reiff.life SS21 - Sehnsucht - Extra - Gespräch

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Politische Politische Architektur Architektur

Wrapped Hauptgebäude: Ein wenig Christo und Jeanne-Claude zum Jubiläum der RWTH Wrapped Hauptgebäude: und Todesjahr Christos Ein wenig Christo und Jeanne-Claude zum Jubiläum der RWTH und Todesjahr Christos

Architekturstudium online

Raumgeber Arbeitsräume während Covid-19, Studium ohne Reiff als Raumgeber Wird hergestellt wird, wird, als als sein sein nichts nichts geschegeschehen? W ird die etablierte Lehre nach der Pandemie wieder hergestellt hen?

Ökologisches Bauen Bauen Ökologisches Ideologieaufklärung als als Lehraufgabe? Ideologieaufklärung Politische Aushandlungsprozesse und ökologisches Bauen sind untrennbar Politische Aushandlungsprozesse und ökologisches Bauen sind untrennbar

Ist die Reflexion von Ideologie im Sinne von Weltanschauung Lehraufgabe? Sollten Entwurfslehrstühle ihre Philosophie und Ideale weniger indirekt und diskret kommunizieren?

Lehraufgabe? Umgang mit Faschistischer Architektur? Faschistische Architektur? Ist die Reflexion von Ideologie im Sinne von Weltanschauung Lehraufgabe? Sollten Entwurfslehrstühle ihre Philosophie und Ideale weniger indirekt und diskret kommunizieren?

Kann politische Bedeutung und autonome Form getrennt werden? Ist es möglich unpolitisch zu Bauen?

Kann politische Bedeutung und autonome Form getrennt werden? Ist es möglich unpolitisch zu Bauen?

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Politik in der Architektur, Lehre und dem Reiff Im Gespräch mit Dr. Frederike Lausch von Marlene Maier und Marlon Brownsword

Dr. Frederike Lausch Derzeit Tätig an der TU Darmstadt. Im WS 20/21 beteiligt an der Vorlesungsreihe „Das Politische in der Architektur“, des Architekturtheorielehrstuhls der RWTH.

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Dieses Zitat diente als Ausgangspunkt für die Überlegungen und Fragen. Es meint nicht, dass die Beteiligten eine der beschrieben Positionen annehmen.

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„‚Architektur versus Soziologismus‘: Diese Leseart ist freilich irreführend. Sie macht aus Architekten politisch bewusstlose Technokraten oder Ästheten. Umgekehrt geht sie davon aus, dass gesellschaftspolitisches Engagement in der Architektur gleichbedeutend mit Verachtung für ästhetische Fragen sei. Als falsche Dichotomie verdeckt sie, dass das scheinbar politische Desinteresse der Vertreter einer autonomen Architektur selbst ein politisches Statement ist, genauso wie sie verhindert, dass genauer nachgefragt wird, warum die angeblichen „Soziologen“ in der Architekturlehre einer Entwurfslehre so ablehnend gegenüber stehen.“1 reiff.life: Hallo Frederike Lausch. Im vergangenen Semester wagte der Architekturtheorielehrstuhl mit der Vorlesungsreihe und den Montagabendgesprächen über „Das Politische in der Architektur“ eine Öffnung für politisch-aufklärende Architekturlehre, als - so unsere Wahrnehmung - Ergänzung zu der sonstigen Produktion von Projekten, deren politische Dimension häufig unausgesprochen oder kaum berührt bleibt. Ist der Zeitpunkt der Vorlesungsreihe zufällig entstanden oder wurde derzeit ein gewisses Potenzial gesehen, welches Ihr ergreifen wolltet?

Schnell, Angelika. „Von Jörn Janssen zu Aldo Rossi. Eine hochschulpolitische Affäre an der ETH Zürich.“ ARCH+, Ausgabe 215, Frühjahr 2014. S.16.

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Es gab eine Schnittmenge von unseren Interessen und das war das Politische. Nichtsdestotrotz war es auch unser Anliegen, dass die kulturellen und historischen Grundlagenfächer dafür da sind, gesellschaftliche Themen anzusprechen und auch verschiedene Perspektiven darauf zu geben, sodass es zu einer Diskussion kommt. Wir waren damals zu dritt: Duy Mac kommt von der politischen Theorie und arbeitet zu Architektur und Demokratie; Axel Sowa hatte gerade das Buch über das Politische von Chantal Mouffe gelesen und ich war gerade fertig mit dem Faschismus und Architektur Projekt und im Grunde haben alle meine Projekte etwas mit dem Politischen zu tun. Ich finde schon, dass das Politische gerade generell ein vieldiskutiertes Thema ist und dass wir einen Architekturdiskurs haben, in dem über gesellschaftspolitische Prozesse nachgedacht wird. Wir sind ja nicht mehr in einer Zeit, in der wir nur über Form und Ästhetik diskutieren. Ihr könnt mir da auch widersprechen, vielleicht ist es auch nur die Blase, in der ich unterwegs bin. Ich interessiere mich für diese Themen und lese dann natürlich nur das und denke mir dann „Hey, der ganze Architekturdiskurs geht ja nur darum!“, aber vermutlich gibt es parallel dazu ganz andere Diskurse, in denen Politik überhaupt keine Rolle spielt. Ich habe aber schon das Gefühl, dass das Thema gerade von Relevanz ist und das zeigt sich ja auch darin, dass sich drei PerFrederike Lausch:

sonen treffen, bei denen das Politische die Schnittmenge ist. Ja, wir hatten auch das Gefühl, dass durch die Corona-Krise eine verstärkte Auseinandersetzung mit Politik in vielen Bereichen zu bemerken ist. Gerade auch in der politischen Dimension der Architektur. Deswegen dachten wir, dass ein Zusammenhang damit bestehen könnte, dass gerade jetzt eine Vorlesungsreihe zu dem Thema an der Fakultät entstanden ist. Du warst und bist an technischen Universitäten tätig. Glaubst Du, dass es da einen Unterschied gibt zu Hochschulen, bei denen die „Humanwissenschafen“ im Vordergrund stehen? Was war Dein Erlebnis mit der Architekturfakultät der RWTH im Zusammenhang mit Deinen Forschungsinteressen? Marlon Brownsword:

Lausch: Was mich an der RWTH interessiert hat, ist, dass es Lehrstühle für Architekturgeschichte, Architekturtheorie, Kunstgeschichte und Denkmalpflege gibt. Das sind unfassbar viele Lehrstühle, die sich mit historischen und kulturgeschichtlichen Themen beschäftigen. Ich habe an der Bauhaus-Universität studiert, die ja keine technische Hochschule ist, und wir hatten in dem Feld quantitativ weniger Angebot. Ich weiß gar nicht, ob es überhaupt so ist, dass die technischen Universitäten den Fokus verstärkt auf die Technik legen, wobei man sich dann auch Frederike

Sehnsucht nach mehr?: Mouffe, Chantal. On the Political (Thinking in Action). 2015.

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immer fragen muss, was man unter Technik eigentlich versteht. Ich habe mich in meiner Dissertation mit Gilles Deleuze beschäftigt und wenn man mit Deleuze und Michel Foucault auf Technik schaut, dann kann man das von sozialen Themen gar nicht trennen.

dann schöpft man eigentlich aus dem, womit man sich außerhalb des Entwurfs beschäftigt hat. Das muss nicht zwingend die Lehre sein, das können auch studentische organisierte Vorträge sein oder andere Dinge, mit denen man sich beschäftigt und über die man diskutiert hat.

Es ist spannend, wenn Du darüber redest, weil wir haben jetzt natürlich die Perspektive der Studierenden und als wir vorher darüber geredet hatten, hatten wir schon den Eindruck, dass das in der Lehre irgendwie nicht so herüber kommt. Vielleicht aus Zeitmangel auch, also dass es zwar viele Lehrstühle gibt, die sich damit beschäftigen, aber wir als Studierende oft in so eine Ecke gedrängt werden, wo der Entwurf so viel Raum einnimmt, dass wir uns mit solchen Themen gar nicht so viel beschäftigen wie wir vielleicht gerne würden oder denken, dass wir sollten. Vielleicht ist das eher das Problem.

reiff.life: Glaubst Du, dass nach der Pandemie die etablierte Lehre wieder hergestellt wird, als sein nichts geschehen? Oder kann das räumliche „Vakuum“ der digitalen Lehre die Disziplin des „Raumdenkens“ – der Architektur – verändern? Siehst Du hier Potenzial für Intervention? Geht von der durch Corona ausgelösten Krise, in der sich die Universitäten weltweit und auch hier am Reiff befinden, ein Potential für Intervention in der Architekturlehre aus?

