OUT - Sebastian

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i, ich bin Sebastian, 28 Jahre alt und eigentlich ein Kind aus einem Kaff zwischen Coburg und Bamberg in den oberfränkischen Auen. Um genau zu sein: Sonnefeld, einer Großgemeinde mit circa 5000 Einwohnern. Mit 16 zog ich nach Bayreuth, um dort mein Fachabitur zu machen. Zum Zivildienst im Krankenhaus ging es dann zurück nach Hause. Dort merkte ich, dass es mir viel Freude bereitete mit Menschen zusammenzuarbeiten und ihnen zu helfen. Ich entschloss mich also mit 20 eine Ausbildung zum Physiotherapeuten in Bamberg zu beginnen. Diese brach ich jedoch ab, da mir die chaotische Organisation der Schule völlig wiedersprach.

2008 besuchte ich dann eine Freundin in Berlin und blieb einfach hier. Ich beendete doch meine Ausbildung und lebe hier jetzt schon fast 8 Jahre. Ich merkte schnell, dass Physiotherapeut nicht der Berufsweg war, den ich jetzt 40 Jahre gehen wollte. Ich entschied mich also eher meine kreative Seite auszuleben. Momentan mache ich visuelles Marketing im Eventbereich oder besser ausgedrückt - ich bin Deko-Tussi im SchwuZ, einem großen Berliner Schwulenclub. Parallel arbeite ich noch unter meinen Künstlernamen Jacky-Oh Weinhaus.



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ch glaube, ich finde die Begrifflichkeit „Outing“ bei mir nicht wirklich passend. Wenn ich an meine Kindheit zurückdenke, kann ich sagen, dass da natürlich „etwas“ war. Aber ich denke, ich empfand es damals nicht wirklich als „anders“. Ich hatte ja auch keine Vergleichsmöglichkeit zu dem, was man sonst als Kind so „fühlt“.

Schon in jüngeren Jahren empfand ich es als spannend Sachen zu tragen, die schlichtweg eher dem weiblichen als dem männlichen Geschlecht zuordnen wären. Mit 2 oder 3 Jahren habe ich mich also zu Fasching auch mal als Ballerina verkleidet und wenn man von Klischees redet könnte man dies natürlich schon als Anzeichen sehen. Zu diesem Zeitpunkt dachte ich mir noch nicht, dass ich Männer interessanter finde als Frauen – daher hab ich auch nicht gefragt: Ist mit mir etwas nicht in Ordnung? Als Kind, beziehungsweise als Mensch an sich, macht man ja ständig Veränderungen durch. Man bleibt nie haargenau gleich. Ab einem gewissen Alter merkte ich natürlich, dass mir bestimmte Gedanken mehr Wohlbefinden bereiteten als andere. Ich konnte dies aber weder einordnen, noch werten, weil ich damals nicht wirklich negatives Feedback über „Männer die auf Männer stehen“ oder „Männer die Frauenkleider tragen“ bekam.

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ies begann erst später, sagen wir: siebte Klasse, mit einsetzender Pubertät. Dort wurden dann Wörter wie „Schwuchtel“ als Schimpfwort verwendet und es entwickelte sich der Gedanke: Irgendwie scheinen viele Menschen mit diesem Thema ein Problem zu haben. So fing es an, dass ich mich fragte: Was ist eigentlich „Schwuchtel“? Was soll das bedeuten?




