Infrarot Nr. 209

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Zeitung der JungsozialistInnen • Journal de la Jeunesse socialiste Giornale della Gioventù socialista • Gasetta da la Giuventetgna socialista

4 Stipendien-Basar Luzern verschlimmbessert sein Stipendienwesen.

5 Grosse Koalition Soll die SPD mit der Union regieren?

+++JUSO.CH+++

JUSO Schweiz, Postfach 8208, 3001 Bern Nr. 209, Dezember 2013

8–10 Wahlen Wir stellen euch Salome, Dario und Hanna vor.

Nicht das Ende, sondern der Anfang Wir haben einen Abstimmungskampf verloren. Aber wir haben vieles verändert: Uns selber, die Linke, die Politik und die Schweiz. Das ist ein Anfang.

Von David Roth

Danke, vive la JS, es war eine bärenstarke Leistung, je vous aime tous. Das sind vier der unzähligen Möglichkeiten diesen Text zu beginnen. Was die JUSO in dieser Kampagne geleistet hat, ist einzigartig. Wir haben Geschichte geschrieben. Wir haben das politische Jahr 2013 geprägt. Der Kampf hat aber erst begonnen. Im nächsten Frühjahr werden wir mit

der Spekulationsstopp-Initiative den Kampf gegen die Dominanz der Finanzspekulation aufnehmen. Die Villen an der Goldküste werden keine Ruhe kriegen. In den Gemeinden und Kantonen müssen wir in die Offensive. Dort planen die Bürgerlichen die wohl grösste Sauerei der letzten Jahre. Die Steuergeschenke an Superreiche und Unternehmen sollen von

uns allen bezahlt werden. Das werden wir uns nicht bieten lassen. Wir alle gemeinsam haben die 1:12Kampagne geprägt. Wir können noch mehr Menschen begeistern – wir können gewinnen. Du kannst das tun. Fortsetzung Seite 3

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INFRAROT • JUSO • Dezember 2013

nach 1:12 3

Die Überzeugten sind zurück Wort des Präsidiums Liebe JUSOs

«Wer nicht kämpft, hat schon verloren.» So der sozialistische Dichter Bertolt Brecht, der selbst die kämpferische Arbeiterbewegung anfangs des 20.  Jahrhunderts miterlebte. Wir SozialistInnen von heute erinnern uns vor allem an ein Ereignis, das die Schweiz auf Jahrzehnte hinaus prägen sollte: Den Generalstreik. ArbeiterInnen legten gemeinsam das Land still, um etwas zu bewegen. Zu Beginn konnte die politische und wirtschaftliche Macht die Anliegen der ArbeiterInnen zwar noch erfolgreich verhindern. Doch heute sind die zentralen Forderungen von damals allesamt umgesetzt. Der Blick zurück drängt sich auch jetzt wieder auf, wo sich die Schweiz mit 65  % gegen die 1:12-Initiative ausgesprochen hat. Die politische Rechte hat die Abstimmung wieder einmal mit Angstmacherei gewonnen. Viele haben die Forderung an sich unterstützt und trotzdem ein Nein eingelegt. Auf den ersten Blick enttäuscht das. Doch: jeder und jede Dritte in diesem Land ist auf unserer Seite und hat den Mut, Veränderungen zu fordern. Viele Junge gehören zu diesem Drittel. Wir sind viele und wir werden mehr. Genau deshalb sind wir eine Generation, die Hoffnung weckt. Wir JUSOs haben die Aufgabe, mehr Junge mit dieser Hoffnung anzustecken: Vor einigen Wochen geriet ich an einer WG-Party in ein Gespräch mit einem Unbekannten, ausgelöst durch meinen 1:12-Button. Das Gespräch endete damit, dass er sich den Button selbst ansteckte und damit herausfordernd durch das Zürcher Nachtleben zog. Je mehr wir werden, desto wackliger steht das System auf den Beinen. Das haben auch die Abzocker und ihre bürgerlichen Marionetten in den letzten Monaten spüren müssen. Eine neue Generation ist im Anmarsch! Wir wissen, wohin wir wollen. Wir bekennen Farbe, wir packen an. Und diese Überzeugung lässt sich auch mit noch so kostspieligen Angstkampagnen nicht verhindern. Von uns hängt es ab, ob auch unsere zentralen Forderungen in hundert Jahren Realität sein werden, oder nicht. Wir Überzeugten wissen, dass kämpfen muss, wer etwas verändern will. Solidarische Grüsse Ursula Näf

