OUT - Manuel

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ein Name ist Manuel und ich bin 26 Jahre alt. Urspr端nglich komme ich aus Neumarkt in der Oberpfalz, einer Kleinstadt mit 35.000 Einwohnern. Nach dem Abitur habe ich meinen Zivildienst beim Landschaftspflegeverband absolviert und begann im Anschluss die Ausbildung zum Mediengestalter. Nach zweieinhalb Jahren arbeitete ich noch ein gutes halbes Jahr in einer Werbeagentur, bis ich dann 2011 nach Berlin zog um mein Studium zu beginnen.



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igentlich war es schon lange klar, dass ich homosexuell bin. Richtig bewusst geworden ist es mir dann in der Pubertät, wenn man anfängt, sich mit seiner Sexualität intensiver auseinanderzusetzen. Es fällt mir schwer, mich an alles ganz genau zu erinnern, da inzwischen einfach schon eine Menge Zeit vergangen ist. Noch dazu habe ich einen guten Verdrängungsmechanismus. Mein schlechtes Langzeit- und mein perfektes Kurzzeitgedächtnis helfen da auch nicht unbedingt weiter, aber ich versuche mein Bestes zu geben. Ich weiß, dass es in der siebten Klasse, also im Alter von 13-14 Jahren, einen Jungen gab, der die Klasse wiederholen musste. Er sah ziemlich gut aus, war ein bisschen älter und dadurch auch ein wenig männlicher als die anderen Jungs aus meiner Klasse. Als ich dann bemerkte, dass ich ihn anziehend fand, habe ich mich natürlich gefragt, was dieses Gefühl bedeutet. Ich musste dann lernen, dass diese Anziehung, die ich Männern gegenüber empfand, Liebe heißt und dass es nicht das Gefühl ist, was ich für Frauen empfand, wie ich es ursprünglich gelernt hatte. Man hatte als Kind erfahren, Männer und Frauen gehören zusammen und dieses Gefühl heißt Liebe. Dieses Empfinden muss man in der Pubertät erst einmal verstehen.





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it 18 Jahren habe ich mich dann erst geoutet. In der Zwischenzeit, als ich erkannt habe, dass ich homosexuell bin, bis zum Outing, habe ich zwar sehr darauf geachtet, wie ich mich gebe, mich aber nicht komplett verbogen. Ich habe mich schon immer ein wenig anders angezogen als die Anderen. Das lag aber auch eher daran, dass meine Mutter sehr auf meinen Kleidungsstil geachtet hat. Ich hatte zum Bespiel eine Mütze, für die ich in der Schule dann „Schwuchtel“- Sprüche bekam. Aber ich habe es einfach nur geleugnet. Es ist eine unangenehme Situation wenn man weiß wer man ist, es aber Freunden und Familie nicht mitteilen kann, beziehungsweise möchte. Ich hatte wahrscheinlich einfach Angst. Angst vor den Reaktionen, Angst vor Ablehnung und Unverständnis und Angst vor dem Leben, welches man führen würde, wenn man sich outet. Dazu kam noch, dass ich keine Lust hatte, einfach nur als „der Schwule“ abgestempelt zu werden. Nach vier Jahren habe ich dann angefangen, mich verschiedenen Leuten anzuvertrauen. Mein Schulwechsel für die Oberstufe hat mir die Sache ein bisschen erleichtert. Auf dem neuen Gymnasium habe ich neue Freunde kennengelernt. Ich fand es viel leichter, es Leuten zu sagen, die man erst einen Monat kannte, als Leuten, mit denen man schon seit dem zehnten Lebensjahr befreundet war. Ich hatte Angst vor ihrer Reaktion, da ich das Gefühl hatte, sie acht Jahre belogen zu haben, da sie mich schon öfters nach meiner sexuellen Orientierung gefragt hatten und ich kontinuierlich immer wieder verneinte. Am Ende der elften Klasse fragte mich ein Freund wieder, ob ich wirklich nicht schwul sei. In diesem Gespräch gab ich es zum ersten Mal zu. Die Zeit verging und zu meinem 18. Geburtstag habe ich es auch meinem restlichen Freundeskreis erzählt. Es war natürlich auch kein Schock für sie, da schon oft genug nachgefragt oder es angenommen wurde. Es gab nur positives Feedback und Unterstützung. Dies ging sogar soweit, dass Leute, mit denen ich eigentlich nicht viel zu tun hatte, auf mich zu kamen und mir sagten, wie gut sie es finden, dass ich diesen Schritt gemacht habe. Dadurch fing ich natürlich an, selbstbewusster zu werden und lockerer mit dem Thema umzugehen.

