Filmpodium Programmheft April/Mai 2022 // Programme April/May 2022

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1. April – 31. Mai 2022

TILDA SWINTON PIER PAOLO PASOLINI


Filmpodium-Highlights April/Mai THE QUEERING OF NATURE: DEREK JARMANS WERK IM SPIEGEL SEINES GARTENS S. 14 Vortrag von Elise Lammer DI, 5. APRIL | 18.00 UHR

PIER PAOLO PASOLINI S. 31 Podiumsdiskussion mit Milo Rau, Stefan Zweifel, Cecilia Valenti, Vinzenz Hediger und Toni Hildebrandt (Gesprächsleitung) DO, 7. APRIL | 18.00 UHR

THE STORY OF FILM: A NEW GENERATION, PART I

S. 49

Gespräch mit Mark Cousins (zugeschaltet) nach der Vorstellung DI, 19. APRIL | 18.00 UHR

PASOLINI – DER VOM LEBEN VERURTEILTE DICHTER

S. 27

Lesung mit Wolf Wondratschek, Christian Reiner und Graziella Rossi SO, 24. APRIL | 11.00 UHR

DOUBLE BILL ON DOUBLE BILL S. 11 Elisabeth Bronfen und Johannes Binotto im Gespräch Ein Pas de deux zu Only Lovers Left Alive und La notte MI, 27. APRIL | 20.00 UHR

MASTER CLASS MIT ANGELINA MACCARONE

S. 37

FR, 29. APRIL | 18.00 UHR

PINK APPLE FESTIVAL AWARD: ANGELINA MACCARONE Preisverleihung und Apéro nach Kommt Mausi raus?! SA, 30. APRIL | 18.00 UHR

DAS KINO DURCH DIE AUGEN VON JOANNA HOGG

S. 46

Michael Sennhauser im Gespräch mit der britischen Regisseurin FR, 6. MAI | 18.30 UHR

VIDEOESSAY-SALON MIT JOHANNES BINOTTO DO, 12. MAI | 21.15 UHR

FAROCKI-FORUM. BILDERKRIEG

S. 50

mit Vortrag von Prof. Ute Holl DO, 19. MAI | 18.00 UHR

EIN ABEND MIT TILDA SWINTON

S. 19 Florian Keller im Gespräch mit Tilda Swinton DI, 31. MAI | 18.30 UHR

S. 47

S. 37


01 Editorial

Wahlverwandtschaften und Filmfamilien Film ist Teamarbeit. Film verbindet. Nicht selten wird daher aus einem Filmteam eine Filmfamilie – manchmal nur für die Dauer eines Projektes, manchmal für ein Leben. Unser Programm ist sprechender Beweis für diese vielfältigen Familienbande: Tilda Swinton, die am 31. Mai unser Kino zum Strahlen bringen wird, ist so ein Familienmensch: Als Derek Jarmans schöpferische Muse, enge Freundin und Nachlassbewahrerin hat sie den Künstler durch sein Leben und darüber hinaus begleitet. Wir präsentieren die schwindelerregende Schaffensvielfalt der Ikone Swinton, die sich mühelos und genderfluid zwischen Experiment und Mainstream bewegt und für wahrhaftiges Kino einsteht – vor und hinter der Kamera. Mit dem schottischen Filmemacher Mark Cousins etwa hat sie ein Wanderkino gegründet, das Filmkunst in die entlegenen Hügel der Highlands bringt. Und sie ist Erzählerin in seinen Dokumentarfilmen zur Geschichte des Kinos. Wir laden zu Cousins’ neustem Streich: A Story of Film: The New Ge­ neration und einer Begegnung mit ihm am 19. April. Mit «Cinema Seen Through the Eyes of: …» starten wir ein neues Format: Wir bitten wegweisende Filmpersönlichkeiten, uns Filmgeschichte durch ihre Augen erleben zu lassen. Unser erster Gast, die britische Filmemacherin ­Joanna Hogg, bereitet uns gleich eine Überraschung: Nicht Avantgardekino, wie zu erwarten wäre, prägt ihre Auswahl, sondern Hollywoodmusicals. Am 6. Mai erzählt sie uns, was es damit auf sich hat. Ihre eigenen Arbeiten zeigt das Kino Xenix in einer Werkschau – inklusive Hoggs autobiografischer SouvenirFilme mit Freundin Swinton in einer der Hauptrollen. Wir freuen uns über die Kooperation mit dem Xenix und sagen: Filme zeigen verbindet – und nutzen diese Feststellung für einen grossen Dank ans eigene wunderbare Team. Pier Paolo Pasolini, Intellektueller, Autor, Regisseur – er wäre im März 100 Jahre alt geworden. Wir ehren Pasolini im Kontext des zeitgenössischen italienischen Kinos mit selten gesehenen Werken von Cineast:innen, die er mitgeprägt hat, und legen auch hier Seelenverwandtschaften frei. Im Zentrum der Retro: ein prominent besetztes Podium und eine Lyrik-Lesung, mit der wir uns dem streitbaren Freigeist nähern. Mit diesem Feuerwerk an Veranstaltungen und Gästen verabschieden wir uns für einen Monat von Ihnen, denn die technischen Anlagen im Filmpodium müssen dringend überholt werden. Wir werden Sie vermissen und freuen uns auf ein Wiedersehen am 1. Juli, denn: Auch Filme schauen verbindet! Nicole Reinhard Titelbild: Only Lovers Left Alive von Jim Jarmusch


02 INHALT

Tilda Swinton

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Der Vorname reicht, um das Bild dieser zeitlosen Schauspielerin zu beschwören, die wie keine andere gezeigt hat, wie fluid die Grenzen der Geschlechtlichkeit und sogar des Menschseins sind. Noch bevor sie 1992 in Sally Potters Orlando als Mann/Frau durch die Geschichte wandelte, hatte sie in Peter Wollens Friendship’s Death (1987) einen ausserirdischen Roboter verkörpert. Als grosszügige und schöpferische Muse von Derek Jarman, Jim Jarmusch, Wes Anderson, Lynn Hershman-Leeson, Luca Guadagnino und Joanna Hogg hat sie deren Werk nachhaltig geprägt. Daneben hat sie auch als Autorin und Produzentin viele cineastische Experimente überhaupt erst ermöglicht. Für den 31. Mai hat Tilda Swinton ihren Besuch im Filmpodium angekündigt. Bild: Io sono l’amore

Pier Paolo Pasolini

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Pier Paolo Pasolini wäre im März 2022 100 Jahre alt geworden. Viele der Filme, die er in den 60er- und 70er-Jahren selbst inszenierte, stellten die Werte einer industrialisierten, immer konsumorientierteren Gesellschaft in Frage und sorgten damals für Skandale. Heute sind Werke wie Ac­ cattone (1961), Il vangelo secondo Matteo (1964) und Salò o le 120 gior­ nate di Sodoma (1975) moderne Klassiker. Weniger bekannt sind manche Filme, die von anderen inszeniert wurden, die Pasolini aber als Autor der Vorlage oder des Drehbuchs mitgeprägt hat. Wir zeigen den provokativen Cineasten auch als grosszügigen Mentor und beleuchten Werke seiner Zeit- und Gesinnungsgenoss:innen. Ergänzt wird die Filmreihe mit einer Lesung und einer Podiumsdiskussion. Bild: Il vangelo secondo Matteo


Angelina Maccarone

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Pink Apple verleiht seinen diesjährigen Festival Award der deutschen Cineastin Angelina Maccarone. Wir zeigen sechs ihrer Filme, die sowohl queere Themen in Szene setzen als auch mit starken Frauenfiguren aufwarten.

Cinema Seen Through the Eyes of: Joanna Hogg

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Joanna Hogg zählt zu den spannends­ ten Filmemacherinnen der Gegenwart. Das Xenix widmet ihr im Mai eine Retrospektive, samt dem auto­ biografischen Zweiteiler The Souve­ nir. Das Filmpodium zeigt zehn Filme, die Joanna Hogg ausgewählt hat, weil diese für sie wegweisend waren, darunter Martin Scorseses New York, New York und Chantal Akermans Toute une nuit. Joanna Hogg wird in beiden Kinos zu Gast sein. Bild: Playtime

© nautilusfilm / polyband Medien GmbH

© Les Films de Mon Oncle - Specta Films C.E.P.E.C.

03

The Story of Film: A New Generation: Part 1+2

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Nach The Story of Film: An Odyssey liefert Mark Cousins nun mit The Story of Film: A New Generation ein grandioses Update, das die Jahre 2010 bis 2021(!) umfasst – und steht via Zoom Rede und Antwort.

Filmpodium für Kinder: 51 Die Wiese – Ein Paradies nebenan Eine Entdeckungsreise in eine Welt, die fast vor unserer Haustür liegt. Faszinierend, was es in einer Wildwiese alles an Pflanzen, Pilzen, Tieren und Insekten zu sehen und zu erleben gibt. Aber diese Vielfalt ist bedroht. Bild: Die Wiese – Ein Paradies nebenan

Einzelvorstellungen Salon Videoessay in der Lounge 47 Farocki-Forum: Bilderkrieg 50 Sélection Lumière: Le diable 52 probablement



05

Tilda Swinton – furchtlose Gestaltwandlerin Tilda Swinton geht aufs Ganze. Tilda Swinton macht – nein, besser: Sie ist Kunst. Immer! Ob punkiges Experiment oder ambitionierter Mainstream, Swinton schreibt sich in ihre Rollen mit Aura und Körpereinsatz ein, wird in wenigen Spielminuten zum Gravitationszentrum jedes Films. Wir präsentieren die atemberaubende Bandbreite ihres Schaffens als schöpferische Muse, furchtlose Schauspielerin und engagierte Produzentin – und freuen uns auf ihren Besuch am 31. Mai. Ihr erster Filmauftritt bleibt unvergessen. Wir sahen sie 1986, inmitten der Nachwehen der Jugendbewegung in Zürich, zwischen Demonstrationen für Frauenrechte und sexuelle Freiheit, in Caravaggio von Derek Jarman und wussten: Dieses sprühende, androgyne Feuer ist mehr als die Darstellung e­ iner Figur. Tilda Swinton zeigte bereits in ihrem ersten Film die Sprengkraft ihrer Präsenz und ihre stupende Wandelbarkeit: Eine eher unscheinbare, ärmliche Frau erblühte unter den Augen des Künstlers Caravaggio bzw. Jarmans Regie in den Tableaus des Films zu einer umwerfenden, rothaarig glühenden Erscheinung, zum Zentrum des Begehrens aller, zum Bild für das pulsierende Leben schlechthin. Hinweggefegt waren mit diesem Auftritt Swintons die sich quälend langsam aus Unterdrückungsverhältnissen entwindenden Frauen­figuren im Kino jener Zeit und die damals noch mehrheitlich verschämt-­verbrämten Darstellungen anderer als heterosexueller Sexualität. Sie war – und ist auch heute, mit bald 62 Jahren – eine Erscheinung von einem anderen Stern: kühne 1,80 Meter schlank, strahlendes Elfenbeinantlitz, grüne Augen, die je nach Situation wie dunkle Nadeln aus ihrem Gesicht stechen oder sich in unergründlich helle Gräulichkeit auflösen, ein Nasenprofil wie ein gehisstes Segel und ein derart leichter Gang, als gäbe es keine Erdanziehung. Noch lange vor GenderStern und -Doppelpunkt, als selbst das Binnen-I noch eine mehrheitlich belächelte Forderung war, setzte Swinton mit ihrer Physis neue Massstäbe: Sie war die Verkörperung einer Vision und bereits von dem Moment an, als sie mit Jarmans Caravaggio im Kinolicht erstrahlte, eine Ikone. Viele haben sie in ihrer schillernden, genderfluiden Präsenz und Performanz auch mit David Bowie verglichen, den Swinton als ihren geistigen Cousin bezeichnet – und mit dem sie u. a. 2013 das Video The Stars (Are Out Tonight) drehte. Apokalyptische:r Tyrann:in: Snowpiercer Zwischen Zeiten und Geschlechtern: Orlando Mutter im Ausnahmezustand: We Need to Talk About Kevin


06 Schöpferische Muse und grosszügige Schöpferin Wenn man sieht, wer Tilda Swinton geprägt und auf ihrem Weg begleitet hat, als Schauspielerin, aber auch als Essayfilmerin hinter der Kamera, wenn man die Namen der Regisseur:innen und Künstler:innen, mit denen sie gearbeitet hat, betrachtet, so ist John Berger, dem sie den Dokumentarfilm The Seasons in Quincy gewidmet hat, sicher eine wichtige Begegnung, aber die intensive Arbeit mit dem britischen Regisseur Derek Jarman war mit Abstand die tiefschürfendste. Von 1986 an trat sie bis zu seinem Tod 1994 in jedem seiner Filme auf, ja, sie war die Jarman-Darstellerin und nicht mehr wegzudenkender Bestandteil seines ästhetischen Universums, er ihr Mentor und Kreator, sie der Star und seine schöpferische Muse. In Jarmans explosivem Bilderrausch The Last of England (1987), seinem anklagenden Abgesang auf die englische Kultur, ist Swinton in einer finalen Sequenz als junge Braut zu erleben, die sich in eine Art tanzenden Derwisch verwandelt. In Edward II von 1991 wiederum, wie Caravaggio in konsequent antinaturalistischem Stil inszeniert, mutiert sie in der Rolle der Königin vom eingeschüchterten Opfer zur machthungrigen Intrigenspinnerin. Wie wichtig Jarmans gemeinschaftsbildende Arbeit und kämpferische, nonkonformistische Haltung für Swinton, aber auch für viele Künstlerinnen und Künstler national und international war, wird in Isaac Juliens und Swintons Film Derek (2008) deutlich, den die beiden Jarmans Vermächtnis gewidmet haben. Doch Tilda Swinton bewies auch bald, dass sie als Schauspielerin nicht einfach das Produkt Jarmans war, sondern eine eigenständige Künstlerin, die Rollenangebote kritisch prüft und Regisseur:innen den Vorzug gibt, die in einem avantgardistischen Arthouse-Sektor zu Hause sind. Die Titelfigur in Sally Potters Orlando, der auf Virginia Woolfs gleichnamigem Roman basiert, wurde für Swinton unter all den vielen Figuren, die sie ab 1990 verkörperte, zur Paraderolle, in der sie ihr Image und ihr Format zelebrierte: als hybride, geradezu überirdische Erscheinung mit verblüffender Fähigkeit zur Veränderung. Als Orlando rast Swinton auf atemberaubende Weise durch die Zeiten und die Geschlechter. Der spielende Wechsel zwischen Mann und Frau, den Swinton bereits 1987 und 1988 in englischen Theatern in «Jacke wie Hose» von Manfred Karge dargestellt hatte, ist auch der Kern der filmischen Adaption Man to Man, die John Maybury 1992 auf ihre Initiative hin realisierte: ein Parforce-Stück, in dem Swinton Rotzbengel, Fledermaus, Dandy, Entertainer, Königin oder auch grotesk gealterte Frau und vieles mehr ist. Die Erweiterung der Kunstzone Nach Potter engagierte sie u. a. Susan Streitfeld für eine Hauptrolle; in Female Perversions von 1996 ist Swinton als erfolgreiche Anwältin zu sehen, die mit ihrer delinquenten Schwester und dadurch unausweichlich mit eigenen Ängsten und Schwächen konfrontiert wird. Es sind solche existenziellen Umkipp-


07 momente, die sie fortan so eindrücklich zu spielen weiss. Vom gejagten Reh, der unanfechtbaren Karrieristin oder der perfekten Gattin mutiert sie zur begehrenden, hemmungslosen, selbstbewussten oder auch kühl berechnenden Frau. Und nicht selten wird sie als ältere Frau und Mutter halbwüchsiger oder erwachsener Kinder von jüngeren Männern begehrt – vielleicht einer der letzten Tabubrüche unserer Gesellschaft –, wie beispielsweise in Young Adam (2002) von David Mackenzie an der Seite eines blutjungen Ewan McGregor, in Io sono l’amore (2009) von Luca Guadagnino oder im Thriller The Deep End (2001) von Scott McGehee und David Siegel. Die Liste der Regisseur:innen, mit denen Swinton meist mehr als nur einmal gearbeitet hat, steht für ein ambitioniertes und oft experimentelles Arthouse- oder Independent-Kino: Peter Wollen (Friendship’s Death, 1987), Lynn Hershman-Leeson (Conceiving Ada, 1997), Lynne Ramsay (We Need to Talk About Kevin, 2011), Jim Jarmusch (u. a. Only Lovers Left Alive, 2013), Wes Anderson (The Grand Budapest Hotel, 2014), Pedro Almodóvar (The Human Voice, 2020), Apichatpong Weerasethakul (Memoria, 2021). Die Palette ihrer Darstellungen in diesen Filmen reicht von der verhärmten Ehefrau oder einer schwerreichen Greisin über die Darstellung historischer Figuren wie Ada Lovelace bis hin zu einer Vampirin oder Ausserirdischen. Swinton ist aber auch im Mainstream-Kino zu sehen, in grossen Hollywood-Produktionen, in Science-Fiction-, Action- und Fantasyfilmen – solange sie in ihnen einen widerständigen, eigenwilligen Kern entdeckt: etwa als Tyrannin Mason in Snowpiercer von Bong Joon-ho oder als keltische Weise in Doctor Strange. Die Zusammenarbeit mit George Clooney in Michael Clayton brachte ihr einen Oscar als Nebendarstellerin ein. Doch an die Vielfarbigkeit und Faszination ihrer Auftritte in den Filmen von Almodóvar, Potter, Anderson und Jarman reichen die konventionelleren Filme niemals heran – und auch nicht an eine so magische Szene wie jene in Memoria, in der sie einem Sounddesigner den rätselhaften Klang zu beschreiben versucht, den nur sie zu hören scheint.

Bettina Spoerri

Bettina Spoerri ist Kulturvermittlerin, Autorin, Moderatorin, Filmkritikerin, Mitbegründerin des Seret-Filmclubs und Präsidentin der Internationalen Kurzfilmtage Winterthur.

The Souvenir (2019) und The Souvenir: Part II (2021) von Joanna Hogg mit Honor Swinton Byrne in der Hauptrolle und Tilda Swinton als Mutter sind im Mai im Rahmen der Joanna-HoggRetrospektive im Kino Xenix zu sehen. The Garden von Derek Jarman präsentiert Pink Apple in Kooperation mit dem Filmpodium als «Uto Goes Pink»-Vorstellung am 13.4.2022.


> Man to Man.

> Caravaggio.

> Friendship’s Death.

> Edward II.

> Conceiving Ada.

> The Last of England.


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Tilda Swinton

CARAVAGGIO GB 1986 «Derek Jarmans Klassiker des europäischen ­Kinos ist die Verfilmung des wilden Lebens des Renaissance-Malers Caravaggio. Berühmt als Schöpfer düsterer und erotischer Werke, die seinen reichen und mächtigen Auftraggebern und Gönnern nicht selten unheimlich waren – beargwöhnt wegen seines Umgangs mit Strichern und Tagelöhnern. Er lebt in einer Dreierbeziehung mit dem schönen Dieb Ranuccio und dessen Frau, der Prostituierten Lena (Tilda Swinton), zusammen, die auch für seine berühmtesten Bilder Modell stehen. Die Ménage-à-trois endet mit dem tragischen Tod Lenas, und Caravaggio muss sein restliches Leben auf der Flucht verbringen.» (salzgeber.de) «Mit einem unerhörten Blick in die Kamera betritt Tilda Swinton 1986 in Derek Jarmans Caravaggio das Universum des Kinos (…). Lena, so ­heisst ihre Madonna mit dem dreckigen Gesicht, blickt in einen Spiegel, nimmt das Kopftuch ab, das sie bis dahin getragen hat, und legt mit einem atemberaubenden Schwung ihr märchenhaft langes, aprikosenfarbenes Haar frei, lässt es den Rücken hinunterfallen wie einen Seidenmantel. Dann sieht sie direkt in die Kamera. Und der Blick dieser Schönheit, die selbstbewusst zurückschaut auf den Betrachter, wird im Gedächtnis des Kinos stecken bleiben wie ein Haken. ‹Für die Ewigkeit und einen Tag›, wie Caravaggios Formel der Liebe heisst.» (Martina Knoben, Du, Nov. 2010) 93 Min / Farbe / DCP / E/d // REGIE Derek Jarman // DREHBUCH Derek Jarman, Suso Cecchi d’Amico, Nicholas WardJackson // KAMERA Gabriel Beristain // MUSIK Simon FisherTurner // SCHNITT George Akers // MIT Nigel Terry (Caravaggio), Tilda Swinton (Lena), Sean Bean (Ranuccio), Dexter Fletcher (der junge Caravaggio), Michael Gough (Cardinal del Monte), Nigel Davenport (Giustiniani).

FRIENDSHIP’S DEATH GB 1987 «Amman, Jordanien, ‹Schwarzer September› 1970. Der Journalist Sullivan, ein Sympathisant der PLO, wird gebeten, eine junge Frau zu identifizieren, die man ohne Pass und Papiere aufgegriffen hat. Er nimmt sie mit in sein Hotel, wo sie ihm erklärt, eine ausserirdische Friedensbotin mit dem Codenamen Friendship zu sein und auf dem Weg zum M.I.T. eine falsche Abzweigung genommen zu haben. Sie solle mit besonders hoch entwickelten Angehörigen der menschlichen Spezies Kontakt aufnehmen. Nach anfänglichem Zögern glaubt ihr Sullivan, doch Friendship ver-

liert zusehends das Interesse an ihrer ursprünglichen Mission und beobachtet lieber das Leben auf den Strassen Ammans.» (Viennale, 2009) «1987 drehte der verstorbene englische Kritiker, Theoretiker und Filmemacher Peter Wollen seinen einzigen Solo-Spielfilm: ein unbekümmert verwirrendes Kammerspiel namens Friendship’s Death. (...) Friendship wird von Tilda Swinton gespielt wie eine Kreuzung aus E.T. und David B ­ owie in The Man Who Fell to Earth.» (Peter Bradshaw, theguardian.com, 16.6.2021) 75 Min / Farbe / DCP / E/e // DREHBUCH UND REGIE Peter Wollen // KAMERA Witold Stok // MUSIK Barrington ­Pheloung // SCHNITT Robert Hargreaves // MIT Tilda Swinton (Friendship), Bill Paterson (Sullivan), Patrick Bauchau (Kubler), Ruby Baker (Catherine).