Marlene Maier:

Frederike Lausch: Da gebe ich Dir recht

und meine persönliche Meinung ist, dass man so viel Zeit in den Entwurf steckt und später, wenn man arbeitet, ist es eigentlich egal, ob man auf den Entwurf eine 1,3 bekommen hat oder eine 2,3 und wie viel Zeit man dafür investiert hat. Wenn man später etwas machen will, worauf man stolz ist, was einen vielleicht auch interessiert, was auf irgendeine Art und Weise einen Beitrag liefert zu gesellschaftlichen Themen,

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Lausch: Was ich gut finde ist, dass die Personen geografisch sitzen können, wo sie wollen. Das ist auch für die Lehre wichtig: Ich kann Leute einladen, die in Brasilien sitzen und etwas über die dortige Bautätigkeit erzählen, und ich muss mir keine Gedanken darüber machen, wie sie hier herkommen. Gleichzeitig bedeutet das oft auch, dass die Person dafür kein Geld bekommt. Das ist unbezahlte Arbeitszeit, zwar nicht für alle, denn wer einen 100% Vertrag hat, für den ist es vertretbar. Was ich negativ an der digitalen Lehre finde – und das spielt jetzt super viel mit dem Frederike


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Politischen zusammen – sind die Kommunikationsströme. Man hat in der digitalen Lehre, und auch wenn man sich digital in Forschungsgruppen trifft, nur die dominante Kommunikation. Im besten Fall redet die lehrende Person mit den Personen, die sich trauen etwas zu sagen, aber es gibt keine parallele Kommunikation. Das kann über den Chat funktionieren, aber wenn Ihr beide jetzt hier im Chat miteinander redet, dann kriege ich das nicht mit. Aber wenn wir in einem Raum sind und Ihr jetzt kurz miteinander redet, kriege ich ein Gefühl für „Stimmen die Personen mir zu? Finden sie das total langweilig?“ man erhält viel mehr Feedback. Bei Forschungsgruppen ist das extrem kritisch, weil man verschiedene Ebenen hat: die professorale Ebene, Post-Docs, Doktorand:innen und vielleicht wissenschaftliche Hilfskräfte. Bei solchen Treffen redet in der Regel hauptsächlich die professorale Ebene. Gleichzeitig würde man aber mit seinem Nachbarn reden: „Hm? Ist das wirklich so?“, und dann würde die Person vielleicht sagen: „Ja, aber es gibt auch Leute die sagen, dass es so und so ist“. Und dann fängt ja erst ein kritisches Bewusstsein an. Dann weiß ich, es gibt nicht nur die gerade dominante Ansicht, sondern auch kritische Stimmen. Ich weiß nicht wie es Euch geht. Ihr habt ja sonst auch in einem Seminarraum viel mehr miteinander interagiert, oder? Marlene Maier:

Ja, auf jeden Fall. Ich

habe es gerade bei einem Seminar extrem gemerkt, also da sind wir auch nicht so wahnsinnig viele Leute, also so sechs sind da in der Regel immer anwesend, und es ist schon ein Seminar, in dem man eigentlich eher diskutieren muss. Und da merkt man das total. Also dass auch keine „Wissensabprüfung“ untereinander stattfindet. Man hat danach auch das Gefühl, es entsteht keine richtige Diskussion, weil die Leute auch eher angehalten sind, nichts zu sagen. Da besteht ein großer Unterschied zwischen dem, der das Seminar leitet und denen die teilnehmen, sodass man das Gefühl hat, man lässt sich so berieseln. Man merkt aber, dass das für alle Beteiligten total frustrierend ist. Und ich sitze dann manchmal so da und denke mir „Ich würde jetzt gerne irgendwie was beitragen“, aber dadurch, dass die wechselseitige Kommunikation so wenig stattfindet, hat man halt auch nicht so viele Anstöße, sich zu äußern. Lausch: Wenn man Kritik an etwas äußern möchte, muss man schon ein gewisses „Standing“ haben, um sofort seine Kritik kund zu geben. Und wenn wir in hierarchischen Räumen sind, was ja zwischen Lehrenden und Lernenden schon so ist, dann braucht es eine Weile, bis man die Kritik auch wirklich äußert. Aber wenn es viele sind, die kurz miteinander interagieren können und wissen: „Okay, die und die Personen denken genauso wie ich“, dann bin ich viel eher bereit Kritik zu äußern Frederike

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oder zu sagen: „Das verstehe ich nicht“ und dann kommt man peu à peu zu politischen Prozessen. Ich möchte ja kein Seminar machen, wo ich mein „tolles Wissen“ weitergebe. Das ist natürlich auch wichtig, aber ich will mit Personen diskutieren. Dann weiß ich auch erst, ob das überhaupt Sinn macht, was ich erzähle oder nicht. Deshalb glaube ich schon, dass wir wieder zur physischen Lehre in einem Raum zurückkehren werden. Ich denke, was sich ändern wird, und das ist dann wieder eine Aufgabe für angehende Architekt:innen, ist, dass man viel mehr darüber nachdenken muss, wie hybride Seminarformen funktionieren können. Also, dass es nicht nur einen Projektor gibt, mit dem eine Person an die Wand geworfen wird, sondern es ist eine Aufgabe für kommende Generationen von Entwerfenden, sich zu überlegen, wie ein Raum funktionieren kann, in dem es möglich ist, sowohl analog als auch digital sinnvoll miteinander zu kommunizieren. Ich glaube nicht, dass das Digitale das Analoge komplett ersetzen wird, aber es muss einen hybriden Ansatz geben, und das ist auch eine gestalterische Aufgabe. Ich würde gern Eure Einschätzung zum politischen Austausch wissen – Ihr seid ja alle politisch, denn selbst wenn jemand sagt, dass er unpolitisch ist, ist er politisch und will, das alles so bleibt wie es ist, was auch eine politische Meinung ist. Man ändert und stärkt seine politische Meinung oft nur, wenn man mit anderen Meinungen

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konfrontiert wird und ich erinnere mich an eine Situation an der Uni in Frankfurt, da war ich in einem Gebäude und habe eine Kollegin abgeholt, und dann lagen da so Flyer von der Identitären Bewegung. Ich mir den angeschaut und konnte mich dadurch erst kritisch damit auseinandersetzen. Und wenn ich jetzt nur Zuhause bin und mich digital nur so dazu schalte, dann komme ich nie auf solche Fundstücke, seien sie positiv oder negativ. Logischerweise bin ich kein Freund der Identitären Bewegung. Mein Eindruck ist, das so ein Zusammenstoß mit anderen Meinungen gar nicht mehr stattfindet. Außer Ihr sagt jetzt, Ihr benutzt so viel Twitter und Instagram und Ihr bekommt diese Fundstücke über soziale Medien. Maier: Ich habe das Gefühl, dass da in den sozialen Medien schon genug Austauschmöglichkeit herrscht. Also man redet ja immer von Filterblasen etc., aber sobald ich mir eine Kommentarspalte angucke, kriege ich, glaube ich, schon deutlich mehr mit, als wenn ich in der Uni bin, wo ich wirklich davon ausgehe, in einer Blase zu sein oder dass sich zumindest die Leute, die einer Meinung sind, sehr schnell finden, um es mal anders zu formulieren. Also das habe ich nicht wirklich als Gefahr empfunden im politischen Prozess. Ich habe eigentlich eher das Gefühl, dass unsere Generation sich stärker politisiert durch Corona. Also ich kann jetzt nur für mich Marlene


