OUT - Marcus

Page 1



M

ein Name ist Marcus, 34 Jahre alt und ich komme aus Neuburgweier in Rheinstetten bei Karlsruhe. Neuburgweier ist mit 5000 Einwohnern eine sehr dörfliche Region, was heißt, dass ich also eher ländlich aufgewachsen bin. Dort wohnte ich bis zum Abitur. Anschließend habe ich meinen Zivildienst in Heidelberg angetreten. Mit 21 Jahren, also 2001, zog ich nach Köln. Dies schien mir damals, als Homosexueller, eine gute Option, da Köln, neben Berlin, als die Schwulenhauptstadt galt. Dort wohnte ich dann 6 Jahre, begann ein Studium, brach dieses jedoch ab und trat eine Ausbildung zum Gestaltungstechniker an. Ende 2007 zog ich dann nach Berlin, wo ich bis heute noch wohne. Dies war schon ein lang gehegter Wunsch von mir. Ich kannte die Stadt vorher schon ein bisschen und schnell war mir klar, dass dies die nächste Stadt war, in der ich gerne leben wollte. Ich hatte vor, dort direkt zu studieren. Dennoch arbeitete ich erst eine Weile, bis ich dann 2010 mein Studium als Kommunikationsdesigner begann. Mit dem Umzug lernte ich auch meinen Freund kennen, mit dem ich seit knapp 7 Jahren zusammen bin.



I

ch würde sagen, dass ich tatsächlich schon immer wusste, dass ich homosexuell bin. Als Kind ist einem das natürlich nicht so bewusst, aber es gab schon ein paar Anzeichen. Ich habe früher immer lieber mit Barbies gespielt, habe mich gern verkleidet und solche Dinge. Ich hatte zwar auch eine Rennbahn, aber habe mich doch mehr für die andere Richtung interessiert. Ich will auf keinen Fall sagen, dass diese Dinge feste Vorzeichen für Homosexualität sind, aber bei mir hat es eben tatsächlich zugetroffen. In der Phase der aufkeimenden Sexualität, so fünfte, sechste Klasse, habe ich es dann wirklich für mich gemerkt, dass ich homosexuell bin. Dies habe ich aber zunächst bewusst verdrängt, da ich einfach nicht anders sein wollte, als die Anderen. Es gab, meines damaligen Wissens nach, überhaupt keine Schwulen in unserem Dorf, geschweige denn im Freundeskreis meiner Eltern. Dadurch war Homosexualität einfach nie ein Thema. Ich war tatsächlich auch mal in zwei Mädchen verliebt und hatte auch mal was mit Mädchen, aber eigentlich war mir meine Homosexualität trotzdem immer klar.





