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Freitag, 5. Juni 2015

Ausgabe für Luxemburg Diese Beilage erscheint exklusiv im Die monatlichen Beilagen erscheinen in verschiedenen Sprachen in führenden internationalen Tageszeitungen: The Daily Telegraph, Le Figaro, The New York Times, La Repubblica and El Pais.

F Ü R D E N I N H A LT I S T AU S S C H L I E S S L I C H D I E R E DA K T I O N VO N R U S S I A B E YO N D T H E H E A D L I N E S ( R U S S L A N D) V E R A N T WO R T L I C H .

25 JAHRE MODERNES RUSSLAND Es begann am 12. Juni 1990, als der Kongress der Volksdeputierten der RSFSR die Souveränitätserklärung verabschiedete, die das Ende der UdSSR einläutete und die politischen Grundzüge des postsowjetischen Russlands definierte. Ein Rückblick.

Brics-Staaten setzen IWF und Weltbank unter Druck

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ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT: DIE G7 OHNE RUSSLAND Die G7 wurde Mitte der 70er Jahre als Klub der wichtigsten Industrienationen gegründet. 1998 ist Russland dem Forum beigetreten. Als Reaktion auf die Ukraine-Krise wurde es wieder ausgeschlossen. Die objektive Entwicklung der internationalen Beziehungen macht die Rückkehr zum G8-Format unwahrscheinlich. SEITE 6

DIE MOSKAUER METRO WURDE 80 NIKOLAY GALKIN / TASS

ALEKSANDR TOMAS / TASS

Weltweit soll sie die schönste U-Bahn sein: Unterirdische Paläste, zwölf Linien und 200 Stationen, 44 davon stehen als Weltkulturerbe unter Denkmalschutz. SEITE 7

2001 existierte Bric nur in den Gedanken von Jim O’Neil, Chefökonom der Investmentbank Goldman Sachs. Die Abkürzung verwendete er in einem Analysebericht. Zehn Jahre später schloss sich ein weiteres Land – Südafrika – dem Bündnis an. Die Vereinigung der leistungsstärksten Schwellenländer der Welt, kurz Brics, kam also so, wie sie heute besteht, zur Welt. 2015 übernimmt Russland den

Vorsitz der Brics und tritt als Gastgeber des nächsten Gipfeltreffens in Ufa auf. Vom 9. bis 10. Juli wird über die Entstehung der Neuen Entwicklungsbank sowie eines Währungsfonds beraten. Worum geht es dem vom Westen isolierten Russland in diesem Jahr? Seine wirtschaftlichen und geopolitischen Ziele bringen wir in unserem Thema des SEITEN 4 UND 5 Monats auf den Punkt.

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Eine Beilage des Rossijskaja Gaseta Verlags, Moskau

POLITIK

TAG RUSSLANDS Am 12. Juni feiert Russland den 25. Jahrestag der Souveränitätserklärung der Sowjetrepublik RSFSR

AP

Im August 1993 verlangte Jelzin von Gorbatschow den Rücktritt als Generalsekretär der KPdSU. (u.) Jelzin am 19. August 1991 vor dem russischen Parlament

© RIA NOVOSTI CORBIS/EASTNEWS

Ein Staat wird erwachsen 25 Jahre nach der Deklaration über die Souveränität hat sich das postsowjetische Russland als Staat bewährt, mit all seinen Besonderheiten. ALEXEJ TIMOFEJTSCHEW RBTH

Das Jahr 1990, in dem der Kongress der Volksdeputierten der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR) die Souveränitätserklärung verabschiedet hat, war eine Zeit, in der sich der Zerfall der Sowjetunion bereits klar abzeichnete. Im ganzen Land wurden Prozesse in Gang gesetzt, die unaufhaltsam zum Ende der UdSSR im Dezember 1991 führten. Die Stimmung im Land war durch Tausende Protestkundgebungen angeheizt, deren Teilnehmer eine radikale politische sowie wirtschaftliche Neugestaltung forderten. Mit der Souveränitätserklärung am 12. Juni 1990 hielt die RSFSR daran fest, „einen demokratischen Rechtsstaat im Verband der erneuerten UdSSR zu schaffen“. Darüber hinaus wurde festgelegt, dass die Verfassung der RSFSR auf dem gesamten Staatsgebiet Vorrang hatte. Die RSFSR behielt sich auch das Recht auf einen freien Austritt aus der UdSSR vor. Die Souveränitätserklärung definierte somit die politischen Grundzüge des postsowjetischen Russlands. Blickt man aus heutiger Sicht auf die letzten 25 Jahre des russischen Staates zurück, so neigen Experten zu der Annahme, dass sich ein postsowjetisches Russland in seinen Grundzügen über die Zeit durchaus bewährt hätte. Jedoch weisen sie auch auf dessen widersprüchlichen Charakter hin, war doch die Deklaration über die Souveränität der RSFSR im Verbund der UdSSR nicht völlig eindeutig, da die RSFSR Träger der gesamten Union war. „Zum einen ebnete die Deklaration dem Zerfall der Sowjetunion den Weg, zum anderen erhielt sie das Territorium der Russischen Föderation“, meint der Politologe und Journalist Dmitrij Andrejew. Boris Schmeljew, Leiter des Zentrums für politische Vergleichsstudien, ist der

3 FAKTEN ZUM UMBRU CH

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Die Souveränitätserklärung definierte somit die politischen Grundzüge des postsowjetischen Russlands.

Die „Souveränitätsparade“ wurde 1988 eröffnet: Im November verabschiedete Estland eine Deklaration zur Souveränität gegenüber der UdSSR, 1989 folgten Litauen, Lettland und Aserbaidschan.

Ansicht, dass es Russland in den letzten 25 Jahren zwar gelungen sei, Verwaltungsinstitutionen und eine Zivilgesellschaft aufzubauen, sowie ein Wirtschaftssystem in Gang zu setzen. Doch habe der Staat in dieser Zeit noch nicht die nötige Stabilität erworben, um ein effektives demokratisches, politisches System zu etablieren. „In Russland existiert ein zwar mildes, aber dennoch autoritäres Regime ohne gegenseitige Kontrolle. Das Parlament erfüllt nicht seinen primären Zweck, es ist lediglich eine Wahlmaschinerie. Auch ein stabiles Parteiensystem hat sich nicht entwickelt“, so Schmeljew. Über das derzeit in Russland vorherrschende politische System sind sich die Experten indes nicht einig. Michail Remisow, Leiter des Moskauer Instituts für nationale Strategie, ist wie Schmeljew der Ansicht, dass Russland noch immer kein stabiler Staat sei. Denn sonst hätte man bereits „einen öffentlichen Machtwechsel beobachtet, der durch die Konkurrenz alternativer Lager ausgelöst worden wäre. Ein solcher Wechsel hat noch nicht stattgefunden. Wohl eher herrscht das Prinzip der Nachfolgerschaft vor.“ Gleichzeitig bringe aber ein solches System hinsichtlich der Konsolidierung der Regierung sowie der Bewältigung von Krisen auch gewisse Vorteile mit sich. Für den Analytiker stellt die starke präsidiale Macht in Russland einen „Eckpfeiler“ dar, „auf den sich das nationale Konstrukt“ stütze.

Das milde autoritäre System Die Tradition eines starken Präsidenten wurde von Boris Jelzin etabliert, dem ersten Staatsoberhaupt des postsowjetischen Russlands (1991–2000). Ungeachtet der Tatsache, dass heute manche seine Amtszeit als ein demokratisches Experiment bezeichnen, wurde Jelzin damals für seine Autorität kritisiert. Schmeljew sieht in ihm deshalb den Gründervater dieses milden autoritären Regimes, wobei er seine Autorität als einen unerlässlichen Begleiter jener Anfangszeit bezeichnet, in der der neue Staat gegründet wurde.

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Der 12. Juni wurde per Beschluss des Obersten Sowjets 1992 zum Feiertag erklärt. 1994 bekräftigte Boris Jelzin den Festtag durch einen Erlass und 1998 gab er ihm einen anderen Namen – „Tag Russlands“.

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Am 8. Dezember 1991 unterzeichneten Russland, Weißrussland und die Ukraine das Abkommen von Beloweschskaja Puschtscha. Die UdSSR wurde formell aufgelöst und die Bildung der GUS ausgerufen.

Hinweise auf Jelzins Autorität seien auch in der Verfassung von 1993 zu finden. Diese besage nämlich, dass in der politischen Landschaft Russlands die Institution des Präsidenten alle anderen staatlichen Strukturen dominiere und das Parlament eine untergeordnete Rolle einnehme. Zudem hatte Jelzin sich nicht mit dem Parlament und den Parteien beraten, als er schon 1992 damit begann, Wirtschaftsreformen durchzusetzen.

