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reiff life kultivierung



Vorwort Kultivierung lautet unser gewohnt diffuses Titelthema. Wir haben uns damit auseinandergesetzt, von uns gefragte Menschen haben sich damit auseisandergesetzt, große Namen der Geschichte haben sich damit auseinandergesetzt. Eine Sammlung dieser Beiträge findet ihr ab S. 26. Für eure Freizeit haben wir euch außerdem einen kleinen NRW-Reiseführer zusammengestellt, damit ihr eure Kultivierung auch privat weitertreiben könnt. S. 36/ 37. Der andere Schwerpunkt dieses Heftes ist der Selbstbau an unserer Fakultät. Da gibt es viel zu entdecken - und wenige wissen davon. Mehr ab S. 10. Unsere langjährige Kollegin Rebecca Tritscher mussten wir leider ab dieser Ausgabe in die weite Welt ziehen lassen. Als letzten Beitrag von ihr haben wir für euch einen schönen Text über Bauten von Rudolf Schwarz in der Gegend Aachen. Ab S. 30.

Auch dieses Mal müssen wir wieder unsere altbekannte Litanei herunterbeten: Die reiff life ist personell äußerst bescheiden aufgestellt. Als Zeitung am Reiff haben wir eigentlich das Ziel, das Geschehen in und um unsere Fakultät zu verarbeiten und mindestens einmal im Semester als Zeitschrift zu präsentieren. Mit 2-3 dauerhaft Aktiven ist es allerdings kaum möglich, Perspektivenvielfalt, Aktualität, und Tiefgang zu bieten. Oder mehr Bildstrecken und eine App. Oder... Auch über unser Konzept an sich gilt es, nachzudenken: Ist ein Heft einmal im Semester das richtige Mittel? Sollten wir auch andere Medien testen? Könnten wir nicht mit schreibenden Menschen anderswo zusammenarbeiten? ... Ihr seht - die Zukunft der reiff life ist weit offen. Im positiven wie im negativen Sinne. Für deren weitere Gestaltung suchen wir Euch, eure Ideen, und euer Engagement! -fr-



Inhalt Fachschaft

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laut nachgedacht

Titelthema

Kristallschlieren Seite 8

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Stichwort: Kultivierung Seite 26 Fünf Dinge die ein kultivierter Architekt verinnerlicht haben sollte... Seite 27

mitgemacht

Der Architekt - Bauer des guten Geschmacks Seite 28

Einleitung - Selbstbau Seite 10 Design Develop Build Seite 12

Der rheinische Mystiker Seite 30

Baufakultät U.KA Seite 14 Winterschule Seite 16

ausgekramt

Vorschule in Boboyo Seite 18

Vom Wesen der Kultur Seite 34

Recycling Mies Seite 20 Résumé Seite 22

zuletzt Nur weg hier! Seite 36 Eine Seite für... Seite 38 Bild der Woche Seite 39 Architektur.Umbruch Seite 40

Impressum Seite 5

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Blick hinter die Kulissen: Berufung der Professur für Individualisierte Bauproduktion Was steckt dahinter, wieso bleibt uns Frau Vondenhof-Anderhalten nun vorerst doch erhalten, wann müssen wir uns endgültig von Ihr verabschieden und warum eigentlich? Das Lehrgebiet Konstruktives Entwerfen wurde zum Lehrgebiet Individualisierte Bauproduktion umgewidmet. Dementsprechend sollte 2013 nach der Emeritierung unseres geschätzten Prof. Mirko Baum keine neue Professur für dieses Gebiet, sondern für das neue Lehrgebiet mit gänzlich anderen Lehrinhalten berufen werden. Das neue Lehrgebiet wird einen besonderen Schwerpunkt auf neue Produktionstechniken für Einzelbauteile legen. Hierfür wurden von einer Berufungskommission Kandidaten geprüft, eingeladen und begutachtet. Die Berufung der Professur soll voraussichtlich im Laufe des nächsten Jahres erfolgen. Um derweilen die Lehre weiterhin zu gewährleisten wird die KE-Professur noch bis Ende des WS 2014/15 durch Frau Vondenhof-Anderhalten vertreten. Wir danken Frau Vondenhof-Anderhalten für Ihre engagierte und motivierte Arbeit.

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Fachschaft sucht....

Erfahrungsberichte Praktikum

Die Fachschaft ist die Vertretung der Studenten des jeweiligen Fachbereichs und sorgt für den Austausch zwischen Lehrenden und Studierenden. Wir diskutieren beispielsweise bei brisanten fakultätsinternen Themen im Interesse aller Studenten und haben in allen fakultätsinternen Gremien ein wichtiges Stimmrecht. Darüber hinaus engagieren wir uns für das Leben am Reiff und organisieren Events wie die Erstsemesterwoche und das Public Viewing zur Fußball WM, Genau dafür suchen wir Dich! Wir freuen uns über jeden, der sich auch nur im kleinsten Maße engagieren will, seine Meinung sagen möchte oder aber auch einfach mal vorbei schauen mag.

Wir wollen euch die Suche nach einem sinnvollen und spannenden Praktikum erleichtern! Du hast schon mal ein oder mehrere Praktika gemacht? Dann wäre es toll, wenn du dir fünf Minuten Zeit nehmen würdest, um uns und anderen Studenten über deine Erfahrungen zu berichten. Fülle dazu einfach unser PDF-Formular auf der Homepage aus und schicke es uns zu. All die, denen ein Praktikum bevorsteht und es interessiert, wie und ob es Geld gibt, ob man 24 Stunden abrufbereit sein muss, den ganzen Tag nur schöne Modelle baut oder tatsächlich etwas lernt können die Berichte bei uns einsehen.

Komm unverbindlich zu unseren Treffen: jeden Donnerstag 18:00 im Fachschaftskeller,

Hier auch der Hinweis zum Myreiff-Forum, wo ihr unter der Rubrik Jobs an Praktikumsund Hiwi-Stellen kommt.

direkt am vorderen Eingang Schinkelstraße, an der Treppe zum Keller (Termin unter Vorbehalt)

oder schreib uns unter: http://www.fs2. rwth-aachen.de/ oder: info@fs2.rwth-aachen.de

Sprechzeiten im WS 14/15 Montag 13:00-14:00 Uhr (Elisa) für die ersten 4 Semesterwochen, weitere Termine werden im Laufe dieser Zeit bekannt gegeben und neben der Tür des Fachschaftskellers ausgehängt. In der Fachschaft könnt ihr euch Altklausuren und Styrocutter zum Modellbau ausleihen, weitere Hilfe und Hilfsmittel findet ihr in den Modellbauwerkstätten.

Modellbauwerkstätten - bei den Arbeitsräumen in der Rochusstraße - am Baumhaus Die Öffnungszeiten der Werkstätten werden individuell zum Beginn des Semesters ausgehängt.

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laut nachgedacht

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Kristallschlieren Man stelle sich vor: Deutschland gegen Argentinien, Mario Götze schießt in der 113 Spielminute das erlösende 1:0 - Deutschland ist Weltmeister. Aachener Architekturstudenten in den letzten Zügen ihrer Semesterprojekte, die Uni ist ihr Arbeitsraum aber auch ihr Lebensraum. Man denke sich nun: Was passiert wenn sich die beiden Gegebenheiten am 13. Juli 2014 im Ausstellungsraum im Untergeschoss der Architekturfakultät vereinen? Public Viewing: Alle sind glücklich, viele betrunken, einige Flaschen zerbrochen. Der Morgen danach: Zusammenräumen, Fegen, Wischen. Es hat aufgehört zu kleben, der Fussboden hat eine neue Marmorierung. Und die Fakultät die Rechnung für eine professionelle Fußbodenreinigung. Pflegehinweis: Der Fussboden, ausgeführt als unversiegelter, pigmentierter Magnesitestrich darf nicht feucht gewischt werden, Gefahr der Aussalzung. Siehe Baustoffkundeskript. Es wird darauf hingewiesen, dass das Essen und Trinken im Ausstellungsraum untersagt und als Vorbeugungsmaßnahme ab sofort der Zutritt nur noch mit Schuh-Schutzüberzügen möglich sein sollte. (Gleiches gilt im Übrigen für alle Arbeitsplätze im Reiff und Teile des Kellerflures) -ke-

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Selbstbau

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Einleitung Bei uns an der Fakultät passiert in Sachen Selbstbau einiges. Leider muss man ein bisschen suchen, um die Projekte zu finden. Wir dachten uns deshalb, dass wir im Rahmen unserer Möglichkeiten eine Bestandsaufnahme machen. Um vergleichen zu können, um die Projekte bekannter zu machen, und einfach weil die Fakultätsöffentlichkeit ständig im Fluss ist. Bei den einzelnen Texten findet ihr Links, die projektspezifisch noch einmal Weiterführendes bieten. Über Selbstbau als allgemeines Thema wollen wir nicht viel schreiben - das haben Andere erst kürzlich umfassend getan: die ARCH+ 211/212 bietet Überblick zum Thema und eine Fülle an Verweisen für Interessierte.

Tech-, und nachhaltigen Lösungen. Häufig wird in der ein oder anderen Form auf lokale Bautraditionen Bezug genommen. Eine Ausnahme stellen hier das Counter Entropy House und das Makerhouse bei CAAD dar. Sie sind ortlos, als flexible Architekturen gedacht. Von der Gebäudetechnologie und vom Fertigungsprozess her sind sie eher im High-Tech-Bereich angesiedelt. Dementsprechend beantworten sie andere Fragestellungen, und der Ortsbezug fällt vollständig weg.