Fortsetzung von Seite 1

Der Journalist vom Schweizer Fernsehen zeigte sich etwas irritiert. Nur gerade 10 Minuten vorher sind die ersten Abstimmungstrends eingetroffen, die allen klarmachten: Die 1:12-Initaitive wird abgelehnt. Trotzdem war die Stimmung bei den 150 Leuten am Abstimmungsfest im Gaskessel nicht verzweifelt oder desillusioniert – im Gegenteil. Der NZZ-Inlandchef bettelt in einer Kolumne regelrecht darum, dass wir uns frustriert und niedergeschlagen zeigen sollen. Doch wir sind nicht frustriert. Wir sind nicht niedergeschlagen.

«Das Wirtschaftssystem der Millionensaläre und Finanzspekulation hat keine Zukunft.»

Wir sind nicht angetreten um zu verlieren. Wir wollten die 1:12-Initiative gewinnen – und das ist uns nicht gelungen. Die Abzockerei, die Selbstbedienung von ein paar wenigen auf Kosten aller anderen, konnte durch Angstmacherei und eine massive Gegenkampagne noch einmal über die Runden gerettet werden. Die wachsende Ungleichheit ist vorerst nicht gestoppt. Die Menschen an diesem Abstimmungsfest waren aus einem anderen Grund zufrieden und auch selbstbewusst: Wir haben den ersten Schritt zur Veränderung gemacht. Während vielen Jahren haben die JUSOs einzig über Positionspapieren gebrütet und der grösste Kontrahent konnte der Sitznachbar sein. Jetzt haben wir uns wieder unseren echten Gegnern zugewandt: Den bürgerlichen Parteien, die dann zur Hochform auflaufen, wenn sie auf sprachlose Minderheiten eindreschen können. Und den mächtigen Wirtschaftsverbänden, den Stiefelleckern der Hochfinanz, für die die Schweiz vor allem ein Selbstbedienungsladen für ihre reichen Freunde darstellt. Dieser Politik stellen wir eine Alternative entgegen. Eine Alternative, in der die Wirtschaft nicht der Bereicherung von ein paar wenigen dient, sondern dem Wohlergehen aller Menschen. Mit der Spekulationsstopp-Initiative gönnen wir den Profiteuren des ausbeuterischen Wirtschaftssystems keine Pause. Die Vorstellung, dass die Börse nicht zum Handel von Waren sondern als Spielplatz für Finanzjongleure dienen soll, ist genauso pervers wie im Moment leider auch allgemein akzeptiert. Die Spekulati-

on mit Nahrungsmitteln ist das widerlichste Beispiel. Das werden wir ändern! Die Vasallen der Selbstbedienungsideologie toben sich auch in der Politik aus. Die Folgen der bürgerlichen Steuerpolitik zeigen sich immer mehr in ihrer ganzen, desaströsen Härte. Reiche und Unternehmen erhalten riesige Steuergeschenke, die Rechnung dafür sollen alle anderen bezahlen: Gebühren und Einkommenssteuern werden erhöht, massive Sparprogramme drohen in praktisch allen Kantonen. Die öffentliche Infrastruktur wird an den Rand des Ruins getrieben. Die Menschen und der Service Public müssen sich einer kapitalistischen Ökonomisierung unterwerfen. Um zu sparen wird versucht, jede staatliche Aufgabe gewinnbringend umzubauen: Aus StudentInnen werden «Investments», aus LehrerInnen «DienstleistungserbringerInnen», aus SchülerInnen «BildungskonsumentInnen». Wo das nicht möglich ist, wird radikal gespart. Die Menschen stehen dem ohnmächtig gegenüber. Das werden wir ändern! Und zwar indem wir Politik nicht nur für, sondern mit den Menschen machen. Wir müssen auf die Betroffenen zugehen, SchülerInnen, Lehrlinge und Arbeitnehmende einbinden und die notwendigen Mittel zur Verfügung stellen. Das haben wir bei der 1:12-Initiative getan – und so werden wir auch weiterarbeiten. Die Zeit muss vorbei sein, in der linke Politik in Fraktionen und elitären Kreisen entschieden wurde. SP-GenossInnen aus den Räten, die sich nun elterlich zuwenden, der JUSO für ihr Engagement danken, nur um sich anschliessend wieder auf die Lektüre von Parlamentsunterlagen