Ein starker Präsident Auch Dmitrij Andrejew bemerkt, dass der autoritäre Regierungsstil charakteristisch für Jelzin gewesen sein – vor allem „das ständige Anstacheln verschiedener Gruppierungen, sich gegenseitig zu bekämpfen, sowie die autoritäre Umgangsform mit jenen, die ihm unterstellt waren“. Den Politologen erstaunt, wie schnell eigentlich Jelzin „diesen überaus typischen zaristischen Führungsstil angenommen hat“. Paradoxerweise habe sich das allerdings als gut für Russland erwiesen. „Erstaunlicherweise kam es dazu, dass der Hang Jelzins, stark zu regieren – etwas, das damals niemand anzuzweifeln wagte –, in objektiver Hinsicht eben mit jenen Interessen übereinstimmte, die die Strukturierung der Russischen Föderation bestimmten. Kaum jemand anderer hätte Russland in den harten 1990er Jahren zusammenhalten können“, so Andrejew. Dabei war er bei der Verfassungskrise von 1993, einem bewaffneten Konflikt zwischen Jelzin und Vertretern des Volksdeputiertenkongresses, selbst ein Gegner Jelzins. „Heute wäre ich auf Jelzins Seite gestanden“, sagt der Politologe und verweist auf eine Zeit, die auch als „Souveränitätsparade“ bekannt ist. 1990 und 1991 erklärten viele Regionen Russlands ihre politische Unabhängigkeit. Das wohl dramatischste Kapitel war die Unabhängigkeitserklärung Tschetscheniens sowie die damit in Zusammenhang stehende erste militärische Auseinandersetzung (1994–1996). Was jedoch die positive Rolle anbelangt, die die starke Institution des Präsidenten in russischen Realien einnimmt, so betonen Politikexperten, dass sich die Ideologie des modernen Russlands zu stark am nostalgischen Erbe der Sowjetunion orientiere. Laut Michail Winogradow, Präsident des Fonds „Petersburger Politik“, geniere sich Russland für seine derzeitige Staatlichkeit, was mit der Sehnsucht nach der Stabilität des sowjetischen Systems zusammen-

hängen könnte. Als Nachfolgestaat der UdSSR versuche das Land, diese Staatlichkeit zu stärken. „Das birgt ein Risiko in sich, denn, berücksichtigt man die russische Geschichte ab der Gründung des Altrussischen Staates durch Rjurik [9. Jahrhundert], so beraubt sich das Land des Gefühls eines Jungstaates. Jene postsowjetischen Länder, die sich als junge Staaten sehen, weisen nämlich eine bessere Wirtschaftsdynamik auf“, so Winogradow. Der Experte bezieht sich auf die Erfolge Kasachstans und Aserbaidschans, deren Wirtschaft in den letzten 15 Jahren stark wuchs und die sich durch soziale und politische Stabilität auszeichnen.

Russia Direct is a publication that experts and senior decision makers rely on to debate and understand Russia’s relationship with the world.

RUSSIA-DIRECT.ORG May Brief:

KREMLIN LOBBYISTS IN THE WEST In May, Russia Direct released a new brief examining the topic of Russian lobbying in the U.S. and the EU. Authored by Sergei Kostiaev, associate professor at the Financial University under the Government of the Russian Federation, the brief touches upon a wide array of issues, from the differences in promoting Russian interests in Brussels and Washington to the effects of the crisis in Ukraine on the Kremlin’s foreign lobbying opportunities.

April Report:

BEST RUSSIAN STUDIES PROGRAMS 2015 In April, Russia Direct released its comprehensive ranking of Russian and post-Soviet Studies programmes in US universities, together with analysis of the current state of Russian Studies programmes in America. While bringing together leading experts, the report addresses the major challenges facing Russian Studies programmes in the US and ways of tackling them. REGISTER TODAY and get 30% discount at: WWW.RUSSIA-DIRECT.ORG/SUBSCRIBE

SONDERBEILAGEN UND SONDERRUBRIKEN ÜBER RUSSLAND WERDEN VON RBTH, EINEM UNTERNEHMEN DER ROSSIJSKAJA GASETA (RUSSLAND), PRODUZIERT UND IN DEN FOLGENDEN ZEITUNGEN VERÖFFENTLICHT: TAGEBLATT, LE JEUDI, LUXEMBURG • HANDELSBLATT, DEUTSCHLAND • THE DAILY TELEGRAPH, GROSSBRITANNIEN • THE NEW YORK TIMES, THE WALL STREET JOURNAL, THE INTERNATIONAL NEW YORK TIMES, THE WASHINGTON POST, USA • LE FIGARO, FRANKREICH • EL PAÍS, SPAINIEN • EL PAÍS, PERU • EL PAÍS, CHILE • EL PAÍS, MEXIKO • LA REPUBBLICA, ITALIEN • LE SOIR, BELGIEN • NEDELJNIK, GEOPOLITICA, SERBIEN • NOVA MAKEDONIJA, MAZEDONIEN• THE ECONOMIC TIMES, INDIEN • MAINICHI SHIMBUN, JAPAN • HUANQIU SHIBAO, CHINA • THE NATION, PHUKET GAZETT, THAILAND • LA NACION, ARGENTINIEN • FOLHA DE SÃO PAULO, BRAZILIEN • EL OBSERVADOR, URUGUAY • JOONGANG ILBO, SÜDKOREA • AL AHRAM, ÄGYPTEN.


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ZIVILGESELLSCHAFT

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INTERVIEW LJUDMILA ALEXEJEWA

AN MENSCHENRECHTLERN FÜHRT KEIN WEG VORBEI DIE LEITERIN DER MOSKAUER HELSINKI-GRUPPE SPRICHT MIT RBTH ÜBER DEN FALL DES ERMORDETEN OPPOSITIONELLEN BORIS NEMZOW UND ÜBER DIE LAGE DER OPPOSITION IN RUSSLAND. © MICHAIL WOSKRESENSKIJ / RIA NOVOSTI

«

Sie verließen den Menschenrechtsrat beim russischen Präsidenten 2012, als seine Mitglieder zum ersten Mal in einer Internetabstimmung gewählt werden sollten. Nahezu jeder hätte damals kandidieren können. Sind Sie deswegen gegangen? Ja, mir gefiel das nicht. Der Rat beim Präsidenten ist keine Zusammenkunft zufälliger, wenn auch sehr respektierter Personen. Unter uns waren Fachleute für Migration, Haftanstalten, für die Armee usw. Als dann der Vorschlag einging, die Ratsmitglieder im Internet zu wählen, damit alles sozusagen demokratisch läuft, wandten wir uns dagegen. Und was es vorher nie gegeben hatte: An den Sitzungen nahmen drei Mitarbeiter der präsidialen Verwaltung teil. Zwei von ihnen schwiegen, der dritte aber mischte sich ständig in die laufende Zusammensetzung des Rates ein. Dabei dürfen Staatsdiener da nicht hinein, es ist doch ein gesellschaftlicher Rat! Weder in den gesetzlichen Bestimmungen zum Rat noch in der Ratssatzung ist vorgesehen, dass Vertreter der Regierungsorgane für den Rat kandidieren dürfen. Letztendlich sagte ich: Wenn sie sich zukünftig in unsere Arbeit auf diese Art einmischen werden, wie sie sich in die Zusammensetzung des Rats einmischen, dann passt mir das nicht.

Der Menschenrechtsrat ist heute einer der wenigen Orte, an dem ein Gespräch mit staatlichen Organen möglich ist.»

Drei Monate sind bereits vergangen, seitdem die Ermittlungen im Mordfall des Oppositionellen Boris Nemzow aufgenommen wurden. Er wurde in Moskau in der Nacht vom 27. auf den 28. Februar erschossen. Sie zweifelten von Anfang an, dass die Drahtzieher gefunden werden. Hat sich Ihre Meinung geändert? Wenn man es bislang nicht mal schaffte, Ruslan Geremjew zu befragen … Er scheint ja die Vermittlerrolle zwischen den Hintermännern und den Auftragskillern übernommen zu haben. Geremjew hält sich in Tschetschenien auf und entzieht sich dem Zugriff der Ermittler. Am meisten deutet aber die Tatsache, dass der Hauptermittler ausgewechselt wurde, darauf, dass man sich mit den Vollstreckern zufriedengibt, der Strippenzieher aber unbehelligt bleibt. Sein Vorgänger Igor Krasnow hat anhand früherer Fälle bewiesen, dass er ein Meister seines Faches ist und frei von politischen Überlegungen agieren kann. Also wurde er durch Nikolai Tutewitsch ersetzt, der seinen Vorgesetzten hörig ist. Ich denke, das ist ein sehr schlechtes Zeichen.

Warum haben Sie dann beschlossen, zurückzukehren? Es gibt immer weniger Kommunikationskanäle für einen Austausch mit den staatlichen Entscheidungsträgern. Der Menschenrechtsrat ist heute einer der wenigen Orte, an denen ein Gespräch zwischen Menschenrechtsschützern und Staatsbediensteten möglich zu sein scheint.

Und was schlagen Sie vor? Wollen wir dieses Problem wirklich lösen, müssen wir die Frage nach inländischen Finanzquellen stellen. Gut wäre es, wenn Wladimir Putin an die Geschäftsleute appellierte. Bei uns gibt es viele wohlhabende Menschen, die froh wären, Geld zu geben, doch sie befürchten dadurch Nachteile für ihre Geschäfte. In Russland existiert das Vorurteil, wo-

Warum sind Sie sich so sicher, dass er den Vorgesetzten hörig ist? Weil schon seine Ermittlungen im Fall

NGOs stehen seit 2012 unter Druck

REUTERS

Womit werden Sie sich im Menschenrechtsrat beschäftigen? Es ist bekannt, dass das 2012 verabschiedete Gesetz über ausländische Agenten Sie sehr beunruhigt. Ja, damit werde ich mich befassen. Das Gesetz ist reine Dummheit. Denn nach einer genaueren Definition des Begriffs „politische Tätigkeit“ zu rufen, ist sinnlos. Weil jeder beliebigen Organisation, die ausländische Gelder erhält, potenziell der Vorwurf der Agententätigkeit anhaftet. Wie sehr wir diesen Begriff auch präzisieren, man wird alles so auslegen können, dass dieses Gesetz greifen kann. Man muss es nur wollen.

nach Menschenrechtsorganisationen rein formale Institutionen sind, in dem Sinne, dass sie keinen ernstzunehmenden Einfluss auf Entscheidungsprozesse ausüben können. Die Anfänge unserer Menschenrechtsbewegung gehen auf die Mitte der 1960er Jahre zurück. 25 Jahre lang existierte sie unter dem Sowjetregime. Wir sind reich an Erfahrung, unter uns sind viele Profis, mich selbst zähle ich auch dazu. Wenn ich das 50 Jahre lang betreibe – ich bin jetzt 87 –, dann muss ich schon ziemlich lernresistent sein, um mir diese Tätigkeit nicht angeeignet zu haben! Daher würde ich nicht behaupten, wir hätten gar keinen Einfluss. Man muss mit uns rechnen.

