6 minute read

Anna Baumann, Direktorin Natur- und Tierpark Goldau

Ein Portrait mit der abtretenden Zoodirektorin des Natur- und Tierparks Goldau. Sie gibt interessante Einblicke in das Leben des Zoos und und in die Aufgaben einer Direktorin.

Sie kommen aus der Banken- und Telekommunikationsbranche und dann der Wechsel zur Zoodirektorin. Was war die Motivation dazu und gibt es Parallelen?

Advertisement

Alles was ich tue mache ich aus voller Überzeugung. Ich hatte eine tolle Zeit in der Banken- und Telekommunikationsbranche mit moderner Führung und einer sehr langen Leine. Ich bin als Kind in der Natur aufgewachsen und wollte wieder zurück zu den Wurzeln. Jede Branche hat ihre Eigenheiten. Aber eigentlich geht es immer darum, die Menschen im Team zu motivieren, damit sie ihr Potential entfalten.

Wie kam dieser Wandel und wie hat sich Ihr Verhältnis zu Tieren verändert?

Als Bauerntochter hatte ich immer ein enges Verhältnis zu Tieren. Vor allem zu unseren Schäferhunden. Die konnten noch so scharf sein, wir haben uns immer schnell gefunden. Im Zoo geht es um Tier-, Arten- und Naturschutz vor dem Haus aber auch in fernen Ländern, das hat mich fasziniert. Ich war als junge Frau viel unterwegs und habe bisher fast 40 Länder bereist. Mit einem Engagement, welches einen jeden Tag fast rund um die Uhr fordert, kann man weder Haustiere noch eine Familie pflegen. Ich sehe oft den Hund eines Freundes von mir, das ist ein Kaukasischer Herdenschutzhund. Wir sind beide vernarrt ineinander.

Welches ist Ihr Lieblingstier im Zoo und warum?

«Meine» Leitwölfin Ronja. Wölfe haben ein ausgeprägtes Gefühl für die Hierarchie in ihrem Rudel. Im Rahmen unserer Führungsseminare für Manager hat sie mich, mit ihrem Gespür für natürliche Autorität und aufgesetztem Chefverhalten von Männern, immer wieder beeindruckt.

Was macht den Beruf der Zoodirektorin so spannend?

Es geht nicht um Produkte sondern um Lebewesen und Menschen. Das ist anspruchsvoll, man weiss nie was auf einen zukommt. Ich darf mich alle paar Minuten auf etwas Neues einstellen.

Worauf haben Sie in Ihrer Funktion Wert gelegt?

Meinen Mitarbeitenden möglichst viel Freiraum zu geben, sie zu Höchstleistungen zu motivieren und ihnen den Weg frei zu halten und den Rücken zu stärken.

Was waren grosse Erfolge in Ihrer Zeit als Direktorin?

Der Natur- und Tierpark Goldau strahlt heute in neuem Glanz. Kein Vergleich zu früher. Für alle Projekte, welche wir angepackt haben, konnte ich fast CHF 50 Mio. Spendengelder zusammenbringen. Damit konnten wir längst baufällige Tieranlagen und Infrastrukturgebäude neu bauen.

Was hätten Sie noch gerne realisiert oder verändert?

Ich habe alles angepackt was ich mir vorgenommen habe. Es können sogar noch weitere Projekte vollendet werden, welche bereits finanziert sind.

Besuchen Sie andere Zoos als Fachfrau oder können Sie es auch als Privatperson geniessen?

In den letzten 19 Jahren in der Zoowelt habe ich zig Zoos besucht. Meine Ferien habe ich schon hauptsächlich für Zoobesuche eingesetzt. Wir sind weltweit alle miteinander gut bekannt und hervorragend vernetzt.

Was sind die Besonderheiten des Natur- und Tierparks Goldau?

Der Natur- und Tierpark Goldau liegt auf dem Schuttkegel des Bergsturzes, welcher am 2. September 1806 zu Tal ging. Eine archaische Landschaft, welche wild, romantisch und einzigartig ist. Die Tieranlagen sind in diese Landschaft eingepasst.

Unterhalten eigentlich die Tiere die Besucher oder umgekehrt?

Beides. Während der Corona-Zeit war es offensichtlich, dass wohl die Besuchenden die Tiere sogar mehr unterhalten als umgekehrt. Unsere Tiere waren sichtlich gelangweilt ohne Besucher.

Woher kommen die Besucher, sind es hauptsächlich Kinder, Jugendliche, Erwachsene, aus der Region, aus dem Ausland?

Es sind zu 95 % Besuchende aus der Schweiz. Viele Familien aber auch viele Paare. Zoos sind in jedem Land ein Teil der Kultur und spiegeln die Gesellschaft.

Was ist die Aufgabe und der Sinn eines Zoos?

Wir sind der überraschendste, lehrreichste und wildeste Tier-, Natur- und Erlebnispark der Schweiz, indem wir Geschichten rund um den Natur- und Tierpark Goldau erzählen und erlebbar machen. Wir zeigen Zusammenhänge der einheimischen und europäischen Lebensräume auf und vermitteln Tier-, Arten- und Naturwissen. Wir setzen uns für Forschung, Erholung, Information und Naturschutz ein. Wir sind unabhängig, leidenschaftlich und innovativ.

Sehen Sie das Halten von Zootieren als Einsperrung?

