesellschaft. Wichtig für gelungene Inklusion ist Intersektionalität. Das bedeutet, dass die sozialen Kategorien wie Geschlecht, Herkunft und sexuelle Orientierung nicht isoliert voneinander betrachtet, sondern untereinander in Bezug gestellt werden. Sie sind nicht nebeneinander, sondern in ihren gegenseitigen Wechselwirkungen zu analysieren. Und bei aller Theorie darf nie vergessen werden, dass immer ein Individuum hinter den einzelnen Merkmalen steht. Keine Person sollte zum Repräsentanten einer sozialen Kategorie gemacht werden und auf ein Merkmal beschränkt werden. Intersektionalität würdigt diese Vielschichtigkeit und Komplexität jedes einzelnen Individuums und bietet keinen Boden für stereotypes Denken.


Hochschulpolitik

Die Diversity-Strategie an der Uni Bremen Für die Umsetzung der Ziele der Diversity-Strategie hat die Universität verschiedene Einrichtungen und Projekte ins Leben gerufen. Beispiele dafür sind Programme zur Förderung eines Studiums ohne Zugangsberechtigung, die Arbeit der Informations- und Beratungsstelle für Studierende mit Behinderung oder chronischer Erkrankung (KIS) und das Referat für Chancengleichheit. Dieses setzt sich insbesondere für Geschlechtergerechtigkeit und die Förderung Studierender mit Migrationshintergrund ein. In manchen Fachbereichen ist die Auseinandersetzung mit Heterogenität ein fester Bestandteil des Lehrplans und auch im Rahmen der General Studies gibt es Seminare, die sich mit Vielfalt und Inklusion an der Uni Bremen auseinandersetzen. Zum B e i spiel setzen sich Studierende in dem Seminar „Die Universität als Ort der Vielfalt?!“ m i t der Frage auseinander, wie vielfältig unsere Universität wirklich ist, und untersuchen dabei, inwiefern sich Zielsetzung in Theorie und Praxis unterscheiden. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den Erfahrungen von Lehrenden mit Migrationshintergrund, mit denen die Studierenden für das Projekt Interviews geführt haben. Gerade dadurch, dass sich das Label ‚Diversität‘ gut verkauft und fast schon zum guten Ton einer Institution dazu gehört, stellt sich die Frage der tatsächlich vorhandenen Diversity besonders und sollte einer ständigen Überprüfung unterliegen. Wird Diversität wirklich gelebt oder wird sich damit geschmückt? Und wie lässt sich das untersuchen? Lässt sich Vielfalt zählen? Wohl kaum. Denn ihre bloße Existenz allein sagt eben nichts darüber aus, ob Vielfalt auch gelebt wird. Wesentlicher ist, ob diese Unterschiede befürwortet werden, ob und wo es Barrieren oder Ausgrenzungen gibt. Das lässt sich am besten herausfinden, indem die Studierenden und MitarbeiterInnen der Universität selbst gefragt werden. Denn gerade diskriminierende Prozesse laufen oftmals unbewusst ab und manifestieren sich als Vorurteile oder Zuschreibungen und sind von außen kaum sichtbar. Um diese aufzulösen,

müssen sie zunächst überhaupt erkannt werden. Dafür ist ein achtsamer und reflektierter Umgang miteinander und sich selbst gegenüber nötig, der durch die Anwesenheit vielfältiger Strukturen sicher angeregt wird. Daher stellt die Sichtbarmachung der bereits vorhandenen Vielfalt einen bedeutsamen Schritt dar. Die Gratwanderung zur Überbetonung ist dabei jedoch gefährlich schmal. Denn durch eine übertriebene Thematisierung und Unterscheidung kann beim einzelnen das Gefühl von „anders sein“ auch erst geformt werden „Vielfalt ist, und Personen mit anderen wenn anders sein normal ist.“ Merkmalen laufen Gefahr als fremd klassifiziert zu werden. Dieser Prozess des sogenannten Otherings kann wiederum zur Verstärkung von Vorurteilen und Feinbildern führen und einen Teufelskreis lostreten. Diversity ist ebenso vielschichtig wie komplex und lässt sich nicht anhand klarer Richtlinien messen. Das soll nicht heißen, dass es sich nicht lohnt, es zu versuchen - ganz im Gegenteil! Diversity ist als ein Prozess zu sehen, der stets überprüft und überarbeitet werden sollte. Doch der größte Beweis für Vielfalt wird vielleicht einmal der sein, dass sie nicht mehr benannt werden muss. Um es mit anderen Worten zu sagen „Vielfalt ist, wenn anders sein normal ist“. Der ScheinWerfer fragt Euch: Bunte Vielfalt überall? Aus Vielfalt erwachsen Stärken. Wir wissen unsere Individualität je mehr zu schätzen, desto größer unser Bewusstsein dafür wird, dass wir uns alle ergänzen. Verschiedenheiten zeichnen uns aus. Doch offensichtlich ist diese Idee noch nicht bei allen angekommen. Genügend Menschen grenzen andere aus, oder verschließen sich und die Institutionen, zu denen sie gehören, vor allem, was vermeintlich nicht dazu passt. Wie ergeht es Euch in dieser Hinsicht? Welches sind Eure persönlichen Erfahrungen? Was erlebt Ihr, was habt Ihr erlebt und was sind Eure ganz persönlichen Geschichten der Vielfalt? Unabhängig davon, ob es um Freundschaft geht, um beruflichen Erfolg, um offene Menschen oder auch Erfahrungen von Ausgrenzung. Vielfalt ist ein bedeutendes Thema. Und Themen leben durch Gespräche, Geschichten und Erzählungen. Wir freuen uns über interessante Zusendungen und drucken das eine oder andere bei Wunsch gern ab: scheinwerfer@uni-bremen.de Text: Asima Amriko Grafik: mycteria /Shutterstock.com

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Hochschulpolitik

KOMMENTAR Der Akademische Senat benötigt ein Update Im Juni dieses Jahres fanden die uni-internen Wahlen statt. Gewählt wurde auch der Akademische Senat. Dessen Bedeutung ist eigentlich enorm.

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er Ort scheint dem Gremium angemessen. Ein großer, lichtdurchfluteter Raum mit ansehnlich großen Glasfronten und ebensolchen gläsernen, man möchte im politischen Kontext sagen: transparenten Türen. Der Auftritt des in einem der großen Glassäle des GW2 tagenden Akademischen Senats (AS) ist stets professionell. Es stehen Mikrofone auf dem Tisch, die Tagesordnung liegt in waldsterbenfördernder Anzahl an der Seite und alle sind willkommen. Denn die Sitzungen sind in der Regel öffentlich. In dieser offenen Atmosphäre diskutieren etwa einmal monatlich* die 22 hohen Damen und Herren des Hochschulbetriebs – es gehören auch vier Studierende dazu – vom frühen Morgen bis zum frühen Nachmittag. Was sie besprechen und entscheiden, ist nicht ohne. Es geht dort um die Einrichtung oder Auflösung von Studiengängen und ganzen Fachbereichen; es geht um Finanzen. Es wird über die Besetzung des Rektorats entschieden und über die generelle Ausrichtung der Universität. Während auch der Studierendenrat (SR) seine Bedeutung und Berechtigung hat, ist doch der AS der Ort, an dem die wichtigsten Entscheidungen getroffen werden. Dort müssten eigentlich jene im Publikum sitzen, die das alles betrifft: Studierende, Lehrende sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Doch wie im SR bleiben die Publikumsplätze überwiegend leer. Bis auf wenige, manchmal besserwisserisch-vulgäre, manchmal konstruktiventschiedene Proteste von Studierenden bleibt die Herrschaft – nur etwas mehr als ein Drittel ist übrigens weiblich – unter sich. Während nämlich die studentischen Listen einen unfassbaren Werbeaufwand betreiben – Waldsterben ahoi! –, bleibt es vonseiten der ebenfalls zu wählenden Dekaninnen und Dekane, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie der Lehrenden erstaunlich still. Ist es, weil sie glauben, die Werbung der Studierenden genüge? Das ist nachgewiesenermaßen falsch. Glauben sie, Werbung würde gar nicht funktionieren? Das ist möglich, wenn man Werbung als die bloße Abholzung des Regenwaldes begreift. Wo sind aber die Lehrenden, die in ihren Veranstaltungen auf den AS aufmerksam machen? Wo sind die Dekaninnen und Dekane,

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die bei strukturellen Problemen auf eine Grundlage fehlender Finanzen und damit auf den AS verweisen? Wo – ganz konkret – sind die Demokratinnen und Demokraten im AS, die nicht bloß zum Gewähltwerden bereit sind, sondern Rede und Antwort stehen wollen und den Dialog mit sämtlichen Hochschulangehörigen wünschen? Wo sind Statusangehörige, die sich nicht hinter Studium, Forschung und Verwaltung verstecken? Es muss vielleicht nicht jeder Dozent politisch, jede Professorin Aktivistin sein. Aber das Gremium totzuschweigen, führt in politische Lethargie und zum bloßen Demokratiekonsum. Bei nur 11,4 Prozent hat die Wahlbeteiligung zum AS gelegen. Es wirkt beinahe, als sei die Universität – und nicht allein in Bremen – zur Demokratie nicht fähig oder gewillt. Es gibt genügend wahlmüdes Volk unter allen Statusgruppen. Das ist hinreichend bekannt und problematisch. Aber wenn dem so ist, dann öffne, AS, endlich deine gläsernen Schotten! Wieso wird nicht in der Glashalle getagt – zumindest im Sommer? Wieso finden Debatten nicht, nach großer Einladung und zumindest bei den wichtigsten Themen, im großen Hörsaal statt, oder der Mensa meinetwegen? Wieso gibt es Reading Weeks und Feiertage ohne Ausgleich, jedoch keine betriebsfreie Unizeit, wenn im AS die Schließung von ganzen Fachbereichen droht und alle gutes Recht hätten mitzureden? Herr Prof. Dr.-Ing. Scholz-Reiter, werte Damen und Herren des Akademischen Senats: Ihr Gremium benötigt ein Update. *Die Sitzungen des AS finden in der Regel mittwochs jeweils von 8.30 bis ca.13.00 Uhr im Raum B 3009 GW 2 statt. Der nächste Termin ist am 17. Dezember 2014. www.uni-bremen.de/as Kommentar: Björn Knutzen Illustration: Samira Kleinschmidt


Hochschulpolitik

KOMMENTAR: Wissenschaftsplan 2020

Eine Schere als Symbol der Kürzung, eine „Bildungsmauer“ vor dem Haus der Bürgerschaft und ein brennender Kothaufen aus Pappmaché – Der Wissenschaftsplan 2020

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er Bremer Senat hat im August den Wissenschaftsplan 2020 verabschiedet. Der Plan hat zum Ziel, die exzellente Forschung im Land Bremen weiterzuentwickeln und die Qualität der Lehre auf ein ähnliches Niveau zu heben. Außerdem soll mehr Menschen ohne Abitur ein Hochschulstudium ermöglicht werden. Dafür ist eine Erhöhung der Mittel für den Wissenschaftsbereich von 301 auf 318 Millionen Euro im Doppelhaushalt 2014/2015 vorgesehen. Warum gehen also zum ersten Mal in der Geschichte der Hochschule Bremen die Lehrenden und Studierenden zusammen auf die Straße und protestieren, genau wie Studierende der Universität Bremen, gegen den Wissenschaftsplan? Warum will sich niemand so recht an der Erhöhung der Mittel erfreuen? Das Problem ist, dass die Erhöhung bei weitem nicht ausreicht, die formulierten Ziele zu erreichen. Seit 2007 besteht bei den Bremer Hochschulen ein strukturelles Defizit. Gleichzeitig steigen unter anderem die Personal- und Energiekosten fortwährend. Allein diese Mehrkosten führen dazu, dass trotz der nominalen Erhöhung der Mittel am Ende weniger Geld zur Verfügung steht. Besonders der Anspruch, die Qualität der Lehre deutlich zu erhöhen, kann so nicht erfüllt werden. Ein Widerspruch liegt auch im Ziel der erhöhten Durchlässigkeit und dem gleichzeitigen Sparauftrag an die Hochschule Bremen. Hier sollen gleich fünf Studiengänge hinsichtlich ihrer Fortführung überprüft werden. Dabei bietet gerade die Hochschule Bremen Menschen ohne Abitur die Möglichkeit zum Hochschulstudium. Allerdings nimmt die Hochschule schon länger deutlich

mehr Studierende auf als die Finanzierungsgrundlage vorsieht und muss trotzdem viele Bewerber ablehnen. Dies ist ein deutliches Zeichen für die Attraktivität der Bremer Wissenschaftslandschaft, von der das Land Bremen stark profitiert. Diese Attraktivität zu erhalten, liegt nicht nur im Interesse des Landes Bremen, sondern auch der vielen Beschäftigten aus dem Umland und in einzelnen Forschungsfeldern wie etwa der Raumfahrt, mindestens aber im Interesse des Bundes. Mittelfristig kann das Land die finanziellen Mittel, die dafür nötig sind, nicht alleine zur Verfügung stellen. Zur Erhaltung der herausragenden Forschung und der Anpassung der Qualität der Lehre auf ein vergleichbares Niveau muss eine andere Finanzierungsstruktur für die Hochschulen geschaffen werden. Eine sinnvoll gestaltete Bildungspolitik wäre in der Lage, auf die besonderen Begebenheiten dieser Zeit flexibel zu reagieren. Dazu zählt die nie dagewesene Zahl an Studierenden einerseits und eine gravierende Diskrepanz zwischen der Qualität der Lehre und der Forschung andererseits. Gerade für kleine Bundesländer ist das Kooperationsverbot und die teilweise Beteiligung an den BaföG-Kosten ein Hohn, da es, wie im Fall Bremen, den Erhalt von herausragenden Forschungseinrichtungen nur zulasten der Qualität der Lehre zulässt. Die angedachte Lockerung des Verbots und die vollkommene Übernahme der BaföG-Kosten durch den Bund sind somit das Mindeste und zudem längst überfällig. Kommentar: Henning Böhm Grafik: Yannik Roscher