Laut NGO-Gesetz, das 2012 in Russland in Kraft trat, erwirbt jede russische Nonprofit-Organisation, die aus dem Ausland finanziell unterstützt wird, den Status eines ausländischen „Agenten“. Ihre Tätigkeiten und Finanzen werden seitdem vom Staat kontrolliert. Die Initiative ist auf harsche Kritik gestoßen, so hat die internationale Menschenrechtsorganisation Memorial das Gesetz boykottiert. „Das liegt nicht nur daran, dass es schwer fällt, das Geld aus Russland zu bekommen, sondern dass nichts Kriminelles daran ist, durch legale ausländische Organistionen unterstützt zu werden“, sagt Oleg Orlow, Leiter von Memorial. Die Organistation wurde im Mai 2013 nach mehreren Gerichtsverfahren auf die NGO-Liste gesetzt.

von 2008 ins Leere liefen [gemeint ist der Mord an Ruslan Jamadajew, dem ehemaligen Kommandeur des tschetschenischen Sonderbataillons „Wostok“ vom Aufklärungsdienst des Generalstabs. Drei der am Anschlag Beteiligten erhielten Haftstrafen, doch die Hintermänner wurden bis heute nicht gefunden]. Es gibt da noch ein weiteres Problemthema, das Sie seit Ende der 1960er Jahre beobachten. Ich meine die Lage der Krimtataren. Wie sehen Sie das heute? Einerseits sehe ich, dass der Präsident seine Zusagen einhält, die er Mustafa Dschemilew [Medschlis-Vorsitzender bis Herbst 2013] machte, als dieser in Moskau zu Besuch war. Er versprach unter anderem, dass die krimtatarische Sprache weiträumige Verbreitung finden und es krimtatarische Schulen geben wird. Das ist soweit auch durchgesetzt. Andererseits wird derselbe Dschemilew daran gehindert, aus Kiew auf die Krim zu kommen. An der Rückreise gehindert wird auch der jetzige Medschlis-Vorsitzende Refat Tschubarow, der die Halbinsel für nur wenige Tage verließ. Üblicherweise versammelten sie sich am 18. Mai, dem Tag der Deportation der Krimtataren während des Zeiten Weltkriegs 1944, auf dem zentralen Platz der Stadt Simferopol. Dort fand eine riesige Gedenkfeier statt. Die ist jetzt untersagt und wurde stattdessden auf irgendeinen muslimischen Friedhof verlegt. Das heißt: Auf der Krim gibt es für die Tataren keine Versammlungsfreiheit. 2016 werden Parlamentswahlen abgehalten. Die sogenannte außersystemische Opposition erklärte bereits ihre Absicht, daran teilzunehmen, und schmiedete dafür sogar eine Demokratische Koalition. Sie kennen viele dieser Menschen. Wie würden Sie ihre politische Kraft einschätzen? Dieser Versuch einer Koalition ist ein kolossaler Durchbruch. Das gab es bislang nicht. Es war ja überall zu hören: „Was sie wirklich beherrschen, sind eitle Grabenkämpfe.“ Doch so ist es nicht ganz. Ihre Eitelkeit ist nicht das Problem, sondern dass unsere Gesellschaft keine politische Kultur kennt. Die Ursachen hierfür liegen auf der Hand. Zu lange gab es im Land keine Möglichkeit zum politischen Streit. Ist die mangelnde politische Kultur das zentrale Problem der Opposition? Nein, das zentrale Problem ist, dass die Opposition mit Bedingungen konfrontiert wird, unter denen sie nicht handeln kann. Ihre Anführer lässt man nicht ins Fernsehen. Doch unser modernes Leben ist nun mal so geschaffen, dass ein Mensch scheinbar gar nicht existiert, wenn es ihn im Fernsehen nicht gibt. Oder jetzt spekuliert man darüber, die Parlamentswahlen von Dezember auf September 2016 zu verle-

Biografie

Ljudmila Alexejewa Die Menschenrechtsaktivistin wurde 1927 in Eupatoria (Krim, UdSSR) geboren. Als Menschenrechtlerin trat sie erstmalig in Erscheinung, als sie gegen die politischen Gerichtsprozesse von 1966 protestierte. Deswegen wurde sie aus der KPdSU ausgeschlossen. 1976 gründet Alexejewa zusammen mit anderen Aktivisten die Moskauer Helsinki-Gruppe, doch schon 1977 emigrierte sie in die USA. Erst 1993 kehrte sie nach Moskau zurück. Alexejewa verfasste Hunderte Broschüren und Artikel zum Thema Menschenrechte und wurde für ihre Tätigkeit vielfach ausgezeichnet, z.B. mit dem französischen Orden der Ehrenlegion (2007) und mit dem deutschen Bundesverdienstkreuz (2009).

gen. Dabei ist doch klar, warum es September sein soll: Der ganze Wahlkampf läuft dann im Sommer, wenn die Menschen weg sind, und die Wahlbeteiligung fällt niedrig aus. Der Opposition wird oftmals vorgeworfen, ihr fehle eine Führungspersönlichkeit, jemand, dem die Menschen folgen würden. Alexej Nawalny ist zweifach verurteil und auf Bewährung frei. Sergej Udalzow wurde vor Kurzem in einer Strafkolonie inhaftiert, er verbüßt eine Haftstrafe wegen der Organisation von Massenunruhen bei einer Kundgebung 2012. Boris Nemzow ist tot. Sehen Sie eine solche Führungspersönlichkeit? Ich bin keine Politikerin. Und Mitglied der Opposition bin ich auch nicht. Für mich ist es schwierig zu urteilen. Doch Menschen, die es könnten … Wladimir Ryschkow. Er war lange in der Staatsduma und wäre ein hervorragender Parlamentspräsident. Aber im Augenblick ist er im Nirgendwo. Oder Michail Kasjanow, Mitvorsitzender der Partei RPRPARNAS, der einer der besten Minister der Jelzin-Ära und auch noch während der Präsidentschaft Wladimir Putins war. Der Ex-Finanzminister Alexej Kudrin … Und Michail Chodorkowski? Ein sehr kompetenter Mensch! Er wäre ganz bestimmt äußerst hilfreich. Was macht er dann im Ausland? Einige beschuldigen ihn der Flucht. Nein, eine Flucht ist das nicht. Im Gegenteil, er würde sehr gern zurückkehren. Ihn ins Ausland zu lassen, war ein cleverer Schachzug mit dem Hintergedanken: Da soll er auch bleiben. Doch wenn man ihn nur dazu aufriefe, irgendwie zu helfen, er würde kommen, da bin ich sicher. Als Mensch kenne ich ihn einfach zu gut. Sie haben 16 Jahre in den USA gelebt, sind im Besitz der amerikanischen Staatsbürgerschaft. Warum sind Sie nach Russland zurückgekehrt? Als nicht nur mir, sondern auch meinem Sohn und meinem Ehemann in Russland die Verhaftung drohte – obwohl sie keine Menschenrechtler waren –, war ich gezwungen auszureisen. Ich ging nach Amerika und kehrte Anfang der Neunziger hierher zurück. Viele ließ man zuvor schon hinein, mich aber nicht – ich stand auf der Schwarzen Liste des KGB. Aus meiner amerikanischen Staatsbürgerschaft habe ich nie ein Hehl gemacht. In die USA gehe ich niemals mehr, doch seinerzeit hat man mich freundlich aufgenommen. Dort habe ich all die Jahre ein normales Leben führen können, das ich hier im Lager abgesessen hätte. Zurückgekehrt bin ich, weil Russland mein Land ist. Und ich will in diesem Land leben. Das Gespräch führte JEKATERINA SINELSCHTSCHIKOWA.


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DAS THEMA

BRICS GLOBAL DIE BRICS-STAATEN, EINST EIN FANTASIEKONSTRUKT VON INVESTMENTBANKERN, WOLLEN MIT ZWEI NEUEN INSTITUTIONEN DIE EIGENE ROLLE IN DER WELT FESTIGEN.

SCHWELLENLÄNDER RÜTTELN AN IWF UND WELTBANK Für den kommenden Gipfel der BricsStaaten im russischen Ufa ist die Gründung neuer Finanzinstitutionen geplant. Das könnte die internationale Finanzarchitektur verändern.

