Fine Ein Magazin für Wein und Genuss 3|2012

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E I N M AGA Z I N F Ü R W E I N U N D G E N U S S

Vo n We i n g u t z u We i n g u t : Im Por s c h e a n Mo s e l , A h r , Na h e u n d S a a r

Gräfin Pfuel t r i f f t G i l l e s He n n e s s y

Jürgen Dollase im Essigbrätlein zu Nürnberg

R ode n s to c k u n d Je f f e r s on : V i e l L ä r m u m n i c h t s ?

S ü d t i r o l : Die grossen Kellereien

D e r W e l t - W i n z e r Ernst Loosen

S c h m u c k s t ü c k : C h â t e au Ly nc h - Bag e s

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Verleger und Herausgeber Ralf Frenzel ralf.frenzel@fine-magazines.de Chefredakteur Thomas Schröder thomas.schroeder@fine-magazines.de Redaktion Carola Hauck Art Direction Guido Bittner Mitarbeiter dieser Ausgabe Jürgen Dollase, Till Ehrlich, Michael Freitag, Rainer Schäfer, Christian Volbracht Fotografen Guido Bittner, Rui Camilo, Johannes Grau, Alex Habermehl, Christof Herdt Titel-Foto: In den Weingärten von Monteverro, Johannes Grau Editorial-Fotos: Johannes Grau und Pekka Nuikki Verlag Tre Torri Verlag GmbH Sonnenberger Straße 43 65191 Wiesbaden www.tretorri.de Geschäftsführer: Ralf Frenzel Anzeigen Ann-Kathrin Grauel Tre Torri Verlag GmbH +49 (o) 611-57 990 info@fine-magazines.de Druck Prinovis Ltd. & Co. KG  ·  Nürnberg Fine Ein Magazin für Wein und Genuss ist eine Sonder­beilage des Tre Torri Verlags und erscheint im Verbund mit Fine Das Wein­magazin viermal im Jahr Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Der Verlag h ­ aftet nicht für unverlangt eingereichte Manus­kripte, Dateien, Datenträger und Bilder. Alle in diesem Magazin veröffentlichten Artikel sind urheberrechtlich geschützt.

Verehrte Leserin, lieber Leser, wenn dem Wein eine Jahreszeit ganz besonders zugehört, dann ist es wohl der Herbst. Heuer zumal – der Sommer, da darf man Rilke wohl widersprechen, war nicht sehr groß. Und wo den Winzern kurz vor der Lese noch einige südlichere Tage geschenkt wurden, war die Dankbarkeit tief. Nun aber wölbt sich der Himmel allenthalben blitzblau über dem Rebland, die Lesekolonnen arbeiten sich von Weinstock zu Weinstock durch die langen Zeilen und ­bergen, wo es nicht schon getan ist, die Trauben behutsam und sorgfältig in Bütten und Erntekörben. Es wird also w ­ ieder ein Wein sein; zum Jahrhundertjahrgang wird er nicht taugen, aber seine Freunde wird er allemal finden. Wein und Genuss sind ja ein unzertrennliches Paar, und was könnte schöner und genussreicher sein, als in ­dieser frühherbstlich-sonnigen Zeit durch die Landschaften des Weins zu fahren: Solche Tage im Rheingau und am Kaiser­ stuhl, an Mosel, Ahr, Saar oder Nahe, in Franken, Rheinhessen oder der Pfalz, in Sachsen und an Saale-Unstrut sind glorreich. Allerorten finden sich freundliche ­Menschen, idyllische Gasthöfe und Winzerstuben, und überall wird guter Wein ausgeschenkt. Wen es nach Gourmandise gelüstet – auch dem wird ein Tisch wohlgedeckt sein. Es sind ja nicht selten diese kleinen Fluchten aus dem Alltag, die überraschende und beglückende Momente bescheren – ein liebenswerter Luxus, den man sich gern gönnen soll! Und wer ein wenig weiter ausgreifen möchte, sieht für eine kurze Weile den Himmel auf Erden auch in der Champagne, in der Bourgogne oder in den s­ tolzen S ­ tädten und charmanten Winzerdörfern des Bordelais, wo man über der Pracht der Châteaux und dem Prunk der weltbekannten

Namen fast einmal den Wein vergessen könnte. Oder man erkundet das traumschöne Südtirol, ­dessen Weine immer begehrter werden, kehrt bei den großen Winzer­ genossenschaften ein und lässt sich im Schatten der Dolomiten von Tiroler Gastfreundschaft verwöhnen. Und dann ist es nur noch ein Sprung in die Toskana, in deren Küsten­ region Maremma die großen Italiener gedeihen. Freilich – was wir hier genießen, ist der Welt nicht geschenkt, sondern die Frucht harter Arbeit und geduldigen, kundigen Winzer-Wirkens. Und allzumeist spielt auch Geld eine Rolle, und das nicht zu knapp. Denn Wein hat natürlich auch seine ökonomische Seite. Die bekommen nicht selten Raritäten-Sammler zu spüren, wenn sie auf Auktionen nach alten F ­ laschen fahnden. Der amerikanische Milliardär, der vor nicht allzu langer Zeit glaubte, eine Uralt-Flasche »Lafitte« aus dem Keller des dritten amerikanischen Präsidenten Thomas Jefferson zu dem höchsten Preis erworben zu haben, der je für eine F ­ lasche Wein erlegt wurde, muss nun damit fertig werden, dass er womöglich einer Fälschung aufgesessen ist: Statt einer triumphalen Bouteille hat er vielleicht nur noch »the billionaire’s vinegar« vor sich. Ein Gespräch mit dem in die Affäre involvierten Raritäten-Sammler und -Händler Hardy ­Rodenstock leuchtet die Hintergründe des Falles aus. Wein kann also auch voller dunkler Geheimnisse ­stecken, kann ein Millionen-Abenteuer sein – indes wir Sterblichen im Garten eines lieben Wirtshauses unterm Rebdach sitzen, zum rustikalen Mahl eine frische Flasche trinken und uns dabei eingestehen, dass das Leben sehr schön sein kann.

INHALT

Ralf Frenzel Thomas Schröder Herausgeber Chefredakteur

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Toskana

Georg Weber und sein Weingut Monteverro

Lifestyle

Im Porsche unterwegs an Mosel, Ahr, Nahe und Saar

Wein und Wahrheit

Hardy Rodenstock über teure Flaschen und dunkle Geheimnisse

Südtirol

Die großen Kellereien

Mosel

Ernst Loosen und seine grenzenlose Weinwelt

Gourmandise

Jürgen Dollase im Essigbrätlein zu Nürnberg

Bordeaux

Jean-Michel Cazes, der Erneuerer von Château Lynch-Bages

Tischgespräch

Stephanie von Pfuel und Maurice Hennessy über Luxus

E ditorial

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der kometenhafte aufstieg des weinguts

monteverro

in der maremma Georg Weber hat sein Herz

an grosse Weine verloren Von Rainer Schäfer Fotos Johannes Grau

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as Wandbild im Restaurant Da Maria in Capalbio zeigt das mittelalterliche Städtchen mit den vor ihm liegenden Hügeln im Breitformat. Es ist ein stimmungsvolles Panorama, von den

Wehrtürmen Capalbios, vom Grün der Macchia, des Steppwaldes, und vom Strohgelb der Getreide­felder geprägt. Aber es müsste dringend erneuert werden, wie auch Georg Weber und seine Mutter Christine finden, die an diesem Abend aus München angereist ist. Immer wieder bleiben ihre Blicke am u ­ nteren rechten Bildrand haften. Denn dort, wo eines der interessantesten Weingüter Italiens zu sehen sein müsste, da stehen noch Weizenähren. »Nächstes Mal bringen wir Pinsel und Farben mit«, scherzt Georg Weber, der das Weingut Monteverro leitet. Dann könnte das Landschaftsbild der Realität angeglichen werden. Zu ergänzen wären die hügeligen Weinberge, die Wege, die zum höchsten Punkt, der Bella Vista, ­führen. Und natürlich das schmiedeeiserne Tor, das zum Weingut führt. In seiner Mitte prangt ein M, für ­Monteverro. Ein Emblem, das für Aufregung sorgt in der Weinwelt.

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nterhalb von Capalbio, auf dem letzten Hügel vor dem Meer, steht das Weingut Monteverro. Es hat sich entschlossen Zugang zur geschlossenen Gesellschaft der toskanischen Weinaristokratie verschafft. Die feiert seit den 1980er Jahren Erfolge mit ihren Super Tuscans, die nach Bordelaiser Vorbild erzeugt werden, wie der Sassicaia oder der Masseto. Goldküste wird die Gegend um Bolgheri auch genannt, hier lässt sich mit Prestigeweinen gutes Geld verdienen. Monteverro hat 2008 die ersten Weine abgefüllt und macht schon den Super-Toskanern Konkurrenz. Ungeheuerlich, dass ein Neuling die bleiernen Hierarchien in so rasantem Tempo gesprengt hat. Dabei wurde Monteverro mit vielen Vorbehalten begegnet: Musste ein deutscher Unternehmer unbedingt ein Weingut in die Toskana stellen, gab es davon nicht schon zu viele? War Georg Weber einer dieser gelang­ weilten Neu­reichen, die sich etwas Aufregung von einem eigenen Weingut versprechen? In Deutschland wurde er in Neid­debatten verstrickt, aber bald stellte sich heraus: Der Chef einer deutschen Gartencenterkette leistet sich kein Spielzeug, das er bei der nächsten größeren Laune wieder abzustoßen gedenkt. Weber, Jahrgang 1978, ist ein bodenständiger Unternehmer, der Einstecktücher zu ­seinen Anzügen trägt und dabei modisch nicht allzu viel wagt. Wie ein Draufgänger wirkt Weber keineswegs – er bevorzugt die leisen Töne. Und doch ist er mit Monteverro ent­schlossen ins Risiko gegangen. Weber hat sein Herz an große Weine verloren, das war so nicht vorgesehen. Das passierte in Lausanne, wo Weber Betriebswirtschaft studierte, bei einer Flasche Grand Cru Classé aus Bordeaux. Es war ein Erweckungserlebnis, das die bis dahin auf Vernunft gebaute Welt des Studenten ­mächtig erschütterte. Weber ließ es zu, dass Weine seine Sinne ­reizen und ­betören. Zuhause in Bayern hatte die Familie sich zumeist

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mit Rieslingen von der Mosel und aus dem Rheingau begnügt, diese Rotweine aber versprachen Abenteuer in ganz neuen Genusswelten. Auf seinem Nachttisch lagen bald die Klassiker der Weinliteratur, Michel ­Broadbents Weinnotizen, die voluminösen Standardwerke über die großen Weine des Bordelais. Weber konnte nie genug Weine probieren und schrieb mit seinen Verkostungs­ notizen ganze Bücher voll – Dokumente eines Enthusiasten, vor allem die großen Franzosen hatten es ihm angetan. Ein Château Latour, Jahrgang 1961, oder ein Cheval Blanc, Jahrgang 1947, sagt Weber, seien wie Kunstwerke, die alle Sinne überwältigen. Einer dieser Weine muss es gewesen sein, der den Gedanken in seinem Kopf festsetzte: Weber wollte sein eigenes Weingut führen. In den besten Weinregionen hat er sich umgeschaut, im Bordelais, im Burgund, in Australien, Neuseeland und natürlich auch an der Goldküste, manchmal begleitete ihn seine Mutter dabei. »Aber es hat nie richtig gepasst«, sagt Weber. Mehrmals sah er sich in Kalifornien um, in Napa ­Valley begegnete er dem Schweizer Önologen Jean ­Hoefliger, Weinmacher bei Alpha Omega. H ­ oefliger er­innert sich an lange Gespräche mit Weber, aufgefallen dabei ist ihm die Neugierde und der Wissensdurst des Unternehmers. »Ich habe selten jemanden getroffen, der so viel und exakt nachgefragt hat«, sagt Hoefliger, der inzwischen Monteverro berät und vier bis fünf Mal im Jahr in C ­ apalbio vorbeischaut. Kalifornien reizte Weber zwar enorm als Standort für sein Weingut, aber das sei »wie ein Baby« für ihn, das man in ­seiner Nähe wissen wolle. Warum versuche er es nicht unten in der Maremma? Zwei ­Winzer hatten Weber den Tipp gegeben. Der südlichste Zipfel der T ­ oskana war bis dahin nicht durch önologische Glanztaten auf­gefallen. Weber ist ein vorsichtiger Mann, durch die Reize der geschwungenen Hügellandschaft und das nahe gelegene

Tyrrhenische Meer ließ er sich nicht b­ lenden. Wohl­habende Römer leisten sich hier ihre Sommer­residenzen, es gehört dazu, dass man sich am Prominenten­strand Ultima spiaggia sehen lässt. Aber deshalb war Weber nicht in die Maremma gekommen. Er gab aufwändige Boden-Analysen in Auftrag, das Resultat überraschte: Unter den Getreideähren verbarg sich rote Erde, mit einem hohen Gehalt an Eisen, Kalkstein und Ton. »Es sind Böden mit unglaublichem ­Potential«, schwärmt Weber. »Die einzigartige Zusammen­ setzung des Bodens aus vielschichtigem Gestein und roter Ton-Erde macht unser Anbaugebiet zu einem der mineralhaltigsten der Welt.« Dazu bieten die steilen Hang­lagen und die unmittelbare Nähe zum Meer ein besonderes

Mikroklima. Der frische Wind, die kühlen Nächte und die sonnen­reichen Tage schaffen optimale klimatische Verhältnisse für gutes Wachstum. Nach jahrelanger Suche war der ­ideale Standort endlich gefunden: Weber erwarb 2003 fünfzig Hektar Land; das war nur ein Zwischenschritt auf einer beschwerlichen Etappe.

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m Kern ist Georg Weber bei aller Schwärmerei, die er für Wein entwickeln kann, ein Betriebswirtschaftler geblieben. Er glaubt fest daran, dass Erfolg planbar ist. Dass es eine Formel dafür gibt: Wenn alle Komponenten aufgehen wie berechnet, muss das Ergebnis stimmen. Diese rationale Akribie, ein Wesenszug Webers, hat auch

Beherzter Winzer: Mit immensem Einsatz von Kapital, Technologie und Wissen hat sich Georg Weber seinen Lebens­ traum erfüllt. Doch das wichtigste Guthaben ist seine Leiden­schaft für Weinbau und Wein.

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Monteverro angetrieben. Aber Weber musste dabei erkennen, dass auch die Umsetzung perfekter Pläne die Geduld über­strapazieren kann. Heute schmunzelt er über seinen »jugendlichen Optimismus«, mit dem er losgezogen sei, um dem Bürgermeister die Baupläne vorzulegen. Dem gefiel zwar die Vorstellung, dass vor seiner Haustür der »­Sassicaia von Capalbio« erzeugt werden sollte. Aber es dauerte noch einmal drei Jahre, bis die Baugenehmigung endlich vorlag. »Ich weiß nicht, ob ich noch mal die Kraft hätte, das durchzustehen«, sagt Weber. Der Bürgermeister von Capalbio jedenfalls hat es nie bereut, dass er sich für Monteverro ins Zeug gelegt hat; das Weingut gilt inzwischen als »Loko­ motive der Maremma«. 2006 konnte es endlich losgehen: Der Keller wurde in den Hügel hineingebaut, davor das Gebäude errichtet, in dem das Monteverro-Team arbeitet. Dabei durfte sich kein Stararchitekt im Gestaltungsrausch verwirklichen, Prunk war nicht gefragt. Alles, sagt Weber, wurde der Funktion untergeordnet, besondere Weine erzeugen 8

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zu können. In den Weinbergen wurde eine Drainage installiert, die überschüssiges Wasser abtransportiert. Die Rebzeilen s­ tehen sehr preußisch da, in Süd-Südwest-Ausrichtung, die Abstände zwischen ihnen wurden mit Laserstrahlen ausgelotet. Italienische Winzer schütteln den Kopf über so viel Akkuratesse. Bis auf Vermentino wachsen hier französische Reben, Weber hat die Rhônesorte Grenache in der Maremma eingeführt, vor allem aber setzt er auf Reben aus dem Bordelais – ein Premier Grand Cru auf toskanischem Boden, das war immer Webers Zielsetzung. Es ist nicht übertrieben, wenn man ihn als Qualitätspedanten einstuft. Das müsse man auch sein, wenn man »­Kaschmir erzeugen will und keine Baumwolle«. Selbst kleinste Kompromisse lehnt er ab, wenn es um die bestmögliche ­Qualität geht. Dafür vertraut er dem Rat namhafter französischer Experten: auf die Bodenspezialisten Claude und Lydia Bourguignon und den Fachmann für Reberziehung Michel Duclos. Schließlich auf Michel Rolland, den wohl einflussreichsten Weinberater. Aber selbst wenn man die größten

Koryphäen an seiner Seite weiß – Zweifel kamen immer wieder auf: Was ist, wenn die Böden nicht halten, was sie versprechen? Wenn die Weine nicht so groß werden wie erwartet? Es dauerte beinahe neun Jahre, bis diese Bedenken ausgeräumt waren. Neun Jahre, in denen sich das Team manchmal fühlte, als sei es interniert, auf einem Weingut ohne Wein, zu Trockenübungen verdonnert.

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m Morgen ist Michel Rolland aus Bordeaux eingetroffen, die Sonne will schon zeigen, wie viel Kraft sie hat. Die Macchia beginnt, ihr Parfüm zu versprühen, R ­ osmarin, Lavendel, Thymian. Rolland will gemeinsam mit Weber und Weinmacher Matthieu Taunay die Weine aus den ­Fässern probieren, um die Cuvées für den nächsten Jahrgang zusammenzustellen. Konzentriert schwenkt R ­ olland die Weine im Mund, er macht sich kaum ­Notizen. Sein Gaumen gilt als Präzisionsinstrument, ist überall gefragt. Aber Rolland nimmt nur noch Aufgaben an, die ihn besonders reizen. »Er kam an und sagte: Ich mache es. Wir hatten


Großartiges Team: Für das zum Meer abfallende Rebland und den K ­ eller hat Georg Weber auf seinem Weingut in der Nähe des Maremma-Dörfchens ­Capalbio hoch­motivierte Mitarbeiter ­gewonnen. Selbstbewusst zeigen sich mit ihm im Fasskeller der ­Technische ­Leiter Michael Voegele, Sales-­Managerin Olympia Romba und Winemaker Matthieu Taunay.

noch nicht über Geld geredet«, erzählt Weber. Rolland wird oft vorgehalten, zu den Befürwortern s­ chwerer Weine zu zählen. Georg Weber kennt diese Kritik, doch hat Rolland ihm nie einen Weinstil aufgedrängt. Das hätte Weber auch gar nicht akzeptiert, dafür hat er zu genaue Vorstellungen: »Ich will die Frische im Wein, die das Meer mit seinen ­kühlen Winden schickt.« Aber was hat Michel Rolland an Monteverro gereizt? »Schauen Sie sich doch um«, sagt Rolland, »das ist eine Traumwelt für jeden Weinmacher.« Aus den Wein­bergen kommen Trauben höchster Güte, im Keller sind einige Details verwirklicht worden, von denen viele Winzer ­träumen, um die Trauben möglichst schonend verarbeiten zu können: In einem Kühltunnel wird das Lesegut sofort auf sieben Grad herabgekühlt. Der Barriquekeller ist mit einer Fußbodenheizung ausgestattet. Die Temperatur unter den Holzfässern lässt sich erhöhen, sollte die malolaktische Gärung unterbrochen worden sein. Im Keller wird ohne Pumpen gearbeitet, nur mit Schwerkraft. Ein Garant für besonders seidige Tannine, die man für Kaschmir-Weine benötigt. Dass sie nur mit Gravitation arbeiten, reklamieren viele Weingüter für sich, aber die wenigsten setzen es um. Ein ausgeklügeltes Kransystem macht das auf ­Monteverro möglich. Verantwortlich für diese Neuerungen ist Michael Voegele, ein Schwabe aus Augsburg. Er hat die lange Warte­ zeit überbrückt, mit pfiffigen Konstruktionen. Er hat konische Edelstahltanks entworfen, ein Sortier­band, das die Traubenkontrolle vereinfacht, sogar eine kleine Wasch­ anlage für die Traubenbehälter. Hätte Voegele Interesse an technischen Gimmicks, könnte er ein Anwärter für das Entwicklungslabor von James Bond sein. Aber Monteverro erzeugt Naturwein, Voegele will Technik nur da einsetzen, wo sie Arbeitsabläufe vereinfacht. Jeden Tag läuft Michael Voegele an einem gusseisernen Wildschwein vorbei. Es ist ein Geschenk von Webers Vater, eine exakte Nachbildung des bronzenen Originals, das auf dem Strohmarkt in Florenz steht. Das Wildschwein hat dem Weingut auch den Namen gegeben, Monteverro bedeutet Eberberg. »Man muss ihm die Schnauze r­ eiben, das bringt Glück«, weiß Weber. Davon habe er schon ein wenig abbekommen, sagt er, so wie sich die Dinge

bei Monteverro entwickelt haben. Was hier im Schnelldurchlauf geschaffen wurde, das hat auch der erfahrene Michel Rolland noch nicht erlebt. »Hier ist in kurzer Zeit das entstanden, wofür andere zwanzig Jahre brauchen«, sagt er. »Von überall her auf der Welt hat man Anregungen aufgenommen und perfekt umgesetzt.« Monteverro sei auf dem höchsten Kenntnisstand, was die Erzeugung einzig­artiger Terroir-Weine angeht. Eine Einschätzung, die auch Jean Hoefliger teilt, der in Napa Valley erlebt, wie eine ­dynamische Weinszene die Möglichkeiten auslotet, ­perfekte Weine zu erzeugen. »Ich habe viele erstklassige Weingüter g­ esehen, aber Monteverro ist wie ein F ­ errari, der jedes Rennen gewinnen kann.« Auch wenn dem Team um Georg Weber die Zeit lang vorgekommen ist: Es war ein

schneller Trip hin zum Premier Grand Cru aus C ­ apalbio. Mit dem Jahrgang 2010 reifen im Keller Weine heran, die Monteverro in die Weltklasse befördern k­ önnen. Es mag merkwürdig klingen, aber das Einzige, was Weber auf­ halten könnte, ist sein ausgeprägter Hang zum Perfektio­ nismus. Angelo Gaja wird die Erkenntnis nach­gesagt, dass jeder große Wein einen kleinen ­Fehler habe, der ihn unverwechselbar mache. Dahinter steht auch die Vorstellung von Wein als mythischem Kultur­getränk, das sich dagegen wehrt, seziert und bis ins letzte Molekül erklärbar zu sein. Georg Weber weiß darum und ist dabei, die I­ ntuition zu ent­wickeln, die große Weinpersönlichkeiten ausmacht. Draußen steht das Wildschwein in der Sonne und wartet darauf, dass man ihm weiter die Schnauze reibt.  >

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FINE TASTING Rainer Schäfer verkostet vier mal drei Jahrgänge der Weine von Monteverro 2008 Chardonnay

93 P

Tiefes Goldgelb, in der Nase Anklänge von Feigen, Zitronen, Birnen, M ­ andeln, Ananas und getoastetem Brot. Am Gaumen florale Noten, Apfel, Vanille und Butterjoghurt. Ein vom achtzehnmonatigen Ausbau im Holz geprägter Chardonnay, der über mineralische Tiefe und Komplexität zugleich verfügt.