Als ich meine Ausbildung antrat, kam ich zum Beispiel in eine Situation, in der mir dies bewusst wurde. Ein Mädchen kam auf mich zu und fragte mich ganz direkt, ob ich metrosexuell sei. Als ich verneinte, schloss sie: „Dann bist du schwul.“ Ich bejahte und damit war die Sache dann in der Klasse geklärt. Ich merkte einfach, dass es so viel entspannter war, jetzt, wo ich offen ich selbst sein konnte.


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urz nachdem ich es all meinen Freunden gesagt hatte, kam es zu einem Gespräch mit meinen Eltern. Wir saßen beim Abendessen und ich wollte danach auf eine Party gehen. Mein Vater meinte, dass ich ja mal „Eine“ mit nach Hause bringen könnte. Meine Mutter fügte hinzu, dass alles gut wäre, solange ich „keineN“ mitbringe. Ich antwortete nur: „Und wenn’s so wäre?“ Damit war der Fall dann klar. Daraufhin war erst mal Krise angesagt. Meine Mutter ist ziemlich ausgerastet und hat Dinge gesagt, die sehr verletzend waren und die sie eigentlich nicht so meinte. Sie war komplett überfordert. Ich möchte gar nicht mehr ins Detail gehen, aber es war kein gutes Gefühl für mich. Mein Vater gab gar kein Wort mehr von sich und versuchte sich um meine Mutter zu kümmern. Mein Bruder kam auch noch dazu, der das Ganze nicht so schlimm fand. Er versuchte sich auf meine Seite zu stellen und meine Eltern zu beruhigen. Die Situation ist so weit eskaliert, dass ich fluchtartig das Haus verlassen habe, zu meinem damaligen besten Freund gefahren bin und mich dort ausgeheult habe. Seine Mutter kam dazu, beruhigte mich und versicherte mir, dass mit mir alles in Ordnung wäre und meine Eltern es auch noch akzeptieren würden. Mein Bruder kam dann auch noch zu der Wohnung meines Freundes und überbrachte mir die Nachricht, dass meine Eltern mich trotzdem noch lieben und dass ich in der Nacht wieder nach Hause komme sollte. Am nächsten Morgen suchte meine Mutter das Gespräch. Ich wollte eigentlich gar nicht, aber sie schaffte es trotzdem irgendwie. Mir war es einfach unangenehm. In dem Gespräch schlug sie vor, dass ich mich in Therapie begebe, weil sie dachte, man könnte so meine sexuelle Orientierung vielleicht noch ändern. Ich meinte nur, dass wenn, dann sie sich in Therapie begeben sollte. Dies tat sie tatsächlich auch. Sie hat einen Psychiater aufgesucht, der ihr versicherte, dass mit mir alles okay sei und sie es akzeptieren sollte. Ich glaube, sie beschaffte sich dann auch Literatur und informierte sich. Mein Papa weinte glaube ich ein paar Tage. Danach wurde meine Sexualität nicht mehr groß thematisiert. Wir machten erst mal weiter wie vorher, was auch funktionierte, da ich auch keinen Freund hatte oder so.