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sprechen, aber ich habe jetzt viel mehr Interesse daran, irgendwie auch politisch Verantwortung zu übernehmen, wenn es denn wieder möglich ist, das in offenen Gruppen zu tun. Es ist so ein Bedürfnis, das sich dadurch so bei eingestellt hat. Man ist jetzt so isoliert und dadurch steigt das Bedürfnis, gemeinschaftlich etwas zu machen. Dafür ist das Magazin vielleicht ein gutes Beispiel. Wäre das politische Engagement dann eines in politischen Parteien oder her Austausch mit anderen Menschen, vielleicht auch in Vereinen? Frederike Lausch:

Marlene Maier: In meinem Fall jetzt eher

parteilich, weil ich das Gefühl habe, da ist die Tragweite ein bisschen absehbarer. Selbst, wenn es nur kommunal ist. Aber man merkt auf einmal, was das eigentlich bedeutet, wenn einem der städtische Raum so entzogen wird, wie wichtig der auf einmal wird. Daher kam das so. Vielleicht können wir hier auf die Unterscheidung zwischen Politik und das Politische eingehen. Politik verweist auf die Parteilandschaft, Regierungen, Staatsformen, also die offizielle und legitimierte Form, bei der das Volk repräsentiert wird und es um Machtkonstellationen geht. Davon unterschieden wird der Begriff des Politischen als eher freien und kommunikativen Raum im Sinne von Frederike

Lausch:

Öffentlichkeit. In diesem Raum handeln wir alle miteinander aus, wie wir gemeinsam handeln und wie wir miteinander umgehen wollen. Deshalb habe ich gefragt. Denn ich habe das Gefühl, dass es eher die Öffentlichkeit ist, die fehlt, dieser Raum zu kommunizieren, der aber auch durch die sozialen Medien aufgefangen wird. Das Spannende am Begriff des Politischen ist ein feiner Unterschied im Verständnis: Hannah Arendt geht von einem freien Kommunikationsraum aus. Dann gibt es Personen, die sagen, dieser Kommunikationsraum ist vor allem durch Konflikte geprägt. Da wären wir bei Carl Schmitt, der sagt, es sind die Antagonismen, die diesen Raum bilden. Also es gibt Machtkämpfe, Konflikte Freund-Freind-Konstellationen und man will eigentlich gewinnen. Und Chantal Mouffe sagt wiederum, es sind keine Antagonismen, sondern Agonismen: Es sind keine Freund-Feind-Konstellationen, sondern Gegner, die eine legitime Position besitzen. Man will diesen Gegner nicht vernichten, sondern man muss die Interessen der verschiedenen Gruppen aushandeln und wer die besseren Argumente und den größeren Einfluss hat, setzt sich durch. Und so war das auch bei der Vorlesungsreihe, es ging um das Politische und nicht um Politik in dem Sinne, dass wir über Regierungen oder politische Parteien reden. Marlon Brownsword: Es ist passend, dass

Du Hannah Arendt erwähnst, denn der

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Begriff der Krise, den wir hier verwenden und über den wir eben gestolpert sind, stammt eigentlich von ihrem Verständnis. Also der Krise im Sinne einer Ausnahmesituation und einen Bruch in der Kontinuität der gewohnten Rituale und Rhythmen, in welcher das Potenzial für Veränderung und politische Entscheidung besteht. Wir denken so ein kollektives Unwohlsein, ausgelöst durch einen Bruch, ist in vielen Bereichen, wie auch der Lehre zu bemerken. Naja, das Problem bei dem Begriff „Krise“ ist, dass es eine Krise meiner Meinung nach erst gibt, wenn sie im öffentlichen Diskurs als Krise wahrgenommen wird. Wenn festgestellt wird „Wir haben ein Problem. Das müssen wir angehen.“ Was Ihr beschreibt, ist Eure Wahrnehmung, die total wichtig ist, aber es gibt noch keinen gesamtgesellschaftlichen Konsens darüber, dass eine bildungspolitische Krise besteht. Es kann diesen Konsens geben, wenn Ihr das mehr äußert und mehr formuliert und Forderungen stellt. Dann kann es zu einen gesellschaftlichen Diskurs kommen. Frederike Lausch:

reiff.life: Denkst Du Reflexion von Ideologie im Sinne von Weltanschauung ist Lehraufgabe? Wie kann diese im Reiff/Curriculum integriert werden? Sollten Entwurfslehrstühle ihre Philosophie und Ideale weniger indirekt und diskret kommunizieren?

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Frederike Lausch: Ich finde schon, dass

es wichtig ist, über Weltanschauungen zu sprechen, zumindest um ein Bewusstsein darüber zu schaffen. Als ich Architektur studiert habe, habe ich mir nie Gedanken darüber gemacht, welche Ideologie die Entwurfslehrstuhlinhaber:innen eigentlich besitzen. Das ist mir erst im Nachhinein bewusst geworden. Vielleicht macht man sich damit nicht unbedingt beliebt, aber man müsste eigentlich alle Entwurfsprofessor:innen fragen: „Was ist Ihre politische Grundeinstellung?“, vielleicht nicht so direkt, aber man könnte Fragen stellen, anhand denen man das herausfindet. Das heißt dann auch nicht, dass nur weil die Person eine andere politische Einstellung hat man selbst, man diesen Entwurf nicht macht. Darum geht es gar nicht. Die Uni ist ja auch ein Feld, wo ich ganz viele verschiedene Positionen mitkriege. Und daher kann ich einen Entwurf machen bei jemandem, der ein konservatives Weltbild hat, und dann noch einen Entwurf bei jemandem, der eher progressiv eingestellt ist oder links ausgerichtet ist oder sagt: „Neoliberalismus finde ich total super, das ist der richtige Weg.“ Ich glaube nicht, dass die Personen das von sich aus klar ausdrücken müssen, denn es ist schwierig, sich selbst zu positionieren. Aber als Studierende scheint es mir wichtig, sich zu überlegen, mit welcher Person man da eigentlich konfrontiert ist. Weil es ist ja keine neutrale Entwurfslehre, es sind immer einzelne


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Personen, bei denen man eine bestimmte Art zu entwerfen lernt. Dafür ein Problembewusstsein zu schaffen, ist Aufgabe der Studierenden selbst sowie von Lehrstühlen wie beispielsweise Architekturtheorie. Weil als Personen, die über Theorie nachdenken, muss man thematisieren, dass Theorien immer mitprägen, was entworfen wird. Aber ich glaube nicht, dass man das direkt im Curriculum verankern kann. Es muss auch nicht immer ein Seminar zum Thema „Das Politische in der Architektur“ geben, das wäre auch zu didaktisch. Wichtig sind Seminare, in denen man über so etwas diskutieren kann. Als ich in der Türkei studiert habe, hatte ich ein Seminar zu Feminismus. Das war kein Seminar direkt über Architektur und Politik, aber man hat trotzdem über politisch relevante Themen gesprochen und darüber, wie sie mit der Architektur verbunden sind. So kann man ein Bewusstsein auch schaffen. Architekturgeschichte hatten wir damals im ersten und zweiten Semester und ich habe davon sehr wenig mitbekommen. Ich habe die Bedeutung gar nicht begriffen. Der Grund hierfür war unter anderem, dass das eine Art von Architekturgeschichtsdarstellung war, die ganz klassisch die Epochen und kanonische Werke durchgegangen ist, so wie man das aus der Schule kannte. Und das war wirklich nicht spannend. Dabei ist Architekturgeschichte unfassbar spannend. Alleine, wenn man sich überlegt, seit wann gibt es eigentlich Bauherr:innen bzw.

wer hat wann entschieden, was gebaut wurde. Über solche Themen der Organisation von Architekturproduktion könnte man von Anfang an verstehen, warum ich mich eigentlich mit der Antike oder dem Mittelalter beschäftigen muss: um zu erfahren, wie das architektonische Schaffen fernab von Stilfragen früher funktionierte und vielleicht in Zukunft funktionieren kann. Ich glaube aber, dass es nun eine neue Generation von Lehrenden gibt, die das heute anders machen. Marlene Maier: Bei uns war das genauso

in der Lehre. Und ich finde auch rückblickend, das ist mir auch erst letztens aufgefallen, total interessant wie unglaublich eurozentrisch das war. Das ist mir währenddessen überhaupt nicht aufgefallen, aber wenn man sich diese Vorlesungen angehört hat, könnte man meinen, es wurde nur in Europa gebaut. Frederike Lausch: War bei mir ganz ge-

nauso und das muss sich ändern. Es gibt den Fokus auf „Global History“, also die Idee, das man auch eine andere Art von Geschichte erzählen kann, bei der globale Warenströme, Materialbeschaffung und die Herkunft von Arbeitskräften, interkulturelle Austauschprozesse etc. thematisiert werden. Ich denke, das wird sich durchsetzen. Wir werden immer weniger eurozentrische Architekturdarstellungen sehen. Aber das ist wie bei vielen Veränderungen, das geht

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halt einfach nicht schnell. reiff.life: Wie bewertest Du die aktuelle Ausrichtung des Architekturcurriculums in Bezug auf seine Praxisfähigkeit? Sollte diese überhaupt im Vordergrund stehen?