Zunächst eine Übersicht der Lehrstühle, die hauptverantwortlich Selbstbauprojekte unternommen haben und/ oder unternehmen: Gebäudelehre, Denkmalpflege, Institut für Städtebau und Landesplanung, Computer Aided Architectural Design, Technischer Ausbau und Entwerfen (mittlerweile mit Bauphysik zu Gebäudetechnologie verschmolzen - keine Kontinuität). Hinzu kommt immer eine Vielzahl von Kooperationen, oft mit weiteren Lehrstühlen unserer oder anderer Fakultäten.

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Auf den nächsten Seiten also eine beispielhafte Auswahl von Projekten mit einer Erläuterung der wichtigsten Aspekte.

[Anmerkung: Bevor man uns vorwirft, neutral zu sein: Stefanie hat in Boboyo, Juliane in Kapstadt, Jan in Boboyo und bei Recycling Mies mitgewirkt.]

Die Projekte am ISL und bei GBL sind langfristig angelegt. Über die Jahre kommen am selben Ort (oder in der Nähe) immer wieder Gebäude hinzu. Bei TA+E , Denkmalpflege, und CAAD scheinen es eher Einzelerscheinungen mit unterschiedlichen Konzepten zu sein. Auch bei GBL läuft aktuell mit Recycling Mies ein einmaliges Projekt. Die Mehrzahl der Projekte lässt sich mit folgender Beschreibung fassen: In Kooperation mit verschiedenen NGOs und Förderern werden soziale Bauten in sogenannten Entwicklungsländern erstellt. Ein Großteil von Planung und Ausführung wird hierbei durch Studenten geleistet. Auch die lokale Bevölkerung wird mit einbezogen, meist in direkter Zusammenarbeit auf der Baustelle. Ein Augenmerk liegt auf Low-Cost-, Low-

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Design Develop Build Lehrstuhl Gebäudelehre Langa, Kapstadt, Südafrika ist ein Selbstbauprogramm, dass an der RWTH seit 2005/6 am Lehrstuhl GBL existiert. In Kooperation mit verschiedenen NGOs, Universitäten und sonstigen Partnern wurden bisher 4 Projekte im Bereich Bildungsbau durchgeführt. Stets wichtig ist, dass die Studierenden die ganze Bandbreite eines Projektes durchlaufen, also Konzept, Entwurf, Ausführungs- und Kostenplanung, etc. Ein besonderes Augenmerk wird gelegt auf Einfachheit, klimagerechtes Bauen, lokal verfügbare und Recycling-Materialien, sowie den örtlichen Bezug. Eine vollständige Liste der Projekte kann unter designdevelopbuild.com eingesehen werden. Als Beispiel hier das aktuelle Gebäude:

Guga S'Thebe Theatre 2013 Der Theaterbau ist eine Erweiterung für ein bestehendes Kulturzentrum in Langa, Kapstadt. Die vielfältigen Performanceaktivitäten des Kulturzentrums sollen hier eine Bühne bekommen. Der zentrale Raum, welcher je nach Anlass als Auditorium oder Proberaum fungiert, wird gefasst von einem zweigeschossigen Ring aus standardisierten Frachtcontainern. In diesem Ring sind sämtliche Nebenfunktionen untergebracht. Die Tragstruktur des Dachs besteht aus Holz-Nagelplattenbindern, welche aufgrund ihrer weit verbreiteten Nutzung im südafrikanischen Industriebau leicht verfügbar sind. Für die Außenhaut wurden vorfertigbare Dämmmodule entwickelt. Aus hölzernen Überresten von Obstkisten bestehende Rahmen werden mit einem Lehm-Stroh-Gemisch befüllt und mittels Stahlwinkeln direkt an den Containern befestigt. Diese dämmende Schicht wiederum wird mit dem Obstkistenholz und weiterverwendeten Ziegeln ornamental verkleidet.

Erstmals werden bei diesem Projekt auch südafrikanische Studenten im 1. Semester involviert. So entsteht ein Austausch, der mehr als nur die interkulturellen Unterschiede zum Thema hat. Am 26.09.2014 wurde das Gebäude feierlich eröffnet. Die Arbeiten werden allerdings aller Voraussicht nach erst im März 2015 beendet sein. Weiterführendes: designdevelopbuild.com gbl.arch.rwth-aachen.de Kooperationen: PBSA Düsseldorf, RWTH Aachen (GBL), Georgia Tech, Guga S'Thebe, World Design Capital South Africa, Stadt Kapstadt, Universität Kapstadt, CS Studio Architects, AIT, imagine structure.

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Baufakultät U.KA Institut für Städtebau und Landesplanung Kananga, Demokratische Republik Kongo Die hier beschriebenen Gebäude sind nur ein kleiner Baustein eines größer angelegten Projektes. Seit 2006 besteht zwischen der RWTH Aachen und der Université Notre-Dame du Kasayi (U.KA) eine offizielle Hochschulpartnerschaft. Zentrales Ziel ist momentan der Aufbau einer Baufakultät an der U.KA. Hierzu wird ideell und praktisch Hilfe geleistet: Das Fakultätsprofil und die Curricula werden gemeinschaftlich erarbeitet, personeller Austausch soll ausgebaut werden, Infrastruktur wird gemeinsam konzipiert und teilweise auch gemeinsam ausgeführt. Diesen Herbst/ Winter sollte wieder eine Delegation der RWTH in den Kongo reisen, um die Kooperation zu vertiefen und auf andere Fachbereiche auszuweiten. Das Auswärtige Amt hat aktuell allerdings eine Reisewarnung wegen Ebola ausgesprochen – somit musste die Reise vorerst verschoben werden. Ein Pilotprojekt im Rahmen der Baufakultät sind 2 zusammengehörige Studentenwohnheime, von Studierenden der RWTH, der Universität Siegen und der U.KA 2010 innerhalb nur eines Monats errichtet. Diese Gebäude sollen als Muster in der Struktur des Campus immer wieder aufgegriffen werden. Hier ist das Klima ein zentraler entwurfsbestimmender Faktor. Kasayi, zentral im Kongo gelegen, wird geprägt durch intensive Regenfälle, große Hitze, und starke Winde. Daraus ergaben sich prägnante Dächer, die Wasserabfluss, Durchlüftung, und Verschattung des Aussenraumes in einer Geste vereinen. Auf die Wassermassen musste zusätzlich mit einer in das Gelände modellierten Ableitung reagiert werden. Wesentlich aus Gründen der Nachhaltigkeit und Kostenersparnis wurde hier ebenso auf lokale, einfache Ressourcen zurückgegrif-

fen. Besonders hervorzuheben ist hier die Entwicklung eines speziellen Mörtelersatzes: Die Maniokwurzel ist im Kongo (auch in Kamerun und anderen afrikanischen Ländern) ein Hauptnahrungsmittel. Ein Mehl aus Maniokresten wurde auf der Baustelle mit Wasser und Maismehl zu einer kleisterähnlichen Flüssigkeit verrührt. Diese, mit Erde und Sand vermischt, ergibt schließlich den Mörtelersatz. Auf der Baustelle gab es weder fliessend Wasser noch Strom. So musste von den Studierenden, im wesentlichen ohne die Hilfe von Fachleuten, alles von Hand erstellt werden. Die deutschen Studenten konnten hier von den Kongolesen einiges über die Verarbeitung der ihnen unbekannten Materialien erfahren, während die andere Seite hauptsächlich 'die Stringenz in Entwurf und Arbeit' zu schätzen lernte. Weiterführendes: kongo.isl.rwth-aachen.de Serie A, 2013/ 4 Kooperationen: RWTH Aachen (ISL), Universität Siegen, U.KA, AKNW, Stiftung Deutscher Architekten, DAAD, Verein zum Aufbau und Austausch mit der Université du Kasayi e.V.

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Winterschule Lehrgebiet Technischer Ausbau und Entwerfen Sani, Zanskar, Jammu und Kashmir, Indien Das Dorf Sani im nordindischen Himalaja. Über 6 Monate im Jahr liegt die Temperatur unter 0° C, die Landschaft ist karg. Dafür ist der Himmel meist klar, denn das Gebirge hält Wolken ab. Hier sollte ein Multifunktionsgebäude entstehen, das zweierlei bietet: Räumlichkeiten, um die Kinder des Dorfes auch im Winter unterrichten zu können, sowie Unterkunft und Behandlungsräume für Mediziner, die in Sani periodisch Grundversorgung leisten. Auch die weiteren Rahmenbedingungen sind eine Herausforderung: als Baumaterial kamen aus Kosten- und Verfügbarkeitsgründen nur einfachste Ressourcen in Frage, namentlich Lehm, Stroh, Disteln und rohes Konstruktionsholz. Infrastruktur ist praktisch keine vorhanden, aktive Beheizung des Gebäudes mittels getrocknetem Kuhdung oder Brennholz zu ineffizient beziehungsweise zu teuer. Unter diesen Voraussetzungen ist die Sonne die Energiequelle der Wahl.

Weiterführendes: www.sani-zanskar.de denkmal.arch.rwth-aachen.de Kooperationen: Lehrgebiet TA+E (Tillmann Heuter, Jo Ruoff), Sani Zanskar e.V., Schmidt Reuter GmbH, Lehrstuhl für Baubetrieb und Gebäudetechnik (Marten F. Brunk)

Mit Aachener Studenten wurde im Rahmen eines Seminars ein Entwurf erarbeitet: die Gestalt ist ein eingeschossiger, langgezogener Quader. So kann der Klassenraum, vollständig verglast, sich im Tagesverlauf aufheizen. Die weiteren Räume verfügen über Trombewände aus Lehm, welche die Wärme der Sonne zeitverzögert ins Innere abgeben. Alle weiteren Wände und das Dach mussten entsprechend mit sehr hohem Dämmstandard ausgeführt werden. Vor Ort wurde das Gebäude in Zusammenarbeit von Studenten und lokalen Kräften innerhalb von vier Monaten realisiert. Hierbei war vor allem wichtig, gegenüber den Arbeitern auf eine baukonstruktiv saubere Ausführung zu bestehen, da sonst das energetische Konzept nicht funktionieren würde.

