Joe12 - Selbstbestimmung

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Selbstbestimmung. SELBSTVERSUCH

KOMMENTAR

INTERVIEW

Datingapps

W端rschtel mit Bart

Roland D端ringer

Selbstinszenierung im Netz

Die behaarte Wahrheit

Freisein mit Verantwortung


Fotos: Andreas Eymannsberger fb.com/andreaseymannsberger


EDITORIAL

Editorial. joe12 Zur Ausgabe. Wir wollen doch alle glücklich sein. Aber warum warten, dass einem das Glück in den Schoß fällt? Besser sein Leben selbst in die Hand nehmen! Wie das geht? Ganz einfach selbst bestimmen, was man will. Und dann machen. Oder schöner formuliert: Selbstbestimmung ist der Schlüssel zu Selbstverwirk­lich­ ung und einem erfüllten Leben. Jeder Studierende, jeder Mensch sollte seinen Traum wahr werden lassen. Also fang damit an und gestalte dein Leben so, dass einmal zu leben ausreicht! Ich wünsche Mut dafür. Er ist der Schlüssel zu viel Glück. Werkbericht. „Danke“ ist alles, was ich sagen möchte. Danke an die motivierten Redakteure, Fotografen, Illustratoren sowie an den Art Director und die scheidende Chefredakteurin, die mir sehr geholfen haben. In diesem Magazin steckt viel Herzblut drinnen, umso stolzer bin ich auf unser Baby. Viel Spaß beim Lesen! Mitmachen. Du willst Teil von joe werden? Nichts lieber als das! Werde selbst Autor, Fotograf, Lektor oder Illustrator. Wir haben Platz für jedes Talent. Über Feedback und Kritik freuen wir uns übrigens auch. Schreib uns doch auf Facebook (joe Magazin), via Mail (joe@fh-joanneum.at) oder sag’s unseren Redakteuren auf Twitter. Wir freuen uns auf dich.

Christoph Schattleitner, Chefredakteur

Cover: Jakob Tiefenbacher

Christoph erreichst du auf Twitter: @Schattleitner

Mehr von Jakob findest du auf Facebook: LotoesArt

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INHALT

EDITORIAL INHALT

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FH LIVE STUDY ABROAD: ITALIEN BARCAMP 2014 STANDORT KAPFENBERG STANDORT GRAZ STANDORT BAD GLEICHENBERG MONAT DER FREIEN BILDUNG 24 STUNDEN SO SIND WIR: LEB WERDE, DER DU BIST! CONTENT–STRATEGIE & DIGITALE KOMMUNIKATION (MA) PUBLIC COMMUNICATION (MA)

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EINBLICKE (K)EINE BESSERE MUSLIMA ONE DAY, BABY, WE‘LL BE WÜRSCHTEL MIT BART DIGITALES BEGEHREN PARTNERSUCHE 2.0

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MENSCHEN DIE MILLIONENIDEE SINNVOLL | SINNLOS GAY PEPI ARBEIT OHNE LOHN FREIHEIT KANN GEFÄHRLICH SEIN RELIGIÖSE BERUFUNG

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KULT GEGENSATZPAARE INTERVIEW: ROLAND DÜRINGER SCHEISSLEBEN REZEPTE PRO | CONTRA SELBSTSTÄNDIG IMPRESSUM

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Benvenuti in Italia 6


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Reggio Emilia. Ein kleines, unscheinbares Städtchen im Norden Italiens. Die Meereswellen brechen zwar erst in zwei Autostunden Entfernung, italienischer Lifestyle zeigt sich hier aber doch. Von einem Auslandssemester in Italien. Text & Fotos: David Baumgartner

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ominante Sprechkultur, unachtsame Auto­ Monate ihres Lebens sammeln, ist unüberschaubar. fahrer und mit den Händen wild gestikulie­ Es sind Erfahrungen für das Leben, die dabei helfen, rende Pasta- und Pizza-Konsumenten – in die Möglichkeit zur Selbstbestimmung fortan aus­ Reggio Emilia, Italien, ein täglicher Anblick. Doch zuweiten. Getreu dem italienischen Sprichwort: es geht noch klischeehafter. Wenn man durch alte „chi semina, raccoglie“ – wer sät, der erntet. südländische Gassen spaziert, dem Pizzageruch nicht widerstehen mag und Blicke auf schmale Balkone Was Vorurteile betrifft, wird man auch im kleinen wirft, auf denen eine italienische „Mamma“ Wäsche Städtlein Reggio Emilia nicht enttäuscht. In Reggio aufhängt, dann ist es gut möglich, dass ein gestylter Emilia, nördlich der Toskana, zehn Zugminuten von Bilderbuch-Italiener mit Gucci-Anzug und Sonnen­ der Schinkenstadt Parma entfernt. Es ist keine Selten­ brille um die Ecke schlendert. Und wenn just im selben heit, dass dort die Augen italienischer Männer nach Moment noch die typische italienische „Signorina“ hübschen Passantinnen Ausschau halten. Egal, ob der vorbeispaziert – langes, dunkles Haar, braune Augen Mann zu Fuß unterwegs ist oder in einem Fiat sitzt. und lange Beine – dann ist es sehr wahrscheinlich, dass Selbstredend, dass – sollte Zweites zutreffen – dem der in Schale geworfene Italiener mit einem Augen­ Schutzstreifen für Fußgänger wenig Aufmerksamkeit zwinkern und einem Pfiff auf sich aufmerksam macht. gezollt wird. Diesen gibt es, wenn auch physisch exis­ „Lascia stare, Giacomo!“ – „Lass das sein, Giacomo!“ – tent, in den italienischen Köpfen ohnehin nicht. So ist ertönt es dann vom Balkon. Die „Donna“ ist die es in Italien notwendig, mit einem Bein auf der „strada“ Mutter des Mittzwanzigers, der soeben auf dem Weg zu stehen, um dem Autofahrer zu signalisieren, dass nach Hause ist. Ein italienisches Muttersöhnchen, ein man dort nicht zum Blümchenpflücken steht. Was es „Mammone“ unter vielen. Anhand dieses Beispiels sei dafür sehr wohl gibt: Autohupen. Zeitweise macht es erklärt: Vorlagen für Vorurteile bietet unser südliches den Eindruck, als versuchten Italiener auf der Stra­ Nachbarland zur Genüge. ße – übertrieben gesprochen – die große Verdi-Oper „La Traviata“ zu improvisieren. Vom Hang zum Auf­ Selbstbestimmung. Einmal nicht der Ferien und bauschen und Dramatisieren können schließlich auch des Meeres wegen nach Italien zu fahren. Einmal Ramazzotti, Celentano & Co. einige Liedchen singen. länger als eine Woche im Land der Pizza zu bleiben, nicht am Sandstrand dem Müßiggang zu frönen, Università. Unpünktlichkeit ist in Italien kein Zei­ sondern stattdessen etwas für das Leben zu lernen – so chen der Respektlosigkeit – sie ist völlig normal. So lautete mein Wunsch. Selbstbestimmung meint, das auch in der „Università di Modena e Reggio Emilia“, eigene Leben zu gestalten – nach persönlichen einer Universität, die in den beiden Nachbarstädten Möglichkeiten, nach eigenen Vorlieben. Mit dem Modena und Reggio Emilia aufgeteilt ist. Kaum eine Thema Auslandssemester geht dieser Begriff wun­ Vorlesung beginnt dort pünktlich. Es ist ein Spiegel­ derbar einher: In einem anderen Land leben, dort bild österreichischer Verhältnisse: Die Studenten sit­ studieren. Ein anderes Leben und neue Menschen zen bereits auf den Stühlen und warten auf den Vor­ kennenlernen. Die Weite an Erfahrungen, die Studie­ tragenden. Dieser kommt mindestens fünf Minuten rende im Laufe der bis dato wohl spannendsten fünf zu spät, doch die „studenti“ verziehen keine Miene.

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Im Land von Pasta, Pizza und anderen Köstlichkeiten wird man verwöhnt, wenn man das Geld dafür hat. Ein süßes Leben, la dolce vita, ist dann garantiert. Im Gegenteil: Italienische Studierende sind angenehme Kollegen. Während den Vorlesungen wird kaum getratscht, zudem werden Blicke auf mobile End­ geräte weitgehend vermieden.

@DavidBaumi

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Dies soll aber nicht heißen, dass Itali­ enerinnen und Italiener brav und leise sind. Im Gegenteil – im Süden kommt man mit einem lauten Sprechorgan zur Welt. Und was unsere Nachbarn noch auszeichnet, ist ihre Art, mit den Händen zu kommunizieren. Für bei­ nahe jede Lebenssituation gibt es eine entsprechende Geste. Sich diese anzu­ eignen, gleicht ein wenig dem Studium einer Lektion Vokabeln. Mit einem Unterschied: Der Spaßfaktor ist hö­ her. Auch in der Universität beruht die Kommunikation zwischen Professoren und Studierenden hie und da nur auf wenigen Handbewegungen.

La dolce vita. Zugegeben: Man ist nicht (nur) zum Studieren nach Italien gekommen. Im Land von Pasta, Pizza und anderen Köstlichkeiten wird man verwöhnt, wenn man das Geld dafür hat. Ein süßes Leben, la dolce vita, ist dann garantiert. Wenn man vor einer „Salumeria“ steht, in der ausschließlich Salami, Prosciutto und Parmiggiano verkauft werden, dann weiß man, was man an diesem Land hat. Es sind jedoch nicht nur jene Gaumenschmäuse, die über die Landesgrenzen hinweg und in­ ternational bekannt sind, die die italie­ nische Küche ausmachen – jede Region bietet ihre eigenen Spezialitäten. Oft auch mehrere. Und so viel sei gesagt: Man hat ein schlechtes Gewissen, wenn man sie nicht alle probiert. Nicht umsonst gibt es folgende Weisheit: „L’importante è mangiare bene“ – es ist wichtig, gut zu essen.


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Wissensaustausch mal anders

Ein Wochenende lang schlugen bereits zum fünften Mal BarCamper ihre Zelte an der FH JOANNEUM in Graz auf. Von schamanischen Krafttieren über Jugendpolitik am Land bis hin zu Methoden für mehr Spaß am Arbeitsplatz – die Themenliste der „Ad-hocNicht-Konferenz“ hätte bunter nicht sein können. Von: Lucas Kundigraber

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rotz Traumwetter und sommer­ licher Außentemperaturen tum­ melten sich von 11. bis 13. April jeden Morgen dutzende Gäste im BarCamp-Aufenthaltsraum für eine ultrakom­pakte Speed-Vorstellung. Vor­ name, drei Schlagwörter zur Person und etwaige Session-Vorschläge – das sollte fürs Erste genügen.

Anschließend wurden alle Themen einem der fünf Bereiche – Wissen, Design, Politik, App-Development, Start-up – zugeteilt und mit Time-Slot versehen. Das läutete den Startschuss der Unkonferenz ein, das Tagespro­ gramm konnte losgehen. Und erst jetzt wussten die BarCamper, ob sich die Anreise für sie überhaupt gelohnt hat. Wer sich Frontalvorträge erhoffte, war beim BarCamp Graz fehl am Platz. Viel­ mehr versammelten sich Gleichgesinnte in den Session-Räumen, um Themen von verschiedenen Standpunkten aus zu diskutieren. Durch den Mix aus Exper­

tenwissen und unvoreingenommenen Meinungen von Menschen ohne Vor­ kenntnisse konnten beide Seiten von­ einander profitieren. Dass die eine oder andere Session gegen Ende hin mit dem Ursprungsthema nichts mehr zu tun hatte, war aufgrund der laschen Moderation unabdingbar – gestört hat das allerdings niemanden. Neu war im Vergleich zum Vorjahr eine eigene BarCamp-Charta. Nach einem Sexismusvorfall wollte sich das Organisationsteam mit einigen Be­ nimmregeln von vornherein absichern. Ob es an diesen Regeln lag oder nicht – Verstöße jeglicher Art und Weise blieben aus. Das Resultat nach drei Tagen Bar­ Camp Graz: spannende Einblicke in bisher völlig unbekannte Themenge­ biete, viele neue Kontakte und zufrie­ dene BarCamper quer durch die Bank. Bereits fix: Auch nächstes Jahr wird das BarCamp Graz wieder an der FH JOANNEUM stattfinden.

i BarCamp Ein BarCamp ist eine offene Veranstaltung, deren Workshops und Vorträge im Laufe des Programms von den Teilnehmern selbst entwickelt und gestaltet werden.

The Rules of BarCamp In Anlehnung an David Finchers legendären Film Fight Club gibt es auch während eines BarCamps acht goldene Regeln zu beachten: 1.You do talk about BarCamp. 2.You do blog about BarCamp. 3. If you want to present, you must write your topic and name in a presentation slot. 4. Only three word intros. 5. As many presentations at a time as facilities allow for. 6. No pre-scheduled presentations, no tourists. 7. Presentations will go on as long as they have to or until they run into another presentation slot. 8. If this is your first time at BarCamp, you have to present. Quelle: Tantek Çelik

@lukekundigraber

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FH LIVE

ALTES RATHAUS

FH JOANNEUM KAPFENBERG

BURG OBERKAPFENBERG

Aktuelles aus Kapfenberg

Text: Rebekka Köll Illustration: Greta Grabner

Internationale Partys, regionale Wanderungen und ungewöhnliche Sportarten. Was in Kapfenberg so alles los ist.

Portfolio: gretagrabner.at

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ass die FH JOANNEUM „happy, diverse and internat­ ional“ ist, zeigt nicht nur das neue Happy-Video der Fachhochschule. Einmal in Monat findet in Kapfenberg eine „International Campus Party“ statt, bei der jedes Mal ein anderes Land den Schwerpunkt setzt: Neben der „Spanish Night“ standen bereits Deutschland, Mexiko und die Nieder­ lande im Mittelpunkt. Es werden für das jeweilige Land typische Getränke und Speisen serviert sowie die passende Musik gespielt. Teil der Party ist auch ein Pub-Quiz, welches von Studenten sehr gerne besucht wird, um ihr Wissen unter Beweis zu stellen. Etwas heimatverbundener wird es da bei einer anderen Veranstaltung: Die ÖH organisiert und finanziert heuer

eine Wanderung auf die idyllisch gele­ gene Fölzalm mit anschließender Über­ nachtung. Für diejenigen, die nicht genug vom Bergsteigen bekommen können, geht es am nächsten Tag weiter auf den Fölzstein (1946 m). Für Abwechslung sorgt auch der FH-Sport in Kapfenberg. Angeboten werden verschiedene Sportarten wie Schwimmen, Fußball oder Volley­ ball, aber auch Unkonventionelles wie Ultimate Frisbee. Wer nun denkt, dass „Frisbee“ ein Spiel für faule Studenten ist, der täuscht sich. In Wirklichkeit ist Ultimate Frisbee eine schnelle, taktisch anspruchsvolle Sportart, bei der man schon nach kurzer Zeit aus der Puste kommt. Das Spiel ist ein Mix aus American Football und Basketball, wobei das Spielgerät eben ein Frisbee ist. Ausprobieren lohnt sich!


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Ski, Party und Wein in Graz Z

Text: Annabel Spötl Illustration: Greta Grabner

u Beginn des Semesters gab es einen aktions­ reichen Trip in das Kärntner Skigebiet „Turracher Höhe“, bei dem die Studierenden die Pisten unsicher machten. Für alle, die sich nicht auf das Skifahren beziehungsweise Snowboarden be­ schränken wollten, bestand auch die Möglichkeit mit dem achterbahnähnlichen „Nocky Flitzer“ eine Runde zu düsen. Und selbstverständlich durfte auch das Après-Ski nicht fehlen – ein wunderbarer Skitag fand so seinen würdigen Ausklang.