THE LAST OF ENGLAND GB/BRD 1987 «Grobkörniges Super 8 in Schwarzweiss: Derek Jarman sitzt einsam in seiner Industrie-Loft im Londoner Bankside-District an einem Tisch, denkt nach, dichtet und schreibt. Ein junger Mann stampft auf der lebensgrossen Replik von Caravaggios ‹Amor Vincit Omnia› (1602) herum, bis er sich dem gemalten Körper schliesslich hingibt. Auf der Tonspur: eine warm-mächtige Musik und die verführerische Off-Stimme von Nigel Terry. Schon in diesen Anfangssequenzen entwickelt der Film mit den verschiedenen visuellen und akustischen Ebenen einen veritablen Sog. (…) The Last of England eröffnet ein Zeitbild der Achtzigerjahre im nachindustriellen England unter Thatcher und im Zeitalter von Aids und Drogen. Gleichzeitig ist es ein sehr persönliches Werk von Derek Jarman, in dem sich, geprägt von der HIV-positivDiagnose und dem Tod des Vaters, gesellschaftliche und private Erinnerungen verbinden.» (Beat Schneider, Xenix, 2010) «Tilda Swinton wird Jarmans Heroine, die der Maler und Lichtkünstler wie ein Altmeistergemälde inszeniert (...). Er macht sie zur Ikone – Tilda Swinton schenkt ihm dafür ihre Hingabe. Wer sagt denn, dass Hingabe etwas Passives sein muss! Sie brüllt und rast in The Last of England (1988) als Schmerzensbraut, die mit einer Schere ihr Hochzeitskleid malträtiert, in ihrem zweiten Jarman-Film.» (Martina Knoben, Du, Nov. 2010) 87 Min / Farbe + sw / 35 mm / E/d // DREHBUCH UND REGIE Derek Jarman // KAMERA Tim Burke, Richard Heslop, Christopher Hughes, Derek Jarman, Cerith Wyn Evans // MUSIK Simon Fisher-Turner // SCHNITT Peter Cartwright, Angus Cook, John Maybury, Sally Yeadon // MIT Tilda Swinton (die Braut), Spencer Leigh (Soldat, u.a.), «Spring» Mark Adley (Spring, u. a.), Nigel Terry (Erzähler).


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Tilda Swinton

MAN TO MAN GB 1991 «Der deutsche Dramatiker und Schauspieler Manfred Karge verfasste sein Stück ‹Jacke wie Hose› Anfang der 80er-Jahre. In seinem Ein­ personendrama geht es um eine Frau, die im Deutschland der 30er-Jahre in die Rolle ihres verunglückten Mannes, eines Kranfahrers, schlüpft und dessen Arbeit fortführt. (...) Ella Gericke übernimmt nicht nur die Rolle des Mannes, sondern erlebt Massenarbeitslosigkeit, Nazizeit und Wirtschaftswunder. (…) Tilda Swinton trat an den britischen Regisseur John Maybury heran, um ihn für die Adaptierung des Stückes zu gewinnen, das sie zuvor bereits (im Theater) gespielt hatte. Maybury behielt die Bühnenatmosphäre bei, drehte nur wenige Aufnahmen vor Ort in Berlin, verliess sich darüber hinaus ganz auf die Präsenz seiner Hauptdarstellerin. Das Ergebnis ist eine One-­Woman-Show, eine Tour de Force für Swinton, die in der Figur Ella Gericke völlig aufgeht.» (viennale.at 2009) 72 Min / Farbe + sw / Digital SD / E/d // REGIE John Maybury // DREHBUCH John Maybury, nach dem Theaterstück «Jacke wie Hose» von Manfred Karge // KAMERA Dominique Le ­Rigoleur // MUSIK Nigel Holland, Marvin Black, Dean Speedwell // SCHNITT John Maybury, Nigel Harley, James Bygrave, Bruce McKenna // MIT Tilda Swinton (Ella/Max Gericke).

EDWARD II GB 1992 «England zu Beginn des 14. Jahrhunderts. Nach dem Tod seines despotischen Vaters kann der junge König Edward II. endlich seinen verstossenen Liebhaber Gaveston zurück nach London holen. Die obsessive Liebe des Herrschers bringt schnell die Lords und Kirchenmänner gegen den Günstling auf, der von Edward mit Adelstiteln und Reichtümern überhäuft wird. Die verschmähte Königin Isabella, gespielt von Tilda Swinton, verbündet sich mit dem machthungrigen Lord Mortimer gegen den Ehemann, und auch das Volk erhebt sich gegen die unkonventionelle Liebe. Und während Edward verzweifelt sein Recht auf Glück einfordert, versinkt das Land im Bürgerkrieg (…) Eine schwule Liebe, die eine homophobe Gesellschaft ins Chaos stürzt.» (salzgeber.de) «Swinton, die für ihre Rolle in Venedig als beste Schauspielerin ausgezeichnet wird, ist das emo­ tionale Kraftzentrum als Königin Isabella, die ver­ stossene Ehefrau von König Edward. (…) Swinton zeichnet die Reise ihrer Figur gekonnt und mit der Noblesse, die sie verdient. Gemessen und zurückhaltend, scheint Swinton immer nur Sekunden

­avon entfernt, ihre selbstsichere Fassade zu d durchbrechen und ihre verschmähte Seele zu enthüllen.» (indiewire.com, 5.11.2015) 90 Min / 35mm / E/d // REGIE Derek Jarman // DREHBUCH ­Derek Jarman, Stephen McBride, Ken Butler, Steve Clark-Hall, nach dem Theaterstück von Christopher Marlowe // KAMERA Ian Wilson // MUSIK Simon Fisher-Turner // SCHNITT George Akers // MIT Tilda Swinton (Isabella), Steven Waddington (Eduard II.), Andrew Tiernan (Gaveston), Nigel Terry (Mortimer).

ORLANDO GB/Frankreich 1992 «Der Adelige Orlando lebt im späten 16. Jahrhundert am Hof von Königin Elisabeth I. von England. Hier beginnt auch seine Suche nach Liebe, Poesie, einem Platz in der Gesellschaft und dem Sinn des Lebens. Die Gabe der Monarchin an Orlando, ewig zu leben, ermöglicht ihm eine lange, philosophische Reise und einen Botschafter-Aufenthalt im Fernen Osten. Die andere Seite der Medaille zeigt sich, als Orlando, nach einem traumatischen Ereignis überdrüssig und abgestossen von der männlichen Lebensweise, eines Morgens als Frau erwacht. Orlando sucht weiter nach der Wahrheit des Lebens, der Liebe und der Sexualität im England des späten 18. Jahrhunderts. Seine/ihre Reise durch die Zeit endet im lärmenden London von heute. Für jemanden, der vierhundert Jahre gelebt hat, ohne einen Tag zu altern, wird schliesslich Androgynität der Schlüssel zum Glück.» (Tilda Swinton, zit. viennale.at) «Woolf schrieb ‹Orlando›, so Swinton, ‹in einer Haltung, in der sie die oszillierende Natur der Exis­ tenz feierte. Sie glaubte, dass der kreative Geist androgyn ist. Ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass es in ‹Orlando› weit weniger um das Geschlecht geht als um die Flexibilität des völlig wachen und empfindsamen Geistes.›» (aperture.org) 94 Min / Farbe / 35 mm / E/d/f // REGIE Sally Potter // DREHBUCH Sally Potter, nach dem Roman von Virginia Woolf // ­KAMERA Alexej Rodionow // MUSIK Sally Potter, David ­Motion, Fred Frith // SCHNITT Hervé Schneid // MIT Tilda Swinton (Orlando), Quentin Crisp (Queen Elisabeth I.), Jimmy Somerville

(Falsetto/Engel),

Billy

Zane

(Shelmerdine),

­Lothaire Bluteau (Khan).

PREMIERE: THE HUMAN VOICE Spanien 2021 «Eine Frau beobachtet, wie die Zeit vergeht – neben den gepackten Koffern ihres Ex-Geliebten (der sie abholen soll, aber nie erscheint) und einem rastlosen Hund, der nicht versteht, dass sein Herrchen ihn verlassen hat. Zwei Lebewesen,


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Tilda Swinton konfrontiert mit dem Verlassenwerden.» Pedro Almodóvar, zit. www.labiennale.org, 2020 «Erstmals hat Almodóvar auf Englisch gedreht und sich für die Form des Kurzspielfilms entschieden. Davon abgesehen demonstriert er in dieser halben Stunde, die auf einem Ein-Personen-Stück von Jean Cocteau basiert, einmal mehr seine Stärken: mit einer eleganten Inszenierung, stilvollen Kompositionen und einer grandiosen Protagonistin. Almodóvar bereitet Tilda Swinton die Bühne, auf der sie als Frau im Liebes­ krisenmodus die ganze Bandbreite ihres Spiels zeigen kann.» (Sascha Rettig, viennale.at 2020)

CONCEIVING ADA USA 1997 «Conceiving Ada ist ein fantasievolles, vielschichtiges Experiment über zwei Frauen, die über den

Cyberspace eine Verbindung über die Zeit hinweg aufbauen und dabei bemerkenswerte Parallelen zwischen ihren Leben entdecken. Emmy ist eine Expertin für genetisches Gedächtnis, eine Frau, der ihre Arbeit über alles geht. Emmys Obsession und Inspiration ist Ada Byron King (Tilda Swinton), (…) die Tochter Lord Byrons. Die unabhängige Denkerin, die sich gegen ihre arrangierte Ehe und ihre Kinder sträubte, schrieb die erste Computersprache. (…) Wie Ada ist auch Emmy ein rastloses Genie, das die Rolle, die die Gesellschaft den Frauen auferlegt, wie ein kratziges Tuch trägt..(…) Emmy (..) entwickelt eine Methode, um Informationen aus der Vergangenheit abzurufen und direkt mit Ada zu kommunizieren. (…) Die leuchtende Swinton spielt Ada wie eine Suchende aus dem 20. Jahrhundert, die in der strengen Enge des ­viktorianischen Englands gefangen ist – und verleiht Conceiving Ada seine fesselndsten Momente. Mehr als jede andere zeitgenössische Schauspie-

DOUBLE BILL ON DOUBLE BILL: ONLY LOVERS LEFT ALIVE UND LA NOTTE

MI, 27. APRIL | 20.00 UHR

Im Zwiegespräch aus zwei ganz unterschiedlichen Filmen ein stimmiges Duett machen – das ist das Prinzip des Filmpodium-Formats «Double Bill on Double Bill». Was aber haben die Jahrhunderte alten Vampire aus Jim Jarmusch Only Lovers Left Alive mit der besseren Gesellschaft aus ­Michelangelo Antonionis La notte gemein? Im direkten Vergleich entpuppt sich die Stimmung in den nächtlichen Strassen des Nachkriegs-Mailand als verblüffend ähnlich zu jener des bankrotten Detroit im neuen Jahrtausend. Und auch die fundamentale Frage, wozu es sich überhaupt zu existieren lohnt, scheint die Vampire, die niemals sterben können, auf ganz ähnliche Weise zu ­quälen wie die Reichen, die sich schon als Lebende wie tot fühlen. Solchen und vielen anderen Verbindungen gehen die Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen und der Medienwissenschaftler Johannes Binotto im Gespräch nach und zeigen, wie die zwei Filme ein verblüffendes Paar bilden, über zeitliche und räumliche Distanz hinweg. Mit dem Double-Bill-Ticket können Sie eine Vorstellung von Only Lovers Left Alive oder La notte zum reduzierten Preis besuchen (nur an der Kinokasse erhältlich).

LA NOTTE Italien/Frankreich 1961 24 Stunden im Leben des Schriftstellers Giovanni und seiner Frau Lidia, die sich im Laufe der Jahre auseinandergelebt haben. Das Absterben der Gefühle ist ein zentrales Thema, das Antonioni in seinen Filmen realistisch und unpathetisch zum Thema macht. «Wie da eine Party unter den oberen Zehntausend gefeiert oder vielmehr nicht gefeiert wird, wie die Gäste einsam auf Treppen sitzen oder in beziehungslosem Gespräch herumstehen, mit den Augen nicht das Gegenüber, sondern die Leere suchend, das

ist geradezu eine Allegorie der Enttäuschung. (...) Niemals auch hat ein Schwarzweiss-Film mit so viel Recht auf Farbe verzichtet: Das Leben hat in Antonionis existenzialistischem Meisterwerk keine Farben mehr.» (Jens Jessen, Die Zeit, 31.3.2005) 122 Min / sw / Digital HD / I/d // REGIE Michelangelo Antonioni // DREHBUCH Michelangelo Antonioni, Ennio Flaiano, Tonino Guerra, nach einer Story von Michelangelo Antonioni, Ennio Flaiano, Tonino Guerra // KAMERA Gianni Di Venanzo // MUSIK Giorgio Gaslini // SCHNITT Eraldo Da Roma // MIT Marcello Mastroianni (Giovanni Pontano), Jeanne Moreau (Lidia Pontano), Monica Vitti (Valentina Gherardini).


> Michael Clayton.

> The Deep End.

> The War Zone.

> Burn After Reading.

> Julia.

> Female Perversions.


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Tilda Swinton lerin (…) strahlt Swinton eine intellektuelle Spannung und Neugierde aus, die von der Leinwand abstrahlen und unseren Blick fesseln.» (Edward Guthman, San Francisco Chronicle, 19.2.1999) THE HUMAN VOICE 30 Min / Farbe / DCP / E/f // REGIE Pedro Almodóvar // DREHBUCH Pedro Almodóvar, nach dem Theaterstück von Jean Cocteau // KAMERA José Luis Alcaine // MUSIK Alberto ­Iglesias // SCHNITT Teresa Font // MIT Tilda Swinton.

CONCEIVING ADA 85 Min / Farbe / 35 mm / E/d // REGIE Lynn Hershman-­Leeson // DREHBUCH Lynn Hershman-Leeson, Eileen Jones // ­KAMERA Bill Zarchy // MUSIK The Residents // SCHNITT ­Robert Dalva // MIT Tilda Swinton (Ada Lovelace), Francesca Faridany (Emmy Coer), Timothy Leary (Sims), Karen Black (Lady Byron), John O’Keefe (Charles Babbage).

FEMALE PERVERSIONS Deutschland/USA 1997 Die Anwältin Evelyn (Tilda Swinton) hat der Karriere wegen ihr Privatleben vernachlässigt. Als ihre Schwester Maddie einen Ladendiebstahl begeht und Evelyn sich um sie kümmern muss, wird sie mit den Dämonen ihrer familiären Vergangenheit konfrontiert. «Ihr erster Film nach Jarmans Tod wird ­Female Perversions, das Debüt von Susan Streitfeld (…). Die Hauptrolle in der Verfilmung wollte niemand spielen, so kam die amerikanische Filmemacherin auf den britischen IndependentStar. Die schönen Gesichtszüge von Tilda Swinton’s Karrierestaatsanwältin Eve Stephens drohen in Female Perversions immer wieder zu entgleisen, um gleich darauf energisch verriegelt zu werden. (…) Als zutiefst unsicher, fremd­ bestimmte Person ist sie wie eine Schwester der schurkischen A ­nwältin Karen Crowder in ­Michael Clayton, Swintons’s Ocar-Rolle.» (Martina Knoben, Du, Nov. 2010) 120 Min / Farbe / 35mm / E/d/f // REGIE Susan Streitfeld // DREHBUCH Louise J. Kaplan, nach ihrem Roman // KAMERA Teresa Medina // MUSIK Debbie Wiseman // SCHNITT Curtiss Clayton, Leo Trombetta // MIT Tilda Swinton (Eve Stephens), Amy Madigan (Maddie Stephens), Karen Sillas (Renee), Frances Fisher (Annunciata), Clancy Brown (John).

THE WAR ZONE GB/Italien 1999 «Regen prasselt auf die Wiesen und die steinigen Wege: Der schlaksige Teenager Tom und seine achtzehnjährige Schwester Jessica sind mit ihren Eltern aus dem urbanen London in die weiten grü-

nen Landschaften von Devonshire umgezogen. Während der Vater seine geschäftlichen Angelegenheiten ordnet und die hochschwangere Mutter sich auf ihr drittes Kind freut (…), versinkt der von seinen Freunden getrennte Tom in Einsamkeit und Trübsinn. Eines Tages entdeckt er, dass sein Vater Jessica sexuell missbraucht. Doch Jessica deckt vorerst ihren Vater, während die Mutter im Spital das Kind auf die Welt bringt.» (Beat Schneider, Xenix, 2010) «Kurz vor und nach der Geburt ihrer Zwillinge dreht Swinton mit Tim Roth The War Zone (1999), ein karstiges Inzest-Drama, in dem sie mit ihrem nach der Entbindung weichen unförmigen Körper das Mütterliche als Gegenbild zur brutalen, nützlichkeitsfixierten Männlichkeit im wahrsten Sinne des Wortes verkörpert. Mum, wie ihre Figur schlicht heisst, ist eine Göttin und eine Verehrte, so nüchtern wie hier hatte noch niemand eine Wöchnerin im Film gezeigt: den Schwabbelbauch und die grossen Brüste voller Milch, die in Stilleinlagen gepackt werden. Dass Tilda Swinton solche Bilder von sich nicht nur zulässt, sondern sogar einfordert, zeugt von einem beneidenswerten Selbstbewusstsein. Sie lässt das Private ihre öffentlichen Bilder durchdringen, damit befriedigt sie nicht nur unsere Sehnsucht nach Grösse, sondern auch die nach Authentizität.» (Martina Knoben, Du, Nov. 2010) 99 Min / Farbe / 35mm / E/d // REGIE Tim Roth // DREHBUCH Alexander Stuart // KAMERA Seamus McGarvey // MUSIK ­Simon Boswell // SCHNITT Trevor Waite // MIT Tilda Swinton (Mutter), Ray Winstone (Vater), Lara Belmont (Jessie), ­Freddie Cunliffe (Tom).

THE DEEP END USA 2001 «Margaret Hall zieht ihre drei Kinder praktisch allein gross – der Mann ist bei der Marine –, sie wohnt in einem hübschen Haus am See und entdeckt eines Morgens am Bootssteg die Leiche des Liebhabers ihres schwulen Sohnes. Hall hält ihren Sohn für den Mörder und gerät beim Versuch, ihn zu schützen, immer tiefer in den Sog von Vertuschung und Erpressung. Für The Deep End, der Tilda Swinton eine Golden-Globe-Nominierung einbringt, lässt sie sich ihre langen Haare abschneiden und legt ihre Aura unnahbarer Grösse ab wie ein unpassendes Kos­ tüm. Nun ähnelt sie einer Mittelstands-Hausfrau und -Mutter in mittleren Jahren, deren angespannte Züge den Stress des bürgerlichen Alltags verraten (...). The Deep End ist ein Thriller, aus dem Swinton das Psychogramm einer Frau des­ tilliert, deren Leben ausser Kontrolle gerät, was


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Tilda Swinton sie mit immer grösserer Kraftanstrengung quittiert.» (Martina Knoben, Du, Nov. 2010) 101 Min / Farbe / 35 mm / E/d/f // REGIE Scott McGehee, D ­ avid Siegel // DREHBUCH Scott McGehee, David Siegel, nach dem Roman «The Blank Wall» von Elisabeth Sanxay Holding // KAMERA Giles Nuttgens // MUSIK Peter Nashel // SCHNITT Lauren Zuckerman // MIT Tilda Swinton (Margaret Hall), ­Goran Visnjic (Alek Spera), Jonathan Tucker (Beau Hall), ­Peter Donat (Jack Hall), Josh Lucas (Darby Reese).