zu beschränken, haben nichts kapiert. Das werden wir ändern! Diese Veränderung wird weder in Berner Partei- und Verbandsbüros noch in Zürcher Redaktionen angestossen werden. Dafür braucht es jene Menschen, die schon immer Auslöser für Veränderungen waren: Menschen, die sich aktiv an der Demokratie beteiligen. Und angesichts der über 30’000 Menschen, die sich für die 1:12-Initiative engagiert haben, können wir die nächsten Jahre entschlossen und selbstbewusst angehen.

«Wir sind nicht angetreten,um zu verlieren.»

Uns war immer klar, dass wir einen langen Atem brauchen würden, um die Schweiz nachhaltig zu verändern. Darum lassen wir uns auch nicht von einer Abstimmungsniederlage entmutigen. Im Gegenteil: wir kämpfen weiter gemeinsam und mit voller Kraft für eine gerechtere Wirtschaft, für mehr Demokratie und mehr Freiheit. Am 24. November 2013 haben wir verloren – aber das wird nicht immer so sein. Das Wirtschaftssystem der Millionensaläre und Finanzspekulation hat keine Zukunft. Die 1:12-Initiative war nicht das Ende, sondern der Anfang dieses Kampfes. Und am Ende werden wir nicht nur verändert, sondern auch gewonnen haben – wir alle. Ich bin stolz darauf, Teil dieser Bewegung zu sein.


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INFRAROT • JUSO • Dezember 2013

Grosse Koalition 5

Luzern verkauft seine Studierenden

Die grosse Koalitionsfrage

Der Kanton Luzern baut sein Stipendiengesetz um. Die Stossrichtung: weniger Stipendien, mehr Darlehen. Mit der Einführung der Studienaktie wird ausserdem der Spekulation mit Bildung Tür und Tor geöffnet.

Nach den Wahlen im September wird in Deutschland schon seit mehr als zwei Monaten über mögliche Regierungen diskutiert. Eine «grosse Koalition» aus CDU/CSU (Union) und SPD ist ein wahrscheinlicher Ausgang, eine Union-Minderheitsregierung, Neuwahlen, oder vielleicht doch eine linke Mehrheit aus SPD, Linkspartei und Grüne wären aber auch möglich.

Von Stefan Rüegger

Der Kanton Luzern zeichnete sich in den letzten Jahren vor allem durch eine Finanzpolitik ganz im Sinne der neoliberalen Lehrmeinung aus. Die Steuern wurden fast grenzenlos gesenkt. Anfang 2012 wies Luzern die schweizweit tiefsten Unternehmenssteuern aus. Doch dann kam der Kater. Die Tiefsteuerpolitik führte nicht zu mehr, sondern zu weniger Einnahmen. Der exzessive Steuerwettbewerb war grandios gescheitert. Und man setzte zur Sparübung an. Schon vor dieser Sparübung entwickelten sich die Stipendien im Kanton Luzern in eine problematische Richtung. Wurden 2004 noch 12.6 Millionen Franken an Stipendien ausbezahlt, waren es 2012 nur noch 10 Millionen – obwohl sich die Anzahl Studierender im gleichen Zeitraum fast verdoppelt hat. Es braucht keine Fantasie, um sich die Folgen auszumalen. Die Abweisungsquote bei den Stipendiengesuchen verdoppelte sich in den letzten 10 Jahren auf über 30 %. Der Regierungsrat selbst konstatiert in seiner Botschaft zum neuen Stipendiengesetz «effektiv einen Rückgang der individuellen Ausbildungsförderung im Kanton Luzern».