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Vorschule in Boboyo Lehr- und Forschungsgebiet Denkmalpflege Boboyo, Region Extreme Nord, Kamerun

Mit der Bitte um den Bau einer Vorschule in Boboyo, einem Dorf im Norden Kameruns, trat die Kölner NGO ident.africa bereits vor einigen Jahren an das Lehr- und Forschungsgebiet Denkmalpflege heran. 2010 entstand daraus ein Forschungsprojekt, bei dem in Zusammenarbeit mit der Universität Maroua die lokale traditionelle Architektur und deren günstige Eigenschaften für das Raumklima und die Behaglichkeit untersucht wurden. stringenter formulieren [In diesem Zusammenhang wurden 2011 erste Versuchspavillons von deutschen und kamerunischen Studenten realisiert. Anhand der aus diesen Untersuchungen gewonnen Erkenntnisse entstanden im Austausch mit afrikanischen Studenten, Entwürfe, von denen einer bis zur Ausführungsplanung optimiert wurde. Das Entwurfskonzept sieht drei fast baugleiche Pavillons vor, jeweils mit doppelschaligem Dach mit zentraler Öffnung für den Kamineffekt, und mit dicken Wänden aus Zement- und Lehmsteinen. Wichtig bei dem Entwurf war neben dem klimatischen Anspruch auch eine moderne Architektursprache, die dem Gebäude seinen Pilotcharakter geben soll. Es galt eine moderne Architektur zu schaffen, die die traditionelle Bauweise und die lokalen Materialien wie Lehm und Stroh, aber auch die Bedürfnisse der Nutzer berücksichtigt und dabei beliebig erweiterbar und flexibel nutzbar ist.

Aufgrund der Anschläge der terroristischen islamistischen Gruppe Boko Haram und Ebola im angrenzenden Nigeria ist die Lage im Norden Kameruns gerade sehr unsicher und die restlichen Arbeiten mussten von der lokalen Bevölkerung alleine ausgeführt werden. Die Einschulung der ersten einhundert Kindern ist für Oktober 2014 geplant. Weiterführendes: denkmal.arch.rwth-aachen.de/forschung/127 www.rwthboboyo.tumblr.com www.identafrica.org Projektkooperationen: RWTH-Aachen (LS Denkmalpflege, Anette Essam, LS Tragkonstruktion, Christoph Koj), Jade Universität Oldenburg (Prof. Jo Ruoff), Universität Maroua; Institut Superieur du Sahel (ISS), Ident.Africa e.V., CODEBO

Bereits 2012 flog eine Gruppe Aachener nach Boboyo um dort das Gelände einzumessen, die ersten Fundamente auszuheben und die erste Bodenplatte zu gießen. Ab November 2013 startete die Intensivphase in Kamerun. Deutsche Studenten waren in kleinen Teams für bis zu acht Wochen auf der Baustelle in Boboyo, wo sie in Zusammenarbeit mit lokalen Arbeitern den Rohbau bis Mai 2014 nahezu fertigstellten.

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counter entropy

recycling mies gbl

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Recycling Mies Lehrstuhl für Gebäudelehre Talstraße, Aachen-Nord In den 1920er Jahren plant Mies van der Rohe einen Golfclub für Krefeld. Aufgrund der Weltwirtschaftskrise kam dieser allerdings nie zur Ausführung. Anfang der 2000er denkt sich jemand in Krefeld: ‚Hey, Mies wäre doch der Publikumsmagnet für unser Stadtmarketing, oder?!‘ Im Sommer 2013 steht der Golfclub also als 1:1-Modell aus Holz an seinem geplanten Ort und wird rege genutzt. Nach Ende der Ausstellung werden die Baumaterialien den Hochschulen in Aachen und Krefeld zur Weiterverarbeitung überlassen. Der Lehrstuhl Gebäudelehre hat sich dessen angenommen und plant vor dem zukünftigen Kulturdepot in Aachen-Nord einen Multifunktionspavillon. Innerhalb von 2 Semestern wurden von Studierenden verschiedenste Entwürfe erarbeitet – jetzt, im Sommersemester 2014, wird ein Destillat dieser gebaut. Getreu dem Namen wird nicht nur das Golfclub-Material recycelt – auch fast alle weiteren Materialien stammen aus Altbeständen. Beispielhaft sind hier die Fenster aus verschiedenen Aachener Schulen zu erwähnen. Das Gebäude an sich nimmt kaum Bezug auf die Architektursprache van der Rohes. Ein sichtbares Zitat sind die Kreuzstützen, der Rest jedoch ist ein vorgefertiger Holzrahmenbau auf polygonalem Grundriss, welcher zusätzlich im Schnitt die Geländeversprünge vor Ort verarbeitet.

ben), andererseits als offener Veranstaltungsraum für das Kulturdepot. Auch im Wintersemester geht der Bau des Pavillons weiter. Es werden immer tatkräftige Helfer gesucht. Weiterführendes: gbl.arch.rwth-aachen.de www.projektmik.com Kooperationen: Lehrstuhl Gebäudelehre (Bernadette Heiermann und Thomas Müller-Simon), Stadt Aachen/ Stadtteilbüro Nord, Kempen Krause Ingenieure, FH Aachen, ProjektMies in Krefeld

Erstellt wird das Gebäude vollständig von Studierenden unserer Fakultät, in Zusammenarbeit mit dem gemeinnützigen Unternehmen Low-Tec, welches afghanische Flüchtlinge und Schüler aus Aachen-Nord auf die Baustelle entsandte. Über die spätere Nutzung lässt sich noch wenig sagen. Das Kulturdepot selbst ist ein Projekt, welches in einem ehemaligen Straßenbahndepot Räume für Kulturschaffende und Quartiersarbeit bietet. Der Pavillon ergänzt dies einerseits als 3D-Druck-Labor für Jugendliche (von der FH Aachen betrie-

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baufakultät u.ka städtebau

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Résumé Für Studierende kann ich Selbstbauprojekte nur wärmstens empfehlen: Man plant und baut, sie sind also quasi die Vollendung des Gedankens ‚Projektstudium‘. Außerdem kommt ihr in entlegene Gegenden und ferne Kulturkreise, die sonst kaum so zu sehen wären. Arbeit bringt einen näher zusammen als jede Art von Tourismus. Die Bevölkerung vor Ort bekommt ein Gebäude, dass sie sich nicht hätte leisten können, von einem Standard, für den lokal meist das Know-How fehlt. Eine wichtige Frage ist hier allerdings, was getan werden kann, um solches Wissen langfristig zu verankern – und um Top-Down-Strategien zu vermeiden. Außerdem können so lokale Techniken rehabilitiert werden, deren Potenzial sonst aufgrund kultureller Wertung nicht erkannt würde. In Kamerun zum Beispiel ist ein Haus aus Stahlbeton und Betonsteinen ein Zeichen von Entwicklung und Wohlstand - eigentlich jedoch mindestens aus Klimatisierungsgründen kritisch zu sehen. Auch für unsere Fakultät lassen sich einige Vorteile aufzählen. Die Lehre wird, zumindest für einige, bedeutend praxisnäher. Zugleich erhöht sich die Sichtbarkeit der Fakultät nach Außen: Von gewonnenen Kooperationspartnern (Unternehmen, NGOs, öffentlichen Stellen, anderen Hochschulen) bis zu Publikationen (z.B. ARCH+, Baumeister, Bauwelt, ...), Wettbewerben (Solar Decathlon) und Forschungsgeldern (Boboyo, Kamerun) - die Bilanz ist also sehr ordentlich. Ein paar Schwierigkeiten gibt es natürlich immer. Für die Studierenden lassen sich die Projekte nur bedingt gut in ihr Curriculum integrieren. Jemandem im Master bietet sich häufiger die Chance, die Arbeit als M1 oder M2 anrechnen zu lassen. Für die Bachelor hingegen läuft es eher auf Wahlfächer hinaus, welche den nötigen Aufwand, um wirklich dabei zu sein, oft kaum widerspiegeln. Ich persönlich würde mich über derartiges eigentlich nicht beschweren. Die meisten

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von euch wissen aber, dass der Bachelorstundenplan diese zusätzliche Belasung außerhalb der Ferien kaum erlaubt. Nebenbei bemerkt wäre es auch für die Projekte selbst besser, wenn Wenige kontinuierlich und viel daran arbeiten würden - und nicht Viele mit hoher Wechselrate wenig. Die Beschaffung von Material gestaltet sich meist schwierig. Mit sehr geringen Mitteln ausgestattet, muss vor Ort auf einem unbekannten und begrenzten Markt das Angemessene gefunden werden. Dass die Fertigungstechniken wegen Infrastruktur und verfügbaren Arbeitskräften und -mitteln eher einfach gehalten werden müssen, schränkt die Materialwahl zusätzlich ein. Bei Recycling Mies zum Beispiel stand zunächst keinerlei Budget für Material zur Verfügung, es musste also in allen Bereichen gespendetes Material verwendet werden. Dies führte im Laufe des Projekts zu wesentlichen Planungsunsicherheiten und somit zu zeitlichen Verzögerungen. Auf der anderen Seite kann Einschränkung natürlich auch zu starken Konzepten und viel freigelegter Kreativität führen. Ein Thema, dem stets besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden muss, ist die Kommunikation und Koordination. Obwohl die Studentengruppen (und somit häufig die Bauleitung) meist nur zeitlich begrenzt vor Ort sein können, muss eine konsistente Ausführung gewährleistet werden können. Lokale, angelernte Arbeitskräfte haben hier oft sehr eigene Vorstellungen. Am schönsten illustriert wird dies durch die Winterschule im Himalaya, in deren Dach man einen vermeintlich vergessenen Rauchabzug schlug – in einem Gebäude, das als Null-Energie-Haus konzipiert war. Alle hier vorgestellten Projekte führten zu einer Vielzahl von Kooperationen, lokal wie auch interkontinental. Ich finde allerdings schade, dass an unserer Fakultät selber in diesem Rahmen nicht noch mehr dauerhaft kooperiert wird. Sicher ist es gut und wichtig, dass eine Vielzahl