Die Wettbewerbsvorteile der Brics-Länder im Vergleich

ALEXEJ LOSSAN RBTH

Am 1. April 2015 hat Russland den Vorsitz der Brics-Gruppe, der informellen Vereinigung der größten Schwellenländer, übernommen. Diese Länder durchleben gerade aber eine schwere Zeit: Die Volkswirtschaften Russlands und Brasiliens verzeichnen gegenwärtig kein Wachstum, und auch China legt langsamer zu. Moskau hat nun zum Hauptziel der Gruppe in diesem Jahr die Gründung eigener Finanzinstitute – einer neuen Entwicklungsbank und eines Valutareservefonds – erklärt. Beide sollen in Wettbewerb mit dem Internationalen Währungsfonds und der Weltbank treten. Die endgültige Entscheidung über die Gründung der neuen Finanzinstitute wird auf dem Gipfeltreffen am 9. und 10. Juli in Ufa, einer Stadt 1300 Kilometer östlich von Moskau, gefällt. Die Neugründungen könnten zu einem Impuls für die Staatengruppe werden. Diesen hat die Organisation auch dringend nötig. „Grundlage der Vereinigung war das große Wachstumstempo dieser Volkswirtschaften, das im Durchschnitt sechs bis sieben Prozent pro Jahr betrug“, sagt Valeri Abramow, Professor des Instituts für Öffentlichen Dienst und Verwaltung der Russischen Akademie für Volkswirtschaft und Öffentliche Verwaltung in Moskau. Die Länder nahmen mit ihren riesigen Ressourcen und Absatzmärkten im entscheidenden Maße Einfluss auf die Entwicklung der Weltwirtschaft.

Bündnis der Ungleichen „Dabei befi nden sich die Brics-Mitglieder hinsichtlich ihrer Wirtschaftsstruktur und ihres sozialökonomischen Entwicklungsniveaus auf vollkommen unterschiedlichem Stand“, sagt Abramow. Nach Angaben des IWF betrug das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf der Bevölkerung nach Kaufkraftparität im Jahr 2014 in Russland 24 800 US-Dollar, in der Republik Südafrika 13 050 US-Dollar, in China 12 880 und in Indien 5850 US-Dollar. „Russlands Wirtschaft ist wettbewerbsfähiger, weil das Land über das größere wissenschaftlich-technische Potenzial verfügt. Das erlaubt es Russland, einen innovativen Entwicklungsweg einzuschlagen und die technologische Führung in der Gruppe der Brics-Staaten zu übernehmen“, meint Professor Abramow. Allerdings wächst die Wirtschaft anderer Mitglieder der Gruppe schneller als die Russlands. So konnten nach

Chronik der Brics-Gründung

Ungeachtet aller Unterschiede einigen die Brics-Staaten vor allem gemeinsame Wirtschaftsinteressen.

Angaben der Ratingagentur Moody’s lediglich Indien und China das bisherige Wirtschaftswachstum von sieben Prozent beibehalten. Doch ungeachtet aller Unterschiede einigen die Brics-Staaten vor allem gemeinsame Wirtschaftsinteressen. „Die Länder streben einen Ausbau ihrer nationalen Souveränität an. Sie wollen ihre regionale Vorherrschaft ausbauen und dabei ihre ökonomische und politische Abhängigkeit von der sogenannten Goldenen Milliarde, den reichen Industrienationen, verringern“, erläutert Abramow.

Neue Institutionen Der Aufbau neuer Finanzinstitute soll eben diesen gemeinsamen wirtschaftlichen und geopolitischen In-

DIE ZAHL

300 Mrd. Dollar beträgt das Handelsvolumen zwischen den Brics-Staaten nach Schätzung des russischen Ministeriums für Industrie und Handel.

teressen dienen. Das Abkommen über die Gründung eines gemeinsamen Brics-Reservefonds wurde während des letzten Gipfeltreffens in Brasilien im Juli des vergangenen Jahres unterzeichnet. Er soll mit einem Startkapital in Höhe von 100 Milliarden US-Dollar ausgestattet werden. Dazu tragen die einzelnen BricsMitgliedstaaten mit unterschiedlichen Beiträgen bei: China zahlt 41 Milliarden US-Dollar ein, Südafrika fünf Milliarden, und Russland, Brasilien und Indien zahlen jeweils 18 Milliarden US-Dollar ein. Im Prinzip handelt es sich hierbei um eine Art „Solidaritätskasse“, die genutzt werden kann, wenn einer der Brics-Mitgliedstaaten fi nanziell ins Schlingern gerät.

„Das Rahmenabkommen über den Reservefonds zieht keine unmittelbaren Verpflichtungen nach sich. Geld wird erst ausgezahlt, wenn die Zentralbanken der Mitgliedstaaten eine Vereinbarung unterzeichnen“, erläutert Abramow. Gleichzeitig würden die Zentralbanken ihre Ressourcen, die dem Anteil des jeweiligen BricsMitglieds am Reservefonds entsprechen, als eigene internationale Reserve führen. „Dieser virtuelle Währungspool soll eine Alternative zu Instituten wie dem Internationalen Währungsfonds und der Weltbank darstellen“, bemerkt der Experte. Das zweite fi nanzielle Großprojekt der Brics-Staaten ist die Schaffung einer Neuen Entwicklungsbank (NDB), deren Kredite für Investitio-


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DAS THEMA

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FRAGE UND ANTWORT

IWF und Weltbank schaffen es nicht allein Gibt es derzeit Bedarf für eine BricsBank?

JAKOW MIRKIN EXPERTE DER RUSSISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN

EPA/VOSTOCK-PHOTO

V.l.n.r.: Die Staatschefs und führenden Politiker der Brics-Staaten Wladimir Putin (Russland), Narendra Modi (Indien), Dilma Rousseff (Brasilien), Xi Jinping (China) und Jacob Zuma (Südafrika) trafen während des G-20-Gipfels im australischen Brisbane im November 2014 zusammen.

nen in institutionelle oder Infrastruktur-Projekte auch in anderen Ländern dienen sollen. In der Startphase soll die Brics-Entwicklungsbank mit zehn Milliarden US-Dollar ausgestattet werden. Der Geschäftssitz wird sich in China befinden, der erste Präsident soll von Indien gestellt werden. Anfang Mai benannte der stellvertretende russische Finanzminister Sergej Stortschak den ersten möglichen Empfänger von Hilfeleistungen der Brics-Bank: Griechenland. Dessen Verschuldung beträgt 320 Milliarden Euro oder mit anderen Worten 177 Prozent des BIP. Allein Deutschland schuldet Athen 56 Milliarden Euro.

Brics-Länder in Zahlen

ONLINE STADT UFA: MULTIKULTI AUF BASCHKIRISCH Ufa hat sich gründlich vorbereitet. Wenn am 8. Juli die Delegation für den Brics-Gipfel in der Stadt eintrudelt, warten sieben neue Hotels und ein taufrisches Flughafenterminal auf die Gäste. 170 Mio. Euro wurden in die Infrastruktur investiert.

Quo vadis, Brics? Die endgültige Entscheidung über die Schaffung der neuen Institute soll in Ufa gefällt werden. Experten sehen die Projekte jedoch noch skeptisch. Mit der von China initiierten Asiatischen Bank für Infrastrukturinvestitionen (AIIB) gibt es bereits einen ernst zu nehmenden Konkurrenten. Darüber hinaus werden zwischen Russland und China bilaterale Abkommen außerhalb des Brics-Rahmens geschlossen. So einigten sich die beiden Länder während des offiziellen Besuchs des chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping Anfang Mai zum Tag des Sieges in Moskau über eine künftige Beteiligung Russlands an dem „Seidenstraßen-Wirtschaftsgürtel“, den China plant. Und russische Banken, unter anderem die größte Bank Russlands, die staatliche Sberbank, erhielten von China Kredite in Yuan. Alexej Koslow, Chefanalyst von UFS IC, ist der Ansicht, dass die westlichen Investitionsinstitute dennoch die Hauptkonkurrenz sowohl der Brics-Entwicklungsbank als auch der AIIB blieben. Doch ungeachtet der Schwierigkeiten könnten die neuen Finanzinstitute ein effektives Instrument der interregionalen Wirtschaftsintegration werden. „Aus einer Gruppe von Ländern, deren gemeinsamer Nenner lediglich ein ähnlich hohes Wirtschaftswachstum war, hat sich Brics in eine geopolitische Vereinigung, in eine politische Kraft, verwandelt, hinter der in etwa 40 Prozent der Weltbevölkerung steckt“, fasst Koslow zusammen. Die Bedeutung dieser Organisation werde für ihre Mitglieder in den nächsten Jahren wachsen, ist er überzeugt.