Schuldenfalle Studiendarlehen Doch das veranlasst die Regierung nicht etwa dazu, endlich ausreichend Mittel zur Verfügung zu stellen. Im Gegenteil – die Stipendien werden im neuen Gesetz sogar noch weiter abgebaut. An ihre Stelle sollen

vermehrt Darlehen treten – neu auch die Studienaktie (siehe Box). Für CVP-Bildungsdirektor Reto Wyss «das fortschrittlichste Stipendiengesetz der Schweiz». Eine eher fragwürdige Einschätzung. Das erste grundlegende Problem ist die Verlagerung weg von Stipendien und hin zu Darlehen. Dadurch landen immer mehr Studierende in der Schuldenfalle. Wohin diese Entwicklung führen kann, zeigt ein Blick in die USA: 37 Millionen US-AmerikanerInnen stehen mit durchschnittlich gut 24'000 Dollar in der Kreide – und zwar nur aufgrund ihrer Studiendarlehen. 2010 über-traf der Schuldenberg durch Studiendarlehen erstmals die Kreditkartenschulden, ein Jahr später sogar die Schulden durch Autoleasing. Verschuldete BerufseinsteigerInnen sind auch wirtschaftlich gesehen ein Unding: nicht nur wirken sich die Schulden negativ auf ihren Konsum aus, sie beeinflussen unter Umständen auch ihre Berufswahl. So werden sie sich eher für den bestbezahlten anstatt den interessantesten Job entscheiden. Dadurch landen die besten Leute in Grossbanken und erfinden dort neue strukturierte Produkte, anstatt in der Realwirtschaft eine sinnvolle – jedoch nicht ganz so gut bezahlte – Aufgabe zu übernehmen.

Bildung als Spekulationsobjekt

Von der Studienaktie als Ergänzung zu einem funktionierenden Stipendiensystem kann man halten, was man will. Wer sich selbst als Spekulationsobjekt anbieten und um die Gunst der Investoren buhlen will, soll das ruhig tun. Der Spass hört jedoch da auf, wo Studierende dazu gezwungen werden können. Und genau das ist beim neuen Luzerner Modell der Fall. Indem private Studiendarlehen zur offiziellen dritten Säule des Stipendiengesetzes gemacht werden, schleicht sich der Kanton auf billige Aussen hui, innen pfui: die Bildungspolitik in Luzern Art und Weise aus seiner (im Bild die PH Luzern) Bild: rosmary/flickr

Verantwortung. Kein Darlehen für Soziale Arbeit erhalten? Mach halt was Rentables wie BWL! Die Abhängigkeit von renditeorientierten Investoren führt zu einer Ökonomisierung der Bildung. Wirtschaftlich lohnende Studienrichtungen werden aufgrund der höheren Rendite gegenüber denen bevorzugt, deren Wert sich nicht ausschliesslich in Geld ausdrücken lässt. So bietet z. B. eine BWL-Studentin bessere Aussichten auf eine hohe Rendite als ein Student der Sozialen Arbeit – obwohl sich der gesellschaftliche Wert der beiden Studienrichtungen auch problemlos umgekehrt einordnen lässt.

Bildung kann mehr

Schliesslich wird Bildung zu einem Gut, das sich wirtschaftlich rechnen muss. Bildung ist jedoch viel mehr als das. Sie ist ein Teil dessen, wer wir sind, ein Teil unserer Identität. Sie befähigt uns zum selbstbestimmten Leben und Denken und ist damit essentieller Bestandteil unserer direkten Demokratie. Sie ist, worauf unsere Freiheit und Unabhängigkeit fusst. Allesamt wichtige Aspekte der Bildung – und doch ökonomisch nicht oder kaum fassbar. Der Wert der Bildung kann und darf nicht ökonomisch bewertet und in die Kategorien «rentabel» und «unrentabel» unterteilt werden. Die JUSO Luzern hat unlängst zusammen mit den Jungen Grünen das Referendum gegen dieses fehlgeleitete Stipendiengesetz ergriffen. Bleibt zu hoffen, dass sie damit Erfolg haben werden.

Studienaktie Die Plattform studienaktie.org vermittelt Investoren an Studierende und umgekehrt. Studierende präsentieren dort sich und ihre beruflichen Pläne möglichen Investoren. Diese entscheiden dann, wem sie ein Darlehen geben wollen. Die Zinsen liegen dabei zwischen 1.25 und 9.25 % – abhängig vom Gehalt nach dem Studium.