YOUNG ADAM GB 2002 «Joe (Ewan McGregor) tritt auf der Stelle. Er arbeitet auf einem Kohlenkahn zusammen mit Les (Peter Mullan), seiner Frau Ella (Tilda Swinton) und ihrem kleinen Sohn Jim. Wir befinden uns in den Fünfzigerjahren, der Ort ist der Clyde-Kanal

THE QUEERING OF NATURE – DEREK JARMANS WERK IM SPIEGEL SEINES GARTENS VORTRAG VON ELISE LAMMER

zwischen Glasgow und Edinburgh. Als Joe und Les die Leiche eines jungen Mädchens aus dem Wasser fischen, löst dies eine Kette von Ereignissen aus, die die fragile Ökologie der klaustrophobischen Beziehungen an Bord durcheinanderbringt. (…) Die wirkliche Offenbarung ist Tilda Swinton, deren Ella die einzige Figur ist, die eine echte Entwicklung zeigt. Eine Frau, die ihr ganzes Leben auf den Lastkähnen verbracht hat und mit grimmiger Effizienz ihren Pflichten nachging, entdeckt ihre sexuelle Identität und eine andere Art von weiblicher Macht. Als sie ihren Traum von einer häuslichen Zukunft mit Joe und Jim in einem kleinen Bungalow aufgibt (…), wird die ­Zerbrechlichkeit hinter ihrer rauen Stärke deutlich.» (Neil Norman, standard.co.uk, 24.9.2003) 93 Min / 35 mm / E/d // REGIE David Mackenzie // DREHBUCH David Mackenzie, nach dem Roman von Alexander Trocchi // KAMERA Giles Nuttgens // MUSIK David Byrne // SCHNITT

DI, 5. APRIL | 18.00 UHR vor The Last of England Vortrag in englischer Sprache

1986 begann mit dem Spielfilm Caravaggio zwischen Tilda Swinton und dem britischen Filmemacher, Künstler, Aktivisten, Dichter und Gärtner Derek Jarman (1942–1994) eine viele Jahre dauernde Zusammenarbeit und enge Freundschaft. Das Biopic über die Queerness des italienischen Barockmalers ist ein grossartiges Beispiel für Jarmans geradezu systematischen Versuch, kanonische Lesarten von (Kunst-)Geschichte und Ästhetik in Frage zu stellen. Als 1986 bei ihm HIV diagnostiziert wurde, war er einer der Ersten, die während der AIDS-Krise ­offen über die Krankheit sprachen und gleichzeitig einen grossen Beitrag zur Schwulenrechts­ bewegung im Vereinigten Königreich leisteten. Obwohl seine Filme sehr experimentell waren, gilt Jarman heute als einer der bedeutendsten Persönlichkeiten der britischen Kultur des 20. Jahrhunderts. In ihrem Vortrag spricht Elise Lammer über Jarmans besondere Beziehung zur Natur – insbesondere zu Prospect Cottage, dem Garten, den er anlegte und pflegte, bis er 1994 an den Folgen von AIDS starb. Dieser einzigartige Ort in Dungeness an der Südküste von Kent ist für das Verständnis von Jarmans Werk von zentraler Bedeutung. Der Garten taucht in Szenen von The Last of England (1987) und The Garden (1990) auf und ist auch die Grundlage für «Modern Nature» (1989), seine Memoiren und sein Gartentagebuch aus dieser Zeit. Prospect Cottage war Therapie und ­Arznei und diente als symbolischer Friedhof für die vielen Freunde, die Jarman während der HIV-Epidemie verlor. Mit seinem Garten übertrug er ein Leben, das sich seinem Ende näherte, in den Boden und vollzog, was man als Queering Nature verstehen kann. Elise Lammer ist Kuratorin und Autorin und lebt in Basel. Seit 2018 entwickelt sie in La Becque / Artist Residency in La Tour-de-Peilz am Ufer des Genfersees ein Garten- und Kunstprogramm als Hommage an Derek Jarman.


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Tilda Swinton Colin Monie // MIT Ewan McGregor (Joe Taylor), Tilda Swin-

Carter Burwell // SCHNITT Roderick Jaynes [=Joel & Ethan

ton (Ella Gault), Peter Mullan (Les Gault), Emily Mortimer

Coen] // MIT George Clooney (Harry Pfarrer), Frances

(Cathie Dimly), Jack McElhone (Jim Gault).

McDormand (Linda Litzke), Brad Pitt (Chad Feldheimer), ­ John Malkovich (Osborne Cox), Tilda Swinton (Katie Cox),

MICHAEL CLAYTON USA 2007 Michael Clayton ist der Mann fürs Grobe bei der Anwaltskanzlei Kenner, Bach & Ledeens. Als sein Kollege Edens durchdreht und die Chemiefirma­ U/North, eine Mandantin ihrer Kanzlei, angreift, muss Clayton den Schaden begrenzen. Doch seine Gegenspielerin Karen Crowder, die taffe Rechtsberaterin von U/North, packt ihrerseits die harten Bandagen aus. «Die Rolle, für die Swinton den Oscar als beste Nebendarstellerin erhielt (...), stellt jene schiere Nervenstärke zur Schau, zu der nur Swinton mit einer so erschöpfenden und hektischen Energie fähig zu sein scheint. ( ….) Swinton stellt Crowders durchgeknallte Seite mit Kontrolle und Kalkül dar (…), manchmal beissend komisch und manchmal erschreckend verstört.» (indiewire.com, 5.11.2015) 119 Min / Farbe / 35mm / E/d/f // DREHBUCH UND REGIE Tony Gilroy // KAMERA Robert Elswit // MUSIK James Newton ­Howard // SCHNITT John Gilroy // MIT George Clooney ­(Michael Clayton), Sean Cullen (Gene Clayton), Tom Wilkinson (Arthur Edens), Tilda Swinton (Karen Crowder), Sidney ­Pollack (Marty Bach), Michael O’Keefe (Barry Grissom).

BURN AFTER READING USA 2008 Linda und Chad, die für ein Fitnessstudio arbeiten, finden eine CD-ROM, die vertrauliche Informationen des Ex-CIA-Agenten Osborne enthält. In der Hoffnung auf das grosse Geld beschliessen sie Osborne zu erpressen. Tilda Swintons «Rolle in Burn After Reading dürfte zu den ‹normaleren› Menschen gehören, die sie dargestellt hat. Sie spielt Katie Cox, die verklemmte und unnachgiebige Ehefrau von John Malkovichs Osborne Cox, einem CIA-Analysten, der in der Eröffnungsszene des Films entlassen wird und damit u nwissentlich eine Komödie der Irrungen in Gang setzt. (…) Trotz all der ‹Albernheiten› (um einen Begriff von Katie zu übernehmen), die zu sehen sind, funktioniert Burn After Reading so gut, weil er durch Faktoren wie die sittenstrenge und straffgestrickte Darbietung von Tilda Swinton ausgeglichen wird.» (Brent Leuthold, midwestjournal.com, 18.5.2020) 96 Min / Farbe / 35 mm / E/d/f // DREHBUCH UND REGIE Joel Coen, Ethan Coen // KAMERA Emmanuel Lubezki // MUSIK

Richard Jenkins (Ted Treffon).

DEREK GB 2008 «Ein Off-Kommentar. Tilda Swinton beginnt ihren ‹Letter to an Angel› vorzulesen, einen eindringlichen und verführerischen Text, geschrieben 2002. Zu diesem Zeitpunkt war Derek Jarman, einer der meistgeliebten und originellsten Künstler Grossbritanniens, bereits acht Jahre tot. Ein aufrichtiges und bislang nicht veröffentlichtes Interview, 1991 gedreht mit einem schon von der tödlichen Krankheit gezeichneten Jarman, ist das Herz dieses Films. Der Brief und das Interview sind verwoben mit kaum bekannten Super-8-­ Filmen des Künstlers und seiner Eltern, Archiv­ material, Ausschnitten aus den Spielfilmen, ­Popvideos, privaten Aufnahmen und neuen Bildern. Über diese drei Stränge treffen wir Derek, den R ­ enaissance-Menschen. Den Künstler, Maler, Autor, Aktivisten, Gärtner und – vor allem – Filmemacher. Er berichtet, witzig, aufsässig, präsent – und sein Spirit lebt weiter durch die Erzählungen und die Bilder der Freunde. Ein Familienfilm der anderen Art.» (salzgeber.de) «Isaac Julien, der sich von Jarmans Filmen zu seinen eigenen Arbeiten inspirieren liess, und Tilda Swinton, Jarmans ‹Muse› und enge Mitarbeiterin, bringen mit Derek den Sturm und Drang dieser Dekaden noch einmal auf die Leinwand.» (Katalog Berlinale 2008) 76 Min / Farbe / DCP / E/d // REGIE Isaac Julien // DREHBUCH Tilda Swinton // KAMERA Nina Kellgren // SCHNITT Adam Finch // MIT Tilda Swinton (Erzählerin), Derek Jarman, David Hockney, Sid Vicious, Ken Russell.

JULIA Frankreich/USA/Mexiko/Belgien 2008 «Julia (Tilda Swinton) ist 40, Alkoholikerin und eine furiose Lügnerin. Zwischen Wodka-Exzessen und One-Night-Stands versucht sie vergeblich, die Tiefschläge des Lebens zu parieren. Als sie auch noch ihren Job verliert, macht sie sich zu einem verzweifelten Kraftakt auf: Angestachelt von ihrer mexikanischen Nachbarin, kidnappt sie den achtjährigen Tom aus der Obhut seines reichen Grossvaters. Mit dem Kind im Schlepptau und einem Millionenlösegeld vor Augen, flüchtet Julia von Kalifornien nach Mexiko – kopfüber auf Kollisionskurs… » (frenetic.ch)


> The Human Voice.

> Memoria.

> The Grand Budapest Hotel.

> Doctor Strange.


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Tilda Swinton «Zonca bedient sich in Julia der uramerikanischen Genres: des Roadmovies, des Thrillers, der Gangstergeschichte. Es ist, ob gewollt oder nicht, zugleich eine Hommage an Cassavetes. Der Star des Films ist der Motor der Geschichte: Wie Tilda Swinton als Julia in ihren viel zu ho­hen Schuhen durch diesen Film stakst, fahl, verschwitzt, übernächtigt und verkatert, trägt den Plot von San Diego bis in die Wüste an der mexikanischen Grenze. (...) So körperlich, so entblösst, so wund war Swinton noch nie zu sehen.» (Markus Zinsmeier, zeit.de, 7.2.2008) 138 Min / 35 mm / E/d/f // REGIE Erick Zonca // DREHBUCH Erick Zonca, Aude Py // KAMERA Yorick Le Saux // SCHNITT Philippe Kotlarski // MIT Tilda Swinton (Julia), Saul Rubinek (Mitch), Kate del Castillo (Elena), Aidan Gould (Tom), Kevin Kilner (Johnny), Bruno Bichir (Diego).

WE NEED TO TALK ABOUT KEVIN GB/USA 2011 Nachdem ihr halbwüchsiger Sohn Kevin ein Schulmassaker begangen hat, müssen Eva (Tilda Swinton) und ihr Mann Franklin ihr Leben in Frage stellen. «In einem Film, in dem es in vielerlei Hinsicht um das Versagen und die Unzulänglichkeiten der verbalen Kommunikation geht, besteht Swintons zu Recht gelobte Leistung zu einem grossen Teil darin, wie sie die Kantigkeit ihres Gesichts und ihres Körpers einsetzt, um Bedenken und Traumata zu vermitteln, die nie ausgesprochen werden.» (Mark Fisher, filmquarterly.org, 31.5.2012) 112 Min / Farbe / 35 mm / E/d // REGIE Lynne Ramsay // DREHBUCH Lynne Ramsay, Rory Stewart Kinnear, Lionel

IO SONO L’AMORE Italien 2009 «Die Recchis sind das, was man sich unter einer einflussreichen Familie vorstellt: ein nobler und höchst angesehener lombardischer Industriellenclan mit einer stattlichen Villa und einem Heer von Bediensteten inmitten Mailands. Im Haus herrscht immer noch Grossvater Recchi mit patriarchalischer Härte, während sich die Ehe zwischen Emma, einer gebürtigen Russin, und ­Tancredi mit den Jahren merklich abgekühlt hat. Die Kinder werden selbständiger und gehen ihre eigenen Wege. Emmas grösste Leidenschaft ist die Kochkunst. Als ihr Sohn den jungen Koch Antonio, mit dem er ein Restaurant eröffnen will, den Recchis vorstellt, kommen sich Emma und ­Antonio durch ihre gemeinsame Passion näher. Dies führt innerhalb der gehobenen Gesellschaft schon bald zu irreparablen Konsequenzen.» (Bourbaki Luzern, 2010) «Io sono l’amore ist eine dreiste Blaupause für ein Kino, das sich zwischen Vergangenheit und Zukunft bewegt und sich wenig um die Trends der Gegenwart kümmert. Es ist ein kühnes Experiment, das in der Tradition verwurzelt ist. Es wirkt wie eine intelligente Oper und sieht aus wie eine Verbindung von poetischem Dokumentarfilm und klassischem europäischen Drama. Swinton und Guadagnino nennen den Film ‹Visconti auf LSD›.» (J. R. Jones, chicagoreader.com, 24.6.2010) 120 Min / Farbe / 35 mm / I/d/f // REGIE Luca Guadagnino // DREHBUCH Barbara Alberti, Ivan Cotroneo, Walter Fasano, Luca Guadagnino // KAMERA Yorick Le Saux // MUSIK John Adams // SCHNITT Walter Fasano // MIT Tilda Swinton (Emma Recchi), Flavio Parenti (Edoardo Recchi Junior), ­Edoardo Gabbriellini (Antonio Biscaglia), Alba Rohrwacher (Elisabetta Recchi), Pippo Delbono (Tancredi Recchi).

Shriver // KAMERA Seamus McGarvey // MUSIK Jonny Greenwood // SCHNITT Joe Bini // MIT Tilda Swinton (Eva Khatchadourian), John C. Reilly (Franklin), Ezra Miller (Kevin als Jugendlicher), Jasper Newell (Kevin, sechs- bis achtjährig), Ashley Gerasimovich (Celia).

ONLY LOVERS LEFT ALIVE Deutschland/GB/Frankreich/Griechenland 2013 «Ein genialer Musiker ist Adam, und ein begnadeter Erfinder. Vollkommen zurückgezogen lebt der hoch gebildete Vampir in einem abgelegenen Industriegebiet von Detroit. Sein gut eingerichtetes Haus verlässt er selten – und wenn, dann nur nachts. Einkäufe, etwa für seine Sammlung von Vintage-Gitarren, übernimmt seine rechte Hand Ian. Über die Jahrhunderte ist Adam ein wenig ­depressiv geworden, enttäuscht von den Menschen, die er Zombies nennt. Als seine grosse Liebe Eve – die beiden führen eine intensive Fernbeziehung – Adams Vereinsamung spürt, kehrt sie aus dem marokkanischen Tanger nach Detroit zurück. Mit ihrer souverän-grazilen Art gelingt es ihr im Nu, den niedergeschlagenen Adam aufzuheitern. Als sich jedoch Eves wilde Schwester Ava zum ersten Familienbesuch seit 87 Jahren ankündigt, läuft alles aus dem Ruder. (…) Tilda Swinton verströmt eine beiläufige Coolness und Eleganz als Eve, die von ihrer Liebe zu Büchern geprägt ist und diese in wenigen Minuten von vorne bis hinten lesen kann. Swinton strahlt eine tiefe Weisheit aus, die einer jahrhundertealten Bibliophilen angemessen ist, während sie nach aussen hin eine eiskalte und scheinbar unerschütterliche Ruhe bewahrt. In Swintons Händen ist Eve eine brillante Vorstellung eines modernen Vampirs.» (indiewire.com 5.11.2015)


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Tilda Swinton 123 Min / Farbe / DCP / E/d // DREHBUCH UND REGIE Jim Jarmusch // KAMERA Yorick Le Saux // MUSIK Jozef van Wissem // SCHNITT Alfonso Gonçalves // MIT Tilda Swinton (Eve), Tom Hiddleston (Adam), Mia Wasikowska (Ava), John Hurt (Christopher Marlowe ), Anton Yelchin (Ian).

SNOWPIERCER Südkorea/USA/Frankreich 2013 «Nach dem gescheiterten Kampf gegen die Erd­ erwärmung ist die Welt von Schnee und Eis bedeckt. Die einzigen Überlebenden rasen in einem Schnellzug rund um die Erde. Hinten im Zug leben die Armen und ‹Schmarotzer›, vorne, in der ‹Maschine›, lebt die Elite in Saus und Braus. Swinton spielt Mason, eine Art Generalsekretärin der Unterdrückung, die Aufständischen auch mal die Arme durch Vereisung amputiert.» (Katja Nicodemus, Die Zeit, 3.4.2014) «Als das Drehbuch für Snowpiercer geschrieben wurde, war Ministerin Mason als Mann angelegt. Als die Rolle an Swinton vergeben wurde, (…) forderte sie die Autoren auf, keines der Pronomen im Drehbuch zu ändern. Das Ergebnis ist eine Darbietung, die weder durch den Machismo männlicher Bösewichte noch durch die als Waffe eingesetzte Sexualität weiblicher Bösewichte getrübt ist, sondern eine rücksichtslose Bürokratin zeigt, die den Status quo aufrechterhalten will, wie dystopisch er auch sein mag.» (indiewire.com, 5.11.2015) 125 Min / Farbe / DCP / E/d // REGIE Bong Joon-ho // DREHBUCH Bong Joon-ho, Kelly Masterson, nach dem Comic «Le Transperceneige» von Benjamin Legrand, Jean-Marc Rochette // KAMERA Hong Kyung-pyo // MUSIK Marco Beltrami // SCHNITT Steve M. Choe // MIT Chris Evans (Curtis), Jamie Bell (Edgar), John Hurt (Gilliam), Ed Harris (Wilford), Tilda Swinton (Mason), Song Kang-ho (Namgoong Minsoo).

THE GRAND BUDAPEST HOTEL USA/Deutschland/GB 2014

vermacht hat. Was Madame D.s Sohn ganz und gar nicht passt.» (Xenix, Juli/August 2016) «Eine kleine, aber fantastisch denkwürdige Rolle: die alte Madame D., Hotelbesitzerin und Geliebte von Ralph Fiennes’ Majordomus, deren Tod die Ereignisse ins Rollen bringt. Eine absolute Tour de Force des Latex-Schauspiels, bei der Swinton Stimme und Körperhaltung perfekt aufeinander abstimmt.» Andrew Pulver, theguardian.com, 16.1.2020) 99 Min / Farbe / DCP / E/d // REGIE Wes Anderson // DREHBUCH Wes Anderson, Hugo Guinness, inspiriert durch die Schriften von Stefan Zweig // KAMERA Robert D. Yeoman // MUSIK Alexandre Desplat // SCHNITT Barney Pilling // MIT Ralph Fiennes (Monsieur Gustave), Tony Revolori (Zero), Adrien Brody (Dmitri), Tilda Swinton (Madame D.), Saoirse Ronan (Agatha), F. Murray Abraham (Mr. Moustafa).

DOCTOR STRANGE USA 2016 Der brillante Chirurg Stephen Strange wird durch einen Unfall seiner Fähigkeiten beraubt. Heilung erhofft er sich von einer sagenumwobenen Figur, «The Ancient One», die sich als altersloses Wesen (Tilda Swinton) entpuppt. «The Ancient One» macht Strange klar, dass übernatürliche Mächte die Welt bedrohen, und bildet ihn zum Magier aus. Superhelden-Trip mit toller Besetzung und genialen Spezialeffekten. Tilda Swintons kühne Besetzung als keltische Inkarnation einer Figur, die in den Marvel-Comics als Klischee des alten orientalischen Weisen erschien, gab zu Diskussionen Anlass. Marvel räumte schliesslich ein, man hätte doch eine asiatische Besetzung wählen können. Tilda Swinton selbst meint rückblickend, die Kontroverse sei für sie unbehaglich gewesen, aber notwendig, um die Filmbranche weiterzubringen. 115 Min / Farbe / DCP / E/d // REGIE Scott Derrickson // DREHBUCH Jon Spaihts, Scott Derrickson, C. Robert Cargill, nach den Comics von Stan Lee, Steve Ditko // KAMERA Ben Davis // MUSIK Michael Giacchino // SCHNITT Sabrina Plisco, Wyatt

«Im prächtigen, in der fiktiven ehemaligen Republik Zubrowka gelegenen Grand Budapest Hotel kümmert sich der Concierge Monsieur Gustave um die betuchten Gäste, die in vielen Fällen nur seinetwegen hier abgestiegen sind. Er ist die Seele des Luxusetablissements. Und erfüllt auch gern die sexuellen Wünsche der Stammkundinnen – etwa der 84-jährigen Gräfin Madame D. (Tilda Swinton). Als die Zeitung eines Tages von deren Gifttod berichtet, reist M. Gustave in Begleitung des Hotelpagen Zero Mustafa unverzüglich nach Schloss Lutz, wo er erfährt, dass ihm die Verstorbene ein äusserst wertvolles Gemälde

Smith // MIT Benedict Cumberbatch (Dr. Stephen Strange), Tilda Swinton (The Ancient One), Chiwetel Ejiofor (Mordo), Mads Mikkelsen (Kaecilius), Rachel McAdams (Dr. Christine Palmer), Benedict Wong (Wong), Michael Stuhlbarg (Dr. Nico­ demus West), Benjamin Bratt (Jonathan Pangborn).

THE SEASONS IN QUINCY: FOUR PORTRAITS OF JOHN BERGER GB 2016 «Die vier Essayfilme, aus denen The Seasons in Quincy besteht, greifen jeweils unterschiedliche


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Tilda Swinton Aspekte des Lebens des britischen Schriftstellers und Denkers John Berger in der Haute-Savoie auf und verbinden Ideen und Motive aus Bergers ­eigenem Werk mit der Atmosphäre seiner Bergheimat. Jeder Film entstand als einzelnes Kunstwerk, aber sie fügen sich zu einem Spielfilm zusammen und zeigen, wie Film über Text und die bildende Kunst hinaus ein facettenreiches und vielschichtiges Porträt bieten kann. (...) Harvest, Tilda Swintons Episode, kehrt nach Quincy zurück, um mit Berger und seinem Sohn Yves über Zugehörigkeit und Kontinuität nachzudenken.» (taskovskifilms.com) 90 Min / Farbe / DCP / E/e // REGIE Colin MacCabe , Christopher Roth, Tilda Swinton, Bartek Dziadosz // DREHBUCH Tilda Swinton, Christopher Roth, Ben Lerner // KAMERA Bartek Dziadosz, Filipa César, Christopher Roth // SCHNITT Christopher Roth, Bartek Dziadosz // MIT John Berger, Tilda Swinton, Colin MacCabe, Honor Swinton Byrne, Xavier Swinton Byrne, Ben Lerner, Christopher Roth.