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Campusleben

„Europa bedeutet Zusammenarbeit und Zusammenhalt – auch in Krisenzeiten“ Interview mit den Jungen Europäischen Föderalisten Bremen

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ereits 1949 gründete eine Gruppe junger Leute in Deutschland den Bund Europäischer Jugend, der sich einige Jahre später in die Jungen Europäischen Föderalisten (JEF) umbenannte. Unzufrieden mit der Art und Weise, wie die Europa-Union, der Dachverband der Föderalisten agierte, legte die Jugend ihren Fokus auf Aktionismus, um die Europäische Integration zu fördern. Heute zählt der supranationale Jugendverband rund 30.000 Mitglieder in über 30 europäischen Ländern. Laut Satzung zeichnet sich die überparteilich und überkonfessionell europapolitische Organisation dadurch aus, dass sie beispielsweise eine föderale Verfassung für Europa fordert. Neben ihren politischen Zielen, die mehr Demokratie, Bürgernähe, Transparenz, Effizienz und Nachhaltigkeit für die Länder Europas beinhalten, arbeiten die jungen Föderalisten vor allem an der Förderung eines europäischen Bewusstseins in der Bevölkerung. In der vorlesungsfreien Zeit sprach der Scheinwerfer mit Mira Seegemann, Studentin der Integrierten Europastudien, die seit

diesem Führjahr im Vorstand des Bremer Landesverbandes der Jungen Europäischen Föderalisten sitzt. Scheinwerfer : Mira, erzähl uns von der JEF Bremen. Mira Seegemann: Wir, die Jungen Europäischen Föderalisten Bremen e.V., sind ein gemeinnütziger Verein. Jung ist dabei natürlich relativ: Wir sind alle Anfang bis Mitte/Ende zwanzig. Unser Dachverband ist die Europa-Union Deutschland. Wir treten für ein geeintes und föderales Europa ein. Das bedeutet, dass wir durchaus den Gedanken eines Föderalstaates Europa befürworten. Konkret organisieren wir Aktionen, die zur europapolitischen Bildung beitragen sollen, wie zum Beispiel Themenabende und Workshops. Dabei sind wir recht frei in unserer Themenwahl. Scheinwerfer : Kannst du uns eure Ziele und Grundsätze näher erläutern? Seegemann: Wir vertreten die Ideen der Europäischen Union. Europa bedeutet Zusammenarbeit und Zusammenhalt, auch in Krisenzeiten. Wir sind überzeugt, dass wir eine Europäische Integration brauchen und dass nicht nur die Staaten, sondern auch wir Bürger davon profitieren. Wir JEF-Mitglieder sind alle junge begeisterte Europäer, denen bewusst ist, dass unser Leben, wie es jetzt ist und wie wir es genießen können, nur aufgrund der Europäischen Union möglich ist. Wir können Möglichkeiten nutzen, von denen unsere Großeltern nur träumen konnten. Dazu gehört auch die Personenfreizügigkeit innerhalb der Europäischen Union, von der wir Studierenden zum Beispiel innerhalb eines Auslandssemesters mit dem Erasmus-Programm profitieren können. Scheinwerfer : Wie setzt sich eure Gruppe zusammen und welche Position übernimmst du im Verein? Seegemann: Wir sind hauptsächlich Studenten der Universität Bremen. Das versuchen wir mit diesem Semester aber zu ändern: Einerseits möchten wir natürlich den neuen Erstsemester-Studenten gegenüber offen sein, andererseits aber auch den anderen Hochschulen im Land Bremen. Auch Auszubildende und FSJler

Die Jungen Europäischen Förderalisten Bremen

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Campusleben

sind bei uns willkommen. Wir haben zwei Vorstände: Ich bin der geschäftsführende Vorstand, also praktisch der zweite Vorstand. Der erste ist Manuel Warrlich, der seinen Bachelor in den Integrierten Europastudien gemacht hat. Dazu muss man aber sagen, dass wir nicht streng hierarchisch durchorganisiert sind. Stattdessen versuchen wir, Aufgaben gerecht zu verteilen. Einerseits natürlich, damit wir nicht ganz soviel Arbeit haben; anderseits aber auch, damit jeder die Möglichkeit hat, sich einzubringen und seine Ideen umsetzen zu können. Auf jeden Fall sind wir eine sehr nette Gruppe, in der niemand den Chef spielt. Scheinwerfer : Was genau hat die JEF denn schon gemacht, um ihre Ziele und Ideen zu verfolgen?

der Bevölkerung wecken und uns dabei von den häufig negativen Assoziationen lösen. Der Gedanke „alles Schlechte kommt aus Brüssel“ wird in Medien und Politik häufig impliziert. Wir möchten mit verschiedenen Aktionen bürgernah sein und in Gesprächen und Diskussionen unser Bild von Europa vermitteln und auch aufklären. Scheinwerfer:: Was plant ihr für das kommende Semester? Seegemann: Konkrete Pläne haben wir noch nicht, aber die Ratspräsidentschaft Italiens und die Krise in der Ukraine könnten wir beispielsweise thematisieren. Das wird sich auf unseren ersten Treffen in Absprache mit den anderen Mitgliedern klären.

Seegemann: Im Frühjahr haben wir einen Workshop zum Thema Rechtspopulismus „Wir können Möglichkeiten organisiert, zu dem wir Professor Dr. Wolfnutzen, von denen unsere Großgang Kissel und Anne Jenichen von der eltern nur träumen konnten.“ Uni Bremen eingeladen haben. Die beiden haben Vorträge über Rechtspopulismus in verschiedenen Ländern gehalten. Aus gegebenem Anlass; denn schon vor der Europawahl hat sich geJunge Europäische Föderalisten Bremen e.V. zeigt, dass rechte Parteien wieder Zuwachs in Europa erfahren. Außerdem waren wir im Vorfeld der Wahl im Mai sehr aktiv: Die JEF Bremen trifft sich regelmäßig zum Jour Fixe, die TerSo waren wir beispielsweise auf dem Europafest vertreten und mine im neuen Semester sowie weitere Infos könnt unter www. haben zusammen mit dem EuropaPunkt (Anm. d. Red.: Der facebook.com/JEFBremen abrufen. EuropaPunkt Bremen ist ein Informationszentrum der EuropäBei Fragen könnt ihr auch an info@jef-bremen.de wenden. ischen Union) über die Arbeit im Europäischen Parlament und Mitgliedsanträge können bei Interesse sowohl online als auch der Kommission informiert. Zudem haben wir nach der Wahl auf den Mitgliedertreffen ausgefüllt werden; der Jahresbeitrag Flyer für die Petition „Respect my vote“ verteilt, in der es darum beläuft sich auf rund 22€. ging, dass der Wählerwillen respektiert werden und Jean-Claude Juncker zum Kommissionspräsidenten ernannt werden sollte. Uns geht es nicht nur darum, neue Mitglieder zu mobilisieren. Wir möchten das Thema Europa und die Europäische Union in Text: Lisa Urlbauer Bilder: Manuel Warrlich

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Campusleben

Kommentar: Jedes Jahr die gleiche Quälerei…

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as scheinbar schon seit Jahren ein Problem ist, hat dieses Jahr auch mich erreicht: es gibt kein Semesterticket. Der Bachelor ist zwar nahezu vorbei, aber der Master hat auch noch nicht richtig begonnen. Zumindest ist der angehende Akademiker erst dann eingetragener Master-Student, wenn alle erforderlichen Dokumente wie z. B. ein Nachweis über den Erhalt aller 180 CPs eingereicht ist – klar. Aber wieso gibt es dann trotzdem kein Semesterticket? Schließlich wurden die Studiengebühren rechtzeitig bezahlt und warum sollten dann für Wochen bis Monate noch zusätzlich für den Bus, die Bahn und den Zug Fahrkarten gelöst werden? Sicherlich verstehe ich auch, dass einem nur dann ein Semesterticket zusteht, wenn man als „ordentlicher Studierender“ eingetragen ist. Dennoch gibt es

sogar Abhilfe: eine Tatsache, die viele wahrscheinlich nicht kennen, ist, dass ehemalige Bremer Bachelor-Studenten (aber auch nur die!) die Möglichkeit haben, sich im Sekretariat für Studierende (SfS) vorübergehend als Student im 7. Bachelor-Semester immatrikulieren zu lassen. Aber wieso dann die doppelte Bürokratie und der doppelte Arbeitsaufwand? Die fehlenden Unterlagen sind zumeist reine Formalität und sollte aus irgendeinem Grund der Bachelor-Abschluss doch nicht erreicht werden, stellt sich die Frage, ob nicht dann einfach das Semesterticket zurückgefordert werden könnte? Wäre es nicht weniger Aufwand, den wenigen Nicht-Absolventen eine Aufforderung zur Rückgabe zu schicken, als nahezu alle Tickets doppelt zu drucken? Aber über diesen doppelten Papierkram und der natürlich auch fehlenden (zumindest richtigen) Immatrikulationsbescheinigung und somit Einschränkungen bezüglich BAföG (schließlich muss dort ebenfalls eine gültige Immatrikulationsbescheinigung abgeben werden und fehlt diese, gibt es auch kein Geld) darf sich wohl auch in Zukunft gewundert und geärgert werden.

Text: Neele Meyer Illustration: Ulrike Bausch

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Campusleben

Test! Test! Test! Schaffst du dein Studium in der Regelstudienzeit? Viele streben danach, aber nicht allen ist es vergönnt: Ein Studium in Regelstudienzeit. Und du? Liegst du gut in der Zeit oder laufen dir die Semester davon? Oder gehörst du zu den Studierenden, die mit einem Studium in geregelter Zeit sowieso nichts anfangen können? Psychologinnen und Soziologen haben basierend auf umfangreicher empirischer Forschung den großen, interdisziplinären Scheinwerfer-Test entwickelt, der dir verrät, welcher Typ du bist! Ein neues Semester fängt an: Wie gehst du vor? * Ich frage meine Kommiliton*innen, welche Seminare sie so belegen, und melde mich dann für die Hälfte davon an. * Die Stundenpläne für alle noch kommenden Semester bis zum Abschluss habe ich gleich nach der O-Woche ausgearbeitet. * Dieses Semester will ich richtig durchstarten. Aber das Anmeldesystem bei Stud-IP überfordert mich… Ich konzentriere mich erst mal auf den Mensaspeiseplan für die erste Woche. 90 Minuten und kein Fußballspiel: Das Seminar. * Ja, ich habe davon gehört. * Augen zu, Kopf auf die Tischplatte und durch. * Höchste Konzentration! Jedes Wort könnte prüfungsrelevant sein.

Was gefällt dir an deinem Leben als Student*in am besten? * Meine berufliche Zukunft und das große Geld, das auf mich wartet, wenn ich endlich aus dem Laberverein Uni raus bin. * Ich liebe die Seminardiskussionen! Ich habe eigentlich immer etwas Wichtiges beizutragen. * Essen 2 in der Mensa schmeckt mir eigentlich immer echt gut. Sommer, Sonne, Semesterferien! Und was machst du? * Ein unerklärliches Phänomen: obwohl ich Wochen in meinem Zimmer sitze, vor mir ein Word-Dokument mit dem Titel „Hausarbeit“, ist das Blatt 48 Stunden vor Abgabetermin immer noch leer. * Ich belege Kurse in der Sommerakademie. Hausarbeiten habe ich natürlich schon während des Semesters geschrieben. * Das Leben darf nicht unter dem Studium leiden! Ich fliege für 3 Monate mit dem Rucksack nach Australien

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Stell dir folgendes Szenario vor: Die Vorlesung ist zu Ende, eigentlich musst du noch ein Referat vorbereiten, aber du lässt dich von deinen Kommiliton*innen zu einem Kaffee überreden. Grade als du dich verabschiedest, kommen deine Freunde vom Fußball in die Cafete und fragen, ob du auch noch einen Kaffee willst. Wie reagierst du? * Aber ja, aber nein, aber ja, aber nein, aber ja, aber nein…ja, okay. Aber nur einen! * „Habt ihr das Werderspiel gesehen? Man, man, man. Vielleicht braucht‘s mal wieder ‘nen Trainerwechsel… Ich hab Freikarten, kommt jemand am Wochenende mit ins Stadion?“ * Genau deswegen gehe ich nie in die Cafete. Es ist einfach unprofessionell, Privates und Berufliches nicht zu trennen. Du studierst. Und was wirst du dann damit? * Mhh, das hat mich noch nie jemand gefragt. Manager halt. * Meine Zukunft sehe ich an der Uni: ob als Student*in oder in einer anderen Position, das wird sich zeigen. * Ganz genau weiß ich es noch nicht, aber ich mache in den Semesterferien ein Seminar zur beruflichen Orientierung. Und dann werde ich wahrscheinlich irgendwas mit Medien.

