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Mittwoch, 2. September 2015

Deutsche Ausgabe

Die monatlichen Beilagen erscheinen in verschiedenen Sprachen in führenden internationalen Tageszeitungen: The Daily Telegraph, Le Figaro, The New York Times.

Diese bezahlte Sonderveröffentlichung wird dem HANDELSBLATT beigelegt. Für den Inhalt ist ausschließlich die Redaktion von Russia Beyond the Headlines (Russland) verantwortlich. Die Handelsblatt-Redaktion ist bei der Erstellung der bezahlten Sonderveröffentlichung nicht beteiligt.

Sanktionen und Embargo: Ein Jahr im Streit

Aufkleber gegen Importkäse: Bei einer Aktion in einem Moskauer Supermarkt stempeln Mitglieder der Organisation „Iss Russisches“ mutmaßlich illegale Lebensmittel mit einem Aufkleber ab. Lesen Sie im Thema des Monats, wie Sanktionen und Import-Embargo die Gemüter in Russland erhitzen. Seiten 4-5

Quo vadis, russische Wirtschaft?

Ukraine: Investoren unerwünscht?

Im Interview erklärt der Chefvolkswirt der Deutschen Bank in Moskau, Jaroslaw Lissowolik, wie es um Russland derzeit steht, welche dringenden Reformen das

Russlands Unternehmen haben in der Ukraine derzeit nicht den besten Ruf. Außerdem machen ihnen Schikanen und die desolate Konjunkturlage zu schaffen. Einige wollen dennoch

Land benötigt und was in den kommenden Jahren das wichtigste Zugpferd für Russlands Wachstum sein wird. Seite 2

IHRE VERLÄSSLICHE QUELLE FÜR EINE BERICHTERSTATTUNG ÜBER RUSSLAND, WELTWEIT IN 16 SPRACHEN!* 83 % der Leser vertrauen RBTH als Quelle für Meinungen von Experten. 81 % sagen, dass RBTH Informationen und Analysen über die gewöhnliche Russland-Berichterstattung hinaus bietet. 77 % erachten die Online-Ausgaben von RBTH als relevant für jeden – nicht nur für Russlandinteressierte. *Laut einer Leserumfrage für alle RBTH-Produkte aus dem März 2015.

nicht aufgeben und investieren sogar in einem Land, das sich im Krieg mit seinem großen Nachbarn im Osten wähnt. Seite 12

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KOMMERSANT

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Ökonomie

RUSSIA BEYOND THE HEADLINES Eine Beilage des Rossijskaja Gaseta Verlags, Moskau de.rbth.com

INTERVIEW JAROSLAW LISSOWOLIK

Russlands Wachstum braucht Investitionen DER CHEFVOLKSWIRT DER DEUTSCHEN BANK IN RUSSLAND IM GESPRÄCH MIT RBTH ÜBER DEN ZUSTAND DER

Herr Lissowolik, wo steht die russische Wirtschaft momentan? Ich denke, dass das zweite Quartal des laufenden Jahres eine der schwierigsten Phasen in der aktuellen Krise gewesen ist. In der zweiten Jahreshälfte erwarten wir eine langsame Besserung der Situation. Das Minus dürfte geringer ausfallen als in den ersten sechs Monaten. Wir gehen davon aus, dass zum Jahresende das russische Bruttoinlandsprodukt um etwa drei Prozent schrumpfen wird. Aber für die Zukunft ist es unabdingbar, neue Wachstumstreiber zu finden. Diese lassen noch auf sich warten, ebenso wie eine Besserung der globalen Bedingungen für die russische Wirtschaft.

desto mehr verfestigen sich die Inflationserwartungen und desto schwieriger wird es, etwas dagegen zu unternehmen.

Derzeit erlebt der Rubel, nach seiner zwischenzeitlichen Erholung, eine neue Schwächephase. Woran liegt das? Der wichtigste Grund ist natürlich der sinkende Ölpreis. Zweiter wichtiger Faktor ist die Angst der Märkte vor einem Abflauen des chinesischen Wachstums, die momentan die Runde macht. Diese Befürchtung lässt verstärkt Kapital aus Schwellenländern abfließen, einschließlich aus Russland.

Was bedeutet ein schwächerer Rubel für ausländische Firmen? Für langfristig orientierte Investoren zählen solche Faktoren weniger. Bedeutender ist die allgemeine Wirtschaftspolitik, die auf eine Verbesserung des Investitionsklimas ausgerichtet ist. Diese sehe ich momentan noch nicht. Natürlich könnte Russland von günstigeren Produktionsbedingungen profitieren. Allerdings muss man wissen, dass es auch auf anderen Märkten spürbare Abwertungen gegeben hat. Zumal nicht nur die Produktivität, sondern auch die Kosten infolge höherer Inflation steigen. In Wirklichkeit wollen Investoren eine vergleichsweise stabile und harte Währung. Wenn der Rubel stark ist, kann die Produktion günstiger modernisiert werden, weil importierte Maschinen in diesem Falle billiger werden. Ich denke, dass die Diskussion um einen schwachen Rubel als Heilsbringer uns in die falsche Richtung führt. Wir sehen zumindest keine Zunahme an ausländischen Investitionen.

Was heißt das für die Wirtschaft des Landes? Die größte Gefahr stellt ein erneuter Anstieg der Inflation dar. Wir haben in letzter Zeit gesehen, dass der Wechselkurs des Rubels wegen teurer Importe der stärkste Einflussfaktor für die Inflation ist. Je länger die Rubelschwäche anhält,

Russlands Regierung postuliert eine Wende nach Asien. Wie sinnvoll ist das? Keine Frage, eine stärkere Zuwendung nach Asien birgt große Dividenden für Russland. Das Problem ist, dass Chinas Wirtschaft derzeit ebenfalls vor ernsthaften Problemen steht. Es ist sinnvoll, seine

Wirtschaftsbeziehungen nicht nur in Richtung China zu diversifizieren, sondern auch auf anderen Märkten wie Südkorea oder Südostasien. Welchen Einfluss hat die Abwertung der Währung Yuan auf Russland? Kurzfristig führt das zu einem Kapitalabfluss aus den Schwellenländern und setzt somit auch den Rubel unter Druck, wie ich eingangs erwähnt habe. Der Ölpreis könnte dadurch ebenfalls unter Druck geraten. Langfristig aber könnte ein Übergang zu einem offeneren System in China und einer Lockerung der Regulierung Vorteile für Russland und die Weltwirtschaft bringen. Wichtig ist jedoch, Fehler zu vermeiden. Wenn die Finanzmärkte und andere Länder sich zu einem Währungskrieg verleiten lassen, könnte das alle Vorteile zunichtemachen. China wertet seine Währung ab. Was muss Russland tun, um sein Wachstum anzukurbeln? Russland muss sich aktiv auf strukturelle Veränderungen und auf eine bessere Funktionsweise des öffentlichen Sektors konzentrieren. Dazu zählt auch eine strenge Kostenkontrolle auf allen staatlichen Ebenen, einschließlich Staatskonzerne. Dies wiederum würde mehr Raum für Investitionen in die Infrastruktur schaffen und insgesamt die Effizienz der Wirtschaft steigern. Ich bin mir sicher, dass Investitionen der wichtigste Motor des künftigen Wachstums in Russland sein werden.

ARTJOM KOROTAEW / TASS

RUSSISCHEN WIRTSCHAFT UND IHREN WEG AUS DER KRISE.

BIOGRAFIE ALTER: 42 BERUF: CHEFÖKONOM DER DEUTSCHEN BANK IN MOSKAU

Jaroslaw Lissowolik absolvierte ein Studium an der Diplomaten-Hochschule MGIMO in Moskau sowie ein Bachelor-Studium in Harvard. Seinen Master machte er an der London School of Economics. Er arbeitete zwischen 2001 und 2004 beim IWF, wechselte anschließend zur Deutschen Bank. Lissowolik ist heute als Chefökonom, Managing Director und Leiter der Analystenabteilung der Deutschen Bank in Russland tätig.

Unternehmen klagen, dass sie gern investieren würden, die Kredite jedoch wegen der hohen Leitzinsen zu teuer seien. Wir hören oft Forderungen nach günstigem Geld und niedrigen Zinsen. Gleichzeitig soll der Rubel wesentlich abgeschwächt werden, um die viel beschworene Importsubstitution zu ermöglichen. Diese Forderungen sind aber nicht miteinander vereinbar. Je schwächer der Rubel, desto größer ist die In-

flation und umso geringer sind die Möglichkeiten für weitere Zinssenkungen durch die Zentralbank. Man muss hier schon konsequent sein. Der Rubel ist schwach, also sind die Kreditzinsen hoch. Daher muss man sich auf die Bekämpfung der Inflation konzentrieren. Dies wird nach und nach erlauben, den Leitzins zu senken. Die Politik der Zentralbank ist absolut gerechtfertigt. Was halten Sie vom Krisenmanagement der Regierung? Die Situation verändert sich schnell. Wir befinden uns faktisch in einer Zeit, in der alle globalen Zentren, seien es die USA mit ihrer möglichen Leitzinssteigerung, Europa mit seiner Schuldenkrise und China mit seinem schwächeren Wachstum, Probleme für Länder wie Russland generieren. Zumindest hat man übermäßige Einbrüche beim Wechselkurs des Rubels vermeiden können. Das lässt Raum für künftige Leitzinssenkungen, was wiederum Investitionen erleichtern könnte. Dank diesen Anstrengungen steht der russischen Wirtschaft eine langsame, doch stetige Besserung bevor. Das Gespräch führte Michail Bolotin.


Energie

RUSSIA BEYOND THE HEADLINES Eine Beilage des Rossijskaja Gaseta Verlags, Moskau

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Konkurrenz unter den russischen Energiekonzernen verschärft sich

Gazprom muss sich neu erfinden Die Zahlen bei Gazprom sind so schlecht wie schon lange nicht mehr. Experten sehen ein systematisches Problem beim Staatskonzern und mahnen zu grundlegenden Reformen. ALEXEJ LOSSAN RBTH

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REUTERS

Es ist noch nicht so lange her, dass Gazprom Russlands Vorzeigeunternehmen und wichtigster Geldbringer gewesen ist. Seit die Energiepreise im Sturzflug sind, hat sich die Lage jedoch dramatisch geändert. Der russische Gasmonopolist hat im ersten Halbjahr 2015 das schlechteste Ergebnis seiner Geschichte eingefahren: Die Förderung ist um 13,1 Prozent auf 209 Milliarden Kubikmeter und der Gasexport um 12,9 Prozent auf 88,5 Milliarden Kubikmeter zurückgegangen. Soweit das Fazit im Monitoring-Bericht des russischen Ministeriums für Wirtschaftsentwicklung. Das Ministerium schätzt, dass die Erdgasförderung der GazpromGruppe bis Ende des Jahres um 7,2 Prozent auf insgesamt 414 Milliarden Kubikmeter Erdgas schrumpfen wird, was der niedrigste Wert in der gesamten Geschichte des Unternehmens wäre. Dabei kann

Die Zentrale von Gazprom, Russlands wichtigster Firmensitz.

der Konzern nicht mehr Erdgas verkaufen, weil der Verbrauch auf den größten Absatzmärkten bereits zurückgegangen ist.