2009 Chardonnay

94 P

Leuchtendes Gelb. In der Nase Zitrone, Birne und Nektarine, zarte Kräuter­würze. Am Gaumen reifer Apfel, Orangenzesten, etwas Karamell und Quitte. Elegante, cremige Textur, lebendige Säurestruktur, gut eingebundenes Holz, im Abgang Steinobst, delikater mineralischer Ausklang mit leicht salzigen Noten.

2010 Chardonnay (Fassprobe)

94+ P

Auch wenn man Burgund und Kalifornien in diesem Wein erkennt – es ist wirklich ­Italien, die Toskana, die diesen Chardonnay geprägt hat. Damit setzt Monteverro Akzente unter den toskanischen Weißweinen. Noch verschlossen und verhalten, aber mit vielversprechendem Auftritt; feine Würzig­keit, komplex, gut balanciert.

2008 Tinata

94 P

Tinata ist eine Cuvée aus Rhônesorten, aus siebzig Prozent Syrah und d ­ reißig Prozent ­Grenache. Ein Wein von dunklem Kirschrot, der nach Lavendel, Schwarzkirschen und Schokolade duftet. Am Gaumen intensive Frucht­aromen von Blaubeeren, Brombeeren und Kirsche. Ein ausdrucksstarker und würziger Wein aus dem heißen Jahr 2008.

2009 Tinata

93 P

In diesem Jahr wurde der Anteil der Syrahtrauben auf achtzig Prozent erhöht. Kräftiges Rubingranat, Aromen von roten Beeren, reifen Kirschen, Dörrobst und Pfeffer. Nicht so würzig wie der Jahrgang 2008, aber mit ­eleganter ­Textur, feinen Tanninen und dem frischen Säurespiel von Küstenweinen; achtzehn Monate in französischem Eichenholz ausgebaut.

2010 Tinata

94 P

Opulente Nase, intensiv und beerenfruchtig, ausgeprägter Rhône­charakter. Dicht am ­Gaumen, mit schon geschmeidigen Tanninen. Ein würziger, musku­löser und doch e­ leganter Tinata, der die typische Frische der Monteverro-Weine zeigt. Ein Wein mit viel Potential, der sich noch weiter entwickeln wird.

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2008 Terra di Monteverro

93+ P

Der Terra di Monteverro ist der Zweitwein, der kleine Super Tuscan, des Weinguts. Er besteht aus vierzig Prozent Cabernet Sauvignon, fünfund­dreißig Prozent Cabernet Franc, fünfzehn Prozent Merlot und zehn ­Prozent Petit Verdot. Er wird dominiert von rot­ beerigen Aromen, Johannisbeere, Himbeere. Ein Rotwein mit geschliffenen Tanninen und einem mineralischen Finale.

2009 Terra di Monteverro

93 P

Tiefdunkles Kirschrot, in der Nase Kräuteraromen, das Parfüm der M ­ acchia, Thymian, Rosmarin, Lavendel, dazu Kirschen und Blaubeeren. Wurde ­zwanzig Monate in französischen Eichenbarriques ausgebaut. Saftig und animierend, elegante Textur, präsente Gerbstoffe, präzise Kirschfrucht im Abgang.

2010 Terra di Monteverro

94+ P

Dieser Terra di Monteverro profitiert von den perfekt ausgereiften Trauben von C ­ abernet Sauvignon und Cabernet Franc, die bei Monteverro bessere Ergebnisse abliefern als M ­ erlot. Ein vielversprechender Wein mit Struktur, Säure und Eleganz, der noch am Anfang ­seiner Entwicklung steht.

2008 Monteverro

95 P

Monteverro ist der Erstwein des Weinguts, komponiert aus sechzig ­Prozent Cabernet Sauvignon, fünfundzwanzig Prozent Cabernet Franc, zehn Prozent Merlot und fünf Prozent Petit Verdot. In der Nase Brombeeren, schwarze Johannisbeeren, Kräuter, aber auch Noten von Menthol, Lakritz und Zigarre. Ein komplexer Wein mit viel Tiefe und langem Nachklang schon aus dem Debütjahr.

2009 Monteverro

96 P

Die Rezeptur wurde verändert, 2009 sind fünfundvierzig Prozent C ­ abernet Sauvignon, fünfunddreißig Prozent Cabernet Franc, zehn Prozent M ­ erlot und zehn Prozent Petit Verdot zusammengeführt worden. Einladende A ­ romen von Gewürzen, dunklen Beeren, Sauerkirsche, Vanille und K ­ aramell. Ein gut balancierter Spitzenwein, von edler Kühle und Noblesse.

2010 Monteverro (Fassprobe)

99 P

Erstaunlich, wie schnell der Monteverro erwachsen und zum Schrecken der anderen Super Tuscans geworden ist. 2010 ist Georg Weber ein Premier Grand Cru gelungen, eine gekonnte und eigenständige Interpretation der Bordelaiser Reben auf dem Boden und im Mikroklima der Maremma. Eine berückende Synthese von Kraft und kaschmirgleicher Eleganz.  >


CO LB AT Z KY

Wir sind keine Hellseher, aber wir wissen, was morgen zählt. Neben hervorragenden Weinen wächst bei unseren Winzern das Bewusstsein, die ökologischen, sozialen und ökonomischen Aspekte ihrer Arbeit konsequent in Einklang zu bringen. Warum das Ihnen sowie unseren zukünftigen Generationen schmecken wird, erfahren Sie unter nachhaltiges-rheinhessen.de


Von Michael Freitag Fotos Christof Herdt

Beim Aufstehen fühlt er sich gelangweilt und ein wenig ein Porsche war – ein 911er. Fünf Stück hat er gefahren, seit ­fahrig. Dabei müsste ihm, das weiß er, ganz anders zumute er seinen Job als Unternehmensberater begonnen hatte. sein – ­voller Vorfreude, berstend vor Spannung. Denn Es war schön gewesen, sich das leisten zu können, und heute wird sein neues Auto geliefert, und so etwas hat später war der 911er sein Rückzugsraum gewesen, wenn ihn früher immer beflügelt. Zwanzig Jahre lang war es ihm der Druck von Familie und Job zu groß wurde. Einfach egal gewesen, was für ein Modell er fuhr, solange es nur weg, allein, me and my Porsche.

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Aber jetzt, längst gesettelt und selbstständig, hat er dem beharrlichen Drängen seiner Frau nachgegeben und einen Panamera bestellt, ganz umweltbewusst in der Version S Hybrid. Vierradantrieb, 380 PS, adaptive Luftfederung mit unterschiedlichen Härteeinstellungen, klingt alles fast wie bei Sportwagen. Dennoch dachte er: Familienkutsche. Seine Frau lachte ihn aus. Er solle sich nicht so anstellen, schließlich habe er doch selber gesagt, er wolle mehr Zeit mit ihr und den beiden Töchtern verbringen, und außerdem: »Der Panamera ist bildschön, ein Auto, nach dem sich halb Deutschland die Finger leckt, probier’s doch mal aus!« Sie hatte ihm vorgeschlagen, mit der brandneuen Limousine zum Nürburgring zu fahren und einige Runden auf der Nordschleife zu drehen. Vielleicht mache die »grüne Hölle« sogar mit der Familienkutsche Spaß. Oder er könne sich ja schon einmal auf das gemütliche Kurvenfahren zu viert einstimmen, auf einer kleinen Rundreise zu seinen Lieblings-Weingütern an Mosel, Saar, Ahr und Nahe. Die Idee fand er gut. Noch besser, beides zu machen. Und so fährt er von Frankfurt über Koblenz und Mayen Richtung Nürburg. Dort, so erinnert er sich, liegt kurz vor der Antoniusbuche bei der Döttinger Höhe die Zufahrt zur Nordschleife. Autobahnfahrerei hat ihn schon immer gelangweilt, schnell gerade­aus­fahren kann jeder, sagt er

sich. Und er freut sich darauf, auf der alten Rennstrecke endlich wegzukommen von alltagstauglicher Fahrweise. Statt dessen Sport und Tempo. Der Elektroantrieb kann sogar kurzzeitig einen Boost dazugeben.

schleife: Labyrinthische Kurven, Querbeschleunigung satt, Steilkurve im Caracciola-Karussell – nach einer schnellen Runde ist er schweißgebadet und glücklich. Mehr wollte er gar nicht.

Launch Control. Linker Fuß auf die Bremse, mit dem rechten Vollgas. Die Elektronik regelt die Drehzahl auf 5500, und dann lässt er los. Okay, wirkt wie ein Jet. Schon vorher hat er gesehen, dass er sich dank der Porsche-­ Designer optisch kaum umgewöhnen muss: Auch beim Panamera sind die Kotflügel höher als die Fronthaube; auch wenn jetzt, anders als beim 911, der Motor drunter steckt, so wie bei fast jedem normalen Auto. Er zuckt die Achseln. Es sieht fast noch aus wie immer, an die kantig leicht hochgezogene Mittelpartie, markantes Kennzeichen des Panamera, wird er sich schon noch gewöhnen. Die Beschleunigung, das merkt er sofort, ist explosiv genug.

Anschließend ruft er seine Frau an, sie solle doch bitte sofort in den Zug steigen, in Montabaur hole er sie ab, Weingut-Hopping zu zweit mache schließlich mehr Spaß, sie hätten jetzt ja einen Kofferraum, der den Namen verdient, der soll mit Weinkartons vollgepackt werden. Seine Frau lacht schon wieder, schallend diesmal, aber sie kommt.

Noch einmal aggressiv den neuen Wagen prügeln, das hat er sich vorgenommen, und er gibt sich Mühe. ­Schneller Wechsel von Gasgeben und wüstem ­Bremsen, zur Einstimmung. Gas, Gas, bremsen vor den Hoch­ eichen. Zurückhaltung vorm Schwedenkreuz, noch etwas langsamer bei der Einfahrt in die Fuchsröhre, brachiale Beschleunigung im Adenauer Forst, und dann den Aufstieg von Breitscheid bis zur Hohen Acht genießen. Dreihundert Höhenmeter auf fünf Kilometer. Die Nord-

Erste Station ist Meyer-Näkel in Dernau an der Ahr. Er schätzt dieses Weingut, seit Werner Näkel quasi im Alleingang antrat, Méo-Camuzet und anderen renommierten Weingütern in Burgund Paroli zu bieten. Der Chef ist gerade in Südafrika, wo er Syrah und Cabernet anbaut. Seine Töchter Meike und Dörte vertreten ihn, und das tun sie sehr gut. Beide haben die Weinbauschule in Geisenheim absolviert, haben bei aller­ersten Adressen – Fürst in Franken, Knipser in der Pfalz, Dr. Heger in Baden – Praktika absolviert. In ihrem Bemühen, reintönige, mineralische Pinots auf die Flasche zu bringen, unterscheiden sie sich kein Jota von ihrem Vater. Seine Frau zeigt sich »hingerissen« von der Präsenz dieser Weine, die alles haben, was einen deutschen Spät-

Erste Station: Auf dem Weingut Meyer-Näkel an der Ahr haben gerade Meike und Dörte, die weinkundigen Töchter von Werner Näkel, das Sagen. Der Patron hat derweil in Südafrika zu tun. Große Spätburgunder! In den Kofferraum wandert eine Kiste Blauschiefer des Jahrgangs 2009.

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burgunder auszeichnet: nicht Wucht und Fülle, sondern Präsizion und Frucht. Er will nicht widersprechen. Erster Karton im Kofferraum: Meyer-Näkel 2009 Blauschiefer. Sie müssen sich ein wenig sputen für die zweite S ­ tation der Reise – an die Saar. Für den späten Nachmittag haben sie sich in Ayl verabredet im Hotel und Weingut Ayler Kupp von Peter Lauer. Er weiß, dass dies der Treffpunkt einiger Saarwinzer ist, die hier dienstagsabends Doppelkopf spielen. Florian Lauer, der älteste Sohn, kümmert sich um das Weingut. Mit Dreitagebart und Hoodie sieht er ein wenig wie ein Rapper aus, aber sein Bizeps verrät, dass er ein Macher ist, und er kann wie kein zweiter Auskunft geben über die Terroirs der Saar. Für seine Master­arbeit an der Uni Stuttgart-Hohenheim hat er zwei­hundert Standorte in allen Lagen der Saar untersucht und Proben durch den Massenspektrometer gejagt. In der täglichen Winzerarbeit ist er ein konservativer Praktiker. Im Weinberg achtet er auf gute Belüftung der T ­ rauben, die Beeren sollen klein bleiben; in den Parzellen, in denen

Zweite Station: ­Florian Lauer vom Saar-Weingut Ayler Kupp, berühmt für klassische feinherbe wie trockne Rieslinge. Im Kofferraum landet eine Kiste Ayler Kupp »56«, eine trockne Rarität.

Botrytis erwünscht ist, soll sie spät auftreten. Im K ­ eller und im Weinberg hat er sechs Hefestämme. Wenn er die alleinlässt, entstehen »spontan« Weine mit neun bis knapp elf Grad Alkohol, die mit stahliger Säure und merklicher Restsüße stehenbleiben: »So waren früher alle Saarweine. Viele unserer heutigen Weine sind genauso, möglicherweise aus besseren Lagen und noch sauberer definiert.« Kein Wunder, dass Lauer für solche feinherben Weine – Ayler Kupp »Stirn« oder »Kern« – gerühmt wird. Aber auch für die trocknen Weine greift er nicht zur Tüte mit den Reinzuchthefen, sondern betreibt Bâtonnage, erwärmt den Keller um einige Grade oder, wenn gar nichts mehr hilft, impft er ein träges Fass mit Hefen des Nachbarfasses, dann geht die Gärung weiter. Im Restaurant erweist sich Florians jüngerer Bruder Peter Lauer jun. als Meister in der Komposition eines Menüs, bei dem jeder Gang zu den restsüßen Rieslingen passt. Was kommt in den Kofferraum? Ayler Kupp »56«, eine Rarität, weil in dieser Parzelle normalerweise edelsüße

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Weine angestrebt werden. Aber 2010 – »bei uns ein Jahrhundertjahrgang, leider längst ausverkauft« – gab es solche Mengen an Beerenauslesen und Trockenbeerenauslesen, dass dieser Riesling trocken ausgebaut wurde. Lauer ist nicht im VDP, aber dieser Wein könnte als Großes Gewächs durchgehen. Am nächsten Morgen geht es fünf Kilometer weiter zu Dorothee Zilliken nach Saarburg. Auch dies ein Weingut, das niemals Kompromisse in Sachen Qualität gemacht hat. Zwei erstklassige Lagen, der Saarburger Rausch und der Ockfener Bockstein, liefern Traubenmaterial, das

regelmäßig für Kabinette, Spät- und Aus­lesen aller­feinster Qualität sorgt. Das Wetter entscheidet: »Wir haben kein Sortiment im strengen Sinne. In ­manchen Jahren gibt es keinen Kabinett, und edelsüße Auslesen Lange Goldkapsel oder höhere Prädikate ­können wir auch nicht immer versprechen. Wenn es sie gibt, freuen wir uns. Was der Weinberg uns schenkt, ­müssen wir annehmen.« Bei der Weinbereitung zeigt man sich ein wenig flexibler. Spontangärung, wenn möglich, aber Reinzuchthefen sind, wenn man sie braucht, für die junge Winzerin kein Drama. Wenn es sein muss, wie im Jahrgang 2010, wird


aktives Säuremanagement betrieben. Den Weinen hat das nicht geschadet. Ganz im Gegenteil. Liebhaber trockner Weine kommen hier nur selten auf ihre Kosten. Zwar gab es 2009 ein erstes Großes Gewächs aus dem Saarburger Rausch, aber solche Qualitäten kommen nicht jedes Jahr. Worauf sich die Fans des Weinguts allerdings verlassen können, ist die Herausgabe gereifter Weine aus Jahrgängen, die sich gerade auf dem Höhepunkt befinden. In den Kofferraum kommt deshalb eine Spätlese aus dem Saarburger Rausch von 1993, die sich wunderbar frisch und cremig, mit exotischen Fruchtnoten präsentiert. Am Nachmittag trifft er, nach einer entspannten Bummel­ fahrt durch die faszinierende Weinbergslandschaft der Mittelmosel, in Wehlen ein, im Weingut J.J.Prüm. Hier

Dritte Station: Bei ihrem Wein kennt Dorothea Zilliken aus Saarburg keine Kompromisse. Aber sie weiß auch, dass am Ende die Natur über die Qualität entscheidet. Der Panamera wird hier mit einer reifen Spätlese beladen, Saarburger Rausch von 1993.

teilt sich Dr. Katharina Prüm, eine zierliche junge Frau, die Verantwortung für das weltberühmte Gut mit ihrem Vater Dr. Manfred Prüm. Wie er hat sie Jura studiert, und angesichts der Auseinandersetzungen um die Bau­arbeiten rund um den Hochmoselübergang bei Ürzig hat sie sich schon manchmal gewünscht, ihr Studienschwerpunkt hätte im öffentlichen Recht gelegen und nicht im Zivilrecht. »Ob die Bauarbeiten unsere Lagen ­Wehlener Sonnenuhr, Graacher Himmelreich und Bernkasteler Badstube in Mitleidenschaft ziehen werden, weiß keiner«, sagt sie, und sie fügt hinzu, es sei ein ungutes Gefühl, »im Mittelpunkt eines ökologischen Großversuchs zu stehen«. Aber sie bleibt gelassen und ist gespannt darauf, wieviel das Projekt am Ende tatsächlich kosten wird. In der Zwischenzeit befasst sie sich hingebungsvoll mit der Weinbereitung und dem Vermarkten der »Jay-Jay-Weine« in alle Welt. Trocknes gibt es hier so gut wie nie, Spontangärung ist für alle Traubenmoste Pflicht, und nichts verabscheut man hier so sehr wie Holzaromen. Nur Edelstahl im Keller, sonst nichts. Die Prüms geben jedes Jahr gereifte Jahrgänge frei. Geduld sei halt wichtig, und schön, wenn man sie sich leisten könne.