V

or dem Outing war es schwierig für mich. Die ständige Verdrängung, die Verstellung, der Wunsch normal zu sein und das bedachte Handeln. Wie verhalte ich mich? Wie bewege ich mich? Was kann ich sagen? Alles Fragen, die mich kontinuierlich beschäftigt haben. Das eigentliche Outing hatte ich mit 17, doch im Alter von 16 Jahren gab es ein Schlüsselerlebnis. Wir waren auf einer Klassenfahrt in München und saßen mit der ganzen Gruppe in einem Café. Dort gab es einen Typ der offensichtlich schwul war und mich die ganze Zeit anlächelte. Da habe ich dann irgendwie bewusst bemerkt, dass ich das als ein gutes Gefühl empfand. Mir wurde klar, es ist wie es ist, und jetzt musste ich in dieser Richtung etwas unternehmen. Es bestand einfach ein Redebedarf. Noch direkt in München habe ich mich zunächst meinen zwei besten Freunden, einem Jungen und einem Mädchen, anvertraut. Für sie war das Ganze überhaupt kein Problem. Als ich wieder zu Hause war, fing ich dann auch an, mit meiner besten Freundin schwul auszugehen. Jedoch alles noch relativ heimlich, da ich mich noch nicht viel mehr Leuten anvertraut hatte. Ich war schon immer nur mit ein paar wenigen Leuten unterwegs. Ich hatte einfach wenig Freunde, aber dafür sehr gute Freunde und das war mir wichtig. In Jugendclubs und solchen Sachen war ich daher eher weniger zu finden, weil ich nicht in den großen Gruppen involviert war, die sich dann dort jeden Abend trafen. Im größeren Freundeskreis war es dann so, dass gar nicht offen kommuniziert wurde, dass ich schwul bin. Wenn ich aber beispielsweise Montag früh mit einem Knutschfleck am Hals in den Biologieunterricht kam und daraufhin Nachfragen kamen, dann habe ich auch angefangen, ehrlich zu antworten. Nach und nach haben es eben immer mehr Leute mitbekommen. Ein Grund dafür war sicher auch, dass ich damals relativ viel in der Techno-Szene unterwegs war und mich dementsprechend auffällig kleidete. Ich war gepierced, ich trug hohe Buffalo-Schuhe und Schlaghosen sowie Hemden, die im Dunkeln leuchteten. Es war einfach die Techno-Trash-Zeit und allein dadurch fiel ich auf. Den Meisten war es dann einfach durch mein Auftreten und meine Art klar, dass ich schwul bin.

Es war aber nicht so, dass irgendjemand je ein Problem damit gehabt hätte. In der Oberstufe, als ich dann anfing schwul weg zu gehen und meine ersten Erfahrungen mit Typen gemacht hatte, habe ich viele neue Homosexuelle kennen gelernt, mit denen man dann am Wochenende öfters auf Partys unterwegs war. Tatsächlich haben sich zwei separate Freundeskreise gebildet. Kurz darauf habe ich dann auch schnell meinen ersten Freund kennen gelernt mit dem ich 1 Jahr zusammen war. Ich war jedoch noch immer bei meinen Eltern ungeoutet. Ich wollte mir erst einmal sicher sein, ob es der Richtige ist. Wir haben darauf hin meist die Wochenenden miteinander verbracht. Es war nicht schwer, unsere Beziehung vor meinen Eltern geheim zu halten, da es sie nicht störte, wenn ich die Wochenenden wo anders schlief und daher keine großen Nachfragen kamen.


N

ach zwei bis drei Monaten Beziehung, nach fast einem Jahr Outing vor meinen guten Freunden, kam schließlich der Punkt, wo ich bereit war, mich meinen Eltern anzuvertrauen. Ich habe es ihnen jedoch getrennt erzählt. Das Gespräch ging dann in circa 2 Minuten vonstatten. Ich weiß noch, ich habe meine Mutter nach oben in mein Zimmer gerufen und ihr erzählt, dass ich jetzt einen festen Freund habe, fügte aber direkt dazu, dass ich auch mal wieder eine Freundin haben könnte. Ich war mir zwar ziemlich sicher, dass dies wahrscheinlich nie der Fall sein würde, wollte die ganze Aussage jedoch anscheinend ein bisschen relativieren. Sie versicherte mir, dass sie es in Ordnung findet und sie kein Problem damit hat, fragte aber auch direkt, ob ich wüsste, wie ich mit Kondomen umzugehen habe und wies mich darauf hin, dass ich mich schützen soll. Auch wollte sie, dass ich noch warte, bis ich es meinen Vater erzähle. Dies habe ich auch getan. Den Grund dafür habe ich nicht wirklich rausgefunden. Vielleicht wollte sie es ihm vorher erzählen oder ihn an den Gedanken gewöhnen, ich weiß es nicht. Ich habe sie in dem Gespräch noch gefragt, ob sie wirklich keinerlei Vermutungen hatte, doch sie versichert mir noch bis heute, dass sie ahnungslos war, was ich ihr nicht ganz glaube. Sie meinte, dass sie mich als Kind mit meinen Puppen und so weiter, einfach nicht einschränken, geschweige denn mir etwas verbieten wollte, was ich für eine sehr gute Einstellung von Eltern halte. Ich wartete einen Monat, bis ich mich vor meinen Vater schließlich outete. Ich rief ihn auch wieder ins Zimmer und erklärte ihm die Situation. Auch hier ging alles sehr schnell. Genau wie bei meiner Mutter sagte ich ihm, dass ich glücklich vergeben sei und meine Mutter es schon wüsste. Allerdings sagte ich ihm nicht mehr, dass ich bi wäre, sondern stand direkt zu meiner Homosexualität. Er antwortete darauf, dass er darüber erst einmal nachdenken müsse, er bräuchte ein bisschen Zeit dafür.