Die Wurzel des Übels heißt Missmanagement Nach Meinung russischer Experten sind die negativen Ergebnisse mit einer Fehlstrategie des Unternehmens zu erklären. „Das Top-Management von Gazprom macht systemrelevante Fehler bei der Einschätzung des Gasver-

brauchermarkts in der Europäischen Union und in der Pazifikregion“, sagt Wassili Jakimkin, Dozent an der Fakultät Finanzen und Bankwesen an der Russischen Akademie für Volkswirtschaft und Staatsdienst beim Präsidenten Russlands (RANCHiGS) in Moskau, einer der Regierung nahestehenden Wirtschaftshochschule. Freilich konnten nicht alle Faktoren, wie etwa der Einfluss der Ukraine-Krise, vorhergesehen

werden. Einige Experten glauben auch, dass die Situation sich zum Jahresende noch verbessern könnte. Dmitri Baranow, leitender Ökonom von Finam Management, hebt hervor, dass diese Kennzahlen lediglich für das erste Halbjahr 2015 gelten und im zweiten Halbjahr ganz anders aussehen könnten. Der Analyst Ilja Balakirew von der Investmentgesellschaft UFS räumt ein, dass die Planung des Konzerns bei vielen Großprojekten auf Jahrzehnte ausgelegt sei und ein vorübergehender lokaler Einbruch der Nachfrage noch nichts zu sagen habe. Unter anderem hofft Gazprom auf einen steigenden Bedarf in Europa, und das nicht ohne Grund: Die Nachfrage ist im ersten Halbjahr 2015 erstmals seit zwei Jahren wieder gestiegen. Nach Eurostat-Angaben hat der Gasverbrauch in der EU, der zuvor sieben Quartale in Folge rückläufig war, umgerechnet auf das Jahr, um zwölf Prozent zugelegt.

Gazprom hat zwei Optionen Wassili Jakimkin zufolge könnten eine strenge Sparpolitik und eine Vermögenskonsolidierung einen Ausweg aus der derzeitigen Situation bieten. Er rät, die Flüssigerdgas-Sparte auszubauen und die asi-

atischen Märkte zu erschließen, weil der europäische Markt für Gazprom permanent schrumpfe. „Mittel- und langfristig gesehen hat der Konzern zwei Möglichkeiten: Entweder ändert er seine Unternehmensstrategie grundlegend, oder er erschließt sich neue Absatzmärkte, indem er großangelegte Projekte für den Pipelinebau und die Erdgasverarbeitung initiiert“, findet auch Ilja Balakirew. Letzteres tut Gazprom bereits. Zu den neuen Projekten zählt die aus Russland nach China führende Gaspipeline „Power of Siberia“. In Zukunft wird Gazprom nach Meinung von Wassili Jakimkin jedoch höchstwahrscheinlich seine Monopolstellung bei Erdgasexporten einbüßen. Nach Schätzungen des Wirtschaftsministeriums wird die Erdgasförderung von Gazprom in Russland zum Ende des Jahres nur noch 66 Prozent der Gesamtproduktion des Landes ausmachen. 2012 lag dieser Wert noch bei 74,5 Prozent. Ein Mitbewerber von Gazprom, der ebenfalls staatliche Ölkonzern Rosneft, hat bereits vorgeschlagen, die Erdgasexporte vollständig zu liberalisieren und das Gastransportsystem aus dem Monopol auszugliedern. Aus dem offiziellen Schreiben der Unternehmensleitung an das Ministerium für Energiewirtschaft geht hervor, dass Rosneft anregt, bereits 2016 unabhängigen Produzenten Gasexporte zu genehmigen.


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Thema des Monats

RUSSIA BEYOND THE HEADLINES Eine Beilage des Rossijskaja Gaseta Verlags, Moskau de.rbth.com SERGEJ MEDWEDEW / TASS

IMPORTSUBSTITUTION LAUTET RUSSLANDS NEUSTES ZAUBERWORT. ALLES SOLL MÖGLICHST VON HEIMISCHEN HERSTELLERN KOMMEN. DOCH SO EINFACH IST ES NICHT.

Verbotenes Lebensmittel: Eine Mitarbeiterin der russischen Landwirtschaftsaufsichtsbehörde entsorgt illegal importierten Käse auf einer Mülldeponie in der Oblast Orenburg.

RUSSLAND HAT APPETIT AUF KÄSE UND KAPITAL Der dramatische Importrückgang bei Lebensmitteln und Industriewaren hat den Marktanteil russischer Unternehmen in vielen Bereichen vergrößert. Doch die Produktion sinkt. KSENIJA ILJINSKAJA FÜR RBTH

Die Einführung der Sanktionen gegen russische Konzerne und Banken einerseits und Russlands selbst auferlegtes LebensmittelEmbargo andererseits haben ein neues Wort in den russischen Sprachgebrauch eingeführt: Importsubstitution. Einfach gesagt sollten von August 2014 an einheimische Produkte Importe ersetzen. Die Regierung entwarf Pläne, startete Programme und regierungsnahe Experten entwarfen glänzende Perspektiven für Russlands Unternehmer. Doch ein Jahr später fällt die Bilanz dieser Bemühungen zwiespältig aus. Am schnellsten und spürbarsten wurde die Substitution in der Lebensmittelbranche umgesetzt – der Import von Lebensmitteln nach Russland sank 2015 gegenüber dem Vorjahr um 40 Prozent, von 37 Milliarden auf 22,5 Milliarden Euro. Doch längst nicht in allen Warengruppen wurde der Importrückgang durch den Produktionsanstieg kompensiert, welcher im ersten Halbjahr 2015 bei Lebensmitteln nur 2,9 Prozent betrug. Der Import von Fleisch und Fleischerzeugnissen sank gegenüber dem ersten Quartal 2014 um 54 Pro-

zent auf 175 Millionen Euro, wobei die Binnenproduktion um etwa 13 Prozent anstieg. Insgesamt konnte der Marktbedarf durch einheimische Produkte nahezu gedeckt werden (bei Fleischwaren betrug deren Anteil 97 Prozent). Allerdings ist der Importrückgang vielmehr auf die Rubelentwertung zurückzuführen – vom Importverbot für Rindfleisch waren nur vier Prozent der Lieferungen betroffen, wie Sergej Juschin, Chef des Nationalen Fleischverbands, bestätigt.

Ohne Milch kein Käse Besonders deutlich war der Einschnitt an der Käsetheke spürbar. Zwischen Juli 2014 und Juli 2015 ging der Import um fast 90 Prozent auf 41 000 Tonnen zurück, während die einheimische Produktion zur gleichen Zeit nur um 22,6 Prozent anstieg. Doch neben dem nötigen Know-how mangelt es russischen Herstellern oft auch am Rohstoff wie zum Beispiel Milch mit hohem Fettanteil. Für die Käseproduktion werden rund 300 000 Tonnen Milch pro Jahr benötigt, doch der Anstieg der Milchproduktion konnte noch nicht einmal drei Prozent des 75prozentigen Importrückgangs wettmachen. Zudem stehen die russischen Erzeuger im Wettbewerb mit Belarus, dessen Hersteller sich beeilen, die vakante Nische europäischer Hersteller zu belegen. Der weißrussische Anteil am Import von Milchprodukten

nach Russland hat sich beinahe verdoppelt (auf 86 Prozent). In den meisten Fällen hat das Embargo allerdings zu einem geringeren Wettbewerb auf dem Binnenmarkt geführt. Zusammen mit dem Rubelverfall sorgte das für einen drastischen Preisanstieg von mehr als 20 Prozent für die meisten Lebensmittel. Auch die Qualität leidet, wie Experten des Analysezentrums der russischen Regierung warnen. Andrej Jakowlew, Generaldirektor der Stolytschnaja torgowaja kompanija, der unter anderem die Lebensmittelkette Globus Gourmet angehört, erklärt, dass Käse und Fleischdelikatessen aus der Europäischen Union

sowie einige Joghurtsorten faktisch durch nichts ersetzt werden können. „Selbst unsere Mozzarella-Produzenten, von denen wir genügend haben, kommen nicht ganz an italienische Qualität heran“, bekennt Jakowlew.

Der Industrie fehlt es an Investitionen Nicht weniger gravierend war der Importrückgang von Industrieerzeugnissen. Kaum eine Branche konnte das alte Niveau im Außenhandel halten. So ist der Import von Investitionsgütern binnen eines Jahres um 50 Prozent zurückgegangen, bei Konsumgütern um 34 Prozent. Anders als bei Lebensmitteln war hier zur gleichen Zeit auch die Industrieproduktion rückläufig und verzeichnete ein Minus von 2,7 Prozent im ersten Halbjahr. Ein Blick auf die Branchen zeigt, dass der Import in den vergangenen zwei Jahren fast überall um drei bis sechs Prozent zurückging, in der Autoindustrie um acht Prozent und im Eisenbahnmaschinenbau sogar um 16 Prozent. Die Abhängigkeit der Lebensmittelindustrie von Maschinenimporten stieg gleichzeitig von 81 auf 94 Prozent, in der Leichtindustrie

Überblick: Gegenseitige Sanktionen Im Juli 2014 führte die Europäische Union erstmals Sanktionen gegen russische Firmen ein, darunter ein Lieferembargo für Waffen und Waffenimporte aus Russland sowie Dual-UseGüter und Hightech im Bereich der Ölförderung. Im September wurde die Vergabe von Krediten mit einer Laufzeit von mehr als 30 Tagen für drei Erdölfirmen (Rosneft, Transneft, Gazprom Neft), drei der größten Rüstungsfirmen (Uralwagonsawod, Oboronprom, OAK) und diverse Banken (Sberbank, WTB, Gazprombank, WEB, Rosselchosbank) verboten. Ähnliche Limits führten auch die USA ein. Unter anderem wurde die Lieferung von

Fördertechnik für das arktische Schelf untersagt. Zudem fand die Kooperation mit den Unternehmen Rostech, Roskosmos und Rosatom ein jähes Ende. Auch Kanada, die Schweiz, Japan, Australien und Neuseeland unterstützten diese Sanktionen. Russland antwortete mit Importbeschränkungen für Lebensmittel aus diesen Ländern sowie für Waren aus der EU und den USA. Das Verbot betraf Fleisch, Fleisch- und Milchprodukte, Fisch, Gemüse, Früchte und Nüsse. Im Juni 2015 wurde die Liste um Forellen-, Austern- und Miesmuschelbrut sowie Käse und Käseersatz mit mehr als 1,5 Prozent Milchfett erweitert.

stieg sie von 85 auf 88 Prozent. Im Maschinenbau ist die Situation dagegen unausgewogen. Die Autoindustrie hatte ihre Lokalisierung bereits vor der Krise erhöht, aber infolge der nachlassenden Nachfrage – die Zulassungen gingen um 35 Prozent zurück – sank das Interesse an Investitionen in diese Branche. Hersteller von Agrartechnik profitierten vom Rubelverfall, Elektrogerätehersteller hingegen haben kaum eine Chance gegenüber den Weltmarktführern. Auch bei Werkzeugmaschinen liegt der Importanteil nach wie vor bei über 90 Prozent. „Es profitieren Hersteller, die nicht nur Montage betreiben. Denn der Import von Teilen hat sich ebenfalls verteuert“, erklärt Sergej Nedorosljew, Vorstandsmitglied des Maschinenbauerverbands Russlands. Die Ursache liegt im Anlagenbau, der in den Neunzigern infolge mangelnder Nachfrage einen Einbruch erlebte. Damals hätten Hersteller nicht investiert. „Als die Industrie vor zehn Jahren begann, sich zu modernisieren, war der Markt von Importeuren besetzt – die russischen Maschinenbauer kamen nicht zum Zug.“ Inzwischen sei der Ausbau der Industrie Chefsache, bemerkt Nedorosljew. Doch das größte Problem für russische Produzenten sind bezahlbare Kredite: Für Unternehmen mit langem Fertigungszyklus sind Darlehen mit ihren gegenwärtigen 20 Prozent kaum erschwinglich. Wegen des schrumpfenden Marktes und des Rubelverfalls lässt sich der Erfolg der Importsubstitution nicht eindeutig benennen. In vielen Branchen steige der Marktanteil russischer Produkte nur wegen des Importrückgangs, nicht aber dank des Wachstums im Inland, besserer Produkte oder einer größeren Lokalisierung, sagt Wladimir Salnikow, Chef der Abteilung Realwirtschaft des Zentrums für makroökonomische Analyse und kurzfristige Prognosen. „Die Importsubstitution ist eher eine Pseudo-Substitution“, meint er.