PREMIERE: MEMORIA Thailand/Kolumbien/GB/F/Schweiz 2021

schliesst sie sich, dem Ursprung dieses Geräusches auf den Grund zu gehen. Apichatpong Weerasethakul, der thailändische Meister des Traum- und Geisterkinos, entführt uns auf einen immersiven, sensorischen Spaziergang im kolumbianischen Dschungel und folgt der introspektiven Reise einer Frau, die eindringlich von Tilda Swinton verkörpert wird. Memoria ist ein entschleunigtes, lyrisches wie meditatives Film­ erlebnis.» (cinematheque.ch) «Am Vorabend des 75. Geburtstages von David Bowie sagte mir Tilda Swinton, dass sie ihn immer als ihren spirituellen ‹Cousin› betrachtet habe. (…) Wie Bowie besass Swinton schon immer die unheimliche Fähigkeit, das Natürliche und das Übernatürliche, das Bodenständige und das Ausserirdische miteinander zu verschmelzen. ­ Eine Eigenschaft, die im neuesten Film des thailändischen Meisters Apichatpong Weerasethakul perfekt zur Geltung kommt.» (Marc Kermode, theguardian.com, 16.1.2022) 136 Min / Farbe / DCP / Sp+E/d // DREHBUCH UND REGIE Apichatpong Weerasethakul // KAMERA Sayombhu Mukdeeprom // MUSIK César López // SCHNITT Lee Chatametikool // MIT Tilda Swinton (Jessica Holland), Jeanne Balibar (Agnes

«Die schottische Botanikerin Jessica reist nach Bogotá, um ihre kranke Schwester zu besuchen. Während ihres Aufenthalts wird sie von einem lauten Geräusch verfolgt, das nur sie zu hören scheint. Geplagt von schlaflosen Nächten ent-

Cerkinsky), Juan Pablo Urrego (junger Hernán Bedoya), Elkin Díaz (gealterter Hernán Bedoya), Daniel Giménez ­Cacho (Juan Ospina), Agnes Brekke (Karen Holland), Jerónimo Barón (Mateo Ospina).

EIN ABEND MIT TILDA SWINTON

DI, 31. MAI | 18.30 UHR

Vom genderfluiden Orlando bis zur weissen Hexe von Narnia, von D ­ erek Jarmans punkig-experimenteller Bildwelt zum Marvel-Universum von Doctor Strange, von A wie Almodóvar bis Z wie Zonca: Tilda Swinton scheint in ihrem filmischen Repertoire tatsächlich k ­ einerlei Grenzen zu kennen. In was für Wesenheiten sie aber auch immer schlüpft, sie tut © michaellavine

es mit vollem körperlichem Einsatz. Ausgehend von Apichatpong Weerase­thakuls neuem Film Memoria macht sich Tilda Swinton im Gespräch mit WOZ-Kulturredaktor Florian Keller auf die Reise durch ihre schwindelerregend weit gefächerte Filmografie, in der sie sich nicht

nur als leidenschaftliche Schauspielerin, ­sondern auch als Regisseurin und Produzentin bewiesen hat. Es dürfte eine Reise sein, die so manchen Horizont verschiebt – zwischen Kunst und Industrie, ­zwischen Experiment und Entertainment und zwischen anderen Kategorien, die man gerne ­säuberlich getrennt sieht. Von ihren frühen Arbeiten mit Derek Jarman bis nach Hollywood und ­zurück – immer wieder von Neuem auf der Suche nach dem absoluten Kino. Für die Unterstützung des Besuchs von Tilda Swinton danken wir:


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Die 100 Jahre von Pier Paolo Pasolini Zum 100. Geburtstag Pier Paolo Pasolinis (1922–1975) widmet das ­Filmpodium dem italienischen Autor, Dichter und Regisseur eine Retrospektive, die ihn im Kontext des zeitgenössischen Kinos zeigt. Zahl­ reiche selten gesehene Werke anderer Cineast:innen, die Pasolini mitgeprägt hat, enthüllen neue Facetten seines reichhaltigen Schaffens. Ergänzt wird die von Olaf Möller kokuratierte Filmreihe mit einer Lesung von Pasolinis Gedichten, die Wolf Wondratschek präsentiert, und einer Podiumsdiskussion, an welcher unter anderem Milo Rau und Stefan Zweifel teilnehmen. Am 5. März dieses Jahres hätte Pier Paolo Pasolini seinen 100. Geburtstag ­gefeiert, was einlädt zu einer neuerlichen Annäherung an sein Werk. Für einmal nicht mit Konzentration auf sein Schaffen als Regisseur, sondern auch mit Blick auf Pasolinis Arbeit als Mitverfasser von Drehbüchern und Dokumentarfilmkommentaren wie auch als Autor von Werken, die von anderen Filmemachern adaptiert wurden, auf Pasolini als Filmarbeiter und als soziokulturelles Phänomen, als Protegé des Meisterregisseurs Mauro Bolognini und des Starliteraten Alberto Moravia wie auch als Mentor-Freund so unterschiedlicher Geister wie Cecilia Mangini (La canta delle marane, 1961), Bernardo Bertolucci (La commare secca, 1962), Paola Faloja (Il ragazzo motore, 1967) und Sergio Citti (Ostia, 1970). Als Pasolini am 31.8.1961 am Rande des Filmfestivals von Venedig sein Regiedebüt Accattone präsentierte, war er bereits ein Star der italienischen Nachkriegskultur – als Lyriker, Romancier und Drehbuchautor ebenso wie als Intellektueller. Er war ein Skandal in Menschengestalt, dessen Leben wie Werke immer wieder zu Prozessen Anlass gaben. Jeder kannte Pasolini, jeder verhielt sich irgendwie zu seinen Ideen, und sei’s ganz unbewusst. Man fühlte sich angesprochen von diesem Meister der beständigen, produktiven Widersprüche, der non-doktrinärer Kommunist und antiklerikaler Katholik und Homosexueller war, ein Skeptiker des Wirtschaftswunders und Apologet his­ torisch verwurzelter Volkskultur, ein libertär-progressiver Traditionalist, für den das Sich-Einmischen in tagesaktuelle Diskussionen – einschliesslich gezielter Provokationen – kein Selbstzweck war, sondern ein Weg zu kommunizieren, mal mit wenigen, mal mit vielen. In dieser Hinsicht ist sicherlich die Skeptische Engel und schräge Vögel: Uccellacci e uccellini Faschismus und Barbarei: Porcile


22 Dokumentation/Reportage zum Sexualleben der Italienerinnen und Italiener des Boom-Zeitalters, Comizi d’amore (1964), sein Schlüsselwerk: Hier sieht man Pasolini inmitten seiner Landsleute, neugierig und offen und wahnsinnig charmant, was so manche:n Befragte:n offensichtlich bezauberte. Hier sieht man den stillen, aber bestimmten, liebevoll lebens­zugewandten Mann, von dem seine Freundin, die Schriftstellerin Dacia Maraini, noch Dekaden später schwärmte. Cineastische Partnerschaften Pasolinis kultureller Einfluss zeigt sich im Kino schon vor Accattone. Zum Teil natürlich, weil er sich selbst in das Schaffen anderer einzubringen verstand. Das Drehbuch von Franco Rossis Morte di un amico (1960) entwickelte er um Variationen der Kleinkriminellen aus den «borgate», den schäbigen Vororten der römischen Peripherie, wie sie in seinen Romanen «Ragazzi di vita» (1955) und «Una vita violenta» (1959) aufgetreten waren. In seinem Drehbuch für Luciano Emmers viel zensierte Komödie in Moll, La ragazza in vetrina (1961), die rund ein halbes Jahr vor Accattone herauskam, animiert die gleiche proletarische Lebenswut zwei italienische Bergarbeiter im belgischen Kohlerevier, die bei einem Wochenendausflug ins Amsterdamer Rotlichtviertel wenig mehr finden als laue Enttäuschungen. Wichtiger als diese verstreuten Wahlverwandtschaften aber war Pasolinis mehrjährige Kreativpartnerschaft mit seinem Mentor Mauro Bolognini, welche fünf Werke hervorbrachte. Auch Bolognini war schwul und dem Bürgertum gegenüber arg skeptisch. Im Gegensatz zu Pasolini jedoch war er ein kultivierter Zyniker, dessen Weltsicht sich folgendermassen verdichten liess: Alle Form von menschlichem Miteinander läuft auf Prostitution hinaus; in dem Bordell namens Gesellschaft ist man mal der Freier und mal der Stricher, alles andere ist Selbstbetrug. Kein Wunder also, dass Bolognini angezogen war von dem lumpenproletarischen Strichermilieu von Pasolinis «Ragazzi di vita», auf dessen Basis er ihre dritte Kollaboration, La notte brava (1959), gestaltete. Mag sein, dass die Erfahrungen mit dieser Produktion Pasolini dazu bewegten, selbst Regie zu führen; jedenfalls war er von Bologninis gewohnt distanziert-unterkühltem Zugriff auf seine Geschichte nicht begeistert und es kam zu einem temporären Zerwürfnis. Literarische Seelenverwandtschaften Pasolini arbeitete dennoch bei zwei weiteren Filmen mit Bolognini zusammen, deren einer, La giornata balorda (1960), auf den «Racconti romani» (1955) seines älteren Freundes Alberto Moravia beruht. Eine logische Beziehung, möchte man sagen: Beide Autoren wurden berühmt durch Romane, in denen Sex eine zentrale Rolle spielte; beide waren skandalumwitterte Existenzen ­(siehe etwa Moravias Verhältnis mit der fast 30 Jahre jüngeren Dacia Maraini);


23 beide betrachteten das Bürgertum mit tiefster Skepsis; beide wurden sowohl vom christdemokratischen Establishment wie von der kommunistischen Opposition angefeindet. Der grösste Unterschied war wohl, dass Pasolini in der Unterschicht, im einfachen Volk ein utopisches Potenzial sah, dem er vor allem in Il vangelo secondo Matteo (1964) und Il Decameron (1971) huldigte. Dazu konnte sich Moravia nicht durchringen, auch wenn er, wie Pasolini, sehr genau war bei Unterscheidungen wie etwa zwischen Volks- und Massenkultur. Mit Moravia verband ihn aber zudem eine Drehbucharbeitsbeziehung: Beide gehörten zu den Autoren von Mario Soldatis La donna del fiume (1954), ­Pasolinis erstem Schreibjob fürs Kino. Und diesen Auftrag hatte ihm ein anderer Literatenfreund, Giorgio Bassani, verschafft, dessen Kurzgeschichte «Una notte del ’43» aus der Anthologie «Le storie ferraresi» (1960) wieder­um Pasolini für Florestano Vancinis La lunga notte del ’43 (1960) koadaptierte. Bassanis Stoff nahm einige Aspekte vorweg von Pasolinis eigener Beschäftigung mit dem italienischen Faschismus und der Nazi-deutschen Besatzung 1943–45 sowohl in dem wenig bekannten Porcile (1969) als auch seinem erst posthum veröffentlichten «monstre sacré» von Filmpamphlet Salò o le 120 gior­ nate di Sodoma (1975). Wer weiss, wie sich Pasolini weiterentwickelt hätte, was nach Salò noch gekommen wäre – denn auch wenn dieser nachgerade wie ein perfekter Schlussstein seines Schaffens wirkt, sollte er das ja nie sein. Was wir wissen, ist, dass Pasolini recht hatte mit so ziemlich allen seinen kulturellen Befürchtungen. Dacia Maraini fasste das 2014, 39 Jahre nach seinem Tod, in einem Interview mit der «Welt» so zusammen: «Seine Kritik am Establishment und Niedergang an der italienischen Gesellschaft war visionär. Wir können den Berlusconismus heute wie eine Prophezeiung Pasolinis lesen. (...) Es ist eine Massenkultur, die allein auf den Gesetzen des Marktes basiert, auf Arroganz und Macht. Sie stellt den Reichtum aus und huldigt dem Schwindel, jede Form von Loyalität und Redlichkeit tritt sie mit Füssen. Es ist eine Kultur ohne Seele, ohne jede soziale Solidarität.» Olaf Möller Olaf Möller. Kölner. Filmkritiker.

Das Filmpodium dankt dem Istituto Italiano di Cultura di Zurigo für die Untertsützung dieser Reihe.


> La giornata balorda.

> La lunga notte del '43.

> La commare secca.

> La notte brava.

> La ragazza in vetrina.

> Morte di un amico.


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Pier Paolo Pasolini

LA NOTTE BRAVA Italien/Frankreich 1959 Ruggeretto und Scintillone, zwei junge Tagediebe, nehmen die Prostituierten Anna und Supplizia im Auto mit, aber nicht mit sexueller Absicht, sondern als Tarnung. Sie haben nämlich Gewehre gestohlen, die sie verhökern wollen. Der junge Gino bietet seine Hilfe an, aber erst als die Frauen eingreifen, können sie die Waffen einem Hehler andrehen. Die drei Kerle vergnügen sich mit den Prostituierten, wollen sie dann aber um ihren Lohn prellen. Zu spät erkennt Scintillone, dass die zwei Frauen sein Portemonnaie geklaut haben. Er macht sich mit Ruggeretto auf die Suche, doch die Nacht bringt ihnen noch andere Begegnungen. Pasolini war über diese Verfilmung seines Romans «Ragazzi di vita» nicht ganz glücklich, da sie ihm zu wenig rau war, die Schauspieler:innen zu professionell. Tatsächlich reibt sich Mauro Bologninis visuelle Eleganz am ungeschliffenen Pasolini-Stoff, aber das Ergebnis ist aus heutiger Sicht durchaus faszinierend: Seine Protagonist:innen, gespielt von aufstrebenden Stars, sind «poveri ma belli», doch das macht ihre existenzielle Situation nicht besser: Perspektivenlos den Mechanismen des Kapitalismus ausgeliefert sind sie eh. (mb) 95 Min / sw / 35 mm / I/e // REGIE Mauro Bolognini // DREHBUCH Pier Paolo Pasolini, Jacques-Laurent Bost, nach dem Roman «Ragazzi di vita» von Pier Paolo Pasolini // KAMERA Armando Nannuzzi // MUSIK Piero Piccioni // SCHNITT Nino Baragli // MIT Rosanna Schiaffino (Rossana), Elsa Martinelli (Anna), Laurent Terzieff (Ruggeretto), Jean-Claude Brialy (Scintillone), Anna Maria Ferrero (Nicoletta), Franco Interlenghi (Bellabella), Tomas Milian (Moretto), Antonella Lualdi (Supplizia), Mylène Demongeot (Laura).

LA GIORNATA BALORDA Italien/Frankreich 1960 «La giornata balorda beruht auf Kurzgeschichten von Alberto Moravia. Er zeigt einige Stunden im Leben eines jungen Römers auf Jobsuche. Dieser braucht Arbeit, denn er hat einen Sohn von einer unverheirateten Frau und will sie heiraten. (…) Aber La giornata balorda handelt nicht von einem Job; er handelt von der Absurdität der Lebensweise und der Gesellschaftsordnung im heutigen Rom. (…) Wunderbar gespielt von Jean Sorel, schlendert dieser junge Mann durch Roms unmoralische Landschaft mit dem Gang eines jungen Leoparden, der Seele eines Dichters und gewaltiger Leinwandpräsenz. (…) Lea Massari (die einst aus Antonionis L’avventura verschwand) lebt mit

einem reichen Geschäftsmann zusammen, der giftiges Öl verkauft. Und als wir sie das letzte Mal sehen, scheint sie wieder verschwinden zu wollen. Sie hat ihr Leben satt, die Strände, die Gauner, die Senatoren. ‹Ein Paar Bluejeans, ein Hemd und ein Haarschopf – das ist das Glück›, sagt sie zum Helden, als sie verloren in der weiten römischen Landschaft unter mageren Büschen und einer sengenden Sonne liegen, die Frau, die verschwunden ist, und der junge Mann, der Rom erben wird.» (Jonas Mekas, The Village Voice, 12.10.1961) 77 Min / sw / 35 mm / I/e // REGIE Mauro Bolognini // DREHBUCH Alberto Moravia, Pier Paolo Pasolini, Marco Visconti, nach dem Roman von Alberto Moravia // KAMERA Aldo ­Scavarda // MUSIK Piero Piccioni // SCHNITT Nino Baragli, Borys Lewin // MIT Jean Sorel (Davide Saraceno), Lea Massari (Freja), Jeanne Valérie (Marina), Rik Battaglia ­ ­(Carpiti), Valeria Ciangottini (Ivana).

LA LUNGA NOTTE DEL ’43 Italien 1960 1943 ist zwar der Waffenstillstand mit den einmarschierten Alliierten unterzeichnet, aber regional ist der Faschismus immer noch aktiv. In Ferrara begegnet die junge Apothekerin Anna, deren Gatte Pino gelähmt ist, ihrer Jugendliebe Franco, einem Deserteur und Sohn eines Antifaschisten, und beginnt mit ihm eine Affäre. Der örtliche Faschisten-Platzhirsch Aretusi lässt einen neuen Kommandanten der faschistischen Miliz, der ihm zu nachgiebig ist, ermorden, und schiebt die Tat dem Widerstand in die Schuhe. Aretusis mörderische Vergeltungsaktion gegen die Antifaschisten trifft auch Francos Vater und findet vor Pinos Fenster statt. Als Vorlage diente dem Film eine Erzählung von Giorgio Bassani über die historischen Ereignisse in Ferrara; Pasolini schrieb am Drehbuch mit. Der Spielfilmerstling des Dokumentarfilmers Florestano Vancini überzeugt mit seiner nüchternen Milieuschilderung und seiner Vertiefung der Figurenzeichnung sowie mit einem Epilog, der die Verdrängung der unbewältigten Vergangenheit im zeitgenössischen Italien entlarvt. (mb) 105 Min / sw / Digital SD / I+F/e // REGIE Florestano Vancini // DREHBUCH Florestano Vancini, Ennio De Concini, Pier ­Paolo Pasolini, nach dem Roman «Una notte del ’43» von ­Giorgio Bassani // KAMERA Carlo Di Palma // MUSIK Carlo Rustichelli // SCHNITT Nino Baragli // MIT Belinda Lee (Anna Barilari), Gabriele Ferzetti (Franco Villani), Enrico ­Maria ­Salerno (Pino Barilari), Andrea Cecchi (Apotheker), ­Nerio Bernardi (Rechtsanwalt Attilio Villani), Isa Querio (Frau Villani), Raffaella Carrà (Ines).


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Pier Paolo Pasolini

MORTE DI UN AMICO Italien 1960 Bruno, elternlos und arbeitsscheu, lässt sich von der Prostituierten Franca aushalten. Auch Aldo, sein bester Freund, ist unfähig seine natürliche Faulheit zu überwinden und Arbeit zu suchen. Er lässt sich von Bruno überreden, Lea, eine Freundin von Franca, aufzugabeln und sich von ihr aushalten zu lassen. Als Aldos Mutter erkennt, dass ihr Sohn auf einem schlechten Weg ist, versucht sie ihn zu überzeugen, sein Leben zu ändern. «Der Film von Franco Rossi (...) entspringt einer Zusammenarbeit mit Pasolini und bewegt sich (...) in der schmutzigen Welt des römischen Subproletariats (...). Der Schauplatz ist derselbe wie in den Romanen des Schriftstellers, aber neu und wertvoll ist die Haltung des Regisseurs, der weder statisch vor dem Stoff steht noch seine Figuren endgültig verurteilt oder idealisiert: Er versucht sie zu verstehen. Dass es sich nicht um allgemeinen Moralismus handelt (...), zeigt sich an der extremen Sorgfalt, mit der Rossi das Milieu beschreibt, mit einer Gewissenhaftigkeit und Beharrlichkeit, die manche Leute, wie zum Beispiel Moravia, von einem veristischen Ernst sprechen lässt.» (Ernesto G. Laura, Bianco e Nero, 3/4, März-April 1960) 95 Min / sw / 35 mm / I/d // REGIE Franco Rossi // DREHBUCH Giuseppe Berto, Pier Paolo Pasolini, Oreste Biancoli, Ugo Guerra, Franco Riganti, Franco Rossi // KAMERA Antonio Secchi // MUSIK Mario Nascimbene, Ennio Morricone // SCHNITT Otello Colangeli // MIT Gianni Garko (Aldo), Spyros Fokas (Bruno), Didi Perego (Lea), Angela Luce (Franca), Anna Mazzuchelli (Adriana), Fanfulla (DeAmicis), Andrea Scotti (der Franzose).

ACCATTONE Italien 1961

Films, die ein solch starkes, berührendes und ­poetisches Filmdebüt wie dieses hervorgebracht haben.» (Gino Moliterno, Senses of Cinema, April 2004) 117 Min / sw / DCP / I/d // REGIE Pier Paolo Pasolini // DREHBUCH Pier Paolo Pasolini, Sergio Citti // KAMERA Tonino Delli Colli // MUSIK Carlo Rustichelli, Johann Sebastian Bach // SCHNITT Nino Baragli // MIT Franco Citti (Vittorio «Accattone» Cataldi), Silvana Corsini (Maddalena), Franca Pasut (Stella), Paola Guidi (Ascenza), Adriana Asti (Amore), Luciano Conti (Il Moicano), Roberto Scaringella (Cartagine).

