Gitarre & Laute XXXI/2009/Nº 2

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Gitarre & Laute ONLINE XXXI/2009/Nยบ 2 Maritta Kersting Duo Joncol Britta Schmitt & Carles Guisado Thomas F. Heck Wettbewerb Heinsberg Neue Noten Neue Platten


P R I M - Musikverlag : EditionEN Tilman Hoppstock Neuerscheinungen 2006-2007

Transkriptionen für Gitarre solo transcriptions for solo guitar

Für Gitarre solo:

Transkriptionen für Gitarre solo transcriptions for solo guitar

Transkriptionen für Gitarre solo

Joh. Seb. Bach: Cellosuite Nr. 2 a-moll (2 Fassungen) PRIM 99 079 Preis: 11,90

Johann Seb. Bach

transcriptions for solo guitar

FRANZÖSISCHE SUITE

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Joh. Seb. Bach: Franz. Suite Nr. 2 (orig. für Cembalo) PRIM 99 062 Preis: 10,50

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Johann Seb. Bach

orig. für Cembalo in c-moll

Cellosuite Nr. 2

orig. for harpsichord in c minor

Bearbeitung und Fingersätze von/ transcription and fingerings by

Tilman Hoppstock

Dietr. Buxtehude: Suite Nr. 10 BuxWV 236 (orig. für Cemb.) PRIM 99 061 Preis: 8,50

a-moll BWV 1008

Isaac Albéniz

2 Fassungen

Cello suite no. 2

TANGO PRim - Musikverlag Darmstadt E L P OLO

a minor BWV 1008 2 versions

Nr. 99 062

Isaac Albéniz: Tango + El Polo (orig. für Klavier) PRIM 99 077 Preis: 9,95

Bearbeitung und Fingersätze von/ transcription and fingerings by

orig. für Klavier Tilman Hoppstock orig. for piano

PRim - Musikverlag Darmstadt

Bearbeitung und Fingersätze von/ transcription and fingerings by

Nr. 99 079

Tilman Hoppstock

PRim - Musikverlag Darmstadt

Franz Schubert

Nr. 99 077

LIEDER MIT GITARRE

Schubert: 110 Lieder für Gesang und Gitarre

Band 3: 12 Lieder aus “Winterreise” Band 4: 17 Lieder nach versch. Dichtern Band 5: 6 Lieder aus “Schwanengesang” Band 6: 12 Lieder nach Schiller/Klopstock

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Vol. 5

Franz Schubert LIEDER MIT GITARRE

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Vol. 3

PRIM 99 703 Preis: 16,90 PRIM 99 704 Preis: 15,50 PRIM 99 705 Preis: 13,90 PRIM 99 706 Preis: 14,50

6 Lieder aus „Schwanengesang”

12 Lieder aus „Winterreise”

6 songs from “Schwanengesang”

für Tenorstimme 12 songs from for tenor voice “Winterreise” Bearbeitung und Fingersätze von/ transcription and fingerings by

Tilman Hoppstock

für hohe/mittlere Stimme

PRim - Musikverlag Darmstadt

for high/medium voice

Nr. 99 705

Bearbeitung und Fingersätze von/ transcription and fingerings by

Tilman Hoppstock

PRim - Musikverlag Darmstadt Nr. 99 703

Aus der bekannten Serie “Große Komponisten für junge Gitarristen” Gaspar Sanz: 3 Suiten für 2 Gitarren PRIM 99 074 Preis: 10,50 Enrique Granados: Valses Poeticos f. Gitarre solo PRIM 22 100 Preis: 8,50 Isaac Albéniz: Asturias + Malagueña f. Git. solo PRIM 99 039 Preis: 8,50

G r o ss e Komponisten fu¨r junge G i t a r r i s t e n

Gaspar Sanz 3 Suiten

G r o ss e Komponisten fu¨r junge G i t a r r i s t e n

Für 2 Gitarren:

Dietrich Buxtehude: Passacaglia PRIM 99 074 Preis: 10,50 Gitarrenkammermusik

2 Gitarren

Enrique Granados Valses Poetic os

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bearbeitet fu¨r 2 Gitarren/ arranged for 2 guitars by

Tilman Hoppstock

Dietrich Buxtehude PASSACAGLIA

PRim - Musikverlag Darmstadt

BUXWV 161

Nr. 99 065

orig. für Orgel original for organ

bearbeitet fu¨r Gitarre solo von/ arranged for guitar solo by

für 2 Gitarren

Tilman Hoppstock

for 2 guitars Bearbeitung von/ transcription by

Tilman Hoppstock

PRim - Musikverlag Darmstadt

PRim - Musikverlag Darmstadt

Nr. 22 100

Nr. 99 074

PRIM-Musikverlag

.

Postfach 10 11 20 64 211 Darmstadt Infos und Bestellung: www.prim-verlag.de

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Ve r t r i e b w e l t w e i t / d i s t r i b u t i o n w o r l d w i d e :

Chanterelle

Tel: ++49-6221-784105 / Fax: ++49-6221-784106 online ordering: http://www.chanterelle.com


Liebe Leserinnen, liebe Leser

Liebe Leserinnen, liebe Leser, Sie wissen, es ist Chronistenpflicht, Verstorbener zu gedenken. Als mich vor ein paar Monaten die Todesanzeige von Maritta Kersting (17.5.1935–12.5.2009) erreichte, hat mich das getroffen – zu jung musste die Musikerin und große Hochschullehrerin gehen! In dieser Ausgabe wird mit allem Respekt und in großer Trauer ein Interview abgedruckt, das Sonja Prunnbauer 1984 mit Maritta Kersting geführt hat. Es ist damals in der Zeitschrift „Nova Giulianiad“, Ausgabe I/1984/Nº 4, S. 206–214 erschienen. Beide, Fragerin und Befragte, hatten bei Karl Scheit in Wien studiert und natürlich dreht sich ein Teil des Interviews um diese Zeit und um Scheits Methoden und seine Bedeutung für die europäische Gitarre im letzten Jahrhundert. Ich darf darauf hinweisen, dass im Teil „Notenbesprechungen“ von der „Neuen KarlScheit Gitarren Edition“ die Rede ist, die bei der UE in Wien herauskommt. Die alte Editionsreihe hat einige Gitarristengenerationen begleitet und geprägt. Jetzt bringt der Verlag bereits bekannte Ausgaben in revidierten Versionen heraus und Ausgaben mit neuer und neu entdeckter Musik. Es bleibt abzuwarten, ob die neue Reihe an den Erfolg der von

Karl Scheit geleiteten Edition anknüpfen kann. Thomas F. Heck ist ein in der Gitarrenszene mehr als bekannter Mann. In dieser Ausgabe schreibt er nicht über Mauro Giulini oder andere Komponisten des 19. Jahrhunderts und ihre Musik, in dieser Ausgabe stellt er eine neue Haltungsvariante zum Gitarrenspiel vor: Das Schoßband. Übriegsn: Wenn man dieses Wort in Versalien oder Kapitälchen schreibt, nur mit Großbuchstaben also, kommt automatisch Schoßband dabei heraus. Scheußlich! Typographen und Buchdrucker klagen seit Ende des 19. Jahrhunderts über das Fehlen einer versalen Form des „ß“. Da dieser Buchstabe aber nie am Anfang eines Wortes vorkommt, hat man sich bei Versalschreibung beholfen mit „SS“ oder auch mit „SZ“. Bei letzterer Schreibweise hätte Tom Hecks Schoßband dann Schoszband geheißen. Auch scheußlich! Im letzten Jahr, 2008, ist das versale „ß“ schließlich in den UNICODE aufgenommen worden, den internationalen Standard für Computerzeichensätze. Jetzt arbeiten Schriftenentwickler und Softwarehersteller daran, diesen neuen Buchstaben auch bereitzustellen. Man hört, dass Windows-7 soll ihn haben … und so wird er aussehen:

GL BLOG

Die Besonderheiten der geschriebenen deutschen Sprache wie Umlaute oder das „ß“ bleiben uns also erhalten … obwohl … in EmailAdressen heiße ich heute schon nicht mehr Päffgen, sondern Paeffgen und die Schweizer haben das „ß“ noch nie auf der Schreibmaschine gehabt. Ich wünsche Ihnen, ob mit oder ohne „Versal-SZ“, viel Vergnügen mit Ihrer Zeitschrift! Ihr

Kommentar gefällig? Sie sind eingeladen, im neuen GL-BLOG Kommentare abzugeben. Folgen Sie diesem Link! Http://www.gl-blog.de

Peter Päffgen Chefredakteur/Herausgeber

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… was ich noch sagen wollte … hier gebe ich Ihnen in lockerer Form Bemerkungen mit auf den Weg, von denen ich glaube, sie wären von allgemeinem Interesse. Es wird sich dabei wie heute um Bemerkungen über neu erschienene Bücher oder CDs drehen, die vielleicht auch mit der Gitarre oder der Laute überhaupt nichts zu tun haben. Oder vielleicht gilt es auch, einen Geburtstag zu feiern oder aus anderem Grund an einen Großen unserer Zunft zu erinnern. Sollte ich Sie langweilen oder sollten Sie Vorschläge machen wollen, schreiben Sie doch einfach an: mailto:peter.paeffen@MusiCologne.eu Peter Päffgen

Lesefrüchte … Torge Braemer [www.gitarre-und-spanien.net] Sehr geehrter Herr Tárrega: Erinnerungen an die Familie Norderstedt 2009, Books on Demand, € 19,95 erhältlich im Buchhandel und bei den Versandbuchhandlungen Torge Braemer, der Autor dieses Büchleins, lebt in Barcelona und wirkt dort als Musikpädagoge. Er organisiert Führungen durch die Stadt (mit dem Schwerpunkt „Gitarre und Gitarrenmusik“) und ganze Gitarrenurlaube mit Unterricht und Konzerten. Tolle Ideen! Wer hat nicht alles in Barcelona gelebt! Und ist es nicht interessant zu sehen, wo und wie all diese Komponisten und Interpreten gewohnt und gearbeitet haben? Jetzt hat Torge Braemer ein Buch über Tárrega geschrieben, und zwar ein Buch, das keineswegs den etablierten Monographien zum Thema Konkurrenz machen kann und will. Er bezieht sich hauptsächlich auf die Standardwerke von Emilio Pujol („Tárrega – Ensayo biografico“, Lissabon 1960) und Adrián Rius („Francisco Tárrega 1852—2002, Biografía Oficial“, VillaReal 2002), bemüht sich aber, in seinem Buch vollkommen andere Aspekte der Biografie des Künstlers in den Vordergrund zu stellen. „In Faksimile Ausgaben [sic] und unveröffentlichten Manuskripten tauchen in Titeln und Widmungen mehr als 25 Namen von scheinbar unwichtigen Personen auf. Es sind Familienmitglieder, Freunde und Schüler des Komponisten, denen die Werke als Anerkennung der Freundschaft oder einfach als kleine Geschenke gewidmet werden. […] Auf diese Weise wird der Frage nachgegangen, welche Persönlichkeiten hinter den Namen stehen, die Tárrega mit seiner Musik in Verbindung bringt. Die Schicksale der Familienmitglieder, denen der Gitarrist seine Musik widmet, treten damit in den dieser Arbeit in den Vordergrund.“ (S. 7—8) Was folgt, ist eine Reihe von Anekdoten und mehr oder minder gut belegten und nachgewiesenen Geschichten über Tárrega

und seine Familie. Bei einigen wüsste ich gern, von wem der Autor die Informationen hat – bei anderen finde ich selbst beim vermehrten Lesen keinerlei Zusammenhänge. Beispiel: Auf den Seiten 64 bis 65 wird eine Italienreise Tárregas beschrieben, die er 1903 zusammen mit einigen Freunden unternommen hat. Im nächsten Kapitel, beginnend ein paar Zeilen nach dem Schluss des Italien-Kapitels, heißt es: „Die Witwe María bekommt viele Briefe mit Anfragen zum Erwerb der von ihrem Mann hinterlassenen Musikinstrumente“. Tárrega ist am 15. Dezember 1909 gestorben, hatte also nach seiner Rückkehr aus Neapel noch gut sechs Jahre zu leben … aber das Buch ist nicht chronologisch geordnet, sondern nach Bezugspersonen – und die war in diesem Kapitel eben María, Tárregas Ehefrau. Und dann wird von Tárregas Tagebuch berichtet, das er geführt hat, als er María gerade kannte. Als zum zweiten Mal von diesem Tagebuch die Rede ist, wird davon so erzählt, als hätte niemand, weder der Autor noch seine Leser, jemals davon gehört oder gelesen. Das kommt mir so vor, als habe Torge Braemer aus einzelnen Episoden ein Buch zusammengesetzt ohne das Ganze noch einmal am Stück gelesen zu haben. Das Buch über Francisco Tárrega und seine Familie war eine gute Idee! Es hätte ein Buch werden können mit Einblicken und Erzählungen. Ein Buch mit Begebenheiten, über die man sonst nichts liest. Aber man braucht erzählerisches Talent, wenn man im Plauderton solche Geschichten an den Leser bringen möchte … und dieses Talent finde ich in diesem Buch leider nicht. Dazu steckt es voller orthographischer Fehler und sehr kantiger bis falscher Übersetzungen. Und für das, was das Buch summa summarum bietet, ist es deutlich zu teuer! Silke Leopold, Dorothea Redepenning, Joachim Steinheuer, Musikalische Meilensteine: 111 Werke, die man kennen sollte, Band 1: Von Hildegard von Bingens »Ordo virtutum« bis zu Haydns Streichquartett op. 33,1, Kassel u.a. 2008, Bärenreiter, € 12,95 dies, dass., Band 2: Von Mozarts »Dissonanzenquartett« bis zu Sofia Gubaidulinas »Johannes-Passion«, Kassel u.a. 2008, Bärenreiter, € 12,95 Marie-Agnes Dittrich, Grundwortschatz Musik: 55 Begriffe, die man kennen sollte, Kassel u.a. 2008, Bärenreiter 2008, € 12,95

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[alle] Reihe: Bärenreiter Basiswissen hrsg. v. Silke Leopold und Jutta Schmoll-Barthel Einen Leitfaden, „sich im Labyrinth der Musikgeschichte zurechtzufinden“, will das Autorenteam der „111 Werke“ zur Verfügung stellen, keinen „verbindlichen Kanon“. Alle ausgewählten Werke stehen in modernen Editionen zur Verfügung, sie sind in CDAufnahmen anzuhören, außerdem gibt es wissenschaftliche Literatur zu jedem einzelnen, um sich weiter darüber zu informieren. Der Weg für eine „Entdeckungsreise“ durch die Musikgeschichte ist also geebnet, es kann losgehen! Mit Hildegard von Bingen (1098—1179), Perotin (1150/1165—1200/1225) und Walther von der Vogelweide (ca. 1170—ca. 1230) beginnt die Reise, mit drei „Komponisten“, die kaum unterschiedlicher sein können. Von der Äbtissin Hildegard sind einstimmige Geistliche Lieder überliefert, von Perotin die ersten drei- und vierstimmigen Organa und von Walther Minnelieder, von denen als Beispiel das „Palästinalied“ behandelt wird, für dessen Melodie der Dichter nicht einmal verantwortlich zeichnet, sondern ein Kollege aus der Provençe, ein Troubadour. Wie für alle 111 musikalischen Werke dieser Sammlung stehen auch für die ersten Einträge jeweils zwei Seiten zur Verfügung, begleitet von farblich abgesetzten Marginalien mit Erklärungen sowie von Hinweisen auf empfohlene Literatur und Einspielungen. Der Text ist naturgemäß knapp gehalten und setzt daher Einiges an historischem, auch theologischem und philosophischem und schließlich musikalischem Wissen voraus (daher auch die Randbemerkungen), verliert sich aber nie in unverständlichem Fachchinesisch. Im Gegenteil: Gelegentlich

werden Informationen aus dem nicht einmal direkten Umfeld der Musik mitgeliefert ohne den Leser dafür mit stenographiertem Text abzufertigen … bei Guillaume Dufays „Missa Sancti Jacobi“ ist zum Beispiel Platz für einen Hinweis auf Hape Kerkelings Reisebericht „Ich bin dann mal weg“. Natürlich: Jedem Leser dieses Buches wird das eine oder andere Werk in der Zusammenstellung fehlen, bei anderen wird er nicht einsehen, dass sie aufgenommen worden sind. Aber die Herausgeber haben das vorausgesehen: „Und wenn sich aus der Wahl der 111 Werke eine Debatte darüber ergäbe, ob nicht vielleicht eine andere Palestrina-Messe oder eine andere der Symphonien Beethovens hätte besprochen werden müssen (und warum), ob nicht das 14. Jahrhundert zu stiefmütterlich behandelt und das 20. Jahrhundert zu opulent vertreten sei (und warum), ob Domenico Scarlatti wichtig genug sei und nicht Eliott Carter zu Unrecht vernachlässigt werde (und warum), so hätte dieses Buch ein wichtiges Ziel erreicht.“ Sollten Sie nun die Frage stellen wollen, ob Gitarre und Laute in dem Buch überhaupt vorkommen (und warum), dann kann ich die Lautenisten unter Ihnen beruhigen. Die Laute und ihre Verwandten kommen natürlich mindestens als Continuo-Instrumente vor. Bei Monteverdi und Cavalli zum Beispiel. Und auch in den Florentiner Intermedien sind Lauteninstrumente verwandt worden und natürlich in John Dowlands „Flow my tears“. Aber Lautenspieler werden sich auch für den Eintrag der Chanson „La guerre ou La Bataille de Marignan“ von Clément Jannequin (ca. 1485—nach 1558) interessieren. Sie steht in vielen Lautentabulaturen des 16. Jahrhunderts als Intavolierung und war so berühmt, dass sich Lautenisten schon im Titel ihrer Bücher rühmten, sie bearbeitet zu haben. Unter ihnen war der Nürnberger Hans Newsidler, dessen Lautenbuch von 1544 im Titel meldet: „auch zwo schlacht, die vor Bafia und die / Frantzösisch, die seind mit allem fleis, mit lieblicher Colloratur / gemacht, die eyn jeder zu seinem lust gebrauchen mag.“ Nachdem die Laute also durchaus Erwähnung findet, kommt die Gitarre nicht vor. Nicht einmal das „Concierto de Aranjuez“, das, wie man hört, am häufigsten aufgeführte Konzert für ein Soloinstrument und Orchester, wird erwähnt … von Solostücken ganz zu schweigen! Obwohl … in einem Werk spielt die Gitarre ganz unbemerkt eine Rolle. „Le marteau sans maître“ von Pierre Boulez ist berücksichtigt, ein Stück für Singstimme, Alt-

querflöte, Gitarre [!], Bratsche, Vibraphon, Xylophon und andere Schlaginstrumente. Der „Hammer ohne Meister“ ist bei Gitarristen allgemein bekannt, man brüstet sich auch gern damit, dass immerhin Pierre Boulez das Instrument verwendet hat. Aber der „Marteau“ wird selten aufgeführt. Viel zu selten, wenn Sie mich fragen. Es ist harter Tobak, musikalisch und auch spieltechnisch. Die serielle Technik, die Boulez angewandt hat, erfordert von den Interpreten allerhöchste Präzision und zwar sämtliche Parameter betreffend – und die bringt nicht jeder Gitarrist auf. Ich habe von professionellen Gitarristen gehört, die kläglich am „Marteau sans maître„ gescheitert sind. Die „Musikalischen Meilensteine“ liefern Erkenntnisse über musikalische Werke, die man schon kennt und machen einem solche, die man nie gehört hat, schmackhaft. Das letzte der behandelten Werke ist Sofia Gubaidulinas „Johannes Passion“, die am 1. September 2000 in der Liederhalle Stuttgart uraufgeführt worden ist – die bisher einzige erschienene CD mit Helmut Rilling bei Hänssler liegt schon auf meinen Schreibtisch! Der „Grundwortschatz Musik“ enthält 55 Begriffe zwischen „Akkord“ und „Zwölftontechnik“. Wieder zwei Seiten pro Begriff, wieder Marginalien mit Erklärungen und wieder die Einschränkung, was die Vollständigkeit angeht: „Es werden wichtige Begriffe erklärt, aber sicher nicht alle wichtigen oder die zweifellos wichtigsten“. 55 Begriffe sind nicht viele … wenn man bedenkt, dass beispielsweise das winzige „Dictionary“ von Louis C. Elson über 4000 erklärt. Und man findet in den einzelnen Artikeln auch selten weiterführende Erklärungen. Beispiel: Im Artikel „Suite“ liest man, dass eine „Claviersuite“ meist aus den Sätzen Allemande, Courante, Sarabande und Gigue bestanden hat. In einem Kästchen ist dann sehr knapp erklärt, wie diese Tanzformen beschaffen gewesen sind. Aber was ist mir dem Menuett, der Gavotte oder der Bourée? Muss man für die ein anderes Buch konsultieren? Unter „Kammermusik“ findet man als „bedeutendste neue [neu im Sinne von „nach Ende der Generalbasszeit“ entstandene] Gattung“ das Streichquartett … aber der Platz zu erklären, dass ein Klaviertrio nicht aus drei Klavieren besteht, fehlt. Ein Buch mit dem Titel „Grundwortschatz Musik“ kann nur die übergeordneten Begriffe enthalten und erklären -- vor allem, wenn es auf nur 55 einzelne Artikel beschränkt wird. Was hier erreicht, nein, angeregt werden soll, ist „die Vernetzung

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von Worten zu Vorstellungen und Begriffen, die Verdichtung von Fakten und Informationen zu Wissen“ – und damit wird mein Fabulieren über dieses neue Buch auf eine völlig andere Ebene verwiesen. Dieses Buch ist nämlich kein Lexikon, es ist ein Reiseführer. Für Reisen in das riesige Land namens Musik … und da werden Ausgangspunkte und Richtungen vorgegeben – nicht ganze Touren. So betrachtet ist der „Grundwortschatz Musik“ ein anregendes Buch. Noch ein Wort zu einer Eigenart der „Basiswissen-Bücher“. Querverweise sind als Pseudo-Links ausgedruckt, das heißt in anderer Farbe und unterstrichen – ganz, wie im Internet, nur kann man hier die Links nicht anklicken! Sie sind Hinweise auf Anmerkungen. Louis C. Elson The New Elson’s Dictionary Pocket Music Dictionary King of Prussia, PA, 2009, Theodore Presser ISBN 1-59806-220-4, US-$ 5,95 Über 4000 Begriffe sind in diesem „echten Taschenbuch“ erklärt (Format 9x15 cm): „all the important terms used in music with their pronounciation and concise definition“. Kurz und knapp … aber: „Where clear explanation could not be given in a few words, necessary space has been taken“. Louis C. Elsons Buch ist vor hundert Jahren, 1909, zum ersten Mal erschienen. Vor dem eigentlichen Lexikonteil, das war auch in der ersten Auflage schon so, werden elementare Informationen gegeben: Notenschlüssel, Pausen, ryhthmische Symbole, Tonleitern, Intervalle, Dreiklänge mit möglichen Umkehrungen, die wichtigsten Tempobezeichnungen, die wichtigsten dynami-

schen Bezeichnungen, elementare Symbole wie „Kreuzvorzeichen“, „b“ oder Fermate. Dann geht’s los. „A“ ist das erste Stichwort, „Zymbel“ das letzte. Dazwischen stehen Definitionen wie: „Abkürzung: (Ger., AHB-kür-tsoong) Abridgement, abbreviation.“ Wie übersetzt man Wörter wie „Gelassen“, „Geläufig“, „Gelinde“, „Gemächlich“ [ausgesprochen übrigens: ge-MESH-leesh]“ ins Englische? Aber es gibt ja Fragen wie „Was ist eigentlich eine Hemiole?“ oder „Wie sind Gitarre, Mandoline und Ukulele gestimmt?“. Gut Hemiole wird erklärt, auch die Stimmung von Gitarre und Mandoline … bei der Ukulele bleibt Louis C. Elson eine Antwort schuldig: „A small, four-stringed instruent, similar to a guitar, with origins in Hawaii.“ Die Stimmung einer Ukulele ist übrigens Quart-Terz-Quart, also zum Beispiel dg-h-e’ wie die vier oberen Saiten einer Gitarre. Ganz am Schluss des Buches finden sich noch rund 640 Komponistennamen mit den dazugehörenden Geburts- und Sterbejahren. Fernando Sor, Joaquín Rodrigo und Leo Brouwer sind dabei … sonst keine Gitarrenkomponisten, es sei denn, sie haben „eigentlich“ für andere Besetzungen komponiert wie Heitor Villa-Lobos oder Albert Ginastera. Leute wie Ponce, Turina, Moreno-Torroba oder Castelnuovo-Tedesco sind überhaupt nicht erwähnt. Dieses Taschenlexikon ist ein kurioses Buch. Es ist klein und handlich, hat gut zweihundert Seiten, wiegt gerade einmal einhundertfünfzig Gramm und kostet weniger als sechs Dollar. Dafür steht wahrlich viel drin! Roberto Braccini Praktisches Wörterbuch Italienisch– Englisch–Deutsch–Französisch Mainz u.a., 5. überarbeitete und erweiterte Neuausgabe, 2009,  19,95 Auch dies ist ein Wörterbuch, und zwar eines, das in Deutschland schon seit 1992 benutzt wird. „Das vorliegende Fachwörterbuch der Musik in vier Sprachen wendet sich an Musiker, Lehrer, Studenten und Laien, die die Übertragung fremdsprachiger Fachwörter suchen und verwenden möchten.“ Es unterscheidet sich von den beiden bisher besprochenen darin, dass hier nicht erklärt wird, was eine „Hemiole“ oder eine „Fermate“ ist, sondern, was „Hemiole“ oder „Fermate“ auf Italienisch, Englisch, Deutsch oder Französisch heißt … „Hemiola“, „hemiola“, „Hemiole“ und „hemiolios“ bzw. „corona“, „pause/fermata“, „Fermate“ und „point d’arrêt“ oder „point d’or-