Er entscheidet sich für eine Spätlese aus dem Graacher Himmelreich von 2004, einen schlanken, rassigen, kraftvollen Wein, seine Frau zieht den wundervoll voluminösen Jahrgang 2007 vor. Im Kofferraum ist genug Platz für beide. Gemächlich geht es weiter. Einmal überholt ihn ein Golf, und zu seinem eigenen Erstaunen nimmt er das hin. Zur Nacht bleiben sie in einem von Thomas Höreths romantischen Dorfhäuschen in Kobern-Gondorf – Weingut-­ Hopping ist anstrengend. Aber am Morgen ist die Müdigkeit verflogen. Von der Hunsrück-Höhenstraße ist es nur ein Katzensprung bis an die Nahe, und bald sind sie auch

schon in Monzingen. Bei Emrich-Schönleber hatten sie sich angemeldet. Noch so ein »Sponti«, zumindest bei den Lagenweinen. Hoch gelobt dazu, wohlverdient. Frank Schönleber, der Junior, hat überraschende Nachrichten. Nachdem er jahrelang den amerikanischen Sommeliers von seinen trocknen Rieslingen vorgeschwärmt hat, ziehen die Importeure mit. Die wollen auf einmal die Großen Gewächse aus dem Frühlingsplätzchen und dem Halenberg. Einer der ersten Erfolge eines deutschen Spitzen­weinguts mit trocknen Weinen im englisch­sprachigen Ausland. Die Kehrseite: Die bisher stabile Nachfrage aus den Vereinigten Staaten für edel-

Vierte Station: Im weltbekannten Weingut J.J. Prüm an der Mosel teilen sich Dr. Manfred Prüm und seine Tochter Dr. Katharina Prüm mittlerweile die Verantwortung. Im Keller blitzt nur Edelstahl, der Kofferraum füllt sich mit einem verheißungsvollen rassigen Graacher Himmelreich von 2004 und einer Kiste des voluminöseren Jahrgangs 2007.

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Fünfte Station: An der schönen Nahe empfängt Frank Schönleber, Juniorchef des Weinguts EmrichSchönleber, die Weinreisenden. Er freut sich über die Auslandserfolge seiner trocknen Rieslinge. Im PorscheHeck ist Platz für zwei Kisten der Großen Gewächse vom Halenberg und aus dem Frühlingsplätzchen.

süße Weine schläft ein. Schönleber gibt zu, dass das ein Luxusproblem sei, leicht zu lösen. Bei der Verkostung erzählt er vom beharrlichen Kampf ­seines Großvaters für den Halenberg. Um ein Haar wäre der in der größeren Lage Frühlingsplätzchen unter­ gegangen. Heute kann niemand mehr den alten Streit verstehen – die meisten Weine vom Halenberg sind ele­ganter, die aus den besten Parzellen des Frühlings­plätzchens ­floraler in den Aromen und insgesamt körper­reicher. Nicht besser, nicht schlechter, nur anders. Deshalb landen von beiden G ­ roßen Gewächsen je sechs Flaschen in dem immer noch aufnahmebereiten Koffer­raum.

Weiter nach Oberhausen an der Nahe zum Weingut Dönnhoff. Cornelius Dönnhoff, der Juniorchef, zeigt im Keller atemraubend reintönige Rieslinge. So will er die auch haben. Bisher gab es je zur Hälfte restsüße und trockne Weine. Aber das verschiebt sich je nach Jahrgang, beim 2011er hat er sechzig Prozent trockne Weine gekeltert. Kann auch wieder anders werden. Dönnhoff weiß, was mit Riesling möglich ist: Sehr eindrucksvoll fand er sein Praktikum bei Jeffrey Grosset im australischen Clare Valley, dem besten Riesling-Winzer auf dem fünften Kontinent. Und im Elsass kennt er sich ebenso aus wie bei den Kollegen in der Pfalz, in Rheinhessen, an der Mosel und im Rheingau.

»Mein Großvater hat immer bewundernd zum Clos Sainte Hune aufgeschaut,« sagt er. Man habe sich an der Nahe nie vorstellen können, jemals eine solche Dichte und Konzen­tration zu erzielen. Heute sei das kein Problem mehr.

Sechste Station: Der junge Cornelius Dönnhoff, mitverantwortlich für die atemraubend reintönigen Rieslinge des Nahe-Weinguts, strebt jedes Jahr an die Spitze nicht nur der Region. Eine Kiste des überragend guten 2010er Jahrgangs von der Niederhäuser Hermannshöhle geht als köstliche Beute in den Kofferraum.

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Ein Weingut, da weiß sich der Besucher mit seiner Frau einig, bei dem es egal ist, was man kauft: alles ist gut. »Klar«, sagt Cornelius Dönnhoff, »wir haben einen Ruf zu verlieren, und deshalb darf es keinen mittel­mäßigen Wein geben. Wir streben jedes Jahr an die Spitze«. ­Welcher Dönnhoff-Wein im Kofferraum landet, ist dann doch keine Frage: Die Niederhäuser Hermannshöhle ist so überragend gut, dass man sie einfach nicht igno­rieren könne,

sagt auch seine Frau. Vom 2010er finden sich noch ein paar Flaschen – solche Qualitäten sind immer rar. Das war’s. Er ist froh, dass seine Frau die ruhige Fahrt über gewundene Landstraßen genießt. Und der Kofferraum ist voll mit großartigen Weinen. Das versöhnt ihn endgültig mit dem Panamera. Könnte eine neue Liebe werden. >



­darüber. Er erwägt ernsthaft, der Einladung zur Präsentation des Buches zu folgen – eines Buches, in dem er wahrlich nicht gut wegkommt. »Auf jeden Fall werde ich zur Präsentation eine sehr gute Flasche alten Wein schicken.« Das hat er dem Verleger und Fine-Herausgeber Ralf F ­ renzel versprochen. Ralf Frenzel, das war auch jener junge Sommelier, der am 14. Oktober 1985 in der Wiesbadener »Ente vom Lehel« eine der ­ersten der berühmten Jefferson-Weine entkorkt hat. Hardy Rodenstock sitzt mir gegenüber: hellgraues Hemd mit ­weißem Kragen, fein abgestimmt zum gewellten grauen Haar, mit randloser Brille, ein Seidentüchlein mit zarten Zebrastreifen um den Hals. Er hat die schwarze Trachtenjacke abgelegt, man kann das kleine, in die Hemdbrust gestickte Motto entziffern, den alten Spruch: »Life is too short to drink bad wine«. Hinter dem freundlichen Plauderton sind Spannung und Wachsamkeit zu spüren, er weiß seine Geschichte detailreich zu erzählen und beantwortet Sachfragen gern aus­schweifend mit Anekdoten. Was sind die Fakten dieser Geschichte, die viele Weinfreunde seit mehr als einem Vierteljahrhundert beschäftigt? Am 7. Dezember 1941 geboren, promotet Hardy Rodenstock Hitparaden-Schlagerstars wie Jürgen Markus und verdient damit genug Geld für sein Hobby als Weinliebhaber und -sammler. 1980 organisiert er erstmals für Freunde ­exquisite Verkostungen. Zur e­ rsten Probe k­ ommen Ex-Bundes­präsident Walter Scheel und Fußball-Legende Fritz Walter in das Restaurant Fuente in Mühlheim an der Ruhr. Es gibt einen Tokayer aus dem auch für Wein­sammler mythischen Kometenjahr 1811. Topweine aus Frankreich waren in den siebziger Jahren noch erschwinglich, man konnte die berühmten C ­ hateaux aus dem Bordelais im Handel für dreißig bis

Von Christian Volbracht Fotos Johannes Grau

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Hardy Rodenstock gibt sich entspannt und pl

Ein Weinfälscher? Der Konrad Kujau gar der Weinwelt? Man könnte m ­ einen, Hardy Rodenstock leide unter solchem Verdacht. Doch wie er da sitzt, vor Weißwurst und Mineral­wasser, erweckt er den Anschein, als könne er kein ­Wässerchen ­trüben – und schon gar keine zweihundert Jahre alten Wein­ flaschen manipulieren.

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ir treffen uns Anfang Juni bei einem Kitzbüheler Prominenten-Wirt. Es geht um die teuersten Wein­ flaschen, die je versteigert wurden. Der amerikanische ­Milliardär William I. Koch hat mehr als zehn Jahre lang mit Millionen­aufwand versucht, Hardy Rodenstock nachzuweisen, dass er die legendären Jefferson-Flaschen mit BordeauxWeinen der Jahrgänge 1784 und 1787 gefälscht habe. Das Buch des amerikanischen Autors Benjamin Wallace über Rodenstock und den ver­bissenen Feldzug des Amerikaners (»The Billionaire’s Vinegar«)kommt jetzt bei Tre Torri unter dem Titel »Im Wein liegt die Wahrheit!« auf Deutsch heraus. Hollywood hat einen Film angekündigt, Brad Pitt steht nach Angaben der New York Times bereits auf der Liste der Akteure. Wallace beschreibt in seinem Buch, wie der Name des berühmtesten Weinsammlers und -händlers der Welt »zum Synonym für Weinbetrug geworden ist.« Doch Rodenstock, jetzt siebzig Jahre alt, lächelt

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vierzig Mark kaufen, kaum jemand schätzte den Wert alter, verstaubter ­Flaschen aus privaten Kellern besonders hoch ein. Im Londoner Auktions­haus Christie’s hatte Michael Broadbent 1967 mit Auktionen von »rarest wines« begonnen und damit, wie Wallace schreibt, den Markt für alte Weine neu erfunden. Fünf Jahre nach der ersten Raritätenprobe beginnt die geheimnisvolle Geschichte der Jefferson-Flaschen. In einem alten Abbruchhaus im Pariser Marais-Viertel haben Arbeiter, so erzählt Rodenstock, im März 1985 hinter einer zugemauerten Kellerwand alte Weinflaschen gefunden, mit den eingravierten Namen großer Lagen. Er habe einen Anruf aus Paris bekommen, sei dorthin geflogen und habe »etwas mehr als zwei Dutzend« Flaschen gekauft: Die Gravuren besagen, dass es sich um »Lafitte«, »Yquem«, »Margaux« und »Brane-Mouton« aus den J­ ahren 1784 und 1787 handelt, daneben stehen die schwungvollen I­ nitialen »Th. J.«. Château Lafite wurde damals noch mit zwei »t« geschrieben, Brane-Mouton wurde später zu Château Mouton Rothschild. Gut erhaltene Weine aus der Zeit vor der französischen Revolution, seit zweihundert Jahren eingemauert und unberührt! Rodenstock zahlt rund 5000 Mark, damals etwa 15 000 Francs, und fliegt mit dem Schnäppchen nach Hause. »Th. J.« gibt auch ihm zunächst Rätsel auf, dann werden die Initialen mit Broadbents Hilfe Thomas ­Jefferson zugeordnet: »Th. J.«, der spätere dritte Präsident der Vereinigten Staaten, der Verfasser der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung. Von 1784 bis zum Revolutionsjahr 1789 hatte er in Paris als Botschafter gelebt – und viel Wein gekauft. Die Auslieferung der nun Rodenstock gehörenden Flaschen soll durch die Revolution verhindert worden sein. »Michael Broadbent hat mich bekniet, eine Flasche versteigern zu lassen«, sagt Rodenstock. Zwei Flaschen »Yquem« aus den ­Jahren 1784 und 1787 hatten die beiden schon vorher verkostet. Wein­autorität Broadbent bestätigt den Zustand als »in jeder Hinsicht nach Farbe, Bukett und Geschmack perfekt«. Dann der Paukenschlag vom 5. Dezember 1985: Im Auktionssaal von Christie’s in London wird eine Flasche Lafitte 1787 nach heißem Bietergefecht zwischen Marvin Shanken, Investmentbanker und Eigentümer der Fachzeitschrift Wine ­Spectator, und Kip Forbes, Sohn des schwerreichen Verlegers und Lebemanns ­Malcolm Forbes, für 105 000 Pfund Forbes zugeschlagen. Das sind 156 450 Dollar, rund 400 000 Mark, ein bis dahin unvorstellbarer Weltrekord für eine Flasche Wein. Malcolm Forbes stellt die Flasche mit anderen Jefferson-Memorabilien in seiner Galerie aus. Es folgen w ­ eitere Auktionen, ein Th.-J.-Yquem erzielt einen Rekordpreis für Weißwein. Rodenstock steigt jetzt aus dem Musikgeschäft aus und widmet sich ganz den Weinraritäten. Kurz danach beginnen die Fragen, denn Rodenstock gibt keine Auskünfte über Fundort und Verkäufer. Ein amerikanisches Gut­achten bezweifelt, dass Thomas Jefferson die F ­ laschen wirklich gekauft und


­gravieren lassen habe. Zum offenen Streit kommt es dann z­ wischen Rodenstock und dem Unternehmer Hans-Peter Frericks, einem ­Prominenten aus der deutschen Sammler­szene. Der hatte schon vor der Christie’s-Auktion eine ­Flasche »Lafitte« für nur 15 000 Mark erworben und plötzlich Zweifel an ihrer Echtheit geäußert. Unter­suchungen der Radioaktivität des Weins erweisen, dass in seiner Flasche auch Rebensaft war, der erst nach 1962 geerntet wurde, also nach den ersten Atomtests der 1960er Jahre. Hatte Rodenstock geschummelt, hatte Frericks nachgefüllt? Der Streit, ob und wer Wein, Korken und Ver­siegelung der Flasche verändert hatte, dauert mehrere Jahre. Rodenstock opfert eine Flasche Lafitte, die an der Technischen Hochschule Zürich geöffnet und analysiert und nach weiteren Tests in Oxford bei Pro­fessor T. Hall für authentisch erklärt wird. Hall war Experte für alte Heiligtümer, er hatte schon das Turiner Grabtuch Christi begutachtet. Mit Frericks schließt Rodenstock schließlich einen Vergleich. Die Welt scheint für Rodenstock und Michael Broadbent wieder weitgehend in Ordnung zu sein. Rodenstock wird in der Weinwelt auch international zur Berühmheit, unterstützt von der Autorität des feinen und distinguierten Michael Broadbent. Als Spezialist für Wein und Publicity inszeniert der Deutsche immer aufwändigere Verkostungen – für alte Kunden und auf der Suche nach neuen. Broadbent und andere bekannte Weinverkoster sind oft dabei, Journalisten ­werden eingeladen, Ralf Frenzel öffnet und probiert als Sommelier Einzel­ flaschen, Magnums und Jeroboams. »In den vier Jahren seit der Entdeckung der Jefferson-Flaschen durch Rodenstock war der Wahnsinn der Megaweinproben eskaliert«, schreibt Wallace. Es geht um viel Geld, um Selbstdarstellung und den Wettstreit um die seltensten, teuersten

Pétrus aus dem Jahr 1921 sei gefälscht. Die Klage stützt sich auf neue Gutachten über die Weinkäufe Jeffersons, der minutiös Buch geführt, aber niemals Weinflaschen mit seinen Initialen bestellt habe, und auf das Argument, die Beschriftungen auf den Flaschen seien mit Gravurwerkzeugen gemacht w ­ orden, die es im 18. Jahrhundert noch gar nicht gab. Pétrus habe 1921 gar keine Magnums abgefüllt, der Korken der Flasche sei zu lang, Kapsel und Etikett künstlich gealtert. Rodenstock, beraten vom Münchner Anwalt Peter Gauweiler, weist die Vorwürfe zurück und begegnet der Klage mit dem H ­ inweis, er habe niemals eine Flasche an Koch verkauft. Was andere möglicher­weise mit den Flaschen gemacht hätten, könne er nicht verantworten. Inzwischen ist im Jahr 2010 ein Säumnisurteil gegen Rodenstock ergangen. Koch beantragte daraufhin mehr als 1,5 Millionen Dollar Schaden­ersatz, doch ist völlig unklar, ob er damit in Europa Erfolg haben könnte. »Er muss mich in Österreich oder in Deutschland verklagen, dann wird er schon sehen, dass er hier keinen Erfolg hat«, sagt Rodenstock. Eine in Amerika eingereichte Klage des Milliardärs gegen das Auktionshaus Christie’s wurde in erster Instanz abgewiesen. Wer sich von dem Prozess eine gerichtliche Ohrfeige für Rodenstock erhofft habe, schreibt Wallace in dem 2008 auf Englisch erschienenen und um einen Epilog ergänzten Buch, könne nur wenig begeistert sein. »Ein Video, das Hardy Rodenstock beim Etikettenkleben zeigt, tauchte aber bisher noch nicht auf. Weder legte er ein tränenreiches Geständnis ab, noch wurde er in Handschellen vorgeführt, und einem Gerichtsurteil musste er sich auch nicht beugen.« Hardy Rodenstock hat auch heute nichts zu gestehen. Bei der Frage nach dem Buch von Benjamin Wallace hebt er die Hand, streckt drei

rm um nichts?

audert über teure Flaschen, dunkle Geheimnisse und den kostspieligen Zorn eines Milliardärs und besten Flaschen. Spucken war bei den Proben verboten, bestätigt Rodenstock. »Ich spucke doch keinen 45er Mouton aus!« Nur Broadbent wurde sein kleiner gelber Plastikbecher zugestanden. Ein Höhepunkt ist 1989 die Probe auf Schloss Herrenchiemsee, eine Neuinszenierung des »Drei-Kaiser-Diners«, das anlässlich der Weltausstellung am 7. Juni 1867 in Paris stattgefunden hatte und an dem der Zar von Russland mit seinem Sohn und der spätere deutsche Kaiser Wilhelm teilgenommen hatten. Rodenstocks Gäste erscheinen in historischen Kostümen und bekommen die gleichen Weine wie bei dem Bankett vor einhundertzweiundzwanzig Jahren serviert: Madeira 1811, Château d’Yquem 1847, Chambertin 1846, Margaux und Latour 1847, Lafite 1848. Wallace berichtet, wie die Presse über diese dekadente Veranstaltung der Schickeria schimpft.

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achkundige Teilnehmer großer Proben in Europa und den Vereinigten Staaten bekommen dann immer öfter Zweifel, ob denn wirklich alle diese Flaschen in den seltenen großen Abfüllungen echt sein können. Die Weinpreise explodieren, Serena Sutcliffe, die Leiterin des Wein-Ressorts des mit Christie’s konkurrierenden Auktions­hauses Sotheby’s, sieht gar den Markt von Fälschungen überschwemmt. Weinpapst Robert Parker äußert ebenfalls seine Sorgen über zweifelhafte Flaschen: »Rare Weine sind vielleicht die einzige Luxusware der Welt, für die keine Echtheitsgarantie gegeben wird.« Und dann zieht der amerikanische Ölmagnat William I. Koch gegen Rodenstock in den Krieg. Der Milliardär, ein Kunst- und Weinsammler mit einem Kellerbestand von mehr als dreißigtausend Flaschen, hatte 1988 bei einem Händler und einem Auktionshaus in Amerika ins­gesamt vier Jefferson-Flaschen aus dem Rodenstock-Fund für zusammen mehr als eine halbe Million Dollar erworben. Der prozessfreudige Siegertyp hat als Segler den America’s Cup gewonnen, besitzt Wein, M ­ ünzen, kostbare Gemälde und besondere Objekte wie den Revolver, mit dem Jesse James erschossen wurde. Er engagiert einen ehemaligen FBIAgenten, um herauszufinden, ob er bei den Jefferson-Flaschen übers Ohr gehauen wurde. Ein ehemaliger Sotheby’s-Experte sucht in Kochs riesigem Weinkeller mögliche Fälschungen heraus. Er listet dafür, wie Wallace berichtet, zweiunddreißig Indikatoren für den Nachweis der Authentizität von Flaschen auf: Form und Farbe des Glases, M ­ aterial und Farbe der Etiketten, das Label des Importeurs, Kapseln und K ­ orken, Farbe des Weins und Ablagerungen. Mindestens eine Million Dollar kosten die Ermittlungen mit Gutachten und Analysen, bis Kochs Klage gegen Rodenstock am 31. August 2006 bei einem Gericht in New York eingereicht wird. Rodenstock glaubt, Koch habe sogar drei Millionen Dollar ausgegeben: »Der hat doch einen Hau!« Der Klageschrift zufolge sind die Jefferson-Flaschen ein totaler Schwindel. Auch eine von Rodenstock stammende Magnum C ­ hâteau

Finger hoch: »Ich schwöre, ich habe das Buch nie gelesen.« Es i­ nteressiere ihn gar nicht, so wenig wie der Prozess in Amerika. Vor ein paar Wochen hat er erneut einen Brief des New Y ­ orker Gerichts ungeöffnet zurückgeschickt, dazu ein Fax mit der immer wieder­holten B ­ egründung: Die Haager Konvention schreibe vor, dass Briefe an Beschuldigte ins Ausland nur übersetzt und über staatliche Empfangsstellen geschickt werden dürfen. Rodenstock ganz nüchtern: »Da haben Koch und das Gericht Verfahrensfehler begangen. Und deshalb brauche ich mich überhaupt nicht mehr an diesem Kasperletheater zu beteiligen.« Ebenso unberührt sieht er sich von den Recherchen des M ­ agazins Stern, das ihm nachweisen wollte, er habe Etiketten nachdrucken ­lassen. Der Stern fand auch Glasgraveure, die für Rodenstock gearbeitet h ­ atten und auch Jefferson-Initialen herstellten: »Aber nicht für mich«, sagt Rodenstock. »Ich habe nur Gravuren für Karaffen bestellt«. Der Hamburger Medienanwalt Matthias Prinz handelt nach Unterlassungs­klagen und Gegendarstellungsbegehren schließlich einen Vergleich mit dem Magazin aus. Eine sechsstellige Summe hat Rodenstock zu seiner Verteidigung ausgeben müssen. Allein der Anwalt in Amerika habe hunderttausend Dollar gekostet. »Ich habe nie Angst gehabt, habe kein Magengeschwür. Mir geht das, so wie ich hier sitze, wirklich am Arsch vorbei«, sagt er drastisch. »Ich bin siebzig Jahre alt. Alle meine Freunde sind doch meine Freunde geblieben.« Man habe ihn ermutigt: »Das hat dich doch nur noch mehr bekannt gemacht.«