LA RAGAZZA IN VETRINA Italien/Frankreich 1961 Zwei italienische Bergarbeiter in Holland werden unter Tag verschüttet. Nach ihrer Befreiung nimmt der weltgewandte Federico (Lino Ventura) seinen schüchternen jungen Kollegen Vincenzo (Bernard Fresson) mit nach Amsterdam, um sich mit den dort in Schaufenstern ausgestellten Prostituierten zu vergnügen. Aber Vincenzo macht mit der kühlen Els (Marina Vlady) ganz andere Erfahrungen als Federico mit der forschen Chanel (Magali Noël). «Angefangen bei einer Idee von Rodolfo Sonego, die Pier Paolo Pasolini, der die erste Fassung des Drehbuchs schrieb, buchstäblich für sich eroberte, über den wagemutigen Produzenten Emanuele Cassuto, der die Regie Luciano Emmer anvertraute, bis hin zur klugen Auswahl der Schauspielerinnen und Schauspieler – alles, einschliesslich eines brillanten Kameramanns wie Otello Martelli, schrie förmlich danach, dass dieses Werk weltweit Erfolg haben würde. Stattdessen kam der Film verstümmelt ins Kino – laut Ugo Casiraghi, weil er die schrecklichen Lebensbedingungen italienischer Bergarbeiter zeigte, die nach Belgien und Holland ausgewandert waren.» (Michela Zegna, fondazione.cinetecadibologna.it) 99 Min / sw / DCP / I+Niederl/e // REGIE Luciano Emmer //

«Das Leben eines jungen Zuhälters in den Slums am Stadtrand Roms. Der kleine Gauner Accattone hat objektiv nichts zu erwarten als Verfolgung, Gefängnis, schäbigen Tod. Auflehnung gegen das von der Gesellschaft verhängte Schicksal bleibt illusionär, Episoden von Solidarität und erotischem Glück können nicht viel bewirken. In diese trostlosen Bilder bringt die Musik, Bachs Matthäuspassion, Trost: Die Musik macht das Kleine und Armselige gross und exemplarisch.» (Hans-Klaus Jungheinrich, in: Pier Paolo Pasolini, Hanser Verlag 1977) «Accattone ein Werk von aussergewöhnlicher künstlerischer und intellektueller Reife. Es gibt nur wenige Regisseure in der Geschichte des

DREHBUCH Rodolfo Sonego, Luciano Emmer, Vinicio Marinucci, Pier Paolo Pasolini, Emanuele Cassuto // KAMERA Otello Martelli // MUSIK Roman Vlad, Emma Le Chanois // SCHNITT Jolanda Benvenuti // MIT Lino Ventura (Federico), Magali Noël (Chanel), Marina Vlady (Els), Bernard Fresson (Vincenzo).

LA COMMARE SECCA Italien 1962 Im römischen Trastevere-Quartier ist eine Prostituierte ermordet worden. Die Polizei verhört Zeugen und Tatverdächtige, die Kamera illustriert, bestätigt oder dementiert die Aussagen.


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Pier Paolo Pasolini Der Erstling des 22-jährigen Bertolucci ist in der Wahl der Figuren und der Milieuzeichnung noch ganz dem väterlichen Freund und Mentor Pasolini verschuldet, dem Bertolucci bei Accattone assis­ tiert hatte und der ihm das Treatment zu La commare secca überliess, um sich dem grösseren Projekt Mamma Roma zuzuwenden. Pasolinis «ragazzi di vita», die kleinen Gauner, Zuhälter und Stricher aus der römischen Unterschicht, werden mit Laiendarstellern, die weitgehend sich selber spielen, so präzis wie mitfühlend porträtiert.» (Dietrich Kuhlbrodt, in: Bernardo Bertolucci, Hanser Verlag 1982). Il restauro del film è stato realizzato nel 2019 in 4K a cura di CSC – Cineteca Nazionale a partire dal negativo originale 35mm e dal negativo sonoro ottico messi a disposizione da RTI – Mediaset. Tutte le lavorazioni sono state eseguite presso il laboratorio Cinema Communications Services. La supervisione al restauro del suono è stata realizzata a cura di

geblich für eine Stewardess. Godard dreht eine Vorstudie zu Alphaville: Il nuovo mondo findet nach einer atomaren Explosion statt, der Held glaubt die letzte normale Person auf Erden zu sein (...). Und Pier Paolo Pasolini liefert in nur 40 Minuten ein Hauptwerk ab: La ricotta spielt am Set eines Bibelfilms, dessen Regisseur Orson Welles einen servilen Reporter mit zynischen Aphorismen traktiert, während ein armer Statist verzweifelt Essen für seine Familie aufzutreiben sucht. Durch wilde Slapstickeinlagen, grandiose Stilbrüche und die dekadenten Ereignisse am Drehort hetzt er auf der Suche nach Nahrung hin und her, schlägt sich schliesslich den Magen mit dem titelgebenden Käse voll und stirbt in der prallen Sonnenglut als Schächer am Kreuz, während vor ihm ein üppiges Buffet für die Gäste aufgebaut wird. Die groteske Spielfreude des Films endet in der Tragik der Ausbeutung.» (Christoph Huber, ­Österreichisches Filmmuseum, 5/2001)

Federico Savina. 123 Min / Farbe + sw / Digital HD / I/e // DREHBUCH UND 88 Min / sw / DCP / I/e // REGIE Bernardo Bertolucci // DREH-

­REGIE Roberto Rossellini, Jean-Luc Godard, Pier Paolo

BUCH Bernardo Bertolucci, Sergio Citti, Pier Paolo Pasolini,

­Pasolini, Ugo Gregoretti // KAMERA Mario Bernardo, Tonino

nach einem Treatment von Pier Paolo Pasolini // KAMERA

Delli Colli, Jean Rabier, Luciano Trasatti // MUSIK Carlo

Gianni Narzisi // MUSIK Piero Piccioni, Carlo Rustichelli //

­Rustichelli // SCHNITT Daniele Alabiso, Nino Baragli, Agnès

SCHNITT Nino Baragli // MIT Francesco Ruiu (Canticchia),

Guillemot // MIT Rosanna Schiaffino (Anna Maria), Bruce

­Giancarlo de Rosa (Nino), Vincenzo Ciccora (Bürgermeister),

Balaban (Joe), Jean-Marc Bory (Ehemann), Alexandra Ste-

Alvaro D’Ercole (Francolicchio), Romano Labate (Pipito),

wart (Alexandra), Orson Welles (Regisseur), Mario Cipriani

­Lorenza Benedetti (Milly), Emy Rocci (Domenica).

(Stracci/guter Schächer), Laura Betti (Diva).

RO.GO.PA.G.

LA CANTA DELLE MARANE

Italien/Frankreich 1963

Italien 1961

«Ein Episodenfilm, dessen Titel sich aus den Anfangsbuchstaben seiner Regisseure zusammensetzt: Über Ugo Gregorettis Beitrag hat die Filmgeschichte den Mantel des Vergessens gebreitet (…). Roberto Rossellini meditiert in Illibatezza über Liebe und Film: Ein Manager entflammt ver-

An den «marane», kleinen Kanälen und Wasserläufen, die Rom und sein Umland durchziehen, vergnügen sich im Sommer die Kids aus dem Subproletariat. Das Baden in diesen Gewässern ist aber verboten, sodass die Polizei dem Spass immer wieder ein Ende macht.

SO, 24. APRIL | 11.00 UHR LESUNG: PASOLINI – DER VOM LEBEN VERURTEILTE DICHTER

Als Pier Paolo Pasolini anfing Filme zu drehen, war er bereits ein renommierter Dichter und ­Romanautor. Die Retrospektive zum 100. Geburtstag des vielseitigen Künstlers wird daher im Rahmen einer Matinee mit einer Lesung seiner Gedichte ergänzt. Wolf Wondratschek, Dichter und unangepasster Solitär im deutschen Literaturbetrieb, hat sich viel mit Pasolini beschäftigt und wird an einer Matinee eine Auswahl von Gedichten des 1975 ­ermordeten Lyrikers präsentieren und kommentieren. Gelesen werden die Gedichte auf Deutsch vom Sprachhandwerker Christian Reiner und auf Italienisch von der Schauspielerin Graziella Rossi.


> Ro.Go.Pa.G..

> Comizi d'amore.

> Il vangelo secondo Matteo.

> Edipo Re.

> Ostia.

> Il Decameron.


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Pier Paolo Pasolini Cecilia Mangini (1927–2021), die erste Dokumentarfilmerin Italiens, begann 1958, angeregt von Pasolini, in der Peripherie von Rom zu drehen. Das Ergebnis, Ignoti alla città, führte zu einer Zusammenarbeit mit Pasolini, aus der 1961 La canta delle marane hervorging.

Johannes XXIII. im Jahr darauf Pasolinis Neuverfilmung des Evangeliums von kirchlichen Organisationen unterstützen. (mb) 137 Min / sw / Digital HD / I/d // DREHBUCH UND REGIE Pier ­Paolo Pasolini // KAMERA Tonino Delli Colli // MUSIK Johann Sebastian Bach, Wolfgang Amadeus Mozart, Sergei Prokofieff,

COMIZI D’AMORE Italien 1965

Anton Webern, Luis E. Bacalov // SCHNITT Nino Baragli // MIT Enrique Irazoqui (Christus), Margherita Caruso (die junge ­Maria), Susanna Pasolini (die alte Maria), Marcello Morante (Joseph), Mario Socrate (Johannes der Täufer), Settimio Di

Woher kommen Babys? Klar doch: Die Waschfrau kommt ins Haus, mit einer Blume in der Tasche, weiss ein kleiner Junge. Aber auch die Antworten der Erwachsenen in Pasolinis Direct-CinemaUmfrage zu verschiedensten Aspekten der Sexualität lassen aufhorchen und bisweilen schmunzeln. Katholischer Konservatismus, Nostalgie nach einfacheren Zeiten, Abscheu vor Homosexualität und anderen «abnormalen» Praktiken mischen sich mit differenzierten Analysen und Emanzipationshoffnungen. «Ihre Äusserungen diskutierte er mit Intellektuellen wie Alberto Moravia, Giuseppe Ungaretti und Oriana Fallaci. Die Umfrage, die zum Vorbild für viele spätere Fernseh-Umfragen wurde, zeigt Italien im Wandel; zugleich erhellt sie die leidenschaftliche Persönlichkeit Pasolinis. Bei aller Komplexität ein humorvoller und unterhaltsamer Film.» (Lexikon des int. Films) LA CANTA DELLE MARANE 10 Min / sw / DCP / I/e // REGIE Cecilia Mangini // DREHBUCH Pier Paolo Pasolini // KAMERA Luigi Sgambati, Egisto ­Macchi // SCHNITT Renato May.

COMIZI D’AMORE 92 Min / sw / 35 mm / I/d // DREHBUCH, REGIE, MUSIK Pier Paolo Pasolini // KAMERA Mario Bernardo, Tonino Delli Colli // SCHNITT Nino Baragli // MIT Pier Paolo Pasolini (Interviewer), Lello Bersani (Sprecher), Oriana Fallaci, Alberto Moravia, Antonella Lualdi, Giuseppe Ungaretti, Cesare Musatti.

IL VANGELO SECONDO MATTEO Italien/Frankreich 1964 Leben, Sterben und Auferstehung Jesu Christi in dem berühmten Film von Pasolini (der viele Rollen mit Freunden und Bekannten und die Rolle der Maria mit seiner Mutter besetzte). Dem Mat­ thäus-Evangelium folgend, entwirft er ein individuell getöntes Bild der Heilsgeschichte, in dem besonders der soziale Aspekt der Botschaft Jesu herausgearbeitet wird. Ein dem herkömmlichen Bibelkino geistig wie formal extrem entgegengesetzter Film. War er 1963 mit seinem frivolen, respektlosen Kurzfilm La ricotta (in Ro.Go.Pa.G.) bei der Kirche noch in Ungnade gefallen, liess Papst

Porto (Petrus), Alfonso Gatto (Andreas).

IL RAGAZZO MOTORE Italien 1967 Was interessiert die Teenager?, fragte Pasolini einen jungen Autostopper, den er mitnahm. Die Antwort, die ihn überraschte, lautete: Motorräder. Paola Faloja (1933–2013), ursprünglich eine Schauspielerin, die ab 1961 auch Filme drehte, nahm Pasolinis Anekdote zum Anlass, in ihrem kurzen Dokumentarfilm Il ragazzo motore 1967 die Szene der jugendlichen Motorradfans zu porträtieren und deren Wünsche und Träume zu erfahren. Pasolini wirkt dabei als Erzähler mit. (mb)

UCCELLACCI E UCCELLINI Italien 1965 Ein Mann und sein Sohn begegnen während ihrer Wanderschaft durch die italienische Provinz einem sprechenden Raben, der sie in politischphilosophische Debatten über Gott und die Welt, Marx und Christus, Geschichte und Revolution verwickelt. Und plötzlich sollen sie im Mittelalter für Franz von Assisi die Vögel bekehren. «Einer der wenig bekannten, dabei aber höchst vergnüglichen und ausgezeichneten Filme Pasolinis: eine Moritat von den grossen bösen und den kleinen lieben Vögeln, von denen die einen die andern bekanntlich verschlingen. Dargeboten, mit kraftvoller Lebenslust, vom Volkskomiker Totò und von Pasolinis jungem Lieblingsdarsteller Ninetto Davoli, auch er einer aus dem Volk.» (Pierre Lachat) IL RAGAZZO MOTORE 11 Min / sw / DCP / I/d // REGIE Paola Faloja // DREHBUCH Pier Paolo Pasolini // KAMERA Mario Masini, Giancarlo Lari // ­MUSIK Alberico Vitalini // MIT Pier Paolo Pasolini (Erzähler).

UCCELLACCI E UCCELLINI 89 Min / sw / DCP / I/d // DREHBUCH UND REGIE Pier Paolo Pasolini // KAMERA Mario Bernardo, Tonino Delli Colli // ­MUSIK Ennio Morricone // SCHNITT Nino Baragli // MIT Totò (Innocenti Totò/Bruder Ciccillo), Ninetto Davoli (Innocenti


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Pier Paolo Pasolini Ninetto/Bruder Ninetto), Femi Benussi (Luna), Rossana Di Rocco (Ninettos Freundin), Lena Lin Solaro (Urganda la sconosciuta), Rosina Moroni (Bäuerin).

Widersprüchlichkeit geäussert. Den Franziskanismus seiner frühen Filme hat er in wütende wie ratlose Provokation umgekehrt.» (Harry Tomicek, Österreichisches Filmmuseum, 5/2001)

EDIPO RE

99 Min / Farbe / Digital HD / I/d // DREHBUCH UND REGIE

Italien/Marokko 1967

Pier Paolo Pasolini // KAMERA Tonino Delli Colli, Armando

Die Tragödie des Ödipus, der unwissend seinen Vater tötet, die Mutter zur Frau nimmt und nicht ruht, bis diese unbewusste Schuld ans Licht gebracht und gesühnt ist. Pasolini hat das mythische Geschehen in die zeitenfern-archaische Realität der Bauern und Handwerker des unterentwickelten italienischen Südens verlegt. «Welch ein bewundernswerter Film! Dank der unrealistischen Traumhaftigkeit des zeitgenössischen Prologs und Epilogs und dank dem schlichten Realismus der Legende verringert Pasolini die Distanz, die die Epochen trennt und Legende von Realität, Realismus von Symbolismus unterscheidet.» (Jean-Marc Bory)

MIT Pierre Clémenti (junger Kannibale), Jean-Pierre Léaud

104 Min / Farbe / Digital HD / I/d // REGIE Pier Paolo Pasolini // DREHBUCH Pier Paolo Pasolini, nach der Ödipus-Tragödie von Sophokles // KAMERA Giuseppe Ruzzolini // MUSIK Wolfgang Amadeus Mozart, Volksmusik aus Afrika, Rumänien und Japan // SCHNITT Nino Baragli // MIT Franco Citti ­(Ödipus), Silvana Mangano (Iokaste), Alida Valli (Merope), ­Julian Beck (Teiresias), Carmelo Bene (Kreon), Luciano Bartoli (Laios), Francesco Leonetti (Diener des Laios), Ninetto Davoli (Angelo), Pier Paolo Pasolini (alter Priester).

PORCILE Italien/Frankreich 1969 «Ein Sonett in der Art Petrarcas über ein Thema von Lautréamont hat Pasolini Porcile genannt, mit dem er seine ‹Enttäuschung und Verzweiflung angesichts aller bisherigen Gesellschaftsformen› zum Ausdruck bringen wollte. Auf zwei Ebenen erzählt Pasolini die Geschichte eines Kannibalen und eines Sodomisten, deren Abartigkeit als ohnmächtiger Protest und deren Tod als provozierende Variante des Märtyrertums interpretiert werden: in einer (raumzeitlich nicht fixierten) Vulkanöde des Mittelalters das eine, im von NS-Gedankengut verseuchten Industriellenmilieu der Bundesrepublik von 1968 das andere Mal. Die Gegenüberstellung von Stille und Sprech-Tirade, Statik und Fahrt ist nur die ästhetische Entsprechung zum Dual der ideellen Spannung, die Pasolinis Filme prägt: Marxismus – Christentum, Zivilisation – Barbarei, Ratio – Magie. Die Erzählstränge in Porcile bleiben bewusst unverbunden, die Klammer ausgespart. Pasolini hat seine teilweise Identifikation mit den beiden Helden und deren apo­ kalyptischer Anarchie und deren existenzieller

Nannuzzi, Giuseppe Ruzzolini // MUSIK Benedetto Ghiglia // (Julian Klotz), Alberto Lionello (Herr Klotz), Ugo Tognazzi (Herdhitze), Anne Wiazemsky (Ida), Margarita Lozano (Frau Klotz), Marco Ferreri (Hans Günther), Franco Citti (Kannibale).

OSTIA Italien 1970 Die Brüder Rabbino und Bandiera, aufgewachsen in einer Familie von Anarchisten, leben als Kleinkriminelle in inniger Zweisamkeit. Als ihre Freunde eine bewusstlose Blondine finden, gewähren sie der Frau Zuflucht. Anders als ihre Kumpel rühren sie Monica nicht an, und es entwickelt sich eine seltsame, keusche Ménage-à-trois. Als die Brüder in den Knast müssen, kümmert sich Monica um den Haushalt. Doch als sie wieder freikommen, gerät das Dreieck aus den Fugen. Pasolini stand als Drehbuchkoautor und «Supervisor» Pate, als mit seinem langjährigen Mitarbeiter Sergio Citti erstmals ein Angehöriger seines geliebten römischen Subproletariats einen Film über seine eigene Welt inszenierte. Ostia erinnert von Milieu, Figuren und Besetzung her an Pasolinis Frühwerke, doch auch die archetypischen, absurden und surrealen Elemente seiner späteren Filme werden spürbar. Zugleich ein Beispiel von Pasolinismus und eine Reflexion darüber. (mb) 103 Min / Farbe / Digital SD / I/d // REGIE Sergio Citti // DREHBUCH Pier Paolo Pasolini, Sergio Cittti // KAMERA Mario ­Mancini // MUSIK Francesco De Masi // SCHNITT Nino ­Baragli, Carlo Reali // MIT Laurent Terzieff (Bandiera), Franco Citti (Rabbino), Anita Sanders (Monica), Ninetto Davoli (Fiorino), Lamberto Maggiorani (Monicas Vater), Celestino Compagnoni (Vater von Bandiera und Rabbino).

IL DECAMERON Italien/Frankreich/Deutschland 1971 Pasolini inszeniert acht Episoden aus Boccaccios spätmittelalterlicher Novellensammlung als Darstellung einer ungebrochen lustbetonten Gesellschaft. «In der ersten Phase der kulturellen und anthropologischen Krise, die etwa 1960 begann – als die Irrealität der (…) Massenmedien(-Kultur) über die Kommunikation der Massen zu triumphieren


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Pier Paolo Pasolini begann –, erschienen als das letzte Bollwerk gegen die verschwindende Realität die ‹unschuldigen› Körper, mit der archaischen, düsteren, vitalen Gewalt ihrer sexuellen Organe. Schliesslich faszinierte mich persönlich (…) die Abbildung des Eros, gesehen in einem menschlichen Klima, das kaum von der Geschichte übertroffen wurde.» (Pasolini, zitiert in: Pier Paolo Pasolini, Hanser Verlag 1977) 111 Min / Farbe / Digital HD / I/d // REGIE Pier Paolo Pasolini // DREHBUCH Pier Paolo Pasolini, nach acht Novellen von ­Giovanni Boccaccio // KAMERA Tonino Delli Colli // MUSIK

In seinem letzten Film entwirft Pasolini jenseits spekulativer Intentionen und ästhetischer Gefälligkeit eine schockierende Vision menschlicher Machtbesessenheit und barbarischer Zerstörungslust inmitten hochgeistiger kultureller Verfeinerung. Der nach einem Roman von de Sade entwickelte Stoff ist zwar im Jahr 1944 angesiedelt, dient jedoch als Kommentar zur hedonistischen Konsumgesellschaft der Nachkriegszeit, die von Pasolini als apokalyptische Verfallsepoche begriffen wird ohne Hoffnung auf Veränderung. Ein radikaler, trostloser, erschütternder Film.» (Filmpodium, Nov./Dez. 1999)

Pier Paolo Pasolini, Ennio Morricone // SCHNITT Nino Baragli, Tatiana Morigi // MIT Franco Citti (Ciappelletto), ­

117 Min / Farbe / 35 mm / I/d/f // REGIE Pier Paolo Pasolini //

Ninetto Davoli (Andreuccio von Perugia), Angela Luce (Pero-

DREHBUCH Pier Paolo Pasolini, Sergio Citti, nach dem Ro-

nella), Patrizia Capparelli (Alibech), Jovan Jovanovic (Ru-

manfragment von Donatien Alphonse François Marquis de

stico), Pier Paolo Pasolini (Giotto, Maler), Silvana Mangano

Sade // KAMERA Tonino Delli Colli // SCHNITT Nino Baragli

(Madonna).

// MIT Paolo Bonacelli (Fürst Blangis), Umberto Paolo Quintavalle (seine Exzellenz Curval, Präsident des Berufungsge-

SALÒ O LE 120 GIORNATE DI SODOMA

richts), Sonia Saviange (Pianistin), Aldo Valletti (Präsident Durcet), Giorgio Cataldi (Bischof).