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gue“. Schon die zweite Vokabel, „Fermate“, zeigt, dass wir keineswegs immer so sicher sein können, dass die uns bekannten Fachvokabeln auf italienische Vorbilder zurückgehen und auch, dass sie dann in sämtlichen europäischen Sprachen benutzt werden. Es gibt im Italienischen ein Wort „fermata“, häufiger benutzt aber wird „corona“ – wörtlich übersetzt „Krone“. Auf Spanisch übrigens heißt „Fermate“ „calderón“ – das steht nicht im vorliegenden Wörterbuch, weil da Spanisch nicht berücksichtigt wird. Im Vorwort der Neuauflage des Braccini steht „Das Buch erhebt keinen wissenschaftlichen Anspruch.“ Ist dies ein Bescheidenheitstopos oder eine Warnung? Ein Wörterbuch das sehr wohl einen wissenschaftlichen Anspruch gestellt hat, war der 1978 erschienene „TERMINORUM MUSICAE INDEX SEPTEM LINGUIS REDACTUS“ (Kassel u.a. 1978), herausgegeben von einer großen internationalen Kommission unter der Führung verschiedener europäischer Akademien und Gesellschaften. In diesem Buch war auch die spanische Sprache berücksichtigt, und, weil die ungarische Akademie der Wissenschaften redaktionell federführend gewesen war, auch Ungarisch und Russisch. Vom „Index“ ist nie eine zweite Auflage erschienen, obwohl geplant war, ein „großes umfassendes Wörterbuch dieser Art in 18 bis 20 Sprachen herauszubringen“. Das Buch von Roberto Braccini ist ein praktisches Werkzeug und als solches für Menschen, die mit Partituren, Büchern oder Artikeln in fremden Sprachen zu tun haben, unentbehrlich. Die spanische Spra-


Notenausgaben von Gitarre & Laute? MusiCologne.eu! Gitarre & Laute-ONLINE XXXI/2009 Nยบ 2 7


che hätte vielleicht dabei sein können, gerade für Gitarristen, aber auch so! „Es ist aus der Praxis heraus entstanden, ausgehend von der Sammlung von Anweisungen in unzähligen Partituren, Klavierauszügen und Notenstimmen. Zur Vervollständigung und Abrundung des Wortschatzes wurden Fachlexika und Fachwörterbücher ausgewertet.“ Pierre Boulez Le marteau sans maître © 1954 by Universal Edition Neuausgabe in der Reihe UE-Studienpartituren, Wien o.J., UE 34133, € 24,95 Der „Marteau sans maître“, eben ist noch von ihm die Rede gewesen, ist 1955 in Baden-Baden uraufgeführt worden, dabei hat Anton Stingl den Gitarrenpart gespielt. „Ein so schwieriges Stück war mir in meinem Leben noch nie begegnet. Es gab einige Stellen, die haben mir immer wieder neue Schwierigkeiten bereitet“ – so berichtete Stingl 1988. Dabei hatte Pierre Boulez seine „orthodox serielle Orientierung“ im „Marteau“ aufgegeben, wie die Presse berichtete. „Die musikalische Diktion gewinnt Gelenkigkeit, Flexibilität, Frische, Charme und Farbigkeit, denen jedoch allen noch der überstandene Schock der rigorosen Teufelsaustreibung in den Knochen zu stecken scheint“ schreibt Ulrich Dibelius in seinem Standardwerk über „Moderne Musik“ (München 1984). Die Teufelsaustreibung, die Absage an alles Gefällige und Harmonische, hatte stattgefunden, weil sich die Intellektuellen gegen ein Anknüpfen an Vorgegebenes wandten, gegen ein künstlerisches Schaffen mit Material, das in den Jahren vorher so missbraucht worden war. Auf den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik trafen sich die Exponenten des künstlerischen Exorzismus: Stockhausen, Henze, Boulez und andere. Zu ihrem Vordenker wurde Adorno, dessen „Philosophie der Neuen Musik“ zur Bibel der radikalen Erneuerer wurde. Aus dieser geistigen Umgebung kam Boulez und auf diesem intellektuellen Hintergrund ist der „Marteau“ entstanden … obwohl er schon an „Gelenkigkeit, Flexibilität, Frische, Charme und Farbikeit“ gewonnen hatte. „Le marteau sans maître“ ist ein zentrales Werk der Nachkriegsmusik. Für Gitarristen und für Komponisten, die für Gitarre schrieben oder schreiben wollten, war er ein Wegweise in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts. Man sollte ihn kennen – jetzt liegt in einer neuen Reihe bei der UE eine Partitur vor, ein paar Aufnahmen gibt es auch. Also?

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Leserbriefe Betr.: Martin Lange: Das professionelle Stimmen von Gitarre, auch für Mandoline und Bass, nur mit einer Stimmgabel, in: Gitarre & Laute-ONLINE XXXI/2009/ Nº 1, S. 31–34 Sehr geehrter Herr Päffgen, zu dem interessanten Artikel von Herrn Lange möchte ich einen ergänzenden Kommentar abgeben. Zunächst gibt es auf Seite 34 einen Satz, der erstens nicht verständlich und zweitens nicht korrekt ist: "Bei einer guten Gitarre mit guten Saiten sollte der gedrückte Ton minimal höher als der nichtgedrückte sein, wenn man dann mit dem Flageolett vergleicht, macht man einfach die andere Saite höher. Dadurch ist eine Saite immer zwischen zwei Tönen." Es gibt auf einer Gitarrensaite nur eine einzige Stelle, wo der gedrückte Ton mit dem nichtgedrückten, also dem Flageolett, übereinstimmt. Das ist der auf dem 12. Bund gegriffene (gedrückte) Ton und das Flageolett über dem 12. Bundstäbchen, also die Oktave der leeren Saite. Wenn diese Töne bei einer mit guten Saiten bespannten Gitarre nicht exakt übereinstimmen, dann halte ich diese Gitarre nicht für gut, zumindest nicht für gut justiert. Durch das Niederdrücken der Saite bei gegriffenen Tönen erhöht sich die Saitenspannung. Wenn also das 12. Bundstäbchen exakt in der Mitte zwischen Sattel und Steg liegt, dann ist dadurch der gegriffene Ton deutlich höher als das Flageolett. Deshalb macht ein guter Gitarrenbauer die tatsächliche Mensur geringfügig (2 bis 3 mm etwa) länger als die theoretische Mensur, nach der er die Positionen der Bundstäbchen auf dem Griffbrett berechnet hat. Man muß das mit den Saiten, die man aufziehen will, ausprobieren, andere Saiten können andere Mensurverlängerungen erfordern. Die drei umsponnenen Baßsaiten eines Saitensatzes kommen in der Regel mit der gleichen Mensurverlängerung aus, die meistens auch für die h-Saite aus Nylon paßt. Die g-Saite aus Nylon braucht eine größere Mensurverlängerung, die e-Saite aus Nylon eine kleinere. An den Gitarren, die ich mir gebaut habe, habe ich deshalb lange Zeit umsponnene g-Saiten verwendet, die mit der gleichen Mensurverlängerung auskommen wie die Baßsaiten und die h-Saite. Dadurch konnte ich eine geradlinige Einlage im Sattel verwenden, bei der ich (von der Seite gesehen) bei den fünf tieferen Saite die dem Hals zugewandte Kante abgeschrägt habe, bei der hohen e-Saite jedoch die dem Hals abgewandte. Heute verwende ich für die g-Saite das seit einigen Jahren erhältliche, von meinem Gitarrenhändler Carbon genannte Material, das mit der gleichen Mensurverlängerung auskommt wie die Baß- und die h-Saite. Auf meinen Gitarren stimmen jedenfalls gegriffene und Flageolettoktaven sehr gut überein, kein hörbarer Unterschied, und so muß es bei einer guten Gitarre auch sein. Den Rest des zitierten Satzes verstehe ich nicht. Zum Stimmen: Man kann eine gute Gitarre mit guten Saiten unglaublich genau stimmen, wenn man mit Schwebungen arbeitet. Schwebungen entstehen, wenn zwei gleichzeitig erklingende Töne nicht exakt übereinstimmen. Wenn sie weit auseinanderliegen, entsteht keine hörbare Schwebung, sondern eine Dissonanz. Ich stimme meine Gitarren so: A-Saite: Flageolett über dem 5. Bund, angeschlagene Stimmgabel auf den Sattel, Schwebung durch langsames Drehen des Stimmwirbels der A-Saite zum Verschwinden bringen. E-Saite: Flageolett 5. Bund, gleichzeitig Flageolett 7. Bund der bereits gestimmten A.Saite, Schwebung zum Verschwinden bringen. D-Saite: Flageolett 7. Bund, gleichzeitig Flageolett 5. Bund ASeite, Schwebung zum Verschwinden bringen. g-Saite: Flageolett 7. Bund, gleichzeitig Flageolett 5. Bund D-Saite, Schwebung zum Verschwinden bringen. h-Saite: leere Saite, gleichzeitig Flageolett 7. Bund E-Saite, Schwebung zum Verschwinden bringen. e-Saite: leere Saite, gleichzeitig Flageolett 5. Bund E-Saite, Schwebung zum Verschwinden bringen. Beim Verschwindenlassen der Schwebung wird selbstverständlich nur der Wirbel der noch nicht gestimmten Saite gedreht! Kontrollen: Flageolett 12. Bund E-Saite und gegriffenes e auf DSaite, Flageolett 12.Bund A-Saite und gegriffenes a auf g-Saite, Flageolett 12. Bund D-Saite und gegriffenes d auf h-Saite, Flageolett 5. Bund E-Saite und gegriffenes e auf h-Saite, Flageolett 5. Bund h-Saite und Flageolett 7. Bund e-Saite. Diese Kontrolltöne müssen übereinstimmen, sonst muß man die Stimmung noch mal korrigieren. Das Ergebnis ist eine überaus sauber klingende Gitarre. Mit freundlichen Grüßen, Elmar Oberdörffer

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10 Gitarre & Laute-ONLINE XXXI/2009 Nº 2

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Sáinz de la Maza, Eduardo Drei Bearbeitungen für Gitarre: Fum-FumFum, Stille Nacht (Gruber), Clair de la Lune (Debussy), Herausgegeben von Thomas Schmitt, ISMN M-50089-164-2 EUR 8,00 G&L 164 Sáinz de la Maza, Eduardo Drei Stücke für Gitarre Solo, Herausgegeben von Thomas Schmitt, ISMN M50089-160-4 EUR 8,50 G&L 160 Sáinz de la Maza, Eduardo Laberinto, Präludium, für Gitarre Solo, Herausgegeben von Thomas Schmitt, ISMN M-50089-163-5 EUR 7,50 G&L 163 Strasfogel, Ignace Prélude, Elegie und Rondo für Gitarre, Herausgegeben von Volker Höh ISMN M-50089-168-0 EUR 11,00 G&L 168 Weiss, Silvius Leopold Tombeau sur la Mort de M: Cajetan d’Hartig arrivée le 25 de Mars 1719, Aus der Lautentabulatur übertragen und für Gitarre herausgegeben von Gerd Michael Dausend. Mit einem Faksimile-Nachdruck der vollständigen Tabulatur, ISMN M50089-126-0 EUR 4,00 G&L 126


Gitarre & Laute ONLINE XXXI/2009, Heft 2 Inhalt

Editorial 3 … was ich noch sagen wollte … Lesefrüchte 4 Maritta Kersting (17. Mai 1935 – 12. Mai 2009) Interview von Sonja Prunnbauer anlässlich des Todes der Musikerin und Hochschullehrerin 12 Neue Notenausgaben 23 Thomas F. Heck Das Schoßband 33 Internationales Gitarrenfestival und Wettbewerb Heinsberg 2009 37 Peter Päffgen Duo Joncol – Köln meets Barcelona 38 Peter Päffgen Neue Platten 43 Impressum: Verlag: MusiCologne Ltd., Registered in England & Wales No. 5752198; Niederlassung Deutschland: MusiCologne Ltd., Sielsdorfer Straße 1a, D-50 935 Köln (Briefanschrift: Redaktion Gitarre & Laute, Postfach 410 411, D-50 864 Köln). Telefon: ++49-221-346 16 23. FAX: ++49-1803-5 51 84 30 17. Internet: www.Gitarre-und-Laute.de, Kleinanzeigen: www.VerkaufeGitarre.de und www.gitarre-und-laute.de. Weblog: http://www.gl-blog.de Email: info@Gitarre-und-Laute.de (weitere Email-Adressen sind im redaktionellen Zusammenhang veröffentlicht). Erscheinungsweise: sechsmal jährlich, am Anfang der ungeraden Monate (Januar, März, Mai ...). Kündigungsfrist: sechs Wochen vor Ablauf der Bezugsfrist. Preis: Einzelheft EUR 5,50, Abonnement für ein Jahr (sechs Ausgaben) 28,00 EUR inklusive Porto (In- und Ausland) und der gesetzlichen Mehrwertsteuer (19 %). Chefredakteur: Dr. Peter Päffgen. Gültige Anzeigenpreisliste: Nr. 13. Die namentlich gekennzeichneten Beiträge in dieser Zeitschrift entsprechen nicht unbedingt der Meinung der Redaktion. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Fotos übernimmt der Verlag keine Haftung. Terminangaben, insbesondere in der Rubrik „Dates“ erfolgen prinzipiell ohne Gewähr. © Nachdruck in jedweder Form und allen Medien, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags. Aboverwaltung: Verlag, Niederlassung Köln. [Abo@gitarre-und-laute.de], Bildnachweis für vorliegende Ausgabe: Titelseite und S. 38-41: Saskia Gerhardt, ikonsign.de; 12-23: Privatbesitz Helga Siegel, Ratingen; S. 33-36: Thomas F. Heck; S. 37: oben links: E. Jennes, alle anderen: Dorothea Päffgen; alle anderen: Autoren oder Bildarchiv Gitarre & Laute, Köln

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Maritta Kersting (17. Mai 1935–12. Mai 2009)

Dieses Interview ist am 30. August 1984, also ziemlich genau vor 25 Jahren in Düsseldorf entstanden. Danach ist es in der Ausgabe I/1984/Nº 4, S. 206-214 der Zeitschrift „Nova Giulianiad“ erstmalig erschienen. Anlässlich des Todes von Frau Professor Maritta Kersting am 12. Mai 2009 erscheint es hier als Nachdruck, der mit freundlicher Genehmigung von Jörg Sommermeyer, dem Herausgeber von „Nova Giulianiad“ und von Frau Professor Sonja Prunnbauer, der Autorin, erfolgt. Alle Fotos wurden aus dem Privatbesitz von Maritta Kersting zur Verfügung gestellt.

Sonja Prunnbauer: Maritta, du bist seit 1974 Professorin für Gitarre an der Musikhochschule in Düsseldorf. Aus deiner Klasse sind einige prominente Gitarristen, inzwischen ebenfalls Hochschullehrer an deutschen Musikhochschulen, hervorgegangen. Trotzdem ist im allgemeinen wenig über deinen Werdegang geschrieben worden. Wie hat es bei dir angefangen: mit der Musik, mit der Gitarre? War sie dein erstes Instrument? Maritta Kersting: Ich bin in Düsseldorf geboren, in einem musikalischen Elternhaus aufgewachsen. Meine Eltern hatten beide eine Gesangsausbildung, waren aber keine professionellen Musiker. Meine erste Begegnung mit der Musik war eigentlich eine Begegnung mit dem romantischen Lied und der Oper. Mein erstes Instrument war das Klavier. Mit sechs Jahren erhielt ich den ersten Klavierunterricht, aber die Ausbildung verlief nicht

kontinuierlich. Durch Krieg, Evakuierung, Wohnungswechsel gab es diverse Unterbrechungen. Später, nach dem Krieg, habe ich wieder mit dem Klavierspiel angefangen. Ich habe mich eigentlich für alle Instrumente interessiert, und irgendwann stand auch einmal auf meinem Weihnachtswunschzettel eine Gitarre. Das Instrument war schlecht, es gab nach dem Krieg nichts Besonderes, aber es reichte für die ersten Anfänge. Sonja Prunnbauer: Wie alt warst du, als du mit der Gitarre angefangen hast? Maritta Kersting: Das kann ich nicht so genau sagen, elf oder zwölf. Aber ich habe keinen Unterricht gehabt. Schon auf dem Klavier übte ich ungern Czerny-Etüden und Bach-Inventionen. Ich wurde immer wieder dabei ertappt, dass ich Opernvorspiele, Duette aus „Macht des Schicksals“ oder ähnliches auf dem Klavier improvisierte. Das versuchte ich auch auf der Gitarre, eigentlich auf allen Instrumenten: ich habe immer lieber improvisiert als nach Noten gespielt. Das Üben lag mir als Kind nicht so sehr. 1956 machte ich dann die Aufnahmeprüfung an der Musikhochschule in Köln, aber mit Klavier, weil ich da am weitesten war. Als Musikstudentin musste ich mein Studium selbst verdienen. Es gab kein BAfÖG. Das Studium war teuer, pro Semester 300 Mark. Das war damals viel Geld. Dagegen bekam man für eine Klavierstunde als Student 2 Mark 50. 1956 wurde in Düsseldorf die Musikschule gegründet. Ich habe mich sofort als Klavierlehrerin beworben, nur die Musikschule Düsseldorf brauchte keine Klavierlehrer. Gitarre & Laute-ONLINE XXXI/2009 Nº 2 13


Der Unterricht war nicht zentral, er fand in den Schulen der einzelnen Stadtbezirke statt. Da es noch keine Klaviere in den Schulen gab, brauchte man Lehrer, die ihr Instrument mitbringen konnten. Blasinstrumente, Streichinstrumente waren gefragt und auch Gitarre. Der Leiter der Düsseldorfer Musikschule fragte mich, ob ich denn Gitarre unterrichten könnte. Ich traute mir das damals nicht zu. Schließlich hatte ich keinen Unterricht gehabt. Gitarre habe ich zwar immer gespielt, aber nicht studiert. Der Leiter der Musikschule Düsseldorf machte mich daraufhin mit Walter Gerwig bekannt, der an der Kölner Musikhochschule die Lautenklasse leitete. Ich fing bei ihm mit der Gitarre an; allerdings mit der Gitarre zur Vorbereitung auf ein Lautenstudium. 1957 machte ich mit der Gitarre die Aufnahmeprüfung in Gerwigs Lautenklasse, allerdings mit Lautentechnik auf der Gitarre. Sonja Prunnbauer: Er hat ja oft versucht, die Gitarristen zur Laute zu bekehren. Maritta Kersting: Das kann ich auch verstehen. Er war ja Lautenist! Als ich ihn Laute spielen hörte, war ich so begeistert und fasziniert von seinem Spiel, dass ich auch das Lautenspiel erlernen wollte, und ich habe eigentlich nur Gitarre gespielt, weil ich noch keine eigene Laute besaß. Bei Walter Gerwig studierte ich mehrere Jahre. Aber meine Liebe zum Gesang und Musiktheater war immer noch da. Ich wollte Musik auch anders erleben, als eingeengt durch das Repertoire der Laute. So habe ich mit dem Gesangsstudium begonnen. Es war für mich einfach eine Notwendigkeit, hin und wieder auch mal Brahms zu singen. Das brauchte ich. 1960 lernte ich Karl Scheit in Deutschland kennen. Er hielt einen Lehrerfortbildungskurs an der Musikschule in Düsseldorf. Ich nahm mit ihm Kontakt auf und bin dann 1961 zu ihm nach Wien gegangen, hatte aber nur für ein Studienjahr Geld. In diesem einen Jahr machte ich mein Staatsexamen und bin mit der Absicht nach Deutschland zurückgegangen, Geld zu verdienen, um, mein Studium in Wien fortsetzen zu können. Denn wie schwer das in Wien ist, als Musikstudent Geld zu verdienen, weißt du ja selbst. Es gibt einfach zu viele Musiker in Wien. Ich musste also zurück und hatte sofort eine Stelle an der Musikschule in Düsseldorf. Wahrscheinlich war ich die Erste, die mit einem Musiklehrerexamen für Gitarre in Deutschland an einer Musikschule unterrichtete. Im Oktober 1963 erhielt ich einen Lehrauftrag am Robert14 Gitarre & Laute-ONLINE XXXI/2009 Nº 2