Die Zeit der Ausbildung ist eigentlich nicht die, in der ich alles lernen muss, was ich später im Büro gebrauchen kann. Vieles kann ich später auch im Büro lernen. Ich weiß noch, wir haben damals die Vergabeordnung gelernt und mussten sie auch in einer Prüfung wiedergeben und, ganz ehrlich, das habe ich mir nicht gemerkt und warum auch? Das könnte ich wunderbar im Büro lernen. Aber was wir hätten machen müssen, wäre zu überlegen: Was bedeutet diese Vergabeordnung eigentlich für die Architekturproduktion? Könnte man das vielleicht auch anders organisieren? War das mal anders organisiert? Was sind die Vor- und Nachteile? Im Grunde muss man die Sachen ja problematisieren, damit man dazu eine eigene Position entwickeln kann. Man kann natürlich auch sagen „Alles ist super!“ und dann wendet man das an, aber ich finde, Lehre muss problematisieren. Frederike

Lausch:

Es gibt immer wieder Stimmen die bemerken, dass das Architketurstudium zu wenig praxisbezogen sei. Gleichzeitig bleiben aber häufig die Gesellschaftswissenschaften auf der Strecke, Marlon Brownsword:

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sodass man sich als Architekturstudent weder gut für die Praxis im Büro vorbereitet fühlt noch ohne weiteres in die Forschung einsteigen kann. Die Universität ist ja vor allem ein akademischer Ort, in welchem theoretisch agiert wird. Wie bringt man das mit der Praxisausbildung zusammen oder sollten diese beiden Ansätze getrennt sein? Lausch: Die Frage ist, an was für eine Praxis denken wir. Man kann sich auch eine andere Praxis als die vorherrschende vorstellen. Dafür braucht man das Hinterfragen. Wenn Ihr jetzt zum Beispiel noch nie davon gehört habt, dass es ab den 1960er Jahren Ideen des partizipativen oder kollektiven Entwerfens gab, dann könntet Ihr euch gar nicht überlegen, ob Ihr darauf Lust hättet oder ob Ihr in ein ganz normales Büro wollt. Dafür muss man die Sachen kennen gelernt haben. Das ist natürlich keine Praxistauglichkeit, aber wenn man zukünftige Architekt:innen nur auf die jetzige Praxis ausrichtet, verliert man die Möglichkeit, dass sich alternative Praxen entwickeln. Aber es wäre interessant zu wissen, was den Leuten, die von einer fehlenden Praxistauglichkeit sprechen eigentlich genau fehlt. Welche „Skills“ fehlen den Architekturstudierenden? Frederike

reiff.life: Ist es Ihrer Auffassung nach möglich unpolitisch zu bauen? Frederike

Lausch:

Ob Bauen immer


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politisch ist, berührt viele Punkte. Alleine schon die Frage „Für wen baue ich eigentlich?“ oder „Bei welchen Architekturwettbewerben mache ich mit?“ sind politischer Natur. Und es kommt direkt die ökonomische Abhängigkeit auf den Plan. Kann ich es mir leisten, mir zu überlegen, für wen ich baue und bei welchem Architekturwettbewerb ich mitmachen möchte? Das meinte ich vorher damit, dass, wenn ihr Alternativen kennt, dann könnt Ihr vielleicht überlegen auf ein Nettogehalt von 2000oder 2500€ in einem Architekturbüro zu verzichten. Anstatt für eine Person zu arbeiten, für die Ihr vielleicht nicht arbeiten möchten, könntet Ihr akzeptieren, weniger Geld zu verdienen und vermutlich auch in prekären Arbeitsverhältnissen zu sein, dafür aber vielleicht Sachen zu machen, die Ihr für gesellschaftlich relevanter haltet oder wo das soziale Umfeld irgendwie stimmt. Aber diese Entscheidung kannst Du nur treffen, wenn Du weißt, ob und wie das Menschen vor einem selbst hinbekommen haben. Dann kann man abwägen. Aber das Problem ist immer die ökologische Abhängigkeit. Sie ist der Faktor, weswegen wir politische Entscheidungen oft nicht treffen können. Es hat Konsequenzen, will sagen: Widerstand ist immer gefährlich, immer prekär, nie komfortabel. Dann kann nach der ökologischen Bilanz und Materialentscheidungen gefragt werden: Woher kommen die Materialien und wo sind sie entstanden? Gibt es ökologi-

sche und faire Alternativen? Auch das ist eine politische Entscheidung. Zudem können wir über den Architekturdiskurs sprechen: Ich selbst kann den Diskurs über das, was ich baue, bestimmen, aber nur, wenn ich medienwirksam bin oder besser: Medienaufmerksamkeit erhalte. Ich kann dann eine Grundeinstellung vermitteln und politische Positionen formulieren. Die politische Stellung zum Bauvorhaben muss kommuniziert werden, damit Personen, die das Gebäude betrachten oder nutzen, überhaupt wissen, was damit gemeint ist oder war. Die Zukunft der Nutzung des Gebäudes und dessen Wahrnehmung ist aber schwer vorherzubestimmen. Womöglich wird ein Gebäude zu einem späteren Zeitpunkt unvorhergesehen zur Parteizentrale oder Bühne für Demonstrationen. Viele Aspekte darüber, wie ein Raum in der Gesellschaft wahrgenommen wird, können nicht vorherbestimmt werden. Mein Fazit lautet also: Nein, man kann nicht unpolitisch bauen. Aber man kann nicht die gesamte Verantwortung nur von Architekt:innen tragen lassen. Es sind gesamtgesellschaftliche Prozesse. Wäre es vorstellbar einen gezielten Versuch zu betreiben ein neutrales, unpolitisches Gebäude zu planen? Oder ist dies vom Vorhinein zum Scheitern verurteilt? Marlon

Brownsword:

Frederike

Lausch:

Sie können versu-

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chen, ein unpolitisches, neutrales Gebäude zu planen, aber Sie haben immer implizit politische Vorstellungen. Allein eine kleine Bauaufgabe wie die einer Küche zeigt dies bereits. Eine funktionale Küche sollte vor allem praktisch sein: kurze Wege, platzsparend etc. Es wurde aber teilweise nicht bedacht, dass in ärmeren Gesellschaftsschichten die Küche der einzige beheizte Raum war, in dem ein Großteil des Familienlebens stattfand. Als man über die Küche nachdachte, hatte man bereits eine bestimmte Vorstellung darüber, für wen man baut. Man dachte vermutlich an eine Hausfrau, die effizient ihre Küchenarbeit erbringen möchte, und an Kinder, die ein eigenes Zimmer haben. Das aber die Küche in ökonomisch ärmeren Haushalten als beheizter Aufenthaltsraum mit einem großen Tisch für das Anfertigen von Schulaufgaben genutzt wurde, schien nicht Teil der Überlegungen gewesen zu sein. Das zeugt nicht unbedingt von einer politischen Einstellung, aber es zeigt, dass man immer ein Bild davon hat, für wen man baut. Schnell verfällt man der Annahme, dass die Nutzer:innen wie man selbst seien. Ein Raum wird nie neutral sein, er folgt immer einer vorausgehenden Konzeption der zukünftigen Nutzung. Was nicht per se negativ ist, aber man sollte sich dessen bewusst sein.

zio-ökonomisch zu wenig divers ist?