Italien/Frankreich 1975 «In der Republik von Salò, dem letzten Refugium italienischer Faschisten kurz vor dem Ende der Mussolini-Herrschaft, inszeniert eine Gruppe sadistischer Grossbürger terroristische Grausamkeitsrituale: Junge Männer und Frauen werden als Lust- und Folterobjekte missbraucht und erniedrigt, schliesslich in einer perversen Orgie zu Tode gequält.

Die Kopien von La notte brava, La giornata balorda und La ­commare secca wurden freundlicherweise von der Cineteca nazionale (Rom) zur Verfügung gestellt.

PASOLINI-PODIUM

DO, 7. APRIL | 18.00 UHR

Pasolini war als Schriftsteller und Dichter, Cineast und politischer Philosoph kontrovers. Sein vielfältiges, oft widersprüchliches Werk gibt bis heute Anlass zu Diskussionen, und darum lädt auch das Filmpodium zu einer Gesprächsrunde ein. Über Pasolinis Werk und seine Bedeutung in seiner Zeit und für unsere Gegenwart debattieren: Der Schweizer Regisseur Milo Rau hat 2017 im Schauspielhaus eine gewagte Neuinszenierung von Pasolinis «Salò» auf die Bühne gebracht und mit Das neue Evangelium (2020) eine Art Hommage an Il vangelo secondo Matteo ­gedreht. Stefan Zweifel hat sich als Sade-Übersetzer und Literaturkritiker auch mit Tabuzonen und Theoremen bei Pasolini befasst. Vinzenz Hediger, Filmwissenschaftler, hat an der Universität Frankfurt über Pasolini doziert. Cecilia Valenti, Filmwissenschaftlerin und Kuratorin an der Universität Mainz, forscht über militanten Dokumentarfilm und italienisches feministisches Kino. Toni Hildebrandt (Gesprächsleiter), Dozent für Kunstgeschichte an der Universität Bern, ist Spezialist für Pasolinis Spätwerk und veröffentlicht im Mai mit Giovanbattista Tusa die Textsammlung «PPPP – Pier Paolo Pasolini Philosopher».



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Angelina Maccarone Die in Deutschland geborene Regisseurin Angelina Maccarone macht in ihren eindrucksvollen Filmen nicht nur lesbische Liebe sichtbar, sondern kreiert und porträtiert auch starke, zeitlose Figuren. Pink Apple verleiht ihr für ihre Verdienste im queeren Filmschaffen den Festival Award 2022. Der Blick – auf eine Person, eine Geschichte, die Leinwand – ist als inhärentes Element des Films unabdingbar. Doch die Art, wie wir Filme schauen, kann äusserst unterschiedliche Facetten annehmen. Angelina Maccarone selbst sagt, es sei unter anderem diese Ambiguität eines Blicks, die sie interessiere: Aktiv und passiv, beobachtend und beobachtet bewegen wir uns durch die Welt. Entsprechend befasst sie sich in ihrem aufwendigen Dokumentarfilm The Look (2011) über neun thematische Kapitel hinweg mit dem Leben und Schaffen der Schauspielerin Charlotte Rampling aus unterschiedlichen Pers­ pektiven. Entstanden ist der Film während dreieinhalb Jahren im Austausch mit der Protagonistin und immer auch mit dem Publikum im Hinterkopf: «Ich bin ja letztlich auch eine Zuschauerin wie jede andere und sehe mir Dinge nicht nur aus der filmisch-künstlerischen Perspektive an», so Maccarone. Starke Frauen, starke Geschichten Auch in ihren anderen Filmen stellt Maccarone beeindruckende Frauen ins Zentrum und zeigt die Handlung aus deren Blickwinkel. Mit ihrem Debütfilm Kommt Mausi raus?! (1994), der ein Jahr nach seinem Erscheinen zu bester Sendezeit auf ARD ausgestrahlt wurde, machte sie das Thema Coming-out ­einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. Die Hauptfigur Kati bekennt sich langsam zur eigenen Identität und weist Charakterzüge auf, die sich auch in den Protagonistinnen darauffolgender Werke Maccarones wiederfinden. Schlagfertige, durchsetzungsstarke und einfühlsame Frauen begleiten wir denn auch in Alles wird gut (1998), Maccarones erstem Kinofilm, der gesellschaftskritische Gedanken mit einer herzerwärmenden Liebesgeschichte verwebt. Mit afrodeutschen Schauspieler:innen in den Hauptrollen wird auf allgegenwärtigen Rassismus aufmerksam gemacht, wobei die Figuren immer eine aktive Rolle einnehmen und schliesslich die Oberhand behalten.

Feministisches Roadmovie: Vivere Der Blickwinkel der Ikone: The Look Gefährliche Fantasien: Verfolgt


34 In ihrem 2005 erschienenen Film Fremde Haut erzählt Maccarone die Geschichte der aus dem Iran geflüchteten Übersetzerin Fariba (Jasmin T ­ abatabai), die sich in ihrer Verzweiflung als Mann ausgibt und sich in der deutschen Provinz durchschlägt. Wo Identität schon in vorangehenden Filmen ein wichtiges Thema war, wird sie hier anhand zentraler Fragen verhandelt: Wie setzt sich Identität zusammen? Wie definieren wir Männlichkeit und Weiblichkeit? Auch hier ist stets die Perspektive klar, aus der die Geschichte erzählt wird: Ungeschönt wird die oftmals harte Realität von Asylsuchenden und illegalen Arbeiter:innen dargestellt und diese Seite von Deutschland mit kritischem Auge betrachtet. Für diesen bedeutsamen Film erhielt Maccarone 2005 den Hessischen Filmpreis. Trotz wiederkehrender Elemente lässt sich Angelina Maccarones Schaffen nicht in eine Schublade stecken. «Ich erzähle in erster Linie Geschichten, die mich interessieren», sagte sie in einem Interview. Dazu gehört auch die kontroverse Geschichte einer verheirateten Bewährungshelferin mittleren Alters, die sich auf eine sadomasochistische Beziehung mit dem 16-jährigen Jan einlässt. Als einziger in Schwarzweiss gehaltener Film in dieser Retrospektive stellt Verfolgt (2006) visuell ein besonderes Erlebnis dar: Intime Aufnahmen der Protagonist:innen lassen uns eng an den verhandelnden Blicken und den sich verändernden Dynamiken zwischen den involvierten Personen teilhaben. Etwas weniger intim, aber genauso packend ist das feministische Roadmovie Vivere (2007), das die Geschichten dreier unterschiedlicher, aber dennoch ­verbündeter Frauen erzählt. Angelina Maccarones Erzählweise ist stets einfühlsam und ehrlich, ohne aufdringlich zu sein. Sina Früh

Sina Früh ist Anglistin, Filmwissenschaftlerin und Pädagogin. Sie ist seit 2020 künstlerische Koleiterin des queeren Filmfestivals Pink Apple.


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Angelina Maccarone Freitas (Kim Berger), Isabella Parkinson (Giuseppa), Pierre

KOMMT MAUSI RAUS?! Deutschland 1995 Kati – auch Mausi genannt– kommt mit schüchternen 20 vom Dorf in die Grossstadt, wo sie ihre Liebe zu Frauen endlich ausleben kann. Mit Jo, die keinen Bock auf «Romantikscheiss» hat, entsteht zwar keine Beziehung, aber eine gute Freundschaft. Doch als sie Yumiko kennenlernt, wirds für Kati ernst. Alles könnte so schön sein, hätte Kati da nicht ein kleines Problem: Sie steht nicht öffentlich zu ihrem Lesbischsein. Das stört die Freundin und die Liebe. Das Coming-out bei Katis Mutter lässt sich nicht länger hinausschieben. Zurück auf dem Land begegnet Kati Menschen und dem Leben von früher, das sie für Hamburg hinter sich gelassen hatte. Kommt Mausi raus?! schrieb Lesbenfilmgeschichte. Der Film wurde 1995 auf ARD zur besten Sendezeit ausgestrahlt und machte junge lesbische Liebe für ein breites Publikum sichtbar. 90 Min / Farbe / DCP / D // REGIE Angelina Maccarone, Alexander Scherer // DREHBUCH Angelina Maccarone // KAMERA Jochen Radermacher // MUSIK Paul Shigihara // SCHNITT

Sanoussi-Bliss (Kofi Eké), Aglaja Szyszkowitz (Katja), Uwe Rohde (Dieter Lauer).

FREMDE HAUT Deutschland/Österreich 2005 Der iranischen Übersetzerin Fariba (Jasmin ­Tabatabai) droht in ihrer Heimat die Todesstrafe, weil sie eine Frau liebt. Nach Ablehnung ihres Asylantrages in Deutschland eröffnet sich ihr ein drastischer und gefährlicher Ausweg aus der ­verzweifelten Situation: Sie gibt sich als Mann namens Siamak Mustafai aus und erhält so eine ­vorübergehende Aufenthaltsgenehmigung in der schwäbischen Provinz. Die kultivierte Grossstädterin in fremder Haut landet in einem kleinen deutschen Kaff und ringt mit der Verleugnung ihrer Identität, was sie dennoch als einzigen Ausweg ansieht. Notgedrungen arbeitet Fariba illegal in einer Sauerkrautfabrik, wo sie Anne kennenlernt – die Einzige, die hinter die Fassade blickt. Angelina Maccarones Kinofilm wirft einen ungeschönten Blick auf deutsche Lebenswirklichkeit durch die Augen einer asylsuchenden Person.

Birgit Gasser // MIT Julia Richter (Kati), Nina Weniger (Sonja), Alexandra Wilcke (Yumiko), Gisela Keiner (Käthe Breuer), Inga

97 Min / Farbe / 35 mm / D+Pers+E+Russ/d // REGIE Angelina

Busch (Jo), Konstantin Graudus (Herbert), Florian Lukas

Maccarone // DREHBUCH Angelina Maccarone, Judith Kauf-

(Wolfgang), Florian Fitz (Carsten), Kerstin Thielemann (Gabi).

mann // KAMERA Judith Kaufmann // MUSIK Hartmut Ewert, Jacob Hansonis // SCHNITT Bettina Böhler // MIT Jasmin Tabatabai (Fariba Tabrizi), Anneke Kim Sarnau (Anne), Monika

ALLES WIRD GUT Deutschland 1998 Nabou verbringt ihre Tage damit, Schokolade essend ihrer Ex-Freundin Katja nachzutrauern – diese frönt aber schnell wieder neuen Liebschaften. Als Nabou Katja eines Tages in ihrem Treppenhaus auflauert, stolpert sie zufällig bei der Nachbarin Kim in einen neuen Job als Putzhilfe. Was eigentlich dazu dienen sollte, der Ex nah zu sein, entwickelt sich bald zu etwas ganz anderem, denn die unnahbare Kim scheint mit ihrem Verlobten und ihrer Arbeit in einer Werbe­ agentur auch nicht ganz glücklich zu sein. In ihrem Film Alles wird gut, der nichts an Aktualität verloren hat, wirft Angelina Maccarone Licht auf den Rassismus, dem sich afrodeutsche Menschen täglich ausgesetzt sehen. Dabei verwebt sie geschickt gesellschaftskritische Denkanstösse mit gewitzten Dialogen und erfrischenden Darbietungen der Protagonist:innen. 88 Min / Farbe / DCP / D // REGIE Angelina Maccarone // DREHBUCH Fatima El-Tayeb, Angelina Maccarone // KAMERA Judith Kaufmann // MUSIK Jacob Hansonis // SCHNITT Inge Bohmann // MIT Kati Stüdemann (Nabou), Chantal De

Hansen (Waltraut), Navid Navid (Siamak), Jevgeni Sitochin (Maxim), Dmitri Dichovichni (Dmitri), Georg Friedrich (Burkhardt), Jens Münchow (Andi).

VERFOLGT Deutschland 2006 Die gut 50-jährige Bewährungshelferin Elsa verfällt im Laufe ihrer Arbeit der Versuchung ihres 16-jährigen Schützlings Jan Winkler, den sie nach einem Gefängnisaufenthalt betreuen und in den Alltag zurückführen soll. Zwischen den beiden beginnt ein bizarres Katz-und-Maus-Spiel aus Unterwerfung, sexueller Begierde und Tabubrüchen, bei dem sich Elsa mehr und mehr mit den Konsequenzen ihres Tuns konfrontiert sieht. Stilistisch reduziert und in körnigem Schwarzweiss gedreht, bricht Verfolgt sowohl inhaltlich als auch visuell mit Konventionen. Statt auf explizite sexuelle Darstellung wird auf die langsame Entwicklung eigener Wünsche, Begierde und Neugierde fokussiert, auf menschliche Dynamiken und gesellschaftliche Konventionen. Maren Kroymann und Kostja Ullmann verleihen dem Film mit ihren Darbietungen eine bemerkenswerte Ehrlichkeit und Einzigartigkeit.


> Alles wird gut.

> Kommt Mausi raus?!.

> Fremde Haut.


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Angelina Maccarone 87 Min / sw / 35 mm / D // REGIE Angelina Maccarone //

(Antonietta Conchiglia), Egbert Jan Weeber (Snickers), Aykut

DREHBUCH Susanne Billig // KAMERA Bernd Meiners // MU-

Kayacik (Enrico Conchiglia), Inger Hansen (Gitarrist), Evert

SIK Hartmut Ewert, Jacob Hansonis // SCHNITT Bettina Böh-

Aalten (Pianist), Maarten Hemmen (Drummer).

ler // MIT Kostja Ullmann (Jan Winkler), Maren Kroymann (Elsa Seifert), Moritz Grove (Frieder), Sila Sahin (Sonnur), Ada

THE LOOK

Labahn (Manuela), Markus Voellenklee (Raimar), Stephanie Charlotta Koetz (Daniela).

VIVERE Deutschland/Niederlande 2007 Drei Frauen, drei Geschichten und eine Reise nach Rotterdam: Als ihre rebellische kleine Schwester Antonietta an Heiligabend mit ihrem holländischen Freund verschwindet, macht sich Francesca aus Pflichtgefühl auf die Suche nach ihr. Dabei kreuzt sich ihr Weg mit verschiedenen Menschen, so z. B. mit der faszinierenden Gerlinde, die gegen ein gebrochenes Herz ankämpft. Francesca, Antonietta und Gerlinde schlagen sich gemeinsam durch, und unterwegs eröffnen sich für alle drei immer wieder neue Perspektiven. Sie fordern das Leben heraus, um es zusammen neu zu entdecken. In ihrem einfühlsamen feministischen Roadmovie arbeitet Angelina Maccarone mit einer besonderen Erzählstruktur, die dem Publikum nach und nach Einblick in die Hintergründe und Motivationen der einzelnen Figuren bietet. Durch diese Erzählform und die intensive Bildsprache wird man förmlich in die Geschichte(n) hineingezogen und begibt sich mit den Figuren auf eine abenteuerliche Reise.

Deutschland/Frankreich 2011 «Charlotte Rampling: Tabubrecherin, Stilikone, Weltstar und mutige Avantgardistin. Sie war das Chelsea Girl im Swinging London der 60er. Visconti holte sie für La caduta degli dei nach Italien. Ihre Rolle in Liliana Cavanis Il portiere di notte löste eine weltweite Tabudebatte aus. Sie inspirierte Helmut Newton zu seiner ersten Aktfotografie. In New York verkörperte sie für Woody Allen die perfekte Frau, in Hollywood stand sie mit Paul Newman vor der Kamera. Erklärtermassen gern arbeitet sie mit Filmemachern wie Nagisa Oshima und François Ozon. Oft als Objekt der Begierde inszeniert, ist sie in The Look das Subjekt des Films. Der Blick gehört ihr. In neun Kapiteln und Begegnungen mit Weggefährten und Vertrauten wie Peter Lindbergh, Paul Auster oder Juergen Teller lotet Charlotte Rampling Themen wie Alter, Schönheit, Tabu, Begehren, Tod und Liebe aus. Gedanken, Gespräche, Filme, Orte und Situationen verdichten sich jenseits aller anekdotischer Rückschau zum vielschichtigen, spannenden, im besten Sinn selbstbewussten Porträt einer charismatischen Frau und Schauspielerin: The Look wird zu einem Blick aufs Leben selbst.» (kultkino.ch) 99 Min / Farbe / DCP / E+F+D/d/f // DREHBUCH UND REGIE

102 Min / Farbe / 35 mm / D+Niederl+I+E // DREHBUCH UND

Angelina Maccarone // KAMERA Judith Kaufmann, Bernd

REGIE Angelina Maccarone // KAMERA Judith Kaufmann //

Meiners // SCHNITT Bettina Böhler // MIT Charlotte Rampling,

MUSIK Hartmut Ewert, Jacob Hansonis // SCHNITT Bettina

Peter Lindbergh, Paul Auster, Barnaby Southcombe.

Böhler // MIT Hannelore Elsner (Gerlinde von Habermann), Esther Zimmering (Francesca Conchiglia), Kim Schnitzer

Filmtexte von Sina Früh, wo nicht anders angegeben.

Angelina Maccarone wurde 1965 in Puhlheim bei Köln geboren. Noch bevor sie im Filmbusiness Bekanntheit erlangte, schrieb sie erfolgreich Songtexte, u. a. für Udo Lindenberg. Eindrucksvolle Geschichten ersinnt sie heute vor allem als Drehbuchautorin, sowohl für ihre eigenen Filme als auch für TV-Reihen wie Tatort oder als Skript-Editorin für den 2020 erschienenen ­Dokumentarfilm Schlingensief – in das Schweigen hineinschreien. Die Verleihung des Pink Apple Festival Award findet am 30.4. nach der 18-Uhr-Vorstellung von Kommt Mausi raus?! statt und wird gefolgt von einem Apéro. Detaillierte Einblicke in ihr Schaffen gibt Angelina Maccarone in der Master Class mit der Filmdozentin und Filmemacherin Marille Hahne am 29. April 2022 um 18.00 Uhr im Filmpodium.


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> 2001: A Space Odyssey.

> Bildnis einer Trinkerin.

> All That Jazz.

© 1979 Columbia Pictures Industries, Inc. All Rights Reserved


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Cinema Seen Through the Eyes of: Joanna Hogg Joanna Hogg macht Filme, aber keine Kompromisse. International wird die gebürtige Londonerin seit ihrem Debüt Unrelated (2005) als eine der eigenwilligsten Vertreterinnen des britischen Gegenwartskinos gehandelt. Mit ihrem zweiteiligen, autobiografisch geprägten Filmprojekt The Souvenir ist sie derzeit eine der aufregendsten weiblichen Regiestimmen überhaupt. Für unser neues Filmpodium-Format «Cinema Seen Through the Eyes of» haben wir Hogg gebeten, zehn Werke auszuwählen, die sie als Künstlerin beeinflusst haben oder für sie zukunftsweisend und visionär sind. Wie sie bei der Zusammenstellung vorgegangen ist, was ihr Ausgangspunkt war und ­welche Erinnerungen sie mit den einzelnen Filmen verbindet, erzählt sie uns exklusiv im Interview mit Pamela Jahn. Das Programm findet in Kooperation mit dem Xenix statt, das der Ausnahmeregisseurin zeitgleich eine Retrospektive widmet. Joanna Hogg wird in beiden Kinos zu Gast sein.