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von Projekten mit unterschiedlichen Ansätzen existiert. In einigen Bereichen könnte man jedoch durch Synergien mehr bewegen: Es gibt mittlerweile eine unüberschaubare Vielfalt von Fördertöpfen für soziale Projekte oder Forschung. Dennoch sucht sich jeder Lehrstuhl seine Gelder jedes Mal mühsam selbst zusammen. Für die Mittelakquise wäre es also doch interessant, Expertise zu bündeln und allen zugänglich zu machen. Prinzipiell gilt das gleiche für Unternehmenskooperationen. Bei einer solchen Anzahl von Selbstbauprojekten, nicht wenige mit großer Dauerhaftigkeit, könnte man fast von einem starken Profil sprechen – und dies auch so nach außen tragen. An die Unternehmen, zukünftige Studierende und alle anderen. Häufig werden im Rahmen der Entwürfe auch innovative Konstruktionsmethoden erarbeitet, die dann einmalig zur Anwendung kommen. Würde man diese an übergeordneter Stelle sammeln und archivieren, könnten sie vielleicht einen Nutzen für mehr als die unmittelbar Beteiligten entwickeln. Aus persönlichen Gesprächen heraus kann ich sagen: Unter einigen Lehrenden ist das Bewusstsein für Potenziale und Probleme vorhanden. Auch bei den Studierenden finden die Projekte immer großen Anklang. Es ist nur die Frage wann und mit welchen Mitteln man das Ganze kultiviert. -fr-

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Kultivierung

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Unter Kultivierung versteht man im biologischen Sinne etwas, was mit dem Anbau, dem Wachstum und der Vermehrung von Organismen außerhalb ihres natürlichen Standorts zu tun hat. Wichtig dabei ist eine stetige Pflege der Organismen (Erhaltung) und die Verfeinerung der äußeren Bedingungen (Veränderung). Versucht man diesen Ansatz nun auf den Menschen zu übertragen, so wird klar, dass es sich bei dem scheinbaren Widerspruch von Erhaltung und Veränderung um eine alltäglich Erscheinung unserer Kultur handelt. Kultur als etwas vom Menschen erschaffenes, umgibt ihn unweigerlich und wird durch ihn erhalten; beeinflusst und verändert ihn aber und wird dadurch selbst verändert. Ist Kultivierung also die bewusste Auseinandersetzung mit unserer Kultur? Und ist dann Kultiviertheit das höchste Ziel dieser Auseinandersetzung?

Vor diesem Hintergrund haben wir uns in dieser Ausgabe auch Selbstbauprojekten gewidmet, bei denen die interkulturelle Zusammenarbeit ein Schwerpunktthema bildet. Auf der weiteren Suche nach dem Wortsinn unseres Titelthemas haben wir uns mit dem Wesen der Kultur, aber auch mit dem Zusammenhang von Kultur, Architektur und Architekt beschäftigt. Wir sind dazu auch an verschiedene Lehrstühle herangetreten und haben sie gebeten, uns eine Definition ihrer fachspezifischen Auffassung von Kultivierung unter Zuhilfenahme verschiedener Bedeutungssynonyme zu geben. Aus den wenigen Rückmeldungen haben wir eine kleine Sammlung von verschiedensten Beiträgen zusammengestellt. * siehe hierzu Text Simmel S.34 f.

In einer Welt, wie die in der wir leben, kommt zu diesen Überlegungen ein zweiter Aspekt hinzu, der immer mehr an Bedeutung gewinnt: Im Zuge der Globalisierung wächst die Weltgemeinschaft unweigerlich zusammen und damit einher geht ein Phänomen, was landläufig unter dem Begriff Kulturtransfer gemeint ist. Sprach man im 18. Jhd. vom "Edlen Wilden" ( vgl. Jean-Jacques Rousseau, Discours sur l'inégalité), so drückte das die Auseinandersetzung mit dem Aufeinandertreffen einer Natur - und einer Zivilisationsgesellschaft aus. Damals dominierte das Bild in den Köpfen der europäischen Gesellschaft, dass man den sog. Wilden Gutes daran tat, ihnen unsere Kultur beizubringen. Das es dort ebenfalls Kultur gab* und diese dadurch stark beeinflusst und gar zerstört wurde, machte sich kaum jemand bewusst. Ähnliche Denkstrukturen und Vorgehen findet man immer wieder in der Geschichte unsere Zeitrechnung. Man denke zum Beispiel an die Kreuzzüge und an die teils brutalen Kolonialisierungs- und Missionsbewegungen Das diese ethnologische These heute längst überholt ist und sich unser heutiges Begriffsverständnis von Kultivierung nicht auf die "Kulturauferlegung" reduzieren lässt, dürfte jedem klar sein. Vielmehr geht es uns heute darum, im Austausch mit anderen Kulturkreisen unsere eigene Kultur immer wieder neu zu überdenken und zu erweitern. Seite 25

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Stichwort:

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Kultivierung setzt eigentlich schon einen vorhandenen Stand von Bedingungen voraus, die erhalten, erweitert oder spezifiziert werden sollen. Kultivierung setzt ein Interesse (Motivation) und ein Ziel (Vision) voraus, dass erreicht oder zumindest angepeilt ist. Es setzt voraus die Kenntnis des Systems das verändert werden soll, um dieses erweiternd zu kultivieren; ebenso eine Methode, die dieses ermöglicht. Veredelung ist somit eine Zustandsveränderung in der Hierarchie des Anspruchs und des vorgestellten Ziels und setzt in der Regel die Verbesserung, zumindest eine Veränderung der Ausgangssituation, eines Objekts oder Systems voraus. -Prof. Michael Schulze-

Folgt man einem der bekanntesten Philosophen Deutschlands, dann landet man bei dem Versuch einer Definition von Kultivierung im Bereich der Erziehungslehre. In seinen vier Stufen des Erziehungsprozesses spricht Kant von der Disziplinierung, der Kultivierung, der Zivilisierung und der Moralisierung als oberste Stufe. „Disziplin ist also bloß Bezähmung der Wildheit. Zweitens muß der Mensch kultiviert werden. Kultur begreift unter sich die Belehrung und die Unterweisung. Sie ist die Verschaffung der Geschicklichkeit. Diese ist der Besitz eines Vermögens, welches zu allen beliebigen Zwecken zureichend ist. Sie bestimmt also gar keine Zwecke, sondern überläßt das nachher den Umständen.(...) Wegen der Menge der Zwecke wird die Geschicklichkeit gewissermaßen unendlich.“ Es geht also darum sich Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten anzueignen; instrumentelle Kompetenzen mit denen man allerlei Zwecke erreichen kann. Im Weiteren redet Kant von der Zivilisierung, er fordert, dass der Mensch auch klug sei und in die menschliche Gesellschaft passe, daß er beliebt sei und Einfluß habe. Unter Moralisierung versteht Kant „die Gesinnung bekommen, daß er nur lauter gute Zwecke erwähle. Gute Zwecke sind diejenigen, die notwendigerweise von jedermann gebilligt werden und die auch zu gleicher Zeit jedermanns Zwecke sein können.“ - nach Immanuel KantÜber Pädagogik nachzulesen unter: http://www2.ibw.uni-heidelberg.de/~gerstner/V-Kant_Ueber_Paedagogik.pdf (Stand: 28.09.2x014)

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Fünf Dinge, die ein kultivierter Architekt verinnerlicht haben sollte…

…das Bewusstsein, dass er als Zwerg auf den Schultern von Riesen steht, die die grundlegenden inhaltlichen Themen, die Organisationsformen und die Ausdrucksmittel der Architektur bereits vor langer Zeit erfunden haben, ihm aber zu dem Weitblick verhelfen, diese immer wieder kreativ neu zu verwerten. …die Erkenntnis, dass das historische Umfeld für seinen eigenen Entwurf eine Chance und keinen Nachteil darstellt, da vor allem durch die reflektierte, begründete, im Idealfall sogar geistreiche Bezugnahme auf das Vorhandene interessante und relevante Architektur entsteht. …die Einsicht, dass seine eigene Architektur nur dann einmal selbst als „historisch“ respektiert werden wird, wenn sie nicht formaler Willkür oder launenhaft-modischer Originalität entspringt, sondern durch eine tragfähige und konsequent umgesetzte Bauidee auch noch die architektonische Begeisterung zukünftiger Generationen zu erwecken vermag.

…die Wahrnehmung zur Erkennung eines systemimmanenten Mangels, und die obsessive Kraft diesen zu verändern. …Eine Haltung und Anspruch von dem man angetrieben ist, den man aber nie erreichen darf, da sonst ein fatales Rezept entsteht. …Empathie und Emotion zur angemessenen Formgebung und Gestaltung für die menschliche Spezies. …Einen gesunden Anarchismus, Offenheit und eine aufmerksame Kritikfähigkeit. …Optimale Fähigkeiten und Kenntnisse der historischen, technischen und künstlerischen Phänomene und Instrumente zur Beschreibung seiner Vorstellungen.