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Campusleben

Auflösung Überwiegend A: Der Weg ist das Ziel Andere haben ein Zuhause, du hast den Campus. Hier hast du alles was du zum Leben brauchst: Freunde, gutes Essen und intellektuelle Herausforderungen. Du studierst mit viel Begeisterung, aber wenig Disziplin; auf Scheine, ECTS oder andere Zeugnisse deiner Leistungsfähigkeit legst du keinen Wert. Wenn du eine Hausarbeit schreiben musst, dann vertiefst du dich bis zur Nasenspitze in das Thema und liest jedes Buch, das du darüber finden kannst. Warum du immer noch nicht alle Hausarbeiten aus dem ersten Semester abgegeben hast, verstehst du auch nicht so richtig. Naja, du hast ja noch Zeit. Denn deinen Eltern erzählst du zwar gerne, dass ein Studium in Regelstudienzeit für dich kein Problem sei, aber eigentlich siehst du die fünf Jahre eher als Anregung. Gut Ding will Weile haben.

Überwiegend B: Auf der Überholspur Dein zweiter Vorname ist Zielstrebigkeit und dein Studium ist für dich eine Zwischenstation auf dem Weg in den Karrierehimmel. Du studierst Jura, BWL oder etwas anderes mit Zukunft, schließlich willst du irgendwann mal richtig Geld verdienen und nicht Taxi fahren müssen. Die ganzen Proteste gegen das Bachelor-Master-System kannst du nicht verstehen: Du würdest sowieso keinen Tag länger als drei Jahre Bachelor- und zwei Jahre Masterstudium in der Uni bleiben. Perfekte Voraussetzung für ein Studium in der Regelstudienzeit!

Überwiegend C: Regelstudienzeit? Ich bin doch nicht Chuck Norris. Drei Jahre Bachelor und zwei Jahre Master: Du hältst das Ganze für einen Witz. Bei den Studentenprotesten hast du flammende Reden gehalten und dich gegen das wirtschaftsorientierte Studium gewehrt. Du bist aus Protest im 10. Semester Bachelorstudium und kannst dir gut noch zehn weitere Semester vorstellen. Angesichts deiner bisher erworbenen ECTS scheint das auch realistisch. Du kannst Menschen, die in Regelzeit studieren, tolerieren - verstehen kannst du sie nicht. Nur blöd, dass deine Freunde von früher mittlerweile arbeiten, wenn du frühstücken gehen willst, und deine Eltern sich wundern, dass du bei deiner „Festanstellung“ so wenig verdienst, dass du immer noch auf ihre Unterstützung angewiesen bist. Text: Lina Schwarz Illustration: Ulrike Bausch 18


Campusleben

Heute:

Unterwegs

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or Jahrtausenden entschloss sich der Mensch, das ewige Herumwandern aufzugeben und sich besser an einem Ort festzusetzen. Die Sesshaftigkeit hat dem Menschen viele große Errungenschaften eingebracht: Plötzlich hatte er die Zeit, Pyramiden zu bauen und das Rad zu erfinden. Auch mir steckt das Sesshafte tief im Blut. In der vorlesungsfreien Zeit hafte ich in der Uni-Bibliothek und hoffe, dass aus dieser Sesshaftigkeit heraus Hausarbeiten oder andere Großartigkeiten der Menschheitsgeschichte entstehen. Draußen vor der Bibliothek wabert die Hitze über den Boulevard. Es ist Sommer, die Mensa hat nur noch von 12 bis Mittag geöffnet und der Campus ist ebenso leer wie das Worddokument vor meiner Nase. Das ist der Moment, in dem etwas noch Älteres als Sesshaftigkeit in mir erwacht: das Bedürfnis, zu wandern - vor allem von hier weg. Das Bedürfnis, als Nomade umherzuziehen, mir ein Mammut zu jagen, wenn ich Hunger habe, mir ein Höhle zu suchen, wenn ich müde werde und ganz besonders: mir die wirklich wichtigen Fragen im Leben zu stellen. Was ist Wahrheit? Was ist der Sinn des Lebens? Und dann plötzlich: Wie geht man nach Hause, wenn man kein Zuhause hat, sondern nur eine farbenfrohe Riesenwurst mit Namen „Yellowstone III“ mit sich herumträgt, die sich durch ein wenig menschliche Anstrengung angeblich in ein Zelt verwandeln soll? Ich hatte all meinen Mut zusammengenommen, den Campus verlassen und mich auf eine Wildnis-Wander-Rucksackreise begeben. In die Natur. Diese Natur hat offenbar keine Notwendigkeit für ebene Flächen gesehen, die die Größe eines Taschentuchs überschreiten,. Hat sie aus Versehen doch mal so ein Plätzchen entstehen lassen, haben Ameisen ihn mit Sicherheit vorher entdeckt und ihre zahlenmäßige Überlegenheit macht jede Diskussion überflüssig. Als kompromissbereites Wesen sehe ich ja ein, dass man das Zelt auch über die Wurzel rüber aufbauen kann, aber auch der Zeltaufbau ist, anders als der Zeltaufbaufachmann im Globetrotterladen versprochen hatte, keine Sache von Sekunden. Auch nicht von Minuten. Vielleicht Stunden, wenn das Mikadospiel mit den Heringen nicht zu lange dauert. Nach dem Zelt ist vor dem Essen. Doch was essen Nomaden, wenn doch alle Mammuts ausgestorben sind? Die

Antwort liegt in der Tüte und heißt Suppe. Genauer YumYum Suppe. Und hier schließen sich weitere Fragen an: Wer in der Gruppe bekommt die YumYum Suppe Geschmacksrichtung Kimchi, wenn nur eine Suppe Geschmacksrichtung Kimchi da ist? Und: Warum gibt es eigentlich keine YumYum Suppe, Geschmacksrichtung Mammut? Und vor allem: Wer geht Seewasser zum Kochen holen? Manche Antworten hätte ich lieber nie erhalten. Aus dem intelligenten Wesen Mensch wird in der Wildnis ein selbstsüchtiges, hinterlistiges Monster, das andere mit Trinkwasservorräten besticht und mit der Zerstörung wichtiger Allgemeingüter wie Wanderkarten droht. Alles, um nicht selbst Wasser holen gehen zu müssen. Nur eine andere Spezies konnte mich unterwegs noch mehr beeindrucken. Sie gehört zur Art der Nicht-Studierenden und heißt: Kinder. Kinder sind ganz besondere Kreaturen, denn sie sind noch nicht lange genug auf der Welt, um den Unterschied zwischen grandiosen Ideen haben und grandiosen Ideen umsetzen zu erkennen. Für sie lässt sich eins nicht vom anderen trennen. Kinder streichen sich Margarine aufs Brot. Kinder haben die Idee, sich Margarine auf die Arme zu streichen. Und was machen Kinder dann? Kinder streichen sich dann gerne Margarine auf die Arme. Zwischen Schockstarre und Faszination beobachtete ich diese fremde Spezies in ihrem arttypischen Verhalten und frage mich, ob wir Studierenden von so viel Unbeschwertheit nicht noch etwas lernen könnten? Vielleicht sollten sich in der Mensa auch mal alle kollektiv das Essen 3 auf den Arm schmieren? Die Antwort steht in den Sternen des unendlichen Nachthimmels, der sich über mir und Yellowstone III erstreckt. Wehmütig denke ich an elektrisches Licht. Die anderen Monstern, ähh Menschen, feiern die Wiederentdeckung ihres Intellekts mit einer analytisch-nüchternen Diskussion, ob die Ameise oder die Mücke der Erzfeind des Menschen sei. Ich habe zumindest gelernt, wie die Menschen vor der Erfindung von HBO Serien und deren Austragungsgeräten ihre Freizeit verbrachten, ohne sich zu Tode zu langweilen. Mein Bedürfnis umherzuziehen ist gestillt und ich freue mich schon, in den nächsten Semesterferien meine Hausarbeit zu schreiben. Danke Sesshaftigkeit.

Text: Lina Schwarz Illustration: Wienke Menges Logo: Hülya Yalcin

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Bremen

Rüstungsindustrie und Friedensbewegung in Bremen

September 2014. Der Bundestag stimmt der geplanten Waffenlieferung an die kurdischen Kämpfer mit großer Mehrheit zu. Deutschland liefert unter anderem 500 Panzerabwehrraketen, 16.000 Sturmgewehre und mehrere Millionen Schuss Munition in den Irak. Waffen, mit denen Menschen verletzt und getötet werden. Aber auch Waffen, mit denen die Grausamkeiten der Terrororganisationen Islamischer Staat (IS) gestoppt werden könnten. Sind es Waffen des Krieges? Oder Waffen des Friedens?

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s sind Waffen, die aus Deutschland stammen. Und die Für Lentz liegt die Begründung auf der Hand: Dort wo Wafvielleicht sogar in Bremen produziert wurden. Das Bunfen hin geliefert würden, werde Krieg geerntet. Keine der midesland ist nicht erst seit gestern litärischen Interein zentraler Standort der Rüstungsventionen, die industrie. Schon für die kaiserliche die Nato in den Katharina (Kommunikations- & Medienwissenschaften): Marine wurden hier Torpedo-Schnellletzten Jahren boote gebaut. Im ersten Weltkrieg in Krisengebiete „Ich weiß, dass die Uni eine Kooperation mit Rüstungsfirmen stellten die Atlaswerke U-Boote für unternahm, habe hat, bin mir aber nicht sicher, was das für Projekte sind. Auf die Kriegsmarine her, im Nationaleine stabile oder jeden Fall gab es schon öfter Proteste dagegen, dass die Uni sozialismus wurden in Fabriken in gar friedliche GeGelder von der Rüstungsindustrie erhält. Gröpelingen neben Minensuchboosellschaft hervorten auch Geräte für die Unterwasserbringen können. Waffenlieferungen finde ich abstrus, da man aus Erfahrung schalltechnik gebaut. Aus den AtlasAls Paradebeiweiß, dass die Waffen, die jetzt in die Krisenregion geliefert werken wurde die Atlas Elektronik spiel nennt er den werden, nicht unbedingt in den Händen der Kurden bleiben. GmbH, die ebenso wie Airbus zur Nato-Einsatz und Außerdem bekämpfen die Kurden nicht nur den IS, sondern haEADS Gruppe gehört. Auch andere den anschließenben auch andere politischer Ziele und die Waffen könnten dafür Rüstungsriesen wie OHB, Rheinden Militäreinsatz genutzt werden. Also: Ich halte von Waffenlieferungen nichts.“ metall Defence Electronics und in Afghanistan. Lürssen produzieren Wenige zivile Proin Bremen. Allein jekte und andere diese fünf größten Erfolge könnten Firmen produzierten nicht verschleiern, 2010 Güter im Wert dass der Einsatz militärischer Mittel die von 1,15 Milliarden Probleme nicht lösen konnte. Der aktuelle KonEuro. flikt im Irak zeigt die grundsätzliche Bereitschaft der Regierung zu Waffenlieferungen. Schon General Carl von Clau„Aufrüstungswahnsewitz sprach im 19. Jahrhundert vom Krieg als die Fortsetzung sinn“ kommentiert der Politik mit anderen Mitteln. Die Friedensgruppe fordert Ekkehard Lentz diese dagegen absoluten statt relativen Pazifismus. Zahlen. Der Sprecher des Bremer FriedensWird diese Forderung Realität, würde das für 4000 Menschen in forums gehört zu den Bremen vor allem eins bedeuten: Arbeitslosigkeit. So viele MenUrgesteinen dieser schen sind hier in der Rüstungsindustrie beschäftigt und darauf Initiative, die sich in angewiesen, dass das Geschäft mit den Waffen gut läuft. Reaktion auf die atoUnd das tut es: Die Bremer Airbus-Werksleitung gab bekannt, mare Aufrüstung im dass die Bestellungen des Militärtransporters A400M die BeKalten Krieg bildete schäftigung in Bremen und bei den beteiligten Werken und Zuund mit weißer Fahne lieferern über das Jahr 2030 hinaus sichern werden. Zwar macht gegen die Rüstungsder Anteil der Rüstungsproduktion bundesweit nur etwa 0,7 % industrie kämpfte und weiter kämpft. Sie fordert die absolute am Bruttoinlandsprodukt aus, in Bremen ist es aber mehr als das Abschaffung von Rüstungsproduktion, -lieferungen und -expor7-fache, beinahe 5 Prozent. Wenn die Wirtschaft wächst, ist die ten. Bremen weit. Deutschlandweit. Weltweit. Frage nach der moralischen Vertretbarkeit der Rüstungsproduk-

„Entweder wir schaffen die Rüstung ab, oder die Rüstung schafft uns ab.“ Helmut Gollwitzer

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Bremen

tion nicht mehr ganz so wichtig. Kapitalismus eben. Dabei muss der Abbau von Rüstungsproduktion nicht automatisch den Verlust von Arbeitsplätzen bedeuten. In den 90er Jahren stand Rüstungskonversion auf der politischen Agenda: Betriebe der Rüstungsindustrie sollten ihre Produktion auf zivile Fertigung umstellen, ohne Arbeitsplätze abzubauen. Dafür wurden von 1990 bis 2000 sogar öffentlich Gelder im Wert von 25,6 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Rüstungskonversion ist heute kaum ein Thema mehr. Im Gegenteil, auch die 25 Jahre alte Zivilklausel, in der sich Landesregierung und Universität gegen jegliche Anne & Mafalda Beteiligung an Forschung zu (Erasmusstudentinnen, Germanistik): militärischen Zwecken ausgesprochen hatten, wird gegen„Deutschland produziert Waffen? Wir wussten wärtig in Frage gestellt. Seit das gar nicht! Wo genau kann man die denn 2011 gibt es eine Stiftungskaufen? Ist das legal, das zu machen? Wir dachprofessur des Rüstungsriesen ten Deutschland sei sicher, wir dachten seit dem OHB an der Universität Bre2. Weltkrieg sei es verboten, in Deutschland men. Waffen zu produzieren. Wir sind dagegen!“ Fast scheint es, als hätte im Laufe der Jahre die öffentliche Meinung Rüstungsforschung, -produktion und -export weitgehend als notwendiges Übel akzeptiert, um in Krisensituationen notfalls auch militärisch eingreifen zu können. Waffen sollen dabei vor allem eine Abschreckungsfunktion übernehmen. Nach Ansicht des Spieltheoretikers Robert J. Aumann wirken Waffen schon, bevor sich eine einzige Kugel gelöst hat: Allein ihre Präsenz symbolisiert Stärke, die den Gegner einschüchtert, ohne ihn zu töten. Der Nobelpreisträger kritisiert im Interview mit der Süddeutschen Zeitung den Abzug der isra-

be immer eine Bombe, die explodieren kann.