Für Weinkenner und für jene, die es noch werden wollten, organisierte die öh joanneum eine entspre­ chende Schulung im Wein & Co Graz. Dort wurden den Teilnehmern die Weinsprache und Wissenswertes über den Herstellungsprozess nähergebracht, und somit Pseudo-Weinschwenkerei und Halbwissen ein Ende gesetzt. Ein passionierter Sommelier verlieh Ein­ blicke in österreichische Weine, erklärte die richtige Verkostung und wie man das Geschmackserlebnis in die richtigen Worte fasst.

Gefeiert wurde auch bei der ersten offiziellen FH-Party in der „Feierlaune“. Studierende organisierten diese, um in einer gemütlichen Atmosphäre neue Kollegen der FH JOANNEUM kennenzulernen. Das Motto der Party war „Suit up“, was dem Event ein edles Flair verlieh. Die Stimmung war gut und die Bar in der Harrachgasse zum Bersten voll.

Die bisherigen Events waren ein voller Erfolg und es wird deshalb auch weiterhin derartige Angebote und Feiermöglichkeiten geben. Aktuelle Veranstaltungen und Angebote findet ihr deshalb auf unserer Website www.oeh-joanneum.at. Für neue Ideen und Vor­ schlägen von Events und Ausflügen sind wir immer offen, denn: ÖH ist, was du draus machst!

FH JOANNEUM GRAZ

gretagrabner.at

UHRTURM STADTPARK

In Graz tut sich dieses Semester einiges. Die engagierten Standortsprecher haben abwechslungsreiche Events für die Studierenden organisiert.

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FH JOANNEUM BAD GLEICHENBERG

Bad Gleichenberg feiert die Zukunft

RIEGERSBURG

KIRCHE

Text: Thomas Lanner Illustration: Greta Grabner

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emeinsam erleben, gemeinsam laufen, gemeinsam feiern“ – unter diesem Motto stand am 9. Mai das „Fest der Zukunft“ der FH JOANNEUM im Kurpark von Bad Gleichenberg. Der Spaß an der Be­ wegung wurde besonders beim Wasser­ kruglauf groß geschrieben. Dort kamen aber nicht nur Sportbegeisterte und Laufwütige auf ihre Kosten, sondern jeder, der Spaß an Bewegung und Lust mitzumachen hatte. Antreten konn­ te man dabei im Staffellauf, bei der Kreativstaffel oder der NordicWalking-Gruppe. Wer sich nicht unbedingt bewegen wollte, konnte mit Studierenden und anderen Gästen gemütlich beisammen

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gretagrabner.at

Feuchtfröhlich ging es dieses Jahr beim „Fest der Zukunft“ mit Wasserkruglauf und anschließender FH-Party zu. sitzen und entspannt den Tag genie­ ßen. Ein spannendes Unterhaltungs­ programm wurde aber auch den klei­ nen Gästen geboten: Ob Kistenkraxln, Ponyreiten oder Hüpfburg – für ausrei­ chend Spiel und Spaß ward gesorgt. Für

die „Großen“ gab es zusätzlich noch Tanzaufführungen, einen Wirtelauf und ausreichend Speis und Trank. Wer dann noch immer nicht genug hatte, ließ den Tag bei der anschließenden FH-Party gebührend ausklingen.


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Monat der freien Bildung Neun steirische Hochschüler­Innenschaften machten den Mai zum „Monat der freien Bildung“. Rund 100 Lehrveranstalt­ungen im öffentlichen Raum fanden statt – vom Park übers Kaffeehaus bis zum Cabriobus. Ein Rückblick.

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ochschulen werden von Außenstehenden oft als mystisches Gebilde wahrgenommen, als elitäre, abgeschottete Bildungseinrich­ tungen. Quasi als ‚Nabelschau Intellektueller’. Die Verbindung zur Gesellschaft, der Alltagsbezug, ist oft unterbewertet, deswegen aber nicht weniger wich­ tig“, meint Organisator Florian Kubin von der TU Graz. Die Idee hinter dem Monat der freien Bildung war es, die Leistungen der Hochschulen ins Rampen­ licht zu stellen und mehr Verständnis für ihre Arbeit zu schaffen. Von Astronomie über Kunst und Soziologie bis hin zur Krebsforschung und Hospizbetreuung reichte das Themenspektrum beim diesjährigen Monat der freien

Von: Lucas Kundigraber Foto: HTU Graz @lukekundigraber

Bildung. Beteiligt am Projekt waren neun steirische HochschülerInnenschaften. Auch bei der Karl-Fran­ zens-Universität freute man sich über die interdiszi­ plinäre Zusammenarbeit. Rektorin Christa Neuper äußerte sich positiv, dass auf diese Weise internatio­ nale Karriereperspektiven eröffnet werden. Die Veranstaltungen im öffentlichen Raum richteten sich vor allem an Schüler und Berufstätige. Mit der Beteiligung im heurigen Jahr sind die Organisa­toren sehr zufrieden. „Schüler und Berufstätige sollen im Monat der freien Bildung ja zum Zuhören und Mit­ diskutieren animiert werden“, sagt Annabel Spötl von der öh joanneum. „Wir freuen uns über jeden Einzelnen, der gekommen ist und mitgemacht hat.“

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24 Stunden Text: Camilla Annabith & Anna-Magdalena Druško

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@Anna_Drusko


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Beeinflussung durch Medien, Vorschriften und Erwartungs­ haltungen, die erfüllt werden müssen – kann ein Tages­ ablauf überhaupt noch selbst bestimmt werden? Wir sagen: Ja! Frei nach dem Motto „Mach’s dir selbst“ haben wir Vorschläge für einen Tag in der wunderschönen Landeshauptstadt Graz für euch. Vom Frühstücksbausatz über die Do-it-yourself-Tasche bis hin zur Selbstfindungs­ meditation ist alles dabei.

dem Stadtpark, verstärkt – und damit der Selbstbe­ stimmung von Radfahrern, Musikhörenden und an­ deren Parkbesuchern den Kampf angesagt. Deshalb wandern wir in den Augarten, denn dort darf Park­ besucherIn noch machen, was er/sie will. Unser Tipp: Die Slackline auspacken und von Baum zu Baum balancieren! Um auch für innere Balance zu sorgen, gibt’s als Erfrischung ein Makava im Auschlössl.

16.00 Uhr

Heidenspass Um die FH-Unterlagen gut zu verstauen, braucht es eine robuste und dennoch coole Tasche. Die immer gleichen Motive bei Großkonzernen zu kaufen, macht doch eh jeder. Lieber zu Heidenspass gehen, ein lokales Unternehmen unterstützen und: selber gestalten! Neben Farbe, Gurt und Futter entwirft man auch die Collage auf der Tasche selbst. Aber Achtung: Der Heidenspass kostet.

18.00 Uhr

Fahrradküche Wenn der Weg dich mal wieder über das Scherben­ meer des Grazer Nachtlebens geführt hat und der Fahrradschlauch sich entsprechend löchrig zeigt, dann schnapp dir deinen Drahtesel und nimm die Pflege selbst in die Hand. In der Fahrradküche wer­ den dir alle Zutaten für die selbstbestimmte Mobi­ lität zur Verfügung gestellt. Außerdem gibt’s Unter­ stützung beim DIY-Werkeln.

20.00 Uhr

Meditation oder Party? 09.00 Uhr

Frühstücksbausatz Spiegelei, Nutella und Essiggurken passen nicht zu­ sammen? In der neuen Sägewerk-Filiale kannst du dir das Frühstück ganz nach deinen persönlichen Vor­ lieben zusammenstellen – egal, wie abgedreht. Wenn die frühe Stunde oder der gepflegte Kater keine klare Entscheidung zulassen, kannst du auch ganz mutig sein und die Kreuzchen blind setzen.

12.00 Uhr

Augarten Vergangenen Sommer hat die Stadt Graz nicht nur ein neues Veranstaltungsgesetz erlassen, sondern dar­ über hinaus auch die Kontrollen in Parks, vorranging

Zur Abendgestaltung schlagen wir euch zweierlei vor: Mediation zur Selbstfindung oder einen Cock­ tail im Café Mitte. Bei der offenen Meditationsein­ heit im Shedrupling, dem buddhistischen Zentrum in Graz, gibt es Anleitungen zu Übungen für Körper, Atmung und Geist. Es ist offen für alle, die gemein­ sam und regelmäßig üben oder einmal schnuppern möchten. Vorkenntnisse sind nicht notwendig – alles, was man braucht, ist bequeme Kleidung. Die innere Mitte findest du lieber bei einem Bier? Dann ab ins Café Mitte! Wem das traditionelle Fortgehen zu mo­ noton geworden ist, der versucht im Lokal mitten in der Innenstadt sein Glück. Zwischen thailändischer und vietnamesicher Küche, regelmäßiger Live-Musik und einer vielfältigen Getränkekarte hat man hier die Möglichkeit, auch in der kleinen, aber feinen Biblio­ thek zu schmökern. Wo hier die Selbstbestimmung bleibt? Im ganzen Lokal herrscht Selbstbedienung.

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Text: Stefanie Tomaschitz Input: Martina Klรถckl Illustration: Susanne Fellner

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Zukunft am Teller D

ie westliche Gesellschaft ist daran gewöhnt, sie immer und überall haben zu können. Jeder von uns braucht sie, tagtäglich. Vor­ handen sind sie im Überfluss. Und im Leben eines LEB-Studierenden spielen sie eine ganz besondere Rolle: Lebensmittel. Die Aufgabe eines Lebensmittelmanagers ist es, zu­ kunftsorientierte Lösungen und nachhaltige Ideen entlang der Wertschöpfungskette eines Nahrungs­ mittels zu entwickeln. Oder, um es anders auszudrü­ cken: Sie sollen das Beste aus den Dingen machen, die bei uns wachsen und gedeihen. Zur Ausbildung solcher Experten für die Lebensmittelindustrie gibt es seit Oktober 2012 den Studiengang „Nachhaltiges Lebensmittelmanagement/Sustainable Food Manage­ ment“ an der FH JOANNEUM in Graz.

Kräuter pflücken und Schweine schlachten. Das Studium ist „ein bisserl naturwissenschaftlich, ein bisserl technisch und auch ein bisserl wirtschaftlich“, meint Studentin Martina Klöckl. Die Studenten ana­ lysieren bereits im ersten Semester den Lebenszyklus eines ausgewählten Lebensmittels: von der Herstel­ lung der einzelnen Rohstoffe über die Verarbeitung zu einem Endprodukt bis hin zum Vertrieb und Verkauf. In Lehrveranstaltungen wie „Angewandte Tierhaltung“ und „Pflanzenbau“ erlernen die Studie­ renden Grundlagen der Landwirtschaft; in „Quali­ tätsmanagement“ und „Hygiene“ werden anerkannte Zertifikate erworben. Chemie und Biologie spie­ len eine wichtige Rolle im LEB-Studium, ebenso die Bereiche Verfahrenstechnik, Betriebswirtschaft

Sie sagen den Pferdefleisch-Tortellini und dem ListerienQuargel den Kampf an: Absolventen des Studiengangs „Nachhaltiges Lebensmittelmanagement“ (LEB) machen das Beste aus dem, was bei uns wächst und gedeiht – vom Feld bis auf den Teller.

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Dass sich die eigenen Konsum­ gewohnheiten durch das Studium stark ändern, bestätigen die Studierenden. Eine von ihnen verzweifelt des Öfteren im Supermarkt: „Ich weiß oft schon gar nicht mehr, was ich dort kaufen soll. Am Ende dann meistens gar nichts.“ und Ernährung. Die LEBler setzen ihre Theorie übrigens auch gern in die Praxis um: Sie absolvieren Pflicht­ praktika im Ausmaß von insgesamt 30 Wochen in unterschiedlichsten Bereichen. Die einen verarbeiten auf einem Biohof Kräuter zu Biotee, zerteilen am Schlachthof Schweine oder analysieren im Labor Bakterien. Andere konzipieren eine Ausstellung für Wein und Kulinarik oder arbeiteten im Marketing. Den Abschluss des Stu­ diums bildet – neben der Bachelorar­ beit – ein Projekt im sechsten Semester, in dem ein zukunftsweisendes Produkt und dessen internationale Marktein­ führung konzipiert werden. Einkaufen mit Hirn und Jutebeutel. Der durchschnittliche LEBler trinkt sei­ nen selbstgemachten Holundersaft aus­ schließlich aus der Glasflasche – eine Besonderheit, die sofort ins Auge sticht. Der Einkauf im Supermarkt stellt sich außerdem als zeitaufwändiges Ana­ lyseverfahren heraus: Nach einem genauen Blick auf die Zutaten wird das Produkt meist zurück an seinen Platz gelegt; der LEB-Student begibt sich lieber mit leerem Stoffsackerl

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zum Bauernmarkt. Dass sich die eige­ nen Konsumgewohnheiten durch das Studium stark ändern, bestätigen die Studierenden. Eine von ihnen verzwei­ felt des Öfteren im Supermarkt: „Ich weiß oft schon gar nicht mehr, was ich dort kaufen soll. Am Ende dann meis­ tens gar nichts.“ Einstehen für das, was auf den Teller kommt. Wohin es die zukünftigen Lebensmittelexperten verschlagen wird, ist für die meisten unklar. In Zeiten von Pferdefleischskandal, Etiketten­ schwindel und Rinderwahnsinn sind sie jedoch unverzichtbare Akteure der Lebensmittelindustrie. Nachdem wir Lebensmittel immer brauchen werden und deren Qualität zunehmend wich­ tiger wird, eröffnen sich viele Arbeits­ bereiche für die Absolventen des Studiengangs. Beispielsweise in der Landwirtschaft, in der Verarbeitung, im Handel, in der Gastronomie oder in Interessenvertretungen. In diesen Be­ reichen sollen sie mit ihrem Know-how vor allem heimische Betriebe dabei un­ terstützen, eine hohe Qualität der Pro­ dukte und Prozesse zu sichern, um so unsere Zukunft nachhaltig zu gestalten.

@StefanieTheres


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Werde, der du bist! Warum man seinen Traum nicht studieren, sondern auch leben sollte. Ein Plädoyer für ein selbstbestimmtes Leben. Text: Christoph Schattleitner Illustration: Philip Kuttnig

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elbstbestimmung – das ist ein großes Wort. Es lässt sich schwer fassen, denn Entscheidungen ganz ohne externe Einflüsse zu fällen geht nicht. Muss es auch nicht. Manchmal ist Fremdbestimmung ja etwas richtig Schönes. Etwa beim Musikhören nimmt einem das Radio das ständige Entscheiden ab. Nicht immer wollen wir genau bestimmen, was wir wollen. Große Dinge seines Lebens sollte man aber nicht dem Zufall oder anderen überlassen. Hier heißt es, das Leben selbst in die Hand zu nehmen.

Genieß es, Baby! Das Leben ist schön, denn es liegt größtenteils in deiner Hand. „Die Götter beneiden uns, weil wir sterblich sind“, sagt Achilles im Film Troja. „You Only Live Once“ stand schon in der Bibel. Das Wissen um den eigenen Tod gibt uns po­ sitiven Druck: Jeder Moment könnte der letzte sein. Also mach’, was du gern machst! Und tu es oft. Wenn du etwas nicht gern machst, dann lass es sein. Du bist kein Baum, du kannst dich bewegen und verändern.