Schumann-Konservatorium, der heutigen Musikhochschule, in Düsseldorf. Es sprach sich jetzt schnell herum, dass man in Düsseldorf studieren konnte, ein Examen machen konnte. Die Schüler kamen aus allen Teilen der Bundesrepublik angereist, denn es war damals nur im Rheinland möglich, ein Gitarre-Examen zu machen. Sonja Prunnbauer: Ich stelle fest, wir haben einige Parallelen, was den Gitarren-Werdegang (Gerwig—Scheit—Lautentechnik—Gitarrentechnik) betrifft. Du warst ja leider nur ein Jahr bei Scheit. Kannst du sagen. was dich bei ihm am meisten beeindruckt hat? Maritta Kersting: Durch meine Studienjahre bei Walter Gerwig war ich musikalisch sehr geprägt und auch verwöhnt. Als ich Karl Scheit und seine Methode kennen lernte, wusste ich ganz spontan, dass ich bei ihm in technischer und musikalischer Hinsicht gut aufgehoben sein würde. Zuvor erlebte ich Segovia und Julian Bream in Konzerten, aber bei Segovia konnte man allenfalls Kurse belegen, bei denen seine Assistenten aktiver waren als er. Behauptete er doch selbst, sein einziger Lehrer und Schüler zu sein. Bei Julian Bream konnte man nicht studieren. Karl Scheit war für mich der Pädagoge. Es wusste ja damals kein Lehrer, wie man überhaupt das Gitarrespiel richtig anpackt. Ich sah in dieser Zeit eine große Chance, aber auch eine große Gefahr für die Gitarre, wenn man nicht an der Wurzel anpacken und gute Lehrer ausbilden würde. Ich glaube, dass Scheit da mit seiner pädagogischen Arbeit und seinem Lehrwerk die Sache erst einmal auf den richtigen Weg gebracht hat. Sonja Prunnbauer: Hat er mit dir auch die „Dicke Berta“ von Anfang an durchgenommen? Maritta Kersting: Ja, die Schule war damals noch sehr jung. Ich weiß nicht, wann sie genau entstanden ist. Ich musste ganz auf Null zurückschalten. Vom ersten Wechselschlag an alles neu erarbeiten. Bei Scheit lernte ich, was Technik war. Also kontinuierlich arbeiten, von der 5-TonReihe aufwärts. Das war manchmal hart. Nach einigen Wochen wollte ich sogar wieder nach Deutschland fahren, weil ich glaubte, es nicht packen zu können Es war nicht so einfach, aber es hat sich dann doch gelohnt. Zurückblickend weiß ich auch, dass ich den richtigen Weg gewählt habe, und ich würde mich auch heute bei dem großen Angebot an Ausbil-


dungsstätten und Lehrern immer wieder für Karl Scheit entscheiden. Sonja Prunnbauer: Du hast damals am eigenen Leibe gespürt, wie schwierig es für Studenten sein kann, wenn sie ihre Technik völlig umstellen müssen und weitere Probleme sich daraus ergeben. Maritta Kersting: Das ist so ein Bisschen das Geheimnis meines pädagogischen Erfolgs. Ich kann mich selbst an die ganzen Probleme zurückerinnern, was ja kaum ein Spieler kann, der sehr früh angefangen hat. Wenn ich heute Klavierunterricht geben sollte, wüsste ich die Urprobleme auch nicht mehr. Die habe ich ja ganz bewusst nur auf der Gitarre erlebt – das ist sehr wichtig. Natürlich habe ich zu spät angefangen, um eine Solisten-Karriere aufzubauen, aber für meinen Unterricht ist es optimal, denn viele Probleme, die die Studenten haben – das weißt du selbst – sind eigentlich Urprobleme, die in den ersten Stunden auftauchen. Und sie sind mir immer noch präsent. Sonja Prunnbauer: Hast du später noch die Möglichkeit gehabt, dich bei anderen Lehrern weiterzubilden oder andere Kurse zu besuchen? Maritta Kersting: In Deutschland gab es nur die Scheit- und Gerwig-Kurse. Von 1964 bis 1974 habe ich selbst zusammen mit Werner Kämmerling auf den ScheitKursen unterrichtet. Das eine Jahr in Wien war zwar sehr kurz, aber ich wusste genau, wie ich weiter arbeiten musste. Allerdings habe ich bei vielen Interpretationskursen anderer Instrumentalisten bzw. Sänger hospitiert, Dirigentenkurse in Salzburg besucht usw. Sonja Prunnbauer: Im Laufe der Zeit hat sich das Gitarren-Repertoire ja sehr verändert, die Schwerpunkte verlagert. Verlangst du von deinen Studenten ein bestimmtes Repertoire, wie es zum Beispiel teilweise in Paris oder Madrid üblich ist, oder überlässt du es der Neigung deiner Studenten zu spielen, was sie wollen. Maritta Kersting: Es gibt verschiedene Studienzweige in Düsseldorf. Die pädagogische Ausbildung mit dem Abschluss entweder als „Instrumental-Pädagoge“ oder als „Allgemeiner Musikerzieher“, das Studium in der Hochschulklasse bis zum künstlerischen Abschlussexamen oder Konzertexamen und die Ausbildung zum Toningenieur. Natürlich richtet sich das zu erarbeitende Repertoire nach dem jeweiligen Studiengang. Ich glaube, jeder Musi-

ker braucht ein Grund- oder Standard-Repertoire – ein Soll an Technik, Etüden und Literatur. Wenn ich ein Haus baue, fange ich mit dem Fundament an und kann die zweite Etage nicht auf das Erdgeschoss setzen. Und wenn ich kein stabiles Fundament habe, fällt das Haus irgendwann zusammen. In der Aufnahmeprüfung werden aus drei verschiedenen Stilepochen drei Stücke erwartet, die sich in ihrem Schwierigkeitsgrad nach dem angestrebten Studienziel richten, wenigstens aber im Schwierigkeitsgrad der Mittelstufe liegen müssen. Da ich die Prüfungskandidaten vor der Aufnahmeprüfung nicht immer kennenlerne, bin ich oft in der ersten Unterrichtsstunde überrascht, wenn ich nach dem bereits erarbeiteten Repertoire frage. Fast immer muss ich einige „Stockwerke“ abreißen, um im günstigsten Fall auf einem stabilen Fundament mit der Wiederaufbau beginnen zu können.

Maritta Kersting, ???, Karl Scheit

Sonja Prunnbauer: Sicher gehören Sorund Giuliani-Etüden zum Fundament … Meinst du nicht, dass an den Hochschulen das Repertoire im Allgemeinen zu stark auf eine Solistenlaufbahn ausgerichtet ist und das „Lehrer-Repertoire“ doch sehr vernachlässigt wird? Maritta Kersting: Die Ausbildung muss sich nach dem technischen und musikalischen Niveau und dem bereits vorhandenen Repertoire des Studenten richten. Außerdem nach seinem Studienziel. Leider ist es bei der Gitarre immer noch nicht so, wie es bei anderen Instrumenten ist. Generell hat ein Pianist ein größeres Repertoire als ein Gitarrist, wenn er mit dem Studium beginnt. Der Studiengang des Instrumentalpädagogen soll beispielsweise in sechs Semestern abgeschlossen sein. Diese kurze Zeit reicht allenfalls zur Erarbeitung eines sogenannten Standard-Repertoires, was immer man auch darunter verstehen mag. Die meisten meiner Studenten machen zuerst ihre „Künstlerische Abschlussprüfung“ und im Anschluss daran das pädagogische Examen. Das hat einige Vorteile: 1. ist in den ersten Semestern die zeitliche Belastung durch die vielen begleitenden Seminarfächer nicht so groß, das heißt, es bleibt mehr Zeit zum Üben. 2. wird nur eine Hauptfachprüfung abgelegt, das heißt nach der „Künstlerischen Abschlussprüfung“ erhält der Student keinen Hauptfachunterricht mehr. Die Ausbildung verläuft ähnlich der an wissenschaftlichen Hochschulen, wo erst nach Abschluss des wissenschaftlichen Studiums die Ausbildung zum Lehrer erGitarre & Laute-ONLINE XXXI/2009 Nº 2 15


Mit Studenten 1994

im Hunsrück

folgt. Für diesen, von mir selbst empfohlenen Studiengang, gelten natürlich besondere Aufnahmekriterien.

Sonja Prunnbauer: Hast du selbst nicht einmal daran gedacht, eine Schule herauszugeben?

Sonja Prunnbauer: Wie läuft es bei euch mit dem Methodik-Unterricht? Kann man überhaupt einen sinnvollen Methodik-Unterricht an einer Muswikhochschule geben, der die Studenten auf den Betrieb an Musikschulen vorbereitet?

Maritta Kersting: Ja, ich habe diesen Gedanken vor vielen Jahren einmal gehabt, aber inzwischen sind so viele Gitarrenschulen erschienen. Warum noch eine weitere hinzufügen? Außerdem war ich eigentlich mit der Schule von Karl Scheit, besonders aber mit der Grundidee dieses Lehrwerks immer sehr zufrieden. Ich hätte vielleicht neues Spielmaterial zusammentragen können, aktuelleres Spielmaterial, was ja dann nachher auch von anderer Seite geschehen ist, von einem meiner Schüler.

Maritta Kersting: Ja, aber er muss praxisbezogen sein. Ich mache nur den Lehrprobenunterricht. Die Didaktik macht ein Kollege, ein ehemaliger Schüler von mir. Neben seiner Lehrtätigkeit an der Musikhochschule ist er hauptamtlich Fachleiter an der Düsseldorfer Musikschule und kann so ganz praxisbezogen arbeiten. Das, was an der Musikschule gebraucht wird, bezieht er in seinen Unterricht mit ein. Er kann die Studenten gegebenenfalls auch mit in die Schule nehmen. Sie wachsen so in den Musikschulbetrieb hinein. Ich finde das sehr wichtig. Ich selbst habe auch 14 Jahre an der Musikschule unterrichtet, aber das ist ja schon lange her und inzwischen hat sich vieles geändert. Den Methodikunterricht sollte jemand machen, der wirklich ständig in der Praxis steht. Sonja Prunnbauer: Das stimmt. Als Hochschullehrer ist man doch in Gefahr, die Probleme der ganz jungen Musiker an den Musikschulen nicht mehr zu kennen, weil man nur Studenten unterrichtet. Maritta Kersting: Ja, Hochschulen und Musikschulen müssten sehr viel mehr zusammenarbeiten. Die Studenten müssen bei uns ein Unterrichtspraktikum von 60 Stunden absolvieren – zweimal 30 Stunden – mit Protokoll. An den verschiedenen Musikschulen werden in Absprache mit den Seminarleitern Mentoren eingesetzt, unter deren Aufsicht die Studenten unterrichten. Sonja Prunnbauer: Legst du deinem Unterricht eine bestimmte Schule zugrunde oder hältst du irgendeine Schule für besonders erwähnenswert? Maritta Kersting: Ich verwende, wenn es nicht schon bekannt ist, mit ziemlich viel Systematik die Schule von Pujol. Gott sei Dank gibt es diese Bände jetzt auch in deutscher Sprache! Den dritten Band verwende ich ganz konsequent, auch Teile aus dem vierten Band.

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Sonja Prunnbauer: Die Art von Karl Scheit, im Forum zu unterrichten, hat mich damals sehr beeindruckt. Ich hatte vorher nur Einzelunterricht und vor Publikum unterrichtet zu werden, hat mich sehr motiviert zu üben, gleichzeitig auch an die VorspielStunden gewöhnt. Die Gefahr dieser Unterrichtsform ist natürlich auch, dass der Lehrer, da er ja gleichzeitig auch das Publikum ansprechen möchte, nicht immer auf jeden einzelnen Schüler voll eingehen kann. Welche Unterrichtsart bevorzugst du? Maritta Kersting: Scheits Art zu unterrichten wird ja auf allen Seminaren praktiziert und ist da auch angebracht. Ich habe es auch versucht und ich biete es immer wieder an. Aber ich glaube, das ist eine Art Unterrichtsform die nicht für jeden geeignet ist. Aus meiner eigenen Erfahrung in Wien und auch bei vielen Seminaren habe ich erlebt, dass eigentlich immer wieder die gleichen Leute vorspielen und dass immer einige versuchen, der Sache aus dem Weg zu gehen und sich vor dem Vorspiel drücken. Ich ziehe den Einzelunterricht vor. Als Ergänzung biete ich regelmäßig jede Woche eine Vorspielmöglichkeit von zwei Stunden an, wo jeder, auch der Anfänger, Gelegenheit hat, ohne Druck und ohne Zwang vorzuspielen. Das halte ich für sehr wichtig, denn man braucht manchmal bessere Nerven, den eigenen Kollegen vorzuspielen als in öffentlichen Konzerten aufzutreten. Sonja Prunnbauer: Finden diese Vorspiele in der Hochschule statt? Maritta Kersting: Ja. Aber auch auf privater Ebene bei den Studenten zuhause. Sie laden sich gegenseitig ein und da wird – genau wie nach den öffentlichen Vorspielen – hinterher über das Gehörte diskutiert. Am Anfang war es so, dass im-


mer die gleichen Stundenten vorspielten. Aber das hat sich geändert. Irgendwann bekommt jeder mal den Mut. Es wird immer besser, von Vorspiel zu Vorspiel. Das finde ich auch vor Prüfungen besonders wichtig. Sonst spielt man ja immer nur dem Lehrer vor. Sonja Prunnbauer: Kommt da nicht zwischen den Studenten eine gewisse Rivalität auf? Maritta Kersting: Das kenne ich nicht in meiner Klasse. In über zwanzig Jahren Unterrichtstätigkeit hat es das nie gegeben. Im Gegenteil, ich beobachte, wie sich alle freuen, wenn sie merken, dass jemand besser geworden ist. Und wenn sich jemand verspielt hat und unglücklich darüber ist, dann wird er wieder aufgemuntert und getröstet. Sonja Prunnbauer: Dann hast du durch deine Persönlichkeit und dein pädagogisches Talent eine sehr ausgeglichene Klasse aufgebaut. Das gibt es nicht überall. Dein Verhältnis zu deinen Studenten ist besonders gut. Sicher liegt es auch daran, dass du privat viel mit ihnen unternimmst. Zum Beispiel warst du jetzt mit ihnen auf einer Reise in Spanien. Maritta Kersting: Solche Reisen oder eine andere größere Sache versuche ich mindestens alle zwei Jahre, manchmal auch jedes Jahr, zu unternehmen; irgendeine Arbeitswoche oder Kammermusikwoche. Wir waren in Italien, in Salzburg. In diesem Jahr haben wir eine Studienreise durch Andalusien unternommen. Für Gitarristen natürlich sehr interessant! Diese Reisen finde ich wichtig. Wir lernen uns gegenseitig besser kennen. Außerdem fördern sie den guten Klassengeist. Sonja Prunnbauer: Das kostet natürlich sehr viel Einsatz, Zeit und Energie von deiner Seite! Planen, organisieren … machst du das gern? Maritta Kersting: Es macht mir Freude, und ich erkenne an spontanen Reaktionen meiner Studenten, dass ihnen diese gemeinsamen Erlebnisse wichtig sind. Sonja Prunnbauer: Wenn deine Schüler im Sommer Meisterkurse bei Pierri, Barrueco, Carlevaro, Ghiglia und anderen besuchen, und sie kommen dann mit neuen Ideen zurück und wollen vielleicht eine andere Technik lernen, wie reagierst du? Maritta Kersting: Grundsätzlich finde ich es immer gut, wenn der junge Mensch wissbegierig ist und viel lernen

will. Früher habe ich auch die Besuche dieser Kurse befürwortet, aber das tue ich inzwischen nicht mehr. Ich finde, solange man in einer Ausbildung ist, sollte man auch bei einer Methode bleiben. Ich habe schon oft erlebt, dass es für den jungen Menschen so schwierig wurde, sich für eine Richtung, sei es musikalisch oder technisch, zu entscheiden, dass er sich dann überhaupt nicht mehr weiterentwickeln konnte. Viel wichtiger ist es, dass die Studenten andere Kurse besuchen – Dirigentenkurse, Interpretationskurse von Geigern, Pianisten oder Gesangskurse. Ich konnte früher auch nicht gleichzeitig zu Gerwig und Scheit gehen. Das ging einfach nicht. Überhaupt muss man als Lehrer sehr darauf achten, dass die Stundenten sich nicht nur mit Gitarrenliteratur auseinandersetzen. Mir tut es weh, wenn zum Beispiel jemand die „Mozart-Variationen“ spielt und noch nie eine Mozart-Kammermusik oder gar die „Zauberflöte“ gehört hat. Ein Gitarrist sollte in der Lage sein, ein Stück von Sor auch in Orchesterfassung aufzuschreiben. Auf welchem Instrument kann man sonst so viele Instrumente imitieren? Aber wenn man nicht weiß wie sie klingen …

… mit ihrem Schüler Dieter Kreidler

Sonja Prunnbauer: Wie ist denn überhaupt die Zusammenarbeit an der Hochschule mit den anderen Kollegen? Wird mit der Gitarre viel Kammermusik gemacht? Maritta Kersting: Ja. Zunächst einmal sind zwei Semester Kammermusik obligatorisch. Natürlich muss die Initiative von mir ausgehen. Es kommt selten jemand aus einer ganz anderen Klasse und fragt: „Kann ich einen Gitarristen haben?“ Die anderen Kollegen sind nicht immer informiert über die vielen Möglichkeiten des Zusammenspiels, über die Kammermusikliteratur der Gitarre. Ich muss sagen, dass ich auch sehr gern in öffentlichen Konzerten die Gitarre mit anderen Instrumenten oder mit Gesang kombiniere. Sonja Prunnbauer: Das hängt sicher auch mit deiner Liebe zum Gesang und zur anderen Musik zusammen. Maritta Kersting: Ja. Die Gitarristen müssen ja alle ein zweites Instrument erlernen. Früher war es obligatorisch Klavier, das ist — Gott sei Dank — nicht mehr der Fall. Ich wehre mich auch ganz strikt dagegen, obwohl ich selbst Klavier studiert habe. Ich wehre mich auch gegen das Zweitfach Laute oder Mandoline, weil ich mir wünsche, dass der Student ein Instrument erlernt, das überhaupt Gitarre & Laute-ONLINE XXXI/2009 Nº 2 17


nichts mit der Gitarre zu tun hat. Am liebsten ist mir, wenn gesungen wird oder ein Blas- oder Streichinstrument gespielt wird. Durch das Atmen lernt er phrasieren, durch den Bogen lernt er, anders einteilen. Außerdem wird er mit einer ganz anderen Literatur konfrontiert, wenn er das Nebenfach Gesang oder ein Blas- bzw. Streichinstrument wählt.

Sonja Prunnbauer und Maritta (während des Gesprächs – oder während eines Gesprächs?)

Sonja Prunnbauer: Du hast ja große Erfahrung sowohl mit Kuppen- als auch mit Nagelspiel. Lässt du deinen Studenten in diesem Punkt Freiheit? Maritta Kersting: Das Nagelspiel hat sich sicher durchgesetzt, aber letztlich ist es entscheidend, wie es klingt. Es kommt ja auch auf die Hand an. Es gibt Spieler mit extrem schmalen Kuppen; Gerwig zum Beispiel. Wenn es schön klingt, warum soll man nicht mit der Kuppe spielen? Allerdings muss man auch an die Konzertsäle denken. Der Kuppenton trägt sicher nicht so gut wie der Nagelton. Sonja Prunnbauer: Schreibst du eine bestimmte Handhaltung vor, eine sogenannte Idealhaltung? Maritta Kersting: Jede Hand ist anders. Ich probiere mit jedem seine persönliche Idealhaltung aus! Natürlich habe ich eine bestimmte Tonvorstellung, die versuche ich jedem Schüler zu vermitteln. Aber ich muss mit dem Material arbeiten, das ich habe, wie ein Instrumentenbauer — der auch mit den Hölzern, die er hat, arbeiten muss, um ein schönes Instrument zu bauen. Sonja Prunnbauer: Hat sich deine Tonvorstellung nicht im Laufe der Zeit verändert? Schließlich hast du ja mit der Laute angefangen. Maritta Kersting: Für mich war von Anfang an die menschliche Stimme das Vorbild. Ich war immer bemüht, auf der Laute und auch auf der Gitarre zu singen. Der Sänger braucht eine sehr ausgeprägte Vorstellungskraft vom richtigen Sitz des Tons, der Tonqualität, Farbe, Resonanz usw. Das habe ich versucht, auf mein Instrument zu übertragen. Es muss singen das Instrument! Außerdem bin ich ein Legato-Fanatiker! Sonja Prunnbauer: Du lässt gerade von drei Studenten das Giuliani-Konzert spielen. Wahrscheinlich interpretiert es jeder anders? Maritta Kersting: Ja, unter Berücksichtigung musikalischer Kriterien. Tonlich auf

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jeden Fall unterschiedlich. Natürlich kann ich ein Giuliani-Konzert nur mit einem virtuosen Spieler erarbeiten. Ich würde nie versuchen, das virtuose Element zu untergraben. Ist ein Student aber nicht virtuos veranlagt, versuche ich mit einem anderen Repertoire seine Stärken hervorzuheben. Ein guter Lehrer muss einen ausgeprägten Sinn dafür entwickeln, wo die Begabungsschwerpunkte seines Schülers liegen. Ich versuche, jedem Spieler seine Persönlichkeit zu lassen. Man soll nicht unbedingt sagen „aha, das ist ein Schüler von der Kersting“. Wenn du das Radio anstellst und du hörst Segovia, erkennst du ihn sofort an seinem Stil. Ebenso Bream als Bream. Ich finde, das muss man: das ganz Individuelle fördern. Aber dazu gehört eine sehr intensive Beschäftigung mit dem Einzelnen. Sonja Prunnbauer: Bist du eigentlich eine strenge Lehrerin? Maritta Kersting: Frag mal meine Studenten! Ich glaube, sie brauchen ein ausgewogenes Maß an Güte und Strenge. Sonja Prunnbauer: Wie sind deiner Meinung nach die Berufsaussichten für die Studenten heute! Maritta Kersting: Durch die Studienplatznot ist man ja sowieso gezwungen, nur wenige aufzunehmen. Ich glaube, die meisten wissen, dass die Berufsaussichten im Augenblick nicht gut sind. Das sage ich ihnen aber auch. Als ich vor dreißig Jahren mit dem Klavier begonnen habe, in der Aufbauphase nach dem Krieg, da gab es auch keine Stellen. Damals wollte ich aber einfach nur Musik studieren, ohne danach zu fragen, ob es Chancen gab oder nicht. Wer heute den Willen hat, Musik zu studieren, der lässt sich auch nicht durch schlechte Berufschancen davon abbringen. Außerdem gibt es immer Möglichkeiten im Privatunterricht. Studenten aus verschiedenen Instrumentalbereichen sollten sich zusammentun und Privatschulen eröffnen. Sonja Prunnbauer: Eigentlich kann man heute ja nur noch jemandem raten, Musik zu studieren, der mit Leib und Seele dabei ist, und Musik macht, um der Musik willen. Maritta Kersting: Natürlich! Ich würde auch den Studenten raten, wenn eine Alternative da ist, lieber das andere Fach zu studieren. In diesem Beruf muss man schon voll und ganz dahinterstehen. Aber das tun meine Leute auch. Ich muss sagen, es sind verschwindend wenige, die


zum Beispiel auf ihre wöchentliche Stunde verzichten würden. Lieber noch eine Stunde mehr. Eine Stunde pro Woche ist sowieso zu wenig. Ich versuche, meine Klasse deshalb auch möglichst klein zu halten. Sonja Prunnbauer: Hast du es erlebt, dass Studenten während des Studiums aufgegeben haben, dass sie nicht durchgehalten haben? Maritta Kersting: Ganz selten! Meistens kam dann die Initiative von mir, wenn ich ihnen geraten habe aufzugeben. Einmal kam ein Student, der sehr gut und fleißig war, plötzlich doch auf die Idee, lieber Gartenbau studieren zu wollen. Dann soll er es auch machen. Aber die meisten halten durch. Sonja Prunnbauer: Wie bereitest du dich zum Beispiel auf neue Stücke vor, die von den Stundenten an dich herangetragen werden? Maritta Kersting: Erstmal, ich bereite mich generell auf jede Stunde vor. Die Zeit nehme ich mir. Und wenn ich an einem Tag drei Studenten habe, die zum Beispiel Präludium, Fuge und Allegro von Bach spielen, dann werde ich für jeden Studenten dieses Stück extra vorbereiten, weil ich unter Umständen für jeden andere Fingersätze haben und das Stück anders anpacken muss. Mit neuen Stücken hat der Lehrer natürlich zusätzliche Arbeit, die neue Musik erst einmal zu studieren. Sonja Prunnbauer: Spielst du viel im Unterricht vor? Maritta Kersting: Es ist natürlich toll, wenn der Lehrer alles vorspielen kann. Aber welcher Lehrer kann – ausgenommen sein eigenes Repertoire – wirklich alles perfekt vorspielen? Ich spiele sehr wenig vor, so gut wie gar nichts. Es gibt sicher Schüler, die die Demonstration brauchen, die kommen vielleicht mit der verbalen Vermittlung nicht zurecht. Ich meine aber, dass ein guter Lehrer in der Lage sein muss, alles Musikalische zumindest, nicht die Technik natürlich, verbal vermitteln zu können. Ich komme mir dann vor, wie ein Dirigent. Ein Dirigent, der vor einem Orchester steht, muss ja auch eine genaue Vorstellung von dem haben, was er klanglich erarbeiten will. Ein Lehrer muss das auch können. Sonja Prunnbauer: Wenn man selbst vorspielt, besteht ja auch die Gefahr, die per-

sönliche Interpretation zu sehr in den Vordergrund zu stellen. Maritta Kersting: Ja, ich finde es auch ganz schlecht mitzuspielen, was viele beim Unterrichten tun. Ich kann ja dem Schüler dann gar nicht zuhören, wenn ich mitspiele. Ich singe viel mit. Das wirkt fast suggestiv. Ich kann dem Schüler etwas vorsingen und kann von der Bewegung her viel vormachen, ihm sagen: Stell dir auf diesem Ton ein Crescendo vor, pass auf, so müsste das klingen. Ich empfehle auch immer, sich die Melodien erst selbst vorzusingen, um eine Einteilung zu haben, um die Phrasierung zu spüren, an der richtigen Stelle zu atmen. Dagegen finde ich es notwendig, dass der Lehrer an der Musikschule dem Kind etwas vorspielt. Das Kind braucht das als Orientierung. Sonja Prunnbauer: Wie weit setzt du technische Medien in deinem Unterricht ein, zum Beispiel Tonband oder Video? Maritta Kersting: Ich würde gern mit Video arbeiten, ich finde es wichtig für die Methodik, zum Beispiel für Lehrprobendemonstrationen oder auch für meine wöchentliche Vorspielstunden, dass man sie aufzeichnet und in Zeitlupe ablaufen lassen kann. Aber da fehlen die Mittel des Landes zur Anschaffung der Geräte. Das muss man in Privatinitiative machen. Auch das Üben mit Tonband ist eine gute Kontrolle, aber nur, wenn auch das Gerät etwas taugt. Sonja Prunnbauer: Es besteht ja auch die Gefahr, dass man sich beim Spielen weniger zuhört, weil man sich auf das Tonband verlässt. Maritta, übst du selbst noch für dich? Maritta Kersting: Ja, ich versuche es. Ich konzertiere ja nicht mehr, aber morgens nach dem Frühstück greife sich als erstes zum Instrument. Ich teile auch meinen Unterricht so ein, dass ich den Vormittag für mich habe – auch zum Vorbereiten auf den Nachmittag. Sonja Prunnbauer: Wie war das früher mit deiner Konzerttätigkeit? Maritta Kersting: Ich habe mit der Gitarre nur Kammermusik gemacht – solistisch tätig war ich mit der Laute und einige Jahre in dem Ensemble „Studio für alte Musik Düsseldorf“. Wir haben auch Schallplatten, Rundfunkaufnahmen und viele Konzerte gemacht. Dieses Ensemble ist leider nachher auseinandergegangen. Gitarre & Laute-ONLINE XXXI/2009 Nº 2 19


