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Peter Mair: Ei oder Kartoffel?

Ei oder Kartoffel?

Zwei Frauenschicksale, die ich als Diakon in einer Pfarre in London kennengelernt habe:

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Ein heruntergekommenes Hochhaus. Dort versuchte ich systematisch, alle Katholiken zu besuchen. Ich läutete mehrmals vergeblich an einer Tür, hinter der ich Licht brennen sah. Da öffnete sich eine andere Tür, und eine mir flüchtig bekannte Frau rief mir zu: „Auch wenn ihnen die alte Frau öffnet, wird sie ihnen gleich wieder die Tür vor der Nase zuschlagen!“ – „Warum denn so heftig?“, fragte ich. – „Nun das ist eine traurige Geschichte: Ihr Mann hat sie verlassen, und von ihren zwei Kindern fühlte sie sich im Stich gelassen, als sie jahrelang krank war. Nun ist sie völlig verbittert und will keinen Menschen mehr sehen, denn in ihren Augen besteht die ganze Welt nur mehr aus lauter Idioten und Halunken.“

In der Pfarre gab es eine Gruppe, die sich besonders um Menschen kümmerte, die oft auf tragische Art und Weise einen Mitmenschen verloren hatten, und um die sich von offizieller Seite her niemand kümmerte. Darunter tat sich besonders eine Frau hervor. Sie erzählte mir: „Warum ich das tue? Ein betrunkener Autofahrer hat mein einziges Kind totgefahren. Als ich zu verzweifeln drohte, hat mir gerade diese Gruppe wieder Mut gemacht. Nun versuche ich anderen zu helfen, denn ich weiß selber, was sie mitmachen. Und ich bin mir sicher: Mein Kind werde ich im Himmel wiedersehen.“

Ein alter Missionär brachte es auf den Punkt: „In den Leiden des Lebens hängt sehr viel davon ab, ob man ein Ei ist oder eine Kartoffel: Die einen werden im Feuer des Leidens verbittert und hart wie ein überkochtes Ei. – Und die anderen werden mitleidsvoll und weich wie eine gekochte Kartoffel.“ – Wie reagiere ich? Besonders in der jetzigen schweren Zeit ist das sicher eine Nachdenkpause wert. (Hohe Tauern: zerklüfteter Gletscher)

Peter Mair