Nur Mut! Wer seinen eigenen Weg geht, geht oft einen Was ist der Sinn deines Lebens? Selbstbestim­ Weg, der nicht frei von Stolpersteinen ist. Der größte mung heißt, so zu leben, wie man es möchte. Grund­ Stein auf dem Weg zur Selbstbestimmung ist Angst. voraussetzung dafür ist zu wissen, was man will: Wer Angst vor dem Versagen, den anderen oder vor sonst kein Ziel vor Augen hat, kann auch den Weg dorthin etwas hemmt uns darin, der Mensch zu sein, der wir nicht gehen. Und an dieser Stelle stellt sich unweiger­ sein wollen Das Ziel stimmt, der Mumm fehlt. „Never lich die große Frage nach dem eigentlichen Sinn des let your fear decide your fate“ – „lasse niemals Angst Lebens. Für jeden ist er etwas anderes, jeder sollte dein Schicksal bestimmen“ – fordern Awolnation ihn für sich selbst finden. John Lennon etwa wurde in ihrem Song „Kill Your Heroes“. Es braucht Mut in der Schule gefragt, was er später denn einmal sein zum Versagen, um erfolgreich zu werden. Denn: Feh­ wolle. „Glücklich“, antwortete er und sorgte damit ler sind keine Fehler. Sie sind Erfahrungen fürs Leben für Verwunderung bei seinem Lehrer, der sich wohl – vorausgesetzt, man wiederholt sie nicht. Deshalb: eine Berufsbezeichnung erwartet hatte. Einige wollen Habe Mut, womöglich den falschen Weg zu gehen – durch ihr Sein mehr Liebe in die Welt bringen, an­ im Wissen, dass es der eigene ist. dere möchten die Welt retten, wieder andere möch­ ten viel von ihr sehen. Letztendlich ist es egal, wofür Live for your dream! „Wie schauen die Jobaussichten man brennt. Nur: Etwas sollte es sein. Wie wichtig nach dem Studium aus?“, wird man als Student im­ (unrealistische) Visionen sind, besingt Xavier Naidoo mer wieder von Bekannten und interessierten Be­ in „Bitte hör nicht auf zu träumen“: „Du bist die werbern gefragt. Oft ist diese Frage die wichtigste Zukunft, du bist dein Glück.“ für die Studienwahl – vor allem für die besorgten

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@Schattleitner schattenblicke.at

Eltern. Dabei wäre „Scheiß drauf!“ eigentlich die beste Antwort. Warum soll man sich als Student danach richten, was am Markt gerade gefragt wird? Warum nicht das studieren, worauf man Bock hat? Warum nicht das studieren, wofür man liebend gern montags um 06:00 Uhr aufsteht? Wenn der Sinn des Lebens nur daraus besteht, irgendeinen (gut bezahlten) Job zu bekommen, dann sollte man etwas mit guten Job­ aussichten studieren. Wenn man aber etwas machen möchte, das einen glücklich macht, dann sollte man seinem Traum hinterherjagen – egal, wie schlecht die Jobprognosen sind. Denn: Was du gerne machst, machst du gut. Und für Talente mit Leidenschaft ist immer Platz. „Study your dream“ ist ein schöner Slogan für eine Fachhochschule. Aber warum nur aufs Studieren be­

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schränken? „Lass uns doch Geschichten schreiben, die wir später gern erzählen ; Lass uns alles tun, weil wir können und nicht müssen ; Lass mal werden, wer wir sein wollen“, dichtete Julia Engelmann eindrucks­ voll bei einem Poetry Slam. „Und eines Tages, Baby, da werden wir alt sein, und an all die Geschichten denken, die wir hätten erzählen können. Und die Geschichten, die wir dann stattdessen erzählen, werden traurige Konjunktive sein.“ Zum Beispiel: Stell dir vor, du hättest einen Job ge­ habt, bei dem du täglich zehn Stunden an der Erfül­ lung deines Traums gearbeitet hättest. Stell dir vor, du hättest den Großteil deiner Energie für jene Sache verwendet, die dir Sinn im Leben gibt. Stell dir vor, du hättest selbst über dein Leben entscheiden können. Stell dir vor: Du kannst.


FH LIVE

Der aus dem

Web

kam

Text: Anna Felber Fotos: Lucas Kundigraber

Martin ist eine fiktive Person. Er war ein unbeschriebenes Blatt. Heinz Wittenbrink, designierter Leiter des Masterstudiengangs „Content-Strategie und digitale Kom­munikation“, durfte ihn nach seinen Wünschen formen – zum idealen Studenten.

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oher kommt Martin? Muss er aus der Steiermark sein? Er kommt natürlich aus dem Web. Martin ist jemand, der online sehr aktiv ist. Der Wohnort sollte eigen­tlich egal sein, aber er muss natürlich hin und wieder herkommen. Zwei Wochen und zwei Wochenenden pro Semester sind geplant.

Was macht er in dieser Zeit? Er hat intensive Lehrveranstaltungen und sollte sich mit den anderen vernet­ zen, sowohl mit den Studierenden als auch mit den Lehrenden. People Skills sind da ganz wichtig, und er muss in der Lage sein, Wissen in Gruppen aufzu­ bauen. Er bekommt nicht etwas Fixes vor­gesetzt, das er mit nachhause nimmt. Er hat natürlich schon einen Bachelorabschluss. Aber welchen? Da sind wir sehr offen. Er könnte aus dem Bereich Kommunikation bzw. Journalismus kommen, oder Internet

und Technik, aber auch aus dem Mar­ keting. Wichtiger sind die persönlichen Voraussetzungen. Die da wären? Es gibt ein paar zwingende Kriterien: dass er Englisch kann, wissenschaft­ lich schreiben kann, etwas HTML und CSS beherrscht. Dann braucht er eine entsprechende fachliche Vorbildung, Kommunikationsfähigkeiten und einen Job, schließlich ist das Studium ja berufsbegleitend. Welchen Beruf hat er derzeit? Naja, er könnte in einem Unternehmen verantwortlich für die Webkommuni­ kation sein. Idealerweise kann er die Projektarbeiten, die einen Großteil des Studiums ausmachen, innerhalb des Berufs erledigen. Was macht Martin sonst noch, außer zu arbeiten und zu studieren? Er ist kommunikativ und setzt sich gern

mit vielen unterschiedlichen Menschen auseinander. Hoffentlich ist er sehr neugierig, verfolgt neue Medien und Onlinekommunikation und ist sich be­ wusst, dass sich da ständig viel ändert. Martin hat Deutsch als Muttersprache, Englisch kann er auf Maturaniveau. Wie oft wird er das brauchen? Er wird viel Englisch brauchen. Er muss dazu in der Lage sein, wirklich anspruchsvollen Lehrveranstaltungen auf Englisch zu folgen. Es ist nicht auszuschließen, dass er das komplette Studium auf Englisch absolvieren muss. Haben Sie noch Wünsche an Martin? Er sollte etwas Spielerisches haben. Sa­ chen gern ausprobieren. Und vielleicht weiblich sein. Diese Webdinge machen ja nicht nur Männer. i CONTENT-STRATEGIE UND DIGITALE KOMMUNIKATION

Start: voraussichtlich Herbst 2014 Studienplätze: 20 Dauer: 4 Semester Was lernt man? Content-Projekte, speziell WebContent-Projekte, im Interesse einer Organisation professionell zu planen und zu organisieren

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IMPRESSUM FH LIVE

Von Physik zu PR Was macht die perfekte Student­in für den Masterlehr­ gang „Public Communication“ aus? Studiengangsleiter FH-Prof. Mag. Dr. Heinz M. Fischer erzählte, was Martina tun und können muss.

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oher kommt Martina? Beispielsweise aus Nieder­ österreich, Kärnten oder der Steiermark. Wir verstehen uns als österreichisches Studium, die Teil­ nehmer können und sollen aus den Bundes­ländern kommen.

Wenn sie etwa aus Niederösterreich kommt, warum studiert sie genau Public Communication in Graz? Weil dieses Studium einzigartig in Öster­reich ist. Auch, wenn das Angebot an Studienrichtungen im Medien­ bereich gewachsen ist, ist unsere Kon­ zeption sehr neu: Wir wollen eine Neudefinition von Presse- und Öffent­ lichkeitsarbeit. i PUBLIC COMMUNICATION Studienplätze: 18 Dauer: 4 Semester Was lernt man? Kommunikationsleistungen für ein Unternehmen oder eine Organisation professionell zu gestalten

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Woher weiß Martina, was der Studien­ gang kann? War sie beim Tag der offenen Tür oder ähnlichen Veranstaltungen? Wir machen proaktiv PR, also wir machen Public Communication für Public Communication. Wir fahren in die Bundesländer, kontaktieren Unter­ nehmen aus der Kommunikationsbran­ che für die der Lehrgang spannend sein könnte. Wir sind in den Medien, in Social Media, und so weiter. Martina muss ja einen Bachelorabschluss haben, damit sie den Lehrgang machen kann … Es muss nicht unbedingt ein Bache­ lor sein! Jede Art von Abschluss geht, das kann auch ein Magister- oder Doktorats­studium sein. Wenn man kein abgeschlossenes Studium hat, lässt sich das etwa durch nachweisbare mehrjähri­ ge Berufserfahrung in der Medien- oder Kommunikations­branche kompensieren.


FH LIVE

Angenommen, sie hat ein Bachelorstudium absolviert. Welcher Bereich wäre ideal? Es würde eigentlich alles funktionieren. Alles? Auch Physik? Ja, auch! Es gibt ja keine Disziplin, kei­ nen Beruf, der ohne Kommunikation auskommt. Das wird in Zukunft noch viel stärker werden. Der Lehrgang ist berufsbegleitend ausgelegt. Welchen Beruf hat Martina momentan? Idealerweise macht sie PR für politi­ sche Institutionen wie zum Beispiel Stadtmarketing für eine Gemeinde oder Regionalentwicklung oder kommunale

PR, wie sie bei den Gemeindefusionen nötig gewesen wäre, für das Land. Welche Kompetenzen hat sie? Englisch braucht sie mindestens auf Maturaniveau. Medienkenntnis ist von Vorteil, aber nicht verpflichtend. Fach­ kenntnisse, zum Beispiel über Twitter, braucht sie noch nicht – die bekommt sie schließlich hier an der FH. Unter der Woche kommunale PR, am Woch­en­­­ende FH. Was macht sie sonst noch? Sie reist gerne. Und sie ist natürlich in­ teressiert am wirtschaftlichen Gesche­ hen, an Medien und Kommunikation.

Haben Sie noch einen Wunsch an Martina? Sie muss wissen, was es heißt, berufs­ begleitend zu studieren. Außerdem sollten ihre Vorstellungen vom Studien­ inhalt mit dem zusammenpassen, was wir anbieten. Ganz wichtig: Sie muss persönlich konsequent arbeiten. Das Studium ist eine große Herausforde­ rung, und das vier Semester lang.

@Anna_Flb @lukekundigraber

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(K)eine bessere

Muslima Medina ist gebürtige Bosnierin, 22 Jahre alt, Muslima. Aus Angst vor Ausgrenzung wagte sie es jahrelang nicht, in Österreich ein Kopftuch zu tragen. Mittlerweile hat sich für die Kopf­ bedeckung entschieden. Ein Entschluss, den sie nicht bereut. Text: Anna-Magdalena Druško Fotos: Lucas Kundigraber

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K @Anna_Drusko @lukekundigraber

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viel zu steirisch redet sie, sagt Medina. Doch je länger die junge Frau wartete, umso mehr ärgerte sie sich: „Wieso soll ich es der Gesellschaft mit einem Ver­ zicht recht machen, wenn mir das Ge­ genteil so viel bedeuten würde?“ Auch ihr Ehemann bekam Medinas inneren Konflikt mit – Kopftuch ja, Kopftuch aum trägst du ein Kopftuch, wirst du nein? Obwohl sie seit drei Jahren ver­ abgestempelt“, beschwert sich die Stu­ heiratet waren, gab er keine Meinung dentin. Das ist wohl einer der Gründe, dazu ab. Ob seine Frau ein Kopftuch warum Medina erst seit dem letzten trägt oder nicht, sei ihm vollkommen Sommer ihren Kopf bedeckt. Dabei egal. Ganz im Gegensatz zum Vater stand für sie nie zur Debatte, ob sie der Studentin, der sich Sorgen machte sich für die religiöse Praxis entscheiden und die Bedeckung nicht befürwortete soll oder nicht. Vielmehr war es die – aus Angst vor Ausgrenzung der Toch­ Angst, von der österreichischen Gesell­ ter in der Gesellschaft. schaft ausgegrenzt zu werden, die sie davon abhielt. Und dann war Ramadan. Die muslimi­ sche Fastenzeit bedeutete für Medina Ursprünglich wollte Medina zuerst ihr eine intensive spirituelle Auseinander­ Pädagogik-Studium beenden, den Ab­ setzung – sowohl mit sich selbst als schluss als Neubeginn für eine Verände­ auch mit ihrem Glauben. Und sie fass­ rung nutzen. Denn sie hatte Angst vor te den Entschluss, mit dem Tragen des den Reaktionen der Mitstudierenden, Kopftuches der ganzen Welt zu zeigen, würde sie plötzlich mit Kopftuch im was für eine stolze Muslima sie ist. Die Seminar stehen. Die meisten wussten Reaktionen ihres Umfelds waren ver­ nicht einmal, dass sie nicht aus Öster­ schieden: Die einen bewunderten ihr reich stammt. Viel zu angepasst ist sie, Selbstbewusstsein, bei anderen stieß


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sie auf Unverständnis – als könnte sie nun etwas vom Leben verpassen. Doch die 22-Jährige hatte schon vor ihrem Ehemann Freunde und Beziehungen gehabt. Sie war ausgegangen, hatte Clubs besucht, Alkohol probiert. Doch wohlgefühlt hat sie sich dabei nie: „Ich bin einfach nicht der Typ für so etwas. Erst mit dem Kopftuch fühle ich mich richtig angekommen“. In ihrer Arbeit bei S.O.M.M, einem Verein zur Selbstorganisation von und für Migrantinnen und Musli­ minnen, ist das Kopftuch Alltag. Nie­ mand hinterfragt es, niemand wundert sich. Aber nicht überall wird Medinas Kleider­ wahl anstandslos akzeptiert: „In meinem Studium bin ich die Einzige mit Kopftuch. Zu Beginn ließen mich die Mitstudierenden sehr wohl spüren, dass sie mir misstrauen. Das hat mich unfassbar traurig gemacht“. Seit ihrer Entscheidung, das Kopftuch zu tragen, fühlt sie sich aber auch selbstbewusster. Auf die vollständige Akzeptanz der Gesellschaft wartet sie schon lange nicht mehr: „Ich mache endlich das, was ich will. Und es fühlt

sich richtig gut an!“. Als eine bessere Muslima sieht sich Medina trotzdem nicht, denn das Kopftuch allein macht nicht aus, wer sie ist. Sie ist sehr gläu­ big, richtet ihr ganzes Leben nach der Religion. Medina trifft keine Entschei­ dung unüberlegt, doch meistens trifft sie sie im Namen Gottes. Dennoch betrachtet sie sich als frei. Sie kön­ ne selbst bestimmen, was sie tue und was nicht, meint Medina. Ihr Glaube zwinge sie nicht, ein selbstbestimmtes Leben aufzugeben. So sehr sie selbst das Kopftuch befür­ wortet, so suspekt ist Medina jedoch die Burka. Eine vollkommene Ver­ schleierung hier in Österreich befür­ wortet sie nämlich nicht. „Es ist schon schwer genug, mit Kopftuch hier zu le­ ben, warum sollte man es sich mit einer kompletten Verschleierung schlimmer machen als nötig? Der Koran sieht das nicht für uns vor.“ Außerdem macht es für sie einen großen Unterschied, warum sich jemand für ein Kopftuch entscheidet. Manche möchten etwa vor Familie oder Freunden als „braves mus­ limisches Mäderl“ gelten. Von dieser

Einstellung hält Medina relativ wenig: Dem Entschluss für ein Kopftuch sollte ein tiefer und überzeugter Glaube zu Grunde liegen. Im August erwarten Medina und ihr Ehemann ihr erstes Kind, ein Mädchen. Dieses soll später selbst entscheiden können, ob es seinen Kopf bedecken möchte oder nicht. Medina will ihren Kindern die gleiche Freiheit lassen, die sie als Jugendliche erfahren durfte. Sie wünscht sich aber, dass die Dramatisie­ rung des Kopftuchtragens endlich ein Ende findet: „Ich vergleiche das eher mit gefärbten Haaren, einem Piercing oder einem Kleidungsstil. Ich laufe ja auch nicht herum und verurteile Men­ schen für derartige Entscheidungen“. Die junge Muslimin möchte, dass ihre Tochter glücklich wird und sich nicht rechtfertigen muss – egal, wie sie sich entscheidet. Anders entscheiden würde sich die wer­ dende Mutter selbst jedenfalls nicht. Viel zu wohl fühlt sie sich seit ihrem Entschluss in ihrer Haut. „Ich lebe nun mit einem reinen Gewissen“, meint sie mit einem Lächeln.