Thema des Monats

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Embargo Der Kreml lässt verbotene Lebensmittel vernichten

Ungarische Gans vs. russischer Bulldozer Mit der Vernichtung von Lebensmitteln sorgten Russlands Behörden weltweit für Diskussionen. Es zeigt, dass das eigene Import-Embargo nur schwer umsetzbar ist. ALEXEJ LOSSAN

Kaum ein Erlass von Russlands Präsident Wladimir Putin sorgte in den vergangenen Monaten für derart viel Aufregung. Kaum war die Unterschrift unter dem Beschluss getrocknet, rollten schon die Bulldozer über importierte Gänseköpfe und Käselaiber hinweg. Während sich die Mitarbeiter von Veterinärbehörden mit Razzien auf der Suche nach sogenannten Sapreschjonka, unerlaubten Lebensmittelimporten, machten, ging ein Aufschrei durch das russische Internet, schließlich wurden da technisch gesehen einwandfreie Lebensmittel entsorgt. Doch der Staat kennt kein Erbarmen. Anfang August dieses Jahres hatte Moskau auf die Verlängerung von Sanktionen der Europäischen Union mit einer Verschärfung des eigenen Embargos reagiert. Sanktionierte, an der Landesgrenze beschlagnahmte Lebensmittel, vorrangig aus der EU, sollen vernichtet werden. So will man illegale Lebensmittelimporte aus den mit dem Embargo verhängten Ländern bekämpfen. Die Liste der Länder, deren Exporte das Verbot trifft, wurde zugleich um Albanien, Montenegro, Island, Liechtenstein und die Ukraine erweitert. Davon unberührt bleiben Lebensmitteleinfuhren von Privatpersonen für den Eigenverbrauch. Für die Vernichtung von ganzen Lkw-Ladungen scheint jedes Mittel recht, solange die Umweltschutzbestimmungen eingehalten werden. Gesucht werden sanktionierte Lebensmittel von russischen Behörden nicht nur an der Grenze, sondern landesweit, auch

GAIA RUSSO

KOMMERSANT

RBTH

Illegale Lebensmittelimporte aus Polen sollen vernichtet werden.

Gesellschaftliche Resonanz ZAHLEN

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Tonnen sanktionierte Waren wurden am ersten Tag nach der Verabschiedung von Putins Erlass an der russischen Grenze vernichtet.

in den Lagern und Regalen der Supermärkte und Einzelhändler. Nach Angaben der russischen Zollbehörde wurden im ersten Halbjahr 2015 von den zuständigen Behörden insgesamt 552 Tonnen verbotener Lebensmittel konfisziert. Der russische Vize-Premier Arkadij Dworkowitsch betonte, innerhalb der letzten Monate seien von offizieller Seite 700 bis 800 Verletzungen des LebensmittelEmbargos festgestellt worden. Er gab an, in den Läden seien 44,8 Tonnen sanktionierter Waren beschlagnahmt worden. Mit der Vernichtung wurde sogleich nach Inkrafttreten des Erlasses am 6. August begonnen. Als Erstes traf es eine Warenlieferung an der russisch-ukrainischen Grenze, die zehn Tonnen Käse unbekannter Herkunft umfasste. Wenig später wurden an der westlichen Grenze Russlands, in der Region Pskow, in einem Kühlfahrzeug 1,5 Tonnen illegaler Tomaten entdeckt. Wie ein Sprecher der Landwirtschaftsaufsichtsbehörde erläutert, würden Lebensmittel gewöhnlich verbrannt. Einige Waren würden auch auf Deponien für feste Abfälle transportiert und mittels schwerer Technik zerdrückt. Das Embargo könne jedoch unmöglich vollständig umgesetzt werden, bemerkt der leitende Analyst der Investmentgesellschaft UFS, Timur Nigmatullin. „Das liegt an den Besonderheiten der supranationalen Gesetzgebung und der Zollbestimmungen im Rahmen der Eurasischen Union“, erklärt er. So verhängte Belarus keinerlei Sanktionen gegen die EU – Grenzkontrollen zwischen Weißrussland und Russland aber gibt es nicht.

Die meisten Russen haben für die Vernichtung von Lebensmitteln kein Verständnis. Laut Umfragen des Lewada-Zentrums sprechen sich 48 Prozent der Russen dagegen aus, nur 40 Prozent befürworten die Entscheidung. 41 Prozent schlugen vor, die Lebensmittel an Waisenhäuser, Obdachlosenunterkünfte, Krankenhäuser oder an Bedürftige – Rentner, Menschen mit Behinderungen oder kinderreiche Familien – zu verteilen. 27 Prozent der Befragten würden illegale Lebensmittel an Wohltätigkeitsorganisationen weitergeben. Weitere 24 respektive zwölf Prozent sprachen sich dafür aus, die beschlagnahmten Lebensmittel in den Donbass oder den Hungernden in Afrika zu schicken. Der Unmut der Bevölkerung war kaum zu ignorieren. 250 000 Menschen unterzeichneten eine Petition für die Aufhebung des Erlasses. In der sibirischen Hauptstadt Nowosibirsk fanden Proteste der Oppositionspartei Jabloko gegen die Maßnahmen statt. Und die gemeinnützige Gesellschaft zum Schutz der Verbraucherrechte reichte sogar Klage gegen den Regierungsbeschluss beim Obersten Gerichtshof Russlands ein. Verbotenes Essen an Bedürftige zu verteilen sei jedoch unzulässig, erwiderte der Chef der Landwirtschaftsaufsichtsbehörde, Sergej Dankwert, in einem Interview mit der Online-Zeitung „Gazeta.ru“ beharrlich. Denn auf diese Weise werde die Korruption nicht gefördert. Dem Vorwurf der Verschwendung entgegnete er: „Weltweit funktioniert das System so: Handelt es sich um Lebensmittel mit gefälschten Papieren und ihre Herkunft ist unbekannt, müssen sie vernichtet werden.“ Ein wenig Menschlichkeit zeigte die russische Führung denn doch noch. So begründete Putins Pressesprecher Dmitrij Peskow die Maßnahme mit der Sorge um die Gesundheit der russischen Bürger: „Hier geht es um Schmuggelware ohne Zertifikate. Niemand kann garantieren, dass diese Lebensmittel – auch wenn sie vielleicht appetitlich aussehen – für die Gesundheit unbedenklich sind.“


Unternehmen und Märkte

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Exporte könnten zum Zugpferd für Investitionen in Russland werden

Trotz Krise: Der Rubel rollt aus dem Ausland

REUTERS

Die Binnennachfrage in Russland geht zurück. Dennoch weiten internationale Hersteller von Haushaltsgeräten ihre Produktion im Land aus. In der Krise setzen sie auf Exporte. RBTH

Konsum, so lautete seit Jahren das Zauberwort für Russlands Wirtschaftsaufschwung. Die unersättlich scheinende Nachfrage der Russen machte viele westliche Investoren reich. Doch seit in Russland die Krise wütet, müssen diese umdenken. Längst nicht überall herrscht deswegen schlechte Stimmung. Hersteller von Haushaltsgeräten etwa nutzen die Krise und weiten ihre Produktion aus. Die Expansion zielt diesmal aber nicht auf konsumfreudige Russen, sondern vor allem auf Kunden im Ausland. Der schwache Rubel macht es möglich. Das Unternehmen BSH, eine Tochter des Bosch-Konzerns, welches in Russland Kühlschränke und Waschmaschinen der Marken Bosch und Siemens herstellt, peilt im laufenden Jahr eine Verdopplung des Exports von Waschmaschinen aus Russland an, auf insgesamt 100 000 Stück. Die Geräte sind nicht nur für Länder der Eurasischen Wirtschaftsunion bestimmt, sondern auch für EU-Mitglieder wie Deutschland, Frankreich oder Italien. Zum Ende des Jahres soll das Investitionsvolumen des Geräteherstellers in die russische Wirts c h a f t 160 M i l l ione n E u r o erreichen.

Wie Hakan Mandaly, Hauptgeschäftsführer der Produktion bei BSH, gegenüber RBTH erklärt, werde vor allem in den Ausbau des Produktions- und Logistikkomplexes im kleinen Ort Strelna nahe Sankt Petersburg investiert. Dort betreibt das Unternehmen zwei Werke, je eins für Kühlschränke und Waschmaschinen. Wachstumsmotor sind die Kühlschränke. Waren es im vergangenen Jahr 100 verschiedene Modelle, wird die Produktionspalette in diesem Jahr auf 145 Versionen erweitert. Bis zu 50 Prozent betrage der Lokalisierungsanteil des Geräteherstellers. Teils stelle das Unternehmen Komponenten selbst her, teils werde das Zulieferernetz innerhalb der Eurasischen Union engmaschiger, sagt Mandaly. „Russland ist und bleibt einer unserer wichtigsten Märkte. Zudem hat die Abwertung des Rubels im zweiten Halbjahr dieses Jahres unsere Exportaussichten verbessert, und wir versuchen, das neue Potenzial in vollem Umfang auszuschöpfen“, erklärt Hakan Mandaly. Das Werk bei Sankt Petersburg gründete Bosch 2007. Damals be-

RUSLAN SCHAMUKOW / TASS

ALEXEJ LOSSAN

Worin wird investiert?

Die Geräte aus russischer Produktion sind nicht mehr nur für den heimischen Markt bestimmt, sondern auch für Deutschland oder Italien.

PROFIL

BSH • Standort: Sankt Petersburg • stellt seit 2007 Waschmaschinen und Kühlschränke her • beschäftigt 900 Mitarbeiter

trug das jährliche Produktionsvolumen 250 000 Kühlschränke. Das angrenzende Werk für Waschmaschinen nahm 2012 die Produktion auf. Heute stellen beide Werke jährlich 500 000 Kühlschränke und 450 000 Waschmaschinen her. Geplant ist eine Gesamtkapazität von jährlich eine Million Stück.

Gemeinsame Wege

Die Produktion von Kühlschränken und Waschmaschinen bei BSH soll auf 1 000 000 Geräte jährlich steigen.