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eine Mutter hat drei große Ängste und Befürchtungen: Das Ausbleiben von Enkelkindern, dass ich an HIV erkranke und, dass ich einsam alt werde. Die letzten beiden Themen werden auch jetzt noch öfters angesprochen. Obwohl sie akzeptiert hat, dass ich schwul bin, wollte sie mich noch vor zwei Jahren davon überzeugen, dass ich, wenn ich älter werde, mit einer Frau zusammen leben solle. Sie meinte, dass viele Schwule so leben, was ja leider auch stimmt. Die Frau könnte sich dann um mich kümmern, wenn ich krank werde. Dann könnte ich ein ganz „normales“ Leben führen, da sie eine MannMann-Beziehung einfach nicht kennt und es sich auch nicht wirklich vorstellen kann. Ich gab ihr aber direkt zu verstehen, dass ich dies sicher nicht tun werde und es für kompletten Schwachsinn halte. Ich kann mich um mich selbst kümmern und habe noch dazu gute Freunde. Inzwischen hat sich ihre Haltung zu dem Thema ein bisschen verändert. Sie bedauert jetzt, dass ich keinen Freund habe, da sie möchte, dass jemand da ist, der auf mich aufpasst und sich um mich kümmert. Mein Papa nimmt gar keine Stellung zu dem Thema. Er ist allgemein ein sehr ruhiger Mensch und ich habe auch nicht das Bedürfnis, mit ihm das Thema zu besprechen. Bei ihm war es also eher eine ruhige Akzeptanz, wenn man das so sagen kann. Ich weiß, er liebt mich und wir verstehen uns gut. Wenn ich ihnen meinen Partner vorstellen würde, würde sich meine Mutter wahrscheinlich sehr für mich freuen. Mein Vater würde dem Ganzen vielleicht skeptisch gegenüber stehen, aber nichts sagen.








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ch denke, die anfängliche Einstellung meiner Eltern ist bedingt durch den regionalen Lebensraum. Durch das – ich nenne es mal „Dorfleben“ – gab es einfach nie irgendwelche Berührungspunkte mit dem Thema, beziehungsweise Situationen, in denen man sich damit befassen musste. Bis heute möchte meine Mutter nicht, dass es die Verwandtschaft erfährt. Sie ist der Meinung, dass meine „sexuellen Vorlieben“ niemanden etwas angehen. Ich kontere einfach immer damit, dass es keine Vorlieben sind, sonder schlicht und einfach mein Leben. Darauf weiß sie meist auch nichts mehr zu antworten. Trotzdem kann man sagen, dass meine Eltern und ich jetzt nach dem Coming-out offener miteinander reden. Während ich ungeoutet war, baute ich eine starke Distanz auf und die wieder abzubauen ist ziemlich schwierig. Ich glaube, dass ich noch jetzt an dieser Distanz zu knabbern habe und sie mich auch daran hindert, mit meinen Eltern über bestimmte Dinge, wie Liebe und Beziehung, zu sprechen. Ich behalte so etwas dann für mich.

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ls ich nach Berlin zog war ich längst komplett geoutet. Meine sexuelle Orientierung war hier einfach selbstverständlich. Freunde und Familie wussten Bescheid. Das Outing war eine extreme Erleichterung. Es gab gerade im Freundeskreis keinerlei negative Reaktionen oder irgendwas in der Art. Ich konnte offen mit Freunden über alles reden. Man konnte sagen, wenn man jemanden anziehend findet und musste sich nicht mehr verstecken oder verstellen. Ich hatte am Anfang selbst viele Vorurteile gegenüber Homosexuellen und wollte deswegen auch nie groß zur Szene gehören. Mein Bild von Schwulen war sehr klischeebehaftet, was sicher an der Darstellung in den Medien lag. Als ich ungefähr 20 war, sind meine heterosexuellen Freunde und ich zu einer schwulen Party gegangen. Dort hatte sich mein Bild leider nur bestätigt, da alle sehr offen schwul waren. Das heißt, sehr affektiert und übertrieben. Die Musik gefiel mir auch nicht unbedingt. Damit hakte ich dieses Thema dann auch erst einmal ab.