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One day, baby, we’ll be... Text: Markus Knauß Illustration: Hannes Mitterberger

Wir lauschen gefesselt den Worten von Poetry Slammerin Julia Engelmann in „One day / Reckoning Text“, weinen herzergreifend zum Film „Into the wild“ und lesen begeistert „Der Alchimist“ von Paulo Coelho. Und während wir diese Dinge schon längst auf unseren sozialen Profilen geshared haben, lassen wir uns davon inspirieren und malen uns aus, wie unser einzigartiges Leben aussehen soll. Tagtraum einer ganzen Generation: „One day, baby, we’ll be...“

S

elbstverwirklichung ist gerade DER Silberstreif haben. Ich schmeiß‘ Fuffis durch den Club und schrei am Horizont. Wenn jeder Traum platzt, oder „BO BO“ – mehr als 500 Likes und ich bin glücklich. erst gar keiner vorhanden ist, dann träumt der junge 0815-Mensch davon, selbst zu bestimmen und So stellt sich unsere Gesellschaft zurzeit Selbstver­ sich selbst zu verwirklichen. Was das genau heißt, wirklichung vor. Reichtum, Ruhm und ein großes wissen wir oft nicht, aber wenn es soweit ist, dann Publikum. Der große Durchbruch. Von jedem Cover werden wir schon ein klares Ziel vor Augen haben. lächeln. Es geht nicht darum, einen Inhalt zu vertreten Irgendetwas ist immer cool, da muss man mit dem oder für eine Sache zu stehen. Solange das Geld passt, Trend gehen. Der Typ im Fernsehen oder Internet hat ist der Traum erfüllt. es ja auch geschafft. Ganz ohne Hilfe. Und wenn der das schafft, dann kann ich das schon lange! Wir Idioten im Schlaraffenland. Während wir noch immer unseren feuchten Teenie-Träumen nachlaufen The Austrian Dream. Aber was ist in unserer Ge­ und hoffen, dass es irgendwann doch noch klappt, sellschaft gerade Trend im Bezug auf Selbstverwirk­ vergessen wir jedoch auf eine wichtige Tatsache. Und lichung? Grob geschätzt würde ich „Fette Kohle, hier kommt die Selbstbestimmung ins Spiel. Wir alle schöne Frauen und natürlich so viel Fame, wie geht“ haben unser eigenes Leben in der Hand, können jedem sagen. Natürlich sollte die ganze Welt dabei zuse­ einzelnen Traum nachjagen und so gut wie alles er­ hen, wie ich meinen Traum lebe, dafür haben wir ja reichen. Wir leben im Schlaraffenland namens Ös­ Facebook, Twitter und Instagram. Scheißegal, wenn terreich, welches uns in jeder Situation absichert. Kinder in Afrika verrotten, weil sie nichts zu essen Geht etwas schief, dann haben wir ein soziales Netz,

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Portfolio: hannesmitterberger.at

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Täglich sehen wir die grausame Realität im Internet oder Fernsehen, kurz bevor wir auf „How I Met Your Mother“ oder „The Big Bang Theory“ umschalten. Wer die Wahl hat ...

welches uns sicher auffängt. Die Risiken der Selbst­ verwirklichung sind somit ziemlich gering. Dieses Privileg hat nicht jeder Mensch.

im Internet oder Fernsehen, kurz bevor wir auf „How I Met Your Mother“ oder „The Big Bang Theory“ umschalten. Wer die Wahl hat ...

Aber warum leben so viele Menschen in einem mono­ tonen Alltag, anstatt ihre Träume zu verwirklichen? Warum träumen wir nur von der Veränderung, leben sie aber nicht? Einfache Antwort: Selbstverwirkli­ chung und Selbstbestimmung erfordern viel Arbeit, Herzblut und Durchhaltevermögen – die drei apoka­ lyptischen Reiter unserer Träume.

Während wir nicht wissen, was wir mit unserer Selbstbestimmung machen sollen, kämpfen andere Menschen für nur eine einzige Alternative. Protestie­ ren für nur eine einzige Wahl. Sterben für nur eine einzige Möglichkeit. Während wir über unsere „gol­ dene Zukunft“ fantasieren und nichts aus unserem Leben machen, versuchen Millionen von Menschen nur einen Bruchteil dieses Privilegs zu bekommen. Selbstbestimmung zu erlangen. Eine Alternative zu haben.

Realitätsverweigerung. Das größte Problem ist gleichzeitig das schönste Geschenk: Alternativen. Wir haben immer die Wahl. Wir müssen uns meist nicht einmal einen Weg erarbeiten, sondern lediglich zwischen den Wahlmöglichkeiten entscheiden. Im Laufe der Jahre ist dies zum Problem geworden. Wer immer die Wahl hat, verliert das Interesse an neuen Möglichkeiten. Wir Österreicher haben diesen Drang schon seit Jahren verloren. Sei es in der Politik, in der Wirtschaft oder im Studentenleben. Oder wie war das nochmal mit „Ohne Bildungsministerium geht gar nichts“?

@Knaussi dreamk.at

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Wenn wir ehrlich sind, dann haben wir uns zu Mini­ malisten entwickelt. Immer auf der Suche nach dem leichtesten Weg. Wir sind zu faulen Heuchlern ver­ kommen, die es nicht einmal schaffen, einem Thema länger als einen Tag unsere Aufmerksamkeit zu schen­ ken. Bildungsministerium? Längst vergessen. Ukraine? Scheißegal. Solange es uns nicht persönlich trifft, spüren wir keine Emotion mehr und scheren uns einen Dreck. Täglich sehen wir die grausame Realität

Quintessenz. Es geht uns allen viel zu gut. Wir haben unseren Mut verloren. Unsere Neugierde. Un­ ser Interesse am Leben. Das ist auch der Grund, war­ um wir diese Emotionspostings so sehr begehren. Sie geben uns die Hoffnung der Fiktion, dass wir es schaf­ fen könnten, zwingen uns aber nicht, es wirklich zu tun. Realitätsverweigerung auf höchstem Niveau. Vielleicht sollten wir unser Leben wieder selbst in die Hand nehmen. Endlich wieder einmal versuchen, Verantwortung zu übernehmen. Nicht immer den leichtesten Weg nehmen, sondern auch für eine Sache kämpfen. Stellung beziehen. Holen wir uns den Mut zurück. Wir sind jung, lernfähig und eine verdammt g‘scheite Generation – wir können unseren zukünfti­ gen Weg noch immer selbst bestimmen. Und wenn es nur eine kleine Veränderung im Alltag ist. Eine nette Geste. Ein ehrliches Lächeln. Wir können es besser machen. Und dann, eines Tages, Baby, ...


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W端rschtel mit Bart

Text: Clemens Wolf Fotos: Raphaela Klein & Stefanie Fertner

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Mut zur Matte. Haare sind auf dem Vormarsch, quer durch alle Geschlechter und Kรถrperregionen. Eine Betrachtung von Conchita bis Wurst. 32


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@Lupuslucens

A

nfang Mai rauschte eine Welle der Toleranz durch Europa. Im Zentrum der Aufmerksamkeit: eine Diva, ein Phönix und ein Bart. Weit aufsehenerregender als ihr Gewinn beim diesjährigen Song Contest war für viele allerdings, dass besagte Diva nicht mit einer Conchita punkten kann, sondern mit einer Wurst. Klarer Fall von Verpackungsschwindel also. Und dann wäre da natürlich noch der Bart. Das Wort „widernatürlich“ geht Kriti­ kern und Gegnern der Wurst leicht und nicht gerade selten über die Lippen, respektive Tasten, oft begleitet von ­ wesentlich deftigeren Ergüssen. „Wie soll ich das meinen Kindern erklären?“, fragt sich ein besorgter Internet-User. „Ein Mann in Frauenkleidern mit Bart? Das ist doch nicht normal“, gibt ein anderer zu bedenken. Aber ist es wirk­ lich so widernatürlich, wenn Conchita und Wurst Bart tragen? Oder auch Conchita Wurst? Haare um die Lippen. Conchita Wurst mag zwar eine Kunstfigur sein, aber sie ist die wohl mit Abstand natürlichste Drag Queen, die ich je gesehen habe. Zugegeben, nicht jeder Mann hat gleich viel Bartwuchs – bei manchen reicht es gerade einmal für einen schlechten Fleckerlteppich – aber Haare im Gesicht sind für Mann trotzdem recht normal. Wenn also ein Mann in Frauenkleidern sich weiterhin seinen Bart stehen lässt, kann das wohl mit­ nichten ein Zeichen für Widernatür­ lichkeit sein – au contraire. Nicht nur Ökos predigen dieser Tage, dass Haare an allen Ecken und Enden das Natürlichste auf dieser Welt sind. Auch der gemeine Hipster fühlt sich pudelwohl in seinem Fell. Gut, anders als bei den Ökos wird der Wildwuchs meist von einer etwas formschöneren Haarpracht abgelöst – das dafür aber

nicht nur am Kopf. Auch Achsel-, Brustund solche Haare, die maximal unter der Gürtellinie hervorblitzen, erleben bei Hipstern ungeahntes Wachstum. Das Haar an der Puppe. Apropos her­ vorblitzen: Die Kunde von der frisch hervorsprießenden Natürlichkeit hat mittlerweile auch ein amerikanisches Modelabel erreicht, das deshalb im Rahmen einer Werbeaktion seine (weiblichen!) Schaufensterpuppen in einem New Yorker Store untenrum gut bestückt hat – nicht so wie auf den diesjährigen Lifeball-Plakaten, sondern durch einen tiefen Griff in den Echt­ haar-Fundus. Damit trägt American Apparel der Erkenntnis Rechnung, dass der Hang zur Natürlichkeit längst keinen Unterschied mehr macht zwi­ schen Conchita und Wurst. Männlein wie Weiblein verweigern mittlerweile immer öfter den Schnitt im Schritt und feiern sich in ihrer wiedergewonnenen Naturverbundenheit – der nächste Weitsprung in Sachen Selbstverwirk­ lichung nach Insta-Filter und Selfie.

lich behaarter Phönix aus der Asche der gesellschaftlichen Repression auf­ erstanden. Europa applaudiert dieser Auferstehung und das Internet hat auch gleich das passende Meme parat: Con­ chita-Jesus, im Stil christlicher Ikonen. Das geht auf keine Wursthaut. Zur katholizismuskonformen Ikone dürfte es Conchita Wurst in absehbarer Zeit wohl nicht bringen. Denn während kaum ein gläubiger Christ mit Achseloder Schamhaaren bei Frauen ein Problem haben dürfte, erregen der Bart und das, wofür er steht, schon eher die konservativeren (Zeit-)Geister. Wenn dies das neue Gesicht Österreichs sei, sei das nur noch zum Genieren, raunz­ te unlängst etwa der katholisch-kon­ servative REKOS-Chef Ewald Stadler. Ungeniertere Töne finden sich vieler­ orts im Netz. Der Fairness halber muss an dieser Stelle aber gesagt sein: Nicht christliche Ideologie, sondern die eigene engstirnige Geisteshaltung dürfte für derlei Wortspenden verantwortlich sein. Und auch erzkonservative Athe­ isten und Vertreter anderer Glaubens­ richtungen dürften ihre Probleme mit der Bartfrau haben.

Back to the bush. Aber wieso auch nicht? „I’m as free as my hair“, sang Lady Gaga, die Ikone aller Unverstan­ denen dieser Welt, schon vor drei Jah­ „No matter gay, straight or bi, lesbian, ren und brachte damit ungewollt gut transgendered life: I’m on the right auf den Punkt, wonach wohl jeder von track, baby, I was born to survive“ – uns irgendwie strebt: ein paar Zenti­ auch diese Lebensweisheit stammt aus meter Freiheit und Selbstbestimmung. der Feder von Conchitas soul sister Eben so sein zu können, wie man ist, Stefani Joanne Angelina Germanotta. ohne sich kleinschneiden zu lassen Und Recht hat sie: Im Jahr 2014 sollte oder gar das, was einen ausmacht, an nicht nur jede(r) frei entscheiden dürfen, der Wurzel ausreißen zu müssen. wie er die Haare um Mumu und Lumpi Diversen Internetgerüchten zufolge trägt, sondern auch, mit wem und auf teilen Lady Gaga und Conchita Wurst welche Weise er sein Leben ganz allge­ übrigens mehr als nur ihre Botschaft für mein ausgestalten möchte. Denn ganz Toleranz und Freiheit. Aber Conchita im Ernst: Was tun einem Schamhaare, hin, Wurst her – eines ist jedenfalls fix: Bart oder auch Conchita Wurst? Wenn Auch Frau Wurst war es leid, sich ver­ überhaupt, dann pieksen sie ein wenig. stellen zu müssen, und ist wie ein ziem­ Mehr nicht.

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Digitales Begehren Vier Fotos, vier Identit채ten, vier Dating-Apps. Die Bitch, die Katzenfrau, die Tiefgr체ndige und die Business-Tussi. Alle ich. Alle anders. Alle begehrt.

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Text: Anna Felber Illustration: Anna Frohmann

Der Versuch. Ich habe mich auf den Plattformen Lovoo, Tinder, SayHi und Jaumo angemeldet. Alle funktionieren ein wenig anders. Der Kern ist allerdings überall der gleiche: schnelle Kontakte mit Vertretern des anderen Geschlechts (oder auch des gleichen, wenn gewünscht). Meine Profile habe ich absolut klischeehaft gestaltet, beim Chatten habe ich versucht, völlig in die jeweilige Rolle zu schlüpfen. Die Tiefgründige hat nie gelacht. Die Bitch beendete jeden Satz mit: ;)). Die Business-Tussi war immer schwer beschäftigt; die Katzenfrau auch – meist mit ihrer Katze. Bevor mich jetzt aber jemand verur­ teilt: Ich habe niemanden verarscht, in jeder dieser Identitäten steck­ te ein Stück von mir – hervorgekehrt für diese Gelegenheit. Ich war überall 21, habe überall (außer bei Tinder) meinen richtigen Namen verwendet. Nachgebessert habe ich lediglich beim Heimatort – der Anonymität willen – und der Studienrichtung. Die sollte schließ­ lich zur Rolle passen – so studierte die Tiefgründige beispielsweise Psychologie. Mit vier virtuellen Identitäten stürzte ich mich ins Ge­ tümmel der Flirtwilligen. Meine Annahme: Unterschiedliche Identi­ täten ziehen unterschiedliche Interessenten an. Oder ... ?