elischen Siedler aus dem Gazastreifen 2005, der in der arabischen Welt als Zeichen von Schwäche interpretiert wurde und den Weg für den Aufstieg der radikalen Hamas und weiterer Gewalt ebnete. Lentz als Sprecher des Friedensforums bestreitet nicht, dass Abschreckung funktionieren könne und im Kalten Krieg beispielsweise dazu beitrug, keinen heißen Krieg zu entfachen. Vielleicht ist Abschreckung auch im Kampf gegen den IS eine Strategie, trotzdem bleibt eine Bom-

„Si vis pacem para bellum - Wenn du Frieden willst, bereite den Krieg vor“

Deutschland kommt in der Diskussion um Rüstungsexporte oft eine Sonderstellung zu: Aufgrund seiner lateinisches Sprichwort Vergangenheit habe es eine besondere Verantwortung. Ein Land, von dem zwei Weltkriege mit grausamen Folgen ausgingen, muss besonders sensibel im Hinblick auf den Einsatz von Waffen- und Panzergewalt sein. Das bedeutet nicht, unbeteiligt die Hände in den Schoß zu legen. Im Gegenteil könnte Deutschlands Rolle darin bestehen, auf diplomatischer Ebene anzusetzen und die unterschiedlichen Parteien an einen Tisch zu bringen. Allerdings: Diplomatische Gespräche mit einer Terrororganisation, die nicht davor zurückschreckt, die Enthauptung Gefangener zu filmen und diese Filme ins Netz zu stellen? Die Grausamkeiten im aktuellen Konflikt machen schnelles politisches Handeln notwendig. Langfristig muss sich die Politik aber auch mit den Hintergründen auseinandersetzen

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und politische Lösungen für die Fragen nach dem Wie und Warum finden. Welche Rolle spielten denn die westlichen Mächte bei der Bildung von Terrororganisationen?

Simon (Systems Engineering) : „Rüstungsproduktion? Ich kenn nur Airbus. In Bremen. Und am Bodensee, da wird auch produziert.“ Simon (Systems Engineering): „Einerseits find ich‘s scheiße Waffen zu bauen, andererseits ist es eben gut für die Wirtschaftleistung. Und wenn man hier nicht baut, dann irgendwo anders. Die Menschen sind halt schlecht. Seit es sie gibt, versuchen sie sich gegenseitig auszurotten. Und Waffenlieferungen sind manchmal notwendig, irgendwie muss man ja helfen.“

In welcher Hand liegen die Waffen heute, die Deutschland im Jahr 2012 an Saudi-Arabien lieferte - den wichtigsten Kunden der Rüstungsindustrie? Wer kauft das Öl mit dem der IS seine Aufrüstung finanziert? Die Bremer Friedensbewegung engagiert sich gegen die alternativlose Darstellung von Militärlieferungen und -einsätzen. Unter dem Dach des Bremer Friedensforums sollen Menschen unterschiedlichster politischer Ge-

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sinnung Platz haben. Viele der Aktiven sind zwar eher dem linken Spektrum zuzuordnen, aber das Forum will auf dem Weg zum Frieden ausdrücklich auch den Dialog mit der Wirtschaft und konservativen Akteuren suchen. Seit dem Höhepunkt der Friedensbewegung in den 80ern ist Deutschland noch stärker geworden; die Friedensbewegung ist dagegen weniger präsent. Das heißt nicht unbedingt, dass sie kleiner geworden ist, aber statt der Massendemonstrationen gibt es heute viel mehr Online-Petitionen und lokale Veranstaltungen wie etwa die Mahnwache gegen Rüstungsexporte über Bremer Häfen, deren mediales Echo kleiner ausfällt. Die Waffen für die Kurden waren nicht die ersten und werden mit Sicherheit nicht die letzten Waffen sein, die Deutschland in die Welt schickt. Die Diskussion darüber, ob sie für oder gegen den Frieden gezogen werden, zeigt vor allem eins: die Hilflosig-

Tia (Grundschullehramt): „Soweit ich weiß, fließen im Zuge der Exzellenzinitiative auch Gelder in die Rüstungsforschung. Und findet nicht auch Rüstungsproduktion in Bremen statt? Ich bin keine große Unterstützerin davon. Deutschland ist in vielen Kriegen involviert, allerdings ist das überhaupt nicht transparent.“ Nele (Grundschullehramt): „Ich finds auch absurd, jetzt Waffen in Krisenregionen zu schicken und später den Aufbau zu finanzieren. Mit Waffenlieferungen stellt man am Ende immer die Möglichkeit für Krieg bereit.“

keit angesichts eines Krieges, der weit weg scheint und doch hier bei uns anfängt. Wir als Studierende sollten uns über die Konsequenzen jeglicher militärischer Forschung an unserer Uni und der Rüstungsproduktion in unserer Stadt und im ganzen Land bewusst sein. Text: Lina Schwarz Illustration: Samira Kleinschmidt Fotos: Yannik Roscher


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Ohne Moos nix los! Fast jeder Studierende hat bereits erlebt, dass ab Mitte des Monats Ebbe auf dem Konto herrscht. Was aber tun, um dem Trist der eigenen vier Wände zu entkommen, wenn nur noch Kleingeld im Portemonnaie zu finden ist? Die folgen Tipps und Ideen zeigen euch, was man in Bremen für unter zehn Euro unternehmen kann.

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esonders dann, wenn man in eine neue Stadt gezogen ist oder zu Beginn des Semesters neue oder alte Kontakte pflegen will, reichen billiges Bier und eine Folge der Lieblingsserie auf dem heimischen Sofa einfach nicht aus. Man will mehr: MEHR erleben, MEHR Spaß, MEHR Action! Aber ohne Kohle scheitern die meisten Vorhaben schon, bevor man eine Hose angezogen und die Haustür erreicht hat. Um am Ende nicht als Couchpotato oder Stubenhocker abgeschrieben zu werden, gibt es in Bremen viele Möglichkeiten, um für ganz kleines Geld ganz großen Spaß zu haben. Und mit den Ideen kann man potenzielle Freunde, den neuen Schwarm oder alte Bekannte beeindrucken und wird nicht arm. Kino Im Winter sind Kinosäle eine angenehme Alternative zum eiIm Winter sind Kinosäle eine angenehme Alternative zum eigenen Wohnungsmuff. Und im Bremer Sommer können trockene Kinos vor Rostschäden an den eigenen Gelenken durch den Regen schützen. Abseits der Multiplex-Kinos gibt es in Bremen kleinere Spielstätten, die nicht mit großem BOOM-BOOM und PENG-PENG auffahren, sondern schöne, erzählerisch anspruchsvolle Werke im Angebot haben. Hierzu zählen die Filmkunsttheater Schauburg (im Viertel), Gondel (Schwachhausen) und Atlantis (Böttcherstraße). Donnerstags ist Studententag und man kommt (mit gültigem Studi-Ausweis) für eine handvoll Taler in die Filme (Überlänge extra). Die Filmkunsttheater haben auch Previews oder Live-Theaterstücke und -opern im Angebot. Diese sollten aber rechtzeitig reserviert werden, damit man auch eine Karte für seine Lieblingsoper bekommt. Samstags, sonntags und an Feiertagen ist Familientag in den Spielstätten. Erwachsene zahlen in Begleitung ihrer Kinder (inkl. 15 Jahre) den Kinderpreis. Also schnappt euch eure Kinder oder gönnt euren Freunden oder Familienmitgliedern etwas Zeit für sich und nehmt ihre Kinder mit (aber bitte nur zu kindertauglichen Filmen!). Das Kommunalkino City46 am Hillmann-Platz in der Innenstadt bietet Studenten einen regulären Eintrittspreis von fünf Euro. Kooperationen, Filme in Original mit Untertitel, diverse Filmfeste wie beispielsweise das queer-film festival, Kinderfilmfestival oder arabische Filmfest, Weird Xpirience und Stummfilme mit Livemusik-Begleitung bieten ein buntes Potpourri an Veranstaltungen. Wer gerne viel und oft ins Kino geht, hat die Möglichkeit, für 15 Euro (Studentenermäßigung) Mitglied

zu werden und kann pro Vorstellung einen Euro sparen. Wer sich dann auch noch ein Zehner-Ticket zulegen will, bezahlt im Schnitt noch weniger. Schaut regelmäßig in das Programm des Kinos, denn es gibt auch Veranstaltungen, für die man keinen Eintritt bezahlen muss. Das City46 bietet samstags, sonntags und an einigen Feiertagen Kinderfilme an. Jeden zweiten Sonntag gibt es nach dem Kinderfilm noch kostenlos Spiel und Spaß mit erprobten Betreuern für die Kinder, während sich die Eltern im Foyer bei einem Kaffee entspannen können. Wer dem Kino einen Besuch abstatten möchte, sollte unbedingt das Gewinnspiel am Ende des Artikels beachten. Bars, Kneipen und Clubs Wer zu Weihnachten etwas Geld bekommen hat, kann sich auch Wer am Anfang des Monats etwas Geld auf dem Konto hat, darf sich auch ruhig mal was gönnen. Eine Abwechslung vom harten Studentenleben hat schließlich jeder mal verdient und eine kleine Party kann nie schaden. Damit aber nicht alles nach einer Party-Nacht aufgebraucht ist, sollte man schon auf die Preise achten. Viele Clubs an der Bremer Party-Meile haben über die Woche verteilte Studentenpartys im Angebot. Der Eintritt liegt zwischen ein bis fünf Euro, kann aber auch mal umsonst sein oder ein Getränk beinhalten. Wer aber keine Lust auf Disco hat, kann auch in Danny‘s Rockbar einkehren, nüchterne fünf Minuten und betrunkene acht Minuten vom Hauptbahnhof entfernt. Wer auf Rock, Metal, Mittelaltermukke o.ä. steht, ein kühles und günstiges Bierchen süppeln möchte, ist herzlich willkommen. Für diejenigen, die lieber von Kneipe zu Kneipe springen, ist das Bermuda Dreieck die richtige Adresse. Im Viertel am Fehrfeld laden diverse Bars und Kneipen zum Schnacken und gemütlichen Trinken ein. Ob Capri Bar, Bermuda oder Heart Break Hotel: donnerstags ist Happy-HourTag! Aber Achtung: Die ersten Wochen des Wintersemesters sind die Bars bis unter das Dach gefüllt, da die Ersti-Kneipentouren immer im Bermuda Dreieck enden! Singen und Spielen Rätsel raten und ein feines irisches Bier gleichzeitig? Das geht gar nicht? Geht ja wohl! Im Hegarty‘s im Viertel. Jeden Montag um 20 Uhr beginnt die erste Quizrunde. Ob Politik, Musik oder Bilderrätsel, die Bandbreite an Fragen ist riesig und knifflig. Für unter fünf Euro 23


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pro Person kann man teilnehmen und erhält die Möglichkeit, verschiedene Preise, Freigetränke oder einen Dämpfer für das eigene Ego zu gewinnen. Ein kleiner Tipp am Rande: Früh da sein, um einen Tisch für sich und seine Mitstreiter zu besetzten! Das Quiz ist beliebt und einige Quiz-Truppen kehren jeden Montag ein, um ihren eigenen Highscore zu knacken. Suchtgefahr! Wer sich lieber musikalisch Gehör verschaffen will, kann donnerstags im Römer (Fehrfeld, Bermuda Dreieck) einkehren und Hits von Abba bis ZZ-Top zum Besten geben oder sonntags im Paddy‘s Pit (in Bremen nur „Das Paddy‘s“) am Hauptbahnhof Klassiker schmettern. Wer das Ganze etwas professioneller mag und vielleicht auch im kleinen Kreise mit seinen eigenen Songs auftreten möchte, der kann sich an das Muddy (Bremen-Vegesack, direkt am Vegesacker Bahnhof, 25 Minuten vom HBF) wenden. Dort findet in regelmäßigen Abständen die Open Stage für Amateur-Musiker und Neueinsteiger statt. Sport Es soll ja tatsächlich Leute geben, die Sport machen, weil es ihnen Spaß macht. Es soll allerdings auch Leute geben, die schon mit ihrem Sofa zusammengewachsen sind. Um einen angenehmen Mittelweg zwischen sportlichen Aktivitäten und seiner eigenen Wohlfühlzone zu finden, gibt es Gruppenaktivitäten, die nicht nur Schwung ins müde Studentenleben bringen, sondern auch Spaß machen. Zum Beispiel bietet der Schwarzlichthof in der Überseestadt Minigolf an. In einem Parcours, der dem alten Hafen nachempfunden ist, kann man das Eisen schwingen. Das Besondere ist, dass die Hindernisse in Neonfarben bemalt sind und nur durch Schwarzlicht an Konturen gewinnen. Für eine Gruppe von sechs Personen braucht man ungefähr 90 Minuten, um alle Stationen bespielen zu können. Auch hier gibt es wieder Studi-Rabatt und man ist mit unter zehn Euro pro Person dabei. Schwarzlicht-Minigolf erfreut sich eines hohen Bekanntheitsgrads. Darum sollte unbedingt vorher reserviert werden. Wer lieber eine ruhige Kugel schiebt, kann dienstags in das Bowlingcenter in Findorff einkehren. Dort gibt es dann unter Vorlage eines gültigen Studi-Ausweises ein Spiel und ein Paar Leihschuhe für 2 Taler pro Spiel. Dieses Angebot ist leider nicht an und vor Feiertagen gültig. Montags bis donnerstags gibt es das gleiche Angebot im Center an der DiscoMeile. Freitags bis sonntags bezahlt man hier einen Euro mehr pro Spiel, inklusive Leihschuhe. Besonders am Wochenende ist es ratsam, dass man sich eine Bahn reserviert. Ob kalt oder warm: mein Kontostand sagt, ich bin arm. Der Winter hat es leider an sich, dass er grau und langweilig ist. Jedenfalls hier in Bremen (glaubt mir, ich habe schon 24 24