ZAHLEN

900

75

Millionen

Prozent

85 Prozent

Euro planen deutsche Firmen laut einer AHKUmfrage in Russland zu investieren.

sehen Russland unter den Top Ten der Zielmärkte — 25 Prozent gar auf Platz eins.

beurteilen die Wirtschaftsentwicklung in Russland als negativ oder leicht negativ.

Andere Unternehmen gehen ähnliche Wege wie BSH. Auch der italienische Konzern Candy exportiert seit diesem Frühjahr seine Haushaltsgeräte aus russischer Produktion (aus dem Werk in Kirow, 950 Kilometer östlich von Moskau). Unternehmenspläne sehen vor, den Anteil der in Russland hergestellten Kühlschränke und Waschmaschinen an der Gesamtproduktion bis zum Herbst dieses Jahres zu verdoppeln. „Der Anteil komplexer elektronischer Komponenten an der Herstellung ist vergleichsweise gering, die Produktionsprozesse sind relativ einfach. Daher kann die Herstellung

von Haushaltsgeräten recht leicht lokalisiert werden“, erläutert Timur Nigmatullin, Analyst bei der Investmentgesellschaft Finam. Auf eine Anfrage von RBTH gab der italienische Konzern an, dass Waschmaschinen der Marken Candy und Hoover aus russischer Herstellung nun auch die Nachfrage in Europa, Neuseeland, Australien und Japan bedienten. Rund ein Drittel der in Russland hergestellten Waschmaschinen soll exportiert werden. Zudem plant das Unternehmen, Teile seiner tschechischen Kühlschrankproduktion nach Russland zu verlagern. Im laufenden Jahr wird das Unternehmen 300 000 Waschmaschinen in Russland herstellen: ein Zuwachs von 50 Prozent. Die jährliche Kühlschrankproduktion soll um ein Drittel auf 60 000 Stück ansteigen. Im vergangenen Jahr betrug der weltweite Jahresumsatz des Unternehmens eine Milliarde Euro. Hatte Russland mit sechs Prozent dazu beigetragen, geht das Unternehmen für 2015 von sieben Prozent aus.

Mangelnde Binnennachfrage Marktakteuren zufolge ist der wachsende Export auf die sinkende Inlandsnachfrage zurückzuführen. So fiel der Jahresumsatz des Bosch-Konzerns in Russland 2014 nach Angaben des Unternehmens mit 652 Millionen Euro im Vergleich zum Vorjahr um acht Prozent niedriger aus. Allein die russische Kühlschrank-Sparte musste verglichen mit 2013 einen Absatzrückgang von bis zu einem Viertel hinnehmen. Das Unternehmen rechnet mit weiteren Rückgängen der Binnennachfrage in Russland und erwartet für 2015 schwächere Absatzzahlen als im Vorjahr. „Der russische Markt weist einen beständigen Bedarf an Langzeitgütern auf und bleibt daher hinreichend groß. Finanziell betrachtet schrumpfte die Nachfrage jedoch erheblich“, kommentiert Ilja Balakirew, Analyst bei UFS IC. Durch die Lokalisierung würden die Produktionskosten aufgrund niedrigerer Lohnkosten und teilweise günstigerer Komponenten sinken. „Dadurch können Unternehmen im Inland als auch auf den Auslandsmärkten konkurrenzfähigere Produkte anbieten“, erklärt Balakirew. Laut dem Branchenverband für Haushalts- und Computertechnik werden rund 95 Prozent der auf dem russischen Markt verkauften Waschmaschinen, 92 Prozent der Fernseher und 80 Prozent der Kühlschränke in Russland hergestellt. So sieht sich BSH selbst als heimischen Produzenten, wie Hasan Mandaly darlegt: 900 Menschen arbeiteten in den russischen Werken, nur ein Prozent von ihnen seien Expats. „Wir treiben die Lokalisierung der Produktion voran“, betont er. Doch ihm mangelt es an Wertschätzung: „Die Lokalisierung bedarf einer größeren staatlichen Unterstützung“, fordert er.

SIEMENS: GLÜHBIRNEN FÜR DEN ZAREN

RUSSISCHES BANKWESEN AUS DEUTSCHER FEDER

D E . R BT H .CO M / 3 3 879

D E . R BT H .CO M / 3 3 9 8 3


Arbeitsmarkt

RUSSIA BEYOND THE HEADLINES Eine Beilage des Rossijskaja Gaseta Verlags, Moskau

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Die Aufstiegschancen für ausländische Top-Manager und qualifizierte Kräfte schrumpfen

Ehemalige Goldgrube für Expats versiegt zusehends lassen“, erklärt die Expertin. Hinzu komme, dass einige vor dem Hintergrund der Sanktionen keine Geschäfte mehr auf der Halbinsel Krim führen könnten, die vor anderthalb Jahren an Russland angegliedert wurde.

MICHAIL BOLOTIN FÜR RBTH

Wirtschaftlich unattraktiv

Es soll eine Eilmeldung im Juli 2014 gewesen sein, die Matthias Wintzer endgültig die Augen öffnete. Der Absturz der malaysischen Boeing MH 17 über dem Osten der Ukraine, ist er überzeugt, habe letzten Endes Russland zu verantworten. Dabei hat Wintzer, ein Experte für Luxuswaren, schon einiges erlebt in der russischen Hauptstadt. „Als ich 2003 hier ankam, um den Vertrieb für eine große europäische Luxusmarke aufzubauen, flogen wenig später Kugeln durch die gläserne Bürowand meines Chefs“, erinnert er sich. Einschüchterungsversuche solcher Art kämen heute zwar nicht mehr vor; in geschäftlicher Hinsicht habe sich Russland mittlerweile europäisiert. Doch politisch gesehen laufe es in die falsche Richtung. Die Sanktionen gegen Moskau findet Wintzer berechtigt. Vergangenen April packte er schließlich seine Koffer und verließ Russland Richtung Spanien. Matthias Wintzer ist kein Einzelfall. In den vergangenen Monaten und Jahren kehrten Tausende Expats Russland den Rücken. „Politische Gründe spielen sicherlich auch eine Rolle“, meint Galina Melnikowa, Generaldirektorin für Russland und die GUS-Staaten beim Personaldienstleister Manpower. „Einige ausländische Fachkräfte möchten nicht mehr bleiben. Andere hingegen werden von ihren Arbeitgebern nicht mehr in ernst zu nehmende Positionen ge-

Doch politische Gründe sind nicht unbedingt das wichtigste Kriterium. Meist sind es wirtschaftliche Umstände. Übereinstimmend berichten die russischen Headhunting-Gesellschaften über eine Zunahme von Bewerbungen seitens ausländischer Fachkräfte, die ihre Stellen in Russland verloren haben. „Seit November vergangenen Jahres hat die Anzahl der Bewerbungen um zehn bis 15 Prozent zugenommen. Der Höhepunkt war im Frühjahr zu verzeichnen. Danach haben viele ausländische Fachkräfte Russland verlassen“, berichtete Juri Dorfman, Partner der Personalgesellschaft Cornerstone, der Wirtschaftszeitung „RBK“. Auch bei Wintzer spielten wirtschaftliche Gründe eine wichtige Rolle. Er wagte den Sprung in die Selbstständigkeit. „Ich gründete ein Unternehmen im Bereich TCommerce. Es sollte ermöglichen, mithilfe von Smart-TV und Mobile App Waren, die im Fernsehen auftauchen, direkt in den virtuellen Warenkorb zu verfrachten“, erzählt der Gründer. Er war überzeugt, das sei der große Hit, und auch russische Investoren sprangen an, allen voran die InvestmentSparte der staatlichen Sberbank. Doch die vertraglich zugesprochenen Investitionen flossen nicht. Der Sberbank fehle das Geld, mutmaßt Wintzer. Sein Start-up musste er erst einmal auf Eis legen. Dabei ist es gar nicht so lange her, da galt Moskau als echtes Eldora-

Arbeitsmarkt im Winterschlaf GETTY IMAGES

Wegen der Krise in Russland finden ausländische Fachkräfte derzeit kaum Jobs in Russland. Dabei war es einst der lukrativste Arbeitsmarkt für Expats. Diese Zeiten sind vorerst vorbei.

FRAGE & ANTWORT

ZAHLEN

27 000 Aufenthaltsgenehmigungen für hoch qualifizierte Ausländer wurden im ersten Halbjahr 2015 ausgestellt — halb so viele wie im Vorjahr.

do für ausländische Fachkräfte. Im Jahr 2009 bewertete die britische Bank HSBC in einer Studie Moskau als lukrativsten Standort für Top-Manager. Fast die Hälfte der damals befragten Fachkräfte gab als jährliches Gehalt über 200 000 US-Dollar an. In der aktuellen Studie von 2014 landet Russland bei der wirtschaftlichen Attraktivität nur noch auf Platz 19. Da hilft es nicht, dass es in puncto Sozialleben und Knüpfen von Kontakten noch immer Platz eins erreicht. Besonders schlecht schneidet Russland bei Lebensmitteln und der Lebensqualität für Familien mit Kindern ab.

Historischer Tiefpunkt Tatsächlich waren 2008 und 2009 nicht nur die Jahre, in denen Russland die meisten Expats anlockte, sondern zugleich der Beginn eines Umbruchs. Laut einer Untersuchung der Moskauer Higher School of Economics arbeiteten zu Spitzenzeiten etwa 300 000 Spezialis-

ten aus den USA und der Europäischen Union in Russland. Das Vorkrisenniveau ist jedoch seither nie wieder erreicht worden. Stattdessen sanken die Zahlen rapide. „Bis 2011 hatten bereits etwa zwei Drittel aller Expats Russland verlassen“, sagen die Forscher. Dieser Trend habe sich auch nach der wirtschaftlichen Erholung zu Beginn des Jahrzehnts nicht umgekehrt. Insgesamt, so schätzen Experten, sind derzeit etwa 100 000 Fachkräfte aus Ländern, die nicht Teil der Sowjetunion gewesen sind, in Russland beschäftigt. Ein historisch niedriger Wert. Etwa 40 000 davon haben eine leitende Position inne. Vielfach würden Verträge ausländischer Mitarbeiter schlicht nicht verlängert. Als günstigeren Ersatz heuern die Arbeitgeber russische Spezialisten an. Experten gehen davon aus, dass ein Expat Unternehmen im Schnitt mehr als das Doppelte kostet, verglichen mit einem russischen Arbeitnehmer. Doch auch wenn viele Ausländer derzeit keine Aufgabe in Russland finden, könnten sie in einigen Jahren zurückkehren. So sieht es auch Matthias Wintzer. „Irgendwann wird es in dem Land sicherlich auch wieder anders laufen. Das Leben dort hat ja seit jeher Ähnlichkeiten mit einer Achterbahnfahrt, bei der es auf und ab geht“, meint der Retail-Experte. Seine Firma in Moskau hat er auch noch nicht aufgegeben.