Portfolio: behance.net/AnnaFrohmann

Die Kontakte. Ich lag falsch. Furchtbar, unglaublich falsch. Wäre ich ein wenig unreflektierter, würde ich lautstark jammern: Die Männer sind alle gleich! Sie wollen alle nur das Eine! Denn genau dieses Bild ergab sich innerhalb weniger Stunden auf allen vier Dating-Plattformen. Das Muster bleibt immer gleich: Die erste Kontaktaufnahme ist noch harmlos, meistens das klassische „Hi, wie geht’s dir?“. Danach werden Wohnort, Alter, Beruf und Hobbys abgeklopft. Übrigens auch dann, wenn diese Informationen gut sichtbar auf dem eigenen Profil stehen. Was mache ich gerade? Wie war mein Wochenende? Scheinbar unabhängig von der Ant­ wort halten die meisten Männer zielstrebig an ihrer Mission fest: mich zu einem Treffen zu überreden. Übrigens ganz unabhängig davon, mit welchem Ich die Herren der Schöpfung Kontakt hatten. Einen Unterschied gab es dann aber doch von Ich zu Ich: Was die jeweilige Identität auszeichnete, sorgte für Gesprächsstoff. Wäh­ rend die Tiefgründige ungewöhnlich oft auf Hobbypsychologen zu stoßen schien, bekam es die Katzenfrau schon mal ein Angebot für einen Dreier – mit ihm und meiner Katze.

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Etwas kreativer war die Frage „Hallo hattest du textiles werken in der Hauptschule?“ Karl Leibetseder, Psychologe in Graz, erklärt mir dieses Verhalten: „Bei der Partnersuche ist das Ziel, miteinander etwas Angenehmes zu erleben. Deshalb sucht man etwas, worin man mit dem anderen zusammenzupassen meint, wobei da jeder auf etwas anderes anspricht – der eine auf die Katze, der andere auf das nette Lächeln.“ Manche brauchten aber keine An­ knüpfungspunkte und kamen ohne Umschweife zum Punkt. Ob die Jungs mit den Nachrichten „Poppen?“ und „Ficken??? Hast lust“ schon mal Er­ folg hatten, haben sie mir leider nicht beantwortet. Etwas kreativer war die Frage „Hallo hattest du textiles wer­ ken in der Hauptschule?“. Löcherstopfen war es dann auch, wozu aus Sicht der Männer jedes Gespräch führen sollte. Dem Thema Geschlechts­ verkehr näherten sie sich unterschied­ lich an: „Ok gut du schaust brav aus. Können wir uns mal treffen?“, „Ich will dich zum Kuscheln“, „Sie sind nicht verheiratet?“ und „Ja ich will mit dir ins bett einmal und zahle dir auch wenn du willst“. Natürlich – wie wäre es an­ ders zu erwarten gewesen? – bekam ich auch Angebote für Fotos von erigierten Penissen. Und manchmal standen sie auch einfach da, ganz ohne Vorwarnung. Zwei Ausnahmen gab es in der Zeit meines Selbstversuchs – zwei Typen,

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bei denen ich das Gefühl hatte, dass sie mich nicht nur ins Bett bekom­ men wollen. Einer davon war mir so sympathisch, dass ich ihm fast die Wahrheit über den Selbstversuch ge­ sagt hätte. Aber nur fast. Recherche ist eben Recherche. Das Fazit. Innerhalb von drei Wochen haben mir 80 Personen Chatanfragen geschickt, aus drei Viertel davon wur­ den auch Unterhaltungen, die meisten davon aber eher kurz. Das Profil der Katzenfrau auf Jaumo wurde 368 Mal aufgerufen. Die Bitch auf Lovoo „mögen“ 320 Personen. Bei Tinder habe ich 38 Verbindungen, wobei es viel mehr wären, wenn ich mehr Zeit darin investiert hätte, die feilgebotenen Mannsbilder zu „liken“. So gab es immerhin mehr als drei Dutzend „Matches“, Seelenverwandte waren aber leider keine dabei. Dieser Selbstversuch war viel zeitrau­ bender und anstrengender, als ich es mir ausgemalt hatte. Mit der Zeit gingen mir die immer gleichen Nachrichten, aber auch meine immer gleichen Absagen, wenn es um Treffen ging, furchtbar auf die Nerven. Mein Fazit: Wer als Frau halbwegs okay aussieht und kontaktfreudig ist, wird in DatingApps erfolgreich sein – egal, wie er sich inszeniert. Messbar ist dieser Er­ folg aber maximal an Kerben im Bett­ pfosten, und nicht in zwischenmensch­ lich bereichernden Begegnungen.


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Partnersuche

2.0 M

ein Versuch ist fehlgeschlagen: Ich habe unterschied­ liche Reaktionen auf die vier Profile erwartet, allerdings verhielten sich die Männer überall gleich. Kann man sich diese Selbstinszenierung also sparen? Angenommen, jemand will keine Partner­ schaft, sondern eine erlebnis­ orientierte Beziehung, nichts Fixes, dann geht es darum, den angeborenen sexuellen Reiz auszuleben. Man sucht nach anderen und will die Chancen er­ höhen, eine Passung zu finden. Dafür muss ich eine Projektionsfläche schaffen. Sonst kann ich dem anderen nicht im sozialen System begegnen. Der andere weiß nicht, was real ist, sieht vielleicht die Katze und macht sich seine Vorstellungen. Gleichzeitig unterstellt er Positives, denn er will dir ja näher kommen. Es geht also nicht ohne Inszenierung.

Was mir bei Datingapps abgeht, ist der ganzheitliche erste Eindruck: Hände­­ druck, Geruch, Körpersprache. Wie kann da eine Annäherung funktionieren? Man sagt beim Schreiben mehr über sich selbst. Es geht nicht so sehr um Interaktion wie im realen Leben, sondern darum, etwas über sich selbst zu sagen und es an die Kontaktlinie zu

Unsere Urinstinkte bei der Auswahl eines poten­ tiellen Sexualpartners lassen uns nicht los, selbst wenn wir auf dem Bildschirm unseres Smartphones herumwischen. Mag. Dr. Karl Leibetseder ist Psychologe und Coach in Graz und erklärte uns seine Theorien zum sozialen System der Datingapps.

stellen. Ich kann punktgenau meine In­ teressen darstellen und damit wieder­ um leichter Passungen finden. Ob diese dann in der Realität stimmen, ist eine andere Frage. Ohne echtes Date wird es nicht gehen. Ich glaube aber, dass es bei Dates zwangsläufig zu Enttäuschungen kommen muss. Natürlich, virtuell kann die Attrak­ tivität sehr leicht erhöht werden, die Schwächen werden nicht kommu­ niziert und beim anderen entstehen Erwartungen. Beim Date geht es von der Projektion zur Interaktion, dazu braucht man generell eine Kompetenz, wenn man einen Partner sucht. Wie hat sich die Partnersuche durch die neuen, digitalen Möglichkeiten verändert? Ich vermute, dass es heute zu mehr Kon­ takten kommt. Die Möglichkeit, sich näher zu kommen, besteht viel häufiger, man kann schneller und direkter nach Partnern suchen. Das Finden ist nicht unbedingt leichter, weil man die Belast­ ung aushalten muss, ver­ schmäht zu werden. Aber rein von der Wahr­schein­ lichkeit her glaube ich, da es viel mehr Versuche gibt, dass auch mehr Kontakte entstehen, die zu Sexualität führen.

i Lovoo zeigt Singles in der Nähe an. Man kann sich Nachrichten schreiben und sich gegenseitig „liken“.

Tinder funktioniert nach dem „Hot or not“-Prinzip. Bewerten zwei Personen das Foto des jeweils anderen positiv, kann man miteinander in Kontakt treten. SayHi ist eine Mischung aus Lovoo und Whatsapp. Nutzer in der Nähe werden angezeigt, man kann chatten, Videos und Emoticons austauschen. Jaumo funktioniert ebenfalls geobasiert. Man kann Nutzer über verschiedene Filter suchen und miteinander in Aktion treten.

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Die Millionen­idee Viele Erfindungen entstehen aus Bequemlichkeit heraus. Die Maya waren es leid, Steintafeln per Hand zu tragen, und erfanden das Rad. Alexander Graham Bell legte Briefpapier und Stift nieder und kommerzialisierte das Telefon. Moritz Plassnig, Softwareentwickler aus Graz, ärgerte sich über mühsames Testen beim Bearbeiten von Software und entwickelte mit zwei Freunden kurzerhand „Codeship“. Vier Jahre später ist er nun CEO eines Start-ups in Boston, in das Anleger Millionen investieren.

D Text: Daniel Rebernegg

ie Erfolgsgeschichte begann nicht gerade spannend: Moritz besuchte die Informatikschule HTBLA Kain­ dorf, zog danach zum Studieren nach Wien. Dort ent­ wickelte er mit zwei Freunden, Florian Motlik und Manuel Weiss, eine Software, mit der Programmän­ derungen – etwa auf einer Webseite – nicht länger per Hand an der richtigen Stelle eingefügt und umständ­ lich am eigenen Server getestet werden müssen. Diese langwierigen Vorgänge übernimmt das Service der drei Entwickler automatisch. Als ihnen die Idee dazu Ende 2010 kam, war Moritz erst 21 Jahre alt – gerade alt genug, um in dem Land Bier zu bestellen, in dem Firmen heute Millionen Dol­ lar in sein Unternehmen investieren. Zu Beginn sahen die drei ihre Idee nur als Projekt neben dem Studium oder der Arbeit. Doch die steigende Nachfrage führte dazu, dass im November 2012 ein Vollzeitjob daraus wurde. Sie gründeten das Software-Start-up-Unter­ nehmen „Codeship“, um ihre Idee zu vermarkten. Von Berlin in die USA. Mit dem Schritt zur Selbst­ ständigkeit war für Moritz klar, dass ein Tapeten­ wechsel folgen musste: „Es ist sehr schwer, sich von einem Tag auf den anderen zur Gänze auf etwas zu konzentrieren, das du vorher nur so nebenbei ge­ macht hast.“ Mittlerweile zu viert zogen die Jungs von Codeship deshalb in eine gemeinsame Wohnung

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i Moritz Plassnig ist 25 Jahre alt und CEO des Software-Start-ups „Codeship“. Von Wien gelangte er über Berlin nach Boston, um dort Investoren von seinem Unternehmen zu überzeugen. Mittlerweile haben diverse Geldgeber über 2,9 Millionen Dollar in Codeship angelegt. Weltweit nutzen tausende Firmen sein Produkt.

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im Start-up-Mekka Berlin, um abseits aller Ablenkun­ gen ihre Software weiterzuentwickeln. Das passierte nur zwei Wochen, nachdem sie ihr erstes Investment erhalten hatten. Der mutige Schritt, mit einem eher überschaubaren Budget nach Deutschland zu gehen, sollte sich aber rasch bezahlt machen. Denn weniger als sechs Monate später, Anfang 2013, kam eine alles verändernde Nachricht aus Übersee: Codeship wurde in das Programm des Start-up-Accelerators „Tech­ star“ aufgenommen. Das Programm bietet finanziel­ le Mittel und Beratungsleistungen im Austausch für einen kleinen Anteil an Start-up-Unternehmen. Dass man dieser Einladung folgen würde, war für Moritz selbstverständlich: „50 Prozent unserer potenziellen Partner kommen aus den USA und das Gleiche gilt auch für einen Großteil unserer Kunden.“

Dream big statt Sudern. In den über 100 Gesprä­ chen mit möglichen Partnern stellte Moritz relativ schnell einen deutlichen Unterschied zwischen Ame­ rikanern und Österreichern fest: Amerikaner denken immer groß. „In den USA erkennen sie eher das Po­ tenzial einer Idee als die Probleme. Es geht darum, wie geil etwas werden könnte und nicht darum, wieso es nichts werden könnte. Wenn Fehler passieren, ist es nichts Negatives, sondern ganz im Gegenteil: Es wird als Erfahrung gesehen“, erklärt er die start-upfreundlicheren Bedingungen. Codeship ist mittlerweile ein amerikanisches Unter­ nehmen, obwohl Moritz der einzige ist, der in Boston arbeitet; die anderen Gründer haben ein Zweitbüro in Wien. Ziel für die nächsten Monate ist es aber, mehr Mitarbeiter in Amerika zu haben als in Öster­ reich, da vom Austausch alle profitieren würden.

Eine Cinderella-Story, die gefällt. Noch vor der Landung an der Ostküste war Moritz bewusst, dass der Konkurrenzkampf um Geldgeber in Boston um ein Vielfaches höher sein würde als in Deutschland. Dass seine österreichische Herkunft ihm bei Investoren allerdings zu Hilfe kommen sollte, überraschte den jungen Firmengründer dann doch: „Ich denke, das macht uns interessanter und potenzielle Kunden stehen auf unsere Geschichte.“ Auch der zunehmen­ „Ich möchte unwichtiger werden“. Codeship ist ge­ den Anzahl an Mitbewerbern kann der Steirer etwas kommen, um zu bleiben. Deswegen ist es ein großes Positives abgewinnen: „Du lernst von den vielen Ziel von Moritz, das Unternehmen so aufzubauen, anderen Firmen, die schon weiter sind als du. Es ist dass es genügend Geld über Kunden akquiriert und auch reizvoll, um Aufmerksamkeit von Investoren nicht mehr von Investoren abhängig ist. Außerdem kämpfen zu müssen, das macht dich persönlich wie­ möchte er sein mittlerweile zehnköpfiges Team weiter der besser.“ Insgesamt dauerte es dennoch etwa ein ausbauen: „Wenn ich als Person irrelevanter werde, halbes Jahr, bis Geldgeber sich von einer Investition indem noch viele andere gute Leute mitarbeiten und überzeugen ließen. Dank harter Arbeit konnte so so die Geschäfte auch ohne mich laufen würden, wäre Moritz bis jetzt ein Budget von über 2,9 Millionen das ein sehr geiler Zustand“, sinniert der 25-Jährige Dollar aufstellen. bereits vom Ruhestand.

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Sinnvoll& Sinnlos Selbstbestimmungs-Edition

Das Internet: perfekte Umgebung, um selbstbestimmt zu agieren. Schließlich wird man ja (noch) nicht dazu gezwungen, auf bestimmte Seiten zu klicken. Die nachfolgenden Empfehlungen aus dem Netz sind deswegen Seiten, die man sich ansehen kann, aber nicht muss.

Portfolio: behance.net/AnnaFrohmann

Text: Max Tonsern Illustration: Anna Frohmann

@BlackBertl feuilletonsern.at

Geni(t)ales Horoskop Martha Olschewski ist der selbstbestimm­ ten Internetgemeinde schon seit langem bekannt. Sie führt seit 1998 als einzige Frau weltweit eine Seite, die sich rein mit dem Lesen und Deuten von Genitalien beschäftigt. Schließlich lässt sich aus der fachmännischen Analyse von Penis oder Vagina einiges über die Zukunft heraus­ finden – was genau, liest man hier.

Sn = 2n(n—1)

Ausgangsposition: die Zahlen 2 und 4. Weitere Vorgangsweise: gleiche Zahlen addieren, also 2+2, 4+4, 8+8, 16+16 usw. Führt, hat man einmal die finale Zahl 2048, zu einem unglaublichen Glücks­ gefühl. Mit diesem einfachen Tool baut man sich so selbstbestimmend eine eigene Version des Rätselspieles – statt Zahlen kann man sogar Bildchen verwenden.

>>> www.astrogenital.com

>>> games.usvsth3m.com/2048

Möpse lecken

Studentenkühlschränke

Der Mops ist wohl einer der hässlichsten Hunde auf der Welt. Ihren Ursprung hat die Rasse in China. Die meisten Möpse leiden an schwerwiegenden Problemen mit der Atmung und werden nur mit viel Glück 15 Jahre alt. Der selbstbestimmte Wauwau auf folgender Seite lebt jedoch solange, wie es das Internet geben wird. Vor allem als Startseite im Browser zu empfehlen.

... haben’s schwer, denn meistens sind sie furchtbar leer. Ab und zu befindet sich etwas an Nahrung darin, aber was genau man dann daraus kochen soll, wissen die wenigsten. Die folgende Seite schafft Ab­ hilfe – indem sie Gerichte vorschlägt, die man aus dem vorhandenen Kühlschrank­ inhalt zaubern kann. Ausprobiert und für nützlich befunden!