…die Gewissheit, dass die Architektur anderer Orte und anderer Zeiten einen Inspirations- und Wissensschatz für ihn bereithält, der nur durch viele Reisen und immerwährendes Studium gehoben werden kann. …die Neugierde, auch aus den Texten zwischen den Bildern interessante Dinge über Architektur zu lernen. - Prof. Anke Naujokat -

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- Prof. Michael Schulze -


Der Architekt – Bauer des guten Geschmacks Fragt man einen angehenden Architekten am Anfang seines Studiums, wieso er sich für ebendieses Fach entschieden hat, so werden die Antworten höchstwahrscheinlich sehr schwammig ausfallen. Der Beruf sei sehr vielfältig und offen, zugleich technisch und kreativ, ist wohl die häufigste Antwort. Außerdem wolle man etwas händisch erschaffen, etwas entstehen lassen und hoffe sich dadurch wirklich ausleben zu können. Im Laufe des Studiums wird sich der Architekturstudent dann mit sehr unterschiedlichen Fachbereichen auseinandersetzen. Tragwerkslehre, Baukonstruktion, Kunstgeschichte, bildnerisches Gestalten, Layouten, Rendern, oder auch das stumpfsinnige Zeichnen von Toilettenanlagen sind nur einige Beispiele für Dinge, die man während des Studiums lernen kann. Schlechte bis annehmbare Photoshop-, Indesign-, Illustrator-, Cinema4D-, AutoCAD-, ArchiCAD-, Allplan-, Rhino-, etc pp -kenntnisse werden unter großem Geschimpfe erlernt – in einem eigens bestimmten Rahmen und mit selbst gewählter Intensität. Ganz nebenbei entsteht aber noch eine weitere Eigenschaft, derer sich der Architekt oft gar nicht bewusst ist. Hierbei handelt es sich um die Gewissheit, vor allen Dingen in ästhetischen Fragen alles besser beurteilen zu können als alle Anderen. So kann es vorkommen, dass der alltägliche Gang ins Restaurant als Quelle des Leids ausreicht. Der Blick auf die Speisekarte kann ausreichen, um stundenlange Diskussionen über Schriftarten und Zeilenabstände zu entzünden. Auch die Schriftgröße ist ganz offensichtlich schlecht gewählt, außerdem wurden an falschen Stellen Worte kursiv oder fett geschrieben. Die größte Peinlichkeit an der gesamten Karte aber ist die Auswahl der Farben, alle kunterbunt zusammengewürfelt. Nachdem die Speisekarte eingehend untersucht wurde, wendet man sich einem wei-

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teren Fauxpas zu. Die Kellnerin hat sich für komplett hässliche, stillose Klamotten entschieden, und alle Anwesenden sind sich einig: Ein Glück, dass man als Architekt den guten Geschmack mit Löffeln gefressen hat, Stilbewusstsein hängt also ganz offensichtlich mit der Wahl des Studienfaches zusammen. So ist das mit den Architekten. Als selbsternannte Allrounder laufen sie mit skeptischen Blicken durch die Welt und glauben, jeden Makel direkt erkennen und kommentieren zu müssen. Makel, das sind falsche Formen, falsche Farben und das falsche Zusammenfügen derselben. Denn der Architekt beschäftigt sich mit der Tektonik, dass heißt nach Gottfried Semper mit der „Kunst des Zusammenfügens“ von Formen. Großzügig wird den Banausen im Umfeld Hilfe angeboten, wenn es um Themen geht, welche vordergründig nichts mit Architektur zu tun haben. Layout, Grafik, Text, all das sind Gebiete derer der Architekt sich bemächtigt sieht. Selbstverständlich ist er in der Beurteilung von Gebautem den Anderen einen großen Schritt voraus. Stellt man sich einen Architekten vor, der in Gesellschaft von Laien durch die Stadt läuft, ist klar, dass es zu einem großen Problem werden kann, sollten diese seine Meinung nicht teilen. „Du hast keine Ahnung, was schön ist!“, geht ihm dabei durch den Kopf. Lädt ein Unwissender einen Architekten zu sich nach Hause ein, so kann er sich über ausgiebige Verbesserungsvorschläge für seine Wohnung freuen. Eingehend wird jedes Bild, jedes Foto an der Wand analysiert. Anstelle des alten Kinderspielzeugs sei Designerspielzeug eine zwar nicht ganz billige, aber trotzdem bessere Alternative. Unglücklicherweise können Vierjährige nichts mit Belehrungen bezüglich perspektivischem Zeichnen anfangen, so muss der

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Architekt großzügig einen kleinen Bruch im sehr clean gestalteten Ambiente gestatten. „Du musst dich schon für eine Farbe entscheiden!“, lächelt er hinsichtlich des Wirrwarrs an Farben. „Und ein einheitlicher Holztyp wäre auch von Vorteil.“ Denn Eichen- und Kiefernholz beißen sich bekanntlich. Die Kunstwerke, die die Wand doch sehr ungeplant schmücken werden als vollkommener Ramsch abgetan und auf dem iPhone Beispiele für gute Kunst gesucht. Nur wird ein Mondrian nicht von jedem geschätzt und auch einen Malewitsch kann sich der Normalbürger nicht leisten. Zu guter Letzt regt ein Blick in den Kleiderschrank die ohnehin schon rauchenden Architektenköpfe zu weiteren oralen Ergüssen an. Die Vorstellung, dass einige der genannten Themen bei Fachfremden völlige Gleichgültigkeit auslösen, bringt jeden Architekten zum Schaudern. Denn für ihn stehen Kunst, Kultur, sowie Schönheit und gleichzeitige Funktionalität aller Dinge ganz oben auf der Prioritätsliste des Lebens. Bleibt eines festzustellen: Architekten wollen die Welt nicht so belassen wie sie ist, sondern hoffen darauf, sie wenigstens ein kleines Bisschen schöner zu machen. Das daraus resultierende Bedürfnis, die Mitmenschen zu einem besseren Geschmack zu erziehen, ist in dieser Branche allgegenwärtig. Die Weltverbesserer versuchen mit aller Kraft den Schlüssel zur ästhetischen Vollkommenheit zu finden und den Samen des Schönen zu sähen. Doch schaut man sich in der modernen Welt um, so ist deutlich sichtbar, dass man das Schöne nicht nur bei den Baumeistern der Vergangenheit suchen sollte, sondern ebenso im Hier und Jetzt. -ri-

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Der rheinische Mystiker Rudolf Schwarz

*15/05/1897

Sonntagsausflug

†03/04/1961

bekannt, vor allem durch seine katholischen Kirchen(bauten), die in NRW angehäuft sind. So auch in Aachen: Pfarrheim St. Johann Baptist, St. Fronleichnam, Soziale Frauenschule, St. Bonifatius, Haus der Jugend in Aachen-Burtscheid und mehr. Der erste Weltkrieg scheint seine Ausrichtung in der Architektur stark zu prägen: Studierte Schwarz vor dem Krieg in Berlin Architektur, so setzt er sich nach dem Dienst für das Vaterland mit der Theologie auseinander. Es entsteht eine Dissertation über die Frühtypen der rheinischen Landkirchen. Somit klingt der Werdegang recht geradlinig für einen Architekten, der sich auf den Bau von Gotteshäusern spezialisieren wird. Untermauert wird diese Interessenkomposition durch das Studium als Meisterschüler unter Hans Poelzig in Berlin bei zeitgleichem Engagement in der katholischen Jugendbewegung, u.a. als Mitherausgeber der Zeitschrift Die Schildgenossen. Schenkt man Wikipedia Glauben, so ist der Einfluss Romano Guardinis (Gegensatzlehre), den Schwarz bei ebendieser Zeitschrift kennen lernte, immens. Über Guardini vernetzwerkte man sich mit Mies van der Rohe und anderen Konsorten des Bauhauses. Modernisiert wurde die Burg Rothenfels, das wohl erste Werk –in Zusammenarbeit mit diesen- des jungen Rudolf. Die Burg war das geistliche Zentrum der katholischen Jugendbewegung. Im Alter von 28 Jahren läuft das Leben von Schwarz noch immer geradlinig ab. Er ist Lehrer für Bautechnik in Offenbach am Main und arbeitet in einer Ateliergemeinschaft mit Dominikus Böhm zusammen. Ebenso wie zuvor schon Guardini, beeinflusst auch Böhm die architektonische Denkweise Schwarz`. Vor der Herrschaft des dritten Reiches ist Schwarz Direktor der Kunstgewerbeschule Aachen. Diese wird 1934 geschlossen.

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Katholische Hochschule (ehem. Soziale Frauenschule) Kreis und Dreieck und Viereck Bauhaus, Moderne und ein bisschen Biederkeit, die sonntägliche Fahrradrundfahrt Herr Rudolf Schwarz in Aachen steht für meinen Geschmack, und dieser Bericht umfasst einzig meine eigenen Eindrücke, unter dem Symbol der wunderschönen Toilettenschilder der ersten Station: Metall, glänzend, Originalzustand, zwei Kreise (Brust) und einer (Kopf); unverkennbar handelt es sich um die Damentoilette. Zusammengesetzt aus den Geometrien des Dreiecks, Rechtecks und des Kreises. Einfach und verständlich. Edel in Metall. Hoch und niedrig Wie dieses Schild im Kleinen ist die Architektur im größeren Maßstab ebenso klar und strukturiert aufgebaut. Die Raumabfolge ist logisch aufgebaut aus langem Gang mit anschließenden Klassen-, Büro- und dienenden Räumen, der sich um einen Innenhof faltet . Ein Riegel mit drei Geschossen bildet den Schwerpunkt. Er ragt über die rechteckige Form hinaus, bildet, wie bei einem kleinen b, das Rückgrat. Der Eingangsbereich liegt etwas niedriger als der Innenhof außerhalb der Kernform. Um bei dem Buchstaben b zu bleiben, betreten wir das Gebäude am Strich rechts oben, erreichen mit ein paar Treppen das Niveau des Rundganges und folgen dem b mit dem Uhrzeigersinn. In der unteren linken Ecke weitet sich der Korridor zu einer kleinen, niedrigen Pausenhalle, die das Außen mit dem Innenhof verbindet, sowie den Übergang in den Riegel hervorhebt. Die Deckenhöhen variieren im Hauptbau, der Flur mit den zum Innenhof liegenden Räumen jedoch ist gleichmäßig und mit einem erhöht liegenden Fensterband belichtet. Die hohe Brüstungshöhe erzeugt eine leichte Orientierungslosigkeit des Besuchers, da kein Bezug zum Außen gegeben ist. Auf dem Innenhof liegt der Fokus, den man durch geöffnete Türen und Fenster gewöhnlicher Höhe erahnen kann.