In der Teenagerzeit hört man viele neue Wörter und muss diese erst mal verstehen, einordnen und vor allen Dingen herausfinden ob diese Begriffe, nur weil man sie zu mir sagt, überhaupt auf mich zutreffen. Ich weiß nicht, ob es bei Kindern heutzutage immer noch so ist, aber damals wurden ja sämtliche Möglichkeiten herausgeholt, um jemanden öffentlich zu diffamieren bzw. bloßzustellen. Sei es jetzt Übergewicht, blonde Haare, schiefe Zähne oder eben die Sexualität. Bei mir prägte sich von all diesen Dingen natürlich die Homo-Sache ein, da ich ja wirklich auf Männer stehe. Obwohl ich damals auch um einiges mehr wog, kann ich mich nicht erinnern, dass das ein besonderer Hänselgrund gewesen wäre. Ich denke, es gab diese Beschimpfungen, weil ich nicht dem Stereotyp eines heterosexuellen Jungen entsprach. Ich spielte keinen Fußball, fand jedoch Barbiepuppen toll. Trotzdem hatte ich einen sehr gemischten Freundeskreis und wenn ich es mal ganz oberflächlich sagen darf, auch „Jungshobbys“. Ich liebte es im Dreck zu wühlen und mit Dinos und kleinen Autos zu spielen. Trotzdem habe ich wohl in meinem Habitus Etwas gezeigt, was in die femininie Richtung ging, worauf dann die Beleidigungen folgten. Ich habe es aber damals trotzdem auf jeden Fall abgestritten. Im Gegensatz zu dem was ich eben gesagt habe – dass mir in einem gewissen Alter noch nicht bewusst war, wie die sexuelle Orientierung als Schwäche angesehen werden kann – merkte ich jetzt schon: Oh, du bist schwul, du bist schwach – das geht so nicht. Ich war trotzdem kein Außenseiter. Ich war direkt, offen und daher nicht wirklich unbeliebt. Ich habe mein Ding einfach durchgezogen und dann „ausgemistet“. Sprich, wenn mir jemand dumm kam, gab ich mir wiederum keine Mühe, dessen Anerkennung zu bekommen.

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it dem Schulwechsel nach der 10. Klasse kam ich in ein Umfeld, wo viel mehr kreative Menschen aufeinander trafen. Dort hatte ich dann auch die ersten lesbischen Mädels in meiner Klasse. Die Zwei zeigten dies auch offen und ohne Probleme nach außen, was mich sehr beeindruckte. Das war wohl mein erster engerer Kontakt zu anderen Menschen, die auch gleichgeschlechtlich orientiert waren. Wir schotteten uns jetzt nicht von

dem Rest der Klasse ab, und trotzdem hat uns doch, wenn ich das mal so sagen darf, die „Einzigartigkeit der Homosexualität“ verbunden. Ich verbrachte viel Zeit mit den beiden.

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or dem Abitur habe ich meine Sexualität aber nie wirklich groß thematisiert. Ich sah einfach keinen Grund, mit jemand darüber reden zu müssen. Das erste wirklich offene Gespräch hatte ich mit einer der zwei Freundinnen. Mit ihr war ich viel unterwegs und eines Tages saßen wir zusammen im Auto auf dem Weg zur Schule. So fing das ganze Thema an: Ich war allgemein ziemlich neugierig und fragte sie aus. Da sie ja auf Frauen steht, wollte ich wissen, wie ihr das eigentlich so in den Sinn kam und wie sie dies für sich realisiert hatte. Ich meinte weiter ganz trocken: „Du, ich glaube, ich stehe auf Männer, weiß es aber nicht wirklich. Ich hab noch nie einen geküsst“. Ich erzählte ihr von einem Typ in meiner Stufe, den ich ganz hübsch fand und das war‘s auch schon gewesen. Sie machte kein großes Ding daraus, sondern riet mir einfach ihm zu schreiben, was ich später auch tat. Er war ein Junge, mit dem ich besonders in den Pausen immer mal Blickkontakt hatte. Ich war natürlich megaschüchtern. Obwohl sie sagte, ich solle ihn ansprechen, erwiderte ich nur: „Nein, ich denke wohl nicht. Was ist, wenn der gar nicht auf Männer steht? Dann blamiere ich mich ja voll…“ Und fügte gedanklich hinzu: … weil es ja so schlimm ist homosexuell zu sein. Nach ein bisschen hin und her entschied ich mich doch, ihm einen (Liebes)brief zu schreiben. Er antwortete sogar! So hatten wir also Kontakt und er wurde quasi der erste Typ, dem ich näher kam: Wir haben mal rumgeknutscht, waren auch mal gemeinsam nackt und haben mal geschaut, was es da so alles gibt. Ich war einfach noch total unerfahren.