Winter in Bremen verbracht und einer war unerträglicher als der nächste! Behaltet meine Worte im Kopf: Der Winter naht!). Die Optionen Winterschlaf und im Süden überwintern scheiden für Studis leider aus, außer man legt seinen Auslandsaufenthalt in Australien auf das Wintersemester. An den wenigen schönen Tagen bietet es sich jedoch an, durch den Bürgerpark oder die neue/ alte Nachbarschaft zu spazieren, um die letzten Sonnenstrahlen zu erhaschen. Diejenigen unter euch, die einem kleinen Winter-Sturm nichts abgewinnen können, haben zum Glück noch andere Möglichkeiten: Weihnachtsmarkt und Schlachtezauber ...auch bekannt als „Wacken der Hausfrauen und Angestellten“. Ohne diskriminierend zu werden, aber die meisten Betriebsausflüge zur Weihnachtszeit werden nun mal dorthin unternommen. Besonders der Weihnachtsmarkt vor dem Rathaus ist ein einziges Gedränge. Tagsüber und in der Woche ist ein Besuch noch halbwegs ertragbar. Vorausgesetzt, man ist warm angezogen. Wer die Kälte aus den Knochen vertreiben will, kann sich einen kleinen Glühwein oder heißen Kakao gönnen oder einfach die vielen Stände mit handgemachten Produkten bestaunen. Wer bis jetzt noch kein Geschenk für Oma Hilde hat, kann hier zuschlagen. Zeitgleich findet an der Bremer Schlachte der Schlachtezauber statt. Der Mittelaltermarkt bietet nicht nur viele kulinarische Köstlichkeiten, sondern auch viel Trara. Besonders in der Dunkelheit wird man von den Lichtern und Gerüchen verzaubert. Wer aber Menschen nicht mag, sollte auch hier lieber tagsüber und in der Woche einkehren. Kleiner Tipp: Meidet die Innenstadt und Einkaufszentren an Dezemberwochenenden. Bremer Karneval/ Samba-Karneval Wie bitte? Der Hanseat kann kein Karneval feiern? Anfang Februar kann sich jeder in der Bremer Innenstadt vom Gegenteil überzeugen. Zu schmissiger Samba-Musik tanzen verschiedene Tanz-Vereine in bunten Kostümen durch die Stadt und bieten ein Feuerwerk an Farben und Rhythmus. Wer den Winter ohne Roststellen überlebt hat, darf sich auf den Sommer freuen. Mit „Sommer“ meint der Bremer die wenigen Wochen im Jahr, die viel zu heiß sind und dann von Regen abgelöst werden. Während dieser kurzen Zeitspanne, die sich irgendwann zwischen Mai und September befindet, locken Flohmärkte und viele Feste, die Tanz, Theater, Musik und vieles mehr bieten. La Strada Das größte Straßenzirkus-Festival verwandelt die Bremer Innenstadt in einen artistischen Ausnahmezustand. Straßenkünstler,


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Gaukler und Akrobaten aus der ganzen Welt reisen an, um kostenlos das Publikum zu unterhalten. Im nächsten Jahr findet das Spektakel vom 12. Juni. bis 14. Juni. statt. Wer bereits an den Vorabenden in der Nähe des Rolands unterwegs ist, kann sich einen Vorgeschmack bei den Proben der Künstler holen. Breminale 15.Juli bis 19.Juli. am Osterdeich In den vergangen Jahren haben bereits Clueso, Gloria oder McFitti auf dem großen Outdoor-Festival am Osterdeich gespielt. Von Rock bis Pop über Swing und Hip Hop spielen jedes Jahr unzählige Bands am Weserufer. Und das alles für NIX! Futterbuden, Konzerte, Lampionwald, Straßenkünstler, Kultureinrichtungen und viel frische Luft darf jeder auf der Breminale erwarten. Haltet euch das Wochenende ab dem 15.Juli frei. Denn dann ist Party angesagt.

viele verschiedene hochschulpolitische Gruppen, Hochschulsport-Kurse, Vereine und Vereinigungen, Theatergruppen, Chöre und vieles mehr an. In Zeiten von Social Media kann man ganz einfach per Internet Kontakt aufnehmen oder einfach mal persönlich vorbei gucken. Es bietet sich auch immer an, außerhalb seines Studienverlaufplans nach Kursen zu suchen, die man einfach nur besucht, weil man sich dafür begeistert. Hier heißt es: Selbst Initiative zeigen und über den Tellerrand hinweg schauen.

Flohmärkte

Wie jede Stadt hat auch Bremen in der warmen Jahreszeit jedes Wochenende Flohmärkte anzubieten. Da es in fast jedem Stadtteil einen gibt, sollte jeder, der ein Schnäppchen machen will oder seine Haushaltskasse aufbessern will, Augen und Ohren offen halten. Der bekannteste Markt ist allerdings der auf der Bürgerweide. Sonntags bieten hier Profis und Amateure alles an, was das Herz begehrt: Schallplatten, Antikes, Spielzeuge, Fahrräder, Möbel und vieles mehr. Einfach mal sonntags hin und stöbern. Wen danach ein kleines Hüngerchen packt, der kann sich beim Verkaufsstand der VeganBar vegane Leckerbissen holen oder bei den verschiedenen Imbissen am Hauptbahnhof einkehren. Kontakte knüpfen Freizeit hin oder her. Manchmal will man doch nur Fußball gucken oder bei einem Heißgetränk über sich und seine Interessen reden. Wo lernt man aber außerhalb der eigenen Seminare und Lehrveranstaltungen Leute kennen, die sich vielleicht auch für Tier- und Umweltschutz engagieren, sportbegeistert oder Fans vom HSV sind (kleiner Spaß. Wer in Bremen lebt, sollte lieber nicht offen zugeben, dass man den HSV mag)? Die Uni bietet

Gewinnspiel: Was fetzt denn bitte mehr, als Freikarten für einen Kinobesuch? Das hat sich auch das City46 gedacht und verlost mit dem Scheinwerfer 5x2 Freikarten. Teilnehmen könnt ihr bis zum 6.12.14 unter scheinwerfer@uni-bremen.de. Schreibt uns einfach unter dem Stichwort KINO eine E-Mail. Die Gewinner erhalten von uns eine Benachrichtigung. Viel Erfolg!

Text: Tanja Koelen Illustration: Isabel Weiss und Ulrike Bausch

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Die Beschäftigung mit der eigenen Vergangenheit Nur wenige wissen um das ehemalige Bremer KZ Mißler. Neben diesem lassen sich noch zahlreiche weitere Denkmäler und Gedenkstätten finden, die an die Zeit des Nationalsozialismus erinnern. Ein kurzer Einblick in einen eher unbekannten Teil der Bremer Stadtgeschichte. „Nichts ist schwerer und nichts erfordert mehr Charakter als sich im offenen Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen NEIN!“ Dieser Spruch prangt auf einer unscheinbaren Tafel mitten in Bremen, nur wenige Minuten Fußweg vom Bremer Hauptbahnhof entfernt. Der eine oder andere erkennt ihn vielleicht als ein Zitat des deutschen Schriftstellers und Journalisten Kurt Tucholsky. Links daneben sind drei verzerrte Gesichter zu sehen vor einem Hintergrund, der wie ein angedeutetes Hakenkreuz anmutet. Die Tafel hängt an der Außenwand des Alten- und Pflegeheims Bremen-Findorff in der Walsroder Straße 1 und lässt sich sehr leicht übersehen. Bleibt man stehen und sieht sich das Kunstwerk genauer an, erschließt sich dessen Sinn auch nicht von selbst. Es stellt sich daher die Frage: Was hat es mit dieser Tafel auf sich? Ein ziemlich verwittertes Schild in der Nähe gibt etwas mehr Aufschluss: Es handelt sich um eine Gedenktafel für das Konzentrationslager (KZ) Bremen Mißler und seine Insassen. Das Lager wurde bereits Anfang April 1933 in den ehemaligen Friedrich Mißler-Auswandererhallen eingerichtet und zählt damit zu den ersten Lagern überhaupt. „Hier begann in dieser Stadt die das Menschenrecht verletzende und die Menschen vernichtende Verfolgung politisch Andersdenkender durch die Nationalsozialisten.“ lässt sich dazu lesen. Es wird darauf hingewiesen, dass das Lager im August 1933 verlegt worden ist. Weitere Informationen sind vor Ort nicht zu erfahren.

zutage. In diesem werden Entstehung und Werdegang des KZs beschrieben. Bereits am 04. April 1933 werden von der bremischen Polizei 40 Funktionäre der Kommunistischen Partei Deutschlands in Schutzhaft genommen. Als das Ausmaß der Verhaftungen schnell das Fassungsvermögen der Bremer Gefängnisse übersteigt, beschließt man, ein Konzentrationslager für die zahlreichen kommunistischen und marxistischen Schutzhäftlinge einzurichten. Mit zunehmender Verfolgung politischer Gegner werden auch Sozialdemokraten, Linkssozialisten, Gewerkschafter und Redakteure der „Arbeiter-Zeitung“ hier inhaftiert. Zwischenzeitlich sind im KZ Mißler bis zu 300 Häftlinge eingesperrt. Die Haftbedingungen werden als äußerst brutal beschrieben. Anwohner können von ihren Wohnungen aus in den Hof des Lagers sehen, Angehörige der Insassen tragen deren blutige Kleidung öffentlich zur Schau. Es kommt zu Unmut in der Bevölkerung über die Behandlung der Gefangenen. Die „Bremer Nationalsozialistische Zeitung“ ver-sucht gegenzusteuern, indem sie einen Redakteur als „unerkannten Schutzhäftling“ für einige Tage in das Lager schleust und einen Bericht über seine Erfahrungen veröffentlicht. Verlegung der Gefangenen und Auflösung des Lagers

Trotz der nationalsozialistischen Pressekampagne wird der Druck der Öffentlichkeit immer größer. PolizeisenaIn diesem 1906 entstandenen Gebäudekomplex wurtor Theodor Laue sieht sich de 1933 das erste KZ auf Bremer Boden eingerichtet. schließlich genötigt, das inmitDavor diente es unter anderem der Unterbringung ten der Stadt gelegene Lager zu auswanderungswilliger Menschen und als Lazarett schließen und die Gefangenen während des Ersten Weltkrieges. 1987 wurden die zu verlegen, um sie leichter Missler-Hallen abgerissen. von der Bevölkerung isolieren zu können. Die meisten GeGeschichte des Konzentrationslagers Mißler fangenen landen so in den Laderäumen des Schleppkahns 86 des Norddeutschen Lloyd in der Ochtummüdung und in Fort Ein wenig Eigenrecherche bringt einen Wikipedia-Artikel, eiLanglütjen II bei Bremerhaven. Am 13. September 1933 wird in nen kurzen Eintrag auf der Seite des Ortsamts Bremen West den „Bremer Nachrichten“ über die Verlegung der Gefangenen sowie einen Aufsatz des deutschen Historikers Jörg Wollenberg und die Auflösung des Mißler-Lagers berichtet. Die Bremer Bür26