Mit 23 war ich dann aber in einem alternativen Schwulenclub, in dem ich eine tolle Zeit hatte und meine Einstellung noch einmal überdachte. Das waren auch meine beiden einzigen schwulen Clubbesuche, bevor ich nach Berlin zog. Ein Grund dafür war, dass ich einfach keine schwulen Freunde hatte. Das änderte sich allerdings, als ich in die Hauptstadt zog. Über das Internet hatte ich vorher schon ein paar Bekannte in Berlin und so war mein Freundeskreis, als ich hier her zog, zum ersten Mal eher schwul geprägt. Auch lebte ich zu Beginn zur Untermiete bei einem homosexuellen Freund. Ich hatte jetzt einfach eine Gruppe von „Gleichgesinnten“. An der Hochschule bildete sich natürlich auch ein neuer, zweiter Freundeskreis. So ist es bis heute noch, auch wenn ich jetzt nach sechs Semestern wieder weitaus mehr heterosexuelle als homosexuelle Freunde habe. Einige Bekannte haben ausschließlich schwule Freunde, das finde ich sehr schade. Meiner Meinung nach bildet man dadurch eine Art Parallelgesellschaft, was eher kontraproduktiv ist. In der „schwulen Geschichte“ wurden so viele Anstrengungen unternommen, um dazuzugehören und gleichberechtigt zu sein.


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erbale „Diskriminierung“ mir gegenüber gab es in der Schulzeit sicher immer mal wieder. Für solche Sprüche bin und war ich aber nie wirklich anfällig. Auch hier in Berlin gab es mal eine Situation, über die ich im Nachhinein nur lachen kann, weil es einfach zu klischeehaft ist. Ich war mit einem Kumpel auf dem Rückweg von Marzahn und innerhalb kürzester Zeit wurden wir zwei Mal als Schwuchteln bezeichnet. Das war einfach zu typisch. Das passiert mir nicht mal in Oberschöneweide, wo ich momentan wohne. Zum Thema Intoleranz fällt mir spontan nur ein Beispiel ein. In dem Stop-Motion-Musikvideo „Auf Uns“ von Andreas Bourani, gibt es eine Szene, in der ich zu sehen bin, wie ich einen anderen Mann küsse. Das Video hat über 5.000.000 Klicks auf YouTube und ziemlich viele Kommentare. Als ich ein bisschen durchscrollte, stellte ich fest, dass einige der Kommentare sehr homophob sind: „übelst nervige kacke. und dann auch noch diese schwulen gayszenen... einfach nur zum kotzen.“ und „warum müssen die immer so schwuln zeugs zeigen alter“. Das sind nur ein paar der qualitativ hochwertigen Meinungsäußerungen. Ich frage mich einfach, was in solchen Leuten vorgeht. Das Video hat eine Laufzeit von circa 4 Minuten. 2 Sekunden davon ist die Kussszene. Auf der Videoplattform ist es möglich, solche Kommentare wiederum zu kommentieren. In diesen Unterkommentaren werden jedoch starke Gegenstimmen deutlich, was mich persönlich sehr freut. Es ist im Nachhinein betrachtet eigentlich gut wie es ist. Ich hätte mich vermutlich leichter getan, wenn ich mich früher geoutet hätte. Aber wenn ich jetzt noch mal 16 wäre, würde ich es bestimmt trotzdem nicht machen, weil man in dem Alter einfach zu unsicher ist. Ich hätte gerne Situationen vermieden, in denen ich meinen guten Freunden direkt ins Gesicht gelogen habe, obwohl ich mir meiner sexuellen Orientierung sicher war. Das ist mir bis heute noch unangenehm.



Zwischen Tabu und Selbstbehauptung Bachelor Kommunikationsdesign Felix Grimm


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