Dazu kam, dass er noch schüchterner war als ich. Wir haben also nicht irgendwie auf dem Schulhof rumgemacht oder so. Wir standen schon mal beieinander und hielten Händchen, das war aber auch das ganze Ausmaß unserer „Beziehung“ und es war schnell wieder vorbei. Da ich auf einer Schule mit der Fachrichtung Gestaltung war, wo das Abitur quasi in „Malen und Basteln“ gemacht wurde, waren die Menschen dort sowieso sehr offen und kreativ. Es war den meisten einfach egal. Auf einen blöden Spruch wäre von meiner Seite sicher ordentlich was zurückgeflogen. Ich konnte grundsätzlich gut über dumme Kommentare stehen, da ich selbst ziemlich extrovertiert bin und geschickt kontern kann. Ich hatte damals das Gefühl, dass ich in einem Umfeld angekommen bin, in dem sexuelle Orientierung nicht als etwas „Schlimmes“ angesehen wurde, beziehungsweise etwas, woraus man Beleidigungen formulierte.

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llgemein kann ich kann natürlich kein festes Datum nennen, an dem ich wusste: Ja, ich bin homosexuell! Es hat sich einfach ergeben, oder wohl eher kontinuierlich herauskristallisiert. Ich musste erst einmal herausfinden, dass es anderen Menschen gegenüber positive Zuneigung gibt, die mit der Liebe für enge Freunde oder seine Familie nicht vergleichbar ist. Dieses Gefühlsding, also die Existenz von Zuneigung auf einer anderen, neuen Ebene, war damals ziemlich krass für mich. Natürlich „kannte“ ich Liebe als Begriff. Ich wusste, meine Eltern, die lieben sich – die sind ja auch verheiratet. Aber was dieses Wort eigentlich bedeutet – was es ist, wie es sich anfühlt, was da für ein Rattenschwanz dranhängt, wie toll es sein kann und wie weh es tun kann – wurde mir erst mit der einsetzenden Pubertät bewusst . Das war an sich schon ein großer Brocken und dann auch noch festzustellen, dass ich dieses Gefühl nicht für Frauen, sondern für Männer habe – ich glaube, das war das Sahnehäubchen. Gut, ich hatte schon immer mal Männer im Fernsehen oder in Zeitschriften gesehen und dachte mir so: Der ist aber schön! Ich konnte dieses Gefühl damals nur nicht einordnen. Auch heute beispielsweise finde ich Frauen

noch attraktiv. Ich denke aber nicht: Die ist hübsch, mit der möchte ich schlafen, sondern einfach: Die ist hübsch. Punkt.

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a die beiden Mädels in meiner Stufe ein paar Jahre älter waren hatten sie schon einen größeren Erfahrungsschatz und zeigten mir quasi, dass es einen eigenen sozialen Raum für Homosexuelle in unserer Gesellschaft gab: Homopartys und Ähnliches. Das kannte ich vorher gar nicht und daher war dies sehr reizvoll für mich. Ich erinnere mich noch sehr gut daran. Die erste Party, auf der ich mit den beiden jemals war, fand in Erlangen im E-Werk zum „Rosa Freitag“ statt. Ich war ein wenig überfordert, oder besser gesagt, überwältigt zu sehen, wie viele Leute es gab, die so waren wie ich. Irgendwie ein kleiner Kulturschock festzustellen, wie die Menschen dort offen miteinander tanzten und sich küssten. Ich hatte noch nie so etwas in diesem Ausmaß und über mehrere Stunden genießen dürfen.