Wie hat sich die Krise auf die Nachfrage nach ausländischen Spezialisten in Russland ausgewirkt? Die Nachfrage nach Personal hat in Russland abgenommen. Dieser Trend gilt für ausländische als auch russische Spezialisten. Viele Firmen haben Investitionsprojekte eingefroren oder ganz aufgegeben und setzen zurzeit auf eine Überwinterungsstrategie. Es gibt allerdings auch Unternehmen, die von den aktuellen Rahmenbedingungen profitieren, etwa in der Landwirtschaft. Hat sich die Anzahl der Bewerbungen von Expats geändert, die bei Ihnen letztes Jahr eingegangen sind? Wir sind im Jahr 2014 mit Anfragen von Expats überhäuft worden, die entweder innerhalb Russlands ihren Job wechseln mussten oder sich für Unterstützung bei der beruflichen Reintegration in Westeuropa interessiert haben. Dieser Trend ist inzwischen abgeklungen, die meisten werden sich hier oder dort neu etabliert haben. Derzeit sehen wir relativ wenige Anfragen von Ausländern, die sich für einen Umzug nach Russland interessieren, vor 2014 waren es deutlich mehr. Hat sich etwas an der wirtschaftlichen Attraktivität Russlands für Expats geändert? Die wirtschaftlichen Probleme Russlands sind bekannt und das Image des Landes hat sich bei potenziellen Expatriates generell verschlechtert. Die ökonomischen Perspektiven und damit die persönlichen Aufstiegschancen gelten als begrenzt. Die politischen Probleme haben sicherlich ebenfalls dazu beigetragen, dass Russland im westlichen Ausland kritischer gesehen wird und ein Umzug hierhin als weniger attraktiv gilt, als dies noch vor zwei Jahren der Fall war. Das Gespräch mit Christian Tegethoff, Geschäftsführer CT Executive Search, führte Katja Minch.

Beraterseite Persönliche Angaben von Russen müssen künftig im Inland gespeichert werden

Lokalisierung von Personaldaten — Ist Ihr System bereit? Russland will die Daten seiner Bürger künftig im eigenen Land speichern lassen. Ausländische Firmen müssen sich darauf einstellen. THOMAS TITSCH, HELGE MASANNEK DIREKTOREN, SCHNEIDER GROUP

Am 1. September 2015 ist in Russland das föderale Gesetz „242-FZ“ in Kraft getreten. Dieses enthält unter anderem eine Neuregelung zum Schutz der persönlichen Daten russischer Staatsbürger. So heißt es: „Bei der Erhebung von persönlichen Daten russischer Staatsbürger (auch im Internet) ist der Da-

tenerheber (im Russischen als „Operator“ bezeichnet) verpflichtet, die Aufzeichnung, Systematisierung, Sammlung, Speicherung, Aktualisierung, Änderung oder Abfrage (dieser Daten) unter Verwendung von Datenbanken, die sich auf dem Gebiet der Russischen Föderation befinden, sicherzustellen.“ Auf Deutsch: Server mit persönlichen Daten russischer Staatsbürger, wie etwa Name, Geburtsdatum und -ort, Anschrift, Foto sowie bei strikter Auslegung des Gesetzes auch User-ID, Steueridentifikationsnummer, Personalnummer, Telefonnummer oder Kontonum-

mer, müssen sich künftig physisch in Russland befinden. Ausnahmen gelten lediglich für Fälle, in denen die Datenverarbeitung notwendig ist, etwa für die Einhaltung internationaler Verträge der Russischen Föderation, für die Vollstreckung von Gerichtsurteilen sowie für journalistische, wissenschaftliche und literarische Tätigkeiten. Bei Verstößen droht nicht nur die Blockierung der entsprechenden IP-Adressen des gegen das Gesetz verstoßenden Unternehmens. Darüber hinaus können Bußgelder in Höhe von 300 bis 1 000 Rubel (etwa fünf bis 15 Euro) für natürliche Per-

sonen und 3 000 bis 10 000 Rubel (etwa 40 bis 140 Euro) für juristische Personen fällig werden. Bei einer Bußgelderhebung pro falsch gespeichertem Datensatz bei einem CRM-System mit mehr als 10 000 Datensätzen wäre das eine signifikante Summe. Bei der Gesetzesauslegung und der Definition von persönlichen Daten bestehen noch Unklarheiten. Unabhängig davon sollte sich jedes in Russland tätige Unternehmen auf die Neuerung vorbereiten. Sollte Ihr Unternehmen als Erheber persönlicher Daten dem Gesetz Folge leisten müssen, sind Sie verpflich-

tet, dies der Kontrollbehörde Roskomnadsor mittels spezieller Dokumente zu melden. Dafür sollte als Erstes mit einem internen Audit festgestellt werden, wo im Unternehmen welche Daten russischer Staatsbürger gespeichert werden. Erfolgt dies auf Servern, die sich außerhalb Russlands befinden, sollten diese Daten in Russland lokalisiert, das heißt in Datenbanken in Russland, gespeichert und verarbeitet werden. Dieser Artikel entstand mit Unterstützung der SCHNEIDER GROUP.


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DAS ENDE DER IRAN-SANKTIONEN IST DER ANFANG NEUER PROBLEME Alexander Kurdin ÖKONOM

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IORSH

WER PROFITIERT VOM SCHWACHEN YUAN? Konstantin Korischtschenko ÖKONOM

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uf die deutliche Abwertung des Yuans folgte eine ganze Flut an Erklärungen, warum dies zum jetzigen Zeitpunkt geschehe und welche Vorteile China daraus ziehe. Nachvollziehbar sind die Argumente der Chinesen allemal. Und sie waren sicherlich einer der Gründe für die dramatischen, wenn nicht „epochalen“ Bewegungen beim Währungskurs eines Landes, das den USA beim Bruttoinlandsprodukt den ersten Rang streitig macht. Parallelen zur Entwicklung in Russland sind nicht zu übersehen: 2014 gab die russische Zentralbank den Rubelkurs frei. Mit der Abwertung des Yuan findet die wirtschaftliche Entwicklung Chinas seit 2008 ihren vorläufigen Abschluss. Alles Gerede darüber, dass die Krise überwunden und die Welt auf den Wachstumspfad zurückgekehrt sei – eine zwischen 2010 und 2011 weitläufige Meinung –, erwies sich als verfrüht und allzu optimistisch. Das damalige vier- bis fünfprozentige Wachstum des weltweiten Bruttoinlandsprodukts ist inzwischen auf unter drei Prozent gefallen und die Aussichten auf das Wiedereinsetzen eines ähnlich rasanten Wachstumstempos sind eher gering. Insofern ist die Verlangsamung der chinesischen Wirtschaft ein Abbild der weltweit vorherrschenden Tendenz, die sich heute deutlich am massiven Preisverfall für Rohstoffe und am Rückgang der globalen Handels- und Transportvolumina abzeichnet. China betreibt ein exportorientiertes Geschäftsmodell. Angesichts dessen, dass die günstige Arbeitskraft als Ressource allerdings nahezu vollständig ausgeschöpft ist, musste Peking eine Entscheidung treffen. Und keine einfache: entweder das Geschäftsmodell ändern oder neue Wachstumsimpulse finden. In dieser Situation erwies sich nun der Währungskurs als das Mittel der

Wahl. Er hilft, das Problem schnell, wenn auch nur kurzfristig, zu beheben. Andererseits bahnte die Notwendigkeit einer Abwertung des Yuans sich seit Langem an. Im Vergleich zu seinen Konkurrenten – anderen Exportnationen – legte der chinesische Währungskurs seit der Vorkrisenperiode im Jahr 2007 um 50 Prozent zu. Nach der Krise gingen die Währungen Chinas und Russlands „parallele Wege“, bis 2013 die Abwertung des Rubels einsetzte, die 2014 vor dem Hintergrund fallender Ölpreise und steigender Dollarkurse in der Freigabe des Kurses durch die Zen-

Bei drei bis fünf Prozent wird die Abwertung nicht haltmachen. Für einen mehr oder weniger akzeptablen Ausgleich der Situation muss die chinesische Währung 20 bis 30 Prozent an Wert verlieren. tralbank endete. Der Yuan blieb stabil angesichts seiner Bindung an den US-Dollar, was der chinesischen Wirtschaft aber nicht half: Der Export war weiterhin im Rückgang begriffen. Und so kam es zu dem Punkt, an dem China seine schwierige Entscheidung fällen musste. Der Unterschied zwischen Russland und China besteht in der Exportstruktur der beiden Länder. Russland exportiert vor allem Rohstoffe, wohingegen chinesische Ausfuhren von einfachen Konsumgütern bis hin zu komplexen Industrieprodukten reichen. So bleibt Russland eine Geisel der Ölpreisentwicklung. Die Wachstumsaussichten chinesischer Exporte hängen weiterhin direkt vom Tempo und Umfang der Abwertung des Yuans ab. Bis Mitte 2011 hielten China und seine unmittelbaren Konkurren-

ten Europa, Japan und Korea den Status quo aufrecht. Danach aber wurden in Japan und in Europa Lockerungsprogramme („Quantitative Easing“), oder mit anderen Worten: die Notenpressen, in Gang gesetzt. Chinesische Produkte wurden damit teurer, was für chinesische Exporteure eine rapide Verschlechterung ihrer Ausgangssituation im Vergleich zu Wettbewerbern aus Europa und Asien nach sich zog. Früher oder später musste diese Entwicklung zu einer „Abbremsung“ Chinas führen. Mit der starken Aufwertung des Dollars in den vergangenen zwei Jahren setzten logische Konsequenzen ein: China wertete seine Währung ab. Bei drei bis fünf Prozent wird dieser Prozess nicht haltmachen. Für einen mehr oder weniger akzeptablen Ausgleich der Situation muss die chinesische Währung 20 bis 30 Prozent an Wert verlieren. Möglicherweise wird das von einer liberaleren Währungskurspolitik und einem Übergang zu einer Form des „freien YuanKurses“ in China begleitet. Für Russland bleiben politische Vereinbarungen, auch zur aktiven Anwendung nationaler Währungen in diesem Prozess, ein weitaus wichtigerer Faktor als Währungskurse. Die erhöhte Volatilität des Rubels und Yuans können durch Interventionen vonseiten staatlicher Banken und Fonds über alle Maßen kompensiert werden: durch Garantien, Handelsfinanzierungen, Bürgschaften. Bei angemessener Anwendung können diese Instrumente russische und chinesische Unternehmen vor dem Sturm schützen, der auf den Währungsmeeren bereits voll im Gange ist. So paradox es auch erscheinen mag: Den US-Dollar als sicheren Hafen könnte dieser Sturm am schwersten treffen. Konstantin Korischtschenko ist Leiter des Lehrstuhls für Fondsmärkte und Finanzinstrumente an der Russischen Akademie für Volkswirtschaft und Öffentlichen Dienst in Moskau.

as Ende der Sanktionen gegen den Iran könnte erhebliche negative Folgen für die russische Wirtschaft nach sich ziehen. Besonders betrifft das die Rohstoffindustrie. Zwar sollte der direkte Wettbewerb mit dem Iran um Kunden keine Probleme verursachen. Der Wiedereinstieg des Landes auf den Weltmarkt wird aber Auswirkungen auf den Ölpreis haben. Die durch die Sanktionen verursachte Kürzung der iranischen Ölexporte war in absoluten Zahlen nicht allzu dramatisch. Der Iran verlor aufgrund des Exportverbots und anderer Sanktionen etwa eine Million Barrel pro Tag, verbuchte also Exportverluste in Höhe von etwa 50 Millionen Tonnen. Der Verzicht europäischer Länder auf iranisches Öl war verantwortlich für die Hälfte des Exportrückgangs. Aber auch asiatische Kunden drosselten ihr Importvolumen. Der asiatisch-pazifische Raum ist dennoch der wichtigste Absatzmarkt für iranisches Öl. Vor dem Embargo entfielen rund 70 Prozent aller Lieferungen auf diese Region, heute beträgt der Anteil etwa 95 Prozent. Asiatische Kunden können auf die Importe nicht verzichten trotz ihrer loyalen Haltung gegenüber dem Westen. Die Nachfrage in der Region steigt stetig und zusätzliche Lieferungen aus dem Iran oder Russland sind sehr willkommen.