Sona Prunnbauer: Als konzertierender Künstler steht man in der Öffentlichkeit und erntet direkten Beifall und Lob vom Publikum. Vermisst du dieses Gefühl nicht? Maritta Kersting: Nein, denn ich habe viel Erolg mit dem, was ich tue, und eine gute Resonanz, so dass mir nichts fehlt. Sonja Prunnbauer: Du gehörst also zu wenigen, die nicht aus Not Pädagoge geworden sind, sondern aus voller Überzeugung. Maritta Kersting: Sicher – aber ich bin auch in meiner Ausbildung bestimmt zu kurz gekommen. Die Fülle der Aufgaben, die nach meiner Rückkehr aus Wien in Deutschland auf mich zukam, ließ mir wenig Zeit für meine eigenen Studien, und es kam auch nicht mehr zu der ursprünglich geplanten Wiederaufnahme meines Studium bei Karl Scheit. In meinem Beruf bin ich sehr glücklich und die künstlerisch-pädagogischen Erfolge meiner Schüler sind für mich so viel wie der Applaus im Konzertsaal. Sonja Prunnbauer: Vielleicht sogar mehr … Maritta Kersting: Für mich ist es ein besonderer Erfolg, wenn mir ein Schüler eines Schülers, ein sogenannter EnkelSchüler, vorgestellt wird und nach einer angemessenen Unterrichtszeit in der Lage ist, fünf Töne oder eine kleine Melodie einstimmig legato zu spielen, zu gestalten. Das möchte ich noch sehr oft erleben. Das ist dann wie eine Belohnung. Es war doch viel Pionierarbeit – damals vor 22 Jahren. Mit Sicherheit rühren auch die pädagogischen Erfolge meiner damaligen Schüler, einige inzwischen Hochschullehrer, daher, dass auch sie bei Studienbeginn im Durchschnitt älter waren, als die heutigen Studienanfänger. Wir haben wirklich gemeinsam an technischen Problemen gearbeitet und voreinander gelernt. Vielleicht hatten wir andere Maßstäbe als heute, es wurde nichts mit der Stoppuhr gemessen, nicht mit astronomischen Metronomzahlenargumentiert. Wir wollten einem hohen musikalischen Anspruch genügen, dem gleichen Anspruch, den man an andere Instrumente stellt. Sonja Prunnbauer: Du sagtest eben, dass man als Lehrer von seinen Schülern genauso profitiert, wie umgekehrt. Es gibt aber auch den Zustand, den Scheit damals mit „ausgepresster Zitrone“ verglichen hat. Man fühlt sich leer, weil man ständig gibt und keine Möglichkeit mehr hat, sich selbst wei20 Gitarre & Laute-ONLINE XXXI/2009 Nº 2

ter zu entwickeln. Geht es dir auch manchmal so? Maritta Kersting: Ja, das gibt’s! Besonders am Ende des Semesters. Aber eigentlich kann man die Studenten verstehen. Sie wollen alles wissen, lernen – in möglichst kurzer Zeit. Sie stehen ja selbst unter Druck. Nur für den Lehrer ist es dann Zeit, auch mal Pause zu machen und sich zu regenerieren. Sonja Prunnbauer: Du hast vor einigen Jahren die Chaconne von Bach publiziert. Eine Gesamtausgabe des Bachschen Lautenwerks ist in Vorbereitung. Was hat dich bewogen, dich so intensiv mit Bach zu beschäftigen. Maritta Kersting: Man hat mich gebeten, diese Gesamtausgabe für Gitarre, die in Zusammenarbeit mit Reinbert Evers entsteht und im Bachjahr erscheinen wird, herauszugeben. Sonja Prunnbauer: Und warum hast du 1981 ausgerechnet die Chaconne als erstes Werk gewählt? Maritta Kersting: Die Chaconne hat mich fasziniert. Die Bearbeitung habe ich vor vielen Jahren schon gemacht. Die sie in Form von Fotokopien sowieso schon von einem zum anderen ging, habe ich sie nochmals revidiert und herausgegeben. Jetzt, nach meiner intensiven Beschäftigung mit dem Gesamtlautenwerk von Bach, bekam ich wieder so viele neue Ideen und Erkenntnisse, dass ich die Chaconne noch einmal überarbeitet habe und am liebsten neu herausgeben würde. Sonja Prunnbauer: Was ist dir wichtig an deiner Chaconne-Ausgabe? Maritta Kersting: Ich habe mich ziemlich an die Geigenfassung gehalten, unter Hinzufügung von einzelnen Bässen, aber nur wenigen Akkorden. Ich wollte mich exakt an den Text halten.Ich finde, es klingt auch auf der Gitarre. Mancher Geiger hat mir das bestätigt. Sonja Prunnbauer: Welche Bedeutung hat der Fingersatz für dich in deinen Ausgaben? Maritta Kersting: Wenn ich ein Werk herausgebe, kann ich nur über den Fingersatz der rechten und der linken Hand meine Klangvorstellung vermitteln. Die vielen Möglichkeiten der Interpretation allein durch die Fingersätze muss man erst einmal kennengelernt haben, dann weiß man, wie wichtig Fingersätze sind.


Weil ich eine bestimmte Vorstellung habe, lege ich mich natürlich fest. Das sind dann meine sehr persönlichen Fingersätze. Sonja Prunnbauer: Warum gibst du eigentlich keine Seminare mehr? Maritta Kersting: Wenn jemand wissen will, wie ich unterrichte, kommt er zu mir! Sonja Prunnbauer: Aber viele haben nicht die Möglichkeit! Maritta Kersting: Es gibt doch schon so viele Seminare. Jeder macht doch Meisterkurse. Ehrlich gesagt – in den Ferien will ich einmal etwas anderes machen und nicht auch noch unterrichten.

persönlich brauche sehr die Inspiration eines Instruments. Dadurch bekomme ich viele neue Ideen und Anregungen. Jedes Instrument, das ich besitze, ist von mir ausgesucht oder für mich gebaut worden und hat für mich eine ganz besondere Bedeutung. Sie sind alle schön und doch sehr verschieden. Es geht mir mit meinen Gitarren so, wie es mir mit dem Wein geht. An einem Abend bevorzuge ich einen weichen und samtigen Rioja-Wein, an einem anderen Abend freue ich mich auf den Genuss eines kräftigen Franken-Weins.

Sonja Prunnbauer: Dann nimmst du dir in den Ferien Zeit für deine Hobbies? Maritta Kersting: Es gib zunächst viel aufzuarbeiten, wozu die Zeit im Semester nicht reicht. Dann reise ich zum Beispiel gern, oft sehr weit weg. Für mich ist das der Abstand, den ich brauche – von der Schule, der Arbeit, den Studenten. Ich kann neue Kräfte sammeln. Ich fotografiere gern und soweit ich die Zeit habe, entwickle und vergrößere ich die Fotos selbst. Und dann habe ich noch ein Hobby: Ich trinke nicht nur den Wein, sondern beschäftige mich auch wissenschaftlich mit dem Wein und dem Weinbau. Alle diese Hobbies kann ich gut miteinander verbinden: Ich reise also gern in Länder, wo Wein wächst. Letztlich bleibt aber auch die Musik noch mein Hobby.

Öffne deine Augen für meine Welt. Werde Pate!

Sonja Prunnbauer: Die Gitarre auch? Gibt es nicht eine Zeit, wo du absolut keine Gitarre mehr hören kannst? Maritta Kersting: So krass kann ich das nicht sagen. Aber es gibt Zeiten, wo es mir schwerfällt, selbst noch zu üben, wenn ich von der Schule nach Hause komme. Dann erfreue ich mich an anderer Musik, schwelge vielleicht in TristanHarmonik oder genieße Richard Strauss. Das brauche ich oft. Sonja Prunnbauer: Zum Schluss noch eine Frage zu deinen Instrumenten. Ich habe gesehen, dass du Instrumente von verschiedenen Gitarrenbauern spielst. Sicher suchst du dir die Instrumente nach deinen eigenen Tonvorstellungen selbst bei den Instrumentenbauern aus? Maritta Kersting: Ja, ich finde es sehr wichtig, dass Instrumentalisten und Instrumentenbauer zusammenarbeiten. Ich

Nähere Infos:

0 4la0 4w.p0la-n-d6eu11 0 tsch nd.de ww Plan International Deutschland e.V. Bramfelder Str. 70 22305 Hamburg Gitarre & Laute-ONLINE XXXI/2009 Nº 2 21


Die Lautenwerke von Santino Garsi da Parma Gesamtausgabe der handschriftlich überlieferten Quellen Faksimile mit Übertragung und Kommentar von Dieter Kirsch Die Hauptquellen für die Werke des bedeutenden Lautenmeisters Santino Garsi da Parma, die Handschriften mus.ms.40032 und 40153 der ehemaligen Preußischen Staatsbibliothek, galten seit dem zweiten Weltkrieg als verschollen. Lediglich in der Dissertation von Helmut Osthoff („Der Lautenist Santino Garsi da Parma“ 1926) waren sie den heutigen Musikern und Wissenschaftlern in Übertragungen für Klavier zugänglich. Die neue Ausgabe sämtlicher Lautenwerke verbindet erstmalig Quellen in Faksimile (auch die der erst jüngst wiederentdeckten Berliner Handschriften) mit Übertragungen im G- Schlüssel-System (für Gitarre)

Santino Garsi da Parma, Sämtliche Werke für Laute, 120 S., Großformat, GL 148, EUR 30,-MusiCologne Ltd., Köln http://www.MusiCologne.eu

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Neue Notenausgaben

Robert de Visée, Suite en ré mineur für Gitarre, hrsg. v. Olaf van Gonnissen, Thomas MüllerPering und Johannes Monno, Wien 2009: Universal Edition UE 34480, € 1 0,95

Santiago de Murcia, Suite en ré mineur für Gitarre, [gleiche Herausgeber] Wien 2009, UE 34481, € 1 0,05 [für beide] Reihe: Neue Karl Scheit Gitarrenedition Die Ausgaben der Reihe „Musik für Gitarre” von Karl Scheit haben das Wirken mehrerer Generationen von Gitarristen bestimmt — und zwar, was die Auswahl an Werken angeht und ihre editorische und spieltechnische Ausgestaltung. Schon vorher waren im gleichen Verlag, der Wiener Universal Edition, die Lehrwerke erschienen, die Scheit zusammen mit seinem Kollegen Erwin Schaller herausgebracht hatte, 1939 dann die beiden ersten Ausgabe der Editionsreihe. Es waren die „10 Stücke” von Alfred Uhl (UE 11180 und 11181). Sie erschienen, wie Karl Scheit mir selbst sagte, „im Nachthemd”, also ohne Umschlag, weil zu Kriegszeiten Papier knapp war (s. Peter Päffgen, „Die großen GitarrenmusikVerlage: Universal Edition, Wien“, in: „Gitarre & Laute“ I/1979/Nº 1, S. 41-43). Auch noch zu Kriegszeiten, 1944 nämlich, kam die „Suite d-Moll“ von Robert de Visée heraus. Im Vorwort heißt es: „Die Suite wird hier, soweit mir bekannt, zum ersten Male auf Grund des Originaldruckes veröffentlicht” … sollte Karl Scheit tatsächlich die Ausgabe seines Kollegen Emilio Pujol von 1928 nicht gekannt haben (Max Eschig ME 1007 und 1007b)? Ein paar Jahre später, 1954, kam José de Azpiazu mit seiner Ausgabe auf den Markt (Symphonia Verlag Basel, Sy. 2359) und er hat sich — völlig gegen jede Erwartung — beinahe genauer an de Visées Tabulatur gehalten, als es Scheit getan hatte.

Im März 1957 nahm Andrés Segovia die Suite für DECCA auf (DL 9638) und damit dürfte ihr Höhenflug besiegelt worden sein. Welche Ausgabe ihm zur Verfügung gestanden hat, weiß man nicht, es war aber vermutlich nicht die Tabulatur. Nach dem internationalen Erfolg des Stücks entstanden etliche Neuausgaben, bei denen gewohnheitsgemäß einer vom anderen abgeschrieben hat — das lässt sich für einige Editionen nachweisen, soll aber hier nicht Thema sein. Das Stück war jedenfalls so populär, dass Siegfried Behrend es bei Zimmermann schlichtweg als „Berühmte Suite” herausgegeben hat … übrigens bezweifle ich auch bei dieser Ausgabe, dass sie anhand und in Kenntnis der ursprünglichen Quellen entstanden ist! Die Ausgabe von Karl Scheit von 1944 war richtungweisend … aber sie war natürlich ein Kind ihrer Zeit. Dass Herausgeber speziell von Gitarrenmusik sich erst allmählich daran gewöhnen mussten, vorsichtig und gewissenhaft mit dem gegebenen Material umzugehen, haben wir erfahren müssen. Viel zu oft sind Ausgaben anhand zweifelhafter Quellen entstanden oder bewusst Änderungen vorgenommen worden, über die die Benutzer der Ausgaben nicht einmal informiert worden sind. Die UE beginnt nun offenbar, die bekannte Ausgaben-Reihe von Karl Scheit einer Prüfung zu unterziehen und einzelne Hefte, wenn es angebracht ist, durch revidierte Neuausgaben zu ersetzen. „Zum anderen gibt es nach wie vor Werke, die noch nie in der von Karl Scheit realisierten praktischen und pädagogischen Qualität herausgegeben wurden.” Was haben die Revisoren geändert? Sie haben zunächst die Satzfolge wie sie im “Livre de pieces pour La Guittarre” von 1686 veröffentlicht ist, wieder hergestellt. Scheit hatte folgendermaßen argumentiert: „Die hier wiedergegebene Suite in D-moll [ ... ] weist folgende Sätze auf: Prélude — Allemande — Courante — Sarabande — Gigue — Gavotte — Bourée — Menuet — Passacaille — Menuet. Die bei Visée nach der Gigue stehenden Sätze habe ich in der vorliegenden Ausgabe dem alten Suitengebrauch entsprechend zwischen die Hauptsätze eingereiht, die Passacaille ihres geringen musikalischen Gehaltes wegen nicht aufgenommen.” Im „alte[n] Suitengebrauch“, den Scheit hier anspricht und nach dem er die Suitensätze ordnet, ist in einer Suite nie eine festgelegte Form oder die prädefinierte Reihenfolge aneinanderhängender Tanzsätze gesehen worden … besonders in Frankreich nicht. „Die französischen Suiten des 16. und 17. Jahrhunderts enthalten die freiesten Verbindungen von Sätzen und lassen am wenigsten die Bindung an ein festes Schema erkennen.” (Julia Rosemeyer in MGG/2, ST/VIII/Sp. 2072). Überhaupt findet man den Terminus „Suite” als Name für eine musikalische Gattung, die aus einer Reihung von Tanzformen besteht, erst spät … bedeutet doch „Suite” zunächst nichts anderes als Reihung oder Aufeinanderfolge. Selbst Johann Mattheson hat in seinem „Neu Eröffneten Orchestre” (Hamburg 1713) „Suiten” eher liberal beschrieben als „solche Instrumental-Sachen/die erstlich eine Ouverture, Symphonie oder Intrade, und nachgehends nach des ComGitarre & Laute-ONLINE XXXI/2009 Nº 2 23


[Die folgenden Besprechungen erschienen bereits in Gitarre & Laute XXVIII/2006/Nº 1. Hier werden sie wegen der Rezensionen der neu erschienenen Notenausgaben noch einmal abgedruckt] Joseph Haydn, François de Fossa: Grand Duos Pour Deux Guitares Duo Sonare : Jens Wagner & Thomas Offermann Aufgenommen am 9. September 2000 live im Kloster Maulbronn K&V Verlagsgesellschaft [www.kuk-verlagsanstalt.com] ISBN 3930643-74-X Haydn-de Fossa: The Complete 9 String Quartets arranged for two Guitars Jukka Savijoki und Erik Stenstadvold Aufgenommen August bis Dezember 1999 (erschienen 2003) apex [http://www.warnerclassicsandjazz.com] 927-49444-2 und 092749445-2 [beide:] ... Pioniertaten ... [beide:] PPPPP François de Fossa war lange ein Geheimtipp, wenn es um Gitarrenmusik des 19. Jahrhunderts geht, das bemerken Offermann/Wagner in dem sehr knapp gehaltenen Text im booklet zu Recht. Dabei hat er ein beträchtliches Œuvre für das Instrument hinterlassen. Im Rahmen seiner Forschungen zu den Gitarren-Quintetten von Luigi Boccherini ist Matanya Ophee auf de Fossa gestoßen und hat auch ein erstes Werkeverzeichnis aufgestellt (Luigi Boccherini’s Guitar Quintets, New Evidence, Boston [heute Columbus/Ohio], 1981). Später sind dann auch etliche Werke bei Orphee in Columbus erschienen – auch die Grand Duo, die auf dieser CD zu hören sind (EICM-12a). 1996 (Heft 3) habe ich eine Platte des damals schier verschollen geglaubten Kazuhito Yamashita euphorisch besprochen, der de Fossa aufgenommen hatte (übrigens auch auf Anregung von Matanya Ophee). Hier liegen ähnliche Pioniertaten vor – die erste Einspielung der Duos nach Joseph Haydn ... und eine Gesamteinspielung. Das letzte der Grand Duos übrigens, um doch noch ein paar Bemerkungen zu den Werken zu machen, dürfte vielen Lautenisten und Gitarristen bekannt sein. In der Handschrift Tonk.fasc. III/49 der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg befindet sich ein Quartett D-Dur für Laute, Violine, Viola und Cello mit Lautenstimme in französischer Tabulatur. Dieses Quartett stammt von Joseph Haydn und ist bereits von Hans Dagobert Bruger herausgegeben worden (bei Kallmeyer in Wolfenbüttel) später auch von Karl Scheit (bei Doblinger in der Reihe „Gitarre-Kammermusik” unter Nr. D.10.152 a), und zwar jeweils für Gitarre, Violine, Viola und Cello. Es ist

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ponisten Gutbefinden eine gantze Reihe allerhand Pieçen, als da sind: Allemanden, Couranten, und so weiter/in sich begreiffen.” Michèle Castellengo, Mitarbeiterin des CNRS (Centre National de la Recherche Scientifique) in Paris, das sich unter anderem mit der Erforschung der Aufführungspraxis von Lauten- und Gitarrenmusik befasst, schrieb zur Suitenform bei de Visée: „Die Tanzsuiten bei Robert de Visée, die häufig mit einem Präludium beginnen, folgen der gewöhnlichen Reihenfolge: Allemande, Sarabande, Gigue; dann kommen verschiedene Tänze wie Passacaglia, Bourée, Gavotte, Menuett und Chaconne. Aber wenn man etwas genauer ihre Häufigkeit studiert, so stellt man fest, dass Robert de Visée im Vergleich zu seinen Zeitgenossen entschieden modern ist. Die Courante hat nicht mehr die überragende Bedeutung, die ihr in den Suiten Gallots oder Chambonnières zukam, wo sie fast die Hälfte der Tänze ausmachte. Gaillarde und Pavane, die nicht mehr getanzt werden, sind völlig verschwunden, vor allem jedoch kann man bemerken, dass das Menuett als neuer Tanz sehr stark vertreten ist.” Die Satzfolge bei Robert de Visée sollte also so akzeptiert werden, wie er sie veröffnetlicht hat … und so hat das offenbar auch das Herausgeber-Triumvirat gesehen. Alle Sätze bei de Visée sind hier zusammengefasst — darunter auch (vollkommen richtig!) die „Passacaille [...] geringen musikalischen Gehaltes.” So weit kann man also den Herausgebern nur beipflichten. Aber wie sieht es mit den aufführungspraktischen Anweisungen aus, die bei de Visée stehen? Scheit schrieb 1944: „Die zur Zeit Visées übliche Rasgado-Spielmanier blieb unberücksichtigt, da unsere heutigen Instrumente ein kraftvolleres, zusammenklingendes Anschlagen der Akkorde erlauben, das ständige Durchstreichen daher keine unbedingte Notwendigkeit ist.” Aber ganz abgesehen von den vorgeschriebenen Rasgueados sind im Buch von 1686 Angaben über Verzierungen gemacht. Die Herausgeber der Neuausgabe schreiben: „Im Original sind sowohl Vorhalte als auch Triller mit Komata [sic] vor bzw. hinter der entsprechenden Note gekennzeichnet. Nach dem Prinzip „Variatio delektat” [sic] sind Schwerpunkt auf der Dissonanz.” Die Sentenz von Euripides und anderen, dass „Abwechslung ergötzt”, wirkt dabei leider eher kryptisch als erleuchtend, denn sie suggeriert eine Art Beliebigkeit. De Visée verzeichnet aber in seinen Büchern etliche unterschiedliche Verzierungen, die er ganz bewusst einsetzt und vorschreibt. Er notiert, wann die Töne eines Akkords zusammen angeschlagen werden sollen und wann der Mehrklang gebrochen werden soll. Jedes „tremblement” und „martellement” wird notiert und keinesfalls dem Zufall überlassen. Alle Bindungen (bei de Visée „cheutes”) und


Robert de Visée, Livre de Guittarre, Paris 1682, S .7 Appogiaturas (bei de Visée „tirades”) wurden von Gitarristen des 17. und 18. Jahrhunderts als Verzierungen gesehen und nicht als Teile der Spieltechnik — und so sollten sie in Neuausgaben auch behandelt werden. Schließlich muss bei Ausgaben bedacht werden, wie de Visées Gitarre besaitet und gestimmt gewesen ist. Da wird gerade einmal der Tonumfang einer Dezime erreicht, das heißt die fünfchörige Gitarre des späten 18. Jahrhunderts war extrem Diskant-betont und hatte kein Bassfundament. Olaf van Gonnissen bezeichnet diese Stimmung als „unorthodox” (was sie keineswegs war) und nimmt für sich in Anspruch, dass eine „Bearbeitung nur eine Annäherung darstellen [kann und] (hoffentlich) immer auch den persönlichen Geschmack des Herausgebers” zeigt. Dieser Satz könnte dazu veranlassen, die Ausgabe ungesehen zu den Akten zu legen — denn der persönliche Geschmack des Herausgebers hat in der Neuausgabe eines historischen Musikwerks nichts zu suchen — und schon gar nicht, wenn es keine Erklärung dafür gibt, was nun van Gonnissen et. al. und was de Visée ist! Von Ausgaben, bei denen man nicht wusste, was Dichtung und was Wahrheit war und ist, haben wir zur Zeit Behrends und Azpiazus schon entschieden zu viele gehabt! Nun sind die Eingriffe in das vorgegebene Werk so verwerflich keineswegs … einige waren sogar notwendig! Aber einem Herausgeber zuzugestehen, nach persönlichem Geschmack vorzugehen, klingt bedrohlich!