Interview mit Joanna Hogg Joanna Hogg, wann haben Sie begonnen bewusst Filme zu schauen, nicht nur zu Unterhaltungszwecken? 1979. Damals arbeitete ich als As­ sistentin bei einem Londoner Fotografen und habe alle möglichen Filme geschaut. Es war eine goldene Ära für das Programmkino, und aus meiner Leidenschaft für die Fotografie entwickelte sich bald der Wunsch, Filmemacherin zu werden. Bis zu dem Zeitpunkt war ich eine reine Filmliebhaberin, die gerne ins Kino ging, aber eher als Fan, ein Teenager ohne Orientierung sozusagen. Ich war fasziniert von Hollywood und liebte vor allem Musicals. Das änderte sich

schlagartig, als ich erkannte, dass ich lernen wollte, selber Filme zu machen. Ihre ersten beiden Souvenir-Filme handeln von der Zeit, als Sie in den frühen achtziger Jahren Ihr Filmstudium in London absolvierten. Gibt es Titel in Ihrer Auswahl, die Sie damals beeinflusst haben? Ich habe es mir im Vorfeld zu The Souvenir ganz klar zur Aufgabe gemacht, mich in die Filme zu vertiefen, die ich als Studentin geliebt habe. Ich habe mich von diesen Filmen leiten und inspirieren lassen. Einige habe ich erneut angeschaut, aber viele waren mir auch noch in guter Erinne-


40 rung. Sie sind Teil meiner Psyche. Und ehrlich gesagt gehören fast alle Filme auf meiner Liste dazu. Einer der ersten Titel, die mir in den Sinn kamen, ist Ulrike Ottingers Bildnis einer Trinkerin. Mich hat ihre Art des Filmemachens, die viele Ideen aufgreift und aus verschiedenen Medien schöpft, stets begeistert. Ausserdem hat der Film etwas Ungeordnetes und Experimentelles, das mir immer imponierte. So wie Derek Jarmans Filme, die mich bis heute auf eine ähnliche Art und Weise faszinieren, hat auch Ottinger bereits früh in ihrer Karriere ihr eigenes Kino entwickelt. Wenn man an Ihre eigenen Werke denkt, ist es spannend, so viele Musicals in Ihrer Auswahl zu entdecken. Ich bin darüber selbst etwas überrascht. Aber eigentlich spielt Musik in allen Filmen, die ich ausgewählt habe, eine Rolle. Vor allem der Rhythmus ist in Werken wie Playtime, Toute une nuit und 2001 entscheidend. Dass das Musikalische in meinen frühen Filmen nicht so ausgeprägt ist, liegt daran, dass ich nach meinem Abschlussfilm Caprice diesbezüglich etwas entmutigt war. Darin hatte ich viele meiner Vorlieben im Kino vereint, auch das Musikalische. Aber das Ergebnis wurde den Erwartungen meiner Tutoren nicht gerecht. Das hat mir damals sehr zugesetzt. Ich hatte das Gefühl, als ernsthafte Filmemacherin gescheitert zu sein. Danach habe ich meinen Halt verloren. Ich habe dann zunächst eine Zeit lang fürs Fernsehen gedreht, um zu lernen, realistischer zu arbeiten, weshalb meine ersten beiden Spielfilme

auch eher diesem Stil verpflichtet sind. Aber ich habe das Gefühl, dass ich jetzt wieder Filme drehe, in denen ich mich auch selbst mehr wiederfinde. Was verbindet Sie insbesondere mit All That Jazz? Es freut mich, dass Sie den Film ansprechen, denn er ist so speziell – ein klassisches Musical, das gleichzeitig auf interessante Weise mit der Biografie von Bob Fosse verwoben ist. Es ist ein sehr persönlicher Film, so wie übrigens auch Bildnis einer Trinke­ rin. Ich glaube, das ist auch ein entscheidender Punkt im Hinblick auf meine Auswahl insgesamt. Die Filme, die mich am meisten beindrucken, sind immer extrem eng mit den Menschen verbunden, die dahinterstehen. All That Jazz ist ungewöhnlich komplex für ein Musical und extrem ehrlich in der Schilderung eines Lebens. Es ist erstaunlich, wie unterhaltsam der Film ist, auch wenn es um den Tod geht. Fosse vereint darin grossartig das Künstliche mit dem Emotionalen. Der Film wirkt wie eine Operation am offenen Herzen – und das ist ja auch Teil der Geschichte. I Know Where I’m Going! ist im Hinblick auf das Gesamtwerk von Powell und Pressburger eher eine ungewöhnliche Wahl. Was hat es damit auf sich? An die Filme von Powell und Pressburger ­wurde ich von einem Mann herangeführt, mit dem ich Anfang der 1980er-Jahre in einer Beziehung lebte. Seine Begeisterung für ihr Kino hat mich komplett überwältigt, aber ich habe sie zunächst vor allem durch seine Augen gesehen. Ich erinnere


41 mich noch daran, dass ich zu Beginn meines Studiums eine Szene gedreht habe, die von I Know Where I’m Go­ ing! inspiriert war. Meine Tutoren haben das nicht verstanden, weil sie spürten, dass ich Ideen nachging, die nicht meiner eigenen Vorstellung entsprachen. Meine Begeisterung für Powell und Pressburger rührt aus dieser Zeit, aber erst Jahre später habe ich ihre Werke aus meiner eigenen Perspektive für mich entdeckt. Chantal Akerman ist neben Ulrike Ottinger die einzige Regisseurin. Warum? Ich habe zum ersten Mal während des Studiums einen Film von ihr gesehen, das Musical Golden Eighties. Aber ihr Gesamtwerk erschloss sich mir erst später. Gemeinsam mit dem Filmemacher Adam Roberts zeigten wir eine Retrospektive ihrer Filme am Institute of Contemporary Arts in London. Über zwei Jahre verteilt haben wir jeden ihrer Filme vorgestellt. Es war eine wunderbare Gelegenheit, komplett in ihr Werk einzutauchen. Ihr Feinsinn hat mich immer beeindruckt, und Toute une nuit ist in dieser Hinsicht besonders. Akerman kommt mit wenig Dialog aus, der Film ist eine Choreografie von mehreren Begegnungen. Die Sensibilität, mit der sie den Rhythmus des alltäglichen Lebens betont, ohne dass es aufdringlich wirkt, ist famos. Playtime wird oft als Jacques Tatis Meisterwerk gehandelt. Würden Sie dem zustimmen? Ja, mit Tati bin ich bereits seit meiner Kindheit eng verbunden. Mein Vater liebte seine Filme. Er trug sogar Slip-

per aus weichem Leder, die wir Kinder Monsieur-Hulot-Schuhe nannten. Erst als ich die Filme später wieder einmal sah, fiel mir Playtime als das experimentellste und ambitionierteste seiner Werke auf. Auf der einen Seite ist da der Humor, mit dem er das moderne Leben betrachtet. Gleichzeitig setzt er sich auch sehr ernsthaft mit dem Thema auseinander und zeigt, wie sehr die Menschen sich immer mehr voneinander entfernen. Das wird einem erst richtig bewusst, wenn man den Film heute sieht. Und man muss sich nur seine Sets anschauen. Es stimmt mich manchmal ziemlich traurig. Vielleicht kann man mit digitalen Effekten heute Ähnliches erreichen, aber eine echte Welt zu schaffen, so wie Tati damals, das ist heute gar nicht mehr möglich. Bei Edward Yang haben Sie sich für Taipei Story entschieden, einen wunderschönen, mitunter sehr traurigen Film. Taipei Story steht hier repräsentativ für sein Werk insgesamt, weil ich ihn für einen ausserordentlichen Filmemacher halte. Von circa zehn Jahren sah ich im Kino zum ersten Mal Yi Yi und verliebte mich sofort in den Film. Ich hätte mich auch gut dafür entscheiden können, aber manchmal ist es schön, einem Film Aufmerksamkeit zu schenken, der weniger bekannt ist. Ich bin immer erstaunt über Yangs Mitgefühl für seine Figuren, und ich sehe ihn als Inspiration für mich selbst, im Umgang mit meinen eigenen Geschichten. All diese Themen, die Yang in seinen Filmen untersucht


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> Joanna Hogg.

– die Modernisierung der Stadt, die Verschmelzung von Vergangenheit und Zukunft –, sind besonders wertvoll für mich in Bezug auf ein neues Projekt, an dem ich gerade arbeite. Auch 2001: A Space Odyssey hat es in die engere Wahl geschafft. Erinnern Sie sich noch daran, als Sie den Film zum ersten Mal in Kino gesehen haben? Ziemlich genau sogar, denn ich habe den Film erst vor drei Wochen zum ersten Mal überhaupt gesehen. Ich war mir der riesigen Lücke in meiner Filmerfahrung natürlich jahrelang bewusst. Aber es war mir wichtig, einen Film wie diesen auf der grossen Leinwand zu sehen, und so habe ich neulich endlich die Chance ergriffen – was für ein Genuss. Ich war überrascht, wie modern der Film selbst heute wirkt. Die Bilder strahlten

© Suki Dhanda

förmlich von der Leinwand, und ich hatte das Gefühl, die Zukunft des Kinos direkt vor meinen Augen zu sehen. Als wäre da ein Regisseur am Werk, dem im Moment der Entstehung seines Films nicht bewusst ist, dass er gerade eine neue Form des Sehens schafft. Dass mich der Film so sehr überrumpeln würde, hätte ich auch nicht gedacht.

Das Gespräch führte Pamela Jahn. Sie ist Autorin und Filmjournalistin und schreibt u.a. für das «ray Filmmagazin», für «Sight & Sound», «FAQ» und das «Electric Sheep Magazine». Sie lebt in London und ist dort auch als Filmkuratorin tätig.


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Joanna Hogg 92 Min / sw / DCP / E/d // DREHBUCH UND REGIE Michael

COVER GIRL USA 1944 Es ist die klassische Geschichte vom Aufstieg einer jungen Frau zum strahlenden Star: Danny ­McGuire und Rusty Parker sind ein Paar – irgendwie. Er betreibt einen Nachtclub in Brooklyn, sie tanzt bei ihm, träumt aber insgeheim von der grossen Karriere am Broadway. Als sie der Verleger eines Hochglanzmagazins eines Tages durch eine glücklichen Zufall zum «Covergirl» kürt, scheint ihr sehnlichster Wunsch in Erfüllung zu gehen: Über Nacht wird das Showgirl zum Stadtgespräch, und die Männer liegen ihr zu Füssen. Da kann Danny nicht mithalten und lässt sie ziehen. Gefilmt in prachtvollem Technicolor, mit aufwendigen Dekors und schnittigen Songs von ­Jerome Kern und Ira Gershwin arrangiert. Joanna Hogg verfiel den Hollywood-Musicals der vierziger Jahre bereits in ihrer frühen Jugend, als diese regelmässig im britischen Fernsehen ausgestrahlt wurden. Ihre Schwärmerei für Gene Kelly hielt sich hartnäckig. Allein die Szene, in der er hier vor dem Spiegel mit seinem Alter Ego tanzt, ist den Kinobesuch wert. 107 Min / Farbe / DCP / E/d // REGIE Charles Vidor // DREHBUCH Virginia Van Upp, Marion Parsonnet, Paul Gangelin, nach einer Story von Erwin Gelsey // KAMERA Rudolph Maté, Allen M. Davey // MUSIK Morris W. Stoloff, Carmen Dragon, Jerome Kern, George Gershwin, Ira Gershwin // SCHNITT

Powell, Emeric Pressburger // KAMERA Erwin Hillier // ­ ­MUSIK Allan Gray // SCHNITT John Seabourne // MIT Roger Livesey (Torquil McNeil), Wendy Hiller (Joan Webster), ­Pamela Brown (Catriona Potts), Nancy Price (Mrs. Crozier).

VIAGGIO IN ITALIA Italien 1954 Szenen einer Ehe: Auf einer Italienreise brechen die seit langem schwelenden Spannungen zwischen Katherine und ihrem Ehemann Axel Joyce auf. Das britische Paar will in Neapel eine geerbte Luxusvilla begutachten und so schnell wie möglich verkaufen. Doch die Eindrücke des unbekannten Landes lassen ihre gegenseitige Entfremdung immer gnadenloser hervortreten. Die Krise gipfelt bei einem Besuch in Pompeji. In Roberto Rossellinis Meisterwerk ist die Liebe ein ewiges Rätsel, transzendental und ­monumental. Der Regisseur inszeniert ein Be­ ziehungsdrama in ebenso schlichten wie ein­ nehmenden Bildern, die in ihrer Klarheit und ­Lebendigkeit ein neues, ein modernes Kino einläuten. «Die Szene, in der die britischen Eheleute in der Villa eintreffen und die italienischen Bediensteten bei ihrer Siesta stören, ist mir bis heute in greifbarer Erinnerung», sagt Joanna Hogg. «Wie die Überschneidung der Kulturen in die Trennungsgeschichte integriert ist, macht den Film so spannend für mich.»

­Viola Lawrence // MIT Gene Kelly (Danny McGuire), Rita Hayworth (Rusty Parker/Maribelle), Lee Bowman (Noel ­

87 Min / sw / DCP / E/d // REGIE Roberto Rossellini // DREH-

Wheaton), Phil Silvers (Genius), Jinx Falkenburg (Jinx).

BUCH Vitaliano Brancati, Roberto Rossellini // KAMERA Enzo Serafin // MUSIK Renzo Rossellini // SCHNITT Jolanda

I KNOW WHERE I’M GOING!

­Benvenuti // MIT Ingrid Bergman (Katherine Joyce), George Sanders (Alex Joyce), Marie Mauban (Marie).

GB 1945 Im filmischen Œuvre von Powell und Pressburger ist diese ebenso charmante wie geistreiche romantische Komödie heute zu Unrecht etwas weniger bekannt: Die 25-jährige Joan (Wendy Hiller) macht sich von London aus auf den Weg nach Schottland, um auf der Hebriden-Insel Kiloran einen älteren Millionär zu heiraten. Kurz vor dem Ziel hindert sie ein Sturm daran, die Insel zu erreichen. Der ungewollte Zwischenstopp in einem kleinen Dorf, bei dem sie mit der mythenumwobenen Kultur und den Schönheiten der Natur in Berührung kommt, hat zur Folge, dass sich ihre Perspektive verschiebt. Sie verliebt sich Hals über Kopf in einen jungen Marineoffizier auf Heim­ urlaub. Wie Romantik und Selbstfindung hier vor dem Hintergrund einer atemberaubenden Landschaft verschmelzen, hat auch bei Joanna Hogg einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

PLAYTIME Frankreich/Italien 1967 Ein Flughafen, Menschen, Trubel und Monsieur Hulot mittendrin. Verwirrt eilt er zur Busstation, um zusammen mit einer Gruppe von Touristen und Geschäftsleuten in die Stadt zu gelangen. Im Zentrum angekommen, schlendert er durch ein futuristisch anmutendes Paris aus Beton, Glas und Stahl und wird unfreiwillig Zeuge einer normierten, gesichtslosen Moderne. Der grosse französische Auteur Jacques Tati, der mit Playtime sein filmhandwerkliches Meister­ werk schuf, lässt den Zuschauer hier durch die Augen seiner sympathisch chaotischen Haupt­ figur kindlich staunend auf die Welt blicken. Künstlerischer Ausdruckswille, Gesellschaftskritik und feiner Humor verbinden sich so gekonnt und so leicht, wie das nur selten gelingt. Ganz


> Taipei Story.

> I Know Where I'm Going!.

> Viaggio in Italia.

> Cover Girl.

> New York, New York.

> Toute une nuit.


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Joanna Hogg zu schweigen von den Filmsets, findet Joanna Hogg, die es im Kino heute so nirgends mehr zu sehen gibt. 125 Min / Farbe / DCP / F/e // REGIE Jacques Tati // DREHBUCH Jacques Tati, Jacques Lagrange, Art Buchwald //

ver. Und wie so gerne in seinen Werken, stellt er das gewählte Genre darin ordentlich auf den Kopf. Hogg inspirierte der unkonventionelle Film zu ­ihrer dritten Regiearbeit Exhibition über den Zerfall einer Künstlerbeziehung, in dem sie ähnlich eigenwillig wie Scorsese mit Rhythmus arbeitet.

­KAMERA Jean Badal, Andréas Winding // MUSIK Francis ­Lemarque // SCHNITT Gérard Pollicand // MIT Jacques Tati

163 Min / Farbe / Digital HD / E/d // REGIE Martin Scorsese //

(Monsieur Hulot), Jack Gauthier (Fremdenführer), John

DREHBUCH Earl Mac Rauch, Mardik Martin, Julia Cameron

­Abbey (Mr. Lacs), Valérie Camille (seine Sekretärin).

(ungenannt), Martin Scorsese (ungenannt), nach einer Erzählung von Earl Mac Rauch // KAMERA László Kovács // MUSIK

2001: A SPACE ODYSSEY GB/USA 1968 Es sei mehr eine mythologische als eine ScienceFiction-Geschichte, sagte Stanley Kubrick selbst über seinen visionären Klassiker. Tatsächlich ist 2001: A Space Odyssey beides. In vier Teilen schildert der Film die Evolution vom Primaten bis zum Computer: Im Jahr 2001 wird ein mysteriöser, Strahlen aussendender Monolith auf dem Mond entdeckt, der Ausserirdischen mutmasslich als «Beobachtungsstation» dient. Ein Raumschiff mit fünf Wissenschaftlern und dem Supercomputer HAL 9000 an Bord soll die Empfänger im Bereich des Jupiters lokalisieren. Der in Super Panavision 70 gedrehte Film revolutionierte nicht nur Tricktechnik, Filmmusik und Erzählweise des Sci-FiGenres, sondern prägte für Generationen unser Bild vom Weltraum. Ein Meisterwerk, heute noch genauso zukunftsweisend und visuell beeindruckend wie zur Zeit seiner Entstehung. Joanna Hogg, die den Film erst vor Kurzem für sich entdeckt hat, ist eine begeisterte Zeugin dieses Phänomens. 149 Min / Farbe / DCP / E/d // REGIE Stanley Kubrick // DREHBUCH Stanley Kubrick, Arthur C. Clarke, nach einer Erzählung von Arthur C. Clarke // KAMERA Geoffrey Unsworth, John Alcott // MUSIK Aram Khatschaturian, György Ligeti, Richard Strauss, Johann Strauss // SCHNITT Ray Lovejoy //

Ralph Burns, div. Jazz-Klassiker // SCHNITT Bert Lovitt, David Ramirez, Tom Rolf // MIT Liza Minnelli (Francine Evans), Robert De Niro (Jimmy Doyle), Lionel Stander (Tony Harwell).

ALL THAT JAZZ USA 1979 Die Prämisse klingt so abwegig, dass dieser Film gar nicht funktionieren dürfte: Der Choreograf und Regisseur Bob Fosse präsentiert sich selbst als kettenrauchenden Womanizer und Workaholic – und nimmt sogar seinen eigenen Herzinfarkt vorweg. Dass Fosses autobiografisches Musical trotzdem zu einem Klassiker avancierte, verdankt All That Jazz vor allem einem herrlich bitter-bissigen Drehbuch und Roy Scheiders beklemmend plausibler Darstellung des unbelehrbaren Genies. Als erfolgreicher Musical- und Filmregisseur Joe Gideon steigert er sich, angetrieben von einem ungesunden Perfektionismus, immer weiter in eine lebensbedrohliche Krankheit hinein. Als er nach einer Herzattacke ins Krankenhaus kommt, feiert er selbst dort weiter. Erst als ihm Jessica Lange als engelhaftes Wesen erscheint, versucht er mit sich selbst ins Reine zu kommen. Es ist insbesondere die ebenso geschickte wie unbedingte Verschmelzung von Kunst und Biografie, die auch Joanna Hogg an diesem ungewöhnlichen und äusserst eigenwilligen Musical fasziniert.

MIT Keir Dullea (David Bowman), Gary Lockwood (Frank Poole), William Sylvester (Dr. Heywood Floyd), Leonard Rossiter (Smyslov), Margaret Tyzack (Elena).

123 Min / Farbe / DCP / E/d // REGIE Bob Fosse // DREHBUCH Robert Alan Aurthur, Bob Fosse // KAMERA Giuseppe ­Rotunno // MUSIK Ralph Burns // SCHNITT Alan Heim // MIT

NEW YORK, NEW YORK

Roy Scheider (Joe Gideon), Jessica Lange (Angelique), Leland Palmer (Audrey Paris), Ann Reinking (Kate Jagger).

USA 1977 New York, 1945: Der Zweite Weltkrieg ist gerade vorbei, als der aufstrebende Saxofonist Jimmy Doyle die erfolgreiche Lounge-Sängerin Francine kennenlernt. Nach einer Weile werden sie ein Paar. Aber das Glück ist nur von kurzer Dauer. Denn musikalisch kommen sie nicht auf einen Nenner: Jimmy spielt Bebop, Francine setzt auf Swing – und hat damit zunehmend mehr Erfolg. Martin Scorsese drehte das Grossstadt-Musical direkt nach seinem Durchbruch mit Taxi Dri-

BILDNIS EINER TRINKERIN BRD 1979 Eine elegante, reiche Frau (Tabea Blumenschein) fliegt nach Berlin, um sich dort auf einer Sightseeing-Sauftour ganz dem Alkoholismus hinzugeben – «aller, jamais retour». In ihren mondänen Outfits zieht die Dame, die eingangs nur «Sie» genannt wird, durch die verschiedensten Kneipen und Etablissements der Stadt, um die Höhen und


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Joanna Hogg Tiefen eines Daseins im Vollrausch zu erleben. Derweil kommentieren drei Kongressteilnehmerinnen versiert das bizarre Geschehen. «Ein Film wie eine leuchtende, bunte Collage», findet Joanna Hogg, die in Ottingers Filmkunst Verbindungen zu den eigenwilligen Werken des britischen Ausnahmeregisseurs Derek Jarman sieht. «Ich war überwältigt von der Traumlandschaft, die Ottinger kreiert, und wie sie gleichzeitig ihren gesellschaftlichen Kommentar zum Ausdruck bringt.» 109 Min / Farbe / DCP / D/e // DREHBUCH, REGIE, KAMERA Ulrike Ottinger // MUSIK Peer Raben // SCHNITT Ila von ­Hasperg // MIT Tabea Blumenschein (Sie), Lutze (Trinkerin vom Zoo), Magdalena Montezuma (Soziale Frage), Orpha ­Termin (Exakte Statistik).

TOUTE UNE NUIT Belgien/Frankreich/Niederlande/Kanada 1982 Eine Symphonie von Aufbrüchen, Sehnsüchten, Verlusten und Eroberungen: In einer Sommernacht in Brüssel entfaltet sich eine Reihe kleiner, loser Geschichten ohne offensichtlichen Zusammenhang. Paare treffen oder trennen sich. Ihre Körper wirken durch die Hitze mal entflammt, mal erschöpft. Chantal Akerman zeigt in ihrem wunderschönen, undurchdringlichen Film, was passiert, wenn «nichts» passiert. Erst als der Tag anbricht, geht das Leben weiter. Wie bereits in ihren ersten beiden Spielfilmen befasst sich die belgische Cineastin in ihrer dritten Kinoarbeit erneut mit dem Thema der in ihrer Rolle gefangenen bürgerlichen Frau. Es ist ein Film der Körpersprache, in dem kleine Gesten von Begehren und Verlust auf verschiedene Weise wiederholt und variiert werden. Faszinierend ist dabei für Joanna Hogg, wie die Kollegin in ihrer filmischen Komposition körperliche Bewegung als Stilmittel einsetzt und

insbesondere den Ton als ein entscheidendes Element dieser Choreografie ins Zentrum rückt. 90 Min / Farbe / 35 mm / F/d // DREHBUCH UND REGIE Chantal Akerman // KAMERA Caroline Champetier // SCHNITT Luc Barnier, Véronique Auricoste // MIT Aurore Clément, Tchéky Karyo, Angelo Abazoglou, Frank Aendenboom, Natalia Akerman, Véronique Alain, Jan Decorte, Véronique Silver.