Glauben Sie, dass es ein Problem der Architektur ist, dass die Architektenschaft in ihrer Herkunft so-

Frederike Lausch: Ich finde es auch un-

Marlene

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Maier:

Ja, bestimmt. Das ist eine schwierige, aber wichtige Frage. Es gibt in der feministischen Forschung die Feststellung, dass dadurch, dass es in der Vergangenheit w,enig Architektinnen gab, über manche Bedürfnisse einfach nicht nachgedacht wurde, zum Beispiel wie man von A nach B mit einem Kinderwagen kommt. Damit meine ich natürlich nicht, dass nur Architektinnen an so etwas denken können, aber, dass gewisse Aspekte nicht mitbedacht werden, wenn Sie nicht Teil der Lebensrealität von Architekturschaffenden sind. Abgesehen davon gab es in der Architekturgeschichte Bewegungen des Selbstbaus, der Selbstplanung und Selbsthilfe, etc. Diese waren auch für Personen intendiert, die weniger Geld besitzen und die sich Architekt:innen nicht leisten konnten. So eindeutig kann ich diese Frage gar nicht beantworten. Frederike

Lausch:

reiff.life: Dass es keinen Pflichtkurs für ökologisches Bauen gibt, finden wir nicht mehr nur schade, sondern unverantwortlich. Glauben Sie selbiges könnte auch über Aufklärung über das Politische und Ideologische in der Architektur gesagt werden?

begreiflich, dass während wir uns in einer Klimakrise befinden, ökologisches Bau-


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en nicht an jeder Universität gelehrt wird. Gleichzeitig werden neue technische Lehrstühle wie Robotik eingerichtet, die meiner Ansicht nach nur in der Kopplung mit ökologischem Bauen vertretbar sind. Das ökologische Bauen ist bereits ein hochpolitisches Thema. Ich weiß gar nicht, ob es einen Lehrstuhl für das Politische oder das Ideologische in der Architektur bräuchte. Ich würde es generell nicht als ein „Extrafach“ sehen wollen. Idealerweise würden alle Lehrstühle diese Aspekte in ihren jeweiligen Themen mitdenken. Ich wüsste nicht, wie man ökologisches Bauen lernen kann, ohne über politische Aushandlungsprozesse zu reden. Ökologisches Bauen hat sehr viel damit zu tun, dass eine andere Person, die das Gebäude finanziert, davon überzeugt werden muss, dass sie vielleicht Materialien wählt, die schwieriger zu beschaffen sind, die vielleicht nicht so lange halten oder die konstenintensiver sind. Und da mit sind wir bei Aushandlungsprozessen. Zwei Personen stehen sich gegenüber und haben andere Interessen. Die eine Partei hat ökonomische Interessen, was vollkommen legitim ist, und ökologisch aufgeklärte Architekt:innen haben das Interesse, dass es ein emissionsfreies Gebäude wird. Und dann müssen beide die überzeugenden Argumente finden. Vielleicht ist es also eher so, dass man an der Uni diese Aushandlungsprozesse lernen muss, wie man sie führt. Deswegen: eine Lehre über ökologisches Bauen, die nur darauf abzielt,

zu fragen, welche Materialien ökologisch gut sind oder wie man ökologisch baut, ist nicht alles. Das ist selbstverständlich auch wichtig. Aber wenn man nicht darüber redet, wie man Leute davon überzeugt, dann wird man dieses Wissen nur schwer in der Praxis umsetzen können. Ist es nicht bereits beim Entwurf so (ganz unabhängig davon wie ökologisch dieser ist), dass wir eher lernen, „gute“ Entwürfe zu machen, aber nicht, ob diese „günstig“ sind oder nicht? Dann kommt man in der Praxis an den Punkt, dass es nicht übereinander geht. Aber man hat sich im Studium auch nicht damit beschäftigt, zu argumentieren. Marlene Maier:

Da stecken jetzt mehrere Sachen drin: Zuerst ist die Frage was Du mit „gut“ meinst? Ich brauche erst ein Kriterium, um dann zu sagen: „Das ist gut oder schlecht.“ Das Kriterium kann ja auch sein, das günstig gebaut werden soll. Und abhängig davon ist es dann ein guter oder schlechter Entwurf. Deswegen ist es eher die Frage, welche Kriterien angelegt werden, um zu bewerten, ob etwas gut oder schlecht ist. Frederike

Lausch:

Ja, wie reglementiert der Prozess in der Praxis ist, ist noch ein weiterer Faktor. Marlene Maier:

Frederike

Lausch:

Ich glaube schon,

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dass es wichtig ist, das gelehrt wird, wie man argumentiert. Und das man lernt, welche Argumente eigentlich überzeugend sind. Es wird ja immer ein bisschen davon ausgegangen, dass wir alle berühmte Architekt:innen werden und spektakuläre Museen bauen. Das entspricht leider nicht der Realität. Aber wenn man überlegt, dass die Personen, die genau das machen – die bekannt sind - meistens sehr genau wissen, wie sie ihre Ansichten kommunizieren müssen und wie sie Medienaufmerksamkeit bekommen. Dementsprechend sind Rhetorik und argumentatives Geschick total wichtig, um überhaupt auf dieses Ideal zu kommen, das fälschlicherweise uns allen in den Kopf gesetzt wird. Ich komme zurück zu den Kriterien für gut oder schlecht: Vielleicht ist das mit der „Praxistauglichkeit“ gemeint, über die wir am Anfang sprachen. Die Personen, die sagen, dass das Studium nicht zu praxistauglichen Architekt:innen führt, eventuell eigentlich sagen wollen, dass die Kriterien, die angelegt werden, nicht der Praxis entsprechen. Vielleicht müsste es auch Entwürfe geben, in denen das Entscheidungskriterium die Finanzen sind. Es soll ein öffentlicher Wohnungsbau entstehen, man hat nur so und so viel Geld und man muss jetzt versuchen mit dem Geld irgendwie dennoch etwas zu entwerfen, was für die zukünftigen Bewohner:innen angenehm zu bewohnen ist. Aber wird so was nicht auch gemacht? Gibt es nicht solche Ent-

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wurfsaufgaben? Ich hatte noch keine Entwürfe im Masterstudium. Ich weiß nicht, wie es da aussieht. Marlene

Maier:

Brownsword: Also es gibt natürlich manchmal beispielsweise ein vogegebenes Raumprogramm und praktische Eingrenzungen bzw. Beschränkungen. Oftmals ist aber auch viel Freiheit gegeben zum experimentieren. Diese zu verlieren oder weiter zu beschneiden wäre natürlich ebenso ein gewisser Verlust der Freiheit im Studium. Da eine Balance zu setzen, ist zugegebenermaßen sehr schwierig. Marlon

Ja, das ist in der Tat schwierig. Einerseits ist das Studium ja auch dafür da, zu experimentieren. Dafür sind abstrakte Entwürfe total gut. Es wäre auch schade, wenn man nur Entwürfe machen müsste, wo man allein auf die Finanzen achten müsste. Die Freiheit hat man später vermutlich nicht mehr. Frederike Lausch:

reiff.life: Sehen Sie Ihre Arbeit separat vom gebauten, physischem Umfeld? Oder hat es direkte Auswirkungen?