Ich werde gern beobachten, wie es mit der „Neuen Karl Scheit Gitarren Edition”, deren Vorbild, die Reihe „Musik für Gitarre” ich seit über vierzig Jahren kenne, weitergeht. Ich bin sicher, dass die drei Herausgeber und der Verlag offene Fragen schnell beantworten werden — und das ist dringend notwendig, wenn die “neue” Ausgaben-Reihe im Andenken an Karl Scheit weitergeführt werden soll! Peter Päffgen

dürfen“. Gut, am Schluss konnte er sich offenbar nicht bremsen und hat dann doch noch die alten Schlachtrösser „Sons de Carrilhões“ und die berüchtigte Romanze ins Spiel gebracht, auch „Adelita“ und „Lágrima“, aber der bei weitem größte Teil des immerhin achtzig Seiten starken Hefts besteht tatsächlich aus kaum bekannten Stücken erster Güte! Mir gefällt besonders, dass einige spätere, jüngere Stücke aufgenommnen worden sind, zum Beispiel gleich mehrere von José

Konrad Ragossnig (Hrsg.), Guitar Concert Collection: 40 Easy to Intermediate Pieces from 3 Centuries, Mainz 2009, Schott: ED 20505, 1 € 4,95 Der Doyen der europäischen Gitarrenwelt, Konrad Ragossnig, hat wieder einmal eine Ausgabe für Schott zusammengestellt, und zwar eine Auswahl leichter bis mittelschwerer Stücken, die nicht schon durch diverse andere Anthologien gewandert sind. Aguado, Carulli, Coste und Giuliani, gut diese Namen findet man auch in der „Stunde der Gitarre“ – aber mit anderen Stücken. Und Pernambuco finden wir dort ebenso wenig wie Marschner, Llobet oder Iparraguirre! Ragossnig hat aus seinem reichen Erfahrungsschatz als weltbekannter Lautenist und Gitarrist und vor allem als Hochschullehrer geschöpft und „zauberhafte, kaum bekannte Miniaturen“ herausgesucht, „die insgesamt für Unterricht und Konzert den Anspruch gehobener Gitarrenliteratur erheben Gitarre & Laute-ONLINE XXXI/2009 Nº 2 25


mehrmals eingespielt worden – unter anderem von Jakob Lundberg und dem Drottingholm Baroque Ensemble als BIS-CD 360 — und erfreut sich großer Beliebtheit. Hier nun finden wir das gleiche Stück in einer Bearbeitung für zwei Gitarren wieder, und in einer exzellenten Interpretation. Gespielt wird mit unerhörtem Schwung und großer Delikatesse auf Kopien von Staufer-Gitarren der Zeit de Fossas. Die Aufnahmetechnik dieses Live-Mitschnitts erfüllt naturgemäß nicht alle Wünsche – eines zeigt sie aber ganz deutlich: Die „alten” Instrumente dienen nicht nur musealen Zwecken, im Gegenteil! Der kulinarische Aspekt steht insofern eher im Vordergrund als bei „modernen” Instrumenten, weil Wendungen, Akzentuierungen und virtuoses Beiwerk natürlicher und „leichter” möglich sind. Worin unterscheiden sie sich denn: kleinere Mensur, schmaleres Griffbrett, niedrigere Saitenlage, geringere Saitenspannung – Details, die das Spielen erleichtern. Gitarren wurden immer größer (und schwerer spielbar), weil man immer lautere Instrumente erzeugen wollte. Das Duo Sonare spielt mit unverhohlener Leidenschaft und Freude, mit pointiertem Spielwitz und großer Redlichkeit dem musikalischen Material gegenüber – ein Vergnügen für alle Seiten! Die Aufnahme von Erik Stenstadvold und Jukka Savijoki unterscheidet sich schon allein deshalb von der des Duos Sonare, weil sie kein Live-Mitschnitt ist. Das mag banal klingen, ist es aber nicht, denn natürlich spielen Musiker anders, wenn Sie ein Publikum vor sich haben statt nur einen Ton-Ingenieur. Da werden interpretatorische Risiken anders bewertet und in Kauf genommen – schließlich spielt das Publikum mit! So haben die unterschiedlichen Bedingungen auch unterschiedliche Aufnahmen entstehen lassen. Offermann/Wagner neigen eher zu „Überpointierungen“ wie zu weiter ausgekosteten Vorhalten oder auch schärferen Akzentuierungen. Obwohl ... im Allegro des ersten Gran Duo (A-Dur) gefällt mir der Zugang der Skandinavier besser – er wirkt frischer und genauer akzentuiert. Mit den neun Streichquartetten von Joseph Haydn in der Bearbeitung durch François de Fossa sind neue Repertoire-Pfründe für Gitarrenduos erschlossen worden, auf die man nicht inständiger hinweisen kann. De Fossa hat sein Handwerk verstanden, die Arrangements sind schlüssig und instrumentengerecht. Stenstadvold und Savijoki haben sie mit den jeweiligen Quellen verglichen und sind dabei auf einige Divergenzen gestoßen, die sie vorsichtig korrigiert haben. Die beiden hier besprochenen CD-Einspielungen sind uneingeschränkt zu empfehlen.

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Ferrer y Esteve (1835—1916), die Ragossnig nach eigenen Angaben im Vorwort in London in der Sammlung Robert Spencer einsehen konnte. Der „Tango“ aus dieser Reihe wird sicherlich zu einem Standard, auch die „Romance sans Paroles“ op. 23. Sehr schöne Stücke! Die Bagatellen von Heinrich Marschner waren namentlich bekannt und auch in verschiedenen Ausgaben verfügbar (auch in Sammelheften bei Schott) – nur gespielt wurden sie nicht. Jetzt hat Ragossnig zwei der schönsten in sein Heft aufgenommen und das wird sie sicher populär machen. Ansonsten gibt es, wie gesagt, die bekannten Namen … aber mit handverlesenen Stücken. Fein! Die Ausgabe ist natürlich vorbildlich, was Satz und Ausstattung angeht, dazu mit € 14,95 für achtzig Seiten auch noch preiswert. Markus Grohen Jens Franke (Hrsg.), Romantic Guitar Anthology 2: 30 original Works including pieces by Sor, Coste, Marschner and Paganini, mit Audio-CD eingespielt von Jens Franke, Mainz 2009, Schott, ED 13111, € 1 2,95 Diese Ausgabe spielt im Vergleich zu der von Konrad Ragossnig in einer anderen Liga: Hier stammt die Hälfte der Musik aus älteren Schott-Publikationen, ist dann aber neu gesetzt und bei der Gelegenheit (hoffentlich) revidiert worden. Die Vorlagen, aus denen die Stücke stammen, sind aus der Zeit von Walter Götze: „Stunde der Gitarre II“, „Leichtes Gitarrenspiel II“ (GA 11, 20, 33, 41 und 303). Auch hier gibt es ein paar Marschner-Bagatellen, die, nebenbei bemerkt, auch schon in einer steinalten Ausgabe von Wal-


ter Götze vorliegen. Sie hat hier als Vorlage gedient. Von den 52 Seiten dieser Ausgabe sind 26 mit Texten in drei Sprachen gefüllt, die andere Hälfte mit Noten. Das Repertoire enthält ein paar Überraschungen, darunter zwei Stücke von Franz Tuček (1782—1820) und Jaime Bosch (1826—1895), ist ansonsten aber eher Standard. Der Preis von € 1 2,95 inkl. Audio-CD ist o.k. Markus Grohen Werner Reif (Hrsg.), Lautenstücke aus der Renaissance, bearbeitet für Gitarre, Manching 2009, Edition Dux Nº 900, € 1 2,80 Cutting, Dowland, Holborne, „Johnson & Johnson“ … hier sind sie vertreten, die englischen Komponisten des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts, wie wir sie von so vielen anderen Ausgaben kennen. Werner Reif hat eine neue Anthologie zusammengestellt – eine neue Anthologie mit bekannten Stücken. Es wird empfohlen, die dritte Saite nach Fis herunter zu stimmen. Das ist sinnvoll, weil damit die relative Stimmung der sechs- bzw. siebenhörigen Laute erreicht und die ursprüngliche Applikation erhalten wird. Mengenmäßig liegt der Schwerpunkt der Stücke bei John Dowland, den der Herausgeber als den „vermutlich hervorragendsten Komponisten und Lautenisten der englischen Renaissance“ bezeichnet. Hier, bei den begleitenden Texten, hätte man vielleicht etwas mehr investieren können – ansonsten ist die Ausgabe – vor allem bei einem Preis von € 1 2,80 für knapp 40 Seiten Noten – mindestens konkurrenzfähig. Ausstattung und Notensatz sind tadellos. Markus Grohen

Michael Langer (Hrsg.), Stars of Classical Guitar – Play Guitar and Listen to the Stars of NAXOS-Records, mit Audio CD zusammengestellt aus Aufnahmen von NAXOS und anderen Plattengesellschaften, Wien 2009, Doblinger: D. 35923, €1 9,90 Dies ist die dritte Folge von Michael Langers Ausgabenreihe – überschrieben mit „Meisterwerke — Masterpieces“. Jetzt geht’s also zur Sache, was die spieltechnischen Ansprüche angeht! Gleich das erste Stück, stellt den Betrachter vor ein aufführungspraktisches Problem: Alonso Mudarras „Fantasia que contrahaze la harpa en la manera de Ludovico“. Für die Arpeggien in Takten 5-7 und an anderen Stellen schlägt Langer einen Fingersatz vor, bei dem alle Töne auf unterschiedlichen Saiten gespielt werden und damit durchklingen können. Das steht in der Tabulatur anders, ist aber vor ein paar Jahren — seit Narciso Yepes, um genau zu sein — „modern“ geworden. John Duarte hat sich vor vielen Jahren darüber aufgeregt (zuletzt in Classical Guitar XVI/1997/1998/Nº 3, S. 28) und seine Argumente sind überzeugend, aber immer noch werden die „neuen Fingersätze“ in Ausgaben geschrieben. Man muss in diesem Zusammenhang bedenken, dass Mudarra seine Stücke in Tabulatur aufgeschrieben hat und dass in dieser Schreibweise, bei der bekanntlich die Griffstellen auf dem Instrument bezeichnet werden und nicht die Töne, die erklingen sollen, ein Fingersatz notationsimmanent ist. Und anzunehmen, Mudarra wäre nicht in der Lage gewesen, ausgeklügelte Fingersätze zu schreiben, die das Spielen durchklingender Harfentöne ermöglichen, der irrt nicht nur, der setzt sich auch fortschrittsgläubig über

das hinweg, was der Komponist vor rund fünfhundert Jahren gewollt und aufgeschrieben hat. Und noch eine Bemerkung zur Mudarra-Fantasie: Ungefähr auf der zweiten Seite/Mitte der fünften Zeile (in der Ausgabe von Langer — Takte sind leider nicht nummeriert!) steht in der Tabulatur: „Des de aquí falta açerca del final ay Algunas falsas tañiendo se bien no pareçen mal“. Dieser Satz gehört in die Partitur oder mindestens in den kritischen Bericht oder in eine Fußnote. Bei Langer wird er nicht einmal erwähnt: „Von hier an bis zum Schluss stehen einige falsche Noten – aber sie klingen nicht schlecht, wenn sie gut gespielt werden.“ Übrigens finde ich, dass auch der Titel der Fantasie in die Überschrift gehört und nicht in eine Nebenbemerkung: „Fantasia que contrahaze la harpa en la manera de Ludovico“ — niemand weiß, wer der sagenumwobene Harfenspieler Ludovico war und niemand weiß, wie er gespielt hat … aber diese Überschrift sagt so viel über das Stück und über die Bedeutung des Komponisten und seiner Werke aus! Außer Mudarra gibt es dreizehn weitere Werke – zwischen der „Lachrimæ Pavan“ (von Dowland) und der „Serenata Española“ von Joaquím Malats (1872—1912). Das ist nicht nur ein riesiger musikhistorischer Bogen, der hier geschlagen wird, das ist auch ein großer qualitativer Bogen. Die Anthologie wird aufgemacht mit anspruchsvoller, ja elitärer Musik der Renaissance … und schließt mit einem Stück Salonmusik des 19. Jahrhunderts, das in einer Transkription für Gitarre die Zeiten überlebt hat und in seiner Originalgestalt für Klavier so gut wie unbekannt ist. Nicht einmal eine Ausgabe des Klavieroriginals ist hier im Handel – sehr wohl aber Transkriptionen (für Gitarre) und Tonträger (mit Gitarre). Von der „Serenata Española“ gibt es — nebenbei bemerkt — zwei ältere Transkriptionen, eine von Daniel Fortea (Union Musical Española 20336 IV) und eine von Francisco Tárrega, revidiert von Antonio Sinopoli (Ricordi Americana, Buenos Aires B.A. 11352). Moser („Francisco Tárrega“, Eigenverlag 1996, S. 467) verzeichnet zwar zwei handschriftliche Quellen, allerdings keine gedruckte Ausgabe; der argentinische Verlag gibt expressis verbis Tárrega als Urheber der Bearbeitung an — auch Karl Scheit übrigens, der 1981 die Transkription herausgegeben hat (UE 16700, Titel des Heftes: „Francisco Tárrega: Transkriptionen“), und zwar unter dem Titel „Serenata Andaluza“ [!]. Zum Thema Quellen schreibt Scheit: „Wenn man für die Bedürfnisse der heutigen Zeit diese Transkriptionen durch eine Neuausgabe wieder zugänglich machen will, kann man sich nicht mit gelegentlichen kleinen Re-

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tuschen begnügen. Es erweist sich vielmehr als notwendig, auf die originalen Vorlagen zurückzugreifen und diesen an gewissen Stellen etwas größeres Gewicht beizumessen.“ Ausgerechnet die Malats-Serenata trägt den Hinweis „Revision von Karl Scheit“, der sich sonst bei jedem Stück der Ausgabe findet, nicht. Ist das ein Versehen … oder hat Scheit hier vielleicht wirklich nicht Hand angelegt oder anlegen können? Die Ausgabe von Fortea wird von Moser verschwiegen (übrigens auch in seinem Sammelkatalog, Hamburg 1985) — und das, obwohl die Birket-Smith-Sammlung in der Königlichen Bibliothek in Kopenhagen ein Exemplar bereithält! Die vorliegende Ausgabe von Michael Langer ist zwar eher von der Ausgabe Tárrega/Sonopoli inspiriert, geht aber wohl doch auf das Original für Klavier zurück, dessen Untersuchung den Rahmen dieser Besprechung mehr als gesprengt hätte. Dass Langer Andrés Segovias Varianten zu den Standardausgaben als Ossia-Zeilen in seine Ausgabe eingebracht hat, und das nicht aus Gründen der Rezeptionsforschung, ist zwar höchst fürsorglich — aber leider mehr als verführerisch. Die auf der beiliegenden CD mitgelieferte Einspielung der „Serenata Española“ ist die hinreißend schöne und klanglich betörende von Maestro Segovia höchstpersönlich … aber muss man die Musiker von heute einladen, sie nachzuspielen und Segovias Eigenmächtigkeiten zu übernehmen? Man sieht, welches Quellenchaos bestehen kann, wenn man sich an ein Werk wie die „Serenata Española“ von Joaquím Malats heranmacht … das übrigens auch in Spanien in keiner modernen Ausgabe für Klavier mehr auf dem Markt ist.

Die Ausgabe von Michael Langer ist perfekt ausgestattet: großformatig, gut zu lesen mit ausklappbaren Doppelseiten um Wendestellen zu vermeiden, mit einer Audio-CD, auf der international bekannte Interpreten die Stücke spielen … aber etwas mehr Sorgfalt auf editorische Details wäre wünschenswert gewesen. Da haben sich in den letzten dreißig Jahren Standards etabliert, die zu missachten nicht angesagt ist. Und notabene: Es geht keineswegs um eine Verwissenschaftlichung von für die Praxis angefertigtem Spielmaterial – es geht um das Vermitteln elementarer Informationen. Markus Grohen Matanya Ophee, Oscar Chilesotti: Da Un Codice Lautenbuch del Cinquecento: Transcriptions for Lute or Guitar, from a 16th Century Lute Manuscript, Introduced by Stefano Toffolo, edited by Matanya Ophee, Columbus/Ohio 2002, Editions Orphee: Lute-4, US-$ 39,95 Ottorino Respighi, Antiche Danze ed Arie, Libera trascrizione per orchestra Suite Nº 1, Mainz u.a. 2008, Eulenburg EE 7143, 9 € ,95 dto. Suite Nº 2, Mainz u.a. 2008, Eulenburg EE7144, € 1 4,95 dto. Suite Nº 3, Mainz u.a. 2008, Eulenburg EE7145, 1 € 2,95 Fassen wir einmal chronologisch zusammen, was wir wissen – oder zu wissen glauben. Im späteren 16. Jahrhundert stellt ein Deutscher handschriftlich ein Bändchen zusammen, in das er einerseits Lautenstücke schreibt – andererseits „zahlreiche gereimte Denk- und Sinnsprüche in deutscher, lateinischer und italienischer Sprache, philosophierenden, witzigen, pikanten, erotischen

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Inhalts“ [zitiert nach dem Antiquariatskatalog von 1888]. Die Lautenstücke sind in italienischer Tabulatur aufgeschrieben – das ist nicht weiter ungewöhnlich, denn die deutsche Tabulatur ist in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts auch bei deutschen Lautenisten immer konsequenter durch die italienische ersetzt worden. Von den Sinnsprüchen und Gedichten sind nur einige erhalten, und zwar im Antiquariatskatalog von Leo Liepmannssohn. Oscar Chilesotti (1848—1916), der erste Herausgeber der Handschrift, hielt sie für „motti satirici di un gusto molto … discutibile contro il gentil sesso“ [satirische Anmerkungen von höchst fraglichem Geschmack gegen das schöne Geschlecht], er teilte damit allerdings keineswegs die Meinung des Antiquars, wie Matanya Ophee annimmt. Liepmannssohn verniedlichte sie eher und nannte sie „pikant“ und „erotisch“ und er schrieb sogar abschließend: “Die Sammlung ist nicht nur für den Musiker, sondern auch wegen der Texte hochinteressant.“ Dass in das Lautenbuch Texte unterschiedlicher Art eingetragen wurden, ist übrigens keine Besonderheit: „Viele Sammelmanuskripte – ob Lauten, oder Liederbücher – transportierten Zitate aus den Werken klassischer Autoren, Sprichwörter und Scherzsprüche von manchmal zweifelhafter Qualität“ meinte Joachim Lüdtke dazu [Die Lautenbücher Philipp Hainhofers (1578—1647), Göttingen 1999]. Liepmannssohn schrieb über eines der Gedichte, es sei „ein damals sehr bekannter Stammbuchvers gewesen“. Stammbücher waren besonders im 16. Jahrhundert populär und wurden oft von Studenten als „album amicorum“ geführt, als Buch, in das Freunde und Kommilitonen Fundstücke (auch „von manchmal zweifelhafter Qualität“) eintrugen. Dabei entstanden Alben ganz unterschiedlicher Art — ganz nach den Präferenzen des Inhabers und seines Freundeskreises. In unserem Zusammenhang interessant sind zum Beispiel das „Lautenstammbuch des Burggrafen Achatius zu Dohna“ [seit 1945 verschollen, olim Königsberg/Kaliningrad Gen.2.150] oder das Stammbuch des Johann Friedrich David Keller von Schleitheim [olim Privatbesitz Julius Pölzer]. Beide enthalten fast ausschließlich Lautentabulaturen, aber es gibt auch solche, die einen größeren Textanteil haben. War vielleicht die „Chilesotti- Handschrift“ auch eine Art Stammbuch? Weiter in der Chronologie: Die Handschrift wurde 1888 verkauft und zwar an den italienischen Juristen und Musikforscher Oscar Chilesotti für den Preis von 120 Mark! 1890, zwei Jahre später, erschien dann in Leipzig bei Breitkopf & Härtel die Ausgabe, um die es hier geht und die hier in einer revidierten Fassung neu vorgelegt worden ist: „Lau-


tenbuch – Da un Codice del Cinquecento“. Diese Ausgabe repräsentiert alles, was wir über den Inhalt der originalen Handschrift wissen – die nämlich gilt seitdem als verschollen! Ein Jahr später kam, auch bei Breitkopf, Chilesottis umfangreiche Anthologie „Lautenspieler des XVI. Jahrhunderts“ heraus. Beide Ausgaben benutzte Ottorino Respighi (1879—1936) im Jahr 1917 als Vorlagen für seine „Antiche Danze e Arie“ Suiten 1 bis 3, so jedenfalls meint Egon Voss, Autor von Vorworten zu den neu erschienenen Partituren bei Eulenburg. Wenn die Lautenstücke, die Chilesotti herausgegeben hat, bis zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt waren – jetzt wurden sie es! Die Suiten von Respighi sind nach seiner eigenen Angabe Libere trascrizioni per orchestra, freie Übertragungen für Orchester, und sie wurden schnell populär – nicht zuletzt, weil große Dirigenten, unter ihnen Arturo Toscanini (1867—1957), Respighi protegierten. Aber der Komponist war durch „Fontane di Roma“, eine Arbeit, die er kurz vorher abgeschlossen hatte, ohnehin en vogue. Stücke aus der „Chilesotti-Handschrift“ wurden danach verschiedentlich in praktischen Ausgaben für Gitarristen herausgegeben, schon 1906 erschien bei Breitkopf eine Auswahl: „Ausgewählte Perlen: „12 Stücke aus dem Lautenbuch von Chilesotti – für Gitarre bearbeitet von Heinrich Scherrer“. Natürlich wurde immer nur eine Auswahl getroffen – meistens waren es sechs Stücke. 2002 hat Matanya Ophee die Breitkopf-Ausgabe von 1890 einer Revision unterzogen und neu herausgegeben. 1968 ist sie bei Forni in Bologna als Reprint noch einmal aufgelegt worden – jetzt wurde sie neu gesetzt und mit neuen Vorworten versehen. Warum? Der Herausgeber schreibt, das Ziel der Ausgabe sei, diese Musik, die vor über hundert Jahren von einem bemerkenswerten italienischen Musiker ans Tageslicht befördert worden ist, wieder in ihrer Gesamtheit verfügbar zu machen und zwar für so viele Interessenten wie möglich. Gut, die BreitkopfAusgabe ist mittlerweile ein teures Sammlerstück und das Reprint bei Forni vergiffen. Aber war denn Chilesottis Einschätzung, in seiner Handschrift seien „die damals berühmtesten Tonstücke gesammelt“ worden (Breitkopf 1890, S. VII), überhaupt richtig, oder hatte er zu vielen originalen Tabulaturen keinen Zugang. In seiner Ausgabe von 1891 beklagt er: „Meine Bemühungen, aus anderen Bibliotheken oder von Sammlern Lautenbücher zu erhalten, waren vergeblich und ebenso vergeblich meine Bitten um Facsimile.“ (Breitkopf 1891, S. VII) War nicht die Chilesotti-Handschrift doch eher ein Stammbuch, in das Stücke eingetragen wurden, ebenso Verse und Gedichte „von manchmal zweifel-

hafter Qualität“. Wir können nicht ermitteln, wie viele Schreiber an der Handschrift beteiligt gewesen sind – vielleicht hatte der ursprüngliche Besitzer einen großen Freundeskreis und darunter mehrere Freunde der Lautenmusik? Das würde die heterogene Beschaffenheit der Stücke erklären und auch ihre unterschiedliche Qualität. Vielleicht taucht ja eines Tages die Chilesotti-Handschrift wieder auf. Gerüchte, sie existiere, gehen immer wieder durch die Szene – zu lesen in der Fachpresse und vor allem im Internet. Spätestens dann werden Fragen beantwortet. In der Zwischenzeit liegt mit der Neuausgabe eine verlässliche Ausgabe und eine Dokumentation der offenen Fragen vor. Für Errata-Verzeichnisse zu dieser Ausgabe haben Matanya Ophees Widersacher gesorgt – sie sind im Internet einzusehen. Dort findet man auch Links zu Herausgebern, die aus der Chilesotti-Übertragung italienische Tabulaturen rekonstruiert haben und zum Teil kostenlos zum Download anbieten. Peter Päffgen

eingegangene Noten Besprechung vorbehalten

Johann Sebastian Bach, Suite BWV 1006a, versione per Liuto barrocco, herausgegeben von Hopkinson Smith, Bologne 2008, Ut Oprheus, SDS 05

