Brixner 333 - Oktober 2017

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PORTRAIT

Der Wegbereiter Wenn man sich mit der Südtiroler Sportgeschichte beschäftigt, vor allem mit jener nach dem Zweiten Weltkrieg, dann kommt man um ALFRED DISSERTORI nicht herum.

A

lfred „Fredi“ Dissertori ist ein wandelndes Lexikon, wenn es darum geht, die Entwicklung der Sportvereine aufzuzeigen, präzise und mit vielen versteckten Details. Über 35 Jahre hat er sich mit dem Südtiroler Sport beschäftigt, hat die Entstehung des Verbandes der Südtiroler Sportvereine miterlebt und mitgelebt, hat das zähe Ringen um die Sportautonomie als Chance wahrgenommen, über alle Barrieren und Ideologien hinweg Gemeinsamkeit zu stiften.

Foto: Claudia Ebner

Wie alles anders kam als ge­ plant. Nach der Matura zog er

es zunächst vor, als Import-/Exportkaufmann in die Strickerei seines Onkels in Kitzbühel einzusteigen, zu einer Zeit, als man noch mit dicken Wollpullovern zum Skifahren ging. Das Arbeitsverhältnis hat sich dann aber bald zerschlagen. Lediglich mit einem Wägelchen zur Post zu fahren, um dort Pakete aufzugeben, das war ihm einfach zu wenig. Wer damals den Berufstitel eines Ragioniere führte, der war in der Arbeitswelt begehrt. Fredi Dissertori trat eine Stelle beim Landesamt für Wirtschaftsförderung an, für 62.000 Lire im Monat; „bei der Bank hätte ich nur 58.000 Lire verdient“, erinnert er sich. Die ersten drei Gehälter gingen für eine Lambretta drauf, „den Rest steuerten meine Eltern bei“. Nach dem Militärdienst sollte er eigentlich wieder an seine alte Arbeitsstelle zurückkehren, aber Robert von Fioreschy, damals SVP-Assessor für Handel, Industrie, Handwerk und Fremdenverkehr, hatte eine andere Idee: Fredi Dissertori sollte Sachbearbeiter für Sportangelegenheiten werden. Von Sportmanagement hatte er so gut wie keine Ahnung, „aber alles, was man gerne macht, macht man auch mit der entsprechenden Passion“. Und er war ein guter Allroundsportler, „was damals noch möglich war“. Er spielte Eishockey und Wasserball, er ging zum Schwimmen und war „ein ganz passabler Leichtathlet“.

Die Anfänge in der nach der damaligen Ämterordnung als „Sektion Sportangelegenheiten“ bezeichneten Abteilung waren spartanisch. 10 Millionen Lire hatte die Landesregierung bereitgestellt, aber es galt vor allem herauszufinden, „was die Menschen außer Geld noch brauchten“. Der Enthusiasmus und der Idealismus von Amateursportvereinen sollten gewürdigt werden, weil sie die Südtiroler Bevölkerung auf eine ganz besondere Weise zusammenzuführen imstande waren. Fredi Dissertori recherchierte, stöberte in Archiven und bereitete

Paares hat sich Anfang der 90er Jahre das Leben genommen. Die unendliche Traurigkeit darüber ist bis heute spürbar, auch wenn Fredi Dissertori mittlerweile ganz offen darüber spricht.

Südtiroler Sportgeschichte. Als

er im Jahre 2000 in Pension ging, hatte er endlich die Zeit und die Muße, all das niederzuschrieben, was aus seiner Sicht für die Südtiroler Sportgeschichte bedeutend und prägend war. Eine Zeittafel, unzählige Quellen, Auszüge aus Protokollen, Namen, die vielfach schon in Vergessenheit geraten

aufgegangen ist. „Die Entscheidungen haben dann aber schon die Politiker getroffen.“ Im Gespräch wählt er seine Worte mit Bedacht, als ob er gelernt hätte, vorsichtig zu sein. Und er würzt seine Erinnerungen mit einer ordentlichen Portion trockenen Humors. Wenn er aber von kleinen Begebenheiten aus seinem Berufsleben erzählt, von Begegnungen aus der Zeit, in der er auch ehrenamtlicher Geschäftsführer des VSS, des Verbandes der Südtiroler Sportvereine, war, dann bricht der Kämpfer in ihm durch, der sich