Das ist eine „fiese“ Frage. Ich glaube primär würde ich damit anfangen, dass Architektur nicht nur die gebaute Umwelt ist. In der Tat mit meiner Frederike Lausch:


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Arbeit greife ich nie in die gebaute Umwelt ein. Was wir als Wissenschaftler:innen und Forscher:innen machen ist ja, dass wir in den Diskurs eingreifen. Diesen können wir jetzt sehr von der gebauten Umwelt getrennt sehen, aber meiner Ansicht nach bewirkt der Diskurs, dass wir reflektieren: „Was gab es schon mal? Was kann es in Zukunft geben? Was wollt Ihr lernen? Was wollt Ihr nicht lernen?“, also worüber wir als Architekt:innen sowieso als Gesellschaft in Bezug auf Architektur nachdenken und was wir von der Architektur fordern wollen. Indem man im Diskurs mitwirkt, verändert man ein bisschen die Architektur. Wir hatten das vorhin mit der „Global History“. Das sind Sachen, die zuerst im Diskurs entstanden sind, die dann so langsam einsickern in die Lehre und in das Selbstverständnis von Architekt:innen. Ob das jetzt unbedingt einen Einfluss darauf hat, wie gebaut wird, das weiß ich nicht. Aber es hat hoffentlich Einfluss darauf, wie Ihr heute oder später über Architektur redet, worauf Ihr Euch bezieht. Ich würde diesen Diskurs nicht unterschätzen. Auf der anderen Seite gibt es immer den Zweifel, den Akademiker:innen haben: „Sitze ich gerade in einem Elfenbeinturm und überlege mir wie in den 1990er Jahren französische Philosophie in die Architektur gewandert ist? Wen interessiert das eigentlich?“ Deswegen meinte ich, es sei eine „fiese“ Frage, weil sie genau den wunden Punkt trifft. Ich frage mich selbstverständlich, wie relevant

ist das eigentlich, was ich mache. Aber das fragt ihr euch als Architekt:innen später vermutlich auch. Während meines ersten Praktikums habe ich für ein Chemiegebäude an die 150 Brandschutztüren gezeichnet, sozusagen einen Katalog aufgestellt. Und ich habe mich danach gefragt: Wie relevant ist das?“ Ich glaube, diese Frage stellt man sich immer. Es ist aber auch wichtig, dass man sie sich stellt. reiff.life: Wird Architektur heute weniger als zeitloses und autonomes Werkzeug, und stattdessen verstärkt als Teil des sozialen und politischen Raums verstanden werden? Denken Sie, dass die Krise diesen Prozess beeinflusst?

Es fällt mir schwer, eine Diagnose der heutigen Zeit zu stellen, muss ich gestehen. Ich glaube, dass es immer parallele Entwicklungen gibt. Heutzutage gibt es sicherlich immer noch Personen, die Architektur als zeitlose, autonome Form sehen, die einfach primär schön aussehen soll und kontextlos überall gebaut werden kann. In dieser Lesart macht man sich keine Gedanken darüber, was für soziopolitische Prozesse mit dem Bauen eigentlich verbunden sind. Ob heute eine sozial engagierte Architektur verstärkt ist? Mein Eindruck ist ja. Man schaue sich nur die Gewinner des Pritzker-Preises an: 2016 Alejandro Aravena und Balkrishna Vithaldas Doshi, der 2018 den Preis gewonFrederike Lausch:

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nen hat. Daran sieht man, dass Personen diese Preise gewinnen, die verstärkt sozial engagierte Architektur entwerfen. Also ich habe schon das Gefühl, dass das immer wichtiger wird. Aber wie gesagt, vielleicht ist das auch nur meine Echokammer. Wie seht Ihr beide das? Wird Euch noch vermittelt, dass die Architektur ein zeitloses, autonomes Werkzeug ist? Marlon Brownsword: Teilweise ja. Es gibt

einige Entwurfsaufgaben, die auf rein formale, geometrische Lösungen ausgerichtet sind. Zudem wird kaum bis gar nicht verlangt, sich mit Literatur, Theorie und den großen Texten der Architekturgeschichte zu befassen. Geschweige denn selbst Texte zu verfassen. Was ich ehrlich gesagt sehr erschreckend finde, da wir uns an einer Universität befinden. Selbst die Abschlussarbeit hat maximal ein kleines Schriftstück als Nebenprodukt zum Durchblättern während der Präsentation von Plänen. Zum Glück habe ich erfahren, dass das an anderen Universitäten anders ist. Marlene Maier: Ich glaube wirklich, dass

ist so wie man es sich zusammenstellt im Studium. Wo wir wieder bei der Echokammer sind. Angenommen ich mache primär Entwürfe bei Städtebau und vielleicht Gebäudelehre, dann habe ich vielleicht ein anderes Bild von Architektur als wenn ich alle bei Baukonstruktion gemacht habe.

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Lausch: Was im Grunde aber auch in Ordnung ist, wenn man darüber nachdenkt, dass es eine Pluralität von Architektur geben sollte. Dann ist es ja eigentlich ganz gut, dass Personen in verschiedenen Richtungen ausgebildet werden und sich verschiedene Meinungen bilden. Denn dadurch entsteht ja eigentlich erst Austausch und Diskurs oder vielleicht sogar Streit. Was schlimm ist, wenn man den Eindruck hat, dass alles, was gebaut wird, gleich ausssieht und glaubt, es gäbe überhaupt keine Alternativen. Wenn es ein paar Häuser gibt, die sich nur auf formale oder geometrische Prinzipien einlassen, ist das auch in Ordnung. Also es muss jetzt auch nicht jede Architektur sozial engagiert sein. Das wäre auch zu viel. Aber es darf im Endeffekt keine Indoktrinierung geben. Es muss die Möglichkeit zur Pluralität geben. Und dass man selbst entscheidet, was man eigentlich machen will. Frederike

Ja, zu Beginn des Bachelors hat das institutionelle Zuweisungsverfahren zu den vier Entwurfslehrstühlen schon Züge der Hauszuweisung durch den sprechenden Hut in Harry Potter, nur ohne die magischen Kräfte der Persönlichkeitsermittlung. Diese Zufälligkeit, gibt es ja im weiteren Studium, abgesehen von Priorisierungswahlverfahren, zum Glück weniger. Außerdem ist es für eine(n) beginnende(n), junge(n) Architekturstudent:in (der/die maximal aus Erzählungen Marlon Brownsword:


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vermuten kann, was ihn/sie erwartet) natürlich auch nicht ersichtlich, welche Entwurfslehrstühle welches Selbstverständnis haben und nach welchen Prinzipien agieren. Lausch: Das stimmt. Was man als ersten Entwurf hat, ist extrem prägend. Deswegen ist es eigentlich besser, wenn es in der Lehre viel mehr Wahlmöglichkeiten gäbe und wenn nicht alles so extrem vorstrukturiert ist. Frederike

reiff.life: Kurz vor dem Ende seiner Amtszeit hat Donald Trump angeordnet, vermehrt im klassizistischen Stil zu bauen. Das zeigt, dass Architektur oft beim politischen Strukturwandel beteiligt war und ist. Wie glauben Sie wird sich diese Beziehung in Zukunft (in Deutschland) äußern? Lausch: Ok, da wird jetzt ganz schön viel zusammengeworfen. Also „Strukturwandel“ ist, glaube ich, nicht der richtige Begriff. Also Ihr meint jetzt mit Strukturwandel, dass eine Regierungsperson durch eine andere ersetzt wird? Weil unter Strukturwandel verstehe ich zum Beispiel Kohleabbau: Aus ökologischen Gründen wollen wir keine Kohle mehr abbauen, also muss es einen Strukturwandel geben. Es müssen ganz viele Strukturen verändert werden, um sich den neuen Gegebenheiten anzupassen. Ihr müsst es mir Frederike

kurz erklären. Ich verstehe es nicht ganz. Vorher sind wir etwas um das Wort „Instrumentalisierung“ herumgeirrt. Also dass die Architektursprache instrumentalisiert wird. Aber wir wollten „instrumentalisiert“ so nicht benutzen. Marlene Maier:

Ok, ich verstehe. Aber in dem Fall kann man „Instrumentalisierung“ ganz gut benutzen. Es gab ja das eine Montagabendgespräch mit Jan Werner Müller und er hat die Unterscheidung gemacht zwischen „Demokratie repräsentierend“ und „Demokratie ermöglichend“. Jetzt könnte man überlegen: Dieser klassizistische Stil, in dem Regierungsgebäude nur noch gebaut werden sollen, ist das eine Repräsentationsform für Trump? Vermutlich ja, nur: was wird repräsentiert? Soll die Demokratie durch den klassizistischen Stil repräsentiert werden? Irgendetwas soll diese Architektur repräsentieren, oder? Und es geht nicht darum, dass diese Architektur als Demokratie fördernd oder Demokratie nicht fördernd begriffen wird. Also, wir sind auf einer reinen Repräsentationsebene und das Problem an der Repräsentationsebne ist, dass Bedeutungen den Formen nicht an sich anhaften und von ihnen getrennt werden können. Sie entstehen immer diskursiv und können sich im Laufe der Zeit verändern. Wir, die wir aus einem deutschen Diskurs kommen, denken bei Klassizismus und vor allem bei Neo-Klassizismus natürFrederike