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gerinnen und Bürger bekommen nichts mehr von den brutalen Misshandlungen der Gefangenen mit. Die Presseberichte nehmen im Zuge dessen deutlich ab. Lange keine Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte Abgesehen von den Mißler-Prozessen vor der Großen Strafkammer des Landgerichts Bremen im März und April 1951 gegen die Verantwortlichen und Teile der Wachmannschaften gerät das Lager schnell in Vergessenheit. Erst 1983 wird die erwähnte Gedenktafel von Fritz Stein angefertigt und in unmittelbarer Nähe zum ehemaligen Lagerge-lände angebracht. Nach 1945 hatte hier zunächst eine evangelische Diakonieanstalt, danach von 1960 bis 1980 das Krankenhaus Findorff gestanden. Heute befindet sich an dessen Stelle ein Altenheim der Arbeiterwohlfahrt. An den Namensgeber des Lagers erinnert noch die Friedrich-Mißler-Straße, die bereits 1923 nach dem Bremer Kaufmann benannt worden war. Mißler selbst hatte bis zu seinem Tode 1922 eine Agentur zur Unterstützung von Auswande-rern geführt und zu diesem Zweck die Hallen errichtet, die später zum KZ umfunktioniert werden sollten. Die von ihm gegründete Friedrich-Missler-Stiftung existierte noch bis 1942. Mit der Einrichtung des Lagers hatte er nichts zu tun. Bremen versteht sich schon immer als „rote Hochburg“. Gerade vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wieso man sich der Verarbeitung dieses Kapitels der eigenen Geschichte zunächst nur mit äußerster Zurückhaltung nähert. Erst nach und nach entstehen Gedenkstätten, werden Denkmäler errichtet. Mittlerweile lassen sich jedoch zahlreiche solcher Hinweise überall in Bremen finden – manche mehr, manche weniger auffallend. Mittlerweile zahlreiche Bremer Gedenkstätten Zu nennen wäre beispielsweise das 1983 errichtete Mahnmal „Vernichtung durch Arbeit“ beim Bunker Valentin in der Bromberger Straße 117, das in zwölf Sprachen an die Opfer des KZs Neuengamme erinnert, von denen mehrere tausend beim Bau der U-Boot-Werft ihr Leben ließen. Zwischen zehn- und zwölftausend Kriegsgefangenen aus ganz Europa wurden hier zur Arbeit gezwungen. Der Verein „Dokumentations- und Gedenkstätte Geschichtslehrpfad Lagerstraße/U-Boot-Bunker Valentin

e.V.“ bemüht sich seit längerer Zeit um den Erhalt und die Errichtung von Gedenkorten im Bereich um Bunker und Lager und legte hierfür unter anderem einen Lehrpfad an. Auf dem Gelände des Kulturzentrums Schlachthof lässt sich eine recht unscheinbare Gedenktafel zur Erinnerung an den Völkermord an den Sinti und Roma finden. Die Tafel wurde 1995 im Auftrag der Stadt Bremen aufgestellt und erinnert in nüchternen Worten an den Abtransport in das Konzentrationslager Auschwitz. Bremen war während der NS-Zeit ein wichtiger Sammelund Verteilpunkt, von dem aus Sinti und Roma aus ganz Norddeutschland deportiert worden sind. Im Schnoorviertel erinnert seit 1982 ein Mahnmal mit Gedenktafel an die Bremer Opfer der Reichskristallnacht vom 09. zum 10. November 1938. In der Kolpingstraße befand sich zu dieser Zeit die Hauptsynagoge der jüdischen Ge-meinde in Bremen, die in der Reichspogromnacht von den Nationalsozialisten in Brand gesteckt und völlig zerstört wurde. Die Gedenktafel vor Ort nennt die Namen der in dieser Nacht ermordeten Bremer Juden. Selbstverständlich lassen sich auch in Bremen Stolpersteine finden, ein europaweites Kunstprojekt, das an Vertrei-bung und Vernichtung der Juden, Zigeuner, politisch Verfolgten, Homosexuellen und der Zeugen Jehovas sowie weiterer Opfer während des Nationalsozialismus erinnern soll. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Wer die Augen offen hält, der kann im Bremer Stadtgebiet viele kleine und größere Denkmäler entdecken, die an die Schrecken des Nationalsozialismus erinnern. Auf der Seite www.spurensuche-bremen.de lassen sich ganze Rundgänge und Fahrradtouren hierzu finden. Die Verantwortung, Opfer und Täter nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, liegt bei jedem von uns. Also: Beim nächsten Spaziergang, auf dem Weg zur Uni oder beim Gang zum Supermarkt einfach mal bewusster hinsehen. Text: Annette Bögelsack Bilder: Ulrike Bausch

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Weiterer Internettrend oder echte Hilfe?

Im Sommer 2014 kam man kaum um sie herum: die ‚Ice Bucket Challenge‘. Der ScheinWerfer hat die Spendenaktion zum Anlass genommen, diese kritisch zu beleuchten und auch auf die allgemeine Spendensituation in Deutschland einen Blick zu werfen.

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as ist eigentlich diese ‚ALS Ice Bucket Challenge‘? Überall im Internet – besonders auf den sozialen Plattformen Facebook und Twitter – kursierten Videos, in denen sich Menschen einen Eimer voll mit Wasser und Eiswürfeln über den Kopf kippten oder kippen ließen. Diese Aktion war als eine Spendenaktion gedacht und sollte auf die Nervenkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose, kurz ALS, aufmerksam machen. (Zum Beispiel leidet der britische Physiker und Astrophysiker Stephen Hawking an einer chronischen, sehr langsamen Form der ALS.) Jeder, der von jemandem für diese Herausforderung nominiert wurde, musste sich binnen 24 Stunden ebenfalls Eiswasser über den Kopf gießen sowie zehn Dollar beziehungsweise Euro an die „ALS Association“ spenden. Gleichzeitig wurden weitere Personen nominiert. Kam die Person der Nominierung nicht nach, sollte sie 100 Dollar oder Euro an die besagte Organisation spenden. Anfangs taten dies besonders Prominente in den Vereinigten Staaten: Sportler, Musiker und sogar Politiker, wie ein Video mit dem Expräsidenten George W. Bush zeigt. Besonders die teilnehmenden Prominenten und Milliardäre spendeten weit mehr als zehn oder 100 Dollar und so waren es bis September bereits mehr als 100 Millionen Dollar, die der ALS Association durch die Aktion zugute kamen, und täglich wurden es mehr. Andererseits kam aber immer mehr Kritik auf. Für viele entwickelte

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sich die Aktion zu einer Möglichkeit, sich selbst darzustellen. Längst nicht alle Teilnehmer wussten um den ernsten Anlass und so rückte das Spenden in den Hintergrund. Es schien für manche eben nur die Fortsetzung der „Cold Water Challenge“ zu sein, die um den Jahreswechsel 2013/2014 umherging. Hier mussten die Nominierten in ein öffentliches Gewässer springen und als Beweis ein Video davon hochladen. Top-Gehälter in der ALS Association Doch die Kritik geht noch weiter. Die Menge an Wasser, die für die Aktion genutzt wurde, ist nicht gering und wird von vielen kritisiert. Besonders wenn ganze Baggerladungen davon über Menschengruppen gekippt werden, wie einige Videos zeigen. Mittlerweile erheben sich allerdings auch immer mehr Stimmen gegen die ALS Association selbst. Top-Gehälter in den Führungsebenen und unnötige Tierversuche sowie der Versuch, sich den Begriff ‚Ice Bucket Challenge‘ schützen zu lassen, obwohl die Gesellschaft selber nicht mit deren Einführung zu tun hatte, werfen ein schlechtes Licht auf die ALS Association. Sie verweist dagegen zwar auf ihre gute Transparenzpolitik, sprich: die Veröffentlichung aller finanzieller Unterlagen, kann jedoch nicht abstreiten, dass die Gehälter extrem hoch sind. Diese lägen jedoch im „ortsüblichen Rahmen“. Hauptberufliches Spendensammeln scheint demnach hochprofitabel zu sein.


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Auch in Deutschland wurde fleißig gespendet. Über 450 Spenden sind alleine bis Anfang September diesen Jahres bei der Berliner Charité eingegangen und werden sowohl für die Medikamentenforschung als auch für die Versorgung der ALS-Patienten verwendet. Die Kreiszeitung Syke führte ein interessantes Interview per Email mit dem seit 24 Jahren an ALS erkrankten Werner Schmitz aus Bruchhausen-Vilsen. Schmitz ist nicht mehr in der Lage verbal zu kommunizieren und nutzt eine Computer-Kombination, um mit seiner Umwelt zu interagieren. Das sogenannte „Eyegaze“-System kann er mit den Augen bedienen. Er zeigt sich extrem kritisch gegenüber der ‚Ice Bucket Challenge‘ und meint, dass die Aktion keineswegs den Forschungsdurchbruch bedeutet: „Auf Deutsch gesagt, damit lässt sich keine Kohle machen, denn es handelt sich nicht um eine Massen-Krankheit.“ Seiner Meinung nach sei das Einzige, was diese Aktion bewirken könne, eine Verankerung der Krankheit im Bewusstsein der Bevölkerung. Aber auch für andere ALS-Patienten könnte es insofern gut sein, dass diese ebenfalls durch häusliche Pflege oder das ‚Eyegaze‘-System unterstützt werden. Ansonsten sähe er die Stärken eher im PR-Bereich. Gutes Gefühl oder gute Tat? Das Problem ist bekannt: Wohin fließen Spendengelder eigentlich wirklich? Die wenigsten Organisationen veröffentlichen detaillierte Finanzberichte. Greenpeace kauft mit Spendengeldern Wertpapiere an der Börse und auch das Rote Kreuz sowie Ärzte ohne Grenzen legen das Geld auf die eine oder andere Art an. Bei Greenpeace kam es zu einem Skandal, da die Spekulation schief ging. Misswirtschaft, Verschwendung und mangelnde Transparenz sind häufige Gründe für Kritik an Hilfsorganisationen. Neben den kleinen und größeren Skandalen oder Kritiken darf jedoch nicht vergessen werden, wie viel Gutes Hilfsorganisationen und Gesellschaften für die Menschheit und die Umwelt tun. Die zweifache Mutter Regina Wolters* hat viele Jahre für den Nabu gespendet, bevor sie es aus finanziellen Gründen abbrechen musste. Heute spendet sie meist noch 50 bis 100 Euro im Jahr. Wichtig ist ihr dabei jedoch vor allem zu wissen, wohin die Spendengelder gehen. Auch die 95- jährige Hilde Engelhardt spendet gerne: „Ich spende schon ewig, aber es muss schon zu mir passen, wie zum Beispiel für Hunde. Aus der vielen Post, in der um Spenden gebettelt wird, wähle ich sorgfältig aus und ich kriege auch immer ein großes Dankeschön zurück.“ Diese Dankbarkeit und das Wissen, etwas Gutes getan zu haben, mögen sicherlich viele Menschen zu Spenden veranlassen. Humanitäre Hilfe steht bei Spendern mit über 70 Prozent ganz weit vorne, wie die Analyse des deutschen Spendenmarkts für das ‚betterplace lab‘ herausstellt. Dabei sind es aber nicht unbedingt die ganz großen Organisationen, die von den Spenden profitieren. Der Spendenzuwachs gilt demnach immer mehr den

kleinen und mittelgroßen zivilgesellschaftlichen Organisationen. Dadurch, dass es in Deutschland keine offiziellen Spendenstatistiken gibt, kann nur durch Umfragen oder über die Steuerstatistik das Spendenvolumen ungefähr ermittelt werden. Die Ergebnisse variieren demnach zwischen drei und sieben Milliarden Euro. Es sind dabei nur noch etwa 35 Prozent der Deutschen, die mindestens einmal im Jahr spenden. Seit einigen Jahren geht die Spenderzahl zurück, aber nach wie vor spenden ältere Menschen häufiger als jüngere und Frauen häufiger als Männer. Wer wie viel spendet, ist eng damit verbunden, wie hoch das Einkommen ist. Durchschnittlich werden etwa 130 Euro pro Person gespendet. Nominieren in den Medien Die ‚Ice Bucket Challenge‘ dürfte die Zahlen erneut verändern. Der 26-jährige Yannick Dziekan aus Ehlen bei Kassel wurde ebenfalls für die Herausforderung nominiert und hat ein Video von seiner Eisdusche auf dem sozialen Netzwerk Facebook hochgeladen: „Die Idee der Challenge ist nicht schlecht und zeigt meiner Meinung nach auch gute Resultate.“ Facebook ist eine riesige Plattform, auf der sich solche Aktionen schnell und einfach verbreiten. Mittlerweile berichtet auch das Fernsehen darüber. „In den 20-Uhr-Nachrichten 30 Sekunden erwähnt zu werden, für lau, ist doch perfekt“, meint Yannick. Natürlich habe auch er gespendet. Der Student Clemens Knüppel aus Weyhe hat seine Nominierung auf ganz eigene Weise angenommen: „Ich habe die Leute aufgefordert, in den Einrichtungen - Kindergärten oder Behinderteneinrichtungen - in der Region zu spenden beziehungsweise für diese altes Spielzeug zu sammeln.“ Der 23-jährige bringe selbst sein altes Spielzeug direkt in die Kindergärten und spende seinen Becherpfand auf Konzerten regelmäßig an ‚Viva con Agua‘. Statt einer Eisdusche hat er ein Kinderbild von sich gepostet und es seinen nominierten Personen überlassen, ob sie ein Kinderbild oder ein Eiswasservideo hochladen oder einfach nur das Spielzeug zum Kindergarten um die Ecke bringen wollen. Wie schnell es gehen kann, einen Trend in eine neue Richtung zu lenken, zeigt die Umwandlung der ‚Ice Bucket Challenge‘ in die ‚Nudelchallenge‘. Hier wollten sich zwei Unternehmer in Wismar nicht in die weltweite Aktion einreihen und wandelten diese zu der ‚Nudelchallenge‘ um. Hier sind die Nominierten dazu aufgerufen, Teigwaren an die nächstgelegene Tafel zu spenden. Und egal wie und womit genau, jeder hat die Möglichkeit, irgendetwas Sinnvolles beizusteuern: Mit Nudeln für die Tafel, zehn Euro an eine Hilfsorganisation oder einem Spielzeug für den Kindergarten um die Ecke.

Text: Pia Zarsteck Illustration: Samira Kleinschmidt 29


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Wir teilen uns eine Welt

Eine tierethische Perspektive auf den Roman „Life of Pi – Schiffbruch mit Tiger“ von Yann Martel, der auch bildgewaltig und erfolgreich von Ang Lee verfilmt wurde und 2012 unter dem Titel „Life of Pi“ in die Kinos kam.