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um Outing vor meinen Eltern muss ich eine Vorgeschichte erzählen. Der Liebesbrieftyp zeigte mir irgendwann das Onlineportal „Planet Romeo“. Ich fand es eigentlich am Anfang total bescheuert. Er meinte es wäre eine einfache Art Typen kennenzulernen, also probierte ich es aus. Ich fand es zum einem ultra-unübersichtlich und zum anderen ist man mit einer Neuanmeldung am Anfang auch Magnet für sämtliche Männer, was mich extrem abschreckte. Es dauerte nicht lange und ich hatte Bilder von sämtlichen Körperteilen, -öffnungen und -flüssigkeiten im Posteingang. Ich dachte mir nur: Ooookay, das ist also meine Sexualität…super. Ich fand es ziemlich verstörend und fragte mich: Das kann doch nicht sein? und: Warum?!, merkte dann aber auch, dass sowas einfach Gang und Gebe ist und dass es in Chats für Heteros genauso abläuft.


Schnell lernte ich damit umzugehen, beziehungsweise härtet es auf eine komische Art und Weise auch ab. So stellte ich fest, dass man über dieses Internetportal nicht nur geisteskranke Sexsüchtige kennen lernen kann. Es gab dort auch „normale“ und nette Menschen, die eine gediegene Konversation führen können, ohne dabei gleich an Orgasmen und Schwanzbilder zu denken.

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ort habe ich dann auch tatsächlich meinen ersten richtigen Partner aufgegabelt. Ich glaube, er hat mich zuerst kontaktiert. Einen halben Kopf größer, dunkle Haare, Dreitagebart und Handballer. Ich war natürlich hin und weg. Wir schrieben ziemlich viel und telefonierten auch irgendwann öfters. Da er aber aus Würzburg kam, wollte ich ihn natürlich auch mal treffen. Aber wie? Ich wohnte noch bei meinen Eltern, die keine Ahnung hatten. Ich erzählte ihnen kurzerhand, dass ich übers Wochenende feiern gehen wollte und außerhalb schlafen würde. In Wahrheit fuhr ich freitags nach dem Zivi mit dem Zug nach Würzburg. Wir trafen uns, sahen uns und zack!: Ich war direkt verknallt. Ich besuchte ihn öfters und irgendwann, als es ja doch eine Art Beziehung war, beschloss ich ihn zu mir einzuladen. Er wollte übers Wochenende kommen.

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n dieser Stelle wäre es wichtig kurz auf die Beziehung zu meinen Eltern einzugehen. Ich hatte eine super Kindheit und bin in einem guten familiären Umfeld aufgewachsen. Ich konnte viel raus und alles erkunden. Wir hatten viele Haustiere und meine Eltern haben mich eigentlich immer in allem unterstützt, egal wie irre es war. Es war bestimmt nicht einfach für sie, weil ich schon immer eine exzentrische Art hatte, aber alles in allem war ich, glaube ich, ein gutes Kind und habe daher auch ein gutes Verhältnis zu ihnen. Auch habe ich nie etwas Negatives zum Thema Homooder Transsexualität vernommen, obwohl wir auf dem „Land“ gewohnt haben, wo die Menschen ja doch öfters eher eine konservative Einstellung haben, aus der sich Vorurteile und Ähnliches ergeben können.