Lausch:

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lich sofort an nationalsozialistische Architektur, weil sich das in gewisser Weise über etliche Wiederholungen im Diskurs eingeschrieben hat. Das ist in den USA, glaube ich, anders. In Washington sind die repräsentativen Gebäude fast alle so gebaut. Es ist also ein extrem schwieriges Thema, bei dem wir immer reflektieren müssen, aus welchem – dem deutschen oder dem amerikanischen – Diskurs heraus wir auf diesen Erlass schauen. Aber es ist natürlich Quatsch, dass ein Staat vorschreibt, das die öffentlichen Bauten in einem bestimmten Stil gebaut werden müssen. Und hier siedelt sich die primäre Kritik an. Es ist im Grunde egal, ob es jetzt Klassizismus ist und was wir als Deutsche oder US-Amerikaner:innen damit verbinden. Das kann sich im Laufe der Geschichte auch verändern. Aber das große Problem ist, dass ein Stil angeordnet wird, dass es nicht mehr dem öffentlichen Diskurs obliegt, welcher Entwurf in welchem „Stil“ gewinnt, im Sinne von: Es werden Wettbewerbe gemacht, es gibt eine Fachjury und eine Sachjury und die Entwürfe werden auch noch einmal der Öffentlichkeit gezeigt. Es kann also irgendwie Stellungnahmen geben. Da kann man jetzt drüber streiten, wie effektiv oder basisdemokratisch das ist oder nicht, aber mit einem Erlass wird quasi jeder demokratische Prozess der Aushandlung, wie Staatsgebäude aussehen sollen, kaputt gemacht. Es wird gesagt: „So muss es gebaut werden.“ Und dann ist der Stil erst einmal

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egal. Es wäre genauso demokratiefeindlich, wenn er sagen würde: Alle Regierungsgebäude müssen brutalistisch sein. Also es wäre vielleicht für uns Architekt:innen, die wir eine gewisse Vorliebe für Brutalismus haben, anders, denn wir könnten sagen: „Ach ja, wieso nicht, ist doch schön“. Aber es wäre genauso gefährlich. Beim Klassizismus und Trump ist es natürlich besonders stark so, dass dabei imperialistische Bezüge gesehen werden könnten. Aber das weiß man natürlich nicht mit Gewissheit. Wie glauben Sie sieht es mit Regierungsgebäuden in Deutschland aus? Marlon Brownsword:

Dass ein Stil vorgegeben wird, ist in Deutschland nicht der Fall. Ich könnte mir schlecht vorstellen, dass der Bundestag oder dass die Regierung deklariert, wie gebaut werden soll. Es ist eher so, dass bestimmte Sachen in der Gesellschaft oder Öffentlichkeit akzeptiert werden und bestimmte Sachen vielleicht nicht. Aber es gibt schon öffentliche Aushandlungsprozesse. Frederike Lausch:

reiff.life: Bemerken Sie ein aktives Zukommen von politischen Akteuren auf Architekten?

Zukommen? Also dass politische Akteure Architekt:innen ansprechen und auf sie zukommen? Das Frederike

Lausch:


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ist eine schwierige Frage, die ich gar nicht beantworten kann. Das könnte vielleicht jemand beantworten, der sehr firm ist in aktuellen Architekturwettbewerben und weiß, wer Direktaufträge kriegt, etc. Ich hatte das so ein bisschen durch die Forschungen über Max Bächer mitbekommen. Er war ja ein omnipräsenter Juror in Architekturwettbewerben und da konnte man schon nachvollziehen, dass für bestimmte Architekturaufgaben bestimmte Architekturschaffende präferiert wurden, vielleicht auch aus persönlichen und politischen Gründen. reiff.life: In Ihren neuen Buch: „Faschismus und Architektur. Max Bächers Auseinandersetzung mit Albert Speer“ befassen Sie sich mit den Zusammenhängen einer politischen Ideologie und Architektur. In der vergangenen Vorlesungsreihe von Axel Sowa wurden manche Bauten als demokratisch gesehen. Andere Bauwerke und deren Form hingegen werden als faschistische Ausdrucksformen identifiziert, beispielsweise die Casa del Fascio in Como. Architekturtheoretiker wie Peter Eisenman (in manchen schriften) betrachtet dieses Gebäude rein geometrisch und formal. Andere sehen eine Trennung zwischen Form und Politik als unmöglich an. Kann es eine Trennung zwischen der politischen Bedeutung und autonomer Form geben? Frederike Lausch: Welche Funktion be-

sitzt die Case del Fascio? Also momentan befindet sich in der Casa del Fascio die „Guardia di Finanza“ als die Finanz- und Zollpolizei. Ich war 2019 während einer Exkursion in der Casa del Fascio und man konnte die anähnelnde Erhaltung mancher autoritärer Aspekte an und um das Gebäude immer noch spüren. Beispielsweise musste der Pass abgegeben werden, Militär war präsent und sakrale Elemente wie der Gebetsraum und Schrein, die früher politisch instrumentalisiert worden sind, sind weiterhin vorhanden und in Benutzung. Es scheint so, als seien faschistische Ausdrucksformen noch immer präsent. Wie sollte man mit solch einem historischen Erbe umgehen? Sollte man es konservieren oder kontrastieren? Sollte es abgerissen werden, Mahnmal sein, oder finden Sie es vertretbar, dass die institutionelle (wenn auch jetzt demokratisch institutionelle) Nutzung wiederaufgenommen wurde? Marlon

Brownsword:

Ja, das ist ein gutes Beispiel. Architektur ist an sich nicht faschistisch, aber bei der Casa del Fascio kommen jetzt mehrere Dinge zusammen. Es war ja der Sitz der lokalen Partei Mussolinis, also ein Parteigebäude. Das heißt, allein schon durch den Zweck war es auf jeden Fall zu der Zeit ein faschistischer Bau, weil sich dort Anhänger der faschistischen Ideologie getroffen haben. Insofern Frederike

Lausch:

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war es damals sowohl repräsentierend für den Faschismus und es hat den Faschismus insofern gefördert, als es der Raum war, in dem Faschisten zusammenkamen und Entscheidungen getroffen haben. Es war also mehr als nur Repräsentation. Aber dieser Zweck ist nach 1945 verloren gegangen. Er bleibt als Bedeutungsschicht. Wir wissen, dass es mal die Casa del Fascio war, und damit haftet diese Bedeutung immer noch dem Gebäude an. Insofern kann ich es nachvollziehen, dass man es eigenartig findet, dass da jetzt auch eine staatliche Stelle drinnen ist. Es ist ja kein Dokumentationszentrum geworden oder ein Kulturzentrum, wodurch dem Gebäude eine neue, andere Bedeutung eingeschrieben werden kann. Es ist weiterhin ein reglementierter Ort, zu dem nicht alle Leute Zugang besitzen. Es werden derart bestimmte Mechanismen weitergeschrieben, die es schwierig machen, dass das Gebäude nicht mehr als Ausdruck von Macht zu lesen. Aber worauf ich hinauswollte: Peter Eisenman, der das Gebäude rein formal betrachtet. Das kann man natürlich machen und damit meine ich, dass man nicht jedes Gebäude politisch betrachten muss. Wenn zur politischen Bedeutung schon viel geschrieben wurde, finde ich, dass man es auch einmal rein formal betrachten kann. Die Frage ist immer, welche Gewichtung dieser rein formale Diskurs in der Gesellschaft erfährt. Wenn wir uns jetzt vorstellen würden, dass wir vergessen, dass das Gebäude mal der