Von Emanuel Wyler

Die Merkel-Union kam bei den deutschen Parlamentswahlen mit über 40  % mit grossem Abstand auf den ersten Platz, 16 % dahinter die SPD. Am Wahlabend befürchteten schon viele eine Alleinregierung der Union, gereicht hat es dann knapp nicht: Acht Sitze weniger als SPD, Linkspartei und Grüne zusammen. Die aus linker Sicht offensichtliche Frage ist natürlich: warum eigentlich keine linke Koalition, die doch immerhin acht Bundestagsmandate mehr hätte als die konservative CDU mitsamt ihrer bayrischen Ausprägung, der CSU?

Der Hürdenlauf zur rot-rot-grünen Koalition Am Parteitag im November hat die SPD endlich beschlossen: Keine Koalition wird ausgeschlossen, auch mit der Linkspartei nicht. Lange Zeit war diese das «Schmuddelkind» der deutschen Politik und wurde von rechts aus politischen und taktischen Gründen ausgegrenzt. In der SPD sträubt(e) sich aber nicht nur der rechte Flügel gegen eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei. Viele Sozis wollen schlicht nicht mit einer Partei zusammenarbeiten, in der viele den Kampf gegen die SPD als Hauptdaseinszweck sehen. Erschwerend für eine Zusammenarbeit auf Seiten der Linkspartei ist die harte Auseinandersetzung zwischen den SPD-freundlichen «Reformern» und den «Orthodoxen». Linke Strömungen wie die Antikapitalistische Linke, der auch einige Bundestagsabgeordnete angehören, sind auch jetzt explizit gegen eine RotRot-Grüne Koalition*. Zur Zeit ist eine linke Koalition aus drei Parteien mit nur acht Sitzen Mehrheit in der Praxis ein zu riskantes Unterfangen. In einigen Jahren,

wenn auch auf allen Seiten neues Personal am Ruder ist, wird dies hoffentlich anders aussehen.

Die Verhandlungen mit der CDU Seit Ende Oktober liefen nun die Verhandlungen in zwölf gemischten Arbeitsgruppen, teilweise mit Unterarbeitsgruppen, wie z. B. zur «digitalen Agenda», daneben gab es diverse Koordinationsgremien. Das Interesse der Öffentlichkeit war gross, täglich gab es zahlreiche Berichte und intensive Diskussionen. Für die SPD wird erstmals nicht ein Parteitag über den Koalitionsvertrag entscheiden, sondern sämtliche Mitglieder. Knapp eine halbe Million Menschen werden also über ein, mehr als hundert Seiten dickes, detailliertes Regierungsprogramm für die nächsten vier Jahre entscheiden. Wie dieses Mitgliedervotum herauskommen wird, ist noch völlig unklar, viele Mitglieder sind sehr skeptisch. Seit den Wahlen gibt es in der SPD zudem viel Aufruhr gegen die Parteileitung, Demonstrationen vor der Parteizentrale in Berlin, Anträge für mehr Transparenz und Mitbestimmung. Präsident Sigmar Gabriel und Generalsekretärin Andrea Nahles werben intensiv für den Koalitionsvertrag. Trotzdem oder gerade deswegen ist es gut möglich, dass einige ein Nein als Proteststimme gegen die Parteileitung einlegen.

Grosse Koalition: Die Inhalte

Nicht unerwartet ist der vorgeschlagene Koalitionsvertrag eine Serie von Kompromissen**. Einiges ist passabel herausgekommen: ein Mindestlohn mit zweijähriger

Übergangsfrist ab 2015, substanzielle Fortschritte etwa bei Gleichstellung, digitaler Agenda, Mindestrente, Drohnen – wichtige Dinge, die nur mit einer grossen Koalition durchgesetzt werden können. Einiges ist aber für die sozialdemokratische Seele schlicht eine Zumutung. Dringend notwendige Investitionen in Infrastruktur und Bildung – notfalls mit Hilfe von Steuererhöhungen (so gibt es in Deutschland bspw. keine Vermögenssteuer und Kapitalerträge werden mit maximal 25% besteuert, deutlich tiefer als die Steuersätze hoher Arbeitseinkommen) – sind unsicher. In der Energiepolitik wird die Förderung erneuerbarer Energien stark verwässert; nicht unerwartet, da ausgerechnet Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin im schwerindustriereichen Nordrhein-Westfalen, die Leitung der SPD-Delegation in der entsprechenden Arbeitsgruppe innehatte. Bei Leiharbeit, Bürgerrechten oder Gesundheit gibt es viel Flickwerk. Beim Entscheid wird also neben taktischen Fragen – was geschieht bei Neuwahlen? wie wird die SPD nach vier Jahren mit Merkel dastehen? – die Abwägung im Vordergrund stehen, ob mit Kompromissbereitschaft und der SPD als Juniorpartnerin in der Regierung kleine, aber wichtige politische Fortschritte erzielt werden können. Es bleibt jedenfalls spannend – voraussichtlich am 15. Dezember ist die Auszählung des Mitgliedervotums. Dann werden wir wissen, ob es für die deutsche Politik geruhsame Weihnachten gibt oder der Rummel erst richtig losgeht. *siehe z. B. http://www.antikapitalistischelinke.de/article/726.opp.html **Aktuelle Informationen gibt es auf http:// www.spd.de/mitgliedervotum