Das Risiko, dass nach Aufhebung der Sanktionen der Ölpreis sinkt, muss ernst genommen werden. In Europa sieht die Lage anders aus. Der größte Teil europäischer Ölimporte kommt aus Russland – etwa 250 Millionen Tonnen pro Jahr. Der Iran lieferte vor dem Embargo lediglich 25 Millionen Tonnen jährlich. Die Versorgungslücke, die mit dem Importverzicht iranischen Öls entstand, wurde nicht von Russland, sondern anderen Ländern aus Nordafrika und dem Nahen Osten wie Libyen, dem Irak oder Saudi-Arabien aufgefangen. Diese Länder müssen sich nun Gedanken machen, weil sie die Förderquoten der Opec einhalten müssen. Eine Produktionssteigerung des Irans könnte diese Quoten gefährden. Die Förderkosten für iranisches Öl sind mit jenen in Russland vergleichbar, in der Regel liegen sie bei nicht mehr als 20 bis 25 USDollar pro Barrel. Russische Ölproduzenten müssen nun aber schwerer erreichbare Ölvorkommen erschließen. Die Kosten werden deshalb auf mindestens 30 US-Dollar pro Barrel steigen. In

Zukunft wird die Förderung noch teurer werden. Künftig allerdings könnte dennoch nicht der Iran, sondern sein Nachbar Irak ein viel gefährlicherer Konkurrent werden, da das Land im Vergleich zu anderen Nahoststaaten über ein größeres Potenzial zur Steigerung der Ölfördermenge verfügt. Als Gaslieferant stellt der Iran derzeit keine große Konkurrenz für Russland dar: Mit Ausnahme geringer Lieferungen von weniger als zehn Milliarden Kubikmeter pro Jahr in die Türkei exportiert der Iran kein Gas. Es gibt Exportprojekte, die aber noch viel

Nicht der Iran, sondern der Nachbar Irak ist wegen seines hohen Potenzials die gefährlichere Konkurrenz. Zeit benötigen. Auch deshalb ist die Gasindustrie nicht von den Sanktionen betroffen. Das Risiko, dass mit der Aufhebung der Sanktionen auch der Ölpreis sinkt, muss aber ernst genommen werden. Erdöl ist noch in großen Mengen verfügbar und auf dem Weltmarkt herrscht derzeit ein Überangebot. Nach Einschätzung der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) könnte 2015 ein Überschuss von bis zu 500 000 Barrel pro Tag entstehen. Bis zum Ende des Jahres sollte dieser zwar wieder schrumpfen oder ganz verschwinden. Eine Million Barrel Überschuss pro Tag könnte aber das Gleichgewicht auf dem Markt gefährden, wenn es nicht durch eine geringere Produktion anderer Opec-Staaten ausgeglichen würde. Mit der Zeit wird der Weltmarkt das Überangebot dank der kontinuierlichen Steigerung des globalen Verbrauchs ausgleichen. Die Rückkehr des iranischen Öls auf den Weltmarkt könnte diese Entwicklung aber um ein weiteres Jahr verzögern. Abgesehen von der Energiebranche gibt es allerdings einige Bereiche der russischen Wirtschaft, die von der Aufhebung der Sanktionen sogar profitieren könnten. In erster Linie betrifft das jene, die mit dem Iran Handel betreiben: Getreide-, Holz- und Metallexporteure, Exporteure von Anlagen und Maschinen sowie Obst- und Gemüseimporteure. Die wirtschaftlichen Sanktionen erschwerten für sie den Handel und erhöhten die Kosten. Alexander Kurdin ist Leiter der Abteilung für strategische Analysen im Bereich Energiewirtschaft des Analysezentrums der Regierung der Russischen Föderation.


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DEUTSCHLAND — RUSSLAND: ZEIT FÜR EINE OSTPOLITIK 2.0? Fjodor Lukjanow POLITOLOGE

DMITRIJ DIWIN

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ls in Deutschland vor zehn Jahren Bundestagswahlen stattfanden, drückte Russland Gerhard Schröder die Daumen. Zu seiner Amtszeit als Bundeskanzler erreichten die Beziehungen zwischen Russland und der Bundesrepublik die Intensität einer echten strategischen Partnerschaft, getragen von dem festen gegenseitigen Vertrauen Schröders und Putins. Nach dem Wahlsieg Merkels, einer in der DDR sozialisierten Politikerin aus der Familie eines protestantischen Pfarrers, prophezeiten viele dem deutschrussischen Verhältnis eine ungünstige Wende. Zehn Jahre später fühlen sich die damaligen Skeptiker bestätigt: Die Beziehungen zwischen Moskau und Berlin sind so angespannt wie seit einem halben Jahrhundert nicht mehr. Der persönliche Faktor spielte dabei sicher eine Rolle. Doch im gesamteuropäischen Kontext hat die deutschrussische Entfremdung durchaus objektive Gründe. Die Ostpolitik, die Willy Brandt Ende der Sechzigerjahre einleitete, ist endgültig vorbei. Das deutsch-russische Verhältnis braucht eine neue Basis. Die Ostpolitik ruhte auf drei Grundpfeilern. Erstens war Deutschland für die Verbrechen der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts verantwortlich. Daher musste es auch für den Gegner des Kalten Kriegs eine größere Loyalität aufbringen. Zweitens waren osteuropäische Märkte für den wirtschaftlichen Erfolg Westdeutschlands äußerst wichtig, denn Wirtschaft blieb das einzige Feld legitimer deutscher Expansion. Drittens zementierten Gaslieferungen aus Sibirien nach Europa die gegenseitige Abhängigkeit und damit einen gewissen Friedenszwang. Heute ist vieles anders. Erstens ist die moralische Rechnung für den Zweiten Weltkrieg vollends beglichen. Eine Rücksicht auf den Kreml ist also keine Selbstverständlichkeit mehr. Auch die Dankbarkeit der Deutschen für die Wiedervereinigung hat abgenommen. Zweitens ist Deutschland zu einer Export-Weltmacht aufgestiegen. In Europa wurde Deutschland zu einer dominanten Größe, weswegen die

östlichen Märkte nach wie vor wichtig, aber nicht mehr essenziell sind. Drittens wird eine eigene Gaspolitik im Zeichen besonderer Beziehungen zu Moskau mit zunehmender Integration des europäischen Energiemarkts zusehends schwieriger. Diese neuen Gegebenheiten akkumulierten sich allmählich, die

Im gesamteuropäischen Kontext hat die deutschrussische Entfremdung durchaus objektive Gründe. Ukraine katalysierte die Veränderungen. Deutschland glaubte im Vorgehen Russlands den Wunsch zu erkennen, eigene Spielregeln an der Peripherie des Kontinents zu diktieren. Das aber widersprach den Vorstellungen Berlins, wie das Abendland zu gestalten ist. Russland hingegen interpretierte die Abkehr Deutschlands von der Ostpolitik als einen Verzicht auf die strategische Partnerschaft. Überhaupt hat sich das politische Paradigma fundamental verändert. Noch vor Kurzem war Berlin eine politische Provinz. Heute ist die

deutsche Hauptstadt ein Ort, an dem Europas Schicksal entschieden wird. Der heftige Wechsel in den Beziehungen zu Russland ist nur ein Element dieser Entwicklung. Deutsche Politiker sprechen mittlerweile geschlossen von einer „neuen Verantwortung“ ihres Landes. In den vergangenen fünf Jahren hat sich Deutschland als Europas letzte handlungsfähige Macht erwiesen. Gleichzeitig hätte ein Scheitern der europäischen Integration vor allem für Deutschland, das von dem gemeinsamen Markt und der Währung am meisten profitiert, enorme Folgen. Die „neue Verantwortung“ ist also vielmehr eine Verantwortung für den eigenen Wohlstand, der im Alleingang nicht mehr aufrechtzuerhalten ist. Seiner Geschichte wegen kann und will Deutschland sich nicht als Anführer Europas darstellen. Man bedient sich daher Euphemismen wie der „Macht in der Mitte“. Deutsche Politiker und Experten sind sich einig, dass diese „neue Macht“ nur in Friedenszeiten erfolgreich sein kann. Ihre Grundlage ist nicht die militärische, sondern die wirtschaftliche Kraft. So lässt sich auch die scharfe Reaktion auf das Vorgehen Russlands im vergangenen Jahr erklären. Die Angliederung der Krim und der Krieg

im Osten der Ukraine zerstörten die Illusion einer europäischen Ordnung ohne militärische Schlagkraft, in der Deutschland seine wolkenlose Zukunft gesehen hatte. Das Ergebnis: weiter wachsende Entfremdung von Moskau, Zerschlagung der Ostpolitik (stabile Beziehungen und Geschäfte mit Russ-

Eine neue Ostpolitik ist unabwendbar. Doch die Erfahrungen des Kalten Krieges werden hierbei keine Hilfe sein. land an erster Stelle), aber auch der Wunsch, um jeden Preis Frieden zu schließen. Die Erosion des europäischen Konstrukts fordert entschiedenes Vorgehen von Deutschland allein, von niemandem sonst. Berlin braucht die europäische Einheit nicht wegen Russland, sondern als Basis für eine Reform der Europäischen Union. Auf einige Privilegien aus der Vergangenheit muss dafür verzichtet werden. Deutschland als einem wichtigen Geldgeberland stünden Vorrechte zwar zu, für ein führendes Land sind sie aber undenkbar.

Das größte dieser Privilegien sind besondere Beziehungen zu Russland. Das gilt umso mehr, als dass Polen im Kontext der Schwäche europäischer Größen die Rolle eines partnerschaftlichen Gegengewichts zu Deutschland übernimmt. Geheime Absprachen zwischen Moskau und Berlin fürchtete es schließlich schon immer. Die erste Geige im politischen Konzert zu spielen, gelingt Deutschland nur mühselig. Die Funktion eines Moderators kann es nicht mehr erfüllen: Verantwortung verlangt Entschlossenheit. Das griechische Drama im Sommer 2015 überwältigte gerade dadurch, dass Deutschland gezeigt hat, wie hart und unnachgiebig es gegenüber „Regelverletzern“ sein kann. Darüber hinaus sind auch die Beziehungen zu den USA instabil, wo die neue deutsche Führungsrolle nicht ohne Anspannung aufgefasst wird und man dem Verbündeten – wie Snowdens Enthüllungen offenbarten – eigentlich nie so recht traute. Die Selbstwahrnehmung Deutschlands während Merkels Amtszeit ist eine Mischung aus Pragmatismus, der in einer mächtigen industrieorientierten Wirtschaft wurzelt, und dem Gefühl einer (nicht offen ausgesprochenen) moralischen Überlegenheit. Dieses Gefühl entstand ex negativo: aus einer ehrlichen und erfolgreichen Überwindung einer unglaublich schrecklichen und beschämenden Vergangenheit heraus. Dieser Wandel hätte sich in einer anderen Form vollziehen können, würde ein anderer Politiker an der Spitze Deutschlands stehen. Doch die Tendenz wäre kaum anders. Russland, Deutschland und Europa verändern sich unumkehrbar und suchen – jeder auf seine Weise – eine neue Identität, die der Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts entspricht. Europas Stellung als Mittelpunkt der Welt schwindet. Abgelöst wird es, sehr wahrscheinlich, von einem großen Eurasien als dem Zentrum wichtigster politischer, wirtschaftlicher und soziologischer Tendenzen unserer Zeit. Aber auch in diesem breiteren Kontext brauchen Russland und Deutschland einander. Denn ohne die Querverbindung dieser beiden Grundpfeiler ist die Stabilität der Konstruktion nicht zu gewährleisten. Daher ist eine neue Ostpolitik unabwendbar. Doch die Erfahrungen des Kalten Krieges werden hierbei keine Hilfe sein. Fjodor Lukjanow ist Präsidiumsvorsitzender des Russischen Rats für Außen- und Verteidigungspolitik und Chefredakteur der Zeitschrift „Russia in Global Affairs“.