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Schild Damen-WC

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Die meisten Türen - braun, Furnier, recht schmal - sind geschlossen. Eine Schule, wie man sich eine Schule vorstellen kann. Etwas Besonderes, in der Art der Einfachheit, faszinierend in den Proportionen von niedrigem Flur-Trakt zu hohem Riegel. Leider sind die Fenster nicht mehr im Originalzustand, die Nachbildung zeugt jedoch von großartiger Rasterkunst und gibt dem Gebäude durch die Glasfassade der zweigeschossigen Aula und des hohen Erdgeschosses im Riegel den letzten Schubs in die Moderne. Es geht weiter. Wir stoßen auf den Brander Hof, aber lassen uns nicht irritieren; heute geht es um Herrn Schwarz.

Kirche St. Bonifatius Groß und klein Beton. Beton und Mauerwerk. Oder Klinker. Waschbeton zu unseren Füßen und unter unseren Füßen. Die Position hat sich grundlegend verändert: Standen wir noch zuvor auf hellem Grün im Zentrum der Architektur ist hier vor dieser Kirche ehrfürchtiges Emporschauen geboten. Keine der unzähligen Türen gewährt Einlass. Wir tänzeln drumherum, durch das Dickicht. Enden an einem Gartentor. Gleich daneben ist der Glockenturm. Gut versteckt kann man sagen und möglicherweise dem Ausdruck Glockenturm nicht gerecht werdend. Es ist eher eine Aufhängung. Klar und simpel. Ich erinnere mich wieder an das Toilettenschild. Funktionalität, simpel und doch -bei genaueren Hinschauensehr überzeugend. Das Kirchenschiff an sich ist einfach sehr gewaltig , der Kontrast zum Glockenturm immens. Zum Abschluss versuchen wir umständlich über das geschlossene Gartentor zu klettern. Das Gefühl des kleinen Kindes, welches nach oben blicken muss um die Welt direkt vor der Nase zu sehen, wird mit dieser kleinen Einlage unterstützt. Ein letzter Blick auf eine Kirche, die uns verschlossen blieb. Eine Kirche, wie man sich eine Kirche vorstellen kann, jedoch überraschend in der Wahl der Materialien. Eine besondere Kirche, wieder faszinierend wegen den Proportionen von Klein und Groß im direkten Gegenüber.

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Kirche St. Fronleichnam Gigant und Mensch ‚Gigantisch‘ rutscht mir beim nächsten Objekt heraus. Im Gegensatz zur vorherigen Beton-Aufhängung ragt der Glockenturm hier fast schon überdimensioniert aus der Bebauungsstruktur der umliegenden Wohnhäuser empor. Der vierzig Meter hohe Koloss wird von der Masse des dahinter liegenden Baukörpers, des Kirchenschiffes, getragen. Die schmale, leichte Metallbrücke zwischen der Längsseite des Schiffes und des Turmes bringt den menschlichen Maßstab in die Höhe. hell und dunkel Die großen Körper hell, der Boden, fast schon alles menschliche, Dunkel; Schwerer schwarzer Marmorbelag, schwarz lackierte Kirchenbänke und das große, kastenförmige Möbelstück mit der Orgel. Den naheliegenden Kontrast bildet das Weiß. Selbst die hoch oben und scheinbar unerreichbar liegenden Fenster sind farblos, weiß, als spanne sich ein großes helles Volumen über dem Dunkel. Die Klarheit des Raumes, die ungewohnte Helligkeit ist auch bei den Nutzern beliebt. Am heutigen Sonntag beherbergt die Kirche eine Ausstellung. Bisher habe ich es noch nicht so gesehen, aber möglicherweise ist ein Kirchenraum gar nicht so verschieden von dem einer Galerie. einfach und komplex Der pur wirkende Raum kann vielseitig genutzt werden. Vielleicht hat Herr Schwarz erkannt, dass es im Kirchenbau und in den anderen Gebäuden der Kontemplation, wie in fast keiner anderen Typologie, um den Raum an sich geht. Der Mensch wird in einen anderen Kontext eingefasst, der überrascht, da der Maßstab zu seiner gewohnten Umgebung ein anderer ist.

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Kirche St. Bonifatius

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Vom Wesen der Kultur [...] Von herrschenden Begriffen aus werden gewisse Seiten der Erscheinungen, gewisse Möglichkeiten, sie zu einheitlichen Reihen zu ordnen, erfaßt, und der Begriff Natur – aus Elementen von Kausalität, Substanzen, Energien, Raum- und Zeitformen zc. Bestehend – ist nur einer dieser Begriffe; er ist deshalb in seinem einheitlichen Wesen nur durch den Gegensatz oder die Beziehung zu den anderen Begriffen zu verstehen, [...]. Daß nun ein jeder derartige Komplex nur eine Betrachtungsweise und Formierung der identischen Inhalte oder eines Ausschnittes dieser Inhalte ist, [...], steht in Wechselwirkung mit der Tatsache, daß ein jeder seinen spezifischen Sinn und seine Rechtsgrenzen erst in der Relation zu einem anderen findet; [...]. Und eine neue Funktion ihrer (der Natur, A.d.R.) offenbart sich, wenn ihr die Kategorie der Kultur entgegengehalten wird, die auch ihrerseits erst an diesem Gegensatz ihre Bedeutung entfaltet. Alle Geschehensreihen, die von der menschlichen Aktivität getragen werden, können als Natur angesehen werden, d. h. als eine ursächlich bestimmte Entwicklung, in der jedes aktuelle Stadium aus der Kombination und den Spannkräften der vorangegangenen Lage verständlich sein muß. [...] Allein sobald irgend welche Inhalte dieser Reihen unter den Begriff der Kultur rücken, so verschiebt sich damit der Naturbegriff in eine engere und sozusagen lokale Bedeutung. Denn nun geht die „natürliche“ Entwicklung der Reihe nur bis zu einem bestimmten Punkte, an dem sie von der kulturellen abgelöst wird. [...] Der Punkt, an dem diese Ablösung der Entwicklungskräfte stattfindet, bezeichnet die Grenze des Naturzustandes gegen den Kulturzustand. Da nun aber auch dieser letzte aus seinen „natürlichen“ Entstehungsbedingungen kausal abzuleiten ist, so zeigt sich [...], daß Natur und Kultur nur zwei verschiedene Betrachtungsweisen eines und desselben Geschehens sind, [...]. [...] Wenn indes der Kulturbegriff so mit dem

ausgekramt

der menschlichen Zwecktätigkeit überhaupt zusammenzufallen scheint, so bedarf dies einer Einschränkung, die sein besonderes Wesen erst bezeichnet. [...] Kultivierung setzt voraus, daß etwas da sei, was sich vor ihrem Eintreten in einem nicht kultivierten - eben dem „natürlichen“ - Zustand befand; und sie setzt nun weiter voraus, daß die dann eintretende Änderung dieses Subjektes irgendwie in dessen natürlichen Strukturverhält nissen oder Triebkräften latent sei, wenngleich nicht von diesen selbst, sondern eben nur durch die Kultur zu realisieren; [...]. [...] Alle Kultivierung also ist, wenn wir auf den mit dem Worte anklingenden Sinn hören, nicht nur die Entwicklung eines Wesens über die seiner bloßen Natur entsprechenden Formstufe hinaus, sondern nun auch Entwicklung in der Richtung eines inneren ursprünglichen Kerns, [...]. Daraus ergibt sich, genau genommen, daß nur der Mensch der eigentlich Gegenstand der Kultur ist; denn er ist das einzige uns bekannte Wesen, in dem von vornherein die Forderung einer Vollendung liegt; [...]. Nur sie (die menschliche Seele, A.d.R.) enthält die Entwicklungsmöglichkeiten, deren Ziele rein in der Teleologie ihres eigenen Wesens beschlossen liegen - nur daß auch sie diese Ziele nicht durch ihr bloßes Wachstum von innen her, das wir als das natürliche bezeichnen, erreicht, sondern dazu von einem bestimmten Punkte an einer Technik, eines willensmäßigen Verfahrens bedarf. [...] Nun wird aber gerade von hier aus eine neue Verengerung des Begriffes erforderlich. Wenn auch die Kultur eine Vollendung des Menschen ist, so ist keineswegs jede Vollendung seiner schon Kultur. [...] aber doch ist der Begriff der Kultur damit nicht erfüllt. Denn zu diesem gehört nun noch: daß der Mensch in eine solche Entwicklung etwas, das ihm äußerlich ist, einbezieht. [...]

