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Vom Shitstorm zum Albtraum

Seit Annalena Baerbock als Kanzlerkandidatin der Grünen nominiert wurde, ist sie massivem Gegenwind ausgesetzt. Experten warnen vor der Gefahr eines radikalisierten Wahlkampfs rund um das Thema Klimaschutz. Demokratische Parteien sollten sich daher im Ton zurückhalten. Von Michael Zäh

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Seit Annalena Baerbock als Kanzlerkandidatin der Grünen nominiert wurde, gibt es jeden erdenklichen Shitstorm gegen sie. Das reicht von gefälschten Fotos (teils sogar pornografische), über rein erfundene Statements der Politikerin bis hin zu Hohn und Häme wegen tatsächlicher Fehler wie etwa dem versäumten Melden von Nebeneinkünften bei der Bundestagsverwaltung. Nicht nur in sozialen Medien werden also alle Geschütze gegen Annalena Baerbock aufgefahren, sondern auch diverse Medien („Bild“ und „Focus“ tun sich da hervor) versuchen alles, um ein negatives Image der Kanzlerkandidatin zu erzeugen. Warum ist das so? Weil Baerbock mit ihrem Griff nach der Macht die „Todeszone“ der Politik betreten hat, wie es Joschka Fischer formulierte? Vielleicht besteht die Logik aber auch darin, dass viel Angst bei den Angreifern dahinter steckt, weil Baerbock und die Grünen eine nahezu perfekte Inszenierung ihrer selbst hingelegt haben. Sie haben jetzt nicht nur Inhalte zu bieten, sondern auch die Show dazu.

Das war ja früher bei den Grünen nicht so. In Rockerkluft oder Schlabberpullies lümmelten sie im Bundestag herum, gerne auch mal mit den runtergetretenen Turnschuhen (die damals noch nicht Sneaker hießen) auf den Tischen. Wer wüsste das besser als Joschka Fischer, der damals schon dabei war? Der Realo-Grüne verkörperte ja höchstpersönlich den Wandel – raus aus der schäbigen Lederjacke und rein in feine Anzüge, als Außenminister in der rot-grünen Regierung unter Gerhard Schröder. Und heute sagt er: Sollte Baerbock wirklich Kanzlerin werden, wäre dies „ein zukunftsorientiertes und extrem positives Signal für Veränderung“, so Fischer, denn es würde zeigen, „dass unser Land bereit ist für eine neue Generation“. Er fügte an, dass Annalena Baerbock „die Fähigkeiten habe“, um Kanzlerin zu sein. „Ich wäre äußerst glücklich, wenn das passieren sollte. Andererseits wäre das auch eine gewaltige Herausforderung“, so Fischer. Sprich: Todeszone, dünne Luft da oben und Gegenwind. Tja, das sieht man jetzt schon an diversen Fake-Meldungen über Baerbock, die in den „sozialen Netzwerken“ ihr Unwesen treiben. Da wird zum Beispiel behauptet, Baerbock wolle die Witwenrente ebenso wie auch Hunde und Katzen als Haustiere abschaffen. Das ist zwar völliger Blödsinn, aber folgt stets dem Narrativ, dass die Grünen als „Verbotspartei“ die Freiheit der Bürger einschränken und uns alle unters grüne Joch zwingen wollten. Na ja, erkennen kann man die Fälschungen leicht. Ein Beispiel: „Wir können alleine durch den Wegfall der Hunde in Deutschland ca. 19 Millionen Tonnen Kolenstoffdioxid einsparen. Das entspricht fast so viel CO2 wie man mit einem Auto bei 10000 Erdumrundungen feisetzen würde – fast 10% des Straßenverkehrs. Dazu kommen noch Katzen, Pferde und viele weitere Tiere. Die private Tierhaltung muss daher ein Ende haben und wenn es durch eine CO2 Steuer auf Haustiere erfolgt.“, sagt Annalena Baerbock (39).

Man sieht sofort: Baerbock ist nicht 39 Jahre alt, sondern 40. Und es fallen direkt mehrere Rechtschreibfehler auf – dem Wort „Kolenstoffdioxid“ fehlt ein „h“, bei dem Wort „feisetzen“ ein „r“. Ist ja klar, dass dies nie bei einem offiziellen Statement von Baerbock passiert wäre (auch weil da dann doch ein paar PR-Profis daran arbeiten). Nachfragen haben ergeben, dass dieses Zitat ganz einfach frei erfunden wurde. Es gibt zahlreiche solcher Fake-Zitate.

Etwas anderes ist es bei eigenen Fehlern von Baerbock wie etwa ihr Versäumnis, dem Bundestag Nebenverdienste zu melden. Doch auch da wird etwas arg aufgebauscht. Da ging es um rund 25.000 Euro, bezahlt von den Grünen, hauptsächlich Weihnachtsgeld. Blöd, wenn Baerbock da die Formalität nicht einhielt, diese Nebeneinkünfte dem Bundestag zu melden. Aber es ging nicht um Steuerhinterziehung, wie schnell und falsch behauptet wurde. Und vor allem hat Baerbock das Geld von der eigenen Partei bekommen und nicht von dritter Seite. Und genau darum geht es bei der Meldepflicht der Nebeneinkünfte: Man will wissen, ob Abgeordnete von dritter Seite „gekauft“ worden sind. Dies ist also bei Baerbock keineswegs der Fall. Völlig absurd war es auch,