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ie aber steht der so bewunderte wie beneidete Erfinder der g­ roßen Raritätenproben dazu, dass sein Name heute auch mit dem des ­größten Tricksers und Täuschers in einem Atemzug genannt wird, den es je ­gegeben hat? Mit Konrad Kujau und seinen gefälschten Hitler-Tage­büchern? »Was soll ich dagegen machen? Kann ich doch nicht. Da können Sie noch so viele Gegendarstellungen und Urteile e­ rreichen.« Indizien­ketten und Verdächtigungen lassen ihn offensichtlich kalt. Wird er das Geheimnis der Jefferson-Flaschen mit ins Grab ­nehmen? »Das ist doch gar kein so großes Geheimnis. Ich weiß heute nicht mehr, wie die Leute hießen, und ich weiß nicht mehr, wo ich war.« Und außerdem habe er dem Verkäufer Verschwiegenheit über das Bargeschäft versprochen: »So wie Kohl mit den Parteispendern«, sagt Rodenstock. Enthüllungen sind hier nicht zu erwarten, dieser gesprächige Herr ist nicht zu fassen. Viel lieber erzählt er freimütig von Tricks im Weinhandel, kritisiert neue Kellertechniken, gibt den Medien Ratschläge und warnt vor modernen Fälschern. Bei alten Weinen seien gute Fälschungen des Inhalts sehr schwierig, weiß Rodenstock. »Man kann sicherlich, wenn man ihn sehr gut kennt, einen 1900er Margaux oder einen 1945er Mouton aus a­ nderen W ein

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Weinen im Glas zurechtmixen.« Man muss die typischen Merkmale kennen, wie das Minze­aroma im Mouton 1945. »Dann würden Sie sagen, der schmeckt ähnlich. Nur, wenn Sie das ganze Durchein­ander in eine Flasche füllen, das geht nicht, das verträgt sich nicht. Wenn Sie in einem Jahr den Korken rausziehen, dann ist der Wein oxydiert oder er schmeckt ganz anders als das ursprüngliche Gemisch. Und Sie k­ önnen das Depot in einem Wein nicht fälschen, das sich über Jahrzehnte ab­lagert, auch nicht einen Korken, der mehr als hundert Jahre vom Wein umspült worden ist.« Und die Großflaschen, die immer wieder eingesammelt wurden, und die Korken, die Ralf Frenzel aufbewahrte? »Die Flaschen, ich kann doch nicht die zerbröselten K ­ orken ersetzen und die Kapseln!« Er habe schon viele Etiketten abgelöst. Aber nur, weil sie Weinsammlern für ihre Erfolge bei Blindproben gerahmt überreicht wurden. Er selbst sei schon auf Fälschungen reingefallen, etwa auf eine Magnum Château Figeac aus dem Jahr 1914. »Da war ›150 cl‹ unten ins Glas graviert, was es damals noch nicht gab.« Er merkte es erst nach der Auktion.

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iel gefährlicher als Fälschungen alter Weine sind für Rodenstock heute die Manipulationen mit neuen Abfüllungen. »Was meinen Sie, was mit 2009 Pétrus und denen allen heute los ist?«, fragt er. »Die ­Korken sind neu, die Kapseln sind neu, das können Sie alles nach­machen. Das Fälschen bei jungen Weinen, das ist das Problem.« Bei alten F ­ laschen sehe er selbst mit einem Blick, ob Etikett und Kapsel echt sind. »Die kurzen Kapseln von früher! Man kann

Offen erzählt Rodenstock, dass es beim Weinhandel manchmal nicht ganz so fein zugeht. Es wird raffiniert manövriert und nicht immer die volle Wahrheit gesagt. Als er die Weine von Château l’Eglise C ­ linet entdeckte, habe niemand das Gut gekannt, nur bei Robert Parker gab es eine Andeutung, dass der Wein in Belgien beliebt sei. Und als Rodenstock einmal einen 1949er l’Eglise Clinet aus Frankreich bekam und trank, da sah er sofort seine Chance. »Ich schicke einen im Anzug nach Belgien, an die Küste von De Panne bis Oostende, und sage ihm: Klingle, klingle an allen Villen und frage nach l’Eglise Clinet, frag nach alten Flaschen, die man nicht mehr trinken kann, tausch gegen neue, gegen Champagner, erzähl irgend ’ne Geschichte.« Dann probierte er den Wein mit Parker in Paris. »Und der gibt ihm 100 Punkte. Und dann habe ich das alles verkauft, und man hat mir Vorwürfe gemacht, und ich hab gesagt, das ist Neid, Kinder, das könntet ihr doch auch.« Etwas schlitzohrig auch die Einkaufsstrategie bei einem Apotheker aus dem Ruhrgebiet. »Ich kaufe Pétrus und sehe eine Kiste ­1946er ­Mouton Rothschild. Ein schlechtes Jahr, schnell ausgetrunken, aber jetzt viel teurer als der 45er, weil die Jahrgangssammler ihn haben w ­ ollen. Der Mann wusste gar nicht, was er wert war, der sei doch nichts für mich. Da hab ich ihm eine Geschichte erzählt, dass meine Frau Geburtstag hat, und er hat mir die Kiste mitgegeben.« Neue Weinbereitungsmethoden sind Rodenstock ein Graus. Mit dem damaligen Yquem-Besitzer Graf Lur-Saluces überwarf er sich unter anderem, weil der Versuche mit der Kryoextraktion machte, dem Konzentrieren des Weins durch Einfrieren – solch ein künstlich erzeugter

Fotos: Privat

Allerhöchste Vorsicht: Ralf Frenzel öffnet mit Hardy Rodenstock 1985 auf Château Mouton Rothschild die beschädigte JeffersonFlasche Brane-Mouton 1787. Es ist noch einmal gut gegangen.

das auf echt trimmen, aber bei meiner Erfahrung macht mir keiner was vor.« Warum schreibe nicht eine einzige Zeitung darüber? Andererseits haben einige der führenden Weingüter inzwischen Gegenmaßnahmen ergriffen, die Wallace in seinem Buch auflistet: Lafite weigert sich, alte Flaschen neu zu verkorken, Pétrus und andere Güter haben ein Etikett mit verstecktem Code und eine Flasche mit LaserÄtzung. Bei Château Margaux werden die Kisten abgewogen und das Gewicht außen mit einem Strichcode markiert. Ob das gegen die Betrügereien und Diebstähle beim Weintransport hilft, von denen Rodenstock erzählt? »Ich habe einen Freund, der bekam eine Kiste Pétrus, ich sag ›mach sie auf‹ – unter sechs Pétrus lagen sechs Flaschen Landwein.« Da helfe auch kein einfaches Wiegen. Weinhändler Toni Viehhauser in Hamburg habe mal eine Kiste voller sorgfältig eingewickelter Steine in Empfang genommen. »Vom Jahrgang 2008 sind mir die Primeur-Weine vom LKW geklaut worden. Meine 2009er sind schon seit fünf Wochen unterwegs! Was meinen Sie, was in der Spedition alles passiert und was die Leute da verdienen?« Denn wenn dann jemand zum Händler komme und sechs Flaschen anbiete, die angeblich von seiner gestorbenen Tante stammten, gehe der dann zur Polizei? »Das ist doch das Problem, die Weingüter füllen Hunderttausende von Flaschen ab. Man kann die Kisten öffnen, den Inhalt austauschen, die Nägel wieder an der alten Stelle einführen.«

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odenstocks Rat an die Weinkäufer: »Ich kann nur allen sagen, macht die Kisten auf. Man muss sie alle öffnen, noch in Gegenwart des Fahrers!« Andererseits könne er aber ohnehin keinem Weinfreund empfehlen, »so einen Quatsch« mit den teuren Jungweinen mitzu­machen. »Ich kauf mir doch keinen Primeur für 1000 Euro, wenn ich einen trinkbaren Château ­Giscours 1970 für 250 kriegen kann!«, sagt Rodenstock. Mit dem Alter nimmt die Feinheit des Gaumens auch bei einem Supertester wie ihm etwas ab. »Es geht noch, manchmal muss ich das Glas dreimal schütteln, um bei Blindproben zu erkennen, was ich noch vor zwanzig Jahren schneller erkannt hätte.« Der fünfundachtzig­jährige Michael Broadbent lasse jetzt immer seine Frau am Glas riechen.

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»Eiswein« ist in Deutschland ganz verboten. Auch die neue Sitte, durch Umkehrosmose einfache Pinots zu konzentrieren, lehnt er scharf ab. »Das ist nicht meine Welt, dagegen kämpfe ich an. Das hat doch nichts mehr mit Wein zu tun. Das ist für mich kein Naturprodukt.« Sein Geschäft habe unter der ganzen Affäre nicht gelitten, b ­ eteuert Rodenstock, der heute nur noch ganz selten Verkostungen organisiert. Er habe wie immer »zwei bis drei Handvoll Kunden«. Auch gebe es immer noch unentdeckte große Keller mit altem Wein. »Ich habe ja in Frankreich immer noch Leute, die schicken mir Faxe und Angebote, und jetzt hat meine Frau diesen Internet-Quatsch – jetzt bekomme ich Fotos, auf denen ich die Etiketten und Kapseln ansehen kann, bevor ich kaufe.« Und außerdem, er habe noch drei Jefferson-Flaschen in ­seinem irgendwo in Bayern versteckten Keller. »Und die Leute wollen den auch immer noch kaufen.«

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er Markt verlagert sich nach Asien. »Die meisten Pétrus liegen heute in China.« Und die neue Käufergeneration? »Ach, ich find’s doch toll, wenn einer dran Spaß hat und auch den Korken rauszieht und nicht nur sammelt, wie jetzt die Rotchinesen und die Neureichen in ­Singapur. Die haben noch nicht die tiefgehende Ahnung, sind Etiketten­trinker. Die z­ iehen den Korken raus und sagen sogar, was die Pulle gekostet hat.« ­Chinesen ­kauften vor allem Lafite, weil das so ähnlich wie das chinesische Wort für Glück klinge. Einem Kunden aus China habe er eine F ­ lasche Lafite 1888 für einen tollen Preis verkauft, weil der Chinese Weine mit der Glückszahl Acht sammelt. »Er hat nur gefragt: Lafite? Kann man die Zahl auf dem ­Etikett lesen?« und sofort eingewilligt. »Warum habe ich nicht mehr verlangt?« »Ich habe mein Geld verdient in der Musikbranche, gut verdient, und habe Wein gekauft. Und das ist alles viel mehr gestiegen als an der Börse.« Dabei setzt er heute auch auf schnellen Umsatz mit Jung­ weinen. »Mit ein bisschen Beziehungen« bekam er zehn Kisten der ­ersten Tranche des noch nicht abgefüllten Pétrus 2009 zusammen, teils aus Belgien und Holland. »Ich habe 750 oder 800 Euro für die Flasche bezahlt. Und ich habe den ganzen Primeur-Quatsch, noch bevor ich ihn geliefert bekam, für 2500 Euro pro Flasche an einen Chinesen verkauft.


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as denkt er darüber, dass nun ausgerechnet sein einstiger Zögling Ralf Frenzel das Buch von Wallace in Deutschland verlegt? »So ist das Leben«, sagt Rodenstock. »Der wird mich nicht reinlegen.« Im Buch taucht F ­ renzel immer wieder auf, als Rodenstocks »per­sönlicher Weinkellner und Ersatzsohn«. Frenzel hat ein halbes Dutzend Jefferson-­ Flaschen geöffnet und gekostet. »Damals war ich emotional sehr stark an Rodenstock gebunden«, erinnert er sich. »Ich war neunzehn, habe bis zum dreißigsten Lebensjahr für ihn gearbeitet.« F ­ renzel erklärt, Manipulationen habe er nie beobachtet und nie ausgeführt. Gleichwohl zog er sich Anfang der neunziger Jahre von seinem einstigen Mentor zurück. Auch er zeigt sich darüber irritiert, dass Rodenstock keine Details über den Jefferson-Fund nennen mag. »Vorstellen kann ich mir alles«, sagt Frenzel. Die Idee, im Film eventuell von Brad Pitt dargestellt zu werden, findet Rodenstock sensationell. Ein Journalist habe ihm verraten, dass Brad Pitt nach einem Wodka am Ende eines Essens auch noch Süßwein trinke. »Den kann man mit Yquem locken.« Doch Rodenstock sorgt vor, er hat Erkundigungen über das Filmprojekt angestellt. »Es wird ein Buch verfilmt.« Es komme nicht die Geschichte von Hardy Rodenstock, William I. Koch und den Jefferson-Flaschen ins Kino. »Wenn Brad Pitt Rodenstock spielt, und da sind dann Jefferson-Flaschen, die der Rodenstock zusammenmischt und dann noch graviert oder was, dann wird der Film gestoppt. Und das geht in Amerika schneller als in Deutschland.« Rodenstock gibt sich sicher: »Ich glaube, die w ­ erden einen lustigen Film machen, es gibt ja auch so viele Anekdötchen.«

Allerhöchste Lust: Mehr als nur eine Versuchung für Weinliebhaber bietet ein Blick in die Schatztruhe des Raritäten-Sammlers mit den Flaschen Yquem 1847, Lafite 1865, Yquem 1834, Pétrus 1921, Yquem 1811 und Mouton 1929. Noch ­Fragen? Hardy Rodenstock fasst sich an den Kopf.

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Etwa die über das Schicksal der Rekordflasche in der JeffersonAusstellung von Verleger Malcolm Forbes. Fünfzehn Monate nach der ­Auktion plumpst der Korken in die Flasche. Er war ausgetrocknet, weil man das wertvolle Stück in einem Schaukasten stehend dar­geboten hatte, mit einem starken Strahler beleuchtet. Man tröstet sich mit dem ­Argument, der Wein habe sowieso nie getrunken werden sollen.

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iner Flasche des Kaufmanns und Weinsammlers Bill Sokolin ergeht es nicht viel besser. Er hatte 1988 eine Th.-J.-Flasche Margaux 1787 gekauft, die er mit 212 000 Dollar versichert hatte. Ein Jahr ­später will er bei einem exklusiven Wein­event in Manhatten damit protzen, zeigt sie der Besitzerin von C ­ hâteau Margaux – und zerbricht die ­Flasche danach an einem Servierwagen, als er sie im Beutel durch den Saal trägt. »Die teuerste Pfütze der Welt« spotten die Zeitungen. In Panik friert Sokolin den Rest des Weins ein und trinkt den Saft dann irgendwann – aufgetaut schmeckte er nach nichts. Aber immerhin kassiert der S ­ ammler 197 625 Dollar von der Versicherung, ein Art neuer Rekord für eine Flasche Wein. Rodenstock zeigt nicht viel Mitleid und entwirft die Filmszene lieber noch satirischer, im Stil von Helmut Dietl. »Sollte jemand mal mit mir das Drehbuch besprechen, dann würde ich das so machen: Die Tür geht auf, die Flasche fällt auf den Marmor, und ein paar Jungs im Smoking werfen sich hin und lecken den Wein auf.« Gut geeignet für den Film auch die Szene beim Öffnen einer Jefferson-Flasche im Juni 1985 auf Château Mouton Rothschild, wo Frenzel eine Flasche Brane-Mouton 1787 entkorkt mit einem feinen Haarriss am Boden, aus dem es plötzlich zu tropfen beginnt. Man rettet den Wein in die Karaffe, der siebzig Jahre alte Kellermeister Raoul Blondin und Baron Rothschild sind tief beeindruckt und begeistert. »Dann hat Blondin sich das Depot aus

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der Flasche genommen und es sich um den Mund geschmiert«, erzählt Rodenstock, diesmal richtig bewegt. Frenzel erinnert sich, dass Blondin bei Veranstaltungen aus zwei Einzelflaschen eine Magnum zusammengegossen habe. »Ja, ja, aber das hat nichts mit uns zu tun!«, sagt Rodenstock eilig. Wo die Grenze für die Verfälschung beginnt, ist nicht immer ganz klar. Echter Wein, nur die falsche Flasche? Strikt lehnt Rodenstock ab, dass manche Wein­güter heute alte Flaschen dekantieren und ohne Depot in andere Flaschen mit neuem Etikett umfüllen. Irgendwie sieht er die Jefferson-Affäre als beendet an. Die »ein­ seitig primitiv und hasserfüllt« gegen ihn berichtenden Journalisten sollten sich lieber mit aktuellen echten Weinskandalen wie dem Fall des gerade in Kalifornien verhafteten Rudy Kurniawan befassen. Der i­ llegal in Amerika lebende Asiate hat in den letzten zehn Jahren eine große

Foto: Privat

Wo kann man so viel ohne Risiko verdienen?« Selbst das Transport­ risiko gehe an den neuen Käufer über, der alle Papiere bekommt. »Das ist dann alles sein Problem«, sagt Rodenstock: »Kann ich durch Nichtstun mehr verdienen?« Zum Latte macchiato bestellt Rodenstock noch eine Extraportion heiße Milch. »Meine größten Wein-Erlebnisse? Der 1870er Lafite in gutem Zustand ist einer der größten Weine, die ich getrunken habe, dann 45er Mouton, dann die 47er Lafleur und Cheval Blanc, 21er Pétrus und l’Eglise Clinet, natürlich auch Yquem 1811, 1847 – Namen, die kann man nicht fälschen.«

Rolle im Auktionsgeschäft mit Wein gespielt. In zwei Auktionen ­wurden 2006 von ihm eingelieferte Weine für mehr als 60 M ­ illionen D ­ ollar verkauft. Seit 2008 stand Kurniawan unter Verdacht, weil ein Auktions­ haus vierundachtzig Flaschen eines Burgunders der Domaine Ponsot des angeblichen Jahrgangs 1929 zurückziehen musste: Das Weingut hatte überhaupt erst seit 1934 Flaschenweine abgefüllt. Jetzt wurde der Händler nach jahrelangen Ermittlungen des FBI überführt. Der Wine Spectator zitiert den Staatsanwalt Preet Bharara: »Rudy ­Kurniawan steht unter dem Verdacht, sich als Weinliebhaber mit einer Spürnase für gefälschte Flaschen dargestellt zu haben, aber selbst der Fälscher zu sein, der riesige Mengen von Weinen betrügerisch an arglose Auktionshäuser und Sammler verschob.« »Dieser Rudy Kurniawan hat die Weinwelt ja wohl filmreif verarscht«, sagt Rodenstock. Über diesen größten Weinskandal solle man berichten, oder auch über den Mann aus Ostdeutschland, der »1787 Lafite Th. J.« auf leere Flaschen habe gravieren lassen (»Nicht für mich!)« – und für eine 15 000 Euro bei ebay erzielt! »Die andere habe ich durch Mittelsmänner gekauft. Sie steht bei mir.« Die E ­ xpertise des Fachmanns Rodenstock: Die Flasche stamme aus dem 19. Jahrhundert, erkennbar am glatten Unterboden ohne scharfe Bruchkante wie bei den Jefferson-Flaschen. Der Buchautor Benjamin Wallace hat auf seine Fragen an Hardy Rodenstock einige der zahllosen Faxe des Weinhändlers bekommen, ihn aber nie persönlich getroffen. »Als Schriftsteller mag ich diese Figur, und ich bewundere die Kreativität, mit der er die ganze Jefferson-Saga ins Leben gerufen hat«, schreibt Wallace mir vor der Veröffentlichung der deutschen Ausgabe. »Wäre ich einer seiner Kunden, wäre ich wohl nicht so glücklich. Nicht jeder wird mit einem über den Tisch gezogenen amerikanischen Milliardär sympathisieren, aber Rodenstock steht sicher nicht besser da. Er ist ja kein Robin Hood, der den Reichen etwas nimmt, um es den Armen zu geben.« Mindestens einhundertsiebzigtausend Mal ist das Buch von ­Benjamin Wallace schon verkauft worden. Nur in England darf es nach einem Vergleich zwischen dem Verlag und Michael Broadbent nicht vertrieben werden: Der Weinexperte fühlte sich verdächtigt, willentlich an einem Betrug beteiligt gewesen zu sein. Auf Deutsch erscheint »The Billionaire’s Vinegar« (wörtlich: Der Essig des Milliardärs) in ­diesen Tagen unter dem Titel »Im Wein liegt die Wahrheit!« Aber wie mag sie aussehen – die reine Wahrheit?  >

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In Südtirol blü

Auf alpinen Dolomiten-Hängen und in mediterranen Hochtälern werden seit zwei Dekaden zuverlässig edle Gewächse erzeugt. Beharrlich arbeiten hier die besten Winzer an langlebigen Weinen - nicht zuletzt in den bedeutenden Genossenschaftskellereien. Von Till Ehrlich   Fotos Rui Camilo

Südtirols Süden erscheint wie ein Garten Eden. Die h ­ öchsten Gipfel sind nah, die Täler fruchtbar und weit. Der K ­ alterer See blinkt türkisfarben wie auf einer Ansichtskarte. Wenn man als Fremder aus dem norddeutschen Flachland hierher kommt, ist man überwältigt – aber auch skeptisch. Schließlich war der Kalterersee auch einmal ein kultur­loser Wein, bar jeden Anspruchs. Das ist lange her, fast vergessen, aber eben doch nur fast. Doch die Schönheit dieser alten Kulturlandschaft, die Natur, Weinbau und Architektur zu einem Bild verwebt, hat Bestand.