Die Brics-Bank muss im Zusammenhang mit dem geplanten Reservepool betrachtet werden. Die Länder verfügen gemeinsam über Rücklagen in Höhe von fünf Billionen US-Dollar. Gleichzeitig haben die BricsStaaten nicht nur Interesse an Stabilität, sondern auch daran, diese nach ihrer eigenen Vorstellung zu gestalten und Schocks abzuwehren. Überall auf der Welt entstehen derzeit Alternativen zu den bestehenden Instrumentarien. Zumal die Reform des Internationalen Währungsfonds, die gerade den Brics-Staaten mehr Mitsprache garantieren sollte, nicht abgeschlossen ist. Stellt die Brisc-Bank eine Konkurrenz für den IWF und die Weltbank dar? Zweifelsohne wird es zu einem Wettbewerb der Ideen und der Weltsichten kommen. Die Praxis zeigt aber auch, dass verschiedene Institutionen, wie im Falle Griechenlands, kooperieren können. Das Finanzsystem ist zu kompliziert für den IWF und die Weltbank allein. Die Welt braucht nachgelagerte Strukturen.

de.rbth.com/30569 OLEG MENKOV

MEINUNG

STARKE FREUNDE FÜR EIN ISOLIERTES LAND – DAS TREFFEN DER BRICS-STAATEN IN UFA

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ALEXANDER GABUEW EXPERTE

Der Autor ist Leiter des Programms „Russland im asiatisch-pazifischen Raum“ des Carnegie-Zentrums in Moskau.

s ist noch gar nicht so lange her, da waren die Brics-Staaten lediglich ein Gedankenkonstrukt des Chefökonomen der Investmentbank Goldman Sachs, Jim O’Neill. Er brachte die Abkürzung 2001 in Umlauf, um die schnell wachsenden Volkswirtschaften der Welt zusammenzufassen und gleichzeitig seinen Kunden ein neues Investitionsobjekt präsentieren zu können. Die Bank legte sogleich Portfolios auf mit Wertpapieren aus den vier Ländern. Der Brics-Gipfel, der nun Anfang Juli im russischen Ufa stattfindet, ist bereits die siebte Zusammenkunft der Schwellenländer und die fünfte seit 2011, als Südafrika beitrat. Russland hat eine besondere Beziehung zum Brics-Zusammenschluss. Denn die Idee, diesem börsianischen Fabelwesen politisches Leben einzuhauchen, stammte aus Moskau. Im September 2006 fand auf Initiative des russischen Präsidenten Wladimir Putin in New York ein erstes Ministertreffen im Bric-Format statt. Im Mai 2009 empfing Jekaterinburg den ersten Gipfel der Bric-Staaten, damaliger Gastgegeber war Präsident Dmitri Medwedew. Und wenn es auch keine konkreten Ergebnisse vorzuweisen gab, hatte das Treffen doch einen wichtigen, propagandistischen

Effekt für Russland. Die Beziehungen zum Westen waren damals auf einem Tiefpunkt, und Moskau konnte den USA und der EU demonstrieren, dass es auch andere einflussreiche Partner hat. In den vergangenen Jahren hat die Organisation ihr Tätigkeitsfeld erweitert. Nach geopolitischer Machart ist sie dazu übergegangen, neue internationale Normen zu schaffen. Die wichtigste BricsInitiative ist der Versuch, eine Alternative zur westlich dominierten Finanzarchitektur in der Welt zu schafen. Die Länder koordinieren ihre Positionen diesbezüglich auch aktiv im Rahmen der G-20-Treffen. 2014, als klar wurde, dass der US-Kongress eine von der G20 gebilligte IWF-Reform blockieren würde, die eine Umverteilung der Stimmrechte zugunsten der Entwicklungsländer vorsah, haben die BricsTeilnehmer die Gründung einer eigenen Bank und eines Pools nationaler Wärungen vereinbart. Künftig könnte dies helfen, das internationale Finanzwesen unabhängiger von Euro und Dollar zu machen. Allerdings bleibt dies bislang der einzige Beschluss der Brics von größerer Tragweite. Einer der Gründe für die mangelnde Effizienz der Brics-Staaten als internationaler Organistation liegt in den

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Die wichtigste BricsInitiative ist der Versuch, eine Alternative zur westlich dominierten Finanzarchitektur in der Welt zu schaffen.»

Besonderheiten ihrer bürokratischen Funktionsweise. Brics ist womöglich die einzige Vereinigung, bei der ein Gipfel der Staats- und Regierungschefs nicht die Krönung des Vorsitzes darstellt, sondern seinen Beginn. So wird die Agenda ein ganzes Jahr von einem Land vorbereitet, während die Entscheidungen bereits in einem anderen gefällt werden. Mangels Synchronität bleiben viele Initiativen nur schlecht ausgearbeitet. Russland hat dies nun geändert. Formal begann Moskaus Vorsitz im Mai, somit hat der Gipfel einen Vorlauf von drei Monaten. Und der Gipfel in China kommendes Jahr wird das Ergebnis eines vollwertigen, einjährigen Vorsitzes sein. Im Rahmen seines Vorsitzes versucht Russland, die Agenda so breit wie möglich aufzustellen. Anfang des Jahres forderte der Kreml die föderalen Behörden auf, eigene Vorschläge einzubringen. Deswegen stehen auf der Tagesordnung des Gipfels in Ufa schon jetzt 130 Punkte. Und dennoch, in der momentanen Situation zählt für Russland wie schon 2009 auch die Symbolkraft des Treffens. Der Westen versucht im Zuge der Ukraine-Krise, Russland zu isolieren. Moskau ist formal aus der G8 ausgeschlossen. Die Siegesfeier am 9. Mai in Moskau, bei der westliche Staatschefs weitestgehend fehlten, wurde zu einem weiteren Zeichen der Isolation. Nun wird Russland in Ufa die Gelegenheit haben, sich als Sprecher der „nichtwestlichen“ Welt zu präsentieren.


Freitag, 5. Juni 2015

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Eine Beilage des Rossijskaja Gaseta Verlags, Moskau

MEINUNG

DIE G7 AM SCHEIDEWEG DER GLOBALEN ENTWICKLUG

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DMITRIJ SUSLOW POLITOLOGE

Dozent an der Higher School of Economics in Moskau und Experte für russische Außenpolitik und Russlands Beziehungen zu den USA und Europa

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Die G20 wird wahrscheinlich die einzige Plattform sein, die die G7 und BricsStaaten unter einem Dach vereint.»

ie G7 wurde 1975/76 als ein Forum der bedeutendsten Industrienationen der Welt gegründet. Dieser Klub der Führer der westlichen Welt basierte auf gemeinsamen Werten (Liberalismus, Demokratie und Marktwirtschaft), einem gemeinsamen Feind (dem kommunistischen Lager) und gleichen Spielregeln für alle (Akzeptanz der US-amerikanischen Hegemonie). Die führenden Industriemächte versuchten auf diesem Wege die Zusammenarbeit in einer für sie komplizierten Zeit zu verbessern. In der Ölkrise von 1973, der Niederlage der USA im Vietnamkrieg, der Auflösung des Kolonialsystems und dem Nachziehen der UdSSR in der Rüstung und in der Einflussnahme auf die Dritte Welt sahen viele Anzeichen für den nahenden Untergang des Westens. Diese immer gefährlicher werdende Welt verlangte vom Wesgten ein koordiniertes Vorgehen in Wirtschaft und Politik. Aus diesem Grunde wurde der exklusive Klub ins Leben gerufen, in dem die Führer der westlichen Welt ungestört ihre Problem besprechen konnten. Jetzt kehrt die G7 zu diesem Modell zurück. Eine G8 wird es in naher Zukunft wohl nicht wieder geben, denn es ist recht unwahrscheinlich, dass noch einmal ein Land aufgenommen wird, das eigentlich nicht zur westlichen Wertegemeinschaft gehört. Selbst wenn die Ukraine-Krise beigelegt werden und die Beziehung zwischen Russland und dem Westen sich allmählich wieder bessern sollte, wird Moskau kaum in den Schoß der G8 zurückkehren. Das hat weniger mit möglichen Kränkungen und Enttäuschungen als vielmehr mit der objektiven Entwicklung der Weltwirtschaft und der internationalen Beziehungen zu tun, die einer solchen hypothetischen Rückkehr entgegenstehen. Auch wenn das Forum durch Russlands Beteiligung eine größere Legitimität und eine vielfältigere Agenda verliehen bekam, spielte es doch auch noch als G8 seine ursprüngliche Rolle als Klub der führenden Industrienationen weiter. Die Aufnahme Russlands in die G7 zu Beginn der Neunziger verfolgte zwei Ziele: ein taktisches und ein strategisches. Ersteres bestand darin, die Ignoranz der russischen Interessen in der Realpolitik (Nato-Erweiterung, Aggression gegenüber Jugoslawien) psychologisch zu kompensieren und den Anschein der Bedeutung Boris Jelzins als globalen Führer zu unterstreichen. Strategisch war es eine Form der „Integration“ Russlands in die west-

liche Staatengemeinschaft – parallel zur Entwicklung partnerschaftlicher Beziehungen zu den USA, der Nato und der EU. Damals glaubte man im Westen, dass das postsowjetische Russland sich über kurz oder lang zu einem Teil des Westens entwickeln werde. Moskau akzeptierte, wenn auch zähneknirschend, sein Unvermögen, der nach dem Zerfall der Sowjetunion entstandenen Unipolarität etwas entgegenzusetzen. Russland betrieb, zum Teil auf eigenen Wunsch, zum Teil auf Druck von außen, eine Politik, die das Land in die westliche Gemeinschaft bringen sollte – in einer führenden Rolle. Zu Beginn der Jahrtausendwende bis hinein in unser Jahrzehnt preschten dann die großen Schwellenländer nach vorne und forderten eine verstärkte Berücksichtigung ihrer Positionen bei der Lösung globaler Probleme, während die USA, die EU und Japan von einer wirtschafts- und außenpolitischen Krise in die nächste schlitterten. Russland versuchte in dieser Situation auf zwei Hochzeiten zu tanzen. Es wirkte aktiv am Aufbau der Brics mit, engagierte sich zur gleichen Zeit jedoch auch weiter in der G8. Moskau betrachtete sein Mitwirken in beiden Foren als wichtigen Faktor seines Einflusses auf die Weltpolitik und als Widerspiegelung seiner besonderen und – geopolitisch betrachtet – äußert vorteilhaften Position. Seine strategische Partnerschaft mit China und den anderen Brics-Staaten, seine „Umorientierung“ nach Asien ergänzte es durch seine Anstrengungen, die strategische Partnerschaft mit der Europäischen Union und den USA weiterzuentwickeln und die EU mit der Zollunion in einen gemeinschaftlichen Wirtschaftsraum von Lissabon bis Wladiwostok zu verschmelzen. Doch das ist inzwischen alles Schnee von gestern. Die Ukraine-Krise und die dadurch ausgelöste Konfrontation zwischen Russland und dem Westen begrub endgültig die Illusion, dass Russland den Integrationskurs in Richtung Westen wieder aufnehmen werde. Und so war die erste Reaktion der G7Staten auf die Ereignisse in der Ukraine die Rückkehr zum ursprünglichen Format. Weniger um Russland zu irgendwelchen Kursänderungen zu zwingen, als um die Kohärenz des Klubs zu bewahren. Russland verweigert sich nicht der Annäherung an die Europäische Union und der Schaffung eines gemeinschaftlichen Wirtschaftsraums, jedoch haben