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Franzosen im Dienste des Kremls Beste PR für den Kreml? Die Krim-Reise französischer Abgeordnete hat gezeigt, wie Moskau Akzeptanzprobleme in der EU lösen könnte.

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Sport

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FUSSBALL-WM 2018 IN ZWEI JAHREN SOLLEN ALLE FUSSBALLSTADIEN FÜR DIE WM IN RUSSLAND BEREITSTEHEN

WIRTSCHAFTSKRISE BREMST WM-VORBEREITUNGEN

EPA/VOSTOCK-PHOTO

© GRIGORIJ SISOJEW / RIA NOVOSTI

© KONSTANTIN TCHABALOW / RIA NOVOSTI

Das traditionsreiche Luschniki-Stadion (links) und die Kasan-Arena (r. oben) befinden sich im Umbau. Auch die Hightech-Arena von Sankt Petersburg ist noch nicht fertig.

2018 soll in Russland die Fußball-Weltmeisterschaft stattfinden. Bislang könnte aber in nur einem einzigen von zwölf geplanten WM-Stadien gespielt werden. MICHAIL GRIGORJEW FÜR RBTH

Es sind nicht gerade die besten Zeiten für Russland als Fußballnation. Der jüngste Skandal beim Fußball-Weltverband Fifa ließ erneut kritische Stimmen zur WM-Vergabe an Russland, das 2018 Gastgeberland ist, laut werden. Gleichzeitig leidet das Land unter einer handfesten Wirtschaftskrise. So sind die Vorbereitungen für die Fußball-Weltmeisterschaft zwar im Gange, doch nicht alles läuft nach Plan. Dabei lehrt die Erfahrung vorangegangener FußballWeltmeisterschaften wie in Brasilien und Südafrika, dass die größte Herausforderung darin besteht, die Spielstätten rechtzeitig fertigzustellen. Das gilt auch für Russland, wo der Termin für die Abnahme der WM-Stadien bereits jetzt bedrohlich nahe rückt: Im Mai 2017, also in knapp zwei Jahren, muss die Infrastruktur stehen.

FRISCHES DESIGN

Erst drei Stadien sind fertig In Russland sollen die Spiele in zwölf Stadien und elf Städten stattfinden. Drei sind fertiggestellt, wobei nur in einem tatsächlich bereits gespielt werden könnte: Die Otkrytije-Arena von Spartak Moskau bietet Platz für bis zu 45 000 Zuschauer. So viel fasst auch die Kasan-Arena, in der 2014 schon einige Spiele stattfanden. Sie wurde jedoch für die Schwimm-Weltmeisterschaften, die Anfang August in der Hauptstadt Tatarstans ausgetragen wurden, benötigt. Statt eines Fußballfeldes gibt es dort derzeit also erst einmal zwei Schwimmbecken. Und das FisсhtStadion in Sotschi mit bis zu 40 000 Plätzen befindet sich gerade erst im Umbau. Der Rückbau von Teilen, die für Olympia eingesetzt wurden, wird voraussichtlich noch bis 2016 dauern. Zwei weitere Stadien befinden sich derzeit ebenfalls in der Umbauphase. Die wichtigste russische Spielstätte, das Luschniki-Stadion in Moskau, wo das Finale der Fußball-WM ausgetragen werden soll, wurde im Herbst 2013 geschlossen und soll Ende 2016 wieder öffnen. Plan ist, die Kapazität

auf 81 000 Zuschauerplätze zu vergrößern, indem man den Neigungswinkel der Tribünen ändert und die vordersten Reihen näher an das Spielfeld versetzt. Das Stadion Zentralnyj in Jekaterinburg soll auf 35 000 Zuschauerplätze aufgestockt werden. In beiden Fällen werden die Stadien ihren architektonischen Charakter der 1950er-Jahre behalten. Weitere Spielstätten für bis zu 45 000 Zuschauer in Nischnij Nowgorod, Samara, Wolgograd, Rostow am Don und Saransk sind im Bau. Die Arbeiten befinden sich noch im Anfangsstadium, doch laut Sportminister Witalij Mutko laufen sie nach Plan. Viel Zeit für Verzögerungen bliebe ohnehin nicht mehr.

Kostenexplosion in Sankt Petersburg Am heftigsten wird der Stadionbau in Sankt Petersburg kritisiert. Dort sind die Arbeiten immerhin schon seit 2006 im Gang. Der Neubau soll das historische KirowStadion auf der Krestowskij-Insel ersetzen und die neue Heimat des Petersburger Traditionsklubs Zenit werden. Technische Neue-

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rungen wie ein 7 800 Tonnen schweres ausziehbares Feld und ein 71 000 Quadratmeter großes Schiebedach mit einem Gewicht von 22 000 Tonnen sind geplant. Doch der Entwurf des japanischen Architekten Kisho Kurokawa wurde seit Baubeginn immer wieder überarbeitet, Fristen konnten nicht eingehalten werden. Die Kosten sind mittlerweile ins Astronomische gestiegen, sie liegen derzeit bei etwa 500 Millionen Euro – mindestens. Der Kostenanstieg sei allerdings berechtigt, entgegnen die Verantwortlichen. „Es stimmt nicht, dass das Stadion das teuerste der Welt sein wird“, verteidigte sich Witalij Lasutkin, Leiter des Projekts „Stroitelstwo Stadiona Zenit“, in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur Tass. „Wenn man es mit ähnlich großen und komplexen Stadien vergleicht, das heißt Stadien der Luxusklasse, dann liegen wir auf dem siebten Platz hinsichtlich der Kosten pro Quadratmeter. In Russland gibt es nichts Vergleichbares.“ Weltweit spiele es in der Liga des britischen Wembley- oder des deutschen Schalke-Stadions, betonte Lasutkin.

Weniger Geld für die WM Doch Russland muss beim Budget für die Fußball-Weltmeisterschaft 2018 wegen der Wirtschaftskrise im Land sparen. Im Juni beschloss die russische Regierung Kürzungen in Höhe von etwa 471 Millionen Euro. Vor allem beim Ausbau der Hotels werde gespart, kündigte Sportminister Mutko an. „Wir haben davon abgesehen, in den Regionen Hotels zu bauen, die später nicht mehr gebraucht werden“, zitiert die russische Zeitung „Kommersant“ den Minister. Offizielle Angaben zu den Gesamtausgaben für die Fußball-Weltmeisterschaft gibt es indes nicht. Im Jahr 2013 nannte Russlands Vizepremier Igor Schuwalow einen Betrag von mindestens vier Milliarden Euro. Im Januar dieses Jahres erfolgte dann die Meldung über eine Kürzung der Ausgaben um zehn Prozent. Zum Vergleich: Offiziell haben die Olympischen Spiele von Sotschi Russland rund 3,4 Milliarden Euro gekostet. Alternative Studien, etwa des Oppositionspolitikers Alexej Nawalny und des ermordeten Boris Nemzow, sprechen hingegen von rund 21 Milliarden Euro.

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Sport

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Zahlen und Fakten rund um die WM 2018

Ein Russe für die Sbornaja ZAHLEN

Millionen Euro pro Jahr verdiente Fabio Capello in Russland. Damit war er einer der teuersten Trainer weltweit.

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Rubel erhält Leonid Sluzkij auf seinem neuen Posten. Ihm werden lediglich Boni ausgezahlt, wenn es das Team in die Finalrunde der EM 2016 schafft.

Tausende Hotelzimmer fehlen Zur Fußball-Weltmeisterschaft 2018 in Russland werden Experten zufolge etwa 3,2 Millionen Menschen erwartet. Das würde die Kapazitäten der bereits vorhandenen Hotels bei Weitem übersteigen. In Sankt Petersburg etwa, wo die Fifa 80 000 Zimmer vorschreibt, steht bislang gerade einmal ein Viertel (19 000 Zimmer) zur Verfügung. Ursprünglich sollten 63 Hotels für Fans und Gäste der WM neu gebaut werden, doch im April dieses Jahres wurde das Programm wegen der Wirtschaftskrise um 40 Prozent gekürzt. Gestrichen wurden vor allem Unterkünfte in den Regionen. „Wir haben auf Hotels verzichtet, die nach der WM nicht mehr gefragt sein werden. Wollen die Regionen auf diese Objekte nicht verzichten, ist das ihre eigene Angelegenheit“, sagte der russische Sportminister Witalij Mutko. Die Kürzungen seien mit der Fifa abgestimmt, betonte Mutko.

© ALEKSEJ BELIKOW / RIA NOVOSTI

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Leonid Sluzkij (r.) mit seinem Vorgänger, dem Italiener Fabio Capello.

Leonid Sluzkij soll als neuer Trainer die Sbornaja zur FußballEM 2016 führen. Als einer der besten Spezialisten im eigenen Land setzt er damit einer jahrelangen Tradition ein Ende. ALEXEJ MOSKO RBTH

Der Russische Fußballbund (RFS) hat schließlich doch noch die Reißleine gezogen. Denn die Qualifikation für die Fußball-Europameisterschaft war für Russland bislang eine einzige Enttäuschung. Unter dem Star-Coach Fabio Capello dümpelte die russische Auswahl auf Platz drei vor sich hin, hinter der Konkurrenz aus Schweden und Österreich. Nun soll Leonid Sluzkij, Cheftrainer von ZSKA Moskau, das Team wieder aufrichten. „Sluzkijs Vertrag läuft bis zum Ende der Qualifikationsrunde für die Europameisterschaft 2016. Neben der Betreuung der Nationalmannschaft wird Sluzkij weiterhin den Posten des Cheftrainers bei ZSKA Moskau innehaben“, heißt es in einer Pressemitteilung des RFS. „Wir sind dem ZSKA sehr dankbar, dass er die Interessen der

Nationalmannschaft berücksichtigt hat“, betont der RFS. Der 44-jährige Trainer machte sich mit seiner Arbeit für ZSKA einen Namen in Russland. In den Saisons 2012/13 und 2013/14 wurde er mit dem Armeeklub jeweils russischer Meister. 2011 und 2013 konnte die Mannschaft zudem den russischen Pokal für sich entscheiden. In den sechs Jahren, die Sluzkij mittlerweile bei ZSKA tätig ist, schaffte der Verein stets eine Platzierung unter den ersten drei TopMannschaften der Premier Liga. 2009/10 erreichte der Klub sogar das Viertelfinale der Champions League. Auch 2011/12 überstand das Team die Gruppenphase, unterlag im Achtelfinale jedoch Real Madrid.