>>> www.sanger.dk

>>> www.myfridgefood.com

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Der schwule König vom Griesplatz

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@LukasMatzinger

as „Pepis“ ist ein Vereinslokal für schwule Männer, und schon der erste Eindruck überwältigt. Lamet­ ta und bunte Lichterketten schmücken die Decke des kleinen Raumes. An den Wänden kleben hunder­ te Fotos von Prominenten und Gästen, manche auch von prominenten Gästen. Die Stereoanlage spielt deutschsprachigen Schlager, „good music“ also. Auch, was die LED-Anzeige mit „good videos“ meint, wird bald klar: Auf einem Fernsehgerät in der Ecke des Lokals laufen permanent Schwulenpornos. Nicht zu softe, übrigens.

„Welcome to Pepis place. Open from 18 – open end. Wish you a good evening by good music & videos. We are pleased to see you“, steht in bunter Laufschrift über der mit Stickern vollgeklebten Tür am Grazer Griesplatz. Wer sie öffnet, betritt Pepis Club Beisl und damit eine andere Welt.

Hinter der Bar thront Pepi. Zwischen einem von der Decke hängenden Plüsch­tier und einem Flaschenöff­ ner in Penisform leuchtet sein rundes Gesicht her­ vor. Seit nunmehr 20 Jahren sitzt er hier jeden Tag – „from 18 – open end“ – und bewirtet seine Gäste. Damit ist Pepis Club Beisl das älteste noch geöffnete Schwulenlokal in Graz.

Text: Lukas Matzinger Foto: Andreas Eymannsberger

Pepi in seinem Club Beisl. „Hier fühlen sich ein­ fach alle wohl“, sagt Pepi und deutet dabei auf die kleine Couch, über der Autogrammkarten von Papst Johannes Paul II bis Betty White und Schnappschüsse


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von Stammgästen hängen. Diese seine Gäste sind die Jahre in seinem Beisl angesprochen, holt Pepi eine „bevorzugt männlich“ und werden mit Betreten dicke Mappe hervor und schwelgt in Erinnerungen. des Lokals automatisch Mitglied im „Spielverein 36“. Er blättert durch Fotos, die ihn mit seinen berühmten Den Verein hat er gegründet, um die Getränke mög­ „Freunden“ zeigen. „Der Dorian“ (Steidl), „der Sigi“ lichst billig an seine Mitglieder weitergeben zu kön­ (Nagl) oder „der Franz“ (Posch) – sie alle sollen schon nen. „Der Verein erhält sich selbst, kostendeckend zu Gast beim Pepi gewesen sein. Dazwischen hat er halt“, erklärt er, während er vom Spritzwein nippt. eine beachtliche Zahl von Zeitungsausschnitten eingeordnet, jeder hatte ihn zum Thema. Stolz prä­ Jedes Mal, wenn Pepi spricht, verstummen die Gäs­ sentiert er die Artikel in den Klarsichtfolien und te und lauschen seinen Worten. Man spürt: Dieser ergänzt sie um kleine Anekdoten. Er schwelgt in Mann ist hier der König, das hier ist wirklich „Pepis Erinnerungen und erzählt von seinem Auftritt bei place“. Doch Pepi war nicht immer König. Bevor Jo­ „Liebesg’schichten und Heiratssachen“, seinem ehe­ sef Gruber zu einer Ikone der Grazer Schwulenszene maligen Strandhaus in Tunesien, oder seiner Tätig­ wurde, war er vor allem eines: unterwegs. Geboren keit als Polizei-Spitzel. in Kärnten, verbrachte er die Kindheit in verschiede­ nen Einrichtungen von SOS-Kinderdorf. Mit 23 zog Viele sind an diesem Tag nicht in Pepis Club Beisl ge­ es ihn dann in die Steiermark. Er „tingelte von Ort zu kommen, um seinen Geschichten zu lauschen. Schon Ort“, bis er in Graz „zum ersten Mal sesshaft wur­ bald verabschiedet er auch den letzten Gast und de“. Dort arbeitete er zunächst in der Mercedes Bar, legt die Erinnerungsmappe zurück. Noch ein letzter „als Putzfrau“, ehe er beschloss, sein eigenes Lokal Spritzwein für den Hausherrn, dann ist für heute das am Griesplatz zu eröffnen. „open end“ gekommen. Pepi schaltet die bunte LEDAnzeige ab und geht einen Stock nach oben, in seine Mit „König Pepi“ im Gespräch. Seit dieser Zeit Wohnung. Bis zum nächsten Tag, wenn der schwule hat er viel erlebt und ebenso viel zu erzählen. Auf König vom Griesplatz wieder „pleased to see you“ ist.

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Fotos: fb.com/andreaseymannsberger

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Arbeit ohne Lohn Werner Schütter arbeitet 32 Stunden pro Woche in der Postfiliale Anzengrubergasse. Für seine Arbeit verdient er nichts. Weil er als behindert und sein Job als Beschäftigungstherapie gilt. Text: Christoph Schattleitner Fotos: Andreas Eymannsberger

08:30 Uhr, Arbeitsbeginn für Werner. Er betritt den Lebensladen der Lebenshilfe, der gleichzeitig Postpartner ist. Seine Aufgaben sind klar eingeteilt: In der Früh sortiert er alte, nicht verkaufte Zei­ tungen, die zurückgeschickt werden. Die Daten trägt er in eine Liste ein, die Kisten trägt er ins Lager. Das macht er alleine, der Arbeits­ vorgang ist ihm vertraut. Genauso bei der Einnahmenliste, die er auf den PC überträgt. Auch am Schalter findet man ihn – vor allem nachmittags. Dort nimmt er Briefe an, stempelt sie und gibt sie in die Kiste. Insgesamt also ein stinknormaler Job.

@Schattleitner schattenblicke.at

Obwohl Werner gleich viele Stunden in der Postfiliale steht wie die Mitarbeiter der Lebenshilfe, verdient er nichts. Er gilt als „behin­ dert mit leichtem Hilfebedarf“ und ist damit lediglich „Kunde“ der Lebenshilfe, der deren Dienstleistung konsumiert. Diese besteht – radikal formuliert – aus 32 Stunden Arbeit. Der Gesetzgeber for­ muliert es schöner: Die Beschäftigung sei eine Hilfeleistung und Förderung, durch die Werners Selbstwertgefühl gesteigert und er in die Gesellschaft integriert werde. Deshalb verdient Werner nichts, seine Arbeit gilt nicht als Arbeit, sondern als Hilfeleistung. Ledig­ lich ein Taschengeld von 60 Euro und 30 Cent pro Monat spricht das Land Steiermark Werner zu. Die Lebenshilfe legt zwar freiwillig noch einmal 60 Euro Prämie drauf, aber wirklich besser macht das die Lage nicht. Von außen betrachtet bleibt nicht nur das beklem­ mende Gefühl, dass hier Arbeit nicht wertgeschätzt wird, sondern auch die Tatsache, dass Werner weder sozial- noch pensionsversi­ chert ist. „Wir arbeiten, bis wir umfallen“, wirft eine auch andere Lebenshilfe-„Kundin“ namens Rita ein. Werner dagegen stört es nicht, dass andere – wie zum Beispiel seine Betreuer – mehr als das Zehnfache verdienen. „Für mich passt das. Ich arbeite für mein Leben gern, deshalb steh ich auch schon um

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sechs Uhr auf.“ Das Schlimmste für Werner wäre, nicht mehr arbeiten zu können. Deshalb arbeitet er lieber ohne Gehalt, als gar nicht zu arbeiten. Chris­ tina Landgraf, Leiterin, versteht die Problematik und tritt für einen Lohn einiger ihrer behinderten Kunden ein, weist aber gleichzeitig auf die Wichtigkeit von Arbeit überhaupt hin: „Die Beschäftigung steigert das Selbstwertgefühl unserer Klienten immens, indem sie ihr soziales Netz erweitern, im Geschäft Kunden be­ dienen und das Gefühl bekommen, gebraucht zu wer­ den. Der Arbeitsplatz in der Post ist wenigstens fix, es gibt viele, die genau danach suchen.“

Der Arbeits­platz in der Post ist wenigstens fix, es gibt viele, die genau danach suchen. Das Problem an dieser Geschichte ist, dass Werner wie viele andere in einem Graubereich fällt, in dem es wenige Möglichkeiten gibt – entweder man ist ar­ beitsfähig oder überhaupt nicht. „Dazwischen“ gibt es nicht. Dazwischen heißt: nur für bestimmte Auf­ gaben des Arbeitsmarktes fähig. Eine Frau im Roll­ stuhl wie Rita zum Beispiel kann keine Hebearbeiten verrichten, dafür aber hervorragend mit Kunden um­ gehen. Der Gesetzgeber unterscheidet da aber nicht. Hundert oder null. Eingeschränkt arbeiten zu können ist gleich null. Dann bekommt man keinen Lohn – egal, wie tüchtig und wichtig man für den Betrieb ist. „Für uns ist Werner eine große Hilfe, er macht wichtige Arbeiten“, sagt Betreuerin Andrea*. Sie gibt zu, dass die Post ohne Mithilfe der Lebenshilfe-Kunden nicht laufen würde: „Alleine schaffen wir das sicher nicht.“ Ein Beweis dafür, dass sie betriebswirtschaftlich re­ levante Leistung erbringen und nicht nur beschäftigt werden. „Mehr hätten sie auf alle Fälle verdient“, meint Andrea, die die Arbeitsleistung ihrer Klienten auf Hilfsarbeiter-Niveau schätzt. Also auf rund 1.000 Euro und nicht 120. Ein, zwei gäbe es, die bis auf Abrechnung und Bankwesen beinahe alles selbststän­

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dig und initiativ erledigen. Ziel sei es, diese irgend­ wann anzustellen. Leiterin Graf relativiert: „Davon sind wir leider noch weit entfernt. Zudem wissen wir nicht, wie wir das den anderen kommunizieren sollen, nämlich, dass nun einer mehr bekommt.“ Graf ist sowieso der Meinung, dass gemischte Betrie­ be besser sind als jene, die nur mit beeinträchtigten Menschen auskommen. Das täte nicht nur der gesell­ schaftlichen Teilhabe (Inklusion) gut, sondern auch den Betrieben, die individuelle Talente gerecht einset­ zen könnten. Deshalb gibt es alle zwei Wochen für die Lebenshilfe-Kunden eine „Eingliederungshilfe“ in Form von Training und Rat, um am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Für die Unternehmen hat eine Be­ schäftigung von Menschen mit Behinderung Vorteile: teilweise Steuerbefreiung, Prämie für Lehrlingsaus­ bildung. Größere Unternehmen müssen pro 25 Mit­ arbeitern sogar einen mit Behinderung beschäftigen. Christina Graf relativiert aber: Viele Unternehmen würden eher die Ausgleichstaxe, eine Strafzahlung in der Höhe von 238 Euro, bezahlen als einen Men­


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schen mit Behinderung einzustellen. Das Problem hier ist laut Graf, dass wirkliche Anreize und Aufklä­ rung für Betriebe fehlen. Dazu kämen die Angst vor Mehraufwand und ein falsches Bild von Menschen mit Behinderung. Da jeder individuelle Fähigkeiten mitbringt, brauche es eine dauerhafte Assistenz bei der Arbeit, meint Graf.

(„Betreuer klingt so kindlich, ich bin erwachsen“) nicht sagen möchte. Sie fühlt sich hier wohl, würde aber gern auch andere Arbeiten verrichten und mehr verdienen. Auch das sagt sie nur sehr behutsam, bei­ nahe eingeschüchtert. Sie hat bereits für andere Fir­ men gearbeitet, die sie „immer wieder rausschmis­ sen.“ Noch einmal möchte sie das nicht riskieren.

Aber selbst, wenn ein Jobangebot eintrudelt, sind die Probleme noch nicht zu Ende: Die Zusage ist gleichbedeutend mit dem Verlust vieler Sozialleistun­ gen – wie etwa der Familienbeihilfe oder der Waisen­ pension. Das ergibt zum Beispiel bei geringfügiger Beschäftigung keinen betriebswirtschaftlichen Sinn.

Rita und Werner sind zwei von rund 20.000 öster­ reichweiten Behinderten in Tagesstrukturen. Sie scheinen in keiner Arbeitslosenstatistik auf, bekom­ men aber auch keinen Lohn für ihre Arbeit, die offi­ ziell als Beschäftigungstherapie gilt. Die Lebenshilfe Graz gründete vor kurzem einen Kundenrat, in dem Klienten wie Rita und Werne ihre Interessen vertre­ „Es ist verdammt schwer, für Behinderte etwas zu fin­ ten. Sie sind ein Betriebsrat, der nicht für eine Lohn­ den“, bringt Lebenshilfe-Kundin Rita den Sachver­ erhöhung kämpft, sondern für Lohn überhaupt. Hin­ halt auf den Punkt. Sie sitzt im Rollstuhl und kann ter dieser gewählten Interessensvertretung steht ein deshalb einige Arbeiten nicht verrichten. Ihre Talen­ einfacher Gedanke: Nur mit Gleichberechtigung ist te kann sie in der Post nur begrenzt einbringen, viel es behinderten Menschen möglich, selbstständig und monotone Arbeit bleibt für sie übrig. Diese langweilt selbstbestimmt ihr Leben zu leben. sie manchmal, auch wenn sie das ihren Assistenten *Name auf Wunsch geändert.

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Freiheit kann gefährlich sein Wilfried Handl war 28 Jahre lang Mitglied der wohl umstrittensten religiösen Bewegung der Welt. Jahrelang war er sogar Chef von Scientology Österreich, nun ist er deren stärkster Kritiker. Ein Aussteiger erklärt, was Scientology gefährlich macht und warum es dennoch nicht verboten werden sollte.

Text: Lisa Mayrhofer Illustration: Susanne Fellner

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er wäre nicht gerne ein perfekter Mensch? Das verspricht Scientology. Neben der völligen Immunität gegen Krankheiten wer­ den mit dem Erreichen dieses Bewusstseinszustands, „Clear“ genannt, laut Scientology auch negative Einflüsse wie Gefühle oder Kurzschlussreaktionen ausgeschaltet. Bis man so weit ist, ist das allerdings eine teure Angelegenheit. Etwa 20.000 Euro geben Scientologen aus, um „Clear“ zu werden. Geld, das viele nicht besitzen, es aber trotzdem durch Kredite oder anderwärtig beschaffen. Der Wunsch, besser als andere zu werden, sei wie eine Sucht. Erst der dro­ hende Bankrott würde einige innehalten lassen, meint Wilfried Handl. Auch, wenn man schon lange ausge­ stiegen sei, falle die vollkommene Abnabelung schwer. Dass der Ausstieg so schwer ist, hat gar nicht unbe­ dingt damit zu tun, dass die Sekte niemanden gehen lassen will. Auszusteigen ist immer mit dem Verlust der Familie und des Freundeskreises verbunden. „Einen Trennungsbefehl gibt es nicht, aber man weiß ja, dass


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@LisaMayrhofer weltweiten.wordpress.com

der Kontakt abgebrochen wird“, so Handl, der seit Jahren keinen Kontakt zu seiner in den USA lebenden Ex-Frau, einer hochrangigen Scientologin, und seinen beiden Söhnen hat. Auch Gehirnwäsche wird der Sekte von ihren Kriti­ kern vorgeworfen. Scientologen schwärmen hinge­ gen von neuen Einsichten und Gewinnen durch das Scientology-Programm. Das Konzept ist einfach: Jeder bekommt, was er will – Karriere, Reichtum, Kreativität oder geistige Erkenntnisse. Mithilfe von „Psychotechniken“ wird man seelisch manipuliert, Aussteiger wie auch Wilfried Handl bestätigen, dass Scientology die Persönlichkeit ihrer Anhänger mas­ siv verändert. Menschen werden von ihrem früheren Leben getrennt und finden sich in einer anderen Welt wieder – einer Parallelwelt mit eigener Sprache, eigenem Denken und vielen Regeln. In Zusammenhang mit Scientology gibt es auch im­ mer wieder mysteriöse Todesfälle, die Wilfried Handl in seinem Blog thematisiert. Die Belastung, der Scien­

tologen ausgesetzt sind bzw. die sie sich selbst auf­ erlegen, werde manchen zu viel, meint Handl. Eine Scientologin beging beispielsweise Suizid, weil sie er­ kannte, dass Scientology ihr bei ihrem Ziel, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, eher im Weg stand als half. „Da brach für sie eine Welt zusammen und das Ganze ist eskaliert“, erklärt Wilfried Handl, der die Frau persönlich kannte und momentan an einem Buch über sie arbeitet. Dennoch spricht sich der Kritiker gegen ein Verbot von Scientology aus. Jedermann stünde frei, zu tun, was er möchte. Natürlich kann man sich im Vorhinein informieren und die unterschiedlichen Perspektiven kennenlernen. Handl bereut seine Mitgliedschaft nicht. Lediglich die Dauer. Die Religionsfreiheit ermögliche die Mitgliedschaft bei Scientology und das sei gut. Freiheit könne manchmal aber auch gefährlich sein, meint Handl. „Wenn sich aufgrund meines Beispiels jemand gegen Scientology ent­ scheidet, gut, wenn nicht, wünsche ich viel Glück“.