KONSTANTIN MALER

die Prioritäten sich verändert: Dieser Raum sollte ursprünglich im Westen entstehen und dann nach Osten ausgebaut werden. Nun aber wird der gemeinsame Raum mit China und Asien als eigenständiges Ziel betrachtet, das die EU dazu anregen soll, einen gemeinsamen Raum mit Russland auf der Basis paritätischer Bedingungen zu schaffen. Diese Wechsel in der russischen Politik ist keineswegs ereignisgesteuert. Die Ukraine-Krise hat lediglich die globalen Prozesse beschleunigt, die bereits in den vergangenen Jahren aufgrund des veränderten Kräfteverhältnisses in der Welt und der Krise der globalen Führungsrolle des Westens begonnen haben. Dabei handelt es sich um die Bifurkation, also den Scheideweg zwischen dem „globalen Westen“ unter Führung der USA und dem „globalen Nichtwesten“ mit Zentrum Eurasien. Parallel zur wirtschaftlichen und politischen Konsolidierung des traditionellen Westens (durch eine Stärkung der Nato und der Bündnisse der USA in Asien sowie das Vorantreiben von TPP und TTIP) erfolgt ein noch nie dagewesenerer Schulterschluss der nichtwestlichen Machtzentren. Dieser findet seinen Ausdruck in der Schaffung eines neuen, durch geopolitische und geoökonomische Ziele vereinten Eurasiens, das für Sicherheit und eine gemeinsame Entwicklung eintritt. Eurasien, bisher nur Spielball der Politik, wird nun endlich selbst zu einer treibenden Kraft. Eines sollte dabei klar sein: Die Entwicklung dieser politischen und wirtschaftlichen „Gabelung“ ist wohl kaum umzukehren. Selbst wenn der Konflikt in der Ukraine beigelegt werden und sich die Stimmung des Dialogs zwischen Russland und den USA sowie der EU verbessern sollte, wird das die strategische Situation kaum beeinflussen. Von nun an kann Moskau nur noch Teil eines „Groß-Eurasiens“ vom Atlantik bis hin zum Pazifik sein. Sobald die Konsolidierung und Eigenständigkeit Eurasiens von den westlichen Ländern realisiert wird, werden diese noch enger zusammenrücken. Sie werden diese unkontrollierbare eurasische Realität als eine Art Herausforderung ansehen, was zu einem verstärkten Koordinierungsbedarf führen dürfte – genau so wie in den Siebzigerjahren. Eines der wichtigsten Koordinierungsinstrumente wird dabei die G7 sein. Damit kehrt der Klub der Sieben zu seiner ursprünglichen Rolle zurück, und seine Bedeutung als Forum Gleichgesinnter, die einer gemeinsamen – und mitnichten globalen – politisch-ökonomischen Gemeinschaft angehören, wird wachsen. Die Beteiligung eines nicht westlichen Landes, und sei dies auch Russland, würde die Bedeutung dieser Vereinigung unter den Bedingungen einer globalen Bifurkation deutlich relativieren. Die neue Realität des globalen politisch-ökonomischen Scheidewegs wird von einer Aufspaltung der globalen Regulierung begleitet: auf der einen Seite die G7 und das Bretton-WoodsSystem, auf der anderen die SOZ (Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit) und die Brics. Russland wird sich offensichtlich in der zweiten Gruppe engagieren. Gleichwohl zeichnet sich die gegenwärtige Entwicklungsetappe dadurch aus, dass die diversen Foren – die globalen und regionalen, die westlichen und nicht westlichen – einander nicht ausschließen, sondern ergänzen. Und schließlich gibt es da auch noch die G20, die wahrscheinlich die einzige Plattform sein wird, die die westlichen und nicht westlichen Mächte und die von ihnen angeführten politisch-ökonomischen Gemeinschaften unter einem Dach vereint.

RUSSLAND UND DAS ERBE OBAMAS

D FJODOR LUKJANOW POLITOLOGE

Chefredakteur der Fachzeitschrift Russia in Global Affairs und Vorsitzender des Rats für Außen- und Verteidigungspolitik in Moskau

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Die politischen Ereignisse 2014/15 zeigten, dass die Hoffnung, einer Konfrontation aus dem Weg zu gehen, eine Illusion war.»

er Besuch von US-Außenminister John Kerry in Russland im Mai ließ die Öffentlichkeit wieder aktiv die Beziehungen zwischen Moskau und Washington diskutieren. Die politischen Ereignisse 2014/15 haben gezeigt, dass die Hoffnung, einer Konfrontation aus dem Weg zu gehen, nur eine Illusion war. Die Linie der USA gegenüber Moskau bestand seit der Angliederung der Krim an Russland in Folgendem: die Kontakte auf ein Minimum herunterzufahren, solange der Kreml sein Verhalten nicht ändert. Die Erwartung Washingtons hat sich nicht erfüllt. Andererseits kann auch Moskau wohl kaum darauf hoffen, dass sich ohne die Mitwirkung der USA die Lage im Nachbarland stabilisiert. Dabei kann von einem neuen Kalten Krieg nicht die Rede sein. Es gibt „gemeinsame Aufrufe“. So haben Moskau und Washington zum Beispiel eine unterschiedliche Auffassung von der Genesis der Ereignisse im Nahen Osten, bestreiten aber nicht, dass die IS eine Gefahr darstellt. Barak Obama befindet sich in der Endphase seiner zweiten Amtszeit und sorgt sich als Präsident deshalb vorrangig um seine Nachfolge. Obamas Präsidentschaft fiel in eine Zeit, in der sich die Weltordnung zunehmend schneller veränderte, so dass internationale Erfolge schwieriger wurden. Zudem war der US-Präsident auch nicht frei von Fehlern. Gerade deshalb ist es jetzt wichtig, sich auf jene Kursrichtungen zu konzentrieren, die es in die Geschichtsbücher schaffen könnten. Im Falle Obamas wäre das vor allem der Iran. Um die Geschichte mit dem Iran zu einem erfolgreichen Ende zu bringen, bedarf es noch langer und mühevoller Arbeit in allen Bereichen. Die Übereinkunft ist sehr fragil, so dass die größtmögliche Unterstützung von allen Seiten notwendig ist, darunter auch die Mitwirkung Russlands. Obama will den Nahen Osten nach seiner Amtszeit nicht in dem jetzigen desolaten Zustand hinterlassen, auch hier ist die Mitwirkung Russlands oder zumindest dessen Neutralität notwendig. Das ukrainische Erbe verspricht nichts Gutes – der US-Präsident ist sich darüber im Klaren, dass hier nicht mit einer schnellen Lösung zu rechnen ist. Deshalb wird die nächste Etappe der russisch-amerikanischen Beziehungen (bis Anfang 2017) in etwa wie folgt aussehen: Zuerst werden die Verantwortlichen für die militärpolitische Sicherheit beginnen, auf der Arbeitsebene zu kommunizieren, um das zufällige Entflammen eines militärischen Konfliktes zu verhindern. Es kommt zu einem Meinungsaustausch, und eventuell folgen erste Schritte zur Klärung der Situation im Nahen Osten. Eine einheitliche Position ist nicht zu erwarten, aber es wird in diesem Punkt auch keine Konfrontation geben. Im Falle des Irans ist sogar mit einer aktiven Zusammenarbeit zu rechnen, in puncto Syrien werden vorschnelle Aktionen ausbleiben. Bezüglich der Ukraine werden die Positionen konträr bleiben, aber wahrscheinlich beide Seiten eine Eskalation vermeiden. Dieser Modus Vivendi bedeutet jedoch nicht, dass sich die Rhetorik entschärft – ganz im Gegenteil: Die tatsächliche Entspannung muss möglicherweise durch aggressivere verbale Äußerungen kompensiert werden. Aber im Großen und Ganzen kann ein solches Vorgehen bis zum Ende Obamas Präsidentschaft fortgeführt werden. Die weitere Zukunft hängt von einer ganzen Reihe Faktoren ab, nicht zuletzt davon, wie schnell und auf welche Art sich die Beziehungen beider Seiten zu China entwickeln.

Die ungekürzte Fassung des Beitrags erschien zuerst in Rossijskaja Gaseta.