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Wir sind gewohnt, die großen Reihen der künstlerischen und der sittlichen, der wissenschaftlichen und der wirtschaftlichen Produktion ohne weiteres als Kulturwerte zu bezeichnen. Mag sein, daß sie es durchgehend sind; aber keineswegs sind sie es ihrer rein sachlichen, sozusagen autochthonen Bedeutung nach, und keineswegs ist die Kulturbedeutung des einzelnen Produktes genau derjenigen entsprechend, die es innerhalb seiner eigenen, durch seinen Sachbegriff, sein Sachideal bestimmten Reihe einnimmt. [...] Sie mögen unseren Einzelzwecken noch so vortrefflich dienen - darum kann ihr Ertrag für unsere Gesamtexistenz, für den nach Entwicklung ringenden Quellpunkt unseres Ich überhaupt sehr gering sein; und umgekehrt, sie können sachlich, technisch, vom Blickpunkt der spezifischen Wesensprovinz aus unvollkommen und wenig bedeutsam sein, aber doch gerade das leisten, was unser Sein für die Harmonie seiner Bestandteile, für seine geheimnisvolle Einheit jenseits aller seiner Spezialbedürfnisse und -Kräfte gerade bedarf. [...] ,so ist jener Einheitspunkt in uns, dessen innere Bedeutung und Kraft sich im Kulturprozeß durch die Einbeziehung gesteigerter und vollendeter Objekte vollendet, explizit ausgedrückt dieses: daß unsere einzelnen Wesensseiten in enger Wechselwirkung stehen, jede die anderen tragend und von ihnen getragen, ihre Lebendigkeiten harmonisch ausgleichend und austauschend. [...] So darf der Maßstab, der jeder unserer Leistungen oder Rezeptivitäten unter den Kategorien ihrer fachlichen, speziellen Reihe ihren Rang bestimmt, nicht mit dem anderen verwechselt werden, der eben dieselben Inhalte unter der Kategorien der Kultur, d. h. als Entwicklung unserer inneren Totalität beurteilen läßt.

tende Ordnung eingestellt ist, desto spezifischer ist seine kulturelle Bedeutung, desto geeigneter ist es, als ein allgemeines Mittel in die Ausbildung vieler individuellen Seelen einbezogen zu werden. [...]

[...] Die eindrucksmächtigsten Werke und Gedanken halten uns so kräftig an dem fest, was sie an und für sich, innerhalb ihres eigensten Gebietes und gemessen am unmittelbaren Maßstabe ihres Inhaltes sind, daß ihre Kulturbedeutung dadurch überdeckt wird, daß sie sich gleichsam weigern, in jene Kooperation mit anderen in der Richtung unseres allgemeinen Wesens einzutreten; [...]. [...] Je getrennter ein Produkt von der subjektiven Seelenhaftigkeit seines Schöpfers ist, je mehr es in eine objektive, für sich gel-

-Georg Simmel-

Indem die Kultur so die Lebensinhalte in einen in unvergleichlicher Weise geschürzten Knotenpunkt von Subjekt und Objekt stellt, ergibt sich das Recht zu zwei Bedeutungen ihres Begriffes. Als die objektive Kultur kann man die Dinge in jener Ausarbeitung, Steigerung, Vollendung bezeichnen, mit der sie die Seele zu deren eigener Vollendung führen oder die Wegstrecken darstellen, die der Einzelne oder die Gesamtheit auf dem Wege zu einem erhöhten Dasein durchläuft. Unter subjektiver Kultur aber verstehe ich das so erreichte Entwicklungsmaß der Personen [...]. [...] Im genaueren Sinne aber sind die beiden Anwendungen des Kulturbegriffes keineswegs einander analog, sondern die subjektive Kultur ist der dominierende Endzweck, und ihr Maß ist das Maß des Anteilhabens des seelischen Lebensprozesses an jenen objektiven Gütern oder Vollkommenheiten. Ersichtlich kann es keine subjektive Kultur ohne objektive geben, weil eine Entwicklung oder ein Zustand des Subjekts eben nur dadurch Kultur ist, daß er so bearbeitete Objekte in seinen Weg einbezieht. [...] Die Dissonanzen des mordernen Lebens – insbesondere das, was sich als Steigerung der Technik jedes Gebietes und als gleichzeitige tiefe Unbefriedigung an ihr darstellt – entspringen zum großen Teil daraus, daß zwar die Dinge immer kultivierter werden, die Menschen aber nur in geringerem Maße imstande sind, aus der Vollendung der Objekte eine Vollendung des subjektiven Lebens zu gewinnen.

Erschienen in: Österreichische Rundschau XV (1908); 1. S.36- 42 Frei eingekürzt, in Gänze nachzulesen unter: http://socio.ch/sim/verschiedenes/1908/ kultur.htm (Stand: 20.09.2014)

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Nur weg hier! Eine vollständige und objektive Liste aller wichtigen Dinge, die ihr mit einem NRW-Ticket erreichen und erleben kÜnnt.

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a Lippstadt - die teuerste Fußgängerunterführung der Welt, das Cabrioli b Wachendorf - Bruder-Klaus-Kapelle c Krefeld - Mies-Bauten d Solingen - Schloss Burg an der Wupper e Xanten - Archäologischer Park f Jülich - Zitadelle o

g Düsseldorf - Kiefernstrasse, Kaiserpfalz, Reisholzer Hafen, Ehrenhof/ Tonhalle, Bilk und Flingern (Stadtviertel in Entwicklung), Filmmuseum, KÖ-Bogen (damit ist auf keinen Fall nur der Libeskind-Bau gemeint!)

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h Wuppertal - Schwebebahn i Mönchengladbach - Museum Abteiberg j Bedburg-Hau - Schloss Moyland (der beste Weihnachtsmarkt.) k Stiftung Insel Hombroich l Essen - Zeche Zollverein a

m Bonn - Haus der Geschichte, ehemalige Regierungsbauten, Godesburg, die Umgebung des Hauptbahnhofs n Köln - Museum Kolumba, Museum Ludwig, Japanisches Kulturinstitut, Weißhauskino Philharmonie (kostenlose Probe Symphonieorchester), Durst am Hansaring (mit Zombies kickern), Hans-BöcklerPlatz (Weihnachtsmarkt),Aachener Weiher, Gerling-Quartier, belgisches Viertel, St. Bartholomäus o Osnabrück - Schloss mit Garten, Hegertorviertel, ehemaliges Gertrudenkloster, Museum Industriekultur, Bürgerpark p Münster - LWL-Museum, Stadtbücherei, Erbdrostenhof, Wewerka Pavillon. Stuben gasse,Haus Rüschhaus, Villa Terfloth, ZEB-Tower q Oberhausen - Gasometer Bauten von Dominikus und Gottfried Böhm, Heinz Bienefeld Seite 37


Eine Seite für... Name: Petra Vondenhof-Anderhalten (... immer noch besser als Leutheusser-Schnarrenberger) Aufgewachsen in: Aachen Studium an: RWTH Aachen Lehrstuhl an der RWTH: Konstruktives Entwerfen Lieblingsrestaurant in Aachen: Kathy´s Frietnesse Lieblingskneipe in Aachen: Lehrgebiet KE ... keine Ahnung, gibt´s noch den Club Voltaire? Lieblingsmusik: Kosheen, Eurythmics, Anne Clark, Joe Jackson, Quincy Jones, Ronny Jordan, Rick Braun, New Order, Prince, Sadao Watanabe, Bach, Prokofjew, Debussy, ... Lieblingsbuch: Tristram Shandy (Laurence Sterne)!, Die Grasharfe (Truman Capote), Siddharta (Hermann Hesse), Freiheit (Jonathan Franzen), Unendlicher Spaß (David Foster Wallace), Per Anhalter durch die Galaxis (Douglas Adams), ... Architektur Trip/Tipp: Schlösser Ludwig II (Neuschwanstein,Linderhof, Herrenchiemsee, Königshaus am Schachen) Das möchte Ich den Studenten gerne mitgeben: Architektur muss nicht nur brennen, sie muss auch Spaß machen Das nehme Ich von den Studenten mit: Feuer Von diesem/n Architekt/en habe Ich besonders viel gelernt: Peter Kulka und Michael Mussotter Wenn Ich noch einmal studieren könnte würde Ich mich für folgendes Fach entscheiden: Architektur (sorry, ist leider so) (Steckbrief-Rohling verfasst von -ri-, Antworten von Frau Vondenhof-Anderhalten)

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Bild der Woche


Leider haben wir in der letzten Ausgabe im Artikel „Architektur.Umbruch“ falsche Textpassagen veröffentlicht, diese sind nun berichtigt. Wir entschuldigen uns dafür in aller Form bei Prof. Mirko Baum und danken Ihm für die tolle Zusammenarbeit.

Architektur . Umbruch frei zusammengestellt nach einem Gespräch mit Prof. Ing. Arch. Mirko Baum am 02.08.2013 im Restaurant Frascati in Aachen und nach einem Gespräch mit Prof. Dr.-Ing. Christian Raabe, Professor für Denkmalpflege an der RWTH Aachen, am 21.08.2013 im Cafe Orient Expresso -ra/ke-

Große historische Umbrüche in der Baugeschichte gehen immer mit umwälzenden gesellschaftlichen, vor allem aber auch technischen Veränderungen einher und hinterlassen ihre Spur in den signifikanten Bauten ihrer Zeit. Zweifelsohne eine der wohl spannendsten Umbruchzeiten in der Baukunst ist der Übergang vom Klassizismus zur Epoche der Industrialisierung. Mit dem Aufstreben der Ingenieurswissenschaften werden einerseits monumentale technischen Bauwerke, wie z. B. Bahnhöfe in den europäischen Metropolen errichtet, gleichzeitig aber wird auch mit dem Weiterbau des im 13. Jahrhundert angefangenen Kölner Domes begonnen. Die stilistische und soziale Unsicherheit jener Zeit einerseits und die neuen technischen Möglichkeiten andererseits, sind typische Begleiterscheinungen eines solchen Umbruchs. Doch was genau ändert sich, wenn sich eine neue Architektursprache zu formen beginnt? Ist es nur der Baustil selbst, der sich aufgrund von neuen technischen Möglichkeiten und Innovationen ändert und anpasst? Muss sich nicht auch etwas in den Köpfen der Menschen ändern? Wie sonst kann eine solch neue Architektursprache zur Nachahmung anleiten und zu gesellschaftlicher Akzeptanz kommen? In diesem Zusammenhang ist es interessant, über den Begriff der Schönheit nachzudenken. Im allgemeinen Sinn ist es die gesellschaftliche Akzeptanz, die den Prüfstein für die Schönheit darstellt. Doch sollte sie eigentlich noch mehr sein. Wer oder was bestimmt sie, was finden wir schön und wann finden wir etwas schön? Darüber und über ihre persönlichen Umbruch-Erfahrungen und Einschätzungen haben wir uns sowohl mit Mirko Baum als auch mit Christian Raabe unterhalten.