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er verfilmte Roman des kanadischen Autors Yann Martel aus dem Jahr 2001 erzählt die fiktive Geschichte von Piscine Molitor Patel, genannt Pi, dessen Vater der Direktor des Zoos im indischen Pondicherry ist. Pi lernt durch das Leben mit den Tieren auch den Umgang mit ihnen. Schon früh wird ihm von seinem Vater eingeschärft, dass die Tiere des Zoos gefährlich sind. Sie verteidigen sich und ihr Revier aufs Schärfste. Insbesondere vor dem bengalischen Tiger namens Richard Parker wird Pi eindringlich gewarnt. Er sei besonders gefährlich, sei ein Raubtier, kein Spielkamerad. Pi widerspricht, sagt, dass Tiere auch Seelen hätten, er hätte es in ihren Augen gesehen. Der Vater sieht die Gefahr in dieser Denkweise und bringt ihm eine wichtige Lektion bei, die Pi später noch helfen wird: den Respekt vor dem Tiger! Der Vater schärft ihm ein, dass Tiere nicht so denken wie Menschen, und wer das vergesse, könne getötet werden. So heißt es im Film: „Der Tiger ist nicht dein Freund. Wenn du ihm in die Augen siehst, siehst du nur deine eigenen Gefühle wie in einem Spiegel reflektiert. Sonst nichts.“ Die nüchterne, verstandesbetonte Sichtweise des Vaters ist überdeutlich, die Tiere sollen nicht vermenschlicht werden, sonst würde man ihnen nicht mehr mit Respekt begegnen und die Grenzen zwischen Mensch und Tier verschwimmen. Aber wie soll man sich den Tieren nähern? Wenn wir zusammen leben wollen, müssen wir lernen, uns zu verständigen Pi findet dies auf seiner 227 Tage währenden Odyssee auf dem Pazifischen Ozean heraus. Das japanische Schiff, auf dem er und seine Familie samt der Hälfte des Zoos die Überfahrt nach Kanada antreten, um dort ein neues Leben zu beginnen, sinkt auf der Überfahrt. Pi und eine Handvoll Tiere überleben: ein Zebra, eine Tüpfelhyäne, ein Orang-Utan und der Tiger Richard Parker. Am Ende sind nur noch der Tiger und er auf der ehemaligen „Pi-Arche“, einem Rettungsboot, übrig. Die anderen Tiere sind alle nach und nach zuerst von der Tüpfelhyäne und anschließend von Richard Parker gefressen worden. Pi überlebt, weil er sich ein kleines Floß aus Rettungswesten und Paddeln baut und dies mittels eines Seils am Rettungsboot verknotet. Doch er merkt schnell, dass es nicht so weitergehen kann und beschließt: „Wenn wir zusammen leben wollen, müssen wir lernen, uns zu verständigen.“ Er möchte den Tiger bändigen, dafür will er ihn als Futterquelle abhängig von sich machen, indem er Fische fängt und die Hälfte dem Tiger abgibt. Zum Ausgleich will Pi einen Teil des Rettungsboots wieder für sich beanspruchen können. Damit hat Pi eine wichtige Grundlage für ihr Überleben geschaffen; er übernimmt Verantwortung für sie beide. Als Ausgleich wird ihm die Gewissheit geschenkt, dass Richard Parker da ist, dass er, Pi, 30

nicht völlig allein ist. Es ist also ein gegenseitiges „umeinander Kümmern“ auf verantwortungsvoller Basis in einer Notsituation auf engstem Raum. Man kann diese Erkenntnis auch auf unsere reale Welt übertragen. Menschen nehmen Einfluss auf den Lebensraum vieler Tiere, alles ist mit allem verbunden. Die Welt ist klein, so klein, dass es tatsächlich so wirkt, als seien Mensch und Tier auf einem Rettungsboot, das auf dem riesigen Pazifischen Ozean treibt. So unglaublich es klingt, überstehen sie gemeinsam die 227 Tage auf hoher See. Auch wenn es dem Tiger vielleicht nicht bewusst war, war er doch von Pi abhängig, sie waren aufeinander angewiesen. Verantwortung für das Leben ist auch Verantwortung für den Tiger Um an dieser Stelle tierethisch mit dem US-amerikanischen Philosophen Tom Regan zu argumentieren, sind beide „Subjekte eines Lebens“, beide wollen überleben. Aber nur einer von ihnen ist in der Lage, planend vorzugehen und das Überleben beider zu sichern. Nur eines der beiden Subjekte auf diesem Rettungsboot ist sich der Welt „bewusst“, und das ist Pi. Nur er ist in der Lage, eine „Außensichtposition“ einzunehmen. Diese Möglichkeit ist dem Tiger Richard Parker nicht gegeben. Er würde Pi fressen, wenn er die Gelegenheit dazu hätte. Und was wäre dann? Er würde irgendwann ins Meer springen, vom Hunger getrieben die Fi-


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sche fangen, aber es danach nicht mehr ins Rettungsboot schaffen und dann vermutlich ertrinken. Genau solch eine Szene gibt es im Film und Pi steht vor einer schweren Entscheidung. Es ist eine Gelegenheit, den Tiger loszuwerden, um das Rettungsboot wieder ganz für sich zu haben. Aber wäre das wirklich eine vernünftige Entscheidung? Hier bietet sich ein Blick in das deutsche Tierschutzgesetz an. Dort heißt es in § 1: „Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.“

Der beste Freund und größte Feind Wäre diese Entscheidung „vernünftig“ gewesen? Die Antwort darauf lautet Nein, wie auch Pi sich dagegen entscheidet, den Tiger bei dieser Gelegenheit zu töten, und ihn stattdessen wieder ins Rettungsboot holt, auch wenn er dafür wieder auf seine schwimmende selbst gebaute Insel zurückkehrt und das Rettungsboot größtenteils Richard Parker überlässt. Wie schon betont, sind beide aufeinander angewiesen und überleben auch am Ende, weil Pi die Verantwortung übernimmt. In Buch und Film wird Pi am Ende nicht geglaubt; diese Form der Realität klingt so abwegig in den Ohren der Zuhörenden, dass er ihnen eine andere Geschichte erzählt. Aber ist es so unglaubwürdig, Verantwortung für Tiere zu übernehmen? Hätte es überhaupt einen „vernünftigen Grund“ gegeben? Was wäre in diesem Fall überhaupt vernünftig? Wäre es für Pi vernünftiger gewesen, den Tiger zu töten und so sein eigenes Überleben zu sichern? Aber hängt denn nicht Pis emotionales Überleben auch davon ab, dass Richard Parker überlebt? Lieber mit einem Tiger auf einem Rettungsboot, als völlig allein auf dem Pazifischen Ozean zu treiben, auch wenn der Tiger eine ständige Bedrohung darstellt, das war für Pi die Antwort auf diese Frage. Beide als Subjekte eines Lebens haben ein Recht darauf zu überleben. Am Ende hofft und glaubt Pi, dass er mehr in Richard Parkers Augen gesehen hat als nur das Spiegelbild seiner eigenen Seele.

Text: Kristina Rau Buchcover: © S. FISCHER Verlag GmbH / Frankfurt am Main Illustration: Hülya Yalcin

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Nur mal kurz die Welt retten? Sinn und Unsinn von Freiwilligendiensten

Über dem trockenen Sandboden der Straße flimmert die Hitze. Ab und zu laufen ein paar Hühner vorbei, einige Ziegen, und manchmal kommt sogar einer der Dorfbewohner und grüßt freundlich. Der blaue Himmel strahlt und kein Wölkchen ist zu sehen. Auf der Terrasse eines schlichten einstöckigen Hauses sitzt Luisa und wartet. Denn sie hat Dienst. Freiwillig.

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as Haus, vor dem sie sitzt, ist ein Jugendclub, der als Anlaufpunkt für die Jugendlichen aus dem Dorf dient. Er bietet verschiedene Projekte und seit kurzem auch Kunstworkshops an, für die Luisa verantwortlich ist. Bisher ist sie damit allerdings auf wenig Interesse gestoßen: Die Jungs kommen meisten abends zum Fußballspielen, die Mädchen müssen zuhause helfen und kommen gar nicht in den Club und wenn, dann quatschen sie lieber mit ihren Freundinnen. Irgendwie hatte sich Luisa ihren Freiwilligendienst in Ghana anders vorgestellt, als sie vor sechs Monaten die umfassende Bewerbung für weltwärts abgegeben hatte. Sie ist eine der rund 3500 Freiwilligen, die der entwicklungspolitische Freiwilligendienst seit seinen Anfängen 2008 jährlich in die Welt schickt. Aber nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen westlichen Ländern, in denen Wohlstand und materieller Überfluss herrschen, verspüren immer mehr zumeist junge Menschen den Wunsch, Gutes zu tun. Freiwillig unentgeltlich Hilfe zu leisten, darin sehen viele die Möglichkeit, der Ungerechtigkeit in der Welt etwas entgegenzusetzen. Sie machen sich auf in die sogenannten Entwicklungsländer, in denen die Menschen unter schwierigen materiellen Lebensbedingungen gegen Hunger und Armut kämpfen. Neben der altruistischen Motivation spielen aber auch ganz eigennützige Gründe eine Rolle: Die Gelegenheit, Land und Leute auf eine andere Art und Weise kennenzulernen, um der fremden Kultur ganz authentisch zu begegnen, ebenso wie der Wunsch, neue Erfahrungen zu sammeln. Und im Hinterkopf steckt wohl nicht selten der Gedanke, dass so ein Auslandsaufenthalt natürlich auch im eigenen Lebenslauf gut aussieht. So hatte sich auch Luisa das vorgestellt und dabei ein ganz warmes Gefühl im Bauch gehabt. Doch davon ist in ihrem Alltag hier in Ghana nicht mehr allzu viel übrig geblieben. Statt der erwarteten Abenteuer sitzt sie Tag für Tag auf der Terrasse, hat viel zu viel Zeit an zuhause zu denken und im Heimweh zu baden. Sie sehnt sich nach der deutschen Verbindlichkeit; vieles von dem, was sie seit ihrer Ankunft vor vier Wochen hier besprochen hat, geriet in Vergessenheit und wurde nie umgesetzt. Mit ihrer Ernüchterung ist Luisa nicht allein: Viele Freiwillige machen ähnliche Erfahrungen. Oftmals kommen sie mit marginalen Sprachkenntnissen in das Land und kämpfen mit Kulturschocks.

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Mangelnde Qualifikationen und zu wenige Aufgaben Besonders enttäuscht sind sie, wenn ihre Arbeitskraft, die sie so selbstlos in den Dienst des Guten stellen, nicht so nötig gebraucht wird wie erwartet. Statt Hand anzulegen, bestimmen Langeweile und Unterforderung die Zeit im Ausland. Ein Viertel der Teilnehmenden hält die eigene Stelle als „gar nicht oder kaum für einen Freiwilligen geeignet“ . Knapp die Hälfte gibt an, „sich ihre Arbeit selbst suchen zu müssen“. Ein Drittel der Partnerorganisationen in den Entwicklungsländern hat Probleme damit, überhaupt passende Arbeit für die jungen Freiwilligen zu finden. Dies geht aus den Ergebnissen des Evaluationsberichtes 2011 des Freiwilligendienstes weltwärts hervor. Auch Luisa ist ein bisschen enttäuscht, dass sich die Jugendlichen kaum für ihre Kunstworkshops interessieren. Sie wollte den Auslandseinsatz nutzen, um die in ihrem Studium der Sozialen Arbeit erworbenen pädagogischen Kenntnisse praktisch anzuwenden. Und von ihrer fachlichen Kompetenz profitiert doch auch die Partnerorganisationen - zumindest in der Theorie. In der Realität stellen fachlich qualifizierte Freiwillige allerdings eher die Ausnahme dar; viele sind gerade mit der Schule fertig


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oder wollen einmal etwas ganz anderes machen und sind deswegen entweder ungelernt oder fachfremd. Zusätzlich kommen sie oft mit eingeschränkten interkulturellen Kompetenzen und mangelhaften Sprachkenntnissen ins Land. Welche Organisation in Deutschland würde solch eine Praktikantin oder solch einen Praktikanten nehmen? Womöglich gäbe es sogar eine lokale Fachkraft, die nun arbeitslos zuhause sitzt, statt im Jugendclub, im Kinderheim, im Naturpark oder einem anderen der üblichen Einsatzorte eine bezahlte Anstellung zu erhalten? „Die Ausländer nehmen uns die Arbeitsplätze weg“ lässt sich auch in andere Sprachen übersetzen. Auf der anderen Seiten stellt der Freiwilligendienst dem finnischen Wirtschaftssoziologen Pekka Mustonen zufolge eine Form des Tourismus dar und birgt dementsprechende Potenziale: Die Freiwilligen konsumieren, kurbeln damit die lokale Wirtschaft an, und sie stärken den Tourismussektor. Allerdings müssen die sozialen und ökologischen Gegebenheiten im Land und in der Region immer individuell geprüft werden, so dass am Ende nicht größerer volkswirtschaftlicher Schaden als Nutzen angerichtet wird. Auch hinsichtlich seiner Effizienz in der Entwicklungszusammenarbeit ist der Freiwilligendienst der Kritik ausgesetzt. Als „Tourismusprogram für junge Leute“ sei er das falsche Instrument, um entwicklungspolitische Ziele umzusetzen. Es ginge allerdings nicht um direkte Entwicklungshilfe, argumentiert weltwärts, sondern um entwicklungspolitische Bildungsarbeit und den interkulturellen Austausch. „weltwärts bringt die Welt ein Stück mehr zusammen“ heißt es auf der Homepage. Als Bestandteil solch politischer Bildungsarbeit sucht man sowohl bei weltwärts als auch bei anderen kleineren Organisationen, die Freiwillige ins Ausland vermitteln, vergeblich nach grundsätzlicher Reflexion. Die Idee des Weißen, der den armen Menschen in den Entwicklungsländern großzügig hilft, impliziert Unmündigkeit und Hilfsbedürftigkeit der Einheimischen. Die über Jahrhunderte konstruierte Überlegenheit der Länder des Nordens gegenüber den Ländern des Südens, die Teilung der Welt in entwickelte gegenüber Entwicklungsländern wird dadurch unbewusst reproduziert.