, Bomba Pa’ Yo!, Columbus/Ohio 2009, Editions Orphee, PWYS-93 Carlos Barrientos

, Le Marteau sans Maître, London u.a. 1954, Universal Edition, UE 34133

Pierre Boulez

Friedrich Burgmüller, 3 Nocturnes per Violino (Violoncello) e Chitarra, herausgegeben von Fabio Rizzo, Bologna 2008, Ut Oprheus, CH 103

Ernesto Cordero, 1. Perugia, 2. La Catedral de Taxco, Columbus/Ohio 2008, Editions Orphee, PWYS-92

, Six Divertissements, The Guitarist’s Repertoire Vol. 9, herausgegeben von Matanya Ophee, Columbus/Ohio 2009, Editions Orphee, PWYS-94 Fernando Cruz Cordeo

Jens Kienbaum/Hans-Werner Huppertz, Die Gitarren-AG, Gitarrenschule für Gruppen und Klassen (mit CD). Brühl 2006, AMA Verlag 610 370, € 23,95 Die bereits 2006 erschienene Gitarrenschule, die sich an den Gruppen- und Klassenunterricht wendet, füllt eine Lücke, die sich zurzeit in der Instrumentalpädagogik zeigt. Durch die Einführung der offenen Ganztagsschule (OGATA, OGS) ist es vielen SchülerInnen nicht mehr möglich, frühzeitig, d. h. ab 14 Uhr zum Gitarrenunterricht zu erscheinen. Musikschulen verlieren also SchülerInnen. Andererseits klafft – mancherorts immer noch – eine Lücke in der Gestaltung der offenen Ganztagsschule. Ein dritter Punkt ist der, dass das Klassenmusizieren einen immer größeren Stellenwert in den Schulen einnimmt. Inwieweit das auf Kosten eines regulären Musikunterrichts in den Schulen geht, soll hier außen vor gelassen werden. Längerfristig handelt es sich aber doch um eine wichtiges Thema. Die hier vorliegende Gitarrenschule ist aus der Praxis für die Praxis (Vorwort) entstanden, und das ist nicht immer eine Selbstverständlichkeit. Sie eignet sich nach den Aussagen der beiden Autoren nicht nur für den Unterricht mit Grundschulkindern, sondern auch für den mit Jugendlichen (Sek. I und II) und Erwachsenen. Im ersten Abschnitt geht es, nachdem einige Grundlagen geklärt sind, um den Daumenschlag und damit um das Spiel auf den leeren Basssaiten, wobei der Dämpftechnik beim Saitenwechsel keine Beachtung ge-

Carlo de Nonno, 3 piccole Suites per

chitarra (2008), Bologna 2008, Ut Orpheus, CH 106

Anton Diabelli, Grande Sonate Brillante op. 102 per Pianoforte e Chitarra, Urtext, herausgegeben von Fabio Rizza, Bologna 2008, Ut Orpheus, CH 104 , Three Grand Duos for two Guitars Based on the works of Haydn, Volume II and III, score, herausgegeben von Jan de Kloe, Columbus/Ohio 2009, EICM-12D

François de Fossa

François de Fossa, Three Grand Duos for two Guitars Based on the works of Haydn, Volume II, parts, Duos IV-V-VI, herausgegeben von Jan de Kloe, Columbus/Ohio 2009, EICM-12B

, Three Grand Duos for two Guitars Based on the works of Haydn, Volume III, parts, Duos VIIVIII-IX, herausgegeben von Jan de Kloe, Columbus/Ohio 2009, EICM-12C

François de Fossa

Jens Franke (Hrsg.), Romantic Guitar Anthology: 30 original Works Including pieces by Sor, Coste, Marschner and Paganini (mit CD), Mainz u.a. 2009, Schott

, Gypsy Jazz Workshop. Jazz. CD included, lead- and rhythm-guitar performed by Andreas Ölberg, Wien u.a. 2009, Doblinger, D. 35930

Manfred Fuchs

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schenkt wird. Auf der Begleit-CD sind die behandelten Stücke in einem ziemlich langsamen Tempo eingespielt, sodass sie tatsächlich als Hilfe zum Einstudieren herhalten können. Klar ist, dass das Tempo der Stücke sukzessiv erhöht werden sollte. Dem Anschlag der Basssaiten folgt der Akkordanschlag mit a m und i, wobei der Daumen auf der tiefen E-Saite ruhen kann. Durch die Kann-Formulierung wird meiner Meinung nach die stabilisierende Wirkung der Daumenstütze in Frage gestellt, was sich eigentlich insgesamt nur negativ auf die Stabilität des Anschlags der rechten Hand auswirken kann. Warum sie dies hier zulassen, ist mir nicht klar. Den Wechsel zwischen den Melodie- und den Basssaiten als Zweistimmigkeit (S. 17) zu bezeichnen, kann ich höchstens als Eselsbrücke verstehen. Zum Schluss des ersten Kapitels geht es dann um die linke Hand und um Bassmelodien mit Akkordbegleitung auf leeren Saiten. Im zweiten Kapitel geht es zum einen um die Entwicklung von Bassmelodien, zum anderen aber auch um das Greifen einzelner Töne auf den Diskantsaiten, allerdings weniger um das Melodiespiel zu entwickeln, sondern vielmehr, um die ersten Akkorde greifen zu können. Mit dem Wechselschlag beschäftigt sich das ditte Kapitel. Was mir hier besonders auffällt ist, dass sich der Wechselschlag lediglich auf Zeigefinger (i) und Mittelfinger (m) beschränkt, der Ringfinger (a) spielt ebenso wenig eine Rolle wie unterschiedliche Kombinationen zwischen i, m und a, um die Geläufigkeit der Finger und die Sicherheit des Anschlags mit der rechten Hand zu schulen. Der Streit, ob mit dem Lagenspiel in der I. oder II. Lage begonnen werden soll, gehört schon zum Standard, dennoch plädiere ich, anders als hier geschehen, für einen Beginn in der II. Lage, um auch die linke Hand zu stabilisieren. Im vierten Kapitel kommen die Vorzeichen hinzu, das Akkordspiel und auch das Melodiespiel wird erweitert und Teil 5 beinhaltet Solo- und Ensemblestücke. Teil 6 enthält dann doch noch einige sinnvolle Hinweise zu technischen Problemen und zu einzelnen Stücken. Es folgt zum Schluss eine Anhang, der auch noch einmal die wichtigsten Schritte enthält: das Aufziehen der Saiten, die gelernten Töne, die Akkorde, Notenpapier, einen Übeplan etc. Die beigefügte CD enthält alle im Buch gekennzeichneten Stücke. Ein Mitspielen zur CD ist also möglich und hat sich in vielen Fällen auch als sinnvoll, als motivationsfördernd erwiesen. Was die Gitarrenschule jetzt zu einer speziell für Gruppen und Klassen geeigneten macht, ist mir nicht wirklich klar. Auch andere Gitarrenschulen enthalten mittlerweile

ist sehr praktisch für Musiker, die die Stücke spielen und mit der CD üben wollen. Das Heft vom Ergeo-Verlag kostet mit der CD zusammen 22,50 Euro und das ist für neun Stücke Musik viel Geld. Die DoblingerAusgabe hat 16 Stücke und kostet „nur“ 15,90 Euro … und liefert noch die PlayAlong-Tracks. Die Stücke beider Hefte sind nicht alle gleich fetzig, manche regelrecht langweilig. Der lateinamerikanische Kick, der auf beiden Büchern versprochen wird, ist nicht immer zu finden. Andere Stücke halten das Versprochene. Florian Groß

Solostücke, Duette und Stücke für mehr als zwei Gitarren und auch das Akkordspiel wird in der Regel angesprochen. Hier wie auch bei anderen Gitarrenschulen wird der Lehrer nicht umhinkommen Stücke zu bearbeiten, was ja letztlich auch keine schlechte Übung ist. Mit zunehmenden Fähigkeiten der SchülerInnen kann diese Aufgabe dann ja auch delegiert werden, was wiederum einen zusätzlichen Lerneffekt beinhaltet. Dr. Ludger Kowal-Summek Stefan Oser, confluencia: fingerstyle guitar alone & together, Graz 2008: Ergeo [www.ergeo.at] ISMN M-700277-01-7, mit Audio-CD € 22,50 Stefan Oser, Picking Along: 15 Pieces for Guitar from easy to tricky, Wien 2008: Doblinger 35929, mit Audio-CD € 15,90 Stefan Oser ist Fingerstyle-Gitarrist und wohnt in Österreich, nachdem er mehrere Jahre in Lateinamerika verbracht hat. Zwei Ausgaben mit neuen eigenen Stücken sind 2008 herausgekommen – eine ist „confluencia“ überschrieben, Zusammenfluss. Was da zusammenfließt, sind einerseits lateinamerikanische Einflüsse, andererseits Jazz und Elemente der Popularmusik, viele unterschiedliche musikalische Einflüsse. Die Arrangements sind voll notiert zusammen mit reichlich Fingersätzen für beide Hände und mit Akkordsymbolen, so dass sich verschiedene Aufführungskonstellationen anbieten. Die CD sind teilweise mit einer zweiten Gitarre, teilweise mit Drums und Percussion eingespielt, die zur Doblinger-Ausgabe bietet jeden Titel als Audio-Track und zusätzlich als Play Along-Track mit Percussion. Das

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Klaus Schindler, Eine Kleine Herbstmusik: 12 Kompositionen für Gitarre solo, leicht bis mittelschwer, mit CD, Manching 2008, Edition Dux 899, € 1 6,80 Klaus Schindler hat bei der Edition Dux eine Gitarrenschule in zwei Bänden herausgegeben und einige Hefte mit Solo- und DuoStücken für Gitarren. Und das ist nicht alles, was er in seiner langen Tätigkeit als Musiklehrer für Schüler komponiert oder arrangiert hat. Hier nun liegt ein Heft mit sehr schönen Stimmungsbildern zum Thema „Herbst“ vor … und er kommt bestimmt, der nächste Herbst! Was löst die Erwartung des Herbstes bei uns aus? Das Jahr geht zu Ende, der Kreislauf der Natur schließt sich. Die Blätter an den Bäumen färben sich in allen möglichen Farben, und schließlich fallen sie herab. Die Sonne steht tiefer und tiefer, das Leben wird langsamer, es wird kälter … und manchmal auch ungemütlich nass. Eher „Moll“ als „Dur“ und doch haben die Stücke von Klaus Schindler ihren ganz persönlichen


Kick, der mit Melancholie spielt, aber Herbstdepressionen nicht zulässt. Synkopierungen halten sogar die Ballade „You sometimes walk alone“ im Fluss, in Bewegung. Denn der Herbst ist schön! Er ist viel bunter als der unbarmherzig brennende Sommer, hat viel mehr unterschiedliche Facetten. Und er endet erst zwei Tage vor Weihnachten. Klaus Schindler hat zwölf sehr schöne Herbststücke geschrieben, die tatsächlich leicht bis mittelschwer sind und sicher im Unterricht begeistert aufgenommen werden. Alle Stücke gibt es auf CD; die Notation ist sehr benutzerfreundlich, liefert nämlich, wenn’s eng wird, auch Akkordtabellen mit; die Titel der Stücke werden erklärt – alle möglichen Hilfen werden gegeben. Perfekt … nur: Warum hat man dieses triste uniforme Hellbraun als Titelfarbe genommen? Das Heft ist vierfarbig gedruckt, man hätte also ein schönes, buntes Herbstbild nehmen können. Ein Bild, das auf Herbst einstimmt. Anna Groß François de Fossa, Three Grand Duos for two guitars, Volume II – parts, Duos IV-V-VI, Based on Works of Joseph Haydn, Edited by Jan de Kloe, Columbus/Ohio 2009, Editions Orphee EICM12B, US-$ 19,95 dto. Vol. III – parts, Duos VII-VIII-IX, Columbus/Ohio 2009, Editions Orphee EICM-12C, US-$ 19,95 dto. Vol. II & III, Score, Columbus/Ohio 2009, EICM 12D, US-$ 39,95, ❛ s. zum Vergleich: François de Fossa (1775—1849), Six Concertante Duos for Two Guitars op. 17, Based on the string quartets by Enrique Ataide y Portugal, Edited by John Schneidermann, Book I Parts, Duos I—III, Columbus/Ohio 2007, Editions Orphee EICM-43A, US-$ 19,95 dto. Book II Parts, Duos IV—VI, Columbus/Ohio 2007, Editions Orphee EICM43B, US-$ 19,95 dto. Score, Columbus/Ohio, Editions Orphee 2007, EICM-43, US-$ 34,95 François de Fossa, Three Grand Duos for two guitars, Volume I – Stimmen und Partitur, Columbus/Ohio 1998, Editions Orphee EICM-12A, US-$ 29,95 1960 hat Karl Scheit bei Doblinger ein Quartett D-Dur „für konzertante Gitarre, Violine, Viola und Violoncello“ von Joseph Haydn herausgegeben (D.10.152 oder GKM 32). Als Quelle diente ihm ein Manuskript der Stadt-

bibliothek zu Augsburg mit dem Titel „Quartetto a Liuto obligato, Violino, Viola e Basso di Hayden“. Hans Dagobert Bruger hatte das Stück 1927 schon einmal herausgegeben (bei Vieweg), ebenso Hans Neemann eine „Cassation“ für Laute, Violine und Cello. „Leider ist den beiden so verdienstvollen Lautenforschern etwas Wesentliches entgangen: Das Lautenquartett in D ist mit dem Streichquartett in E, op.2, Nr.2 und die Lautencassation in C mit dem Streichquartett in C, op.1, Nr.6 identisch.“ Ein unbekannter „Zeitgenosse Haydns“ ist wohl für die Versionen mit Lautenstimmen verantwortlich – so entscheidet Karl Scheit in seiner Ausgabe. Das gleiche Quartett (HOBOKEN III:8) taucht 1828 in einer Bearbeitung für zwei Gitarren von François de Fossa auf, und zwar in einer gedruckten Sammlung, von der sich das einzige bekannte erhaltene Exemplar in der Bibliothek des Koninklijk Conservatorium in Brüssel befinden: drei Bände mit insgesamt neun vollständigen Streichquartetten von Joseph Haydn, alle für zwei Gitarren bearbeitet von François de Fossa: „TROIS GRANDS DUO/ Pour / Deux Guitares / Tirés des Œuvres de Haydn / et Arrangés / Par / Mr. F. DE FOSSA.“ Jan de Kloe, der Herausgeber, legt in seinem Vorwort minutiös Rechenschaft ab über die Quellen und deren Herkunft und Datierung, schließlich über eventuelle editorische Eingriffe oder Veränderungen. Es handelt sich um eine praktische Ausgabe, sie enthält also keinen kritischen Bericht. „Although it was tempting at times to make a „better” transcription, this edition tries to stay as close as possible to the de Fossa original with the exception that voices are separated as is customary today.” Die wenigen in den Quellen vorhandenen Fingersätze sind

Stephen Goss, Under Milk Wood Variations for guitar quartet and narrator, Columbus/Ohio 2009, Editions Orphee, EICM-21 Bernd Kiltz, 33 Guitar Solos, Style: Metal, Funk, Ballad, Reggae, Fusion, Classical, Rock, Jazz etc., mit DVD, Berlin 2008, Bosworth, ISBN 978-3-86543-408

, 33 Guitar Solos: Red Edition, mit DVD, Berlin 2008, Bosworth, ISBN 978-3-86543-407

Bernd Kiltz

Jorge Omar Kohan, 5 Estudios Tangueros per chitarra (2006): En mis casa me salía; Tocate un vals; Estudio triste; Tarde, o temprano; quinto y Tumba, Bologna 2008, Ut Orpheus, CH 102

Mic

hael Langer (Hrsg.), Stars of Classical Guitar Vol 3: Meisterwerke. (mit CD), Wien u.a. 2009, Doblinger, D. 19 708

, 12 Bagatelles op. 4 per chitarra, Urtext, herausgegeben von Fabio Rizza, Bologna2009, Ut Orpheus, CH 109

Heinrich Marschner

Santiago de Murcia, Suite en ré für Gitarre, herausgegeben von Olaf van Gonnissen u.a., Wien 2009, UE, UE 34481

avide Notartomaso, Roma per chitarra for Gui98tar (2008), Bologna2008, Ut Orpheus, CH 101

D

Niccolò Paganini, Sonata Concertata

M.S. 2 per Chitarra e Violino, Urtext, herausgegeben von Fabio Rizzo, Bologna 2009, Ut Orpheus, CH 110

Astor Piazzolla, Play Piazzolla: Easy Gui-

tar Arrangements by Gary Ryan, herausgegeben von Gary Ryan, London 2008, Boosey & Hawkes, ISMN 979-0-06011971 Richard Pick, Selected Works for solo guitar, Columbus/Ohio 1992 (erschienen 2009), Editions Orphee, PWYS-28a

Konrad Ragossnig (Hrsg.), Guitar Concert Collection: 40 Easy to intermediatre Pieces from 3 Centuries, Mainz u.a. 2009, Schott, ED 20505 Werner Reif (Hrsg.), Lautenstšcke aus der Renaissance bearbeitet fšr Gitarre: England, Manching 2009, Edition Dux, 900 Ottorino Respighi, Antiche Danze ed Arie. Libera trascrizione per orchestra. Suite Nr. 1, Mainz u.a. 2008, Eulenburg, EE 7143 Ottorino Respighi, Antiche Danze ed Arie. Libera trascrizione per orchestra. Suite Nr. 2, Mainz u.a. 2008, Eulenburg, EE 7144 Ottorino Respighi, Antiche Danze ed Arie. Libera trascrizione per orchestra. Suite Nr. 3, Mainz u.a. 2008, Eulenburg, EE 7145

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übernommen worden, selbst wenn man aus der Sicht eines Musikers und Herausgebers des 21. Jahrhunderts geneigt ist, Änderungen vorzunehmen. Der Notentext einer im Original fehlenden Seite (Gitarre 1, erste Seite) ist anhand der Partitur des betreffenden Streichquartetts rekonstruiert worden. Auf Seiten 24 und 26 finden Sie noch einmal die Besprechungen von CDs mit den Grand Duos. Dies, um allen Lesern noch einmal diese außerordentlich reizvolle Musik zu empfehlen! Wenn Gitarrenduos Musik des 19. Jahrhunderts in ihre Programme einbauen oder einfach nur im Zusammenspiel Spaß an guter Musik haben wollen – voilà. Dies ist erstklassige Musik von einem Komponisten, dessen Namen auch Nicht-Gitarristen kennen und schätzen. Die Ausgaben sind vorzüglich. Der Herausgeber zeichnet für den Notensatz verantwortlich, und der ist in jeglicher Hinsicht vorbildlich. Die Ausgabe von 2009 mit einem separaten Band für die Partitur ist opulenter ausgestattet – das macht sie übersichtlicher und großzügiger. Aber auch die verkleinerte Partitur in dem über zehn Jahre älteren Volume 1 ist gut lesbar und damit eine mehr als willkommene Zugabe zum Notentext. Jan de Kloe weist nach, welche Quellen François de Fossa zur Verfügung gestanden haben und er nennt auch die Stücke beim Namen, die de facto nicht von Joseph Haydn sind. Tatsächlich hat er zwei Sätze von Joseph Schmitt (1734—1791) verwendet, einem Zisterzieser, der viele Jahre im Kloster Eberbach im Rheingau verbracht hat und dort als regens chori für die Musik zuständig war. Schmitt ist heute weitgehend unbekannt, nicht einmal Wikipedia kennt ihn, dabei hat er eine Menge sakraler, aber auch weltlicher Musik geschrieben. Joseph Schmitt wurde – er war zu dieser Zeit immer noch Ordensmann – in den frühen 1770er Jahren aber Musikverleger in Amsterdam [!]. Die de Fossa-Ausgabe bei Orphee befriedigt alle Bedürfnisse … oder gibt es über die grundsätzlichen editorischen Entscheidungen Zweifel? Wäre eine kritische Ausgabe angebracht gewesen? Das musikalische Editionswesen ist in den letzten Jahren starken Änderungstendenzen unterworfen. Die „kritische Ausgabe”, die zur Wahrung des überlieferten künstlerischen Erbes als Standard postuliert worden war, barg keinerlei praktische Verwendbarkeit in sich -- aus ihr mussten erst „praktische Ausgaben“ entwickelt werden, damit Musiker sie zum Klingen bringen konnten. Aber seit einiger Zeit erwartet man von „kritischen“ Ausgaben auch gewisse praktische Verwendbarkeit. Einer meiner akademischen Lehrer hat mir einmal gesagt, eine „kritische Ausgabe“

Ausgabe“ herauszugeben heiße, die Musik von einem Sarg in den nächsten zu legen … diese Erkenntnis hat bei der Herausgabe älterer Musik neue Standards notwendig gemacht. Die de Fossa-Ausgabe bei Orphee zeigt, welchen Weg die Herausgeber beschritten haben: Stimmen (für die praktische Arbeit) und Partitur (für die Praxis und für die „lesenden Musiker“), dazu ein ausführliches Vorwort. Kein kritischer Bericht … den man vielleicht, so mein Vorschlag, im Internet hätte unterbringen können. Für das gewählte Editionsformat ist die Ausgabe vorbildlich, für das Repertoire für zwei Gitarren eine höchst wertvolle Bereicherung. Peter Päffgen

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Klaus Schindler, Eine kleine Herbstmusik: 12 Kompositionen für Gitarre solo, leicht bis mittelschwer, inkl. CD, Manching 2008, Edition Dux, 899

, 6 Lieder (Ständchen, Die Post, Das Fischermädchen, Aufenthalt, Liebesbotschaft, Die Taubenpost), Trascrizione di Jojann Kaspar Mertz per Canto e Chitarra, Urtext, herausgegeben von Fabio Rizza, Bologna 2009, Ut Orpheus, CH 108

Franz Schubert

Tristan Schulze, Concerto for E-Guitar & Orchestra, Version for E-Guitar and Piano, Wien 2005, Doblinger, D. 19 550 Miguel Serdoura, Method for the Baroque Lute: A practical guide for beginning and advanced lutenists. Translated by Daniel Ungar, Reihe; Teoria e Didattica della Musica, Bologna2008, Ut Orpheus, DM 67

, Sulle ali di un accordo: 9 Studi per Chitarra (2008), Bologna 2009, Ut Orpheus, CH 107

Giorgio Signorile

, Grande Duo op. 11, Trascrizione di Anton Diabelli per Violino e Chitarra, herausgegeben von Fabio Rizza, Bologna 2008, Ut Orpheus, CH 105 Louis Spohr

Robert de Visée, Suite en ré mineur für Gitarre, herausgegeben von Olaf van Gonnissen u.a., Wien 2009, UE, UE 34480