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„Die

Berufung

ist eine eigenartige Sache“

Text: Ines Abraham Fotos: Lucas Kundigraber

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M argareta ist noch keine 20 Jahre alt. Sie macht die Ausbildung zur Diplom­ krankenschwester. Ihr Freund studiert Medizin. Gemeinsam schmieden sie Pläne für die Zukunft. Er will Landarzt werden. Arzt und Krankenschwester, das passt zusammen, denken sie sich. Ihn zu heiraten, kann sich Margareta gut vorstellen. Doch irgendwie spürt sie, dass ihr etwas fehlt. Dass sie viel­ leicht einen anderen Weg gehen möchte.

50 Jahre ist das jetzt her. Inzwischen ist aus Margareta Schwester Philomena geworden. Die 70-Jährige ist Oberin der Barmherzigen Schwestern in der Mariengasse in Graz. Heute bezeichnet sie die Zeit, in der sie sich entschloss, Nonne zu werden, als eine Zeit des Ringens um Klarheit. „Die Berufung ist eine eigenartige Sache“, sagt sie. Schon als Kind kam ihr die Idee, ins Kloster zu gehen. Ihre Familie war religiös, nicht zu religiös, betont sie. Den Glau­ ben in den Alltag zu intergieren, haben ihr die Eltern vorgelebt. Es war immer klar, dass sie entweder heiraten und eine Familie gründen oder ins Kloster gehen wird. Diese zwei Lebensformen kamen ihr vernünftig vor. „Es wäre für mich nie in Frage gekommen, als Single, als ledige Haustante zu leben“. Dann kam die Pubertät, sie lernte ihren Freund kennen, verbrachte viel Zeit

@InesAbraham @lukekundigraber

mit ihm. Man sprach von Hochzeit. Doch in Margareta kamen Zweifel auf. Während ihrer Ausbildung als Krankenschwester lernte sie bereits die Gemeinschaft der Barmherzigen Schwestern kennen. Der alte Wunsch, ins Kloster zu gehen, beschäftigte sie immer mehr. „Ich weiß nicht, ob aus uns wirklich etwas wird“, sagte sie zu ihrem Freund. „Mir kommt vor, ich gehöre ins Kloster.“ Irgendwie ver­ stand er das, denn auch er hatte früher mit dem Gedanken gespielt, Priester zu werden. Aber er wollte sie nicht verlie­ ren. „Spinnst?!“, sagte er.

Als Margareta eines Tages einen Schwerkranken pflegte, kam ihr eine Bibelstelle in den Sinn: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“. Dieser Mensch ist Jesus, sagte sie sich. Der Gedanke ließ sie nicht mehr los. Alleine ging Margareta wandern, dachte viel nach, konnte sich zwischen dem Leben für Gott und ihrer Zukunft als Ehefrau nicht entscheiden. Beides konnte sie sich gut vorstellen. „Was soll ich nur tun?“, fragte sie sich im­ mer wieder. Den Wendepunkt brachte ein Gespräch mit einer der Barmherzi­ gen Schwestern. Diese erklärte ihr, dass man sich in der Gemeinschaft immer nur für ein Jahr verpflichtet. Bei den

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Barmherzigen Schwestern handelt es sich kirchenrechtlich nämlich nicht um einen Orden, sondern um eine Gesell­ schaft apostolischen Lebens, eine of­ fenere Form der Gemeinschaft. Ewige Gelübde gibt es dort keine. „Ich hab’ sofort meinen Freund angerufen und gesagt: Wir müssen uns treffen, ich hab’ die Lösung.“ Sie wolle in die Gemein­ schaft eintreten. Wenn es nicht ihr Weg wäre, merke sie es sowieso bald und könne zu ihm zurückkehren, erklärte sie ihm. „Ich rechne es ihm heute noch hoch an, dass er mir die Entscheidung nicht schwerer gemacht hat“, sagt Schwester Philomena.

bei oder ruft an. Er hat acht Kin­ der Geburt ist die Sicherheit, dass ich der, seine Frau ist schon verstorben. dieses Leben wieder beenden muss, Philomena hat ihre Entscheidung festgelegt. In diese Sicherheit sollte nie bereut. Sie machte das Diplom man ein bisschen mehr investieren“. zur Krankenschwester und schließ­ Auf diesen letzten Moment hin möchte lich die Ausbildung als Lehrerin für sie ihr Leben ausrichten: den Moment, Gesundheits- und Krankenpflege. 38 in dem sie Gott das Leben zurückgibt, Jahre lang unterrichtete sie, lebte im das er ihr geschenkt hat. Sie will den Klinikum. In der Pension wurde sie Übertritt in etwas Neues, wie immer Schwester Oberin in der Mariengasse. das auch aussehen mag, bewusst erle­ 86 Schwestern leben dort. Philomena ben. „Kein Auge hat es gesehen, kein hat die Verantwortung für sie. Oft Ohr hat es gehört (...) was Gott denen sitzt sie im Büro, kümmert sich um bereitet hat, die ihn lieben“, steht in Organisatorisches oder die Anliegen der Heiligen Schrift. Daran knüpft sie der Schwestern. Wenn sie heute ihre Hoffnung. überlegt, wie ihr Leben als Ehefrau und Mutter ausgesehen hätte, weiß Wenn Philomena frei hat, geht sie im Es dauerte kein Jahr. Nach vier oder fünf sie, dass Gott ihr immer wichtig Klostergarten spazieren oder liest. Die Wochen rief sie ihn an. Er brauche nicht gewesen wäre. „Aber dann wären Bibel, die Zeitung, Romane. Viel Zeit zu warten, sie habe sich entschieden. für mich an erster Stelle der Partner bleibt nicht neben den Verpflichtungen Sie spürte keine Sehnsucht, keine Weh­ und die Kinder gestanden, für die ich als Oberin und den täglichen Gebeten. mut. „Wenn man von Gott gerufen dann genauso aufgegangen wäre, wie „Mich haben meine Schülerinnen im­ wird, ist das einfach stärker.“ Nur, dass ich mich hier für die Gemeinschaft ein­ mer gefragt: Müssen Sie auch im Ur­ ihr Freund so litt, tat ihr weh. „Ich setze.“ Nun steht Gott an erster Stelle. laub beten? Aber ,müssen’ ist nicht das habe gebetet, dass er bald jemanden richtige Wort. Das Gebet ist die Zeit, für sein Glück findet, da ich meines ja Viel Zeit verbringt Schwester Philomena in der ich bei Gott bin. Wenn man sagt: schon hatte.“ Nach drei Jahren rief er damit, ältere Schwestern seelisch zu Muss ich mit meinem Freund heute drei an und erzählte ihr, er habe eine junge begleiten. Sie sollen nicht in die Ein­ Stunden zusammen sein? Dann stimmt Frau kennengelernt, die er heiraten samkeit hineinschlittern. Philomena schon etwas nicht mehr. So ist es auch wolle. „Dann erst fühlte ich mich ganz spricht mit ihnen, betet mit ihnen – mit der Beziehung zu Gott“, lächelt sie. freigegeben“. „eine schöne Aufgabe“, sagt sie. Viele Aber nicht immer ist das Beten gleich Schwestern hat sie auch schon beim erfüllend. Manchmal ist es mit Diszip­ Zu ihrem damaligen Freund hat Sterben begleitet. Der Tod ist kein lin verbunden. Nicht immer spürt man Schwester Philomena auch heute Fremder für sie. Gedanken macht sie die Anwesenheit Gottes. „Aber ich noch Kontakt. Er wohnt nicht mehr sich auch über den Moment, in dem sie weiß, dass ich von ihm getragen werde. in Graz, kommt aber ab und zu vor­ selbst diese Welt verlassen wird. „Mit Aus seiner Liebe falle ich nie heraus.“

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Liebe ist ... @JenniferPolanz

Text: Jennifer Polanz Illustration: Hanna Waldbauer

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Mal ist sie groß, mal klein, mal erdrückend, mal fesselnd: Die Liebe kann alle möglichen Formen annehmen – und die müssen nicht immer menschlich sein.

Mein Partner mit der kalten Schnauze Manchmal ist der Vierbeiner mehr als der beste Freund des Menschen. Das dachte sich 2012 eine 47-jährige Britin – und heiratete ihre Hündin. Damit ist sie aber kein Einzelfall: Auch in Australien, Ame­ rika oder Indien sind tierische Vermählungen beliebt. Ein Rad abhaben Ein stetiges Auf und Ab gibt es in der Beziehung von Linda Ducharme und Bruce. Die US-Amerikanerin verlor ihr Herz 1982 an das Riesenrad, das eigentlich „Skydiver“ heißt. 30 Jahre später machte sie die Ro­ manze zu Bruce – nach Gspusis mit einem Flugzeug und einem Zug – öffentlich. Grüne Gefühle Richard Torres, Schauspiele und aktiver Umwelt­ schützer, zeigte seine Naturverbundenheit auch bei der Eheschließung. Um auf den Umweltschutz auf­ merksam zu machen, heiratete er einen Baum. Streit­ gespräche wird es da wohl keine geben. Verpixelte Traumfrau. Braunes Haar, große Augen, zartes Gesicht: Nene Anegasaki ist die absolute Traumfrau eines jungen Japaners. Gäbe es da nicht das kleine Problem, dass Nene Charakterin des DS-Flirtspiels Love Plus und somit ein reines Pixelprodukt ist. 2009 gab es die etwas surreale Hochzeit zwischen den beiden; Nene war dabei in Form eines Nitendo DS anwesend.

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Nachdem der Tod uns scheidet Der Thailänder Chadil Deffy war zehn Jahre lang mit seiner großen Liebe Sarinya Kamsouk zusammen, als sie beschlossen zu heiraten. Bei einem Autounfall ver­ lor Sarinya noch vor der Hochzeit ihr Leben – Chadil nahm sie dennoch zur Frau. Vier Tage nach dem Un­ fall wurden ihre Seelen bei einer traditionellen Zere­ monie vereint, danach wurde die Leiche bestattet. Der Partner, ein offenes Buch Während manch einer mit den schlechten Seiten sei­ nes Partners zu kämpfen hat, hat die Inderin Mina Devi gut lachen. 2007 heiratete die 60-Jährige näm­ lich ein heiliges hinduistisches Buch: die Shrimad Bh­ agavad Gia. Kuscheln mit der großen Liebe 2010 heiratete der Koreaner Lee Jin-Gyu sein Daki­ makura, ein menschengroßes Kuschelkissen. Dieses ist mit einer blonden Anime-Schönheit bedruckt und darf Jin-Gyu sogar ins Restaurant oder auf den Jahr­ markt begleiten. Ich liebe mich Manchmal steht man doch sich selbst am nächsten: In Taiwan heiratete 2010 die Büroangestellte Chen Wie Yi sich selbst. Mit ihrer Aussage, dass man sich selbst zuerst lieben (und heiraten) müsse, um jemand anderen lieben zu können, stieß die damals 30-Jähri­ ge auf rege Zustimmung der Netzgemeinde.


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„Ich habe mich für

freies Leben entschieden“ ein

Interview: Christoph Schattleitner & Stefanie Tomaschitz Fotos: Ulrike Mayrhuber

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Er verzichtet auf die Dinge, die es in den Siebzigern nicht gegeben hat, und lebt seit einem Jahr auf 28 Quadratmetern in einem Zirkuswagen: Kabarettist und Schauspieler Roland Düringer spricht im Interview über das Anderssein, die Verantwortung der Selbstbestimmung und seine Schweinderln.

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ie sind im letzten Jahr aus „den verstanden. Ich hatte einen anderen Systemen ausgestiegen“ und ver- Musikgeschmack, habe mich nicht zichten auf Dinge, die es in Ihrer für Fußball interessiert und bin nicht Jugend nicht gab. Was war der Auslöser Schifahren gegangen, weil ich das dafür? deppert find’. Das sind viele Sachen, Ich habe nachgedacht, wie mein Leben wo man nicht dazugehört. Aber ich mit 15 oder 16 Jahren eigentlich war. habe mich immer sehr wohl gefühlt Das war eine total andere Welt. Die im Nichtdazugehören. Welt hat sich in sehr kurzer Zeit sehr stark verändert – viele Dinge, die meine Warum konnten Sie es sich in Ihrer Tochter jetzt hat, hatte ich nie. Ich Jugend leisten, anders zu sein? wollte herausfinden: Was wäre, wenn In der Jugend kann man eigentlich vieles weg wäre? Kann man eigentlich alles machen. Ich hatte damals rot ge­ noch so wie früher überleben? färbtes Haar, einen Irokesen und viel Eisen in den Ohrwaschln. Irgendwann Ist unsere Welt schlechter geworden? kommt normalerweise eine Phase, wo Nein. Sie ist jetzt nicht schlechter und man sich anpassen muss, weil man nicht besser, aber sie hat sich verändert. ins Berufsleben einsteigt oder einfach Dass sich in so kurzer Zeit derartig viel Erfolg haben will. Wenn man aber so verändert hat, ist neu in der Mensch­ einen Beruf wählt wie ich – nämlich, heitsgeschichte. dass man sich auf die Bühne stellt und redet, was man will – dann muss man Sie schreiben in Ihrem Buch „Leb sich nicht anpassen. Ich hätte auch die wohl, Schlaraffenland“ häufig, dass Sie Möglichkeit gehabt, ein sicheres Leben „anders“ sind. Wieso eigentlich? zu führen. Aber ich habe mich für das Ich weiß nicht, warum ich anders freie Leben entschieden. funktioniere als die meisten Menschen. Das war mein Weg. Ich war schon Wie wichtig ist Selbstbestimmung in in der Schule ein bisschen anders als Ihrem Leben? die anderen. Eigentlich ist Selbstbestimmung das Allerwichtigste. Das heißt aber nicht, Inwiefern? dass man egoistisch sein soll. Freiheit Ich habe die Goschn aufgemacht, habe ist nicht, machen zu können, was man nicht alles hingenommen. Ich habe will. Freiheit ist, Verantwortung zu vieles, was meine Mitschüler gemacht übernehmen. Und zwar Verantwor­ haben, seltsam gefunden oder nicht tung sich selbst gegenüber.