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Sitz der Partei Mussolinis war, und wir würden immer wieder über die Form reden und dass es ein tolles Gebäude ist oder ein Wahrzeichen der Moderne etc. Derart schreiben wir dem Gebäude eine neue Bedeutungsschicht ein. Wir reden dann nur noch über die Form und vergessen das Politische. Wir könnten es aber auch genauso gut andersherum machen. Wir müssen als Gesellschaft entscheiden, ob wir das wollen oder nicht. Und ich fände es natürlich sinnvoller, wenn wir immer auch an die politische Dimension appellieren und das Gebäude erhalten, weil wir Überreste behalten müssen, damit wir uns an diese Zeit überhaupt erinnern, damit wir ein historisches Bewusstsein gewinnen. Also persönlich finde ich, dass diese Bedeutungsschicht nicht verloren gehen darf. Anders ist es jetzt zum Beispiel bei einer Säule. Nur weil ich eine Säulenreihe habe, verbinde ich damit nicht die Bedeutung von Faschismus. Das kann sich ändern und das hat es sich auch. Kurz nach dem Nationalsozialismus ist das natürlich noch die erste Assoziation, die man hat. Verständlicherweise. Nun könnte es sein, dass diese Assoziation wieder an Bedeutung gewinnt. Spekulieren wir mal: Die Partei Front National/Rassemblement National entscheidet, dass nur noch Gebäude mit langen Säulenreihen gebaut werden sollen. Sie würden das immer wieder sagen und immer wieder fordern, dann würden wir irgendwann Säulenreihen mit dem Front National verbinden, oder? Und


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niemand mit einem gesunden Menschenverstand würde dann einen Entwurf liefern mit einer Säulenreihe. Und deswegen ist es auch nicht zielführend, zu sagen, dass seien doch nur Säulen, wenn damit – gemäß unserer Spekulation – im gesellschaftlichen Diskurs rechte Parteien verbunden werden. Wenn Formen immer wieder in einem Diskurs in diese Richtung gelesen werden, dann können wir nicht sagen, dass es diese Bedeutung nicht gibt. Also versteht Ihr was ich meine?

um sich zu erinnern. Es ist aber schwierig, Architekturformen an sich zu beurteilen. Die Casa del Fascio als faschistisches Gebäude ja, aber jedes Gebäude, das ähnliche Elemente verwendet auch automatisch als faschistisch zu bezeichnen, finde ich nicht richtig. Das hängt dann wider damit zusammen, wie wir darauf gesamtgesellschaftlich blicken. Das macht das ganze so unfassbar schwierig und kompliziert. Also man kann es einfach nicht eindeutig sagen.

Ja, das ist schwierig. Einerseits will man solche historischen Hinterlassenschaften wie die Casa del Fascio nicht konservieren, einfach überschreiben ist auch schwierig und abreißen will man auch nicht, denn es soll ja gewissermaßen auch als Mahnmal vorhanden sein. Es besitzt noch eine politische Assoziation, welche durch räumlich fortgeführte Benutzung nur teilweise umgeschrieben wird. Deswegen ist der denkmalpflegerische Umgang damit schwierig.

lich wirklich abhängig von der Bedeutungsgebung und der Assoziation. Oder könnte es sein, das rein physische bzw. körperliche Wirkung auch gewisse Ideale mit vermittelt? Gibt es ein körperliches Empfinden, dass unabhängig vom Vorwissen wirkt?

Marlon Brownsword:

Ich finde es richtig, dass Gebäude wie das Reichsparteitagsgelände als Denkmal erhalten werden. Denn wenn irgendwann gar kein Gebäude mehr aus der Zeit existiert, dann haben wir auch keinen Anlass mehr darüber zu reden. Oft ist es ja so, dass man ein Gebäude sieht und dann redet man über die Zeit, in der es entstanden ist. Man braucht Anlässe, Frederike Lausch:

Marlon Brownsword: Es ist dann vermut-

Lausch: Ja, sehr wichtiger Punkt. Bestimmte Bedeutungen können sich dann glaube ich doch nicht verändern. Wenn man sich beispielsweise die NS-Ordensburg Vogelsang in der Eifel anschaut und durchläuft, diese schrecklichen Statuen muskulöser Männer an den Wänden sieht, dann versteht man erst, wie diese Architektur mit Symbolik aufgeladen ist. Sie kann man vermutlich gar nicht neu einschreiben. Selbst wenn man dort ein Kulturzentrum einrichten würde, das würde nicht funktionieren. Also es gibt schon – und das ist dann eher die Kombination aus Architektur und sehr symbolbehafteFrederike

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ter Bauplastik – Gebäude, die man nicht vom Nationalsozialismus trennen kann, selbst in 300 Jahren nicht, wenn nur noch ein paar wenige Menschen wissen, was der Nationalsozialismus war – ich glaube nicht, dass es so sein wird, aber stellen wir uns so eine imaginäre Welt mal vor. Diese imaginären Menschen würden sich meiner Meinung nach nicht Vogelsang anschauen und sagen: „Ach toll. Schöne Architektur.“ Das kann ich mir schlecht vorstellen. Wir sprechen hier über das gesamte Bauensemble und dessen Wirkung, also nicht über einzelne Architekturelmente. Ja, aber sind dann mit Symbolik wirklich nur konkrete Symbole im Sinne von Emblemen gemeint? Vieles kann eine andere, indirektere Symbolik haben: beispielsweise das Atrium in der Casa del Fascio, dessen religiöse Elemente oder die idealen, ersten perfekten, modernen Formen. Also es gibt Symbolik nicht nur in Zeichen wie beispielsweise den muskulösen, arischen Männern oder den Hakenkreuzen, sondern auch in traditionelleren Architekturelementen. Marlon Brownsword:

Ja, aber da würde ich sagen, dass es eine Bedeutung ist, die wir den Formen, dem Atrium, zuschreiben und die sich verändern kann. Es gibt Atrien, denen etwas ganz anderes zugeschrieben wird, weil sie in einem ganz anderen Kontext entstanden sind. Frederike

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Lausch:

Ja, das stimmt. Eigentlich wurden sie ja bereits einmal wieder benutzt von früheren Epochen. Marlon Brownsword:

Es ist immer abhängig davon, wie sehr wir uns an die Bedeutung erinnern und wie sehr sie sich verändert. Es könnte eine neue Diktatur geben, die nur in Glashäusern bauen würde. Und kurz danach würden wir mit Glashäusern eine Diktatur assoziieren und würden keine Galshäuser bauen. Deswegen sind Glashäuser an sich nicht diktatorisch. Solange da aber Symbole dran sind; zum Beispiel bei Bauplastiken, dann bekommt man auch viel von einem Menschenbild mit, oder? Symbole sind oft stärker verbunden mit einer Ideologie. Aber das sind jetzt nicht Architekturelemente wie Glaswände, Natursteinfassaden oder Säulen. Das sind eher universelle Elemente, die immer wieder vorkommen. Aber nur, weil sie immer wieder vorkommen, sind sie nicht neutral, sondern sie haben eine Bedeutung, aber diese kann sich ändern. Frederike Lausch:

Die nächste Frage erscheint erst etwas banal, aber wir glauben, dass egal wie viele Leute man fragen würde, es stets eine andere Antwort geben würde. Und selbst für die selbe Person wandelt sich die Antwort häufig im Lauf der Zeit. Marlon Brownsword:

reiff.life: Was ist Architektur?


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Da könnte man eine ganze Vorlesung drüber machen: „Was ist Architektur?“. Ich würde sagen, dass Architektur gebaute Umwelt plus Diskurs ist. Entweder Entwerfen, Planen, Bauen oder Denken, Schreiben und Reden über gebaute Umwelt. Es ist nicht nur das Planen und Bauen, sondern auch das darüber Nachdenken. Ich finde, dass alleine, wenn man sich schon über Gebäube unterhält, zählt das schon zur Architektur. Also es braucht nicht unbedingt das physische Objekt, aber es braucht das Objekt als Thema. Das ist jetzt recht grundlegend. Ich glaube, so würde das jeder sagen. Obwohl, ich glaube es gibt bestimmt Leute, die sagen würden, Architektur sei Raum. Und ich würde eher den Umweltbegriff stark machen. Frederike Lausch:

Marlene Maier:

reiff.life: Vielen Dank für das Gespräch.

Das sehen wir dann.

Faschismus und Architektur. Max Bächers Auseinandersetzung mit Albert Speer.

Gilles Deleuze und die Anyone Corporation: Übersetzungsprozesse zwischen Philosophie und Architektur.

Frederike Lausch

Frederike Lausch

276 Seiten

276 Seiten

2021 M Books 978-3-944425-15-3 (ISBN)

2021 Transcript Verlag 978-3-839453-26-1 (ISBN)

Sehnsucht nach mehr?: http://criticalarchitecture.org/kategorie-publikationen/ccsa-topics/

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