Vom Shitstorm zum Albtraum

Seit Annalena Baerbock als Kanzlerkandidatin der Grünen nominiert wurde, ist sie massivem Gegenwind ausgesetzt. Experten warnen vor der Gefahr eines radikalisierten Wahlkampfs rund um das Thema Klimaschutz. Demokratische Parteien sollten sich daher im Ton zurückhalten. Von Michael Zäh

dieses Versäumnis mit den Maskendeals von CDU-Abgeordneten gleichzusetzen. Denn dort nutzten Abgeordnete ihre politischen Kontakte, um sich durch die Vermittlung der Mangelware „Maske“ persönlich mit Millionenbeträgen zu bereichern. Baerbock hat hingegen lediglich ein ihr völlig legal zustehendes Weihnachtsgeld aus ihrer eigenen Partei bekommen.

Ein weiterer Versuch, Kanzlerkandidatin Baerbock zu entzaubern, besteht darin, dass ein stetiges mediales Zündeln zwischen ihr und Robert Habeck inszeniert wird. Die beiden Parteivorsitzenden der Grünen sollen gegeneinander ausgespielt werden. „In manchen Dingen sind wir einfach sehr anders. Vom Hause her kommt er... Hühner, Schweine, Kühe melken. Ich komm eher vom Völkerrecht. Da kommen wir aus ganz anderen Welten im Zweifel. Und das passt gut“, so Baerbock in einem NDR-Portrait. Weshalb dann Habeck kurz darauf bei Maybrit Illner eine Revanche begangen haben soll, als er sagte: „Bei Kurzstreckenflügen geht es eher um ein Symbol, low hanging fruits [zu Deutsch: tief hängende Früchte]. Der klimawirksame Gewinn ist nicht so besonders hoch. Das muss man einfach zugeben. Es ist eher ein Beispiel dafür, was man alles machen kann, was niemandem wirklich weh tut.“ Daraus machten konservative Medien dann gleich, dass Baerbock den Habeck als „Bauerntrottel“ dargestellt habe und dieser umgekehrt die Baerbock der „seichten Symbolpolitik“ bezichtigt habe. Na ja, das Duo überzeugt aber durch ihr Zusammenstehen auch und gerade im Konflikt. Es war eine Stärke und keine Schwäche von Habeck, als er öffentlich kund tat, dass es ihm weh tat, Annalena Baerbock den Vortritt als Kanzlerkandidatin zu lassen. Und dass sich die Co-Vorsitzenden auch mal gegenseitig nerven, hatte Habeck schon dem NDR gesagt. „Aber die letzten Jahre zeigen ja, wie erfolgreich es ist, wenn man das nicht einfach abtut, sondern zulässt.“

Ähnlich verhält es sich mit Habecks Aussagen auf seiner Ukraine-Reise. Er hatte dort nach den Treffen mit sämtlichen Spitzen der ukrainischen Regierung dem Deutschlandfunk gesagt: „Waffen zur Selbstverteidigung kann man meiner Meinung nach der Ukraine schwer verwehren.“ Es hagelte dafür Kritik von allen Seiten, auch von Grünen. Annalena Baerbock wurde natürlich sofort mit der Aussage Habecks konfrontiert. Sie reagierte souverän. Sie bekräftigte bei „Maischberger“ die ablehnende Haltung ihrer Partei zu Waffenlieferungen in Kriegsgebiete: „Das steht auch in unserem Programm, und das sehen wir als Parteivorsitzende beide so“. Anstatt einer Spaltung nahm sie Habeck also gleich wieder mit ins Boot.

Wenn Altkanzler Gerhard Schröder sich dann mit der von ihm entdeckten „Entzauberung der Grünen“ (in einem Gastbeitrag bei t-online) hervor tut, wird Joschka Fischer wohl gegrinst haben. Denn Schröder sprach „von teils wenig hilfreichen, teils sogar gefährlichen Äußerungen des grünen Spitzenpersonals.“ Und weiter: „Der Co-Vorsitzende Robert Habeck äußerte sich zuletzt in leichtsinniger und verantwortungsloser Weise zu Waffenlieferungen an die Ukraine.“ Mag sein, aber warum fällt einem an dieser Stelle immer die (Männer-) Freundschaft von Schröder zu Putin ein? Und da wären ja auch noch Schröders Posten als Aufsichtsratsvorsitzender des russischen Energiekonzerns Rosneft und der Pipeline Nord Stream. Es klingt also schon unfreiwillig komisch, wenn Schröder der Baerbock vorhält, dass sie sich einen Corona-Bonus gewährt habe (wie ihn alle bei den Grünen bekamen). Vom Putin-Bonus wollen wir hier nicht reden, gell?

In der aufgeheizten Polit-Debatte drohen Albträume. Experten warnen vor der Gefahr eines radikalisierten, mit Verschwörungserzählungen aufgeladenen Wahlkampfs rund um das Thema Klimaschutz. Und hier tritt auch etwas zutage, was schon länger Sachverhalt ist: Angela Merkel ist ein Feindbild für die „Szene“. Und Annalena Baerbock könnte Merkel als Feindbild folgen. Zwei Frauen, so unterschiedlich sie sind, taugen als Ziel des Hasses. Das ist erbärmlich. Umso zurückhaltender sollte der Ton in diesem Wahlkampf unter den demokratischen Parteien sein. Von Joschka Fischer bis Annalena Baerbock herrscht grün.