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ch vermute, meine Eltern hatten schon länger eine Ahnung von meiner sexuellen Orientierung: Ich meine, ich hatte doch immer mal ein Tütü an und wahnsinnig viele Barbiepuppen – was natürlich nichts heißen muss. Wie auch immer – ich brachte meinen Freund also mit nach Hause. Meine Mutter stand in der Küche und schnitt glaube ich Fleisch in kleine Stücke. Ich sagte ihr, dass ich übers Wochenende Besuch haben würde. „Ja ja!“ sagte sie nur. Es war nichts Neues, dass Leute bei uns übernachteten. Es wurde meistens nicht mal mehr gefragt, wer, wie lang und woher. Es war einfach in Ordnung. Er kam und aß auch mit uns am Tisch und alles. Schön und gut. Als er wieder weg war, war meine Mutter wieder in der Küche zu Gange. Ich stellte mich zu ihr und sagte ganz ohne großes Drumherum: „Du Mama, ... ich glaub, das ist mein Freund.“ Sie stand erst mal nur so da, hat mich angeguckt, hat noch ein bisschen länger geguckt und noch ein wenig. Ich dachte mir nur: Okay, jetzt fällt sie wahrscheinlich gleich um. „Ja nö, das hab ich mir schon gedacht.“ – und damit war das Thema eigentlich gegessen. Die gleiche Nummer habe ich dann auch bei meinem Vater abgezogen. Ich bin aus der Küche raus und ins Wohnzimmer. Mein Vater war nie ein Mann vieler Worte. Er saß einfach nur da und entgegnete mir auf meine Ansage was in die Richtung: „Joar, passt.“ Meiner Schwester habe ich es schon erzählt, bevor ich es meinen Eltern beigebracht hatte. Sie reagierte jedoch auch total entspannt und es war überhaupt kein Problem. Ich kann mich teilweise schon gar nicht mehr erinnern, da mein Coming Out einfach keine große Sache für mich war. Alles ziemlich unspektakulär. Immer, wenn mein Freund danach zu uns kam, war alles ganz normal. Er wurde direkt miteinbezogen und alles war okay. Naja, bis er mich abservierte und ich später herausfand, dass er mich betrogen hatte. Aber gut.






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enn es um meine künstlerische Arbeit geht, möchte ich zuerst einmal einige Begriffe darlegen. Was ich mache, kann man als Travestie bezeichnen. Also „der Mann im Kleid“ sozusagen. Natürlich ist der Ausdruck Drag/Dragqueen sehr populär, sehr geläufig und damit können auch die meisten Leute etwas anfangen. Ich selbst würde mich jedoch nicht so bezeichnen. Ich bin dafür, glaube ich, zu schüchtern angemalt. Unter dem Begriff Dragqueen stelle ich mir dann eher Olivia Jones oder Detox vor. Figuren, die wirklich von oben bis unten Darstellung schreien. Die machen ihre Augenbrauen weg und lassen sich teilweise sogar Silikon in die Arschbacken polstern oder sowas. Ich dagegen mal mir einfach ein bisschen schwarzes Zeug um die Augen, meistens behalt ich auch meinen Bart und setze Plastikhaare auf. Ich sage lieber über mich selbst: Ich bin Teilzeitmädchen. Dann gibt es natürlich noch den Ausdruck Transvestit an sich, was meiner Ansicht nach nicht mit Dragqueen gleichzusetzen ist. Aber allgemein sind es eh immer Grenzen, die verlaufen und Begrifflichkeiten, die ineinander übergehen. Ich denke ein Ausdruck, der vielleicht alles irgendwie abdeckt, ist Transe. Das kann eine sehr schöne, aufgedonnerte Jurassica Parka sein oder ein eher unansehnlicher Mann aus Hohenschönhausen, der sich an einem Samstagnachmittag allein daheim im Eiche-rusitikal-Wohnzimmer in den Fummel wirft – ohne seine Frau.

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achdem ich in Berlin gestrandet bin habe ich ruckzuck angefangen im SchwuZ zu arbeiten. Damals aber noch nicht im Kleid. Daher bin ich sowieso wahnsinnig homosexuell sozialisiert. Ich habe zwar auch Heterofreunde oder Bekannte, bin aber beruflich einfach überwiegend in dieser Homowelt verflochten. Dadurch hatte ich dann schnell Kontakt zu den Szenegrößen, wobei mir dies am Anfang gar nicht so bewusst war, da ich die alle vorher gar nicht kannte. Ich wusste halt: das sind Männer in Frauenkleidern die nachts ankommen, völlig besoffen sind und Musik an und wieder aus machen. Was die alles so können und dass die ziemlich toll sind war mir damals aber noch nicht bewusst.