sche. Umso verwunderter war sie, dass einige der Jugendlichen im Dorf ein besseres Smartphone haben als sie. Um Vorurteile tatsächlich abzubauen und zur interkulturellen Verständigung beizutragen, bedarf es begleitender Bildungsarbeit und eines gleichberechtigten Austauschs, um Sensibilität für ungewollt rassistisches Verhalten zu entwickeln. Wie gehe ich mit meinem gesellschaftlichen Status als Privilegierte um? Mit welchen Worten berichte ich zuhause von der anderen Kultur und den Menschen? Das sind in diesem Zusammenhang wichtige Fragen. Immer stärker rückt auch der gegenseitige Austausch in den Mittelpunkt; nicht nur die Menschen in westlichen Ländern sollen das Privileg des Reisens und der Freiwilligenarbeit haben. Weltwärts gab im Februar 2014 den Startschuss für den SüdNord-Austausch, um den gleichberechtigten Austausch zu gewährleisten. Mit Hinblick auf die 7000 deutschen Freiwilligen, die beispielsweise 2011 ausreisten, scheint die Zahl der circa 900 bis 1000 internationalen Freiwilligen in Deutschland noch ausbaufähig. Grundsätzlich hat der Freiwilligendienst für Teilnehmende, Partnerorganisationen und gesellschaftliches Denken eine größere Tragweite als auf den ersten Blick zu erkennen ist. Ob daraus eine Win-win-Situation für alle Beteiligten wird oder ob am Ende mehr Schaden als Nutzen angerichtet wurde, hängt von vielen Faktoren ab. Sind sich die Freiwilligen der Herausforderung und ihrer Rolle als privilegierte Weiße bewusst und wird die Gleichberechtigung zwischen den Menschen aus den Ländern des Nordens und des Südens weiter fokussiert, hat der Freiwilligendienst durchaus das Potenzial, zur interkulturellen Verständigung beizutragen. Auch Luisa konnte nun endlich ein paar interessierte Jugendliche finden; sie wollen morgen Nachmittag nicht Fußball spielen und stattdessen zu ihrem Kunstworkshop kommen. Ganz freiwillig.

Konfrontation mit Stereotypen Die Mehrzahl der Freiwilligen ist sich ihrer Rolle in der Reproduktion von Stereotypen nicht bewusst. Es beginnt mit der Wahrnehmung Afrikas als ein Staat, ohne sich der Vielfalt dieses Kontinents bewusst zu sein. Auch Luisa hatte vor ihrem Freiwilligendienst bestimmte Bilder von Afrika im Kopf: In der Stadt herrscht das Chaos und die Kriminalität; auf dem Land leben die „guten Wilden“ noch ganz ursprünglich in der Großfamilie und sind auch ohne moderne Technik glücklicher als viele Deut-

Text: Lina Schwarz Illustration: Ulrike Bausch

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Die unendliche Anziehungskraft des Sherlock Holmes 1887 ließ der exzentrische Detektiv zum ersten Mal von sich hören. Knapp 130 Jahre später ist er so umtriebig wie eh und je – trotz Sturz vom Hochhaus. Warum Sherlock Holmes nicht totzukriegen ist.

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ls der britische Schriftsteller Arthur Conan Doyle 1887 mit A Study in Scarlett seine erste Geschichte um den charismatischen Sherlock Holmes und dessen Gehilfen und Freund Dr. John Watson veröffentlicht, ahnt er sicher nicht, welch hoher Bekanntheitsgrad diesen Charakteren einmal beschieden sein sollte. Doyle, der sich durch die Schriftstellerei lediglich sein Medizin-Studium finanzieren möchte, stattet seinen Detektiv mit ausgesprochen rationalen und deduktiven Denk- und Handlungsweisen aus. Sich selbst sieht er in der Figur des Dr. Watson beschrieben, aus dessen Sicht die Fälle stets erzählt werden. Nachdem es ihm gelingt, das zu seiner Zeit führende britische Literaturmagazin The Strand von der regelmäßigen Veröffentlichung seiner Geschichten zu überzeugen, kann er ab Beginn der 1890er Jahre ausschließlich von seiner schriftstellerischen Tätigkeit leben. Doch hat er zunehmend das Gefühl, im Schatten seines genialen Detektivs zu stehen und entschließt sich 1893, das Leben seines Protagonisten zu beenden. In The Final Problem lässt er Holmes gemeinsam mit seinem Widersacher Professor Moriarty den Reichenbachfall in der Schweiz hinunterstürzen. Aus Doyles Sicht ist nun der Weg frei für - wie er denkt - anspruchsvollere Arbeiten, die sein Lebenswerk begründen sollen. Die vielen eingefleischten Holmes-Fans sehen das jedoch anders. Über 20.000 Abonnenten büßt das Strand Magazine nach der Auflösung des letzten Problems ein. Sackladungen voll wütender Drohbriefe treffen ebenso ein wie flehentliche Bitten, den geliebten Ermittler doch zurückkehren zu lassen. Man trägt schwarze Armbinden, um Holmes Tod zu betrauern, setzt Petitionen auf und gründet Keep Holmes Alive-Clubs. Doyle selbst wird sogar tätlich angegriffen.

“And the madman himself? He‘s fascinating. Arrogant, imperious, pompous. He‘s not safe, I know that much. I‘m not going to be bored and I doubt we‘re going to be arguing about whose turn it is to pay the gas bill or what we‘re going to watch on the telly. And yeah, he is probably most likely definitely mad. But, he knows a couple of nice restaurants so he‘s not all bad.” The personal Blog of Dr. John H. Watson (http://www.johnwatsonblog.co.uk, My new flatmate, 201087)

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Holmes’ Wiederauferstehung 1903 sieht Doyle sich schließlich gezwungen, Holmes in The Hound of the Baskervilles aus der Welt der Toten zurückzuholen. Als der Autor sieben Jahre später stirbt, hinterlässt er insgesamt vier Romane und 56 Kurzgeschichten des brillanten Ermittlers. Die Faszination um die Figur des Sherlock Holmes hält sich weit über Doyles Tod hinaus. Es folgen zahlreiche Geschichten und Romane, Theaterstücke, fiktive Biografien, Hörspiele, Kino- und Fernsehfilme. Eine ganze Reihe von Detective Comics beschreibt die Treffen des großen Detektivs mit Batman, dem Joker und anderen bekannten Figuren. In seinen neuen Abenteuern trifft Holmes auf Dracula, Dr. Jekyll, die Ghostbusters oder Star Treks Spock und Kirk. Kernstück des Holmes-Vermächtnisses sind die diversen Verfilmungen, von denen die erste 1900 noch als Stummfilm entsteht. 1951 ist erstmals eine BBC-Fernsehserie zu sehen. Die Figur des Sherlock Holmes wird über die Jahre von zahlreichen Schauspielern portraitiert, deren Darstellungen einen großen Einfluss auf Beliebt- und Bekanntheitsgrad des Detektivs nehmen. Besonders hervorzuheben sind Basil Rathbone, Peter Cushing, Christopher Lee und Jeremy Brett. Insgesamt wurde die Figur des Sherlock Holmes bisher von 81 Schauspielern in 127 Filmen verkörpert, womit er es als die am häufigsten auf der Leinwand dargestellte Figur sogar ins Guinness-Buch der Rekorde schafft.


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Im Kino konnte man den eigensinnigen Ermittler zuletzt in den Guy Ritchie-Verfilmungen Sherlock Holmes (2009) und Sherlock Holmes: A Game of Shadows (2011) bewundern, jeweils mit Robert Downey Jr. und Jude Law in den Hauptrollen. Beide Filme sind kommerziell äußerst erfolgreich. Aktuell gleich zwei Serien-Highlights Momentan machen gleich zwei Serien-Verfilmungen von sich reden. Während die Geschichten um den großen Detektiv bisher fast ausschließlich in Doyles viktorianischem England angesiedelt waren, werden sie hier in die Jetztzeit verlegt. Die BBC-Serie Sherlock mit Benedict Cumberbatch und Martin Freeman in den Hauptrollen erfreut sich bei Publikum und Kritikern großer Beliebtheit. Das amerikanische Elementary kann hier nicht

“His very person and appearance were such as to strike the attention of the most casual observer. In height he was rather over six feet, and so excessively lean that he seemed to be considerably taller. His eyes were sharp and piercing (…) and his thin, hawk-like nose gave his whole expression an air of alertness and decision. His chin, too, had the prominence and squareness which mark the man of determination. His hands were invariably bottles with ink and stained with chemicals, yet he was possessed of extraordinary delicacy of touch, as I frequently had occasion to observe when I watched him manipulating his fragile philosophical instruments.” Dr. Watson über seine erste Begegnung mit Sherlock Holmes (Arthur Conan Doyle: A Study in Scarlett, 1887)

mithalten. Sherlock besteht bisher aus drei Staffeln mit je drei 1½-stündigen Episoden, die seit 2010 regelmäßig in Zweijahresabständen ausgestrahlt werden. Besonders gelobt wird die Serie für die hohe Qualität von Drehbuch, Regie und schauspielerischer Leistung der Darsteller. Sie wurde bereits mit diversen Preisen ausgezeichnet; zuletzt konnte sie bei den Primetime Emmy Awards gleich drei wichtige Preise einfahren, unter anderem für den besten Hauptund Nebendarsteller. Dabei zeichnet sie sich vor allem durch ihre Detailverliebtheit aus, mit der die ursprünglichen Doyle-Geschichten gekonnt ins 21. Jahrhundert übertragen werden. Man merkt, dass die Schöpfer der Serie, Mark Gattis und Steven Moffat, selbst bekennende Doyle-Fans sind. So zum Beispiel in der letzten Episode der zweiten Staffel – The Reichenbach Fall – in der Sherlock Holmes von seinem Widersacher Moriarty dazu gezwungen wird, sich von einem Hochhausdach zu stürzen. Nicht nur die Todesart erinnert hier an Doyle. Auch die Reaktionen der Fans sind ähnlich überschwänglich. Hashtags wie #IBelieveInSherlockHolmes, #MoriartyWasReal, #IFightJohnWatsonsWar oder #SherlockLives – letzterer schaffte es sogar in die Twitter-Charts – zeigen, wie sehr man hier mit den Charakteren mitleidet. Auch in unserer Uni lassen sich diverse Hinweise auf die Serie finden – man muss nur die Augen offen halten. Voraussichtlich Ende 2015 darf mit drei neuen Episoden sowie einem Weihnachtsspecial gerechnet werden. Wer sich die Wartezeit bis dahin vertreiben möchte, der wird sicherlich im weit gestreutem Fandom fündig. Unzählige Fanfiction, Zeichnungen, Videomontagen, selbst geschriebene Songs, ja, sogar ein Fan-Musical kursieren online. Wem das noch nicht reicht, der kann sich im immer größer werdenden Merchandising austoben. An der BBC-Hitserie kommt man kaum noch vorbei – und das zu Recht. Sicherlich kurbelt ihre Popularität auch noch einmal den Bekanntheitsgrad der originalen Arthur Conan DoyleGeschichten an. Wer sich also bisher noch in keiner Form mit Doyle und seinem verschrobenen, aber ausgesprochen sympathischen consulting detective befasst hat: Auf geht’s! Ihr werdet es nicht bereuen. Text: Annette Bögelsack Illustration: Wienke Menges (rechts) & Sidney Paget in The Strand Magazine bei Pinacotheca Holmesiana (links) 35


Impressum

Foto: Katrin Pleus

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Scheinwerfer - Bremens freies Unimagazin c/o Allgemeiner Studierendenausschuss der Universität Bremen Bibliothekstraße 3/StH D-28359 Bremen scheinwerfer@uni-bremen.de

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Ulrike Bausch (Ressortleitung), Samira Kleinschmidt, Wienke Menges, Katrin Pleus, Laura Schimmöller, Isabel Weiss, Hülya Yalcin

Mitwirkende Redakteure:

Annette Bögelsack, Tanja Koelen, Pia Zarsteck, Henning Böhm, Asima Amriko, Kristina Rau

Öffentlichkeitsarbeit Jennifer Gätjen

Lektorat: Gerd Klingeberg Titelbild: Samira Kleinschmidt Druck: Druckerei Brüggemann Auflage: 3000 Für den Inhalt der einzelnen Artikel sind die Autoren verantwortlich. Die in Artikeln oder Kommentaren zum Ausdruck kommende Meinung spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider. Alle Angaben ohne Gewähr. Zur besseren Lesbarkeit werden in dieser Publikation häufig geschlechterspezifische Formulierungen auf die maskuline Form beschränkt. Die weibliche ist selbstverständlich mit implizert. Herausgeber dieser Zeitung ist die Studierendenschaft der Universität Bremen. Der Scheinwerfer finanziert sich durch die allgemeinen Studierendenbeiträge.


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