Das „Schoßband“

– eine neue Methode, die Gitarre beim Spiel zu halten Von Thomas F. Heck

Abbildung 1: Ein Fagottspieler mit seinem Stuhlband

Wenn man sich mit Musikern anderer Instrumente anfreundet, kommt man in den Genuss des Vorteils, deren spezielle Tricks und Kniffe kennen zu lernen. Nehmen Sie zum Beispiel einen Fagottisten. Er hält sein ziemlich schweres Instrument so, dass es auf seiner rechten Seite bis unterhalb der Sitzfläche des Stuhls herunterhängt, auf dem er sitzt. Das Instrument muss hier unterstützt werden. Klingt das vertraut? Ist es nicht so, dass eine Gitarre meistens auf unserer rechten Seite herunterhängt, wenn wir nicht die klassische Gitarrenhaltung mit einem Fußbänkchen verwenden? Und muss das Instrument da nicht auch unterstützt werden? Nun, unser Freund, der Fagottist, benutzt – wie Gitarristen das auch tun – gelegentlich ein Band, das er um den Hals trägt, um das Instrument zu halten, wenn er steht. Aber er sitzt viel häufiger, als er steht! Daher haben Fagottisten sich einer Erfindung angenommen, die man Stuhl-Band nennt. Diese Bänder sind aus Leder und halten das Instrument in der Sitzpoisition (s. Abbildung 1). Vor ein paar Jahren habe ich nach einer einfachen und bequemen Methode gesucht, meine Gitarre beim Sitzen zu halten und ich hatte die Idee, Dieses Stuhl-Band der Fagottisten funktional zu verändern und zu benutzen. Ich war sicher, dass ich kein normales Schulterband be-

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nutzen wollte, weil mir das ziemlich schnell Schmerzen am Hals bereitet. Und ich wusste auch, dass ich die asymmetrische Haltung leid war, welche durch die „klassische Haltung“ hervorgerufen wird. Zum Glück spiele ich eine klassische Gitarre, die im Unterklotz einen Knopf besitzt, an dem man ein Band befestigen kann (s. Abbildung 2), ganz zu schweigen davon, dass er auch als ¼-Zoll Buchse dient, die zu einem B-Band-Pickup führt. In Wirklichkeit sind solche Knöpfe aber so alt wie die klassische Gitarre überhaupt und man findet sie auch an Lauten und Theorben … aus gutem Grund. Aber kann man ein Schulterband verwenden, um die Gitarre zu halten, während man sitzt? Man findet rasch heraus, dass es nicht funktioniert, das Band direkt vom Unterklotz zur Oberkante des Stuhls zu führen und darauf zu sitzen, wie es die Fagottisten tun, weil dann die Gitarre zu niedrig ist und zu weit auf eine eine Seite verschoben. Mir wurde klar, dass das Band über meinen Schoß geführt werden muss, um die Höhe zu erreichen, die ich brauchte (s. Abbildung 3). Und was war mit dem Gleichgewicht und der Bewegungsfreiheit der Hände? Zum Glück gab es da keine Probleme, wenn das Band gesichert war. Das geschieht leicht, indem man das Band über das linke Bein führt und sich dann darauf setzt (s. Abbildung 4). Man muss also das Band nur unter dem linken Bein festklemmen, um das Instrument daran zu hindern, dass es über den rechten Oberschenken gleitet. Und meistens befindet sich die Gitarre dann so vor dem Spieler, dass sie einen komfortablen Winkel bildet und nichts anderes als den linken Unterarm zur Stabilisierung braucht. Wenn das Band eingerichtet und gesichert ist, empfindet man etwas 34 Gitarre & Laute-ONLINE XXXI/2009 Nº 2

Abbildung 2: Der Autor mit dem Schossband, das an einem Knopf am Unterklotz befestigt ist


Abbildung 3: „Mir wurde klar, dass das Band über meinen Schoß geführt werden muss, um die Höhe zu erreichen, die ich brauchte

Wunderbares: Die Gitarre befindet sich in perfektem Gleichgewicht und man kann sehr bequem spielen, während die Füße flach auf dem Boden stehen (s. Abbildung 5). Ich empfinde beim Spiel eine minimale Drehung des Rumpfes – gleichzeitig habe ich direkten Zugriff zu Hals und Griffbrett des Instruments. Wenn man ein richtig sitzendes Schoß-Band benutzt, kann man sich sogar auf dem Stuhl zurücklehnen, wenn man möchte, und dabnei die Unterstützung des Rückens erfahren. Das ist in der traditionellen, nach vorne gebeugten Tárrega-Pujol-Segovia-Haltung unmöglich! Empfehle ich also nun den Instrumentenmachern am Unterklotz der Gitarren Knöpfe anzubringen, wenn sie es nicht ohnehin tun? Natürlich! Die Geschichte lehrt uns, das zu tun. Und empfehle ich jetzt allen Gitarristen, das Fußbänkchen wegzuwerfen, auch die Gitarrenkissen und alle anderen Hilfsmittel? Das kommt sehr auf den individuellen Fall an. Aber ich empfehle Jedem, diese neue Methode die Gitarre zu halten, einmal auszuprobieren. Ich selbst habe nach ein paar Wochen mein Fußbänkchen und das Gitarrenkissen in Pension geschickt. Ich vermisse sie nicht. Wo ich jetzt seit zwei Jahren mit einem Schoßband spiele, weiß ich, dass ich viel länger sitzen kann ohne steif zu werden und Schmerzen zu bekommen. Vor Kurzem habe ich in dieser Haltung drei Stunden bei der Eröffnung einer Galerie gespielt – keine Krämpfe oder sonstige Unannehmlichkeiten. Am Schluss lacht der Historiker in mir, wenn ich sehe, dass wir Gitarristen auch den Fagottisten einen Gefallen getan haben. Einige von ihnen profitieren nämlich bewusst oder unbewusst von Dionisio Aguados Erfindung des Tripodions. Auf einer Website für Fagottisten, wird Gitarre & Laute-ONLINE XXXI/2009 Nº 2 35


immer wieder eine Art Tripodion für Fagottisten angeboten, das sich „BHEN“ nennt (Bassoon Hanger ExtraOrdinaire). Es ist auf der rechten Seite des Musikers ziemlich tief installiert, wenn er sitzt und unterstützt das Gewicht des Instruments. Ein Stuhlband ist damit überflüssig (Siehe http//www.quodlibet.com/BCGen.htm). Die meisten Fagottisten scheinen aber nach wie vor mit ihrem Stuhlband glücklich zu sein. Vielleicht werden eines Tages auch die Gitarristen glücklich darüber sein, dass sie gerade sitzen und ihr Instrument dabei beschwerdefrei mit einem Schoßband halten können.

Abbildung 4: Man muss also das Band nur unter dem linken Bein festklemmen, um das Instrument daran zu hindern, dass es über den rechten Oberschenkel gleitet. Abbildung 5:

Die Gitarre befindet sich in perfektem Gleichgewicht und man kann sehr bequem spielen, während die Füße flach auf dem Boden stehen

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Gitarrenfestival Heinsberg 2009

Alle zwei Jahre findet in Heinsberg ein internationales Gitarrenfestival mit Wettbewerb statt, 2009 zum dritten mal vom 19. bis 23. Mai. Eine international besetzte Jury (Denis Azabagic, Tanya Chagnot, Peter Maklar, Christian Gruber, József Eötvös, Bosko Radejkovic, Roman Viazovskiy und andere) beurteilte eine exzellent besetzte Teilnehmergruppe und kürte folgende Sieger. 1. Marko Topchiy (Ukraine), 2. Koki Fujimoto (Japan), 3. Gabriel Bianco (Frankreich); Finalisten: Vladimir Gorbach (Russland), Magdalena Kaltcheva (Bulgarien); Publikumspreis: Marko Topchiy; Preis der Junior Jury: Marko Topchiy. Direktor des Festivals war Theo Krings. Die nächste Veranstaltung 2011: www.guitar-festival.com. Fotos: 1. links oben: die Gewinner (Foto E. Jennes), 2. links unten: Roman Viazovskiy, Peter Päffgen, Bosko Radojkovic; 3. rechts oben: das Rathaus in Heinsberg, der Austragungsort; 4. rechts unten: Theo Krings (Fotos 2-4: Dorothea Päffgen). Besonderheit des Wettbewerbs: Neben der internationalen Jury gab es eine „Junior Jury“, bestehend aus Schülern eines Heinsberger Gymnasiums, die eine eigene Wertung vornahm. In Heinsberg werden also nicht nur junge Gitarristen gefördert, sondern auch die fachkundigen Kritiker und Juroren der nächsten Generatiom. Bei der nächsten Ausgabe berichten wir ausführlich. Gitarre & Laute-ONLINE XXXI/2009 Nº 2 37


Duo Joncol – Köln meets Barcelona Konzert im Kölner Arkadastheater

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E

in Konzerterlebnis der besonderen Art präsentierte das Duo Joncol am 26. Juni 2009: „Köln meets Barcelona“. Köln unterhält mit insgesamt 23 Städten Partnerschaften, darunter Bethlehem, Indianapolis, Kattowitz, Kyoto, Peking und, seit 1984, Barcelona. In der Domstadt (gemeint ist die am Rhein!) gibt es einen „Verein Städtepartnerschaft Köln—Barcelona“ – ob ein ähnlicher Club in Barcelona besteht, kann ich nicht sagen, vermute aber, dass „nein“ … wir Deutschen gründen bekanntlich gern Vereine oder treten selbigen bei. Der „Verein Städtepartnerschaft Köln—Barcelona“ jedenfalls war einer der Initiatoren und Förderer des Konzerts – die anderen waren die üblichen Verdächtigen: Stadt, Sparkasse usw. … Angewiesen auf Sponsoren wären die Veranstalter nicht gewesen, das Konzert im Arkadastheater in Köln-Ehrenfeld war sehr gut besucht! Wer an diesem Abend einen Austausch musikalischer Kulturgüter erwartet hat, ein Aufeinandertreffen spanischer, nein, katalanischer und deutscher, nein, rheinischer Musiken, der wurde enttäuscht. Die Musik dieses Abends war katalanisch und spanisch mit einem winzigen brasilianischen Einsprengsel von Paulo Bellinati (geboren 1950 in São Paulo). Und es war Musik, die Besucher, die gelegentlich Gitarrenmusik hören, durchaus vertraut war

und ist. Granados, de Falla … und Feliu Gasull. Gasull? Seine Stücke waren selbst Besuchern, die nicht gelegentlich sondern oft Gitarrenmusik in Konzerten hören, nicht vertraut. Ein junger katalanischer Gitarrist und Komponist, den nicht einmal Wikipedia kennt, und dessen katalanische Stimmungsbilder vom Duo Joncol mit viel Übereinstimmung gespielt worden sind. Feliu Gasull schreibt expressive Stücke mit oft programmatischen Titeln wie „Blau Mar“ oder „El Peixet de Bloomington“ – das sind zwei Stücke, die im Juni zu hören waren. Die Programme werden aber eher indirekt impressionistisch ausgefüllt. Mit Stimmungsbildern, die pastellfarben und zart von Sehnsüchten berichten, von Erinnerungen und Wünschen. Die meisten Klischees, die man von spanischer Musik haben mag, werden in den Stücken von Feliu Gasull nicht bestätigt … obwohl er gelegentlich durchaus mit nicht-katalanischen stilistischen Versatzstücken liebäugelt. Mit dem Flamenco zum Beispiel, der in Andalusien zuhause ist. Aber spanische Musik ist es ja eigentlich nicht. Es ist katalanische Musik. Ein „Spanien“ fing überhaupt erst an zu existieren, als 1469 Isabella von Kastilien und Ferdinand III. von Aragon heirateten. Sie waren die „Reyes Catolicos“, die „Katholischen Könige“. Cataluña aber hatte auch damals schon Eigenständigkeit, die schließlich erst

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durch den Diktator und Generalissimo Francisco Franco (1892—1975) in Frage gestellt wurde. Seit dessen Tod bemühen sich die Katalanen wieder um Autonomie – nicht militant, wie es die Basken tun, aber unübersehbar. Das Duo Joncol besteht aus der Kölnerin Britta Schmitt und dem Katalanen Carles Guisado. Beide haben sich getroffen und als musikalische Partner in Barcelona gefunden, wo sie bei Zoran Dukic studiert haben – dann kamen beide nach Köln, wo Hubert Käppel, Roberto Aussel und Ansgar Krause ihre Lehrer wurden und sind. Am 26. Juni 2009 traten sie in Köln zusammen mit der Tänzerin Vanessa González García auf und der Sängerin Silvia Pérez Crúz sowie mit Kurt Fuhrmann als Perkussionisten. Das Programm enthielt, wie gesagt, bekannte Namen und bekannte Stücke, viel de Falla (1876—1946), der übrigens kein Katalane war, sondern in Cádiz geboren wurde, also in Andalusien. Von Enrique (Enric) Granados (1867—1916) stammten die einleitenden Sätze aus „Escenas Romanticas“. Granados war Pianist und hat nie eine Note für Gitarre oder mehrere Gitarren komponiert, und doch gehören heute seine Kompositionen zum Standardrepertoire für diese Besetzungen. Manuel de Falla (1876—1946) hat eine Miniatur für Gitarre komponiert, „Homenaje – Pour le Tombeau de Debussy“ – sonst nichts! Alle anderen Stücke mit seinem Namen darüber sind, wenn man sie auf der Gitarre hört, Transkriptionen. Aber die Stücke von beiden, Granados und de Falla, sind spanische Musik, unüberhörbar! Dabei waren die Komponisten seit Felipe Pedrell (1841—1922), dem Innovator einer spanischen Nationalmusik, gerade erst dabei, einen „spanischen Stil“ zu etablieren. So, wie man Polen mit den Mazurkas oder Polonaisen von Frédéric Chopin verband, Tschechien mit Smetanas sinfonischen Dichtungen oder Ungarn mit den Rhapsodien von Franz Liszt, so sollte es auch eine Musik geben, die unverkennbar spanisch war. De Falla ist in Paris in die kompositorische Lehre gegangen, war bekannt mit Claude Debussy (1862— 1918), befreundet mit Paul Dukas (1886—1935). Opern wollte er immer schreiben und mit seinem Jugendwerk „La Vida Breve“ hatte er auch einen beachtlichen Erfolg, international berühmt wurde er aber erst mit seinen Ballettmusiken: „El amor brujo“ und „El sombrero de tres picos“.

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Eine Auswahl aus „El amor brujo“ (Der Liebeszauber) gab das Duo Joncol an diesem Abend und führte damit sein Publikum in eine sehr eigene Welt. Spanische Bilder zeichneten die beiden Gitarristen auf der Basis von insgesamt zwölf Nummern des Balletts, in sich geschlossene keine Geschichten erzählten sie zusammen mit Vanessa González García und Silvia Pérez Crúz. Die Tänzerin brachte den Hauch Andalusien und Flamenco auf die Bühne, die sehr überzeugende katalanische Sängerin Pérez Crúz ausdrucksstarke, mal wilde, mal sehr zarte und fragile Stücke zwischen Jazz und Flamenco. Vanessa González García verkörperte schon ob ihrer Bühnenkleidung den Flamenco, den Tanz der andalusischen Zigeuner. Er hat – wie auch der argentinische Tango – immer einen klagend traurigen und tragischen Grundtenor. Und so lebt er von Ausbrüchen der Vitalität und des SichAufbäumens, von ekstatischen Szenen des Schmerzes und seiner Überwindung. Kurt Fuhrmann, der Perkussionist, liebt exotische und fremde Klänge, erzeugt mit Hilfe aller möglicher Hohlkörper unbekannte, außerordentlich warme und heimelige Klänge, die von fremden Ländern und Kulturen berichten und sich auf deren inneren Rhythmus und deren Lebenstempo beziehen. Britta Schmitt und Carles Guisado Moreno, das Duo Joncol, sie waren die einzigen Musiker an diesem Abend, die Noten brauchten. Sie lieferten sozusagen die klassische Basis des Konzerts. Alles andere, auch der Gesang, für den natürlich mindestens der Text vorgeschrieben war, wirkte in hohem Maße improvisiert und ursprünglich ohne wahllos oder willkürlich zu erscheinen. Und auch das Gitarrenduo versteckte sich nicht hinter einem klassischen Paravent, wie es Kollegen gern tun, sondern agierte als aktiver und maßgebender Teil dieses musikalischen Schauspiels und lieferte auf diese Weise Unterhaltung auf höchstem Niveau! Was will man mehr? Peter Päffgen

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Vorgestellt von Peter Päffgen

Neue Platten

Ayumi Toyohiko Satoh, Miki Satoh, Lauten Werke von Silvius Leopold Weiss, Corigniani, Georg Philipp Telemann Aufgenommen im September 2008, erschienen 2009 CARPE DIEM [Carpediem-Records.de] (in Deutschland bei Klassik Center Kassel [KlassikDisc.de) CD-16275 … zum ersten Mal enttäuscht! PP Toyohiko Satoh hat von 1973 bis 2004 als Professor am Königlichen Konservatorium in Den Haag Lautenisten herangebildet. In diesen über dreißig Jahren hat er an zahllosen Plattenaufnahmen als Solist und als Continuo-Spieler in Ensembles mitgewirkt. Heute lebt er wieder in Japan … zusammen mit seiner Tochter Miko, mit der er eine erste CD aufgenommen hat. Miko Satoh hat bei ihrem Vater das Lautenspiel erlernt. Heute studiert die junge Frau (*1989) in Japan Chemie und Ingenieurwissenschaften und ist gleichzeitig Kyudo-Meisterin, das heißt, sie hat den dritten Dan in der japanischen Kunst des Bogenschießens.

Die einleitende Suite von Silvius Leopold Weiss stammt aus der Handschrift Add. 30 387 der British Library in London, der sogenannten „Londoner Handschrift“. Dort, so Satoh, wirkt die Suite „auf den ersten Blick“ wie ein Solowerk, es gibt aber Hinweise darauf, dass sie „eigentlich“ Teil eines Duos ist. Und diese Hinweise sind tatsächlich überzeugend (beispielsweise die ganztaktige Pause im „Menuet“) … hätte man nur die zweite Stimme! Toyohiko Satoh hat sie dazukomponiert und steht damit in der Tradition einiger Lautenisten unserer Zeit. Den Franzosen Pascal Boquet erwähnt er selbst, aber auch Karl-Ernst Schröder (1958—2003) hat Weiss-Suiten komplettiert und zusammen mit seinem Partner Robert Barto eingespielt (s. SYMPHONIA SY 98159, Rezension in Gitarre & Laute XXI/1999/Nº 5, S. 47-48). Was Corigniani angeht, war ich vor fast dreißig Jahren der erste Verleger, der dieses Stück in Noten herausgegeben hat (G&L 137, s. www.MusiCologne. eu). Über den Komponisten ist nicht einmal der Vorname bekannt. Schließlich gibt es die „Partie Polonoise“ eines gewissen „Msr. Melante“ (Anagramm von Telemann). Hier verspricht der Name des Komponisten mehr, als die Musik halten kann. Die Musik ist nicht wirklich aufregend … oder liegt das vielleicht an den Interpretationen? Satoh & Satoh spielen, als könne sie partout nichts aus der Ruhe bringen … und, als wollten sie das ihrem Publikum auch nicht antun. Das gelassene Gleichmaß ist ihr Ding und nicht „Sturm und Drang“. Die Klangwelt, in die sie einen führen, ist betörend. Beide Musiker benutzen ausschließlich „echte“, also nicht umsponnene, Darmsaiten, und das erzeugt einen ganz ungewöhnlich schönen Lautenklang … legt aber auch ein bedächtigeres Spiel nahe. Das ist für meinen Geschmack zu ausgewogen und zu kontrolliert. Schade, auf diese CD hatte ich

mich besonders gefreut, weil Vater Satoh meine Tätigkeit als Rezensent von Anfang an begleitet hat … jetzt war ich zum ersten Mal enttäuscht! Sharon Isbin: Journey to the New World mit Joan Baez und Mark O’Connor Werke von Andrew York, John Duarte, John Jacob Niles Aufgenommen zwischen 2007 und 2008, erschienen 2009 SONY MUSIC [sonymasterworks.com] 88697-454562 … sie versteht sich nicht als Museumswärterin! … PPPP Klassische Platten macht Sharon Isbin schon seit Jahren nicht mehr, klassische Platten mit Programmen zwischen Bach und Domeniconi. Bei ihr ist immer ein bisschen Cross-over im Spiel und jedes Mal werden wir Zeugen von ungewöhnlichen Begegnungen. Auch jetzt, auf ihrer Reise in die Neue Welt. Mit von der Partie ist die große Folksängerin Joan Baez. Das Gewissen Amerikas hat man sie in den Sechzigern des letzten Jahrhundert genannt, als sie Lieder sang wie „Where have all the Flowers gone?“ und viele andere, die um die Welt gingen. Und Mark O’Connor ist dabei, der multitalentierte Geiger, der klassische Musik ebenso gespielt hat wie Folk-Music, mit er schließlich berühmt wurde. Es geht los mit ein paar alt-englischen Lautenduetten, bei denen Sharon beide Stimmen spielt, dann gibt es zwei englische Volkslieder. Andrew York, ExMitglied des Gitarrenquartetts von Los Angeles, hat „Andecy“ geschrieben. Dann die „Joan Baez-Suite“ die John W. Duarte kurz vor seinem Tod für Sharon Isbin geschrieben hat. Ein Patchwork-Stück ist es geworden, wie wir sie von Jack Duarte kennen, mit Zitaten und diskreten Anspielungen, mit Umspielungen und direkten Worten irgendwo zwischen Volkstümlichkeit und Ernstem. In dem Anti-Kriegs-Lied „Were have all the flowers gone“ verfremdet sich die Musik ins Atonale, als wäre alles Ebenmäßige zu schön für dieses Thema. Die Folk-Diva Joan Baez hören wir dann in einem Lied und schließlich die „Strings & Threads Suite“ vom Gitarre & Laute-ONLINE XXXI/2009 Nº 2 43


brandneu. Danach kommt „Asturias“ von Isaac Albéniz. Das Stück wird hier als Duo für zwei Gitarren präsentiert – gespielt zusammen mit Vincent Le Gall … und der ist Flamenco-Gitarrist. Man kann sich vorstellen, was aus dieser Zusammenarbeit geworden ist: Eine befremdliche und irgendwie faszinierende musikalische Melange. Es folgt, solistisch, „Se Ela Perguntar“ von Dilermando Reis (1916—1977), der von Vielen als der bedeutendste Gitarrist der brasilianischen populären Musik bezeichnet wird. Der Walzer „Se Ela Perguntar“ jedenfalls ist ein weltbekanntes Stück Brasilien.