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Freiheit ist, Verantwortung zu übernehmen. Und zwar Verantwortung sich selbst gegenüber. Was hindert einen heute daran, ein kann, brauche ich natürlich Hilfe und viel Medienecho mit ihrem gesellselbstbestimmtes Leben zu führen? jemanden, der mir sagt, wie es geht. schaftlichen Aufschreien („Wir sind Sachzwänge, also Dinge, die von Insti­ wütend!“) und politischem Aktivismus tutionen ins Leben gesetzt werden, um „Das Geld ist nichts wert, sondern ein (Hypo) bekommen. Wie viel Prozent unser Verhalten zu regeln. Wenn du Schaß, für den wir unsere Zukunft ver- Düringer und wie viel Show stecken auf die Straße gehst, ist irgendwo eine kaufen“, haben Sie in einem Interview darin? Ampel, die bestimmt, ob du über die gesagt. Wenn Geld nichts wert ist, wie- Das Wichtigste in meinem Leben sind Straße gehen darfst oder nicht. so machen Sie Ihre Arbeit dann nicht das Schauspielen und die Vorträge. Bei unbezahlt oder spenden den Erlös? dem anderen helfe ich halt, wenn ich Eine Ampel hilft und ist bequem, da Wenn heute jemand bei einem meiner helfen kann. Das, was ich da mache, ist braucht man nicht viel nachzudenken. Auftritte 30 Euro Eintritt bezahlt, blei­ seriös und keine Show. Wieso sollte ich Das kann aber mit dem Tod enden. ben mir genau zehn Prozent. Mit dem da eine Show machen? Nämlich dann, wenn ein anderer Ver­ Rest unterstütze ich bereits Menschen, kehrsteilnehmer sich nicht daran hält. die für mich arbeiten sowie den Ver­ Um Publicity für Ihre Auftritte Die sichere Variante wäre – egal, ob anstalter. Das Wichtigste ist, dass ich zu generieren. die Ampel rot oder grün leuchtet – zu meinen Job total gerne mache. Ich Eigentlich ist das kontraproduktiv. Wer schauen, ob jemand kommt und wenn würde ihn auch gratis machen, das geht schon gern ins Kabarett zu einem nichts kommt, zu gehen. ist scheißegal. „Verrückten“? Die Aktionen sind in Wirklichkeit eine Antiwerbung. Ist Fremdbestimmung etwas Negatives? Welche Rolle hat Geld für Sie? Das kann man nicht pauschalieren. Stell Für mich ist es nicht so wichtig. Ich Autor, Kabarettist, Schauspieler, dir vor, wir sind unterwegs bei einer habe Strukturen gebaut, in denen ich politischer Aktivist – was ist für die Expedition irgendwo im Dschungel ohne Geld auch auskommen würde. Zukunft geplant? und es passiert etwas. Dann ist es gut, Wenn von einem Tag auf den anderen Im Herbst kommt der dritte Teil meiner wenn man jemanden dabei hat, der das Geldsystem zusammenbricht – was Vortragsserie. fremdbestimmt sagt, was jetzt passiert. jederzeit passieren kann – trete ich halt gratis auf. Mein Leben ändert sich Sonst nichts? Wann ist es im Leben wichtig, selbstbe- nicht. Das, was ich zum Leben brauche, Die Schweinderln werden wir irgend­ stimmt zu agieren? habe ich auch ohne Geld. wann einmal schlachten, das haben Wenn ich mir zutraue, die Aufgaben, wir geplant. die mir das Leben stellt, selbst zu lösen. Sie sind ja längst nicht mehr nur als @Schattleitner & @StefanieTheres Wenn ich merke, dass ich das nicht Schauspieler bekannt, sondern haben

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PRO CONTRA

Selbstständigkeit Nach dem Studium stellt sich für viele die Frage: Mache ich mich selbstständig oder werde ich doch lieber Arbeit­nehmer? Ein Pro & Contra in Form eines beispielhaften Tagesablaufs.

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Ich bin mein eigener Chef Text: Markus Knauß

9:00 Uhr Ich sitze beim Frühstück, blättere die Zeitung durch und checke meine E-Mails. Als Selbststän­ diger kann ich mir (meistens) aussuchen, wann mein Arbeitstag beginnt. Weder ein grantiger Morgen im Stau, noch nervige Passagiere in den Öffis – mein Büro ist gleichzeitig mein Zuhause. Und das Beste: kein Chef, der mich anbrüllt, weil ich fünf Minuten zu spät komme.

10:45 Uhr Meeting. Während ich die verschwitzten Anzugträger in der Firma herumlaufen sehe, plausche ich mit meinem Auftraggeber in der kurzen Hose. Es ist ja schließlich Sommer und ich habe keinen „Dresscode“. Im Briefing bekomme ich alle relevanten Informationen, genügend Kaffee und meist sind sogar noch kleine Appetizer auf den Tisch. Kleinere Kunden lade ich in meine eigenen vier Wände ein, wo wir in gemütlicher Atmosphäre über den Auftrag sprechen können. Egal ob Big Boss oder Einzelunternehmer – als Selbstständiger lässt es sich viel ungezwungener miteinander kommunizieren.

11:25 Uhr Durch meine Unabhängigkeit entscheide ich selbst, wo ich mir die kreativen Ideen einfallen lasse. Das kann bei einem kleinem Spaziergang sein, beim Halt im Kaffeehaus oder beim Schlen­ dern durch die Stadt. Die besten Ideen kommen mir aber auf meiner Couch, wenn ich gemüt­ liche Musik auflege und für kurze Zeit vor mich hindöse.

13:15 Uhr Mittagspause! Schnell in die Kantine oder ins Restaurant, das Essen runterwürgen und zurück in die Firma. Ähm, nope. Ich koche mir am liebsten selbst etwas und mache danach noch einen kleinen Mittagsschlaf – einen „Powernap“ sozusagen. So bin ich nach der Mittagspause ausge­ ruht und wieder bereit, konzentriert an die Arbeit zu gehen. Und wenn die Motivation niedrig ist, dann gibt’s ein kurzes Brainstorming mit dem Internet. Ohne Angst zu haben, dass mich jemand dabei ertappt.

14:30 Uhr Nicht immer läuft alles nach Plan. Manchmal muss man auch flexibel sein – als Selbstständiger kein Problem. Da ich keinen Vorgesetzten habe, kann ich mir meine eigenen Deadlines setzen, selbstverständlich in Absprache mit dem Kunden. Sollte ich etwas Neues ausprobieren, so habe ich dafür auch genügend Möglichkeiten, sei es die ersten Testversuche eines Prototyps oder der Einsatz einer neuen Technik. Ich kann alles zuerst ausprobieren, bevor es dann zum Kunden geht – als Angestellter wird das schwierig.

18:00 Uhr @Knaussi dreamk.at

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Dienstschluss? Eher nicht. Als Selbstständiger mache ich mir meinen eigenen Zeitplan, welchen ich mit meinem persönlichen Schaffensprozess verbinde. So optimiere ich nicht nur meinen Tag, sondern auch meine Arbeit. Als „Nachtaktiver“ ist deshalb der Abend meine bevorzugte Arbeitszeit, wo ich mit voller Konzentration an Projekten arbeiten kann.


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Feierabend und Sicherheit statt selbst und ständig arbeiten Text: Marion Kirbis

7:30 Uhr Nachdem mein Wecker geklingelt hat, gibt’s erst mal ein üppiges Frühstück für den perfekten Start in den Tag. Danach mache ich mich auf den Weg ins Büro. Den ganzen Tag von zu Hause aus zu arbeiten wäre nichts für mich. Meine Arbeit will ich nach dem Feierabend in der Firma lassen können.

10:45 Uhr Im Büro sitze ich mit den Kolleginnen an einem neuen Projekt. Wir sammeln gemeinsam Ideen und erarbeiten ein super Konzept. Jeder kann seine Einfälle mit einbringen und wir greifen uns gegenseitig unter die Arme, wenn wir mal nicht weiter kommen. Und Kaffee gibt’s bei uns auch.

12:00 Uhr Mit den Kollegen, die schon lange nicht mehr nur Kollegen, sondern auch Freunde sind, geht es in die Mittagspause. Beim Japaner um die Ecke sitzen wir beim Running Sushi zusammen und holen uns Energie für den Nachmittag. Ein Nickerchen brauchen wir nicht. Immerhin mussten wir gestern nicht bis in den späten Abend Überstunden schieben.

13:30 Uhr Mein Nachmittagstermin schaut bei mir im Büro vorbei und wir besprechen die Details zu einem seiner Aufträge. Das Unternehmen ist von solchen Auftraggebern abhängig und ich bin froh, dass ich das nur indirekt bin. Wenn ich bei einem Projekt einen Fehler mache, bekomme ich eine Verwarnung, wenn das einem Selbstständigen passiert, kann er seine Kunden verlieren. Als FixAngestellte bin ich da abgesicherter.

16:45 Uhr Der Feierabend naht! Mein letzter Kunde war anstrengend und hat mir allerhand Papierkram dagelassen, aber der kann bis morgen warten. Ich räume meinen Schreibtisch zusammen und lege mir die Unterlagen für morgen zurecht, bevor ich mich auf den Weg nachhause mache.

19:00 Uhr Nach dem Abendessen mache ich es mir mit einem guten Buch und einem Glas Wein auf der Couch gemütlich. Wäre ich selbstständig, müsste ich mir jetzt wahrscheinlich noch arbeiten, so verschwende ich keinen Gedanken mehr daran.

23:00 Uhr Ich lege mich in mein Bett und kann bei dem Gedanken an meinen gedeckten Gehaltscheck beruhigt einschlafen.

@MarionKirbis

diewortgespielin.wordpress.com

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Wer ist Schuld an meinem

Scheißleben? Autor Andreas Altmann rechnet in seiner Autobiografie ab: „Das Scheißleben meines Vaters, das Scheißleben meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend“ ist Titel und Thema des Buches zugleich. Das Schauspielhaus brachte das Scheißstück auf die Bühne.

Text: Benjamin Barteder Fotos: Lupi Spuma / Schauspielhaus

I

m Jahr 2011 veröffentlichte der deutsche Autor und Reporter An­ dreas Altmann seine Autobiografie „Das Scheißleben meines Vaters, das Scheißleben meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend“. Ein Buch gefüllt mit familiärer Gewalt, Ausbeutung, religiösem Fanatismus und Hass auf den Vater. Ein Vater, der NS-Veteran ist, dem die Frau davonlief, und der als psychisches Wrack vom Krieg allein mit seinen Söhnen und der einzigen Tochter in dem Wallfahrtsort Altöttin­ gen lebt. Ein Vater, der besinnungslos auf seine Söhne einprügelt, sie ernied­ rigt und ausbeutet. Als Andreas Alt­ mann endlich alt genug ist, 21, zieht er aus und versucht, sein Leben auf die Reihe zu bekommen.

@barti_b

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Seltsames Bühnenbild. Ein weißes Po­ dest in der Mitte, ein alter Tisch mit Stühlen darauf, im Hintergrund Rund­ bögen, Marienstatuetten, Grablichter,

Kreuze. Links Fernseher, auf denen zu­ sammenhanglose Videos über Heilung durch Glauben laufen. Ein Keyboard, ein Schlagzeug, Gitarre, Bass. Rechts Brautkleider. Mittendrin ein Mann in grauer Hose, Krawatte, Hemd, beigem Pullover. Er malt Striche auf die Tafel. Die düstere Stimmung lässt einen nichts Gutes erwarten. Als plötzlich eine Tür knallt, geht die Scheiße richtig los. Es folgt die Chronologie eines Traumas, die versucht, zu erklären, wer Schuld hat an Gewalt, Angst, Hass und allem, was Altmanns Scheißjugend ausmacht. Drei weitere Männer kommen herein. Alle vier Darsteller zusammen (Thomas Frank, Sebastian Klein, Florian Köhler, Franz Solar) sind eine Person: Andreas Altmann. Sie stellen unterschiedliche Charakterzüge des Hauptakteurs dar. Alle sind gleich angezogen. Mit weißen Kreuzen auf den schwarzen Socken. Sie erzählen die Geschichte der Familie


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Altmann. Ehe man sich’s versieht, bricht mal der eine, mal der andere Schauspieler aus der Rolle aus und wechselt in eine andere. Aus Andreas Altmann wird so plötzlich die Mutter, die flüchtet und die Kinder nicht vor den willkürlichen Wutausbrüchen des Vaters schützen kann. Oder der Vater, der Lehrer, der Bruder. Mit der Zeit und den Enttäuschungen regt sich Widerstand in dem Jungen. Die Belohnung dafür ist Blut. Blut, über das Gesicht gewischt, nachdem man wieder eine Tracht Prügel vom Vater abbekommen hat. Die sprung­ haften Rollenwechsel erzeugen dabei ein Tempo, das einen beim Zuschauen überfordert. Und jeder hat irgendwie Dreck am Stecken. Das Schnalzen eines Gürtels gefolgt von der eigenartigen Komik, die die Szene vom Auftritt Andreas Altmanns erster Band begleitet. Man weiß nicht ganz, ob man lachen darf oder nicht. Zuerst beängstigend, dann lustig, dann seltsame Stille. Irgendwie sitzt man da und weiß nicht ganz, wohin mit sich

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selbst. Schon längst geht es nicht mehr um die Frage, wer Schuld hat an der ganzen Scheiße. Wer Schuld hat an Verrat, Prügel, Lügen. Es geht darum, irgendwie durchzukommen, um es spä­ ter anders machen zu können. Zum Schluss die Frage, ob Altmann sei­ nen Vater noch hasst. Tut er nicht. Er habe ihm nur gezeigt, dass gutes Aus­ sehen und Intelligenz nicht genug sind, wenn man darauf sitzen bleibt. Die Mutter hingegen sei eine Frau, deren Leben sich komplett in die entgegen­ gesetzte Richtung entwickelt hat von dem, was sie sich ursprünglich erhoffte. Ob er mal so wird wie sein Vater? Die Frage bleibt offen. Bleibt offen, weil einem das niemand sagen kann. Ob man so wird wie seine Eltern. Weil es zwar Voraussetzungen für ein Scheißleben gibt, für die bestimmt je­ mand die Schuld trägt. Weil es aber der Selbstbestimmung obliegt, was man daraus macht. Ob man Muster über­ nimmt, bewusst oder unbewusst. Ob man sich damit auseinandersetzt. Ob man selbst bestimmen will, was einen bestimmt, und was nicht.


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Rindsgeschnetzeltes mit Spinatspätzle, Zuckererbsen und Karottenstreifen 400g Rindfleisch, Rinderlende oder Rindsfilet 2 Zwiebeln 1 Knoblauch 1EL Öl 150g Crème fraîche 1TL Senf Salz, Pfeffer und Petersilie 4 Karotten Zuckererbsen

Das Rindfleisch in Streifen schneiden. Mit Salz, Pfeffer und Knob­ lauch würzen, im erhitzten Öl anbraten. Fleisch herausnehmen. Zwiebel klein würfeln und glasig anrösten, Crème fraîche dazuge­ ben, Senf und eventuell etwas Sahne dazu. Das Fleisch wieder dazu­ geben und mit Salz & Pfeffer abschmecken. Mit frischer Petersilie garnieren. Die Karotten mit dem Gemüseschäler in Streifen schälen, kurz biss­ fest blanchieren. Mit Salz/Pfeffer abschmecken und kurz in Butter schwenken. Die Zuckererbsen ebenfalls kurz banchieren und in Butter schwenken.

Spinatspätzle 200g Mehl 250g Spinat (tiefgefroren) 2 Eier etwas Knoblauch Prise Salz, Pfeffer, Muskatnuss

Spinat auftauen, Knoblauch dazu. Mit Eiern und Mehl verrühren, salzen, pfeffern und mit Muskatnuss abschmecken. Falls der Teig zu fest ist, etwas Milch dazugeben. Im Salzwasser mit dem Spätzlehobel den Teig in den Topf schaben. Aufkochen lassen und kalt abbrausen.

Von: Markus Knauß @Knaussi dreamk.at

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