Ein russischer Mourinho Leonid Sluzkij wurde seit seinen ersten Jahren in der russischen Premier Liga als russischer Mourinho bezeichnet. Und obwohl er diesem Vergleich skeptisch gegenübersteht, weisen die Lebenswege der beiden Trainer in der Tat Ähnlichkeiten auf. Wie der berühmte Portugiese war auch Sluzkij früher Torwart,

bei dem Klub Swesda in seiner Heimat Wolgograd. Ähnlich wie Mourinho schaffte er es als Spieler nie nach ganz oben. Schuld ist eine schwere Verletzung: Bei dem Versuch, die Nachbarskatze von einem Baum herunterzuholen, stürzte der damals 19-Jährige unglücklich. „Der Ast brach ab und ich fiel aus drei Metern Höhe auf den Asphalt. Dabei habe ich mich am Knie und im Gesicht schwer verletzt.“ Die Diagnose der Ärzte: offener, multipler Splitterbruch der linken Kniescheibe, Nasenbeinbruch und eine Gehirnerschütterung. „Ein Jahr habe ich im Krankenhaus verbracht. Man sagte mir, ich würde das Bein nie wieder beugen können. Trotzdem schaffte ich es, das Gelenk langsam erneut in Form zu bringen. Später habe ich sogar versucht, wieder Fußball zu spielen, aber es hat nicht geklappt“, erzählte Sluzkij der Zeitung „Sowetski Sport“. Doch die Umstände konnten Sluzkij nicht vom Fußball abhalten: Mit 22 Jahren begann er, als Trainer zu arbeiten, mit 33 leitete er einen Erstligisten und mit 38 Jahren erhielt er den Cheftrainer-Posten bei ZSKA, einer der besten Mannschaften des Landes. Bereits in seinem zweiten Spiel als Trainer musste Sluzkij mit ZSKA im Old Trafford antreten, wo er in einem fantastischen Spiel ein Unentschieden gegen Manchester United (3:3) feiern konnte. Zwischen Sluzkij und Mourinho gibt es noch eine weitere berufliche Überschneidung: Sluzkij absolvierte ein Trainerpraktikum bei Inter Mailand und Chelsea London, wo er die Trainermethoden von José Mourinho kennenlernen durfte.

Bewusstes Risiko Trainer Alexander Tarchanow, der in seiner 25-jährigen Karriere viele russische Top-Klubs coachte, ist überzeugt, dass Leonid Sluzkij die

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ideale Besetzung für die Nationalmannschaft ist. „Capello ist ein großer Trainer, der hervorragende Mannschaften zum Erfolg geführt hat. Aber Erfahrung mit Spielern unseres Niveaus hat er nicht. Sluzkij hingegen kennt die Realität in Russland und kann auch aus mittelmäßigen Fußballern eine gute Mannschaft formen“, sagte Tarchanow dem Portal championat.com. Der bekannte Fußballjournalist Denis Romanzow dagegen kritisiert die Entscheidung des RFS. Er findet, man hätte den Kandidatenpool für den Posten des Nationaltrainers auch um ausländische Profis erweitern müssen. „Die Entscheidung für Sluzkij ist deshalb schlecht, weil sie politischer und nicht sportlicher Natur war. Stellen Sie sich einmal die Frage, warum wir von 2006 bis 2015 ausschließlich Ausländer als Trainer der Nationalmannschaft eingestellt haben?“, schreibt Romanzow in seinem Blog auf sports.ru. Sluzkij ist der erste Nationaltrainer seit fast zehn Jahren, der einen russischen Pass besitzt. Ein Risiko gehe Sluzkij mit seinem neuen Job aber nicht ein, glaubt der Pressesprecher der russischen Nationalmannschaft, Ilja Kasakow. „Er ist einer der selbstkritischsten Menschen, die ich je getroffen habe. Wenn er sich entscheidet, die Nationalmannschaft zu übernehmen, heißt das auch, dass er seine Möglichkeiten wirklich klar überblickt“, erklärt der Funktionär.


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Wirtschaft und Politik

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Der Ukraine-Konflikt belastet russische Unternehmen im Nachbarland

Geschäfte im Schatten des Konflikts Banken und Telefonanbieter wollen bleiben

Russische Konzerne haben in der Ukraine ein schlechtes Image. Die Desintegration der Volkswirtschaften ist in vollem Gang. Einige Firmen wollen dennoch nicht aufgeben. MICHAIL BOLOTIN FÜR RBTH

Trotz politischer Probleme haben die Töchter der russischen VTB und Alfa Bank Geld aus Moskau erhalten.

fen wurden. Doch das habe sich mit der Krim-Krise geändert. Die Experten der Deutschen Beratergruppe, einem vom Bundeswirtschaftsministerium finanzierten Ökonomen-Team, sprechen von einem „Trend zur Desintegration“. Auch wenn Russland noch immer eine große Rolle spiele, sei der Handel zwischen den beiden Ländern im ersten Quartal um fast zwei Drittel zurückgegangen. Dabei ist es nicht nur der schlechte Ruf, mit dem russische Unternehmen zu kämpfen haben. Eine deutlich größere Rolle dürfte die wirtschaftliche Misere der Ukraine spielen. Im ersten Quartal lag das Bruttoinlandsprodukt des Landes um ganze 17,6 Prozent unter dem Vorjahreswert. Zu den Hauptverlierern des Konflikts zählen die Rüstungs- und Maschinen-

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Tatsächlich ist die Situation für russische Unternehmen in der Ukraine nicht einfach. „Vor der Angliederung der Krim an Russland waren die Ukrainer durchaus positiv gegenüber russischen Konzernen eingestellt“, sagt Alexander Kramarenko, Chefredakteur der Zeitschrift „Dengi“ in Kiew. Dafür spreche etwa, dass während der heftigen Proteste in Kiew im Zuge der Maidan-Revolution keine Repräsentanzen russischer Unternehmen angegrif-

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Schlechtes Image seit der Krim-Krise

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Igor Juschko hat dieser Tage mit einer schier unlösbaren Aufgabe zu kämpfen. Er ist der Mann für das Ukraine-Geschäft der staatlichen Sberbank, Russlands größtem Finanzinstitut. Juschko war selbst einst Finanzminister in der Ukraine, noch zur Zeit von Präsident Kutschma, wechselte dann zu einer Bank, die schließlich von russischen Investoren gekauft wurde. Spätestens seit im Donezbecken gekämpft wird, sind diese nicht gerade beliebt in dem Land, dessen Regierung wiederholt den Konflikt im Südosten als eine Auseinandersetzung mit Russland selbst und nicht nur mit aufständischen Bewohnern eines Landstrichs bezeichnet. Die Ukraine-Tochter der Sberbank ist die achtgrößte Bank des Landes und schrieb bis vor Kurzem noch schwarze Zahlen. Doch im ersten Quartal klaffte bereits eine Lücke von zwei Milliarden Hrywnja, knapp 100 Millionen Euro. Und als wenn das nicht genug wäre, müssen sich die Filialen nun auch vor Anschlägen fürchten. Ende Juni e x plod ier ten z wei k lei nere Sprengsätze vor zwei verschiedenen Filialen in Kiew und hinterließen Glasscherben und zerstörte Schilder. Dabei hatte der Chef des Moskauer Mutterkonzerns, German Gref, nur wenige Tage zuvor noch die konstruktive Zusammenarbeit mit der ukrainischen Zentralbank gelobt und betont, dass er keine künstlichen Geschäftshindernisse im Land spüre.

Vergangenen Sommer starteten Aktivisten eine Kampagne gegen den Ölkonzern Lukoil.

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Euro Gewinn machte MTS-Ukraine im ersten Quartal 2015 — ein Plus von 6,2 Prozent.

Euro betragen die Verluste ukrainischer Exporteure aufgrund der Einfuhrschranken.

Euro braucht Russland, um sich von der ukrainischen Rüstungsindustrie zu lösen.

bauunternehmen auf beiden Seiten. Das ukrainische Parlament hat per Gesetz jegliche Zusammenarbeit in Rüstungsfragen mit Russland untersagt. Auch im Energiebereich mussten russische Konzerne Federn lassen. Der ukrainische Import von Öl und Gas aus Russland schrumpfte um zwei Drittel auf etwa fünf Milliarden Euro. Gegenwind spüren auch Unternehmen, die auf den

Endkunden ausgerichtet sind, wie beispielsweise der private russische Ölkonzern Lukoil, der eine Kette von etwa 250 Tankstellen in der Ukraine aufgebaut hatte. Vergangenen Sommer starteten ukrainische Aktivisten eine Kampagne gegen das Unternehmen. Der Absatz von Lukoil sank in dem Jahr um 42 Prozent. Schließlich verkaufte Lukoil sein UkraineGeschäft.

Doch so groß die Probleme der Unternehmen auch sind, bisher gibt es offiziell keinen Abbruch der wirtschaftlichen Beziehungen. Obwohl dies manche gerne sehen würden. Im April legte der ukrainische Abgeordnete Oleg Ljaschko, Chef der Radikalen Partei, einen Gesetzentwurf vor, demnach russisches Eigentum, ob staatlich oder privat, in ukrainischen Besitz überführt werden sollte. Damals stimmten jedoch lediglich 190 Abgeordnete für das Gesetz, gut 30 weniger als notwendig. Offenbar ist Kiew nicht daran interessiert, russische Unternehmen komplett vor die Tür zu stellen. Insbesondere im Telekommunikations- und im Bankensektor sind russische Unternehmen noch immer aktiv. Ungeachtet der politischen Schwierigkeiten haben die ukrainischen Töchter der russischen VTB, Sberbank und Alfa Bank Kapitalspritzen aus Moskau erhalten, in einer Größenordnung von bis zu 90 Millionen Euro. Gerade im Bereich der Telekommunikation haben russische Unternehmen lange schon eine Vormachtstellung inne. Zuletzt beteilig ten sich die g rößten Telefonanbieter des Landes MTS und Vimpelcom, beide in der Hand russischer Investoren, an der Ausschreibung zum Aufbau eines 3-G-Mobilnetzes. Die eigenen Investitionen schätzte MTS dabei auf insgesamt über eine Milliarde US-Dollar. Auch Vimpelcom, zu 47 Prozent in der Hand der russischen Alfa Group, hat seiner Tochtergesellschaft Kievstar ein Darlehen von 200 Millionen Euro gegeben, um weiter ins Netz zu investieren. Dennoch wollen Anbieter aus Russland auf Nummer sicher gehen. So lagerte MTS seine Ukraine-Gesellschaft an eine niederländische Firma aus, deren letztendlicher Eigentümer wieder MTS ist. Damit wollte man politische Risiken minimieren, sagen Experten. Damit nicht genug hat der russische Anbieter einen patriotischen Werbespot gedreht, in dem Menschen aus verschiedenen Städten per Handy auf Russisch und Ukrainisch von ihrer Heimat erzählen. Die Kunden stören sich nicht an der Herkunft der Eigentümer. Der Gewinn von MTS ist im ersten Quartal um 6,2 Prozent auf eine Milliarde Hrywna, rund 40 Millionen Euro, gestiegen.

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