Von Stararchitekten und Musikkomponisten Aus dem Gespräch mit Mirko Baum, dem emeritierten Professor für Konstruktives Entwerfen an unserer Fakultät, über Schönheit, Musik, Geometrie und natürlich über Architektur:

„Edle Einfalt und stille Größe“. Das diese am Ende des 18. Jahrhunderts vom Johann Joachim Winckelmann gemachte Aussage über die Architektur der Antike auch heute noch interessant sein kann, ist wohl ein Indiz dafür, dass Schönheit, oder das, was wir dafür halten, etwas mehr ist, als nur die Frage einer subjektiven Einschätzung.

Nach Mirko Baum hat Schönheit nur in kleinstem Maße etwas mit Geschmack zu tun. Es ist die Schönheit, die den Geschmack bildet, nicht umgekehrt, und die Fähigkeit Schönheit zu erkennen und sie zu erzeugen ist vor allem eine Frage der Bildung und der Erziehung. Schönheit muss man suchen und finden lernen, da sie nicht immer erkennbar und greifbar ist. Mit dem subjektiven gefühlsbetonten Teil der Schönheit geht auch immer eine rationale Komponente einher, nämlich die der Wahrheit. Den Sinn für das Wahre und Schöne kann man sich in gewissem Maße aneignen. Es geht darum, Regelwerke zu erkennen und zu lernen, mit denen die „künstlerische Freiheit“ auf die solide Basis eines gewissen „common sense“ gestellt wird. Denn die wahre Freiheit gibt es nur innerhalb von Grenzen, ähnlich wie z. B. in der Musik, in der die Tonart und der Takt die Struktur bilden. Beschäftigt man sich z. B. mit der Baugeschichte, gewinnt man ein sicheres Gefühl sowohl für die Qualität als auch für die Schönheit, denn beide, sowohl das Eine als auch das Andere, sind zwei Seiten derselben Münze. Betrachtet man die unterschiedliche historische Stationen des Schönheitsbegriffes in der Architektur, so begegnet man immer wieder bestimmten Regelwerken, die sehr oft von geometrischer Natur sind. Ob es das gleichseitige Dreieck der Gotik war, das nicht nur die Darstellung der Trinität sondern auch der geometrische Baustein der Spitzbogenkonstruktion war, ob es der Kreis der Renaissance war, mit dem Menschen in seinem Mittelpunkt, ob es das Oval des Barocks war, der mit seinen zwei Mittelpunkten die Dualität von Gott und Mensch darstellte allen diesen Epochen war gemeinsam, ihre Architektur in einem Kanon zu artikulieren und sie somit nach geltenden kulturellen und religiösen Vorstellungen messbar zu machen. Hiermit entstand eine

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gewisse „Schönheit der höheren Ordnung“, die stets nicht nur einer Metapher, sondern auch einer Formel verpflichtet war.

Schönheit kommt nicht nur aus dem Bauch heraus, Schönheit ist auch Kopfsache. Mit dem Blick auf seine Entwicklung wird gleichzeitig die Frage nach unserem heutigen Schönheitsbegriff gestellt. Auf welchen Nenner lässt sich z. B. die Architektur von Zaha Hadid oder Frank O. Gehry zusammen bringen? Gibt es überhaupt einen solchen Nenner oder ist das Vogelnest von Herzog und De Meuron in Peking etwa nichts weiteres als nur eine Beleidigung des Vogels, der von Natur aus in der Lage ist, sein Nest konstruktiv klug und leicht zu bauen, was den Schweitzer Architekten nicht gelungen ist? Befinden wir uns heute nicht in der Epoche eines neuen Manierismus? Zwingt uns nicht die Enttäuschung, die Väter der Neuen Sachlichkeit nicht überboten zu haben dazu, aus lauter Frust ihre Architektur auf den Kopf zu stellen, sie zu kneten, zu verbiegen und in irrationaler Weise zu verfremden? Kein vernünftiger Mensch kommt auf den Gedanken, einen Briefumschlag mit einer Banane öffnen zu wollen, sei es, es handelt sich um einen „modernen“ Architekten.

Nach Winckelmann ist eine Sache „gut und schön, wenn sie das ist, was sie seyn soll“, nicht mehr und nicht weniger. Sind wir nicht heute so weit, dass Architektur mehr sein will, als sie „seyn soll“, ohne dass jemand darüber eine Vorstellung hat, was dieses „mehr“ eigentlich ist? Kann und sollte man nicht besser versuchen wieder zur Einheit von Form, Funktion und Konstruktion zurückfinden? Die allergrößte Avantgard der Gegenwart ist normal zu bleiben! (Anm.: „seyn“ ist die Schreibweise des 18. Jhd.)

Christian Raabe definiert Schönheit ähnlich wie Mirko Baum. Er geht aber noch einen Schritt weiter. Schönheit ist eigentlich keine belastbare Kategorie. Was man gemeinhin unter Schönheit versteht, definiert er als künstlerischen Wert, eine Eigenart, deren Definition sich im Laufe der Zeit entwickelt hat und die viel besser formuliert, was die Begriffe Schönheit oder gar Kreativität (vollkommen unbrauchbar!) nur sehr ungenau beschreiben.

Der künstlerische Wert oder Gehalt

Und Goethe schrieb nach dem Studium des Straßburger Münsters: „… laß [teurer Jüngling] die weiche Lehre neuerer Schönheitelei, dich für das bedeutende Rauhe nicht verzärteln, daß nicht zuletzt deine kränkelnde Empfindung, nur eine unbedeutende Glätte ertragen könne. Sie wollen euch glauben machen, die schönen Künste seien entstanden aus dem Hang, den wir haben sollen, die Dinge rings um uns zu verschönern. Das ist nicht wahr!“ (Goethe: Von deutscher Baukunst, 1773)

Der künstlerische Wert oder Gehalt ist die innere Gesetzmäßigkeit, der innere Kanon, der eine Architektur zeit- und epochenunabhängig formt. Architekten sollten diese Eigen-Gesetzmäßigkeit immer wieder neu erfinden und ausformulieren. Die Mittel des architektonischen Ausdrucks ändern sich mit den neuen technischen Entwicklungen, neuen Materialien, den gesellschaftlichen Moden, den veränderten Bedingungen und Anforderungen und den neuen Werkzeugen. Durch ein permanentes Hinterfragen und Überdenken wird die Entwicklung der Architektur angetrieben und in vielen Fällen erkennt man Umbrüche nicht als solche, sondern man wächst mitunter einfach in sie hinein. Das computergestützte Entwerfen und Planen zum Beispiel, das es ermöglicht, gewagteste und extravaganteste Formen zu generieren, oder technische Innovationen und Forschungsfelder wie etwa das der Bionik generieren aus sich heraus nichts Neues, treiben aber die Entwicklung natürlich mittelbar an, da sie den tradierten Kanon in Frage stellen und zum Experiment sowie zum Spiel anregen. Zu lernen, mit diesen Veränderungen permanent umzugehen und damit immer einen Schritt in eine neue unbekannte Richtung weitergehen zu können, ist ein wichtiges Ziel unserer Architekturausbildung. Das war schon früher so und hat sich auch nicht durch den Bologna-Prozess geändert. Der einzige Unterschied ist der gestiegene Druck. Damals boten sich noch Möglichkeiten und Freiheiten, für die man sich heute verteidigen muss. Auch in diesem Zusammenhang gilt es das System immer wieder zu hinterfragen; auch an einer Universität braucht es ab und an eine Generalrevision und Umbrüche um weiter Vor-Denken zu können. Wie sieht eigentlich ein gutes, zeitgemäßes Architekturstudium aus? Seite 41

Korrektur



Impressum Die Redaktion übernimmt keine Verantwortung für die jeweiligen Artikel. Die Verfasser zeigen sich mit dem Einsenden ihres Artikels selbstverantwortlich. Alle Inhalte und Fotos ohne Quellenangaben wurden mit Einverständnis des Urhebers gedruckt. Herausgeber Fachschaft Architektur reiff life Schinkelstraße 1 52062 Aachen Redaktion und Layout Jan Fries -frRebecca Tritscher -trStefanie Kerner -keVielen Dank an Gina Rauschtenberger -ra-

(die in der letzten Ausgabe beim Artikel Architektur.Umbruch leider vergessen wurde)

Sophie Riem -riJuliane Seehawer Charlotte Leuchtenberger Felix Möllering Martina Tappe Marina Thelen Lisa Saling Stefan Krapp Prof. Hans Geser (Universität Zürich) Bernadette Heiermann Tillmann Heuter Prof. Anke Naujokat Prof. Christian Raabe Prof. Mirko Baum Prof. Michael Schulze Prof. Axel Sowa Dipl.-Ing. Petra Vondenhof-Anderhalten die Fachschaft AC Unicopy reiff life SS14 im September 2014 Ausgabe 05

http://issuu.com/reifflife



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