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ann wurde ich Halloween 2008 auf eine Privatparty eingeladen. Motto: Amy Winehouse. Ich kaufte mir eine Pepsi-Flasche, zwei schwarze Plastikperücken und hässliche Frauenkleider. Aus der Flasche und den zwei Perücken bastelte ich so einen Beehive, eine Hochsteckfrisur, zog mich albern an und bin dann mit meinen Freunden, die auch alle albern aussahen, zur Warschauer Brücke gefahren. Die Wohnung war voll mit ca. 50 Menschen, die alle aussahen wie Amy Winehouse und völlig besoffen waren. So kam es, dass ich zumindest schon mal so einen Satz schrottiger Weiberklamotten zu Hause hatte. Es muss bestimmt 2 Jahre später gewesen sein, als ein Veranstalter aus dem SchwuZ auf mich zukam und meinte: „Du hör mal, wir brauchen am Abend jemand, der Leute bespaßt – kommste im Weiberfummel, kriegste mehr Geld.“ Damals arbeitete ich schon bei der Schnapsausgabe und unterhielt die Leute. Aber eben noch als Knabe. Also habe ich dann das Ganze noch mal aufgetragen und merkte, dass das ziemlich gut läuft, dass es mir Spaß macht und dass ich diese Aufmerksamkeit geil finde – die Leute sich freuen, wenn ich da bin. Und ja, wie hat Hildegard Knef einst so weise gesungen: „Von da an ging’s bergab“. Es war um mich geschehen. Jacky Oh Weinhaus war geboren. Ich denke die Travestie ist tatsächlich so wie Rauchen, wie Heroin. Es tut dir nicht gut, aber du machst es trotzdem. Nein, Scherz, es ist schon anstrengend, aber es ist auch einfach schön. Vollzeit-Damendarstellerin wäre allerdings nichts für mich. Das wäre mir schlicht und ergreifend zu anstrengend. Es findet meistens nachts statt und zerstört daher auch den Tagesrhythmus und manchmal sogar das Sozialleben, weil man arbeitet, wenn andere Geburtstag feiern, sich im Park treffen oder ähnliches. Und wenn ich den dritten Abend in Folge im Kleid und in hohen Schuhen gewesen bin, mehr nachts als tagsüber wach war und der Sekt schon nicht mehr schmeckt, wird es mir ab und an doch etwas zu viel. Dann lege ich eine Pause ein, damit mir der Spaß nicht verloren geht. Ich möchte gut sein in dem was ich mache und nicht, dass im schlimmsten Fall der Gast merkt, dass ich unmotiviert bin.



Als ich mit der Travestie angefangen habe, sah ich aber noch ziemlich blöd aus. Da ich einfach ein Junge mit einer Pepsiflasche auf dem Kopf und zwei schwarzen Eddingstrichen über den Augen war , dachte ich mir: Ich möchte schöner werden. Also habe ich meine Freundin Jurassica Parka gefragt: „Du sag mal, wie malst du dich denn eigentlich so an?“ Es ergab sich, dass ich immer, wenn die Parka abends travestieren ging, dabei war und Flyer verteilte. Wenn sie dann da saß und sich 2 Stunden das Gesicht anmalte, saß ich daneben und habe zugeschaut. Irgendwann meinte sie dann: „Mensch Weinhaus, mal dich doch heut auch mal an. Wir fahren eh mit ’nem Taxi, ich nehm dich mit.“ So saß ich neben ihr am Schminktisch und pinselte mich an. Und so haben wir es von da an dann einfach öfters mal gemacht. Durch diese Freundschaft wurde ich immer bekannter und habe auch gut Kontakte knüpfen können. So entwickelte sich aus diesem „Nebenbeigeschehnis“, was am Wochenende mal stattfand, eine berufliche Tätigkeit. Auch zeigte sie mir, wie man im Club Musik auflegt. Ich kaufte mir DJ Equipment und wurde so auch DJane. Ich habe es also geschafft, und das klingt jetzt sicher etwas selbstverliebt, aufgrund meines ganz guten Talentes innerhalb kurzer Zeit relativ erfolgreich zu werden. Nach einem Jahr Auflegen wurde ich dann tatsächlich auch gleich SchwuZ-Resident. Ich war mit meinem Fummel mal im Kino, in einem Musikvideo von Mia und ich bin damit über den Laufsteg bei der Fashionweek gelaufen.