TAIPEI STORY (Qing mei zhu ma) Taiwan 1985 Edward Yang braucht keine grosse Handlung, um sein ausserordentliches Feingefühl für Orte, Menschen und ihre Befindlichkeiten offenzulegen – das ist es, was auch Hogg an seinem Werk imponiert: Yangs zweiter Spielfilm zeigt eine junge Frau auf der Suche nach sich selbst und einer Zukunft in Taipeh, der taiwanesischen Metropole, in der die Modernisierung ohne Rücksicht auf Verluste um sich greift. Chin erhofft sich, den nötigen Halt bei ihrem Partner zu finden. Doch der ehemalige Baseball-Star, gespielt von Hou Hsiaohsien, hält lediglich wehmütig an den Erinnerungen seiner erfolgreichen Kindheit fest. In Bildern von atemberaubender, schlichter Schönheit beobachtet Yang seine Figuren aufs Genauste, ohne ihnen jemals zu nahe zu treten. Mit viel Wärme, Stil und Geduld zeichnet der grosse taiwanesische Regisseur ein zerbrechliches, nicht selten traurig stimmendes Bild von der zunehmenden Entfremdung des Menschen im Rausch der modernen Grossstadt. 119 Min / Farbe / DCP / OV/e // REGIE Edward Yang // DREHBUCH Chu Tien-wen, Hou Hsiao-hsien, Edward Yang // ­KAMERA Yang Wei-han // SCHNITT Wang Chi-yang, Sung Fan-chen // MIT Tsai Chin (Chin, eine Büroangestellte), Hou Hsiao-hsien (Lung, ein Ex-Baseballspieler).

Kurztexte von Pamela Jahn

DAS KINO DURCH DIE AUGEN VON JOANNA HOGG

FR, 6. MAI | 18.30 UHR

Joanna Hoggs Filme kennen keinen naiven Blick. Ihre Kunst ist durchdrungen, unterfüttert, hinterlegt und provoziert – nicht nur von der Filmgeschichte, sondern vom ganzen bildungsbürgerlichen Kanon und darüber hinaus. Umso spannender dürfte es werden, wenn sich Hogg mit einer Auswahl von Filmen auf die eigenen Inspirationen besinnt, diese reflektiert und eingrenzt. Vielleicht auch darum erklärt Hogg vier der ausgewählten Filme zu «Zukunftsfilmen», Wegweisern in die Richtung, von der sie sich wünscht, das Kino, allenfalls ihr Kino, möge sie einschlagen. Im Gespräch mit dem Filmjournalisten Michael Sennhauser mag sich erschliessen, welche Filme aus ihrer Auswahl denn nun eher ihre Geschichte repräsentieren und welche eher die Wunschzukunft. Die Türen hinter den Türen verlangen nach Mut. Oder Abenteuerlust. Oder Witz. Denn den hat Joanna Hogg, und nicht nur in ihren Filmen. (nr)


47 SALON VIDEOESSAY: JOHANNES BINOTTO

DO, 12. MAI | 21.15 Uhr IN DER FILMPODIUM-LOUNGE

Das britische Filmmagazin «Sight and

lehrt. Dazu zählen auch Johannes Binottos

Sound» hat in seiner jährlichen Umfrage

Videoessays.

Johannes Binottos Serie Practices of View-

In seinen Arbeiten geht es um neue Seh-

ing zum besten Videoessay von 2021 erko-

gewohnheiten und alte Techniken, um über-

ren. Wir treffen den Kulturwissenschaftler

sehene Film-Details der Filmgeschichte

und leidenschaftlichen Medien-Bastler zu

und gefährliche Experimente mit Bildgerä-

einem Salon-Abend in der Filmpodium-

ten. Er zeigt, warum man Filme spulen darf,

Lounge, wo wir ausgewählte Videoessays

aber nicht anhalten sollte, wieso stumme

statt allein vor dem Bildschirm für einmal

Filme ohrenbetäubend sind oder weswegen

gemeinsam auf der Leinwand anschauen

TikTok nicht das Ende, sondern der Neuan-

und uns mit Johannes Binotto darüber aus-

fang von Kino ist.

tauschen.

Und Binotto motiviert auch Student:innen dazu, sich in dieser Form zu versuchen. Er

Ein Videoessay ist ein kurzes Video, das

leitet ein Forschungsprojekt des Schwei­

sich in audiovisueller Form kongenial mit

zerischen Nationalfonds an der Hochschule

Film auseinandersetzt und seine Verbrei-

Luzern und der Universität ­Zürich zur ­Ver­-­

tung über YouTube, Vimeo u.a. fast aus-

wendung von Videoessays in Lehre und

schliesslich im Internet findet. Einige

Forschung – als solches durchaus eine ­

Videoessayist:innen haben dabei eigen-

­Pioniertat, da unterschiedliche ­Institute und

ständige kleine Meisterwerke geschaffen,

wissenschaftliche und künstlerische Ar-

die auch auf Festivals gezeigt werden und

beitsweisen zusammen finden sollen.

selbst zum Gegenstand einer vertieften Auseinandersetzung

mit

dem

eigenen

Der erste Videoessay-Salon im Filmpodium verspricht spannend zu werden. (pm)

Genre werden. Videoessays werden geteilt, gezeigt, diskutiert, erforscht und sogar ge-

Eintritt frei, Platzzahl beschränkt.


48

> Mark Cousins.

26.4. — 5.5.22

6.5. — 8.5.22

ZÜRICH

FRAUENFELD

auf AB VORver.4.kERÖFFNUNG CLOSING 14

Q U E E R E S F I L M F E S T I VA L

IVAL 19.4. FEST


49 The Story of Film: A New Generation

Part 1+2 (2010–2021) Welche Filme schreiben heute Filmgeschichte? Mark Cousins untersucht in A New Generation die besten Filme des letzten Jahrzehnts und aktualisiert damit sein Mammutwerk The Story of Film: An Odyssey. Von 2010 bis 2021, einschliesslich der Covid-19-Pandemie, spinnt der aus Nordirland stammende und in Edinburgh lebende Dokumentarfilmer eine epische und hoffnungsvolle Geschichte über ästhetische und narrative filmische Innovationen aus der ganzen Welt und hilft dabei, neue Wege des Sehens in unserem vielseitigen ­digitalen Zeitalter zu entdecken: ein berauschender Streifzug für Kinoliebhaber:innen.

THE STORY OF FILM: A NEW GENERATION PART 1 – EXTENDING THE LANGUAGE OF FILM

THE STORY OF FILM: A NEW GENERATION PART 2 – WHAT HAVE WE BEEN DIGGING FOR?

GB 2021

GB 2021

Welches sind die stärksten Filmbilder unserer Zeit? Mark Cousins untersucht das Kino des letzten Jahrzehnts und zeigt uns die besten Filme aus aller Welt, die sich über die Konventionen hinwegsetzen und innovativ sind. Er beginnt mit einem verblüffenden Vergleich zwischen Frozen und Joker und geht dann die Filme nach Genres durch: Komödien, Actionfilme, Musicals, Körperfilme, Horror, Slow Cinema und das Surreale. Eine reichhaltige, überraschende Einführung in das beste Kino der Neuzeit, von Booksmart bis Hard to Be a God.

Im zweiten Teil konzentriert sich Mark Cousins auf Filmschaffende, die die Dinge auf radikal neue Weise betrachten: Sie verbiegen Genres und nutzen technologische Innovationen, um vieles anders zu machen. Von Parasite und The Farewell bis Black Panther und Lovers Rock stellt Cousins uns Filme und Gemeinschaften vor, die in der traditionellen Filmgeschichte unterrepräsentiert sind, sowie grenzüberschreitende Arbeiten, die die Geschlechter anders betrachten. Nach dem Ende der Pandemie fragt sich Cousins, wie sich der Kinobesuch im digitalen Jahrhundert weiter verändern und uns erfreuen und verblüffen wird.

80 Min / Farbe + sw / Digital HD / E/d // DREHBUCH, REGIE, KAMERA Mark Cousins // SCHNITT Timo Langer.

82 Min / Farbe + sw / Digital HD / E/d // DREHBUCH, REGIE, KAMERA Mark Cousins // SCHNITT Timo Langer.

Am Dienstag, 19. April, wird Mark Cousins im Anschluss an die Vorstellung von The Story of Film: A New Generation, Part 1 live per Online-Schaltung über seine Sicht auf das Kino sprechen. Er freut sich auf eine Diskussion mit dem Publikum.


50 DO, 19. MAI | 18.00 UHR

FAROCKI-FORUM

BILDERKRIEG Mit dem Farocki-Forum entsteht am Semi-

In ihrem Vortrag skizziert Ute Holl, Profes-

nar für Filmwissenschaft der Universität

sorin am Seminar für Medienwissenschaft

Zürich ein Forschungsschwerpunkt zum

der Universität Basel, die Geschichte der

Dokumentarfilmer und Künstler Harun Fa-

Fotogrammetrie als Vorgeschichte gegen-

rocki (1944–2014). Ausgehend von Farockis

wärtiger Verrechnungen der Welt zu virtu-

Denken geht es um Perspektiven, die er er-

ellen Daten-Umgebungen. Was Harun Fa-

öffnet hat: auf Bildkritik, Arbeitskonzepte

rocki in verschiedenen seiner Filme als

und vieles mehr. Das Farocki-Forum lädt

«operative Bilder» (Bilder, die handeln,

einmal pro Semester zu einer Veranstal-

­Bilder als Interfaces) untersucht hat, ver-

tung ins Filmpodium.

dichtet sich zu einem «Metaverse». Dort lernen wir, uns zu verhalten: im Sozialen,

Übertragung heisst eine Videoarbeit Harun

in der Produktion, der Unterhaltungsin­

Farockis, die seit 2007 am Limmatplatz zu

dustrie. Künftige Kulturtechniken werden

sehen ist. Die Veranstaltungsreihe des Fa-

ohne die Fertigkeit, in diesen Umgebungen

rocki-Forums greift den Titel auf und lädt

schnell und gezielt zu operieren, nicht mehr

einmal pro Semester zu Vorträgen oder Ge-

zu bewältigen sein. In seiner Anschaulich-

sprächen ins Filmpodium ein. Farockis Bil-

keit, aber auch im ökologisch bedenklichen

derkrieg (1987) ist eine vielschichtige Refle-

Energieverbrauch unseres Datenverkehrs

xion über die Zusammenhänge zwischen

tritt das virtuelle Universum in ernst zu

Bildtechnologien, Datafizierung und den Di-

nehmende Konkurrenz zu älteren kulturel-

alektiken der Aufklärung. Albrecht Meyden-

len oder natürlichen Umwelten.

bauers Erfindung der Fotogrammetrie er-

Was tun? Was nicht?

möglichte es ab Mitte des 19. Jahrhunderts,

Volker Pantenburg

Fassaden nicht mehr vor Ort unter Einsatz des eigenen Körpers vermessen zu müssen, sondern in sicherer Distanz mittels Fotografien. Eine folgenreiche Episode in der

Vortrag von Prof. Ute Holl,

langen Geschichte der fortschreitenden

Universität Basel

Trennung von Auge und Blick.

Gesamtlänge der Veranstaltung: ca. 100 Min. BILDERKRIEG / Deutschland 1987 44 Min / Farbe / DCP / D // REGIE Harun Farocki // DREHBUCH Harun Farocki, unter Verwendung der Bücher «Das Buch des Alfred Kantor» und «Femmes Algériennes» von Marc Garanger // KAMERA Ingo Kratisch // SCHNITT Rosa Mercedes // MIT Corinna Belz (Sprecherin).


51 Filmpodium für Kinder

DIE WIESE – EIN PARADIES NEBENAN Es müssen nicht immer ferne, exotische Welten sein. Dieser mit ­grossartigen Aufnahmen gestaltete Film öffnet die Augen für einen Lebensraum, der auf einem Spaziergang oder einer Wanderung auch selbst entdeckt werden kann.

«Ein Paradies ‹von nebenan› nennt der Autor die Wiese und verweist auf ­etwas, das scheinbar alltäglich, normal, also gleich nebenan zu finden ist. Aber die sakrale Musik der einführenden Szenen verrät es: Das Biotop Wiese ist mehr – ein Stück Schöpfung, das der Mensch sogar mitgestaltet hat. Und jetzt ist er dabei, es immer rascher zu vernichten. (…) Jan Haft, Deutschlands derzeit erfolgreichster Naturfilmer, zeigt uns, was wir verlieren.» (Udo A. Zimmermann, epd film, 25.3.2019)

© nautilusfilm / polyband Medien GmbH

DIE WIESE – EIN PARADIES NEBENAN / Deutschland 2019 93 Min / Farbe / DCP / D // DREHBUCH UND REGIE Jan Haft // KAMERA Jan Haft, Kay Ziesenhenne // MUSIK Dominik Eulberg, Sebastian Schmidt // SCHNITT Carla Braun-Elwert, Jan Haft // MIT Sebastian Winkler (Erzähler). Altersfreigabe: Zutritt ab 6 Jahren (Begleitung durch Erwachsene generell empfohlen). Kinderfilm-Workshop Im Anschluss an die beiden Vorstellungen vom 9. April und 14. Mai bietet das Filmpodium einen Film-Workshop für Kinder unter der Leitung der Filmwissenschaftlerin Julia Breddermann an (ca. 30 Min., gratis, keine Voranmeldung nötig). Die Kinder erleben eine Entdeckungsreise durch die Welt der Filmsprache und werden an einzelne Szenen und Themen des Films herangeführt.


52 SÉLECTION LUMIÈRE

DI, 12. APRIL I 18.00 UHR DI, 17. MAI I 20.45 UHR

LE DIABLE PROBABLEMENT In seinem mehr denn je aktuellen Film Le

lich geworden ist, die zu einem zerstöre-

diable probablement (1977) entwirft Robert

rischen Unternehmen geworden ist, in dem

Bresson das Bild einer sich selbst und die

Wahnsinn und Tod herrschen und von der

Umwelt zerstörenden Gesellschaft, in wel-

wir nicht verstehen, dass sie uns in den Ab-

cher idealistische junge Menschen kaum

grund führt. Eine Zivilisation, von der wir

noch Platz für Hoffnung sehen.

glauben, dass sie uns dient, dabei versklavt sie uns. Vielleicht sind wir bereits verloren.

«Hat der Junge, dessen Leiche in einer Allee

Aber wen kümmert das? Ein paar irregelei-

des Friedhofs Père-Lachaise gefunden wird,

tete Propheten. Sowie einige Junge, deren

Selbstmord begangen oder wurde er Opfer

Unschuld sie vor Verblendung schützt.»

eines Attentats? Robert Bresson antwortet:

(Jean de Baroncelli, Le Monde, 17.6.1977)

Er wollte seinen Tod und wurde d ­ ennoch er-

«Bresson steht auf der Ebene der reinen

mordet. Wer ist der Mörder? Für die Polizei

filmischen Anmut, einer Anmut von ausser-

mag es irgendein Unglücklicher gewesen

ordentlicher Modernität, sein Werk ist

sein – zu diesem Verbrechen abgeordnet –,

von Revolte und Radikalität, Poesie und Po-

der den Revolver abgefeuert hat. Aber der

litik geprägt. Aus diesem Werk sticht für

wahre Verantwortliche, der wahre Schul-

mich Le diable probablement heraus, weil es

dige, hat kein Gesicht. Und obwohl seine

ein Film ist, den ich als Teenager gesehen

Macht immens und seine Straflosigkeit

habe. Es war vielleicht der erste Film von

skandalös ist, hat er auch keinen Namen. Es

Bresson, den ich voll ins Gesicht bekam, als

sei denn, dieser Name ist schlicht der Name

er gerade im Kino anlief. Die beinahe kör-

des Bösen. ‹Wer manipuliert uns heimlich?›

perliche Erinnerung an seine Entdeckung

fragt ein Fahrgast in einem Bus. Sein Nach-

hat mich extrem geprägt.» (Olivier Assayas,

bar erwidert: ‹Wahrscheinlich der Teufel.›

Cinéregard)

Dieser Film entstand, wie Robert Bresson sagte, aus einer Angst heraus. Angst,

12. April, 18.00 Uhr:

ausgelöst durch eine Zivilisation, die gräss-

Einführung von Martin Walder LE DIABLE PROBABLEMENT / Frankreich 1977 95 Min / Farbe / DCP / F/e // DREHBUCH UND REGIE Robert Bresson // KAMERA Pasqualino De Santis // MUSIK Philippe Sarde, Claudio Monteverdi // SCHNITT Germaine Lamy // MIT Antoine Monnier (Charles), Tina Irissari (Alberte), Henri de Maublanc (Michel), Laetitia Carcano (Edwige), Régis Hanrion (Psychoanalytiker).


53 IMPRESSUM

DAS FILMPODIUM IST EIN ANGEBOT DES PRÄSIDIALDEPARTEMENTS

in Zusammenarbeit mit der Cinémathèque suisse, Lausanne/Zürich LEITUNG Nicole Reinhard (nr), STV. LEITUNG Michel Bodmer (mb) WISSENSCHAFTLICHE MITARBEIT Tanja Hanhart (th), Primo Mazzoni (pm), Flurina Gutmann SEKRETARIAT Claudia Brändle BÜRO Postfach, 8022 Zürich, Telefon 044 412 31 28, Fax 044 412 31 25 WWW.FILMPODIUM.CH // E-MAIL info@filmpodium.ch // KINO Nüschelerstr. 11, 8001 Zürich, Tel. 044 415 33 66 UNSER DANK FÜR DAS ZUSTANDEKOMMEN DIESES PROGRAMMS GILT: Adventure Pictures, London; Arsenal Filmverleih, Tübingen; Arsenal Distribution, Berlin; Basilisk Communications, London; British Film Institute, London; Carlotta Films, Paris; Cinematek, Brüssel; Cineteca di Bologna; Cineteca Nazionale, Rom; Compass Film, Rom; Stiftung Deutsche Kinemathek, ­Berlin; Dogwoof Global, London; Elsani Film GmbH, Köln; Fernsehjuwelen GmbH, Walluf; The Festival Agency, Paris; Filmcoopi, Zürich; FilmNation Entertainment, New York; Les Films de Mon Oncle, Paris; Focus Features, Los Angeles; Frenetic Films, ­Zürich; Gaumont, Neuilly-sur-Seine; Hollywood Classics, London; Intramovies, Rom; Istituto Cinematografico dell'Aquila, L'Aquila; ­Kinemathek Le Bon Film, Basel; Metropolis Archiv, Hamburg; MFA+ Filmdistribution, Regensburg; MMM Film, Berlin; MovieBiz Films, Ulisbach; Park Circus, Glasgow; Pathé Films, Zürich; Praesens-Film, Zürich; Salzgeber Medien, Berlin; SND Société Nouvelle de Distribution, Paris; SRF Schweizer Radio und Fernsehen, Zürich; Surf Film, Rom; Taskovski Films, London; Variety Distribution, Rom; Warner Bros. Entertainment Switzerland GmbH, Zürich; Xenix Filmdistribution, Zürich. DATABASE PUBLISHING BITBEE Solutions AG, Zürich // KONZEPTIONELLE BERATUNG Esther Schmid, Zürich GESTALTUNG TBS, Zürich // KORREKTORAT Nina Haueter, Daniel Däuber // DRUCK Ropress, Zürich // AUFLAGE 4500 ABONNEMENTE & VERGÜNSTIGUNGEN Filmpodium-Generalabonnement: CHF 400.– (freier Eintritt zu allen Vorstellungen; inkl. Abo Programmheft) // Filmpodium-Halbtaxabonnement: CHF 80.– (halber Eintrittspreis bei allen Vorstellungen; inkl. Abo Programmheft) // alle unter 25 Jahre & Kulturlegi: CHF 9.– // Programm-Pass: CHF 60.– (freier Eintritt zu allen Vorstellungen einer Programmperiode) // Abonnement Programmheft: CHF 20.– // Anmeldung an der Kinokasse, über www.filmpodium.ch oder Tel. 044 412 31 28

WEGEN UMBAUARBEITEN IST DAS KINO IM JUNI GESCHLOSSEN. Ihre Abos werden wir natürlich entsprechend verlängern.

VORSCHAU SOMMERPROGRAMM JULI – SEPTEMBER Peter Greenaway

50 Jahre Filmcooperative Zürich

Peter Greenaway (*5.4.1942) zählt zu den

Wenige Filmverleihfirmen überdauern fünf

wichtigsten Wegbereitern des postmoder-

Jahrzehnte, und den wenigsten gelingt es,

nen Kinos. Als ausgebildeter Maler und ehe-

ein so vielfältiges und qualitativ hochste-

maliger Editor entwickelte er schon in sei-

hendes Cineast:innen-Portfolio aufzubauen

nen frühen Kurzfilmen eine Obsession für

und zu pflegen, wie es die 1972 gegründete

Strukturen, Systeme und visuelle Aus-

Filmcooperative Zürich geschafft hat. Einen

drucksformen, die mit dem konventionellen

Sommer lang lassen wir die bewegte und

Erzählkino brachen. Sein Spielfilmerstling

bewegende Geschichte der Filmcoopi Revue

The Draughtsman’s Contract sorgte 1982

passieren und präsentieren wichtige Stati-

weltweit für Aufsehen, und seither hat

onen und Highlights aus ihrem Verleihpro-

Greenaway nie aufgehört, die grossen The-

gramm: von Jim Jarmusch bis Sally Potter,

men Kunst, Sexualität und Tod provozierend

von Wong Kar-wai bis Jane Campion, von Aki

in Szene zu setzen.

Kaurismäki bis Naomi Kawase.


107 MOTHERS PE T E R K E RE K ES , UKRAI N E

RIL I M AP NO IM KI

«Durchzogen mit schrägem, geradezu absurdem Humor.» VARI ET Y «Kerekes weckt die Faszination für ein unbekanntes Universum.» J: M AG «Isolation trifft auf Intimität, ein Plädoyer für das Muttersein – und die Menschlichkeit.» VI EN N ALE

Fürs Home Cinema empfehlen wir filmingo.ch oder unseren DVD-Shop auf trigon-film.org


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