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ht der Weinbau D

ie Basis hat Willi Stürz, Kellermeister der Cantina Tramin, fest im Blick. In Südtirol spielen die Winzergenossenschaften, die hier Kellereien genannt werden, in einer ganz anderen Liga, als man es aus Frankreich, Spanien oder Deutschland kennt, wo viele nach wie vor stoisch auf Massenweine, hohe Erträge und industrienahe Produktion setzen. Hier sind die besten Kellereigenossenschaften Spitzen­ erzeuger und auf Augenhöhe mit den führenden privaten Weingütern. Die Kellerei befindet sich in einem neuen Gebäude, umrankt von einer grünen Stahlkonstruktion, oberhalb des Kalterer Sees. Hier öffnet sich ein atemraubendes Panorama auf das Felsmassiv des Monte Roen, auf dessen Ausläufern sich die Steillagen der Cantina bis in sieben­ hundert­fünfzig Meter Höhe erstrecken. Der Berg prägt Reben, T ­ rauben und Weine. Die Fallwinde vom Monte Roen lassen die Reben in der Sommerhitze kühlen und nach dem Regen rasch trocknen. Im Herbst vertreiben sie die Feuchtigkeit, so dass die Trauben lange und langsam ausreifen können, was ihre Aromen intensiviert. In den Hochlagen dominiert das Dolomitgestein des Alpen­ massivs, das als Geröll den Weinbergsboden bildet. In den unteren Lagen überwiegt roter Porphyrfels; dazwischen haben die Erdkräfte in Jahr­millionen Sand zu Sandstein gepresst. In jedem Gestein wachsen andere Sorten. Zusammen mit den höhenbedingten Temperatur­ unter­schieden ergeben sich Akzentuierungen, die Willi Stürz gezielt bei ­seinen Weinen sucht. Berühmt geworden ist die Cantina auch durch die Selektionsweine vom Nussbaumerhof. Die Lagen um den Hof erstrecken sich über dreihundertfünfzig bis fünfhundertfünfzig Meter Höhe. Stürz hat in ­zwanzig Jahren eine eigene Traminerstilistik entwickelt. Die Aromatik ist nicht floral und parfümig, sondern würzig und frisch, statt Rosenduft ein reiches, aber kühles Spektrum. Auch im Geschmack herrschen ­Frische und Eleganz vor, ohne die oft anzutreffende Bitternis oder banale Süße. Die kleine Vertikale, die Willi Stürz für uns vor­bereitet hat, zeigt, dass diese Gewächse altern können und nach fünf Jahren Flaschen­reife den Schritt von der Primärfruchtigkeit hin zur Mineralität vollziehen, was sie elegant und feinnervig wirken lässt.

»Wir möchten den Zauber der Düfte enthüllen.« Keller­ meister Willi Stürz hat in zwei Jahrzehnten eine ganz eigene Traminer-Stilistik entwickelt. Weine voller Frische und Eleganz, ohne banale Süße verlassen jedes Jahr den Fasskeller des architektonisch einzigartigen Gebäudes.

Cantina Tramin

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Kellerei St. Michael-Eppan E

iner der Protagonisten und Zeitzeugen des Südtiroler Aufbruchs ist Hans Terzer, der seit 1977 Kellermeister der siebzig Jahre zuvor gegründeten Kellereigenossenschaft St. Michael-Eppan ist und als einer der wichtigsten Önologen und Weinbauexperten Italiens gilt. Um ihn zu treffen, führt uns der Weg vom Kalterer See auf der Südtiroler Weinstraße wenige Kilometer Richtung Bozen, nach Eppan, dem römischen Appius, das von hohen Bergen flankiert ist. In der Ortsmitte residiert seit mehr als hundert Jahren die Kellereigenossenschaft St. Michael in einem Jugendstil-Gebäude mit alpenländisch dicken Mauern, aber auch elegant schwingenden Formen. In einem Anbau befindet sich eine modern gestaltete Enothek. Hier wählt Hans Terzer mit Bedacht einige Weine aus der letzten Dekade aus und sagt: »Ich bin mit der Kellerei groß geworden, und sie mit mir.« Als Terzer Ende der siebziger Jahre hierher kam, war er jung, die Kellerei alt und in dem alten Denken befangen, das auf Massen­erträge setzte. Das Image der Südtiroler Weine war schlecht, von Billigweinen wie Kalterersee und Vernatsch alias Trollinger geprägt. Terzer erkannte, dass ein Systemwechsel erforderlich war. »Ich habe versucht, etwas anderes aufzubauen«, erzählt Terzer. »Dabei hat mir der Vorstand freie Hand gelassen.« Mit ein paar Reförmchen war es nicht getan. Jeder einzelne

»Ich bin mit der Kellerei groß geworden, und sie mit mir.« Stolz blickt Keller­meister Hans Terzer auf f­ ünfunddreißig Jahre Arbeit in der namhaften Genossenschaft. Sein Pinot Bianco Sanct Valentin zählt zu den großen Südtiroler ­Weinen. Der ­riesige alte Weintank wurde glasgefliest in einen ­effizienten Fasskeller umgebaut.

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der Genossenschaftswinzer, die auch deren Eigentümer sind, musste davon überzeugt werden, dass sich eine bessere Trauben­qualität für sie wirklich lohne. Ein jahrelanger zäher Prozess. »Ich hatte es mit einer Winzergeneration zu tun, die mindestens einen Krieg miterlebt hatte und die Not kannte.« Überschüssige Trauben wegzuschneiden, um die Qualität zu erhöhen, war ein Tabu. Wein wurde als Lebensmittel angesehen. Südtirol ist ein katholisches Land: Wenn der Herrgott die Trauben gedeihen lässt, soll der Mensch sie nicht achtlos wegwerfen. Doch Terzers Konzept, auf Qualität zu setzen, ging auf: Die Kellerei gehört heute zu den Betrieben, die ihren Winzern die höchsten Traubenpreise zahlen. Das ist gut, auch fürs Selbstbewusstein. Im Glas ist jetzt ein Pinot Bianco, Jahrgang 2011, aus Terzers Top­ linie Sanct Valentin. Man schmeckt, dass dieser Weißburgunder aus sehr guten, perfekt gereiften, komplexen Trauben erzeugt wurde. Neben der enormen geschmacklichen Intensität verleiht eine fast schwerelose Balance dem Wein Eleganz und große Feinheit. Und die alpine Kühle der Weinberge macht sich als komplexe Frische im Wein bemerkbar. Dabei wird Terzers Handschrift beim Ausbau deutlich: Er a­ rbeitet die Reintönigkeit und Eleganz heraus. Diese trockne, bergfrische und aromatische Weißweinstilistik wird in Italien sehr geschätzt. Die ­weißen und roten Burgundersorten sind die Stärken von St. Michael. Primus inter pares aber ist zweifellos der Pinot Bianco. Die burgundische Sorte ist schon seit zwei Jahrhunderten in Südtirol heimisch. »Niemand wollte an den Weißburgunder glauben, er galt als gewöhnlich.« K ­ einer habe sich an die höheren Qualitäten gewagt. 1986 kelterte Terzer s­ einen ­ersten Jahrgang Schulthauser, einen wunderbar lebendigen Basis-Weißburgunder mit präziser Frucht und zitroniger Frische. Aber erst mit dem Jahrgang 2000 kam der Durchbruch mit dem Pinot Bianco Sanct Valentin, der heute zu den großen Weißweinen Italiens zählt.


Kellerei Schreckbichl Colterenzio

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er Verfeinerung des Südtiroler Weins fühlt sich auch die Kellereigenossenschaft Schreckbichl Colterenzio in Girlan bei Bozen ­verpflichtet. »Wir sind ein Familienunternehmen, hinter uns stehen dreihundert Familien«, sagt Wolfgang Raifer, der junge Geschäftsführer. Sein Vater Luis Raifer hat die Genossenschaft vor knapp vierzig Jahren mit gegründet. Schreckbichl versinnbildlicht die Eigenheiten des Südtiroler Weinbaus und zieht daraus seine Stärken. Fruchtbares Land ist rar, die weinbaulich bewirtschaftbaren ­Flächen an den Talhängen sind begrenzt. In Südtirol gibt es noch eine funktionierende Agrikultur, viele Höfe haben Rebland, aber nur einen ­halben bis einen Hektar, zu wenig für ein selbstvermarktendes Weingut. Weinberge dazuzukaufen lohnt sich nicht. Einen Hektar aufzureben kostet hier einschließlich Kaufpreis derzeit zwischen 600 000 und 800 000 Euro, fast so viel wie in Burgund oder der Champagne. Ein Winzer, der nur einen halben Hektar bewirtschaftet, hat Zeit für die Rebpflege, denn die Kellerei nimmt ihm den Ausbau der Weine und die Vermarktung ab. Kellereien wie Schreckbichl, St. Michael, T ­ ramin oder Terlan, die ein klares Qualitätskonzept durchsetzen, können ihren Winzern hohe Traubenpreise zahlen. Zwar ist der Weinbau in den ­Terrassen und Steillagen fast nur in teurer Handarbeit zu bewältigen, doch für die Winzer lohnt es sich. »Wir haben keinen Vollernter, lesen alles mit der Hand«, sagt Raifer, der schon an den nächsten Schritt denkt, die Umstellung auf ökologischen Weinbau. Die SchreckbichlWeine spielen mit kühler und warmer Aromatik, mit vollmundigem Körper und säurefrischer Eleganz.

»Wir sind ein Familienunternehmen, hinter uns stehen dreihundert Familien.« Von seinem berühmten Vater Luis hat Wolfgang ­Raifer die Leitung der Kellerei übernommen. Wie erfolgreich auch er das Unternehmen führt, zeigt nicht nur der imposante Neubau. Zu seinen schönsten Weinen zählt der aromatische Sauvignon Blanc Lafóa.

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Kellerei Terlan N

»Terlan ist unterwegs zur Weltmarke.« Der für den Weltmarkt zuständige Önologe Klaus Gasser und Kellermeister Rudi Kofler sind zufrieden mit dem Zustand der Reben und ihrem gletscherfrischen Weißburgunder. Aus der Kellerei Terlan kommen die außergewöhnlichsten Weißweine Südtirols.

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och weiter nördlich, das Etschtal hinauf, kommen wir nach ­Terlan, das schon für seinen Wein berühmt war, als Südtirol noch zur habsburgischen Monarchie gehörte. Der Terlaner ist eine WeißweinCuvée, die zu je einem Drittel aus Chardonnay, Weißburgunder und Sauvignon Blanc besteht. Erzherzog Johann von Österreich ließ zu Beginn des 19. Jahrhunderts Burgundersorten einführen. Der Terlaner war ein Wein, der oft jahrelang im Fass reifte. Diese Tradition wurde in der Kellereigenossenschaft Terlan wieder belebt und neu interpretiert. Die besten Chargen reifen zehn bis manchmal dreißig Jahre in k­ leinen Stahltanks, bevor sie auf Flaschen gezogen werden. Diese Weißweine haben in der letzten Dekade den Weltruf der Kellerei begründet. Die Kellereigenossenschaft Terlan wurde 1893 gegründet. In den 1990er Jahren hat hier ein junges Team die Grundlagen für den heutigen Erfolg gelegt. Der Önologe Klaus Gasser, der heute die Ver­marktung von Terlan leitet, war von Anfang an dabei. Gasser, der gerade aus New York zurückkommt, sagt: »Terlan ist unterwegs zur Weltmarke.« Doch dann fahren wir in die Weinberge – und vergessen ist die Welt. Hier an den Südhängen der Porphyrfelsen ist die Vegetation mediterran. Der Terrassenweinbau auf Einzellagen wie dem Vorberg geht hinauf bis auf neunhundert Meter Höhe. Der Weg dorthin führt auf Hänge­brücken über tiefe Schluchten. Der Porphyrboden im Weinberg ist quarz­haltig und karg, die Reben liefern hier von sich aus niedrige Erträge. Die ­Terrassen im Vorberg sind tiptop gepflegt, fast wie ein Vorgarten: »Wir werden von der Natur zur Qualität gezwungen.« In der Kellerei verantwortet der junge Önologe Rudi Kofler die Weinherstellung, ein Schüler von Hans Terzer. Inzwischen ist er selbst ein Meister. Kofler redet nicht viel, doch was er sagt, hat Hand und Fuß. Vor ihm steht ein Glas mit Pinot Bianco, Jahrgang 1999, den er gerade abgefüllt hat. Behutsam nimmt er einen winzigen Schluck und sagt: »Der Wein macht seinen Lauf.« »Wir setzen auf Weißburgunder, um mehr Terlan zu sein«, sagt ­Kofler. Da ist sie wieder, die Identitätsfrage, die hier in Südtirol schon immer eine andere Dringlichkeit hatte als auf der ­anderen Seite des Brenners. Die Südtiroler haben sich mit Italien arrangiert, die Auto­ nomie im Jahr 1972 hat den Wohlstand gebracht, Jahrzehnte später als in Deutschland. Doch erst in den 1990er Jahren gelang es Süd­ tirols ­Weinen, auf dem italienischen Markt Fuß zu f­ assen. Italien ist heute wichtiger als Deutschland. Die Italiener lieben die aromatischen, gletscher­frischen Weißweine, sie haben auch keine Vor­urteile gegenüber dem großzügigen Gewürztraminer, der vielleicht so etwas wie der köstliche Balsam Südtirols ist. Ein echter Wein ist auch der Spiegel menschlicher Arbeit, Redlichkeit und Geschicklichkeit. Vielleicht erklärt das, warum Südtirols beste Kellereien so beharrlich an langlebigen Weinen arbeiten: »Spätestens nach zehn Jahren trennt sich beim Wein die Spreu vom Weizen«, sagt Rudi Kofler, »wie im richtigen Leben erkennt man, wer nur ein B ­ lender war, oder was wirklich exzellent ist«.  >


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Frankfurt Airport. Soeben ist Lufthansa Flug 405 aus New York gelandet. Der Winzer Ernst Loosen kommt rasch zum Ausgang, voller Energie und ohne ­Anzeichen von Jetlag. Wir fahren sofort los, über die Autobahn an die Mosel. Loosen spricht über den amerikanischen Weinmarkt, dann über seine Anfänge im elterlichen Weingut, den ersten selbst verantworteten Jahrgang, die jahr­ hundertlange Geschichte seiner weitverzweigten Familie, eine der ­großen ­deutschen Weindynastien. Doch eigentlich sind die Gedanken bei der bevorstehenden Probe. Fünfundzwanzig Jahrgänge aus sechs Jahr­zehnten will er Fine zeigen, von 1953 bis 2009. Ein Blick auf das Schaffen dreier G ­ enerationen im Weingut Dr. ­Loosen. Darunter auch Weine ­seines Großvaters ­Friedrich, die er selbst noch nie getrunken hat.

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ch möchte über Ernst Loosen nicht als Legende oder Enfant ­terrible der deutschen Winzerszene schreiben. Sondern über die Gegenwärtigkeit seines Schaffens als ­Winzer und Weinunternehmer: L ­ oosen, Jahrgang 1957, erzeugt seit drei Jahrzehnten differenzierte Weine in unterschiedlichen Lagen und Weingebieten der Welt. Wenn man heute auf sein Werk schaut, ergibt sich aus der Fülle seiner Weinkollektionen und weltweiten Engagements ein Bild: Er hat ein Lebenswerk hingelegt. Als Erzeuger von stilistisch vielfältigen Weinen im gesamten Wein­spektrum ist er zu einer bedeutenden Gestalt seiner Generation geworden, nicht nur in Deutschland. In der globalisierten Welt zeichnet sich im Rückblick die Bedeutung dieses Winzers und Unternehmers darin aus, dass er international sehr früh (und mit relativ bescheidenen finanziellen Mitteln) in ungewöhnlichen Weinregionen aus der moselanischen und deutschen Rieslingtradition heraus Weine wie den amerikanischen Riesling Eroica entwickelt und dort heimisch gemacht hat. Man könnte auch sagen, er hat den Riesling in Amerika auf den Punkt gebracht. Die Kollektion der Riesling-Auslesen aus dem Erdener Prälat umfasste die Jahrgänge 1988 bis 2009, ein Einblick in ein knappes Vierteljahrhundert der Ära Ernst Loosen/­Bernhard Schug. Im Jahr 1987 hat Loosen während der Lese die Regie im elterlichen Familien­betrieb übernommen und Bernhard Schug zum Kellermeister gemacht.


Frei das Denken, gross die Neugier, sprudelnd die Ideen und eindeutig die Handschrift

Der Moselwinzer Ernst Loosen und seine grenzenlose Weinwelt Von Till Ehrlich Fotos Alex Habermehl und Johannes Grau

Umfang­reiche personelle und strukturelle Änderungen waren zunächst notwendig, sodass 1988 als der erste Jahrgang gelten kann, bei dem sich die neue Loosen-Stilistik ungehindert ent­wickeln und entfalten konnte. Erstaunlich, dass sich seine Handschrift deutlich in der Textur eines jeden einzelnen Weins zeigt, obwohl Loosen sowohl bei der Weinbergs­ arbeit als auch bei der Vinifikation im Keller keine ein für allemal fi ­ xierten M ­ ethoden an­wendet, sondern die entscheidenden Herstellungs-­Prozesse jedes Jahr neu mit den Eigen­heiten eines Jahrgangs abstimmt und in ein Zusammenspiel bringt. Dies ist heute sogar im Spitzen­weinbau keine Selbstverständlichkeit mehr, da viele Erzeuger einmal ge­fundene erfolg­reiche Methoden gern als Rezept für alles nehmen.

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ei Loosens Moselrieslingen gibt es neben der individuellen Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Jahrgang eine klare Idee und Konzeption, die jedem seiner Weine zugrunde liegt. »Die meisten Winzer entscheiden heute im Keller, am Fass, was für ein Wein das wird – das ist nicht mein Ansatz«, sagt Ernst Loosen. »Wenn wir einen ­Kabinett haben w ­ ollen, arbeiten wir darauf hin«. Dabei kann er mit den Höhen­unter­schieden von etwa zweihundert Metern ­seiner Steil­lagen s­ pielen, um die stilistische Typik und Identi­tät des Mosel­rieslings erhalten zu können. In heißen Jahren kann er in die kühleren Höhen­ lagen gehen, um etwa einen t­ ypischen, k­ nackigen Kabinett zu ernten. In kühlen bieten ihm

die wärmeren Rebflächen unten am Fluss die Möglichkeit, reife Trauben zu e­ rnten. Die allgemeine Klimaerwärmung sieht er daher nicht als Problem: Im heißen Jahr 2003 habe er zuerst einen Schreck bekommen und dann reagiert. Er hat Höhen­lagen im G ­ raacher Himmel­reich erworben, die ihm auch in heißen Jahren filigrane, lebendige K ­ abinette erlauben. Hinzu kommt, dass Ernst Loosen bereit ist, seine Konzeption elastisch zu überdenken, wenn er mit dem Resultat nicht mehr zufrieden ist. So hat er seit 1988 einige Male auch bei der Auslese aus dem Erdener Prälat einiges verändert. Erstaunlich ist, dass sich gerade deswegen eine vitale Kontinuität im Geschmacksbild dieser Rieslinge zeigt. Das verdeutlichte auch die Fine-Verkostung im April 2012 (siehe Seite 138). Was sagt das über Loosens Weine aus?

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pitzenweine leben nicht zuletzt von ihrer Intensität in Duft und Geschmack. Oft aber wird Intensität mit Konzen­tration und Körper gleichgesetzt. Dieses Missverständnis führt zu überkonzentrierten Weinen, denen in der Regel Balance, Finesse und Delikatesse fehlen. Echte Intensität aber – die jeder Weinverrückte sucht, weil sie ihm unvergessliche Glücksmomente schenkt, in denen sich ihm das M ­ ysterium des Weins offenbart – kann auf ­verschiedenen Wegen entstehen: Es gibt große Weine, die beindrucken, weil sie

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aus der Überfülle heraus reduzieren, also eine geschmackliche Fokussierung b ­ esitzen. Ein Winzer erreicht das, indem er die Vinifikation so einrichtet, dass sich im Wein die verschiedenen Geschmackskomponenten, wie etwa Säuren, aber auch flüchtige Aromen, als Überhang bilden.