D

as Verhalten meiner Eltern änderte sich jedoch nicht im Geringsten. Sie hatten kein Problem, es gab keinen Bruch oder Ähnliches, aber meine Homosexualität wurde nicht mehr groß thematisiert. Es war dann einfach so. Bis ich ihnen meinen ersten Freund vorstellte vergingen jedoch noch ein paar Monate. Doch als sie ihn als Mensch kennen lernten, wurde er von beiden Elternteilen akzeptiert. Bei meiner Schwester, zu der ich damals ein sehr enges Verhältnis hatte, habe ich mich jedoch am schwersten getan, mich zu outen. Nach dem Outing vor meinen Eltern im Sommer vergingen ein paar Monate. Dann, im Dezember des Jahres, waren meine Eltern nicht zu Hause. Es war das erste Mal, dass ich meinen Freund zur Übernachtung mit nach Hause brachte. Nur ein paar Stunden bevor er kam, erzählte ich meiner Schwester, was Sache ist und fragte, ob sie ein Problem damit hätte. Sie sagte direkt ja, machte aber nur einen Witz und meinte, dass sie natürlich keinerlei Problem damit habe. Das Outing im Verwandtenkreis hat jedoch meine Mutter dann unfreiwilliger Weise für mich übernommen. Ich habe sie nicht darum gebeten, aber sie fragte dann einfach bei Feiern die Verwandten, ob ich nicht meinen Freund mitbringen könnte, was mir dann irgendwie ein bisschen unangenehm war. Ich dachte einfach, dass meine Verwandten, die alle auf dem Dorf gelebt haben, für das Thema vielleicht doch nicht so offen wären. Ich war erstaunt, dass es wirklich für keinen ein Problem dargestellt hat. Meine Sorgen vor Ablehnung stellten sich alle als völlig unnötig heraus, was mich sehr erleichterte. Nach meinem ersten Freund hatte ich mehrere langjährige Beziehungen und jeder meiner Partner wurde immer mit zu Festen, Veranstaltungen und Geburtstagen eingeladen und sehr herzlich aufgenommen. Zusammenfassend kann man sagen, lange Rede kurzer Sinn, ich hatte einfach Glück gehabt. Meine Familie hat mich als den Menschen akzeptiert, der ich bin und besser konnte es nicht gehen. Der Sohn bleibt schließlich trotzdem das eigene Kind.








N

ach dem unmittelbaren Outing kam ich in eine Zeit, wo mein Selbstbewusstsein in die Höhe geschossen ist. Es war ein Befreiungsschlag, eine Zeit, wo ich mich total frei gefühlt habe. Es war endlich raus. Ich konnte meine Homosexualität endlich offen zeigen und ausleben und musste meine Gefühle nicht mehr verstecken oder verdrängen. Endlich konnte ich wirklich ich sein und war mit mir selbst im Reinen. Es war eine tolle und sehr unbeschwerte Zeit, in der ich viel ausgegangen bin und viel mit Freunden unterwegs war. Egal ob in der Familie oder im Freundeskreis, ich habe nach dem Outing nie eine Veränderung von zwischenmenschlichen Beziehungen feststellen können. Meine Homosexualität war für mich sehr schnell sehr normal. Da ich immer offen damit umgegangen bin und ich denke man merkt auch, dass ich schwul bin, war das für niemanden groß etwas Neues, auf das in irgendeiner Weise reagiert werden musste. Ich habe gerade auch durch die Arbeit im Callcenter in Köln oder bei H&M immer viele Homosexuelle um mich gehabt, wo das Ganze eh nie ein Thema und schlicht und einfach Normalität war.


