curt Magazin #93 // Nachhaltigkeit im urbanen Raum

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VOLL AUF DEM E-GO TRIP

TEXT: CHRISTOPH BRANDT

München – wo Selbstüberschätzung wichtiger ist als Sicherheit und wo es augenscheinlich mehr Stau fördernde Baustellen als befahrbare Straßen gibt – hat sich im Sommer letzten Jahres eine weitere Plage eingehandelt: den gemeinen Elektro-Scooter. Ich für meinen Teil fand die Dinger schon räudig, als sie zwar keinen Motor, dafür drei Räder besaßen und man sie mit einem spackigen Knauf steuerte. Die sogenannten Kickboards waren ein klassisches 1:0 für die natürliche Selektion. Und ich dachte, es existieren bereits Segway-Touren, um von Weitem herauszufinden, wer die Schwachmaten der Gesellschaft sind. Das ist wohl auch der Grund, weshalb ein Großteil der E-Scooter-Nutzer sich vor der Fahrt hemmungslos die Kante gibt. Schließlich kann nur so die soziale Schmach überwunden werden, sich mit dem peinlichen Vehikel in der Öffentlichkeit blicken zu lassen. Oft steht man mindestens zu dritt auf einem Gefährt, weil der schnapsselige Flachlandtiroler am Lenker seinen Führerschein auf dem Nintendo abgelegt hat und ergo mutmaßt, dass sich sein beachtlicher Promillewert auf mehrere Mitfahrer verteilen lässt. Die hiesigen Herren in Blau haben ob der süßesten Versuchung, seit es Nullchecker gibt, bis dato sage und schreibe knapp 2000 Lappen einkassiert. Von wegen „Letzte Meile“, das kannste einem erzählen, der die Hose hinten zumacht. Obwohl in München derzeit ca. zehn Anbieter mitmischen, werden die Leihroller in den Randgebieten eher selten gesichtet. Was ein Jammer, denn dort, wo die Haltestellen sehr weit auseinander liegen, würden die Scooter ja sogar einigermaßen Sinn machen. Je näher man sich aber Richtung Marienplatz bewegt, desto häufiger begegnet man unbedarften Kamikaze-Winzlingen oder vitalen Teilzeit-Adoleszenten auf ihren Spritztour-Spaßmobilen. Als ob die Teilnahme am Straßenverkehr auf den zu schmalen Radschutzstreifen für Normalsterbliche wie mich nicht schon abenteuerlich genug wäre.


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