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Eine Beilage des Rossijskaja Gaseta Verlags, Moskau

Freitag, 5. Juni 2015

GESCHICHTE

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ARCHITEKTUR Moskaus Metro wird 80 Jahre alt – und es wird immer noch gebaut

Die unterirdischen Paläste der Hauptstadt Was als schier unmöglich galt, begannen russische Architekten und Ingenieure vor 80 Jahren zu realisieren: den Bau der Moskauer Metro mit ihren prachtvollen Stationen. DARJA KURDJUKOWA

NIKOLAJ GALKIN / TASS

Am 15. Mai 1935 nahm die Moskauer Metro Fahrt auf, mit nur einer Linie von der Station Sokolniki bis zum Park Kultury. Heute gibt es zwölf Linien und 196 Stationen, sieben weitere sind im Bau. Die Moskauer Metro gilt als eines der schönsten U-Bahn-Netze der Welt. Die Stationen haben den Ruf, unterirdische Prachtbauten zu sein, 44 von ihnen gehören zum Weltkulturerbe. Ihre Besichtigung ist ein Muss für jeden Besucher der Hauptstadt.

© A. SOLOMONOW / RIA NOVOSTI

FÜR RBTH

Aller Anfang ist schwer

Unterirdische Stadtplanung Anfangs gab es zwei Arten von Stationen. Die einen hatten ein tiefes Fundament und Pylontragwerke wie die Station Krasnye Worota, die unter der Leitung von Iwan Fomin entstand. Bei anderen, deren geologisches Umfeld stabiler war, konnte die Halle durch Säulen stabilisiert werden. Alexej Duschkin entwarf mit der Majakowskaja die weltweit erste tiefgelegene Station dieser Art. Er sei der eigentliche Begründer einer Moskauer Schule des U-Bahn-Baus und hätte die theoretischen Grundlagen für die Arbeit unter Tage und die Hallenkonstruktionen gelegt, sagt seine Enkelin. Auch habe er die große Bedeutung des Lichts für das architektonische Arrangement unterirdischer Räume erkannt. In der Station Kropotkinskaja etwa kommen versteckte Lichtquellen zum Einsatz. Das Licht ergießt sich sanft in den Raum, wodurch der Eindruck einer Enfilade wie in einem Schloß entsteht. In der Station Majakowskaja hat Duschkin Nischen in die Gewölbe eingelassen und diese mit Mosaiken ausgekleidet. Außerdem kombinierte er unterschiedliche Kunstrichtungen mit neuen Techniken. Er war der Erste, der plastische Elemente verwendete (Station Ploschad Rewolutsii), dazu klassische Smalte-Mosaiksteine zur Gestaltung der Wände (Station Majakowskaja). Beim Innenausbau habe er

Neue Infopoints weisen den richtigen Weg Moskau sucht nach neuen Wegen, wie man Touristen die Navigation in der Stadt erleichtern kann. Seit 2013 sind in den wichtigsten Metro-Stationen Wegweiser auf dem Boden zu finden, die in russischer und englischer Sprache die richtige Richtung anzeigen, um zwischen den Bahnlinien umzusteigen. Demnächst werden alle Metro-Ausgänge nummeriert. Dadurch soll die Orientierung in Stationen, die mehrere Ausgänge haben, erleichtert werden. Bisher unterschieden sie sich allein durch Straßennamen. Und an den Metro-Ausgängen erfahren Touristen auch Wissenswertes über die schönsten Sehenswürdigkeiten in ihrer Nähe. Die Infopoints wurden gemeinsam mit den britischen Experten von City ID und Billings Jackson Design konzipiert. Die beiden Architekturbüros haben bereits ähnliche Projekte in New York und London umgesetzt.

NIKOLAJ GALKIN / TASS

Die Idee, in Moskau eine U-Bahn zu bauen, gab es schon ab 1875, doch lange Zeit wurde der Plan nicht realisiert. Einer der Gründe war der Einfluss der mächtigen Straßenbahnlobby. 1930 wurde die Idee wieder aufgegriffen, obwohl die Verantwortlichen überzeugt waren, dass die örtlichen Gegebenheiten zu schwierig wären, um den Bau zu wagen. Natalja Duschkina, Professorin für Architekturgeschichte und Enkelin von Alexej Duschkin, einem der berühmten U-Bahn-Erbauer, erzählt, dass Ingenieure der Metros von London, Berlin und Paris zu Konsultationen nach Moskau eingeladen wurden. Sie erklärten, dass die extrem ungünstigen geologischen Bedingungen die Arbeiten unter der Erde quasi unmöglich machten. Doch russische Ingenieure, Geologen und Architekten schafften das Unvorstellbare, so Duschkina. Sie bauten eine Stadt unter der Stadt mit Straßen und Plätzen.

Beim Innenausbau der Majakowskaja wurden SmalteMosaiksteine eingesetzt (rechts). Zu den ersten Metro-Fahrgästen zählten die Bauarbeiter (oben). An den Pylonen der Station Ploschad Rewolutsii hat man den sowjetischen Menschen in Bronze verewigt (unten).

DIE ZAHL

8 000 000 Menschen benutzen täglich die Moskauer U-Bahn. Seit 80 Jahren sind es fast 145 Milliarden.

auf neue Materialien wie Edelstahl gesetzt, zum Beispiel in der Station Majakowskaja, sagt Duschkina. Nach dem Krieg seien in der Station Nowoslobodskaja Aluminium und Glasmalerei zum Einsatz gekommen. Duschkin war 1943 auch einer der Ersten, die in einer U-Bahn-Station Granit verbauten. In der Station Awtozawodskaja wollte er damit die Bedeutung widerstandsfähiger Bodenbeläge unterstreichen. Bis dahin bestanden diese vor allem aus Asphalt und Fliesen.

Ausstellungen im Untergrund Nicht ohne Grund wird die Moskauer Metro mit unterirdischen Palästen verglichen. Ihre Stationen wurden im Sowjetstil gestaltet und verkündeten eine neue Gesellschaftsordnung. Eines der beeindruckendsten Beispiele dafür ist die Station Majakowskaja. In einer Leningrader Manufaktur wurde ihr Mosaik nach Entwürfen von Alexander Dejneka angefertigt, einem der bedeutendsten Künstler der Sowjetunion. Die Smalte-Mosaiksteine stammen noch aus vorrevolutionärer Zeit. „An den Decken der Station hat Dejneka die Boten des neuen sowjetischen Zeitalters abgebildet: gigantische Fabriken, junge Frauen auf Mähdreschern, Pioniere, Sportler, Erholung, glückliche Mütter, blühende Gärten, Fallschirme, Flugzeuge“, sagt die Kunsthistorikerin und Mitarbeiterin des Staatlichen Instituts für Kunstgeschichte Tatjana Judkewitsch. Im Jahr 1939 sei ein Nachbau der Station Majakowskaja für die New Yorker Weltausstellung angefertigt worden.

Man hatte ihr eine neue Decke verpasst, auf der Flugzeuge abgebildet waren und der Kreml-Stern vor einem Nachthimmel prangte. Der Nachbau wurde mit dem Hauptpreis der Weltausstellung belohnt. Ein anderer Blickwinkel bietet sich, wenn man entlang der Bahnsteige spaziert. Die Station Ploschad Rewolutsii gleicht einer Ruhmesallee. An den Pylonen haben die Bildhauer unter der Leitung von Matwei Maniser den sowjetischen Menschen in Bronze verewigt. Auch hier sind vorbildhaft Eltern, Jungpioniere und Sportler zu sehen ebenso wie ein Rotarmist, ein Matrose, ein Student, ein Bauer und sogar ein Grenzschützer mit seinem Wachhund. Dessen Nase zu reiben soll Glück bringen, sagt Anna Ludina vom Moskauer Stadtmuseum. Wohl deshalb glänzt sie golden. Ein paar Schritte weiter ist eine Bäuerin mit Hahn abgebildet. Und obwohl es ein schlechtes Omen sei, diesen zu berühren, glänzt er ebenfalls.

Heute gibt es zwölf Linien, 327,5 Kilometer Strecke und 196 Stationen. 44 von ihnen gehören zum Weltkulturerbe.

Die Metro während des Krieges Während des Krieges erwies sich die Metro in der Tat als eine zweite, unterirdische Stadt. Sie war nur einmal nach dem Erlass „Über die Evakuierung der Hauptstadt der UdSSR“ geschlossen worden: am 16. Oktober 1941, dem sogenannten Paniktag. Im Untergrund waren Schutzräume und sogar ein Geburtshaus eingerichtet. 217 Kinder kamen dort auf die Welt. Als die Gefahr einer Invasion durch die Deutschen gebannt war, wurde der Bau neuer Stationen wieder aufgenom-

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Fakten und Legenden Mit der Metro als Sicherheitssystem werden vor allem die zahlreichen Bunker assoziiert und die sogenannte Metro Zwei – die angeblichen Regierungslinien der U-Bahn. Diesen Namen haben ihr die Autoren der Zeitschrift „Ogonjok“ zu Beginn der 1990er Jahrer verliehen. Die eine Linie soll zum Flughafen Wnukowo führen, die andere zu Stalins Datsche in Kuntsewo. „Mehr als Gerüchte sind darüber aber nicht bekannt“, sagt Ludina. Was die Bunker angehe, so habe es einige gegeben, jedoch seien die meisten geschlossen worden, und man wisse darüber nicht viel. In Ismajlowo hingegen gibt es noch einen, der inzwischen zu einem Museum umgebaut wurde, das Stalin-Bunker-Museum.

