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Jede Stimme zählt

Ein beliebter Appell vor Abstimmungen und Wahlen. Auch in der SPÖ. „Die im Vatikan wissen schon, warum sie nach jeder Wahl die Stimmzettel verbrennen“, war einer der bissigen Kommentare zum Supergau der SPÖ. In diesem Fall verändert die „eine Stimme“ Österreichs Innenpolitik und auch Zukunft. Klingt groß, ist aber so. Denn ohne Martin Thür und Twitter wäre Hans Peter Doskozil heute des bekannten ORF-Moderators Martin Thür war da etwas anderes, der doch 130.000 Follower auf Twitter hat. Mehr als 570.000 Mal wurde der Tweet wahrgenommen. Den Rechenfehler einfach unter den Tisch zu kehren, im bilateralen Gespräch aus der Welt zu räumen, im Telefonat einzugestehen – „wir haben die eine Stimme gefunden … passt alles“ – war da nicht mehr möglich. Dass in der SPÖ niemand das Ergebnis in Zweifel zog, an dem Wochenende deshalb keine sion den Fehler gegen 15:45 Uhr öffentlich machte, stand mein Handy nicht mehr still. Hunderte Tweets, Nachrichten und Anrufe und gut 30 Interview-Anfragen, die ich aber – außerhalb des ORF – alle abgelehnt habe, weil ich das alles für gar nichts Besonderes halte. Ich habe einfach meinen Job gemacht, so wie das ganz viele andere Journalistinnen und Journalisten auch machen.“

SPÖ in einem Tweet auf einen Rechenfehler bei der Auszählung der Delegierten-Stimmen hingewiesen. „316 und 279 ist 595 und nicht 596“, lautete der lapidare Tweet des ORF-Kollegen. Eine Stimme fehlte in der Auflistung – auf den ersten Blick eine kleine Schlamperei bei einer mit Hochspannung und Nervosität erwarteten Abstimmung. Dass sich hinter diesem Lapsus Ungeheuerliches verbarg, nämlich die komplette Falschauszählung der mehr als 600 Delegierten-Stimmen, sickerte erst mit 48-stündiger Zeitverzögerung durch. Dieses Totalversagen hätte unweigerlich den kollektiven Rücktritt der 20-köpfigen Wahlkommission nach sich ziehen müssen. Aber nur die Vorsitzende nahm den Hut.

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Stv. Chefredakteur Kleine Zeitung

Parteichef der SPÖ und nicht Andreas Babler, schreibt der stellvertretende Chefredakteur der „Kleinen Zeitung“ Michael Jungwirth. „Das passiert nicht jeden Tag. Dass ein Journalist mit einem einzigen Tweet die innenpolitischen Fugen des Landes aus den Angeln hebt. Nicht weil er eine Ungeheuerlichkeit entlarvt hat, die den Sturz eines Politikers ins Rollen gebracht hat …“

ORF-Moderator Martin Thür, der im Unterschied zu Michael Jungwirth gar nicht auf dem legendären SPÖ-Parteitag Anfang Juni in Linz weilte, hat eine Viertel Stunde nach Bekanntgabe des Ergebnisses der Kampfabstimmung zwischen Andreas Babler und Hans Peter Doskozil um den Chefsessel in der

Mit keiner Wimper ihrer sorgfältig geschminkten Augen hätte die steirische Abgeordnete und Wahlkommissionsvorsitzende gezuckt, wäre sie durch die SMS irgendeines Zeitgenossen über die fehlende Stimme aufmerksam gemacht worden. Die öffentliche Schelte

Eile, gar Hektik aufkam, lässt sich daran erkennen, dass man sich erst mit 24-stündiger Verspätung der Klärung der Frage widmete. Erst zwei Tage später eilte die Leiterin der Wahlkommission nach Wien, weil die Überprüfung der Unterlagen mehr Fragen aufgeworfen als Antworten geliefert hat. „Ich wollte einfach verstehen, was da genau passiert ist. Es ist meine Form des Lernens, stets nachzufragen.“ Das Interview in der Zeitschrift „Journalist“ mit dem ORF-Moderator führte Köksal Baltaci, Redakteur der „Presse“.

„Als die Wahlkommis-

Seit 2019 moderiert er die „Zeit im Bild 2“ im ORF 2. Er ist einer der profiliertesten Investigativjournalisten des Landes. 2021 zum „Journalist des Jahres“ gewählt in der Kategorie Innenpolitik. 2022 mit dem Concordia-Preis in der Kategorie Pressefreiheit und dem Robert-Hochner-Preis ausgezeichnet. Exemplarisch erwähnte die Jury sein ZiB-2-Interview mit dem früheren Bundeskanzler Sebastian Kurz am 6. Oktober, nur wenige Stunden nach Bekanntwerden der Ermittlungen gegen ihn: „… ließ sich vom Kanzler nicht ablenken, … blieb konzentriert bei den vorliegenden Vorwürfen der WKStA – rückblickend betrachtet eine journalistische Sternstunde in politisch-turbulenten Zeiten.“

Thür studierte Publizistik, so wie nebenberuflich einen Lehrgang zur politischen Kommunikation an der Donau-Universität Krems. Und dort war er offensichtlich ein aufmerksamer Zuhörer.