Intro #175

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108 Probefahrt

Panic Channel / Panic*Ch

Doppelt Sigmund Freud wäre wahrscheinlich ihr Fan gewesen. Denn laut Freud ist jeder Mensch bisexuell, trägt weibliche wie männliche Anlagen in sich und lernt lediglich im Laufe seines oder ihres Lebens, die homosexuelle Seite der eigenen Existenz zu verdrängen.

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eine Ahnung, welche sexuellen Vorlieben Panic Channel haben, es tut auch nichts zur Sache, denn hier geht es nicht um Sex, sondern um Gender, genauer gesagt um ­»Doing Gender«, wie es in der dazugehörigen Forschung heißt. »Doing Gender« geht davon aus, dass Geschlecht nichts starr Gegebenes ist, sondern »Mann« und »Frau« bloß sozial festgelegte Kategorien darstellen. Wenn die Menschen wollten, könnten sie jederzeit switchen und ihr Gender wechseln, so wie Panic Channel das in Japan mit großem Erfolg machen. Mal treten sie als Panikku Channeru, mal als Panic*Ch auf, anfangs noch starr getrennt, inzwischen geben sie jedoch auch Konzerte, bei denen beide Identitäten an einem Abend präsentiert werden. Ganz freudianisch nennen sie diese Doppelexistenz »second page nature species«. Panikku Channeru präsentiert die weibliche Seite, geschminkt, extrovertiert, im Visual-Key-Style. Als Panic*Ch geben sich die Musiker als Jungs mit IndieRock-Attitüde. Dabei geht es nicht darum, männliche und weibliche Stereotypen auszuleben, denn die Charaktere sind gebrochen: Panic*Ch stehen nicht für konventionelle Männlichkeit, im Gegenteil, Fans beschreiben diese Seite der

Band eher als schüchtern. Panic Channel fungieren als ein Schlag ins Gesicht der homophoben Fratze, die sich derzeit weltweit gegen die Androgynität der Emos austobt und versucht, in Pop- und Jugendkultur wieder »klare« heteronormative Machtgefüge zu installieren. Musikalisch sind Panic Channel bei Weitem nicht so originell wie ihr performatives Konzept. Sie spielen am Mainstream orientierten Melodic-Rock mit Punk-Anleihen, so ein bisschen die Blink-182-Schiene. An ihrer Musik ist also rein gar nichts androgyn oder queer. Doch das wäre vielleicht auch zu viel verlangt und würde in ein Mainstream-Dissing münden, bei dem niemandem geholfen wäre. Zum einen gelingt es Panic Channel gerade wegen ihrer Massentauglichkeit, Normen auf breiter Front in Frage zu stellen. Zum anderen hat sich der Mainstream in Gender-Fragen immer schon als radikaler erwiesen als sämtliche Subkulturen von Punk bis HipHop, von Rockabilly bis Raggamuffin, wo sich die rebellische Geste meist im Bewahren traditioneller Männerbünde erschöpft. Keep on rocking, boys, girls or whatever you are. Martin Büsser

Panic Channel »The Last« (CLJ / Al!ve)


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