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oosens Auslesen aus dem Erdener Prälat gehören aber in eine andere Liga. Sie sind eine gesuchte Spezies, die s­ elten in der heutigen Weinwelt anzutreffen ist, da ihre Herstellung nicht nur kostenintensiv ist, sondern sehr viel Zeit, Geschick und Erfahrung erfordert, was durch den Einsatz moderner Technik nicht ersetzt werden kann. Diese Art der Wein­erzeugung beruht nicht auf forcierter Reduzierung, ­sondern auf ihrem Gegenteil: Der Wein baut die geschmackliche Komplexität durch innere Relationsbildung langsam auf. Dieses Prinzip kennt man auch vom Niedrigtemperaturgaren in der Küche oder von langen Reifeprozessen etwa bei der traditionellen Herstellung von hochwertigem Käse oder Schinken.

Der Wein wird viel länger als üblich auf seiner natürlichen Feinhefe im traditionellen Fuder (Tausend-Liter-Fass) ausgebaut. Dazu braucht man sehr kalte Keller. L ­ oosen nutzt eiskalte Natursteinkeller, die vor Jahrhunderten in den unterirdischen Schiefer getrieben wurden. Kombiniert mit dem Fuderfass laufen im Wein die enzymatischen Fermentations­ prozesse noch verzögerter ab als sonst. Die Enzyme des Weins stellen einen biologischen Gleichgewichts­zustand, die Homöostase, her. Dabei reguliert der Wein sich selbst: Je ­länger er reift, desto feiner differenzieren sich seine Geschmackskomponenten aus – das ­System Wein stimmt sich auf sich selbst ein. Das Besondere ist, dass somit unglaublich feine, komplexe und langlebige Weine entstehen können. Im Gegensatz zu einer Essenz oder einem designten Powerwein, wo die Konzentration der Inhaltsstoffe von außen ­forciert wird, gelangt bei der Homöostase die Mannigfaltigkeit der Geschmackskomponenten nicht zur Überfülle, die geschmacklich erschlägt oder ermüdet. Vielmehr bleiben hier selbst feinste Nuancen sinnlich wahrnehmbar, sie b ­ ilden ein dynamisches Gleich­ gewicht von delikater Intensität, die nicht mit Eindickung und Üppigkeit zu verwechseln ist: Die Weine wirken vital, frisch und entschieden. Das gehört zu den Geheimnissen von ­Loosens Top-Rieslingen aus dem Erdener Treppchen und dem Prälat, dem Ürziger Würzgarten und der Wehlener Sonnenuhr.

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iese systemische Selbstregulierung beschränkt sich nicht nur auf den Ausbau des Weins im Keller; sie beginnt schon im Weinberg, wo nicht allein auf Ertrags­ reduzierung durch ­radikales Wegschneiden überschüssiger T ­ rauben bei der g­ rünen Lese im Spät­sommer gesetzt, sondern wo die Weinpflanze durch jahrelange Reberziehung dahin gebracht wird, ihren Ertrag selbst zu regulieren. Denn künstlich betriebene Ertrags­ reduktion führt zwar zu konzentrierten, aber nicht unbedingt zu komplexen und halt­baren Weinen. Das Weingut Dr. ­Loosen kann dabei auf extrem alte, wurzelechte Riesling­stöcke zurückgreifen, die ihren Ertrag nicht nur selbst niedrig halten, sondern auch über eine besondere ­genetische Vielfalt verfügen, die in den Weinen als Komplexi­tät zum Ausdruck kommt. Bei den großen Auslese-­Selektionen und den ­trockenen Großen Gewächsen aus

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»Nicht alles Vergangene will ich übernehmen, aber das Positive«: In seinem Gutshaus an der Moseluferstraße in Bernkastel denkt Ernst Loosen über den besonderen Charakter seiner Weine nach. Aus den Erdener Lagen Treppchen und Prälat kommen die ungewöhnlichsten Rieslinge der Mosel. Sie zeigen markant die Handschrift des Winzers.

den Toplagen ­Ürziger Würz­garten, Erdener Prälat und Treppchen beträgt das Durchschnittsalter der Reben einhundert Jahre, in der Wehlener Sonnenuhr liegt es bei s­ iebzig bis achtzig Jahren. Als Ernst Loosen den Betrieb seiner Familie Ende der achtziger Jahre übernahm, gab es dort eine Tradition fruchtiger natursüßer Moselrieslinge. Loosen und sein Keller­meister Bernhard Schug haben dennoch die bisherige Weinherstellung in Frage gestellt, einen anderen Zugang entwickelt und das Weingut vollkommen neu strukturiert. Zu den ­ersten ­Neuerungen gehörte etwa die Selektion bei der Lese. »Wir haben mehr selektioniert«, sagt Ernst Loosen. »Vorher w ­ urden die Auslesen pur vom Stock gelesen.« Die ­Kollektion der


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»Was wir machen, nennt man experimentelle Archäologie«: Verlorenes Weinwissen für die Moderne geborgen zu haben, ist eines der unschätzbaren Verdienste von Ernst Loosen. Wer in der noblen Probierstube des Gutshauses große Weine wie den 1990er Erdener Prälat Riesling Auslese trinkt, wird sie zu würdigen wissen.

natursüßen Auslesen aus dem Erdener Prälat zeigt heute, dass die Rieslinge relativ schnell, schon mit dem Jahrgang 1988, eine andere Dimension an Finesse, Tiefe und Aromenfülle erreichen. Er hat sich aber mit der neuen Qualität nicht zufrieden gegeben und sie im Lauf der Jahrzehnte immer weiter verbessert. Damals, als der Ruf deutscher Rieslinge litt, war das eine Pionierleistung. Indem Loosen seinen Weinen die verlorene Klasse zurückgab, gehört er zu den Wegbereitern der Renaissance großer deutscher Rieslinge.

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in wesentlicher Schritt war, dass er neben den klassischen Goldkapsel-Auslesen eine Auslese einführte, die aus gesunden, selektionierten Trauben ohne Botrytis entsteht. Ihr Geschmacksbild wirkt trockener, vitaler; auch das Aromen­spektrum unterscheidet sich signifikant vom Goldkapsel-Stil, der auf Botrytis-Selektion basiert. Lang­wieriger war ­Loosens Weg bei der Erzeugung großer trockener Moselrieslinge. Anders als bei den natursüßen Rieslingen war hier das Wissen um die Herstellung verloren gegangen. Es gab in der Familie keine Aufzeichnungen, keine Weine mehr, auf die Ernst Loosen hätte zurückgreifen können. Nur münd­liche Überlieferungen, denen zufolge Loosens Großvater und Urgroßvater große trockene Rieslinge hergestellt hatten, die Jahrzehnte haltbar waren. Sie sollen sehr lange und langsam, bis zu zwei Jahre auf der natürlichen Hefe im Fuderfass ausgebaut worden sein.

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ier kam Ernst Loosen der Zufall zu Hilfe, als ihm ein Weinliebhaber, der schon bei seinem Großvater Kunde gewesen war, einige Flaschen aus den vierziger und ­frühen fünfziger Jahren überließ. Es waren trockene Rieslinge aus Ürziger Lagen. »Das war eine Initialzündung«, sagt Loosen. »Die Weine waren sehr schön, hatten Schmelz«. Was nun begann, war ein Lernprozess. Dabei ging es Loosen nicht um Nostalgie: »Nicht alles Vergangene will ich übernehmen, aber das P ­ ositive.« Loosen hat nicht nur Öno­logie und Weinbau in Geisenheim studiert, sondern auch ­Archäologie an der Universität in Mainz. Nun kann er beides mit­ein­ander ver­binden. »Was wir machen, nennt man experimentelle ­Archäologie.« Dabei geht es um Nachvollzug, nicht um Nachahmung. »Durch

die experimentelle Archäologie habe ich versucht, verlorenes Wissen zurückzuholen. Ich wollte herausbekommen, wie man einen großen trocknen Riesling an der Mosel auf ­natürliche Weise haltbar machen kann. Früher konnten die das«. Inzwischen kann er es nicht nur, seit dem Jahrgang 2008 hat er darin Meisterschaft erlangt. Was treibt Ernst Loosen an? Sein Statement »Das Tal ist eng« ist schon so oft zitiert worden, dass es inzwischen fast zu seinem Signum wurde. Tatsache ist, dass Loosen, nachdem er sein Weingut in Bernkastel in die Spur gebracht hatte, das Moseltal immer wieder verließ, um weltweit Weinprojekte zu realisieren. So reanimierte er in den 1990er Jahren zunächst in der Pfalz das Traditionsweingut J. J. Wolf in Wachenheim und stellte es neu auf. Hier steht für ihn das Thema ­trockner ­weißer und roter Burgunder im Mittelpunkt: Weiß­burgunder, Grauburgunder und Spätburgunder. Es überrascht kaum, dass Ernst Loosen mehr will, als das Pfälzer Klischee vom ­Maul-voll-Wein zu erfüllen. Also feilt er an einer Stilistik, die statt alkohol­schwerer Wuchtbrummen delikate, frische Rebsorten­weine mit Mineralität und Spiel hervorbringt. Hier ist alles im Fluss, die Weine sind Resultate eines permanenten ­Prozesses. Im ­relativ ­warmen Pfälzer Klima setzt er auf einen nördlich-­kühlen Ausbaustil. Offensichtlich l­ eistet er es sich hier, seine andernorts erprobte Meisterschaft mit ungewöhnlichen Mitteln zu bezeugen. Das mag jenen Wein­kritikern, die das geschmacklich Offensichtliche, die primär­fruchtige Uniformität und die Wiedererkennbarkeit suchen, nicht gefallen. Aber wer die Mühe auf sich nimmt, sich diesen Weinen unvoreingenommen zu nähern, wird sie in ihrem grazilen Gleich­gewicht genießen und schätzen.

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eine große Passion ist Amerika, wie Rainer Schäfer in einem eigenen Artikel beschreibt (siehe Seite 120). Ernst L ­ oosen wollte, dass der Riesling, dessen Ruf durch Image­killer wie »Blue Nun« und »Liebfraumilch« in ­Amerika ­großen Schaden genommen hatte, wieder respektiert würde. Es war, wie er sagt, ein langer Weg, an dessen Ende der Erfolg stand, der letztlich auch dem deutschen Riesling, dem O ­ riginal, zugute kommt: Mittlerweile erzeugt er in einem Joint ­Venture mit Chateau Ste Michelle im Staat Washington den ­großen amerikanischen Riesling Eroica. Es gibt aber auch noch einen anderen Ernst Loosen: den Rotweinliebhaber. Die pure Leiden­schaft zum Pinot Noir führte ihn nach Oregon, wo er in Wiilamette Valley zusammen mit Jay Christopher in d ­ essen Garagen-Weingut einen Spätburgunder mit Fülle und Tiefe, Seide und Muskeln produziert – ein köstlicher Stoff. Loosen hat die internationale Renaissance des Rieslings wie kaum ein anderer ange­stoßen. Allein dafür sollten sie ihm im engen Tal ein Denkmal setzen.  >

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Wein&Spe Jürgen Dollase bei Andree Köthe, Yves Ollech und Ivan Jakir im Restaurant Essigbrätlein in Nürnberg Fotos Guido Bittner

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Verschworene Gemeinschaft, drei Temperamente: Sommelier Ivan Jakir überhöht mit seinen Weinen noch die genialischen Gerichte der Chefköche Yves Ollech und Andree Köthe.

ie intensivierte Arbeit der Köche mit Gemüse und Kräutern scheint auf den ersten Blick eine der üblichen Wellen zu sein, die sich ­früher oder später wieder weit­ gehend beruhigen. Doch der zweite Blick entdeckt, dass dies nicht der Fall sein wird, denn wir erleben im Moment eine grundsätzliche Ausweitung der Produktpalette. Und nicht nur das. Dem gesteigerten Interesse an vergessenen Gemüsesorten oder bisher ­selten ­genutzten G ­ emüsen, Pflanzen, Wurzeln, Blüten oder Kräutern entspricht die Intensivierung ihrer kreativen Verwendung in der Küche. Die Spezialisten ­beschränken sich längst nicht mehr auf zwei oder drei eher klassische Zubereitungen eines G ­ emüses, sondern verarbeiten alle Teile einer Pflanze, und das in allen möglichen Aggregatzuständen, vom Eis bis zur Asche. Für die Weinbegleitung bedeutet dies eine revolutionäre Entwicklung, weil es nicht nur um bisher kaum bekannte Aromen geht, sondern auch um viele unbekannte Akkorde im Zusammenhang mit den Produkten und vor allem auch um eine andere senso­ rische Struktur vieler Kompositionen der modernen Küche. Ein spezielles Problem ist dabei die Verbindung von gegarten mit rohen E ­ lementen und in diesem Zusammenhang ein stark verändertes Säurebild wegen des h ­ äufigen Einsatzes roh marinierter Ingredienzien. Im Moment sind die S ­ ommeliers dabei, sich auf die Arbeit der wenigen Spezialisten einzustellen, deren Denken sich deutlich von dem konventionellerer Kollegen unterscheidet. Es gibt also noch viel zu erforschen. Aber – es besteht kein Grund zur Panik. Die Weine für die neue Gemüse- und Pflanzenküche sind vorhanden, und unter ihnen ­spielen – wieder einmal – die deutschen Weißweine mit ihrer Komplexität und Variabilität eine herausragende Rolle.

Das Essen Restaurant Chefköche Sommelier

Essigbrätlein in Nürnberg Andree Köthe und Yves Ollech Ivan Jakir

Im Nürnberger Essigbrätlein arbeitet seit vielen Jahren eine verschworene Gemeinschaft sehr individuell zusammen. Eine eigene Web-Site hat das kleine Restaurant in der Altstadt nicht, dafür machen die beiden Köche kulinarisch – salopp gesprochen – einfach ihr Ding. Sie wollen sich nicht ver­größern, nehmen an keinen Medien-Spektakeln teil und haben sich mit dieser Konzentration aufs Wesentliche mittlerweile einen festen Platz in der deutschen Spitze erarbeitet. Und vor allem mit ihren Gemüse­gerichten gehören sie im Grunde längst auch international dazu. Zur Arbeitsteilung sagt übrigens Inhaber Andree Köthe, er sei ja nur Autodidakt, und Yves Ollech der bessere Koch. Wie dem auch sei: Heute präsentieren sie in der holzvertäfelten und eigentlich eher klassisch-traditionell wirkenden Stube eine Küche, die vor allem in der letzten Zeit völlig neuartige Einblicke in die faszinierende Welt der Gemüse gegeben hat. Typisch für ihre Arbeit ist die komplette Nutzung eines Gemüses, inklusive Strunk, Blätter oder Blattgrate, die in einer g­ anzen Reihe unterschiedliche Zubereitungen eingesetzt werden. Damit betreten sie Neuland. Der Kroate Ivan Jakir gehört ebenfalls seit vielen Jahren zur Stamm­besatzung des Hauses. Ohne viel Aufhebens von seiner Arbeit als Maître und Sommelier zu machen, hat er mit der Zeit und parallel zur Entwicklung der Küche von Andree Köthe und Yves O ­ llech ein enormes Spezial­wissen über die Weinbegleitung von Gemüsegerichten und neue Aromen­bilder erworben. Dabei scheint er weniger für die Galerie zu spielen als viele s­ einer Kollegen; seine Empfehlungen haben eine bemerkenswerte Beständig­keit und Intensität. 36

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Speisen Kohlrabi mit weissem Mohn Der Wein Ein 2010er Weißburgunder »S« vom Weingut Wittmann, Westhofen/ Rheinhessen. Der Wein wurde mit einer Temperatur von 12 Grad Celsius serviert. Es war ein hochsommerlicher Tag, und die Raumtemperatur im Essigbrätlein pendelte sich bei etwa 27 Grad ein. Unter diesen Bedingungen spielt die ­relative Weintemperatur eine große Rolle, also die ­Differenz zwischen Raum- und Weintemperatur. Ein mit 12 Grad servierter Weißwein wird in der Wärme ohne weiteres so erfrischend empfunden wie ein 8 Grad kühler Wein unter n ­ ormalen Umständen. In diesem Fall wirkte der Wein auch bei einer Erwärmung auf 18 Grad nach etwa zwanzig Minuten immer noch relativ kühl und schmeckte weiterhin stabil. In der Nase zeigt sich ein typischer Weiß­ burgunder mit einem klaren Aroma. Schon nach kurzer Zeit entwickelt sich eine deutlich komplexere Palette mit einer leichten Restsüße, die ein wenig an einige der schlankeren ­Elsässer Gewürztraminer denken lässt. Im Mund ergibt sich zügig eine elegante Fülle mit einer initialen leichten Süße und einer Tendenz zu trockneren Aromen im Abgang. Der Nachhall ist dann wieder ausgeglichen. Der Übergang von milden hellen Früchten zu trockneren ­Aromen fällt dabei sehr plastisch aus.

Das Essen Auch hier nutzen Andree Köthe und Yves Ollech wesentlich mehr Teile des Gemüses, als das üblicherweise der Fall

ist. Den Kohlrabi gibt es hier mit und ohne Schale gegart oder in dünnen Scheiben, die in Buttermilch eingelegt ­werden. Man nutzt Streifen von den Schalen oder entwickelt eine Sauce aus den Blättern. Die Stücke stammen von reifen ­weißen und von sehr jungen grünen Exemplaren und werden mal mit Blattstiel, mal ohne gegart. Für die Sauce von weißem Mohn wird der Mohn in Butter angeröstet, und natürlich werden die verschiedenen Elemente des Gemüses auch noch mit unterschiedlichen Aromen kombiniert, wie etwa einem Pochierfond von Reisessig und Tonic. Das Ergebnis ist ein faszinierend differenziertes Geschmacksbild, bei dem auch die klassischen Q ­ uali­täten, wie etwa das sensationell präsente und frische Aroma der Kohlrabi-Stücke mit etwas Butterbröseln, auffallen. Die Mohncreme schmeckt neuartig und mild, die Blätter intensiv kohlig, und eine zusätzliche sensorische Breite ergibt sich aus dem Kontrast von Rohem und Gegartem.

ganz typisch für den Stil von Ivan Jakir. Die Weine bilden zunächst eine Art aromatischer Grundierung für die meist eher milden Aromen auf dem Teller. Von da aus entwickelt sich eine zusätzliche, sehr feine Verzahnung mit den verschiedenen Aromen, die ausgesprochen elegant und oft überraschend wirkt. Erstaunlich ist auch, dass sich diese Verzahnung bei den unterschiedlichen Akkorden eines Gerichts durchaus ändern kann, während die Grundierung erhalten bleibt. So zum Beispiel bei der Kombination von w ­ eißen und ­grünen Stücken mit den roh marinierten Scheiben und dem kräftig-­kohligen Blatt. Die Verzahnung wird etwas enger, behält aber eine gleichbleibend hohe ­Qualität. Angesichts des ungewöhnlichen Angebots auf dem T ­ eller entwickelt sich eine verblüffend variable Komplexität und H ­ armonie. Selbst der Spezialeffekt mit Blättchen von Agastache (Duft­nessel) wird ohne weiteres und im gleichen Stil integriert.

Reaktionen

Kommentar

Mit dem puren weißen Kohlrabistück hat der Wein eine eher mittige Note, die sich rund um das Kohlaroma entwickelt und stabil ist. Deutlich anders wird die ­Reaktion, wenn man etwas Butterbrösel und Mohncreme zum ­grünen Kohlrabi nimmt. Obwohl hier nun einige Fette im Spiel sind, die immer die Gefahr mit sich bringen, die Aromenwahrnehmung im Mund zu beeinträchtigen, ergibt sich eine deutliche Anreicherung des Weins. Sie verläuft

Das Erstaunlichste bei diesem Gericht und der Weinbegleitung ist die Selbstverständlichkeit, mit der sich hier Großes tut. Die Realien sind einfach, aber intelligent und mit viel Sinn für Zusammenhänge zubereitet. Der Wein nimmt ­dieses Angebot sozusagen an und entwickelt eine Art emanzipierter Begleitung zu einem Gemüseteller der Avantgarde. Es wird sofort klar, dass mit Ivan Jakir hier ein langjährig in diesem Fach trainierter ­Spezialist am Werk ist. G o u rmandise

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Gemüse »gelb« Der Wein Ein 2001er Albarino, Selección de Añada vom Weingut Pazo de Señoráns, Meis, Rias ­Baixas/Spanien. Der Wein wurde mit einer Temperatur von 11 Grad serviert. Eine Erwärmung auf 17 Grad brachte keine Probleme. Es handelt sich bei ­diesem Albarino um einen zunächst einmal ziemlich extrem wirkenden Wein. Die Nase zuckt regelrecht vor einer Note zurück, die im ersten Moment wie Holz wirkt, tatsächlich aber eine ungewöhnliche Fruchtnote ist. Das wird schnell klar, weil sich der Wein schon hier nach dem ersten Flash deutlich komplexer zeigt. Im Mund tut sich zunächst eine gewisse reife Frucht auf, die schnell an ­Eleganz gewinnt. Vorhersagen über die Wirkung mit dem Essen erscheinen zu diesem Zeitpunkt schwierig, weil der Wein aromatisch wie in B ­ ewegung wirkt und kaum definiert werden kann.