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an kommt natürlich nicht überall gut an. Diskriminierung gibt es immer. Ich möchte auf keinen Fall sagen, dass ich nicht auch selbst manchmal in irgendeinem Rahmen diskriminierend gegenüber anderen Leuten bin. Das passiert einfach, auch wenn man’s eigentlich nicht unbedingt mit Absicht macht – aber es passiert. Wenn ich zum Beispiel irgendwo gebucht werde, nehme ich eigentlich grundsätzlich ein Taxi, da ich keinen Bock habe im Fummel mit den Öffentlichen zu fahren. Es kommt immer mal vor, dass auf den drei Metern vom

Taxi zur Clubtür Leute einem irgendetwas hinterher schreien. Meistens sind diese Aussagen dann wirklich dermaßen unqualifiziert, dass ich drüberstehe. Ich merke einfach, dass sie null Ahnung haben, was sie gerade von sich geben. Sie könnten sich, wenn sie denn Leute schon beschimpfen, wenigsten Gedanken machen und eine fundierte Beschimpfung erarbeiten. Aber es kommt eigentlich wirklich nur substanzloser Mist dabei raus. Das einzige Mal, wo ich wirklich körperlich angegriffen wurde, war direkt im Taxi, als der Fahrer mich ziemlich krass befummelt hat. Ich bin dann ganz schnell einfach ausgestiegen. Aber sonst hatte ich bisher wirklich immer Glück gehabt. Ich glaube, noch irgendwann mal angespuckt worden zu sein, aber da weiß ich nicht mehr genau, wie das war.

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ieses ganze Diskriminierungsthema läuft auf entsetzlich vielen Ebenen ab. Zum Beispiel gehe ich eigentlich privat nachts nicht wirklich viel feiern, da ich zu dieser Zeit ja beruflich oft unterwegs bin. Wenn es dann doch mal vorkommt und ich mit jemandem rede, flirte, rumknutsche oder was auch immer, kommt irgendwann das Thema auf, dass ich aus Berufsgründen oft Frauenkleider trage. Da ist die Reaktion oft ähnlich: „Ach nee, wir können uns doch nicht daten. Tschau.“ Ich denk mir dann nur so: Hä? Ich hab dich ja nicht gebeten: „Nagel mich, wenn ich ‘nen BH und Seidenstrümpfe anhabe!“, ich sagte nur: „Das ist mein Beruf“. Ich finde, sowas ist auch diskriminierend. Ich meine: Gut, ich kann den Anderen nicht zwingen, mich gut zu finden, aber trotzdem ist die Einstellung: „Ich kann dich nicht treffen, weil du Frauenkleider anziehst“ verletzend. Und leider passiert das relativ häufig. Solange du im Kleid bist, bist du der Star und alle lieben dich. Du hast ja Getränkebons und Gästeliste und erfüllst vielleicht ab und zu sogar mal ’nen Musikwunsch – aber das war’s dann auch. Mehr möchte der gemeine Homosexuelle dann nicht von dir. Oder aber es passiert eben, dass ich beim Arbeiten im Club angegraben werde. Da ist es dann jedoch meistens so, dass diese Typen nur Transen bumsen wollen. Schwierig.



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eine Eltern unterstützen mich in dem was ich tue. Schon als ich noch jünger war habe ich als Junge sehr viel gemodelt und meine Eltern waren schon damals sehr erpicht darauf zu erfahren, was für Jobs ich hatte. Ich brachte also immer Fotos mit, wenn ich in Zeitschriften drin war oder sowas. Als es mit der Weinhaus anfing und ich dann irgendwann mal im Fummel auf einem Flyer drauf war oder in der Siegessäule, war ich stolz wie Oscar und hab das dann natürlich auch mit heim gebracht. So nach dem Motto: „Guck mal, guck mal – da hab ich lange Haare an!“. Natürlich sind meine Eltern daran interessiert und ich denke auch stolz darauf wenn ihr eigenes Kind im deutschen Musikfernsehen zu sehen ist. Am schärfsten ist eigentlich meine Oma, die jetzt auch schon Mitte 80 ist und immer alles wissen und sehen will. Ich bringe ihr dann auch die Zeitschriften mit und sie fragt mich jedes Mal aufs Neue, wer mich denn schminkt und ich sag immer: „Ich, Oma, ich mach das selber!“ und dann freut sie sich.