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DEUTSCHLAND

Russia Beyond The Headlines

men. Noch in den Kriegsjahren entstanden sieben weitere, darunter Awtozawodskaja, eine elegante, von Säulen getragene Station, die Duschkin für eine seiner besten hielt, und Nowokuzneckaja, entworfen von Iwan Taranow und Nadeschda Bykowa. In der Station Nowokuzneckaja lohnt sich ein Blick auf die Mosaike in der zentralen Halle, die ebenfalls nach Entwürfen von Dejneka gefertigt wurden und dem Leben und Arbeiten hinter der Front gewidmet waren. Die Rolltreppe führt nach oben in die erste Eingangshalle der Moskauer Metro, die in Form einer Rotunde mit einer Kuppel errichtet wurde. Entworfen wurde sie von einem Architektenteam unter der Leitung von Wladimir Gelfreich und Igor Roschin.

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Eine Beilage des Rossijskaja Gaseta Verlags, Moskau

REISEN

Die Krim: Luxus der Hippies

GESCHICHTE und Gegenwart sowjetischer Kurorte

Ferienorte mit Kultstatus

tur der Einrichtungen verfiel allmählich. Das habe die meisten Urlauber abgeschreckt, schreibt der Soziologe Leonid Dawydow in seinem Blog. Er beklagt, die Mehrheit der Hotels auf der Krim sei wegen fehlender Finanzierung praktisch nicht renoviert oder nicht saniert worden. Seit den Ereignissen von 2014 setzen die Vertreter der Reisebranche auf der Halbinsel große Hoffnungen in geplante Infrastrukturprogramme: Moskau hat hohe Investitionen zur Erneuerung und Entwicklung des örtlichen Reisesektors angekündigt. Bislang aber fährt man wegen der Bergluft und des sauberen Meeres hierher – und aus Nostalgie. Außerdem ist ein Urlaub auf der Krim schonender für den Geldbeutel als im benachbarten Sotschi.

In der Sowjetzeit waren die Krimkurorte der Traum eines jeden Bürgers, vom einfachen Arbeiter bis zum Staatsund Parteichef. Die größte Anziehungskraft ging von Jalta aus, einem Synonym für luxuriösen Urlaub in der UdSSR, und von Hursuf, dem Treffpunkt der sogenannten goldenen Jugend (Kinder reicher Eltern). Allerdings war Hursuf auch ein Geheimtipp unter den ersten sowjetischen Hippies. Sie reisten per Anhalter, trugen zerrissene Jeans, veranstalteten nächtliche Nacktschwimmen und zeigten moralische Freizügigkeit – zum Ärger manch anderer Urlauber. Solange die Krim ukrainisches Staatsgebiet war, wurde für den Tourismus nur wenig getan. Es gab kaum Komfort, der Service in den Hotels ließ zu wünschen übrig und die Infrastruk-

JULIA SCHANDURENKO RBTH

Altai-Therme

Zitat

« © WIKTOR TCHERNOW / RIA NOVOSTI

Kamtschatka in Russlands Fernem Osten ist für seine schlafenden und aktiven Vulkane, für Wildlachs, Braunbären und Riesenkrabben bekannt. Hier befindet sich auch Paratunka, eine Art Oase inmitten tiefverschneiter Bergketten. Paratunka heißen ein Fluss und eine Siedlung etwa 70 Kilometer von Petropawlowsk-Kamtschatskij entfernt, der Hauptstadt der Halbinsel-

OLEG SAFONOW LEITER DER RUSSISCHEN FÖDERALEN TOURISMUSAGENTUR

© LEW GARKAWIY / RIA NOVOSTI

Die traditionsreiche Kurstadt Belakuricha, von Thermalquellen des Altaigebirges umgeben, ist als balneologischer Kurort in Sibirien seit den 1960er Jahren von Touristen sehr geschätzt. Früher kam man hierhin wegen des Mineralwassers, des milden Klimas und der gesundheitsfördernden Bergluft. Heute ziehen die Spa-Behandlungen, die Skipisten und die französische Küche in den Restaurants die Menschen an. Aus einem Forschungszentrum der Russischen Akademie der Wissenschaften mit Polikliniken und dampfenden Heilquellen entwickelte Belakuricha sich zu einem Erholungsnetzwerk, das nicht nur für jeden Geldbeutel etwas zu bieten hat, sondern es auch ermöglicht, Heilung, Genesung und Erholung im Altai individuell auf die Bedürfnisse der Besucher abzustimmen. An die 100 000 Erholungssuchende kommen jedes Jahr in den Kurort, weswegen Belakuricha auch als sibirisches Davos bekannt ist.

Eine Kurbehandlung war neben der Raumfahrt und dem Ballett eine der größten Errungenschaften der Sowjetunion.»

Kamtschatka: Wechselbäder für das Militär region. Das älteste Sanatorium des Ortes mit seinen berühmten heißen Quellen wurde ohne überflüssigen Prunk in der Stalinzeit erbaut und Paratunka genannt. Anfänglich war ein Urlaub hier nur der sowjetischen Militärelite vorbehalten: U-Boot-Offiziere, Piloten, Kosmonauten. Später konnten auch werktätige Normalsterbliche eine Erholungsreise zu den Thermalbädern ergattern. Paratunka wird vom Erdinneren beheizt: Die heißen Quellen schießen mit einer Temperatur von bis zu 90 Grad aus dem Boden. Selbst im Winter, wenn ganz Kamtschatka meterhoch von Schnee bedeckt ist (und Schnee gibt es wirklich im Überfluss, sodass Straßen und Wege von zwei bis drei Meter hohen Schneewänden begrenzt werden), kann man unter freiem Himmel in den Thermalquellen baden. Besonders gesund und auch erheiternd sind die Wechselbäder: aus dem Schwimmbecken in den Schnee und zurück. Heute nennt sich die ganze Gegend Paratunka – der Ort, der Fluss, die Thermalquellen und die zahlreichen Erholungsheime, Sanatorien und Hotels. Insgesamt sind es etwa 30 an der Zahl. Mit dem Bus, Taxi oder Hubschrauber sind sie vom Flughafen Elisowo nahe Petropawlowsk-Kamtschatskij zu erreichen.

R E I S E N Ü B E R I H R E FA N TA S I E H I N AU S NATURSCHÄTZE: Von Kamtschatka bis zu den Lena-Felsen: Russlands Stätten des Unesco-Weltnaturerbes

de.rbth.com/reisen

DTE: HAUPTSTÄ ätze rgene Sch o rb ve f Fün ls des Krem

geöffneten Komplexes gekostet. Entstanden sind zwei Hotels, ein Restaurant und einige Seilbahnen auf die Gipfel der umliegenden Berge. Allein im Sommer 2014 kamen mehr als 50000 Menschen zu Besuch. Am Rande von Archyz-1650 gibt es mit dem Archyz Park einen attraktiven Campingplatz. Das Besondere: Er liegt sogar 1750 Meter über dem Meeresspiegel.

Sotschi-Erbe © JURI ABRAMOCHKIN / RIA NOVOSTI

© JURI ABRAMOCHKIN / RIA NOVOSTI

Fünf russische Touristenmagnete von Sibirien bis zum Schwarzen Meer, vom Westen bis zum Fernen Osten, die in der Sowjetzeit Kult gewesen sind und sich heute in einem neuen Gewand präsentieren.

Für Jugendliche in der Sowjetunion war Aktivurlaub ohne großen finanziellen Aufwand sehr beliebt: in den Bergen wandern, im Zelt übernachten, gemeinsam zur Gitarre singen. Seit den 1960er Jahren steht diese Art von Erholung hoch im Kurs. Hunderte Touristen kamen hierhin, um durch das Naur-Tal bis zum Schwarzen Meer zu wandern. Die Route führte sie durch Nadelholzwälder und Schluchten, an Bergflüssen, Wasserfällen und uralten Dolmen vorbei. Zum Essen gab es die einfachen Speisen der Bauern. Wahrscheinlich wäre Archyz ein Ort für die sparsamen Trekking-Urlauber geblieben, wenn das Jahr 2013 nicht die Wende gebracht hätte. In der Archyz-Schlucht wurde mit dem Bau von vier neuen Tourismusresorts begonnen, von denen sich eines 1650 Meter über dem Meeresspiegel befindet und daher kurz den Namen Archyz-1650 erhielt. Umgerechnet 100 Millionen Euro hat der Bau dieses ganzjährig

© ALEKSEJ BUSHKIN / RIA NOVOSTI

Nordkaukasus: Camping für Naturfreaks

Glaubt man dem Fernsehen der Sowjetzeit, lagen die Sonnenhungrigen an den Stränden von Gelendschik und Anapa früher dicht gedrängt nebeneinander wie Sardinen in der Dose. Über 300 Sanatorien boten damals einen „Genesungsservice“ an. In der postsowjetischen Zeit veränderte sich der Tourismus in der Region Krasnodar deutlich. Die hohen Preise für Pauschalangebote der Sanatorien und die niedrigen Einkommen der Bevölkerung in den ersten Jahren nach dem Zerfall der UdSSR führten in den 90ern zu einem Boom des Wildurlaubs an den Stränden der Region. Der Staat hielt sich damals mit Investitionen in den Fremdenverkehr noch deutlich zurück. Erst der Wirtschaftsboom in der zweiten Hälfte der 2000er Jahre verbesserte langsam die Situation. Den Durchbruch brachten die Olympischen Spiele 2014 in Sotschi, bei deren Vorbereitungen praktisch aus dem Nichts eine leistungsfähige Infrastruktur entstand: Sportplätze und Arenen, Hotels und Restaurants.

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