Das Essen Mit dieser Kreation nehmen die beiden Köche die Idee monochromer Gerichte auf, die zuerst im Jahr 2003 von Joan Roca (»El Celler de Can Roca« in Girona/Spanien) entwickelt wurde. Ein solcher Teller dient allerdings längst nicht mehr nur der Optik, sondern erfordert über die notwendige Selbstbeschränkung ein differenzierteres Denken des Kochs. Im Essig­brätlein ist man dazu in der Lage, weil man das Material in gewisser Weise tiefer denkt. Die Komposition besteht unter anderem aus gelben Tomaten, Nachtkerzen-­ Blüten, längs aufgeschnittenen Wachsbohnen, Mais, Pfifferlingen und ein­gelegten Lindenblüten mit ihrem pointierten Aroma – teilweise in unterschiedlichen Aggregat­zuständen. Die Wirkung ist die eines ausgesprochen komplex schmeckenden Ragouts. Man isst es am ­besten von einer Seite zur anderen und bekommt dann mit jedem B ­ issen einen neuen Akkord. Mal dominiert eine leichte Süße von den Mais-Schalen­stücken, mal ein inten­ sives Aroma von den Tomatenkerngehäusen oder den kleinen Pfiffer­lingen, mal ist es die ­Textur, wie die der roh marinierten Bohnen­streifen, die den Eindruck bestimmt.

Reaktionen Bei einem Mix ohne Mais und die expressiven Lindenblüten schmeckt der Wein mild und mittig und passt im Prinzip gut zu dem Aromenspektrum. Er wirkt allerdings etwas zu kräftig und beeinträchtigt dadurch ein wenig die Finesse des Essens. Nimmt man Mais und Lindenblüten dazu, ergibt sich ein ganz merkwürdiger und seltener Effekt: Der Wein wirkt wie eingerahmt, er steht also im Mittelpunkt des Akkords und wird von den ­Aromen des Essens erweitert. Normalerweise erlebt man diesen Effekt eher umgekehrt. Der Grund ist klar. Die originellen Aromen des Weins sind ­kräftig und ­mittig einzuordnen. Sie k­ önnen von den wenig aggressiven Noten beim Essen nicht überlagert, an ihren Rändern – also wo sich sozusagen die schwächeren Teil­aromen finden – aber ergänzt werden. Und es gibt noch eine w ­ eitere Überraschung bei diesem unvergleichlichen Wein-Spektrum. Bei einem hohen Anteil an rohen Elementen (wie etwa den Bohnenstreifen) wirkt der Wein wie eine satte Grundierung mit einer eleganten Verzahnung der w ­ eiteren Aromen. Die rohen Bohnen verstärken also entsprechende ­Anlagen im komplexen Spektrum dieses Weins. Bei so unterschiedlichen R ­ eaktionen lohnt sich immer ein Versuch mit der Verlegung der Kontaktstelle. Bei +10 ­Sekunden ergibt sich eine sensationelle Anreicherung des Weins. Die im Mundraum verbliebenen Aromen des Essens dienen also komplett der Ausweitung seiner Aromenpalette.

Kommentar Eine außergewöhnlich spannende Empfehlung, die man so nicht erwarten konnte. Das variantenreiche Spiel zwischen Wein und Essen schafft einen eigenen Erlebniswert – vorausgesetzt, der Gast entdeckt diese Reaktionen schnell genug. Der Service sollte hier keinesfalls auf entsprechende Hinweise verzichten. Sie bringen einfach einen deutlichen Zugewinn an Genuss.

Wildsaibling mit Blumenkohl Der Wein Ein 2007er Riesling Ruppertsberger Hoheburg, Fass 23, Doppelmagnum vom Weingut Dr. ­Bürkling-Wolf/ Pfalz. Der Wein wurde mit einer Temperatur von 12 Grad serviert. Schon die Nase ist wundervoll, weil sie eine prächtige Balance zwischen Frucht, Terroir und Reife zeigt, die ausgesprochen süffig-appetit­anregend wirkt. Im Mund gibt es einen Moment lang einen Hauch von Süße, die dann aber zügig in die gleiche Balance übergeht. Der Wein ist sehr lang und stabil. Die Qualität aus der Doppelmagnum erscheint gegenüber der normalen Flasche deutlich präsenter und spektraler.

Das Essen Dieses Gericht ist nicht nur optisch, sondern auch aromatisch sehr auffällig. Der Fisch liegt in einem Sud von Tomate, der mit einem Hauch von Zimtblüte angereichert ist. Die ­dünnen Kräuterstreifen obenauf stammen vom Koriander und sind in diesem Zusammenhang sehr wirksam. Der Blumenkohl erscheint in mehreren Varianten: rohe Stiele, eine dickflüssige Blumenkohl-Sahne, in Öl konfierter Blumenkohl mit Röstnoten und Stücke von Blumenkohlblättern. Das Tomatenaroma wird ergänzt durch rohe Tomaten­ kerne. Der Sud und der Koriander stellt eine erstaunliche Balance zwischen den Kohl­ aromen und dem Fisch her. Man hat zwar den Eindruck eines hervorragenden Feintunings bei den Proportionen, muss aber dennoch darauf achten, dass im Akkord mit dem Fisch – und auch mit den Blumenkohl-­Elementen – die Aromen zurückhaltend dosiert werden.

Reaktionen Saibling plus Sud mit einer minimalen Dosis Koriander ergibt einen sehr gut ineinandergreifenden Akkord, der allerdings gegen Ende einen Hauch von Fadheit entwickelt. Die kommt von einer partiellen Überlagerung der Weinaromen durch den Koriander, wenn er durch einen zufälligen Biss aromatisch aufgeschlossen wird. Dafür bringt der Akkord von Saibling, rohem Blumenkohl und Blumenkohl-Creme eine sensationell gute und durchaus überraschende Verzahnung. Insgesamt stellt sich bei diesem Gericht heraus, dass das Blumenkohl-Aroma eben nicht einfach kohlig ist, sondern dass es diverse Noten ent­wickelt. Nimmt man gerösteten Blumenkohl und Tomaten­gehäuse dazu, bleibt diese Qualität ebenfalls erhalten, selbst dann, wenn auch noch ein Stück Blumenkohlblatt dabei ist. Der Akkord schmeckt durchaus kohlig, stellt sich aber mit dem Wein als ein differenziertes, ja g­ eradezu e­ legantes Gebilde dar. Nie besteht die Gefahr, dass die Komplexität des Weins das Essen überlagert.

Kommentar Wieder eine sehr gute Empfehlung, die ein tiefes Verständnis für die aromatischen Zusammenhänge von Gemüse und Wein offenbart. Dieses Essen braucht einen Wein mit S ­ ubstanz und vor allem mit einem breiten reaktiven Spektrum, der aber auch nicht über das Ziel hinausschießt, sondern Subtiles erhalten kann. Hier schaffen Wein und Essen zusammen auf vorbildliche Art deutlich mehr als jeder für sich allein: Die Weinbegleitung veredelt das Essen.

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Gebratene Johannisbeeren Der Wein Eine 2010er Scheurebe Auslese Rödelseer Schwanleite vom Weingut Weltner, Rödelsee/­Franken. Der Wein wurde mit einer Temperatur von 10 Grad serviert. In der Nase zeigen sich wieder zuerst die für ihn typischen Noten, hier die von h ­ ellen Früchten über Blüten bis zum Honig. Wegen einer gewissen Zurückhaltung im Spektrum, das sich auch im Mund nicht wesentlich breiter und ­tiefer zeigt, bleibt angesichts des ungewöhnlichen Desserts mit seinen ­kräftigen A ­ romen eine leichte Unsicherheit in der Prognose.

Das Essen Die kräftig gebratenen schwarzen Johannisbeeren sind mit einer recht dicken Schicht Kakao bestreut. Hinzu kommt ein Butterkaramell mit einer deutlichen Minz-Infusion und ein Schmand-Eis, das recht mild, abgerundet und ausgesprochen elegant schmeckt. Die Johannisbeeren haben ein sehr originelles, eher herzhaft bis herbes Aroma, weil sie regelrecht kross gebraten sind, entsprechende Röstnoten haben und dann mit dem stumpf schmeckenden Kakao überstreut sind. Der Vollakkord überrascht durch seine große Breite, Ausgewogenheit und Originalität und vor allem durch die geradezu p ­ lastische Trennung der Aromen im Mund.

Reaktionen Bei dem Schmand-Eis schafft der Wein mit seiner fruchtigen Säure eine klare F ­ undierung. Mit den gebratenen Beeren und dem Kakao überrascht eine erstaunlich milde Frucht beim Wein, die – trotz der kräftigen Aromen – keine Verluste zeigt. Der so wunderbar ­originell schmeckende Vollakkord allerdings überlastet den Wein, er wird blasser und verliert etwas an Substanz. Auf der Suche nach den Gründen gibt es wieder den Test mit der verlegten Kontaktstelle. Bei + 20 Sekunden verbessert sich die Lage zwar, doch liegt das Problem beim Kakaopulver: In Kombination mit dem Karamell geht es beim Vollakkord ein wenig in eine Richtung, die für den Wein zu kräftig ist.

Kommentar Die Intensität der Karamellsauce oder die Menge an Kakaopulver könnte möglicherweise überdacht werden. Es sollte ein Punkt erreicht werden, an dem der Vollakkord weiterhin grandios-originell schmeckt, sich die Fruchtnoten des Weins aber besser mit der Minze und dem Schmand-Eis verbinden können.  >

Taube mit Roter Bete Der Wein Eine 2008er Zinfandel-Cuvée, Lytton Springs vom Weingut Ridge, Lytton Springs, Sonoma/Kalifornien. Der Wein wurde mit einer Temperatur von 15 Grad serviert. Für diese Cuvée werden 74 Prozent Zinfandel, 21 Prozent Petite Syrah und 5 Prozent Carignan eingesetzt. Die Trauben stammen von sehr alten Rebstöcken und werden teils in neuen, teils in älteren Barriques ausgebaut. In der Nase dominiert eine kräftige Zinfandel-Note. Wie oft bei Ivan Jakirs Empfehlungen herrscht zunächst der Eindruck einer gewissen Kräftigkeit und Klarheit des Weins vor, der dann wenig später einer großen Komplexität weicht. Der Syrah-Anteil sorgt für elegante Süffigkeit, und ob der geringe Anteil ­Carignan eine größere Wirkung haben kann, sollte nicht zur Debatte stehen. Es ist wie bei einem Gewürz. Die Wirkung kann auch in geringen Dosen gewaltig sein, zum Beispiel weil erst durch sie bestimmte aromatische Zusammenhänge hergestellt werden.

Das Essen Andree Köthe und Yves Ollech haben auch beim Fleisch ihre eigene Note. Die Taube ist hier deutlich gegrillt und hat ein hinreißend komplexes Taubenaroma, das sich so eher selten findet. Die leicht rustikalen Grillnoten setzen sich in einem Sockel aus Brot mit geröstetem Kümmel fort. Dazu kommen Rote Bete in verschiedenen Variationen (inklusive der Stiele und Blätter), ein Schnittlauchsaft und sehr wirksame Zitronenzesten. Der Vollakkord ist schlichtweg prächtig, weil er technisch brillant aufgebaut ist und zugleich eine leicht erdige, immer feine bodenständige Regionalität ausstrahlt. Die Feinarbeit beim Gemüse wirkt sich auch in anderen Bereichen der Küche aus.

Reaktionen Mit der Taube und dem Kümmelbrot (von dem man beim Schneiden immer automatisch ein Stück mitbekommt) ergibt sich eine dieser engen Verzahnungen, die Essen und Wein komplett ineinandergreifen lassen. Es entstehen keine Reaktionen im e­ ngeren Sinn, sondern verlustfreie Anreicherungen. Das gilt besonders dann, wenn der Anteil an Röst­noten bei einem Stück von der Taube bewusst akzentuiert wird. Die Fruchtnoten des Weins ­würden mit dem schieren Taubenfleisch (also auch dem Rest von Blut­aroma) kaum so reagieren. Kommen aber die Röstnoten hinzu, ergibt sich eine ausgesprochen breite Palette. Die Lage ändert sich, wenn man rohe Elemente dazu nimmt. Das Gefüge wird durch eine zusätzliche Frische überlagert, die die pointierten Noten von Roter Bete, Zitronen­zesten und Schnittlauch unterstreicht. Wegen dieser – recht zügigen – Reaktion gibt es auch hier einen Versuch mit der Verlegung der Kontaktstelle. Bei +15 Sekunden entsteht eine schöne Anreicherung des Weins, bei der dann allerdings das Essen aromatisch etwas weniger ausgeschöpft wird. Die beste Reaktion wird bei der Verzahnung mit dem Haupt­produkt plus einer dezenten Zugabe aus dem rohen Bereich erzielt.

Kommentar Es bleibt beim Jakir-Stil, einer ausgetüftelten Grundlage, bei der nie die Gefahr besteht, der Wein könne dem Essen nicht standhalten oder Reaktionen entwickeln, die zu weit davon wegführen. Diese Basis schafft eine Reihe von Optionen, mit einzelnen Elementen unterschiedliche Facetten zu entwickeln. Und eine dieser Varianten passt stets ganz hervorragend.

Gemüse

Andree Köthe /Yves Ollech Gebunden mit Schutzumschlag 224 Seiten 28 ›‹ 29 cm € 49,90 (D) ISBN 978-3-941641-24-2 G o u rmandise

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MIT HERZ UND Von Rainer Schäfer  Fotos Johannes Grau

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Jean-Michel Cazes hat Château Lynch-Bages

ur Klage hatte Jean-Michel Cazes keinen Anlass, im Gegenteil. Seiner

­Familie und ihm ging es gut, auch die Geschäfte waren einträglich. Aber was

er in ­seiner Umgebung sah, das bereitete ihm Kummer: »Um mich herum starb

alles«, sagt der Siebenundsiebzigjährige, Eigentümer von mehreren Weingütern, ­darunter das renommierte ­Château Lynch-Bages im Médoc. Genau genommen ist Cazes viel mehr als einer der vielen Weingutsbesitzer. Er gilt auch als sozial denkender Mäzen, viele behaupten, dass er den kleinen Weiler Bages oberhalb des ­Städtchens Pauillac vor dem Verschwinden gerettet habe. »Es war sehr traurig hier, viele H ­ äuser standen leer und zerfielen zu Ruinen«, sagt er. »Und ich kann es nicht ertragen, wenn Sachen sterben.«

»Alles musste sich verändern, es gab überhaupt keine Weinkultur«: In den siebziger Jahren begann Jean-Michel Cazes mit der ­Neu­belebung des Pauillac-Dörfchens Bages und der Neu­ strukturierung von Château Lynch-Bages. Er wurde zum Idol der Region.

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n Bages ist er aufgewachsen, Cazes erinnert sich gerne daran. Es war ein ärmliches Leben, hier sammelten sich in den unsicheren Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg auch Flüchtlinge aus Spanien und Italien, die nicht unter Mussolini und Franco leben konnten. Aber die Straßen lebten und vibrierten, Kinder spielten und lärmten, die Bewohner hielten zusammen und verbrachten gemeinsam ihre Tage in diesem Weindorf im Médoc. Ende der 1990er Jahre drohte das Dorf auszusterben und »seine Seele zu verlieren«, wie Cazes sagt. Er hatte viele Jahre in Paris und den Vereinigten Staaten zugebracht und fühlte sich in den großen Metro­ polen zuhause. Jetzt begann er, tatsächlich Pläne zu entwerfen wie ein Architekt: In alten, renovierten Gemäuern entstanden eine Bäckerei, ein Feinkostgeschäft, ein Hotel, ein Café mit gehobener Bistroküche und eine Schlachterei. Einige seiner Freunde begannen sich zu wundern: Cazes ist eine Respektsperson im französischen Weinbau. Hatte ein


»Wir haben noch gearbeitet wie vor hundert Jahren«: Als Jean-Michel Cazes die Verantwortung für Lynch-Bages übernahm, wurde alsbald alles anders. Heute überwachen Satelliten den Reifegrad der Trauben in den Rebgärten. Nur im ruinös verfallenen Weiler Bages wurde die gute alte Zeit mit Bistro, Dorfplatz und Feinkostlädchen restauriert.

VERSTAND

von Grund auf erneuert – ein Gewinn für das gesamte Bordelais Mann seines Formats nichts Besseres zu tun, als sich um zerfallene Häuser zu kümmern? Jean-Michel Cazes schaut hinab auf Pauillac und die Gironde. Er hat dunkle, wache Augen, er trägt Jeans, ein gestreiftes Hemd, darüber eine blaue Weste. Sein Silberhaar hat immer noch die Länge aus den Studentenjahren. Cazes hat in Paris gelebt, als der Geist der Achtundsechziger Revolte auch die französische Hauptstadt liberalisierte. Seine ­Wurzeln hat er wieder entdeckt: Er lebt im Château, das ist ungewöhnlich; viele Weingutsbesitzer residieren da, wo man den Alltag der Weinerzeugung ausblenden kann. Das aber kann Cazes sich überhaupt nicht mehr vorstellen: Ein Château wie Lynch-Bages zu besitzen, heißt für ihn auch, mitten drin zu sein im wuseligen Arbeitsablauf. Nach Bages zurückzukehren und das Château zu führen, war eine der schwierigsten Entscheidungen seines Lebens. Winzer wollte Cazes nie werden, er plante ein

Leben fernab der Weinberge des Bordelais. Er hatte in Frankreich und Amerika studiert und durfte sich Inge­ nieur nennen, in Paris hat er beim Computerkonzern IBM ­Karriere gemacht. »Ich musste mich entscheiden«, sagt Cazes, »mein Vater brauchte Hilfe.« Wein und Versicherungen, mit dieser ungewöhnlichen Kombination hatte sich sein Großvater Jean-Charles nach oben gearbeitet. Cazes’ Vater André hatte die Geschäfte übernommen, und jetzt sollte er an seine Seite treten. Cazes war hin- und her gerissen, mit achtzehn Jahren hatte er Bages verlassen, mit achtunddreißig ist er 1973 zurückgekehrt. Davor habe er zwei Jahre lang mit seinem Vater diskutiert und mit sich gerungen. »Um ehrlich zu sein: Ich hätte nicht gedacht, dass es so aus­gehen würde«, sagt Cazes. Seine Jugend habe er zwar im Weinberg verbracht, aber in Paris habe er sich zurückentwickelt, auf die Stufe eines einfachen Weinkonsumenten. »Ich habe keine Leidenschaft für Wein empfunden«,

räumt er ein, »aber ich wollte auch nicht, dass das Gut verkauft wird.« Zu sehr war er beeindruckt davon, wie sich sein Vater nach dem Krieg in die Arbeit gestürzt hatte, um das Familien­unternehmen wieder in Schwung zu bringen. Nach fünfjähriger Kriegsgefangenschaft wog der gerade noch zweiundvierzig Kilo. Bald zeigte sich, dass Jean-Michel Cazes gerade noch rechtzeitig zurückgekommen war. »Ich geriet in einen furchtbaren Sturm«, erinnert er sich. »1973 vollzog sich ein gigantischer Umbruch.« Die Weltwirtschaft litt unter der Ölkrise und einer gewaltigen Rezession, die auch den Châteaus im Borde­lais schwer zu schaffen machte. Die waren von den Händlern abhängig, die in Bordeaux im Viertel Chartons ihre Geschäfte abwickelten. Auf einen Schlag brachen die traditionellen Strukturen der Weinwirtschaft zusammen. Nicht alle Châteaus überstanden die Krise. Auch Lynch-Bages sei beinahe bankrott gewesen, sagt

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»Wenn andere den Kopf verlieren, bewahre ich die Ruhe«: Jean-Michel Cazes in ­ironischer Konfrontation mit dem PlastikDinosaurier des chinesischen Künstlers Sui ­Jianguo. Dem Sieben­und­siebzigjährigen ist das wohl ­größere ­Kunstwerk gelungen – er hat den Wein von Lynch-Bages in die Spitze des ­Pauillac zurückgeführt.

Cazes. Aber mit der analytischen Präzision und der robusten Mentalität des Ingenieurs begann er, diesem Sturm zu trotzen. Cazes musste sein Appartement in Paris verkaufen, um die Arbeiter bezahlen zu können, das Versicherungsgeschäft ermöglichte zunächst das Überleben. Cazes, der als Student beim Rugby gelernt hat sich durchzusetzen, hat eine ganz besondere Eigenschaft: »Wenn andere den Kopf verlieren, dann bewahre ich die Ruhe.« Er nutzte seine Kontakte nach Paris, um seine Weine zu verkaufen – die der benachbarten Châteaus bot er gleich mit an.