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INFRAROT • JUSO • Dezember 2013

Das war die 1:12-Kampagne...

Bilderbuch 7

...vielen Dank für euren Einsatz!


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INFRAROT • JUSO • Dezember 2013

Wahlen 9

Salome Trafelet

Dario Schai

…kandidiert für das Zentralsekretariat.

…kandidiert für das Zentralsekretariat.

Alter: 21

Alter: 22

Wohnort: Brügg BE

Wohnort: Stäfa

Sektion: Bielingue

Sektion: JUSO Stadt Zürich

Bisherige Ämter: Präsidentin JUSO Bielingue, Kassierin JUSO Kanton Bern, Vorstand SP Brügg

Bisherige Ämter: Sekretär JUSO Kanton Zürich, Fraktionssekretär SP Stadt Zürich, Vorstand JUSO Stadt Zürich, Vorstand SP Stäfa, Nationalratskandidat

Politisches Vorbild: Salvador Allende Politisches Feindbild: Margaret Thatcher Ein Gesetz, das ich gern aufheben würde: Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (BÜPF) weil es den Überwachungsstaat ausdehnt Das kommt nach 1:12: Verfestigung der Partei, prägnante Programmdebatte, nationale Wahlen, ein neues Projekt

Ich kandidiere für das Zentralsekretariat, um damit meinen Beitrag zum Erfolg der JUSO Schweiz zu leisten. Seit ich der Partei beigetreten bin, habe ich mich zuerst als Präsidentin der JUSO Bielingue sehr stark in meiner Sektion engagiert und je länger desto mehr auch auf nationaler Ebene eingebracht. Ich sehe im Amt der Zentralsekretärin die Möglichkeit, mich in den nächsten Jahren voll und ganz auf die JUSO zu konzentrieren. Es soll ein Knotenpunkt sein, an dem die Arbeit aus den Sektionen zusammenkommt und koordiniert wird, und dies in einer Weise, dass wir zusammen die stärkste Jungpartei der Schweiz bleiben und weiterhin auf der politischen Bühne wahrgenommen werden. Als Zentralsekretärin würde ich mich dafür stark machen, die bestehenden Hürden innerhalb der Partei zu überwinden, so zum Beispiel die Sprachbarriere, welche gewisse Diskussionen und die Möglichkeit zur Mitgestaltung mancher Sektionen erschwert. Zudem könnte ich in der Geschäftsleitung der JUSO Schweiz an der Ausarbeitung der Strategie mitarbeiten, damit wir die nächsten Herausforderungen in Angriff nehmen können. Ich weiss auch schon, woher ich die Energie nehmen soll, um dieses, manchmal sehr anstrengende Amt zu bewältigen: Aus meiner Empörung über das ungerechte System und die konservative Gesellschaft, in der wir leben. Nun verpufft ja Empörung nur zu oft sehr schnell wieder, aber ich bin genau deshalb von der JUSO so überzeugt, weil wir es schaffen, unsere Empörung in konkrete Projekte umzuwandeln. So erzielen wir gemeinsame Erfolge im Kampf gegen das, was uns stört.

Politisches Vorbild: Ich bin der Meinung, dass Politik nicht von einzelnen Personen, sondern von gemeinsamen Ideen und Visionen gemacht wird. Politisches Feindbild: Economiesuisse und ihre Freunde Ein Gesetz, das ich gern aufheben würde: Bundesverfassung Art. 26 Eigentumsgarantie Das kommt nach 1:12: Eine breite Debatte darüber, wo wir stehen, wo wir hinwollen und wie wir dahin kommen. Ein wichtiger Teil dieser Debatte wird Inhalt und Form der nationalen Wahlen 2015 sein.