Nein, überhaupt nicht. Es gibt auch in der Natur keine Freiheit. Da gibt es gnadenlose Hackordnungen, Reviere und da gibt es Autobahnen, Eisenbahnen, Zivilisation. Die Zoos müssen den Tieren das gesamte Spektrum ihres Verhaltensrepertoires in einer Anlage zur Verfügung stellen.

Der Freiraum der Tiere wird immer mehr durch den Menschen und dessen Bedürfnisse eingeschränkt. Kann da ein Zoo das Verständnis und Interesse mit Besucher- und Schulprogrammen wett machen?

Als Zoo muss man diese Aufgabe jeden Tag wieder von Neuem angehen. Wir Zoos haben weltweit am meisten Besuchende, das sind über 700 Millionen. Wir erreichen somit viele Leute mit unserer Botschaft. Alleine im Natur- und Tierpark Goldau haben wir jedes Jahr über 400‘000 Besuchende, über 1000 Schulklassen, über 700 Führungen, 1200 kommentierte Fütterungen, viele Workshops für Lehrpersonen und Schulklassen und Ausstellungen zu bestimmten Themen. Nachhaltigkeit in der Gastronomie, welche kommuniziert wird. Es nimmt sicher jede besuchende Person etwas mit nach Hause.

Welches sind die Besuchermagnete des Tierpark Goldau?

Oh, da gibt es in der Zwischenzeit viele: Gemeinschaftsanlage für Bär und Wolf, Tierpark-Turm, Eulen- und Kolkrabenvoliere, Freilaufzone mit Sikahirschen und Mufflons und schon bald der neue Leuchtturm, der Grosswijer-Hof mit Nutztieren und Kulturfolgern.

Ein wichtiges und erfolgreiches Naturschutzprogramm ist dasjenige des Bartgeiers, wann wurde dies lanciert?

Ausgerottet wurde der Bartgeier im Jahr 1913. 1978 wurde in Genf der Grundstein gelegt für die Wiederansiedlung von Bartgeiern in den Alpen. In der Schweiz wurden erstmals im Jahr 1991 Bartgeier im Nationalpark angesiedelt. Bisher sind es über 300 Vögel im ganzen Alpenraum. Der Natur- und Tierpark Goldau hat im Jahr 1995 die erste Bartgeier-Voliere eröffnet. Diese wurde in den Jahren 2013-15 neu und grösser gestaltet. 1998 wurde die erste Zuchtvoliere in

Die Zucht und die Wiederansiedlung des Bartgeiers stösst auf grosses Interesse. Wieviel Zeit verbringt das Tier in Ihrer Obhut, wie lange dauert es bis ein Bartgeier wieder angesiedelt ist und wie hoch sind die Erfolgsaussichten?

Ein Bartgeier wird zwischen dem 90. und 100. Lebenstag ausgewildert. Die Erfolgsaussichten sind von diesem Tag an wie in der Natur. Der Bartgeier wurde früher gefürchtet, da er anscheinend Lämmer und kleine Kinder riss – obwohl er Aasfresser ist – daher fiel er in Ungnade und wurde ausgerottet. Dazu gibt es Schicksals-Parallelen zum Wolf und Bär.

Können diese beiden Tiergattungen auf den gleichen «Erfolg und Goodwill» hoffen?

Wir leben heute in einer anderen Zeit, wir sind aufgeklärter, wir wissen viel mehr über die Tiere, ihr Verhalten, ihre Ansprüche an Bewegung, Sozialkontakt, Ernährung, etc. als noch vor 100 Jahren. Trotzdem haben wir den intuitiven Zugang vor lauter Wissen verloren. Wir leben nicht mehr in vertrauensvoller, beobachtender, täglicher Nähe sondern unsere Begegnungen mit Tieren sind terminiert und von Erwartungen geprägt.

Im Tierpark Goldau ist es wohl auch einzigartig, dass Wolf und Bär im gleichen Gehege friedlich zusammenleben. War das ein Hoffungsversuch auf gutes Gelingen oder?

Es gibt in der Zwischenzeit auch in anderen Zoos Anlagen, wo Bär und Wolf zusammenleben. Auch in der Natur sind sie im gleichen Lebensraum.

Wie wird eigentlich der Tierpark finanziert, da solch eine Einrichtung nebst den sichtbaren Attraktionen auch einen grossen Aufwand im Hintergrund verursacht?

Der Natur- und Tierpark Goldau ist selbsttragend finanziert durch Eintritte, Gastronomie, Parkplatzgebühren, Tierfutter, etc. Die Anlagen und Infrastrukturprojekte werden durch Spenden und Erspartes finanziert.

Sie verlassen den Tierpark Goldau für eine neue Herausforderung. Was sind Ihre Erwartungen und Ziele?

Da werde ich mich im zweiten Halbjahr drum kümmern. Bis dann bin ich noch voll und ganz im Natur- und Tierpark Goldau eingebunden. Sie dürfen aber gespannt sein, denn das UNESCO Biosphärenreservat Entlebuch ist eine traumhaft schöne Gegend mit vielen Eigenheiten, da kann man viel bewirken.

Was wünschen Sie dem Tierpark Goldau und den Tieren für die Zukunft?

Eine glückliche Hand.

Vielen Dank Frau Baumann für das interessante Gespräch und wir wünschen Ihnen und dem Tierpark Goldau alles Gute für die Zukunft.