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chon einmal, in den 1930er Jahren, hatte die F ­ amilie eine Krisenzeit mit Bravour gemeistert. 1938, als viele Wein­güter im Bordelais unter Geldnöten litten, kaufte Jean-Charles Cazes Château Lynch-Bages von General Félix de Vial. Cazes bewunderte seinen Großvater, der sich vom gelernten Bäcker zum Château-Besitzer und Versicherungsunternehmer hochgearbeitet hatte. Dass er kluges Handeln in schwierigen Z ­ eiten beherrscht, das bewies auch der Enkel immer w ­ ieder. Als das Weinparadies Médoc zu veröden drohte, l­eitete er Mitte der siebziger Jahre die bislang erfolgreichste Phase im ­Château Lynch-Bages ein. Cazes ließ das Weingut erneuern und investierte in neue Technik. »Wir haben noch gearbeitet wie vor ­hundert Jahren«. Er erinnert sich daran, wie die Ver­gärung der Moste mit Feuer unter den Holztanks beschleunigt und mit kaltem Wasser unterbrochen wurde. Edelstahl­gärtanks w ­ urden angeschafft, um die malolaktische Fermentation exakt steuern zu können. Vorher waren gelegent­lich Probleme mit Essigsäure aufgetreten, Cazes aber wollte mit Lynch-Bages durchgehend hohe Qualität anbieten. Inzwischen setzt er auch auf modernste Technologie: Um den Reifegrad der Trauben exakt bestimmen zu können, ­liefert ein Satellit Infrarot­bilder der Weinberge. 1989, nach fünfzehn Jahren Arbeit, war die Erneuerung des Weinguts beendet, das sich äußerlich nicht mit vielen der prunkvollen Châteaus auf dem linken Bordelais-­ Ufer ­messen kann. Gegen Château Lafite-Rothschild, Cos d’Estournel oder Château Latour wirkt Lynch-Bages wie eine Kloster­anlage. Aber Äußerlichkeiten sind Cazes ohnehin nicht w ­ ichtig. Die Weine sind entscheidend, und die machen Lynch-Bages zum funkelnden Juwel im Diadem der Familie, zu dem weitere Weingüter in Frankreich zählen wie Château Les Ormes de Pez in Saint-Estèphe oder Domaine des Sénéchaux in ­Châteauneuf-du-Pape. Lynch-Bages wurde bei der Klassi­fikation der sechzig besten B ­ ordelaiser Châteaus von 1855 lediglich als Cin­quième Cru eingestuft, in der fünften und untersten Gruppe. Aber die Weine des Châteaus genießen den Ruf, deutlich besser zu sein als diese Einschätzung nahelegt. Unter Jean-Michel Cazes hat sich

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Château Lynch-Bages an die Spitze der Appellation Pauillac geschoben, mit internationalem Renommee. Lynch-Bages, das ist ein vom ­Cabernet geprägter Charmeur, kraftvoll, tiefgründig, aber in seinem Wesen entspannt, animierend und lustvoll. Der Zweitwein Echo de Lynch-Bages, der bis 2007 Château Haut-Bages Averous hieß, ist früher zugänglich als der lagerfähige Erstwein. Unter dem Namen Blanc de Lynch-Bages wird auch eine kleine Menge Weißwein erzeugt – eine Rarität in Pauillac.

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as sich Jean-Michel Cazes zunächst nicht vorstellen konnte: Lynch-Bages ist ihm längst zur »affaire de cœur«, zur Herzensangelegenheit, erwachsen. Aus der Vernunftsentscheidung, den gealterten Vater zu unterstützen, ist längst Passion geworden. Für das Bordelais ist Cazes ein Segen: »Der neue Baron des Bordelais, der das Gesicht der ganzen Region verändert hat«, so huldigte ihm ein Magazin. Der Quereinsteiger mit dem analytischen Blick hatte schnell begriffen, dass das Bordelais sich von Grund auf erneuern musste, wollte es überleben. »Alles musste sich verändern, es gab hier überhaupt keine Weinkultur«, erzählt Cazes. »Die Châteaus waren hermetisch abgeriegelt, man konnte keine Weine verkosten.« Es war eine abweisende Aura, die die dicken Mauern umgab. Cazes öffnete Lynch-Bages für Besucher, er richtete ein viel­ besuchtes Weinmuseum ein. Als die ersten Wein­touristen aus Amerika ins Bordelais kamen, waren sie nicht überall gern ge­sehen. Aber Cazes begrüßte sie als Boten des Aufschwungs. Lynch-Bages, das ist die entspannte und warmherzige Seite ­Pauillacs, inmitten der protzigen Schlösser und Herren­häuser. Cazes flog um die Welt, um seine Weine zu präsentieren, und überredete andere ­Winzer mitzu­ kommen. Die reisten jetzt nach New York oder Hongkong, zuvor waren sie nur bis Paris, vielleicht mal nach London gekommen. Als Frontmann vertrat Cazes das neue moderne B ­ ordelais nach außen, freundlich, selbst­bewusst, eloquent und sehr klug. Lynch-Bages entwickelte sich mit Cazes zu einer Drehscheibe des Weingeschäfts, er war einer der E ­ rsten, die sich in den neunziger Jahren Chancen auf dem asiatischen Weinmarkt ausrechneten. Zu der Zeit, ­witzelt er, w ­ ussten noch nicht mal die Chinesen, dass ihnen Wein einmal s­ chmecken könnte. Heute exportiert er fünf Prozent seiner Produktion nach China. Es sind nur noch wenige Stunden, bis die Ausstellung des New Yorker Künstlers Emilio Perez eröffnet wird. JeanMichel Cazes sitzt in seinem Arbeitszimmer im Château Lynch-Bages, das überquillt vor Büchern, Magazinen und Kunstexpo­naten. Unter dem Dach hat er eine Galerie eingerichtet, jedes Jahr lädt er moderne Künstler ein, die mit ihren Expo­naten einen schrillen Kontrast bilden zu dem

rustikalen Holz­ambiente. Obwohl Cazes die Leitung des Châteaus mit inzwischen einhundertzehn Hektar Rebfläche 2006 an seinen Sohn Jean-Charles abgetreten hat, ist Lynch-Bages ohne ihn nicht denkbar. Vielleicht ist er nicht mehr der Kopf des Familienunternehmens, das Herz aber auf alle Fälle. Es gibt immer wieder neue Aufgaben, die Cazes angehen will: Zum einen die Ausstellungen, zum anderen beschäftigt er sich mit der Reno­vierung der noch leer stehenden Häuser in Bages. Hier zeigt sich seine sentimentale Seite. Hier kann er seine Parade­rolle ausfüllen, als sozialer Geschäftsmann, der gerne teilt, der Genuss nie als e­ litäres Vergnügen verstanden hat. Sein Vater André wurde 1949 zum Bürgermeister von Pauillac gewählt und blieb zweiundvierzig Jahre in diesem Amt. Jetzt fühlt sich Cazes verpflichtet, sich um Bages zu kümmern. »Sehen Sie doch, das Leben auf der Straße«, sagt er und deutet nach ­draußen. Wie erhofft, hat sich der Weiler wieder erholt. Zufrieden blickt Cazes auf das Bistro, die Bäckerei, auf die ganze kleine Feinkostkolonie. Mag sein, dass er sich im Alter mehr Sentimentalitäten leistet, aber sein Verstand arbeitet nach wie vor präzise.  >


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Luxus kaufen? Ein Tischgespräch zwischen Stephanie von Pfuel und Maurice Hennessy Von Michael Freitag Fotos Johannes Grau

Getroffen haben sie sich in der Großstadt München. Doch beide leben auf dem Land. Stephanie Gräfin Pfuel auf Schloss Tüßling, einem RenaissanceBau, unweit von Altötting, Maurice Hennessy auf einem großen Gut in der Nähe von Cognac, der Stadt, wo es an den Ufern der Garonne nach den Wein­ bränden duftet, die seine Familie reich gemacht haben. Die Schloss­herrin ist vielen Kaffeetrinkern in Deutschland durch ihre intensiven Eduscho-­ Testimonials in Erinnerung; sie wirkte sehr überzeugend.

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er Franzose ist eines von zwei Familienmitgliedern, die heute noch bei Jas Hennessy & Co eine führende Rolle ausüben. Das Unternehmen, eine Tochtergesellschaft des Luxuskonzerns Louis Vuitton Moët Hennessy (LVMH), ist mit einem globalen Marktanteil von dreiundvierzig Prozent überall auf der Welt präsent. Als eine Art Botschafter wirbt Maurice Hennessy, ein Gourmet und Connaisseur, weltweit für den Cognac-Genuss. Beim dem Treffen zum Lunch im Garden-Restaurant des Hotels Bayerischer Hof regt er gleich an: »Madame, wollen wir zur Foie Gras ein kleines Glas Hennessy X.O., mit Quellwasser leicht verdünnt, ordern? Sie werden sehen, das passt so gut wie Portwein oder eine Beerenauslese von Prüm.« Eine unkonventionelle Gesprächseröffnung – aber er hat recht, und Madame ist sehr angetan. Angeregt hatte das Gespräch ein gemeinsamer Freund, der die Frage: Brauchen wir Luxus wirklich? in den Raum geworfen hatte – in der Hoffnung, von diesen zwei Menschen, denen der Luxus möglicherweise schon in die Wiege gelegt worden war, eine kluge Antwort zu erhalten. Maurice Hennessy sagte sofort, das sei vielleicht die falsche Frage. Denn natürlich sei er nicht lebensnotwendig wie die Luft zum Atmen, aber ebenso natürlich sei es schön, wenn man ihn sich leisten könne. Wichtiger sei vielmehr die Frage: Was ist Luxus? Stephanie von Pfuel (»Gräfin können Sie weglassen, der Adel wurde 1919 abgeschafft, seitdem sind die alten Titel nur noch Namensergänzungen«) reagiert darauf temperament­ voll. »Für mich«, sagt sie, »hat Luxus mit Glücklichsein zu tun.« Sie habe das Glück, auf dem Land leben zu dürfen, vier Pferde zu haben, wobei sie allerdings bedauere, nicht mehr sehr oft zum Reiten zu kommen. Immerhin war sie in der D ­ ressur auf einem gehobenen Wettkampf-Niveau angelangt, aber das Pferd, mit dem sie die anspruchsvollen, so genannten Sankt-Georg-­Prüfungen bestreiten könnte, hat sie an eine begabte Nachwuchs­reiterin verliehen. Mit dem Unterhalt des Schlosses, das sie von ihrem Vater erbte, habe sie eine

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große unternehmerische Verantwortung übernommen, sodass sie sich den Luxus des Dressur­reitens und des damit verbundenen großen Zeitaufwands nicht mehr leisten könne. »Dass Sie gut reiten können, darum beneide ich Sie«, sagt Maurice Hennessy. Er habe allerdings auch mit Pferden zu tun. Jedes Jahr Ende November, dieses Jahr am 1. Dezember, findet auf der Rennbahn in Newbury, neunzig Kilometer westlich von ­London, der ­Hennessy Gold Cup statt, eine Steeple Chase, ein Hindernisrennen über die Marathon­distanz von mehr als fünftausenddreihundert Metern. »Dort vertrete ich unser Unternehmen.«

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n Newbury fühle er sich wohler als in Ascot, es gebe dort keine verrückten Hüte, nur einige angenehm verrückte Menschen. Die Atmosphäre »erinnert mich an die Ursprünge dieses Sports, als man von Kirchturm (steeple) zu Kirchturm um die Wette ritt und anschließend eine schöne Party feierte«. Ganz so locker, fügt er hinzu, sei das allerdings heute nicht mehr: Immerhin gehe es für Besitzer, Trainer und Jockeys um ein Preisgeld von mehr als einer Viertelmillion Euro, »und für uns ist das eine ganz wichtige Veranstaltung auf dem englischen Markt. Aber diese Arbeit macht mir Spaß«. Woran der Moderator zwangsläufig die Frage knüpft: Warum überhaupt arbeiten? Würden seine Firmenanteile nicht ausreichen, um bequem von den Zinsen leben zu k­ önnen? Die Antwort kommt prompt: »Das habe ich nie ausgerechnet, weil das für mich nie zur


drink responsibly

w w w. m a s s v o l l - g e n i e s s e n . d e

ENJOY RESPONSIBLY


Debatte stand. Ganz nebenbei: Man dürfte nicht von den Zinsen leben – es müssten schon die Zinseszinsen sein. Ganz im Ernst: Nicht zu arbeiten käme mich sehr teuer, denn dann bräuchte ich garantiert einen Psychiater.« Er lege Wert darauf, einen nützlichen Beitrag zu leisten zu den Geschicken der Firma.

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m Verkostungskomitee von Hennessy könne sein Platz nicht sein, denn da müsste er täglich an den Verkostungen teilnehmen, und mindestens ein Drittel des Jahres sei er auf Reisen. Dafür habe er sich denn auch sein Gehalt redlich verdient. Und weil das so sei, könne er sich auch sehr gut vorstellen, in einigen Jahren in Pension zu gehen. Er sei jetzt zweiundsechzig, und er freue sich schon darauf, mit seiner Frau das Appartement, das sie in Paris auf der Rive Gauche besitzen, permanent zu bewohnen. »Sie könnten sich tatsächlich vorstellen, in der Stadt zu leben? Das könnte ich nicht«, sagt Stephanie von Pfuel. »Sehen Sie es bitte so«, wirbt er um Verständnis, »so schön

»Ah, Sie lieben Musik, Madame«, sagt Monsieur Hennessy spontan, »da treffen sich Ihr und mein Geschmack«. Er erzählt: »Musik bedeutet mir so viel, dass ich eine kleine Stiftung in Cognac ins Leben gerufen habe, die Kammermusik- und Orgelkonzerte veranstaltet.« Dieses Jahr sei der Geschäftsführer der Stiftung ausgefallen, er selbst habe sich um die Organisation kümmern und Geld auftreiben müssen. »Und, glauben Sie mir, das ist nicht mit einem Anruf bei der Hennessy-Marketingabteilung erledigt – manchmal kann ich ihnen etwas Geld abluchsen, manchmal aber auch nicht.« Sechs Konzerte finden um Ostern herum statt, ein Klaviertrio eröffne den Reigen, ein Orgelkonzert am Weißen Sonntag eine Woche nach Ostern bilde den Abschluss. Olivier Messiaen stehe, neben Bach, immer auf dem Programm: »Er war nicht nur ein berühmter Komponist, sondern auch mehr als sechs Jahrzehnte lang Organist der K ­ irche Saint Trinité in Paris, und er war auch einmal bei uns in Cognac, deshalb denken wir besonders gern an ihn.« Am Tag des Abschlusskonzerts trifft sich die ganze Familie abends zu einem großen Diner, und mit ein wenig Wehmut in der Stimme bekennt Maurice Hennessy, dass er in diesem Jahr genau an diesem Wochenende in China sein muste, um den noch relativ neuen Supercognac Paradis Impériale vorzustellen. Den kennt Stephanie von Pfuel noch nicht. Er erklärt gern: »Yann Fillioux, unser Master-­Blender in Cognac – seine Vorfahren haben über sieben Generationen in d ­ ieser Position für Hennessy gearbeitet – hatte sich vorgenommen, einen Cognac wieder zu erschaffen, der einst für den russischen Zarenhof komponiert worden war.« 1818 war das gewesen, es war der erste Auftrag des kaiserlichen Hauses für Hennessy, die neue Schöpfung war ein Geburtstagsgeschenk der Zarenwitwe Maria Fjodorovna für ihren Sohn ­Alexander VI. »Mon Dieu, das war eine große Herausforderung«, gibt Maurice Hennessy zu, »denn unsere Cuvée Paradis gab es ja schon, sie war und ist ein Musterbeispiel an Eleganz und

­ ognac auch ist, es ist doch eine kleine Stadt im Südwesten Frankreichs«. Seine Farm C umfasse einundneunzig Hektar Weinberge. »So groß, dass ich in Burgund ein stein­reicher Mann wäre« – in Cognac sei das aber nur ganz passabel, auch wenn die Weinberge in dem Gebiet stehen, das Grande Champagne genannt wird. Hier wachsen die Trauben, aus deren Most die langlebigsten, feinsten und ­teuersten Eau-de-Vies gebrannt werden. Er sei nur ein guter normaler Traubenerzeuger, so wie siebzehnhundert Kollegen auch, die ihre Produkte an Hennessy abliefern. Dieses Einkommen betrachtet er als völlig unabhängig von seiner Botschafter-Rolle für das Unternehmen. Aber wenn die in einigen Jahren ende, könne er sich gut vorstellen, die Weinbau-Flächen zu verpachten.

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n einer solchen Lage sieht sich Stephanie von Pfuel nicht. Es sei eine große Heraus­ forderung gewesen, das bei ihrer Übernahme heruntergekommene Schloss – es hatte nach dem Zweiten Weltkrieg lange als Altenheim gedient – zu dem Schmuckstück zu machen, das es heute ist, »das könnte ich nicht so einfach loslassen«. Obendrein müsse ihr Leben und das ihrer Kinder, die alle auf englischen Internaten zur Schule gegangen sind

Vornehmheit. Aber es ist der Genialität Yann Fillioux‘ zu danken, dass es gelungen ist, sie noch zu überbieten«. Mit einer Mischung aus uralten, alten und nicht ganz so alten ­Eau-de-Vies, die sich jeweils auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung befinden.

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tephanie von Pfuel, die ein kleines Glas dieses kostbaren Cognacs als Digestif zwischen ihren Händen rollt, findet das Aroma »ganz wundervoll«, aber sie gibt zu bedenken: »Ich nehme an, dass dieser Cognac sehr teuer ist und vor allem Kunden in Asien ansprechen soll. Bietet er sich damit nicht geradezu an für die Angebereien neureicher Chinesen?« Um diesen Einwand zu verstehen, ist es nützlich zu wissen, dass die Familienstammbäume der – geschiedenen – Gräfin von Pfuel, geborene Stephanie Freiin Michel von ­Tüßling, fast bis zu den Zeiten Karls des Großen zurückreichen. Auch mütterlicherseits gibt es viel altes Geld: Die Familie ist seit Jahrhunderten im Hopfenhandel aktiv, und heute gehört Joh. Barth & Sohn in Nürnberg zu den führenden Hopfen-Handelshäusern; das Produkt ist nicht nur für die Bierbrauerei unentbehrlich, sondern immer mehr auch für pharmazeutische Anwendungen. Maurice Hennessy nimmt den Einwand denn auch mit Humor: »Durchaus möglich. Aber bedenken Sie, dass jede Familie mit altem Geld irgendwann einmal neureich ange-

oder noch gehen, finanziert werden. Aber ihre Lebenssituation sei natürlich ganz anders als im gänzlich auf Paris zentrierten Frankreich. München sei weniger als eine Stunde Fahrt entfernt, und auch in Düsseldorf, wo ihr Lebensgefährte, ein Verleger, wohne, könne sie oft genug in städtisches Leben eintauchen. Als Unternehmerin müsse sie sehr viel arbeiten. Dabei kommt ihr ganz offenbar ihr Studium als Diplom-Agraringenieurin zugute – und obendrein wirkt sie sehr patent. Ausruhen ist ihre Sache nicht. Die Faustregel, dass ein Schlossbesitzer tausend Hektar Wald brauche, die er nur noch klug managen müsse, um seine große Immobilie unterhalten zu können, habe leider mit der ökonomischen Realität wenig zu tun. Und das, obwohl die Holzpreise mittlerweile nach dem Tiefpunkt in den neunziger Jahren auf einem ordentlichen Niveau angekommen seien: »Ja, jetzt, wo das Dach instand gesetzt ist, könnte das möglicherweise reichen«, aber bis es soweit war, hat sie alle Ertragsquellen ausschöpfen müssen, an die sie denken konnte. Und jetzt macht ihr das Arbeiten ersichtlich Spaß. Ideen hatte sie eine ganze Menge. Sie hat, nachdem sie mit der Kaffeewerbung bekannt geworden war, Bücher geschrieben, die sich gut verkaufen, vermietet das Schloss und den Park, vorzugsweise an glamouröse Freunde von Mirja Sachs bis Claudius Dornier, und sie veranstaltet Konzerte, open-air, vor der malerischen Kulisse des Schlosses. Am liebsten wäre ihr klassische Musik, »aber damit kann man kein Geld verdienen«, denn Sponsoren interessierten sich dafür nicht. Mit Elton John, der vor sechseinhalbtausend Besuchern auftritt, sieht das anders aus.

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fangen hat. Zur Zeit des Fin de siècle hat man über neureiche Brasilianer in Paris die Nase gerümpft.« Er mag es offenkundig nicht, wenn neue Kundenkreise abgewertet ­werden: »Für mich heißt Luxus, früh morgens auf der Garonne zu rudern und anschließend meine Rosen zu schneiden. Aber für andere Menschen bedeutet Luxus Shopping, und wenn es sie glücklich macht, soll es gut sein. Wer Paradis Impériale kauft, hat immerhin guten Geschmack bewiesen.«  >


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