Die Abstimmung über 1:12 ist vorbei, die Spekulationsstopp-Initiative fertig gesammelt. Doch wir sind noch lange nicht am Ziel! Es stellt sich nun die Frage, welchen Weg die JUSO einschlagen soll. Ich kandidiere für das Zentralsekretariat, weil ich sehr motiviert bin, gemeinsam mit den Mitgliedern und Sektionen diese Frage zu beantworten und auf unsere politische Vision hinzuarbeiten! Seit vier Jahren engagiere ich mich in der JUSO. Ich bin stolz, Teil einer starken linken Bewegung zu sein, welche die politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Macht dem Kapital entreissen will, um den Menschen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Es macht grosse Freude, gemeinsam mit hunderten überzeugten und überzeugenden AktivistInnen für unsere Sache einzustehen. Sehr gerne möchte ich als Zentralsekretär meinen Teil dazu beitragen. Denn gemeinsam können wir ändern, was uns stört! Dank meiner vielseitigen Erfahrung und meinen starken politischen und organisatorischen Fähigkeiten bin ich überzeugt, die geeignete Person für das Zentralsekretariat der JUSO Schweiz zu sein. Ich verfüge über fundierte Erfahrungen in den Bereichen Kampagne, Organisationsentwicklung und politische Strategie. Dieses Wissen möchte ich sehr gerne in die JUSO Schweiz einbringen und für Projekte wie die Nationalratswahlen 2015 oder den Spekulationsstopp-Abstimmungskampf einsetzen. Ich würde mich sehr über eure Unterstützung freuen und bin äusserst motiviert, die kommenden Herausforderungen anzupacken. Venceremos!


10 INFRAROT • JUSO • Dezember 2013

Initiative 1:12 11

Hanna Bay

La victoire se cache dans la défaite de Julien Rilliet

Je me rappelle lorsque nous avons déposé nos signatures pour l'initiative 1:12 au mois de mars 2011 et que la droite nous regardait d'un air amusé et paternaliste. Deux ans se sont écoulés et la donne est toute autre; une campagne de désinformation aussi brutale que mensongère basée sur la peur s'est mise en place, Economiesuisse décrédibilisée depuis l'acceptation de l'initiative Minder a mandaté l'USAM et a engagé entre 8 et 10 millions contre nous. Face à eux, toi, moi, de jeunes gens âgés d'une vingtaine d'années issus de toutes les couches sociales de notre pays distribuant des tracts aux premières lueurs du

…kandidiert für die Geschäftsleitung. Alter: 21 Wohnort: Schiers und Basel Sektion: Graubünden Bisherige Ämter: Präsidentin JUSO GR, Geschäftsleitungsmitglied SP GR Politisches Vorbild: Ich habe kein eigentliches Vorbild. Wenn ich aber etwas sagen muss, wäre das wohl die SP 60+. Ihre Mitglieder sind oftmals schon mehrere Jahrzehnte dabei, haben politisch viel erlebt und engagieren sich noch immer – oftmals mit mutigeren Positionen wie die Generationen zwischen uns. Politisches Feindbild: Der Kapitalismus Ein Gesetz, das ich gern aufheben würde: Das Abstammungsprinzip im Bürgerrechtsgesetz Das kommt nach 1:12: Der Abstimmungskater. Und danach eine spannende Debatte, in der wir uns klar werden, wo wir stehen und wohin wir wollen.