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ein letzter Exfreund jedoch fand Travestie immer ganz beschissen. Er hat das gar nicht gemocht. Da bewundere ich Jurassica Parka und ihren Partner extrem. Es ist schließlich ihr Beruf und ihr Freund unterstützt sie dabei mega. Das finde ich wahnsinnig beneidenswert und beeindruckend und ich hoffe, dass ich irgendwann auch mal jemanden habe, der so damit umgeht. Mein Ex hat es, wenn ich abends dann travestiert habe, auch gemieden, dort aufzukreuzen. Er hat mich nicht wirklich unterstützt und ich hätte auch schon viel eher erkennen müssen, dass die ganze Sache nicht in die richtige Richtung geht.


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ielleicht noch kurz zu meinem Namen. Seit ich in der Szene tätig bin, gab‘s da nicht nur einen. Am Anfang war ich „Stulle“ und nachdem die Travestie losging entschied ich mich dann für „Äimi Weinhaus“. Jetzt jedoch ist es aus Schreib- und Ausprachegründen jedoch „Jacky-Oh Weinhaus“. Aber alle nennen mich eigentlich einfach nur: Die Weinhaus. Seien dass jetzt Leute im Club oder meine engsten Freunde. Ich bin einfach die Weinhaus. Ist es eine Rolle, die ich spiele? Ist es ein Charakter den ich darstelle? Das kann ich so eigentlich nicht sagen, beziehungsweise bestätigen. Die Weinhaus ist halt ein Teil von mir. Dieser wird optisch natürlich noch viel deutlicher, wenn ich mich schminke, aber ich habe nicht das Gefühl, dass ich als Junge komplett anders bin. Ich glaube, ich bin ein recht facettenreicher Mensch und diese Facetten zeige ich in verschieden Situationen unterschiedlich stark. Und klar, wenn ich jetzt auf der Bühne bin und 600 Leute begeistern muss, dann dreh ich natürlich auf. Aber genauso gut kann ich, wenn ich im Kleid bin, still und ernst sein, gut zuhören und mal die Fresse halten. Und genau so gut kann ich als Junge die Schnauze aufreißen und wahnsinnig viel quatschen. Natürlich verändert sich der Habitus, wenn ich ein Kleid anhabe. Ich trage dann auch High Heels, habe ein Handtäschchen dabei und ich glaube, es würde mir nicht entsprechen, dass wenn ich ein schönes Paillettenkleidchen trage, laufe wie ein Bauer.

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ie bringen wir das ganze jetzt zu Ende? Ich glaube ich möchte Voltaire zitieren. Voltaire hat mal was ganz Tolles gesagt, nämlich: „Da es sehr förderlich für die Gesundheit ist, habe ich beschlossen, glücklich zu sein.“ Ich liebe diesen Spruch. Sollte dein Glück darin bestehen, Tiere zu quälen oder Kinderpornografie zu konsumieren, solltest du das vielleicht sein lassen – für den Rest gilt: Mach das, was dich glücklich macht. Manchmal wird man, wie ich lernen musste, auch sekundär glücklich. Das heißt, man macht dann wahrscheinlich primär etwas, was für einen selbst nicht der Brüller ist, jedoch den Partner glücklich macht. Dadurch empfindet man dann selbst Glück. Dennoch sollte man möglichst immer versuchen, sich selbst treu zu bleiben. Auch wenn es zunächst gewissen Unannehmlichkeiten mit sich bringt und unangenehme Situationen oder Entscheidungen daraus resultieren – am Schluss kommt dann doch meistens etwas Positives raus, das dich weiterbringt.



Zwischen Tabu und Selbstbehauptung Projekt von Felix Grimm


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