M

ein Freund und ich sind jetzt schon seit 7 Jahren zusammen. Wir haben uns kurz nachdem ich nach Berlin gezogen bin kennen gelernt. Da gab es natürlich die Anfangszeit, wo man noch frisch verliebt war, wo man einfach zeigen wollte, dass man glücklich zusammen ist. Auf Ablehnung stoßen wir, sogar hier in Berlin, trotzdem leider immer wieder. Vor allem an Orten, wo man es vielleicht gar nicht so vermuten würde. Wir wohnen in Prenzlauer Berg, einem Stadtteil von Berlin der eigentlich als sehr offen gilt. Dennoch wurden wir im bekannten Mauerpark, einem Park, wo so viele verschiedene Menschen zusammenkommen, von Fremden dumm angemacht, nur weil wir Hand in Hand gelaufen sind. Das ist sehr schade, da wir ja damit Niemandem wehtun. Auch in der U-Bahn hört man oft homophobe Sprüche, gerade, wenn man als Pärchen unterwegs ist. Ich muss dazu sagen, einer der Gründe, warum ich mich entschlossen habe nach Berlin zu gehen, war, dass ich dachte, hier wäre man ein wenig weltoffener. Ist natürlich im Vergleich zu vielen Ecken Deutschlands auch der Fall. Man muss einfach einsehen, dass es überall intolerante Menschen gibt. Bedingt durch diese Intoleranz mussten wir lernen uns situationsbedingt zu verhalten, sprich, wo kann man Händchen halten und wo ist es vielleicht nicht so angebracht. Es gab sogar bei mir um die Ecke eine handgreifliche Auseinandersetzung. Ich erinnere mich noch ziemlich genau: Es war der Tag des CSD vor 4 Jahren und wir waren händchenhaltend mit einem Blumenstrauß auf dem Weg zu Freunden, als eine Gruppe von Jugendlichen anfing, uns zu beschimpfen. Dies steigerte sich dann immer weiter, bis ich dann einfach etwas darauf erwidert habe. Ich wollte mich irgendwie verbal wehren und dafür bekam ich dann eine runtergehauen. In unmittelbarere Nähe, vor der Deutschen Bank, stand ein Security-Mann, den ich bat die Polizei zu rufen. Ich war erschrocken, als er meinte, dass er das nicht tun würde. Als niemand uns half, rief ich selbst sehr aufgebracht die Polizei an. Auch dort bekam ich eine Abfuhr.

Das sind dann Dinge, die einem zu denken geben sollten. Wenn man nur aufgrund seiner Sexualität, nur weil man ist, wie man ist und dies nach Außen zeigt, ignoriert und abgewiesen wird, finde ich dies einfach nur traurig. Aber wenn man öfter Beleidigungen und so weiter zu hören bekommt, prägt das natürlich und man wird automatisch vorsichtiger. Gerade weil ich einfach kein Konfliktmensch bin, will ich solchen Situationen dann einfach aus dem Weg gehen. Klar bleibt es für mich unverständlich, aber das hat dann einfach etwas mit dem fehlenden Intellekt und dem Respekt bestimmter Mitmenschen zu tun. Ob ich etwas anders gemacht hätte, kann ich gar nicht so genau beantworten. Es ist eine sehr hypothetische Frage. Es ist so wie es ist und es ist gut wie es ist. Ich hatte keine großen Schwierigkeiten mit meinem Coming-out und bin deswegen schlicht und ergreifend einfach zufrieden.



Zwischen Tabu und Selbstbehauptung Bachelor Kommunikationsdesign Felix Grimm


Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.