Seit vier Jahren bin ich aktives Mitglied der JUSO und ich bin motiviert, dies auch noch einige Jahre zu bleiben. Denn gerade in den letzten Monaten wurde mir immer wieder klar, dass die JUSO meine politische Heimat ist. Der Abstimmungskampf für die 1:12-Initiative und das Rekordsammeln der SpekulationsstoppInitiative haben gezeigt, dass wir binnen weniger Jahren zu einer ernstzunehmenden politischen Kraft herangewachsen sind. Ich bin stolz, Teil dieser Bewegung zu sein, welche in den letzten Monaten verdeutlicht hat, dass linke Ideen nicht weltfremd sind, sondern den Nerv der Zeit treffen. Doch wir dürfen uns nicht auf dem, was wir erreicht haben, ausruhen. In der nahen Zukunft brauchen wir eine parteiinterne Debatte, in der uns klar wird, wo wir stehen, aber auch wie sich die JUSO künftig für eine bessere Welt stark macht. Ein Blick auf Europa, aber auch auf unsere Kantone, zeigt, dass der neoliberale Weg der letzten Jahrzehnte gescheitert ist und gerade für die Jugend keine Zukunft darstellt. Hier müssen wir konkrete Alternativen aufzeigen und für unsere Vision einer sozialeren und demokratischeren Gesellschaft kämpfen! In dieser spannenden und herausfordernden Zeit würde ich gern aktiv mitarbeiten. Ich bin überzeugt, dass ich durch meine bisherigen politischen Erfahrungen einen konstruktiven Beitrag an die Zukunft unserer Partei leisten kann und würde die Arbeit in der Geschäftsleitung mit grosser Freude anpacken. Solidarisch, Hanna

Inserat

jour dans les gares et les marchés, regorgeant d'inventivité pour trouver de nouvelles actions, défendant nos arguments sur les réseaux sociaux, affichant fièrement notre drapeau 1:12, participant aux nombreux débats organisés, allant au contact de la population, organisant brunchs & cafés politiques. Et c'est là où nous avons gagné. Dans la solidarité, la créativité, l'audace, dans ce qui fait la force de la JS. Nous avons peut-être perdu cette votation mais nous ne perdrons jamais notre courage et notre volonté de croire au changement. Les meilleures choses ont parfois simplement besoin de patience.


Die letzte Seite 12

Danke, Kristina! Von Florian Vock

Organisatorisch brilliant, liebe Kristina. Hast du jemals eine Email, einen Termin, eine Abmachung vergessen? Grenzen gab es bei dir keine. Entgrenzung war deine Stärke und dein Problem – beinahe bis zur Selbstaufgabe hast du dich für das Gute und das Gerechte aufgeopfert. Manchmal geht nämlich vergessen, neben Mitgliederverwaltung, Kopierstau und Massenversand: Die Zentralsekretärin, das ist ein politisches Amt. Und deine politische Überzeugung ist dein Antrieb. Anders wäre es nicht möglich, derartige Aufgaben zu stemmen. Mit 19 wurdest du Zentralsekretärin. Zeitweise hattest du in deinem Büro beinahe zehn MitarbeiterInnen. Du hast geführt und organisiert. Machen. Anpacken. Handeln. Oh Kristina. Die Geschäftsleitung hat es dir nicht immer leicht gemacht. Spontan noch schnell alles umstellen, das Programm ändern, Telefonanrufe am Sonntagmorgen, weil irgendwo irgendwer etwas wahnsinnig wichtig findet. Du bleibst ruhig. Das besonnene Herz der JUSO. Nie hast du dich selbst in Szene gesetzt, immer hast du für die Menschen gekämpft, die deinen Kampf brauchen. Kristina: Positiv warst du immer – wenn dir auch nicht danach war, aus deinem Herzen hast du gestrahlt. Auch nach der längsten, strengsten Sitzung waren wir bei dir willkommen: Auf deiner Terrasse zum Bier oder auf deinen eigenartigen Möbeln zum Raclette. Du verlässt jetzt das JUSO-Seki. Aber deine Überzeugung, dein unendlicher Drang nach Gerechtigkeit, nach Fairness, nach Gleichheit wird dich nicht verlassen. Du wirst anderswo Menschen damit anstecken. Darüber machen wir uns keine Sorgen. Freundschaft!

Impressum Herausgeber: Infrarot – Infrarouge –Infrarosso – Infracotschen · Spitalgasse 34, PF 8208, 3001 Bern, www.juso.ch, www.jss.ch · Kontakt: infrarot@juso.ch, 031 329 69 99 · Redaktion: Kristina Schüpbach, Angelo Zehr, Stefan Rüegger Design & Layout: art.I.schock GmbH, Zürich, www.artischock.net · Druck: S & Z Print, 3902 Brig-Glis · Abo: Fr. 20.- / Jahr – Infrarot erscheint 6 Mal pro Jahr.


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