„Alles, was man gerne macht, macht man auch mit der entsprechenden Passion“_ Alfred „Fredi“ Dissertori Unmengen an Unterlagen vor, weil man erkannt hatte, dass der Sport mit seinen friedenstiftenden Impulsen dazu beitragen konnte, die ethnischen Spannungen im Land etwas zu beruhigen. Zunächst arbeitete Dissertori mit einer einzigen Sekretärin, im Laufe der Jahre kamen zu den Sportangelegenheiten das Alpinwesen und später das Freizeitwesen dazu. Schließlich gab es 14 Mitarbeiter, die sich um den Südtiroler Sport kümmerten.

Die große Liebe. Fredi Disser-

tori versuchte sich eine Zeitlang auch als Werkstudent in Perugia. Economia e commercio interessierten den pfiffigen Bozner sehr; letztendlich scheiterte er aber an einer Mathematikprüfung, zu der er sieben Mal antreten musste. Der Prüfer war jedes Mal ein ehemaliger Partisan, der dem jungen Bozner nicht wohlgesonnen war. Seine Frau Greti Vikoler, eine Millanderin, hat er in Brixen beim Finsterwirt kennengelernt, „als ich eines Abends mit dem Gebi Dejaco dort war“. Mit ihr hat er die Liebe seines Lebens getroffen, und sie teilt nach wie vor seine Begeisterung für den Sport. Einer der zwei Söhne des

sind: Über 16 Jahre lang trug er Datenmaterial zusammen. 334 Seiten umfasst die Abhandlung, die er, gespickt mit PostIts, etwas zögerlich aus einer unscheinbaren Aktentasche mit Werbeaufschrift hervorzieht; eine ausführlichere Version hat gar 512 Seiten. Spannende Details von der Tiroler Turnbewegung über das Sportverbandswesen im 19. Jahrhundert und den Sport unter Faschismus und Nationalsozialismus bis hin zur Geschichte der Südtiroler Sporthilfe lassen den Leser eintauchen in eine faszinierende Welt. Die „Beiträge zur Südtiroler Sportgeschichte“, höchst spannende Sichtweisen, die sich zu einem fast lückenlosen Bild fügen, sind ein Kleinod, das bis heute nicht die Anerkennung erhalten hat, die es eigentlich verdienen würde. Die eng beschriebenen Seiten sind ein Streifzug durch die Sportgeschichte unseres Landes, erarbeitet von einem Mann, der sich durch sein ganzes Berufsleben hindurch dem Sport gewidmet hat. Man kann ihn zweifelsohne als einen Wegbereiter bezeichnen, als einen, der die Fäden gezogen hat und der irgendwann in seiner Arbeit ganz und gar

kein Blatt vor den Mund nimmt. Und er weiß auf eine hinreißende Art, Personen in ihrer Ausdrucksweise nachzuahmen. Nach seiner Pensionierung widmete er sich dem Schwimmsport und errang in seiner Altersklasse neun Italienmeistertitel. Und er avancierte zu einem beliebten Schwimmlehrer für Senioren. Ein Herzinfarkt mit 70 Jahren zwang ihn, kürzer zu treten und mehr auf sich zu achten. Jahr für Jahr das Sportabzeichen zu erlangen, das lässt sich der agile Brixner, der im kommenden Jänner 79 Jahre alt wird, aber nicht nehmen. „Eine gewisse Verbissenheit gehört schließlich zu jedem Sportler.“

marlene.kranebitter@brixner.info Leserbriefe an: echo@brixner.info

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