Fiddler Mark O’Connor. Er spielt und Sharon Isbin begleitet. Pure Folkmusic ohne jegliches Blinzeln ins Klassische. Amerikanisches Landleben pur! Das Programm der CD „Journey to the New World“ ist offenbar für uns Europäer produziert, denn sie, die Interpretin, braucht ja nicht in die neue Welt zu reisen. Sie ist als Professorin an Juilliard in Manhattan Teil dieser Welt … nein … sie ist mittendrin. Und es ist auch nicht so, dass Sharon Isbin keine klassischen Konzerte mehr spielen könnte. Aber sie versteht sich halt nicht als Museumswärterin! Les grands classiques de la guitare rejoués par arnaud dumond … solos, duos, quatuor, Volume 1 Werke von Rodrigo, Albéniz, Reis, Mudarra, Händel, Domeniconi, Tárrega, Barrios, Dumond Aufgenommen im Herbst 2005 INTEGRAL CLASSIC, in Deutschland bei Sunny-Moon, Köln [Sunny-Moon.com] 010.601 … A new slant on celebrated works for the guitar … PPP Arnaud Dumond & Vincent Le Gall, Flammes & Co Werke von de Falla, Albéniz, Sanz und Piazzolla Erschienen 2009 INTEGRAL CLASSIC, in Deutschland bei Sunny-Moon, Köln [Sunny-Moon.com] FLAM012009 … Gedankenaustausch zweier Musiker … PPP Tja, Arnaud Dumond spielt Klassiker des Repertoires … aber anders. Ganz anders! Am Anfang steht der langsame Satz aus dem „Aranjuez“-Konzert von Rodrigo, und da lässt er seine Kollegin Céline Bernard-Perrottey den Orchester-Part spielen. Auf der Gitarre. Gut, das ist ungewöhnlich, aber nicht

So geht es weiter auf Arnauds Platte: Hits des Gitarrenrepertoires – verfremdet und verändert. Ich suche nach dem Gewinn, den ich als Hörer aus diesen Veränderungen ziehe – schließlich macht eine Modifikation nur dann Sinn, wenn sie eine Verbesserung des originalen Stückes mit sich bringt oder mindestens neue Perspektiven eröffnet. Schließlich kommt „Recuerdos de la Alhambra“ … und dieses Schlachtross des Gitarrenrepertoires spielt Arnaud Dumond brav nach den Noten, dabei gibt es zu diesem Stück mehrere Versionen für zwei Gitarren, die man hie und dort hört, eine davon hat Julio Salvador Sagreras (1879—1942) geschrieben. Aber nein, Dumond spielt „Recuerdos de la Alhambra“ solistisch … so ganz nach den Noten allerdings auch nicht! Es sind ein paar Retuschen oder Änderungsvorschläge eingearbeitet, die das Stück nur unwesentlich verschlechtern. Was bezweckt Arnaud Dumond mit seiner Platte? Im Untertitel heißt sie, auf Englisch übrigens [von einem Franzosen!], „A new slant on celebrated works for the guitar played by Arnaud Dumond”, was vermutlich so viel heißen soll, wie „ein neuer schräger Blick auf berühmte Werke für Gitarre“ … aber kann das der Interpret so gemeint haben? Ich halte Arnaud Dumond zugute, dass er so gemeint hat, wie ich es eben übersetzt

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habe. Denn seine Vorschläge zu den Stücken sind teilweise schräg. Ich weiß aber nicht wirklich, ob ich mitkomponierende Interpreten brauche. Wenn die Stücke gut sind, muss niemand an ihnen herumfeilen … wenn sie nicht gut genug sind, sollte man sie zu den Akten legen und vergessen. In diesem Zusammenhang fällt mir Kurt Schneeweiss ein … Sie erinnern sich? Kurt Schneeweiss verschneidet Weiss-Suiten (und andere Stücke) mit stilistischen Einsprengseln völlig anderer Provenienz und verkauft sie dann als Musik von Silvius Leopold Weiss. Das tut Arnaud Dumond nicht! Er gibt an, dass die Stücke „rejoués“ sind, dass er seine eigenen, sehr persönlichen Kommentare zu dieser Musik veröffentlicht hat. Seiner Meinung muss man ja nicht unbedingt sein – ich bin es, zugegeben, oft nicht – aber anhören sollte man sie! Die zweite CD in dieser „Reihe“ ist eine Art Zweitverwertung des gleichen oder ähnlichen Materials, nur, dass ausschließlich Klassik/Flamenco-Begegnungen vorgestellt werden. Und die Stücke sind weitaus weiter improvisatorisch ausgebreitet und erhalten dadurch eine andere Dimension. Jetzt ist es für mich nicht mehr die Fortsetzung der Interpretation unter Einbeziehung anderer Mittel – jetzt ist es eine Art Gedankenaustausch zweier Musiker zu musikalischen Themen und dieser Gedankenaustausch kommt zu sehr interessanten Konklusionen. Die neue Version von „Canarios“ nach Gaspar Sanz zum Beispiel kommt vermutlich dem viel näher, was im 17. Jahrhunderts mit der Musik gemacht wurde, als es all die „authentischen Interpretationen“ tun. Damals hat man über die Themen improvisiert und die Tabulaturbücher waren nicht als Partituren zu verstehen, nach denen gespielt werden sollte, sondern als Unterrichtswerke zum eigenen Improvisieren und Herumfabulieren mit Tanzthemen zum Beispiel.


Der Flamenco setzt sich übrigens in den Gesprächen meistens durch, er hat die besseren Argumente und ist als Volkskunst offenbar stärker als die klassische Seite. So jedenfalls stellt es sich auf der CD dar. SEGOVIA The American Recordings 1 Sechs CDs im jeweils originalen CoverDesign der LPs Aufnahmen 1944-1954 Deutsche Grammophon 00289-477-8133 … der übergroße Vater aller Gitarristen des letzten Jahrhunderts … PPPPP Was bewertet man als Rezensent bei einer solchen Neuerscheinung? Wie der Interpret spielt? Oder welches Repertoire er ausgesucht hat? Nein, bei Andrés Segovia hieße das, Eulen nach Athen zu tragen … oder Wasser auf die Mühlen zu gießen, denn für die einen ist Segovia der übergroße Vater aller Gitarristen des letzten Jahrhunderts – für die anderen ein nur auf sich selbst bedachter, eigenmächtiger Verhinderer, der die Gitarre zwar irgendwie gefördert, ihrer Zukunft aber ob seiner konservativen musikalischen Haltung eher im Weg gestanden hat. Andrés Segovia hat es als seine Aufgabe angesehen, für die Gitarre ein neues Repertoire anzuregen … das war nötig und ist ihm gelungen! Aber er hatte Präferenzen, was die Musik anging, die nicht alle teilen. Atonales mochte er zum Beispiel nicht. Die Situation könnte man kommentieren mit „De gustibus non est disputandum“ oder, wie man im römischen Köln sagt, „Jede Jeck is anders“. Tun auch viele, aber es gibt ein paar „Grumpy old Men“, die dem Maestro in selbst gedruckten Büchern verbittert „Verrat an der Gitarre“ vorwerfen … und das sagt mehr über die Kritiker als über Segovia! Denn, man mag enttäuscht darüber sein, dass Segovia (1893—1987) nicht Strawinsky (1882—1971), Ravel (1875—1937) oder Bartók (1881—1945) ins Boot geholt

hat, dafür aber Moreno-Torroba (1891— 1982), Castelnuovo-Tedesco (1895—1968) oder Ponce (1882—1948); und auch darüber, dass er, wenn er schon an Komponisten höherer Klasse kam, sich mit Petitessen abspeisen ließ. Das berühmteste und erfolgreichste Solokonzerte für Gitarre und Orchester hat er nie gespielt, weil es ihm ein Mitbewerber vor der Nase weggeschnappt hatte; ihm gewidmete Stücke, die sich später als Pretiosen des Repertoires herausstellen sollten, verschimmelten in seinen Schubladen; Komponisten, die sich durchaus für die Gitarre interessierten, sind nie angesprochen worden … professionell war das nicht, zugegeben! Aber Segovia war kein Musikphilosoph nicht einmal ein Krisenmanager. Segovia war ein Musiker mit Gefühl für „schöne Stellen“. Über Aufführungspraxis und Authentizität hat er vermutlich nie etwas gehört oder gelesen; auch nicht über Werktreue oder historische Notationen. Andrés Segovia tat das, was er tat, instinktgesteuert. Er hatte seine musikalischen Vorbilder, und das waren Zeitgenossen, von denen einige ähnlich eigenmächtig mit musikalischen Vorgaben umgingen, wie er es selbst tat. Nicht, dass es Musiker wie Cortot (1877—1962) oder Thibaut (1880— 1956) nicht gegeben hätte, oder Segovias Landsmann Casals (1876—1973)! Und Fritz Kreisler (1875—1962), Artur Schnabel (1882—1951) und Jascha Heifetz (1901— 1987)! Es gab unter ihnen Philosophen und Virtuosen, umschwärmte Weltreisende und schrille Eigenbrötler, politisch Aufrechte und Opportunisten. Unter den Großen der Interpreten-Szene dieser Zeit war Segovia der einzige Gitarrist. Nein, mehr noch: Er war der erste Gitarrist, der eine Weltkarriere machen konnte, der Erste, der ein Repertoire für das Instrument aufbaute ohne sich selbst als Komponist einzubringen und der Erste, der als Gitarrist mit den großen Geigern, Pianisten oder Cellisten seiner Zeit in einem Atemzug genannt wurde und wird. Die Aufnahmen, die hier zusammengestellt worden sind, sind oft wiederveröffentlicht worden – gerade die frühen amerikanischen Aufnahmen des Meisters aus den Jahren 1944-1954 sind noch in den letzten Jahren in einer vorzüglichen Edition von sechs einzelnen CDs bei NAXOS erschienen. Was unterscheidet die neue Produktion der Deutschen Grammophon, von den anderen?

und für Naxos. Und die Aufnahmen, na ja, sie sind alle auf dem neuesten Stand der Technik. Bei der Edition der Deutschen Grammophon haben Grafik-Designer erfolgreich Hand angelegt … und die Kassette ist nicht einmal teurer, als die Einzel-CDs von anderen Gesellschaften! David Leisner: Acrobats Cavatina-Duo: Eugenia Moliner, Flöte, Denis Azabagic, Gitarre Aufgenommen im August 2006, erschienen 2007 CEDILLE Records [CecilleRecords.org], in Deutschland bei Sunny-Moon, Köln [Sunny-Moon.com] CDR 90000 096 … Ich möchte Ihnen diese CD empfehlen, weil sie mich sehr berührt hat … PPPPP David Leisner ist Gitarrist – das wissen wir. Und dass er komponiert, wissen wir auch … wenngleich wir nicht viel von ihm haben hören können. Leider! Hier sind Stücke für Flöte und Gitarre zu hören, ergänzt zum Teil durch eine Cello- bzw. Klarinettenstimme. Das erste Stück, „Acrobats“, ist ein so dichtes und wirkungsvolles Werk, dass es hier erlaubt sei, das Programm, das dahinter steht, zu erzählen. „Acrobats“ geht zurück auf eine Kurzgeschichte von Nathan Englander (*1970). Die Geschichte: Eine Gruppe polnischer Juden wird in Züge gesperrt, die sie zu einem der Konzentrationslager oder Vernichtungslager bringen sollen. Durch einen ungewollten Zufall werden sie in Züge getrieben, in denen die Akrobaten eines Zirkus reisen, der in dem KZ die Nazis unterhalten soll. Die Reisenden beschließen, zusammen aufzutreten, um so die polnischen Juden zu retten. Voller Angst treten sie also auf und tun so, als seien sie Akrobaten … damit endet die Kurzgeschichte, deren Ende der Fantasie des Lesers überlassen bleibt. Dieses Stück „Acrobats“ ist Programmmusik und zwar in mehrerlei Hinsicht. Im mittleren Satz hört man förmlich den Zug gen

Alle sechs CDs der Sammlung enthalten exakt das Programm der jeweiligen Langspielplatten, das heißt zwischen 45 und 50 Minuten Musik. Jede einzelne hat das CoverDesign der jeweiligen LP – verkleinert natürlich auf weniger als die Hälfte. Graham Wade hat die Texte für das Booklet geschrieben – für die Deutsche Grammophon Gitarre & Laute-ONLINE XXXI/2009 Nº 2 45


Osten fahren, nach Auschwitz oder Majdanek, und man spürt förmlich die Angst, wie sie die Menschen beherrscht. Und dann, im dritten Satz, hört man die „Akrobaten“, wie sie um ihr Leben tanzen, hüpfen, lachen und spielen, um ihre Mörder zu amüsieren und ihnen zu entgehen: „Up in the Air“.

mentale Szenen aus der Oper „Einstein on the Beach“ von Philip Glass in eigenen Bearbeitungen. Das waren Diskussionen! Minimal Music schien damals auch in den USA noch nicht so bekannt gewesen zu sein – unter Gitarristen schon gar nicht. Die Oper war gerade einmal ein paar Jahre alt und die meisten Konzertbesucher haben mit absolutem Staunen und Unverständnis auf die Stücke reagiert. Es wurde gebuht, einige Besucher verließen demonstrativ den Saal. Dann schon lieber Mertz?

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Dies ist keine Programmmusik wie etwa das Stück „À L’aube Du Dernier Jour“, in dem mit allen akustischen Mitteln eine Geschichte erzählt werden soll. Nein „Acrobats“ geht viel subtiler vor. Viel sensibler! Es sind Stimmungen, die beschrieben und nicht Abläufe, die akustisch nachgeformt werden. Und sie werden unmissverständlich nachgeformt. „Acrobats“ regt die Phantasie der Zuhörer an, setzt sie auf eine Spur, um sie dann selbst weiterfabulieren zu lassen. Aber die CD hat noch mehr zu bieten. „Dances in a madhouse“ zum Beispiel, beginnend mit einem verlorenen Tango, in dem einem die Verzweiflung entgegenweht, die so viele verspürt haben, die Anfang des letzten Jahrhunderts in Argentinien oder in Uruguay ihr Glück gesucht haben. Das Glück, das man ihnen versprochen hatte und das sich nun nicht einstellte. „Tango Solitaire“ ist einer der ‚Tänze im Irrenhaus’, die alle ihre Geschichten erzählen. „Acrobats“ ist exzellent besetzt: Eugenia Moliner spielt Flöte, Denis Azabagic Gitarre, Katinka Kleijn Cello und Joshua Rubin Klarinette. Ich möchte Ihnen diese CD empfehlen, weil sie mich sehr berührt hat … und vielleicht haben sie ja auch Lust, die Werke einmal selbst zu spielen? Davids letzte DVD, hier spielt er ein herkömmliches Programm und nur ein eigenes Stück, hat mich weniger begeistert. David Leisner: Classics & Discoveries Werke von Matiegka, Bach, Joplin, Leisner, Mertz und Villa-Lobis Aufgenommen im Juni 2007, erschienen 2008 Mel Bay [melbay.com] MB21649DVD, US-$ 24,95 … für das „Wie“ sollte man dem Interpreten eine zweite Chance geben … PPP Johann Kaspar Mertz kennt man von David Leisner. Mit Ausgaben von Mertz-Stücken bei Presser habe ich ihn in den siebziger Jahren kennen gelernt – und jetzt, dreißig Jahre später, finde ich sie – die Stücke von Mertz — hier auf DVD. Überhaupt kommt mir das Programm irgendwie altbacken vor – das einzige neue Stück ist Leisners eigene Sonata „Nel Mezzo“. Dazu spielt er „Präludium, Fuge und Allegro“ BWV 998, zwei Ragtimes von Scott Joplin, die Sonata op. 31, Nr. 6 von Matiegka und schließlich zwei

Nein, David Leisner ist nicht der Coole, nur die Studio-Atmosphäre, in der er die einzelnen Stücke sozusagen „direct to disk“ aufnehmen musste, hat ihm diese Distanz abverlangt. Nun, mal ganz abgesehen von den atmosphärischen Problemen: Das Repertoire dieses „Konzerts“ hätte progressiver gewählt sein können, fürwahr, aber für das „Wie“ sollte man dem Interpreten eine weitere Chance geben! Stücke von Mertz („Sehnsucht“ und die „Tarantella“). Nicht aufregend! Und aufregend im eigentlichen Sinne des Wortes ist sein Spiel auch nicht. Leisner spielt eher kühl, distanziert, was den beiden Ragtimes von Scott Joplin freilich sehr entgegenkommt — sie mutieren bei Leisner zu „klassischen“ Stücken. Aber in der Matiegka-Sonate könnte ich mir auch mehr romantisches Engagement vorstellen, mehr gestaltete Melodien, mehr Rubato und ein Bisschen Schmäh. Aber ist es vielleicht gerade diese bewusste Distanz, die die DV von David Leisner letztlich doch so attraktiv macht? Er spielt makellos alle Töne und nicht einmal das mitunter störende Lagenwechselquietschen bringt ihn aus der Fassung – daran hätten allerdings die Tontechniker etwas tun können; hie und dort gibt er kurze Einführungen zu den kommenden Stücken, dabei hatte er im Studio niemanden vor sich, dem er hätte etwas erzählen können … außer dem Mikrofon und Technikern hinter einem Fenster. Und er hatte natürlich keine Chance, mit einem Publikum zu kommunizieren. Was live aussieht, ist in einem Studio entstanden und vielleicht war nicht einmal die Akustik „live“, sondern ist per Mausklick hinzugefügt worden. Ich erinnere mich an ein Konzert von David Leisner, das ich in den frühen achtziger Jahren in Canada gehört habe. Schon damals hat er die selben Stücke von Mertz gespielt (ich hab’ das Programm noch!) und, was viel wichtiger ist, ich erinnere nicht einen coolen, unengagierten Musiker, sondern einen, der sein Publikum durchaus provozieren konnte. Er spielte zum Beispiel instru-

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Gunnar Berg: Melos Per Dybro Sørensen (Gitarre), Bolette Roed (Blockflöte), Michael Norman (Gitarre) Aufgenommen zwischen Juni 2006 und Februar 2008, erschienen 2009 DACAPO [dacapo-records.dk], in Deutschland bei NAXOS [Naxos.com] 8.226526 … Gunnar Berg war ein Komponist, der seinen Ideen lebenslang treu geblieben ist … PPPPP Gunnar Berg (1909—1989) gilt als einer der Pioniere der seriellen Musik und als einer der wichtigsten Repräsentanten der europäischen modernen Musik in Dänemark. So steht’s im Booklet. Die einzige CD in meiner Kollektion mit Stücken von Gunnar Berg hat Maria Kämmerling 1979 aufgenommen – das Stück hieß „Fresques“, ist Maria Kämmerling gewidmet und gilt als „ein Haupt-


werk der Gitarrenmusik des 20. Jahrhunderts“ (Jens Rossel in MGG2, PII/Sp. 1243). Trotz dieser Einschätzung ist es nach 1979 nicht wieder eingespielt und vermutlich auch höchst selten öffentlich gespielt worden. Vielleicht erst ein paar Worte zu Gunnar Bergs künstlerischem Lebenslauf. Er ist in der Schweiz geboren und dort auch gestorben, gelebt hat er aber in Kopenhagen und dort hat er auch begonnen, Musik zu studieren. Ein Stipendium brachte ihn später nach Paris, wo er Honegger, Messiaen und Boulez kennen lernte. 1952 besuchte er zum ersten Mal die Internationalen Sommerkurse in Darmstadt und traf Karlheinz Stockhausen, der ihn sehr beeinflusste und in seiner Arbeit bestätigte.

nommen und der danach deren Klänge eingesetzt hat, weil sie ihm neue Sphären eröffneten. Gunnar Berg war ein Komponist, der seinen künstlerischen Ideen im Prinzip treu geblieben ist … was ihm lebenslang materielle Entbehrungen eingebracht hat. Denn verkaufen konnte er sich und seine Musik nie, dafür war sie vielen zu spröde und unzugänglich. Den Interpreten dieser CD kann man gratulieren für diese Produktion! Sie hebt sich wohltuend ab von der großen Zahl leichter und seichter CDs mit „bits and pieces for guitar“.

„Melos“ am Schluss der Platte ist fast 25 Minuten lang und widerspricht schon damit dem Postulat der Beschränkung auf das Notwendigste, der Verdichtung auf kleinste Formen und kompakteste Strukturen. Überhaupt hat Gunnar Berg seinen einst strikt seriellen Weg verlassen und spielt mit Klängen und Effekten, während der kompositorische Zusammenhang immer offener wird. Aber seine Stücke werden trotzdem nicht zugänglicher, sie sind immer noch eher „Kopfmusik“ als sinnliche Vergnügen. Und eines sind sie nie: gefällige Weitergespinste längst abgelegter und verbrauchter Modelle und Materialien – und damit finden wir uns wieder an der Ausgangssituation von 1945: „Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch.“ (Adorno)

Alois Bröder: Kammermusik mit Gitarre Christoph Brandt, Olaf van Gonnissen u.a. Aufgenommen 2007, erschienen 2008 Dreyer—Gaido CD 21043 (in Deutschland bei Klassik Center Kassel [KlassikDisc.de) … Selbständig und autark … PPPPP Alois Bröder ist selbst Gitarrist, jedenfalls hat er bei Olaf van Gonnissen in Darmstadt studiert. Und doch ist für ihn bezeichnend, „dass die Gitarre [bei ihm] keineswegs mit typischen Gesten zur Selbstdarstellung neigt, quasi sich als virtuoses Soloinstrument erkundend. Auch die Rolle der unterstützenden Begleiterin hat sie gänzlich abgelegt.“ (Veronika Jezovšek im Booklet) Jahrhunderte vor ihm haben Gitarristen, wenn sie denn als Komponisten hervortraten (und das taten sie bis Anfang des letzten Jahrhunderts alle), nichts anderes im Sinn gehabt, als sich selbst als Virtuosen in Szene zu setzen. Und das färbte natürlich ab auf die Musik, die sie uns hinterließen. Dass Komponisten Musik für Gitarre komponierten, bürgerte sich erst vor, sagen wir, hundert Jahren ein. Der gerade in diesem Zusammenhang oft missverstandene und ob seiner künstlerischen Präferenzen gescholtene Andrés Segovia plädierte für diesen Wandel. Er war einer derjenigen, die sich dafür stark machten, dass Komponisten komponieren und dass Gitarristen Gitarre spielen sollten. Gut, er ist auch seinem geistigen Ziehvater und Inspirator Tárrega gefolgt, indem er Musiken aller möglicher Provenienzen für Gitarre zurechtmodelte, aber im Prinzip sah er sich berufen, Komponisten für sein Instrument einzunehmen. Wie Alois Bröder, der insofern eine Besonderheit darzustellen scheint, als er selbst Gitarrist ist … und doch nicht selbstverliebt oder in den Klang der Gitarre vernarrt „auch“ komponiert. Alois Bröder ist dabei weder hier noch in anderen Produktionen sein eigener Interpret!

Diese CD präsentiert Werke eines Komponisten, der sich relativ spät der Gitarre ange-

Seine Stücke sind alles andere als Reihungen instrumentenidiomatischer Floskeln …

In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg besannen sich viele Komponisten auf die Zwölftontechnik, viele fassten allerdings nicht nur die Tonhöhen in strikt organisierte Reihen, sondern alle anderen musikalischen Parameter ebenso: „Serielle Musik“. Diese neue Musik unterlag strengen kompositorischen Gesetzen, die allerdings nicht immer mit gleicher Konsequenz befolgt wurden. Gunnar Berg gehörte zu den Komponisten, die in den frühen fünfziger Jahren die Zwölftontechnik anwandten und mit ihr die Formen des traditionellen Kontrapunkts. „Triedra“ für Blockflöte ist eine Komposition aus dieser Zeit. „The result is a minutely calculated structuring of durations, pitches, volumes and instrumentation, which was one of the main themes in Darmstadt in 1952.” (Christoph Jäggin im Booklet) Weit entfernt schon von diesen ästhetischen Maximen ist „AR-GOÃT“ (1984/1985) für zwei Gitarren und „Melos“ (1979) für Gitarre solo. Hier spielt Berg aber mit Effekten, die ihm die Gitarre bietet: mit Vierteltönen zum Beispiel, und zwar in Einzeltonreihen und auch in Akkorden.

obgleich einem des Komponisten Vertrautsein mit der Gitarre nicht entgeht. Eine Menge raffinierter Klänge werden da eingesetzt, perkussive Elemente, Flageolett-Passagen – Techniken, die im Instrumentationslehrbuch von Sevsay nicht zu finden sind. Aber die Effekte werden nicht ihrer selbst willen eingesetzt, sondern sie haben Bedeutung, sie unterstreichen, verdeutlichen, erläutern, korrespondieren … wobei wir bei dem Versuch einer globalen Beschreibung der Musik von Bröder wären. Der Komponist bedient sich einer expressiven musikalischen Sprache – atonal, das heißt, an keine tonale Gesetzmäßigkeiten gebunden – auch nicht an dodekaphone. Formal gibt es durchaus traditionelle Muster. Die wenigen Worte der Haikus erzählen keine Geschichten, sie vermitteln Stimmungen – und das tut die nicht minder knappe Musik auch. Und Stimmungen sind es auch, die bei den Hörern bleiben, mit ein paar Gesten erzeugte Stimmungen. Um dies zu erreichen, muss die Sprache sehr treffsicher sein um nicht missverstanden zu werden. Alois Bröders Sprache ist knapp und verständlich … aber man muss aufpassen! Hie und dort sind uns die Texte fremd … zum Beispiel wo von Nachtigallen die Rede ist (nicht von Habichten). Aber die Musik dieser CD ist alles andere als ein Scherz. Die Stimmungen bleiben und wirken. Ohne Hurz. Immer da, wo keine Texte bei der Entwirrung helfen, wo die Musik sich selbst überlassen bleibt, hören wir sehr selbständige Klänge. Selbständig, schlicht und autark. Aber Klänge sind es, Klangbilder, die keine Erklärung brauchen.

Gitarre & Laute-ONLINE XXXI/2009 Nº 2 47


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